Mit Lilo in die Neue Welt: Chrysler von 1924/25

Heute folgen wir den Spuren eines Mädchens namens Lilo und landen in der Neuen Welt.

Dazu müssen wir jedoch die heimatliche Scholle nicht verlassen, denn die Neue Welt manifestierte sich ab Mitte der 1920er Jahren auch in deutschen Landen eindrucksvoll, jedenfalls was Automobile betrifft.

Diesmal befassen wir uns mit einem recht frühen Vertreter der später massenhaft in Deutschland abgesetzten US-Wagen – jedenfalls lässt sich das abgebildete Auto bis ins Jahr 1924 zurückverfolgen.

Damals wurde in New York ein völlig neues Fahrzeug präsentiert, von einer Firma, die gerade erst gegründet worden war – von einem Mann, der als Hilfsarbeiter auf einer Farm begonnen hatte: Walter Chrysler.

Er hatte sich in der Automobilbranche hochgearbeitet, war Manager bei Buick, dann bei Willys gewesen, zuletzt übernahm er das Kommando bei Maxwell-Chalmers. Auf Umwegen konnte er dort drei Konstrukteure verpflichten, deren Prototyp ihm bereits bei Willys aufgefallen war.

Dieses Fahrzeug wurde dann als erster Chrysler präsentiert und noch im gleichen Jahr in über 30.000 Exemplaren abgesetzt.

1925 sah der Chrysler noch ziemlich genauso aus wie der Erstling von anno 1924, sodass wir nicht sicher sagen können, um welches Modelljahr genau es sich bei diesem Fahrzeug handelte:

Chrysler von 1924/25; Originalfoto mit freundlicher Genehmigung von Angelika und Werner Thieme.

Da haben wir die kleine Lilo auf dem Kühler des Chrysler sitzen! Dass wir ihren Namen kennen, das verdanken wir Angelika und Werner Thieme. Frau Thieme weiß auch etwas zum einstigen Besitzer des Autos, denn er war ihr Großvater!

So gehörte der Chrysler einem Stuttgarter Großhändler aus dem Schmuck- und Edelmetallgeschäft namens Erich Oberheidtmann, der damit Einzelhändler in Südwestdeutschland besuchte.

Zumindest zeitweise gingen die Geschäfte gut, denn mit dem Chrysler von 1924/25 gönnte sich der Besitzer eines der modernsten Fahrzeug seiner Klasse überhaupt. Dieses kam nicht nur aus der Neuen Welt, es repräsentierte auch die neue Welt des Autobaus.

Der 3,3 Liter messende Sechszylindermotor des Chrysler war hochverdichtet und bot so eine ungewöhnlich hohe Leistung von knapp 70 PS. Zum Vergleich: Stoewers 6-Zylindertyp D12V bot 1925 bei 3,4 Litern gerade einmal 55 PS, bei Mercedes und Horch sah es selbst nach Mitte der 1920er Jahre nicht besser aus.

Ein Spitzentempo von über 110 km/h war mit dem Chrysler drin, während deutsche Fabrikate meist kaum über 80 km/h hinauskamen. Der amerikanische Hersteller hatte dem Auto konsequenterweise auch gleich hydraulische Vierradbremsen spendiert.

Das war in einem Mittelklassewagen 1924 sensationell, denn selbst Oberklassefahrzeuge deutscher Hersteller besaßen damals oft noch nicht einmal serienmäßige Trommelbremsen an der Vorderachse – trotz oft kolossaler Gewichte.

Kein Wunder, dass Chrysler seinen Absatz schon 1925 mehr als verdoppeln konnte. Im Skalieren der Produktion waren und sind die Amis Meister, weshalb sich deutsche Mittelständler unserer Tage lieber an US-Konzerne verkaufen, anstatt selbst ganz groß ins Geschäft einzusteigen – „German Angst“ bremst auch heute noch zuverlässig.

Das war die neue Autowelt, in der die kleine Lilo ihre ersten Jahre zubrachte. Viel später sollte sie die Mutter von Angelika Thieme werden, der wir die Informationen zu dem Chrysler und seinem einstigen Besitzer verdanken.

Hier haben wir sie noch einmal und nun kann man auch die Kühlerplakette lesen:

Nicht völlig auszuschließen ist, dass der Chrysler, auf dem die kleine Lilo saß, ein Vierzylindermodell des Jahres 1926 war.

Dieses besaß nämlich noch eine dem Sechszylindertyp von 1924/25 ähnelnde Frontpartie, während der Sechszylinder 1926 ein anders gestaltetes Kühlergehäuse erhielt.

Das würde aber nichts daran ändern, dass der Wagen eine Neue Welt repräsentiert, welcher die Hersteller auf dem europäischen Kontinent bis Anfang der 1930er Jahre wenig entgegenzusetzen hatten.

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Autobahntempo schon 1919: Lancia „Kappa“

Meinen heutigen Blog-Eintrag sollten die Freunde früher Benz-Wagen besser ignorieren, denn „ihre“ Marke kommt zumindest darin nicht sonderlich gut weg.

Natürlich weiß ich auch Benz-Automobile zu schätzen, allein schon wegen ihrer markanten Optik, die sie freilich mit Konkurrent Daimler teilten, bevor es zum Zusammenschluss kam.

Auch sind mit der Marke Benz einige herausragende Sporterfolge verbunden. Doch gab es später Zeiten, in denen der Hersteller schlicht den Anschluss verloren hatte.

Das war der Fall im Jahr 1919, als zwar die Auftragslage auf dem Papier recht gut aussah, aber letztlich bloß Vorkriegsmodelle aufgewärmt wurden. Eines davon war der mächtige Benz 25/55 PS, für den es seinerzeit immerhin rund 200 Bestellungen gab.

Das war ein Koloss mit 6,5 Liter messendem Vierzylindermotor, der freilich gerade einmal 55 PS Spitzenleistung abwarf. Für ein Fahrzeug, dessen Fahrgestell alleine bereits 1,3 Tonnen wog, war das etwas dürftig. Das Spitzentempo von 85 km/h war zwar für die meisten Situationen damals ausreichend, aber es ging auch anders.

Das bewiesen ausgerechnet die gern mit deutscher Arroganz geringgeschätzten „Itaker“, die clever genug waren, sich im 1. Weltkrieg auf der richtigen Seite zu positionieren.

Italien war 1919 zwar insgesamt noch bitterarm und in vielerlei Hinsicht rückständig, doch im Norden des Landes blühte eine Wissenschafts- und Ingenieurskultur, die es mit der gern überschätzten deutschen durchaus aufnehmen konnte.

Fiat bewies damals mit dem Riesenerfolg des neu entwickelten Typs 501, dass man besser von den geschäftstüchtigen, nüchtern rechnenden Amerikanern lernt, als bloß über sie herzuziehen und selbst in überholten Produktionsmustern zu verharren.

Selbst ein Nischenhersteller wie Lancia hatte die Zeichen der Zeit erkannt und stellte 1919 mit dem neuen Modell „Kappa“ etwas auf die Beine, was hierzulande seinesgleichen suchte:

Lancia Kappa um 1920; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das Pferd, welches auf dieser Aufnahme traurig den Kopf hängen lässt, hatte vermutlich gerade erfahren, was Lancia an Pferdestärken mit seinem neuen „Kappa“ bot.

Trotz (im Vergleich zum Benz) nur 4,9 Litern Hubraum leistete der Motor des Lancia annähernd 70 PS Spitzenleistung. Verbunden mit einem drastisch niedrigeren Gewicht war damit eine Kraftentfaltung möglich, von der Benz-Kunden seinerzeit nur träumen konnten.

Auch die Höchstgeschwindigkeit bewegte sich in völlig anderen Sphären – gut 120 km/h gab Lancia für den „Kappa“ an. Die konnte man zwar 1919 noch nirgends wirklich ausfahren, aber dieser Wagen zeigte, wohin man wollte.

Kein Wunder, dass bei solchen Ambitionen schon 1924 in Oberitalien der erste Autobahnabschnitt der Welt entstand. Der wurde übrigens ebenfalls mit einem Lancia eröffnet – dem ab 1922 gebauten 100 PS-Modell Trikappa.

In Deutschland lagen die großen Hersteller damals leider noch im Tiefschlaf – man kann es leider nicht anders sagen – erst die existenzbedrohende Konkurrenz aus den Vereinigten Staaten machte den intelligenteren unter ihnen Ende der 1920er Jahre Beine.

Für das Autobahntempo des Lancia Kappa reichte es dennoch bis in die 1930er Jahre bei etlichen deutschen Fabrikaten noch nicht – das sollte erst nach einem weiteren verlorenen Krieg gelingen…

Die große Klappe gegenüber den „Spaghettifressern“ behielt man allerdings auch dann noch lange bei – erst in unseren Tagen hält die Einsicht Einzug, dass man südlich der Alpen in mancher Hinsicht doch deutlich besser fährt…

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Der letzte „echte“ Stoewer: Greif V8

Die Wagen der Stettiner Firma Stoewer gehören zu den faszinierendsten Kapiteln deutscher Automobilgeschichte der Vorkriegszeit.

Kein anderer Hersteller blieb so lange unter der Leitung der Gründer und keinem anderen gelang es, sich durch alle Krisen hinweg immer wieder neu zu erfinden und so dem Schicksal der meisten übrigen Nischenfabrikanten zu entgehen, die spätestens in den 1920er Jahren vom Markt verschwanden.

Weil Stoewer-Autos stets in erster Linie das Produkt des Könnens der Gebrüder Stoewer selbst waren, zeichneten sie sich oft durch einen eigenen Stil aus – in technischer wie gestalterischer Hinsicht.

Daher lässt sich mit einiger Berechtigung sagen, dass der Weggang des für die Fahrzeugentwicklung maßgeblichen Bernhard Stoewer im Jahr 1934 auch das Ende der „echten“ Stoewer-Wagen markierte, wenngleich unter der Marke noch bis Kriegsausbruch weitere PKW-Modelle entstanden.

Bei seinem Abschied hinterließ Bernhard Stoewer als Vermächtnis ein letztes Zeugnis seines Konstrukteurstalents – den „Greif V8“.

Das Konzept eines starken Fronttrieblers mit V-förmigem Achtzylindermotor hatte Bernhard Stoewer bereits 1933 entwickelt und anhand eines hinreißenden Prototyps vorgestellt.

Von diesem konnte ich zwar bislang noch keine Originalaufnahme meiner Sammlung zuführen, doch mit dem ab 1934 in Serie gebauten Greif V8 kann ich durchaus dienen:

Stoewer Greif V8, Typentafel aus dem Handbuch des Reichsverbands der Automobilindustrie von 1935; Originaldokument aus Sammlung Michael Schlenger

Diese prachtvolle Seitenansicht findet sich im 1935 herausgegebenen Handbuch des Reichsverbands der Autoindustrie, welches Typentafeln nahezu aller in Deutschland gefertigten Wagen enthielt.

Auf dem entsprechenden Blatt werden nüchtern die technischen Besonderheiten des Stoewer Greif V8 aufgelistet:

Frontantrieb, hydraulische Vierradbremse

2,5 Liter V8-Motor mit Aluminiumkolben,

52 PS Spitzenleistung, 14 Liter Verbrauch auf 100 km

Hinterachse mit liegenden Schraubenfedern (Stoewer-Patent)

Gewicht der Limousine: 1250 kg; Spitzengeschwindigkeit: 115 km/h

Von Größe, PS-Zahl und Fahrleistungen her war damit unter den deutschen Fabrikaten nur der Hanomag „Sturm“ vergleichbar, wenngleich er einen Sechszylinder und Heckantrieb besaß.

Allerdings kostete eine viertürige Limousine im Fall des Hanomag „Sturm“ mit 4.875 Mark wesentlich weniger als beim Greif V8 – dort waren 5.700 Mark zu berappen. Das mag auf den ersten Blick erklären, weshalb sich der Hanomag wesentlich besser verkaufte.

Vom Stoewer Greif V8 entstanden bis 1937 nur etwas mehr als 800 Exemplare. Deshalb sind zeitgenössische Fotos dieses Typs nur selten zu finden.

Die folgende Aufnahme, welche die erwähnte Limousinenausführung zeigt, hat mir Stoewer-Experte Manfried Bauer aus seinem Fundus zur Verfügung gestellt. Dieser soll nebenbei noch dieses Jahr an die neu geschaffene Stoewer-Abteilung im Technikmuseum Stettins übergehen, wo sich bereits die Fahrzeugsammlung von Manfried Bauer befindet:

Stoewer Greif V8, viertürige Limousine; Originalfoto via Manfried Bauer

Man kommt nicht umhin festzustellen, dass dies ein auch optisch eindrucksvolles Fahrzeug war, dem man seine technische Andersartigkeit keineswegs ansah.

Doch der Misserfolg am Markt kann nicht allein am Preis gelegen haben – bei Mercedes bekam man für den annähernden Gegenwert eines Stoewer Greif V8 nur einen lahmen 200er Vierzylinderwagen mit biederem Äußeren und weit weniger Platz im Innenraum.

Auch der Frontantrieb war zum Zeitpunkt des Erscheinens etabliert – neben Stoewer verkauften auch DKW und Adler in großen Stückzahlen Fronttriebler, außerdem produzierte das Citroen-Werk in Köln für den deutschen Markt den fabelhaften „Traction Avant“.

Skepsis gegenüber einem V8-Motor kann ebenfalls kein Kaufhindernis gewesen sein – schließlich fand ab 1935 auch hierzulande der Ford V8 zahlreiche Käufer.

Meine Vermutung ist schlicht die, dass Stoewer aufgrund seines Charakters als Nischenproduzent betriebswirtschaftlich und von der Kapitalausstattung gar nicht zu einer größeren Produktion des Greif V8 imstande gewesen wäre.

So blieb der schöne Wagen ein seltener Anblick auf Deutschlands Autobahnen, obwohl er von seinen Fahrleistungen dafür ideal war. Von daher wird man den Stoewer Greif V8 auch kaum in Werkstätten und an Tankstellen zu Gesicht bekommen haben.

Dabei hatte die deutsche Shell-Niederlasssung damals eigens einen Schmierplan für dieses Modell anfertigen lassen, welcher für Kfz-Mechaniker und Tankwarte vorgesehen war, für die damals das regelmäßige Abschmieren von Kundenfahrzeugen Alltag war.

Ein originaler solcher Schmierplan davon hängt heute – leider etwas mitgenommen – in meiner Oldtimer-Werkstatt:

Shell-Schmierplan für den Stoewer Greif V8; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Vermutlich ist so ein Schmierplan heutzutage mindestens so selten wie ein überlebender Stoewer Greif V8 – denn die Anleitung erwies sich mangels Nachfrage spätestens nach dem Krieg als obsolet und wurde meist von „ordnungsliebenden“ Zeitgenossen entsorgt.

Übrigens lassen sich die eingangs aufgezählten technischen Eigenheiten des Greif V8 darauf recht gut studieren – vielleicht interessiert sich ja ein Leser dafür, wenngleich ich es für unwahrscheinlich halte, dass sich darunter ein Besitzer dieses raren Modells befindet:

Damit nehmen wir für heute Abschied vom letzten „echten Stoewer“. Doch die Marke als solche wird uns noch viele Male beschäftigen und begeistern, das kann ich versichern.

Und wer weiß: Vielleicht entdeckt ja noch jemand ein weiteres Originalfoto eines Stoewer Greif V8 – am besten natürlich des sagenhaften Prototypen, den einst Bernhard Stoewer selbst entwarf…

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Vor 100 Jahren topmodern: Packard „Single Six“ Tourer

Wir schreiben das Jahr 2022. In den Raumschiffen Berlin und Brüssel fabulieren planlose Planwirtschaftler von der Zukunft der Mobilität – mit Absurditäten wie Lastenrädern für Handwerker, LKW mit Oberleitungsbetrieb, Diktat der Antriebstechnologie usw.

Der den Insassen gepanzerter Limousinen eher theoretisch bekannte Fuß- und Radverkehr soll mittels „nationaler“ (!) Strategien ebenfalls eine staatlich geförderte Renaissance erleben – denn natürlich weiß der tumbe Untertan selbst nicht, für wen künftig „per pedes“ und für wen noch „Mercedes“ angesagt ist.

Wie in jeder Planwirtschaft muss dieser Aktionismus bildungsferner „Eliten“ in reinem Chaos enden – wie etwa der Radweg auf der Frankfurter Straße in meiner Heimatstadt Bad Nauheim. Auf dem sind zwar nur selten Radler zu sehen, dafür aber jede Menge Autos, da die Spur bei Gegenverkehr nicht breit genug ist…

Übrigens bin ich selbst nicht nur „Petrolhead“ sondern durchaus auch leidenschaftlicher „Bicyclist“, wenn es die Situation und das Wetter nahelegen – dann aber ganz klassisch mit Stahlrahmen und ohne Hilfsmotor, also quasi per Fettverbrenner mit viel CO2-Emissionen.

Während die Zukunft des Individualverkehrs in Europa derzeit düster erscheint – nach dem Motto: „Soll doch der Pöbel laufen, kann er sich kein Batterieauto kaufen2 – sah die Welt zumindest in dieser Hinsicht vor 100 Jahren verheißungsvoll aus.

In Deutschland war die Automobilindustrie nach dem 1. Weltkrieg zwar noch weitgehend dem Gestern verhaftet, doch zeichnete sich in den USA eine großartige Moderne ab.

Ford und Chevrolet boten einfache, bezahlbare Autos für jedermann und die Oberklasse brillierten mit neuem eleganten Styling, wie man es bis dahin noch nicht gesehen hatte.

Im Deutschland der frühen 1920er Jahre jedenfalls hätte dieser Packard „Rumble-Seat Roadster“ wie eine Erscheinung von einem anderen Stern gewirkt:

Packard „Single Six“ ab 1922; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Linienführung war auch Ende der 1920er Jahre immer noch zeitgemäß und wurde von den meist einfallslosen deutschen Herstellern bis ins Detail kopiert.

Nur das Fehlen von Vorderradbremsen verrät hier, dass wir es mit ganz einem frühen Modell zu tun haben. So führte Packard bereits Ende 1923 beim Sechszylindermodell die Vierradbremse ein, die der 85 PS starke Achtzylinder schon Mitte des Jahres erhalten hatte.

Der für das Modelljahr 1922 neue eingeführte „Single Six“ – anfänglich noch auf kurzem Chassis, ab April mit langem Radstand – begnügte sich mit 54 PS – vergleichbar zeitgleichen Manufakturmodellen von Benz und Daimler, von denen nur wenige gefertigt wurden.

Gut 25.000 Stück produzierte Packard dagegen vom „Single Six“ des Modelljahrs 1922. Mit diesem Wagen waren damals 100 km/h erreichbar, wenngleich die eigentliche Stärke des Motors darin liegt, dass er ab 30 km/h im dritten Gang schaltfrei gefahren werden kann.

Wie mühelos sich diese 100 Jahre alte Konstruktion bewegen lässt, das illustriert der folgende kurze Film – dieses Auto war damals so modern, wie es im Serienbau möglich war:

Videoquelle: Youtube.com; hochgeladen von Motoreum

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Hatte einst die Nase vorn: Stoewer V5 Fronttriebler

Seitdem ich diesen Blog begonnen habe – das war 2015 – begleitet mich eine deutsche Marke, deren Reiz sich mir erst nach und nach erschlossen hat – Stoewer.

Daran nicht ganz unschuldig ist Stoewer-Urgestein Manfried Bauer, von dessen einzigartigem Wissen um die Marke aus seiner Geburtsstadt Stettin ich über die Jahre enorm profitiert habe.

Nach und nach wurde mir klar, was Stoewer so besonders machte: Keinem anderen Hersteller aus deutschen Landen ist es gelungen, über so lange Zeit unter der Kontrolle der Gründer zu bleiben und sich dabei immer wieder neu zu erfinden.

Die Gebrüder Stoewer hatten fast immer die Nase vorn, wenn es darum ging, auf sich ändernde Anforderungen des Marktes zu reagieren, während andere Firmen mit veralteten Rezepten untergingen oder mit unausgegorenen neuen Konzepten scheiterten.

Wenn dagegen Stoewer etwas Neues unternahm, konnte man sicher sein, dass man den Markt zuvor genau studiert hatte und nicht davor zurückschreckte, Traditionen über Bord zu werfen dort, wo sie hemmten.

Gleichzeitig arbeitete man Innovationen so gründlich durch, dass sie marktfähig waren. Beides entsprach dem amerikanischen Verständnis, dass ein Produkt vom Kunden her gedacht sein muss, um erfolgreich und damit profitabel sein zu können.

So ist es zu erklären, dass man in Stettin kein Problem damit hatte, sich Anfang der 1930er Jahre von den luxuriösen Achtzylindern zu verabschieden, die man seit 1928 hergestellt hatte, für welche die Zeitumstände aber immer ungünstiger geworden waren.

Den Abschluss dieser beeindruckenden Entwicklung, die ich gelegentlich anhand „neuer“ Fotos nachzeichnen will, markierte das Modell „Marschall“:

Stoewer Typ M12 „Marschall“; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Kaum hatte man diesen Achtzylindertyp mit 3 Liter-Motor, der noch bis 1934 in Manufaktur weitergebaut werden sollte, auf den Markt gebracht, vollendete man ein neues Fahrzeug, das in denkbar großem Kontrast dazu stehen sollte.

Dabei handelte es sich nicht nur um einen Kleinwagen mit 25 PS Leistung aus 1,2 Litern Hubraum, verteilt auf vier Zylinder. Man hatte auch in anderer Hinsicht Neuland betreten – denn dieser Stoewer Typ V5 war Deutschlands erster Serienwagen mit Frontantrieb!

Noch bevor DKW seine frontgetriebenen Zweitakter einführte, bewies Stoewer damit, dass man als mutiger Nischenanbieter durchaus die Nase vorn haben konnte.

Und so sah diese Neuschöpfung aus, die vom pommerschen Greif auf dem Kühler praktisch nichts mit den prachtvollen 8-Zylindern mehr gemeinsam hatte:

Stoewer V5 Cabriolimousine von 1931; Originalfoto aus Sammlung Helmut Kasimirowicz

Der Wagen auf dieser Aufnahme, die ich Helmut Kasimirowicz (Düsseldorf) verdanke, entspricht bis auf kleine Details dem Versuchswagen, in dem Bernhard Stoewer im November 1930 abgelichtet wurde (siehe: Stoewer-Automobile 1896-1945, von Hans Mai, S. 78).

In der Serienausführung, wie sie auf obigem Foto zu sehen ist, besaß der kleine Fronttriebler verchromte Radkappen und seitliche „Schürzen“ an den Kotflügeln.

Diese setzten sich am deutschen Markt in der Breite erst nach dem Debüt des Graham „Blue Streak“ im Jahr 1932 durch. Somit hatte Stoewer auch in diesem Detail die Nase vorn.

Übrigens überarbeite man schon bald die „Nase“ des neuen Stoewer V5, die anfänglich noch etwas knubbelig ausgefallen war, da der Frontantrieb unterhalb des Kühlers hervorragte (wie übrigens beim ersten DKW Frontriebler F1 auch).

So verpasste man dem Wagen eine repräsentative Kühlermaske, welche optisch an diejenigen der parallel weitergebauten Achtzylinder angelehnt war und lediglich etwas schräggestellt wurde.

Dies ist gut auf der folgenden Reklame zu erkennen, wenngleich der hier abgebildete Wagen perspektivisch etwas verunglückt wiedergeben ist:

Stoewer V5, Originalreklame aus Sammlung Michael Schlenger

Mit „gelifteter“ Nase verzeichnete der Stoewer V5 für einen Nischenhersteller einen beachtlichen Erfolg. Während der kurzen Bauzeit (1931/32) konnten über 2.000 Exemplare an den Mann gebracht werden.

Dies ist umso bemerkenswerter, als der Stoewer kein billiges Auto war. Der Grundpreis von 3.250 Mark lag drastisch höher als der, welchen DKW für seinen neuen Fronttriebler aufrief (2.100 Mark für die Cabrio-Limousine).

Freilich bot der Stoewer auch eine weit robustere Karosserie und 10 PS mehr, die in Verbindung mit quergefederter Schwingachse entscheidend für ein souveräneres Fahrerlebnis waren.

So verwundert es nicht, dass die Besitzer des fortschrittlichen kleinen Stoewer durchaus selbstbewusst auftraten wie auf dieser zeitgenössischen Postkarte, die mir Stoewer-Besitzer Jürgen Lüttgen zur Verfügung gestellt hat:

Stoewer V5 in Sachsen; originale Postkarte aus Sammlung Jürgen Lüttgen

Der Stoewer-Frontantriebswagen durchlief anschließend noch einige Metamorphosen, bei denen er immer besser und auch optisch attraktiver wurde.

Ihren Endpunkt fand diese kurze, aber stürmische Entwicklung 1935 mit dem Typ R-180, der von den Proportionen und der Leistung her ein vollwertiger und äußerlich repräsentativer Mittelklassewagen war.

Doch auch der allererste Stoewer mit Frontantrieb, der bescheiden daherkommende V5 von 1931, sollte noch viele Jahre präsent bleiben. Hier haben wir ein Exemplar, das nach dem 2. Weltkrieg trotz eines Alters von fast 20 Jahren für längere Ausflugsfahrten genutzt wurde:

Stoewer V5 in Darmstadt 1950; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses Exemplar wurde 1950 in Darmstadt abgelichtet, wo damals die Spuren des Bombenkriegs noch frisch waren.

Weitere Fotos dieses weitgereisten Wagens in besserer Qualität habe ich hier präsentiert. Offenbar hatten Stoewer-Autos auch in Sachen Haltbarkeit einst die Nase vorn…

© Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Lancia Lambda – „Piu bella cosa non c’è…“

Schwere Kost kündigt sich bereits im Titel des heutigen Blog-Eintrags an – denkt jetzt vielleicht der eine oder andere Leser.

Doch auch wer angesichts von „Piu bella cosa non c’è“ ratlos zurückbleibt, versteht mit „Lancia Lambda“ bereits alles Wesentliche. Der Rest ist Zierrat, reine Spielerei.

Heute mache ich es mir und Ihnen ganz leicht, sinniere nicht über eigentümliche Kühlerformen, zähle keine Haubenschlitze, ziehe keine Vergleiche mit Prospektabbildungen. Es gibt Dinge, die verstehen sich von allein.

Etwas Fremdsprache spielt zwar mit hinein, doch Bilder wie dieses sprechen eine Sprache, die jeder begreift – zumindest wer ein Faible für die Schönheit von Vorkriegswagen hat:

Lancia Lambda Tourer; Originalabzug aus Sammlung Klaas Dierks

Diese prachtvolle Profiaufnahme, die uns Leser Klaas Dierks aus seinem reichen Fundus bereitgestellt hat, ist für mich das hinreißendste Dokument eines Lancia Lambda, das ich bislang hier besprochen habe.

Man muss über die Meriten dieser fabelhaften Konstruktion nicht mehr sagen als das: mit selbsttragender Karosserie, einzeln aufgehängten Rädern, Vierradbremsen, Hydraulikdämpfern und kopfgesteuertem V4-Motor war dieser Wagen beim Erscheinen 1923 in wohl jeder Hinsicht das modernste Automobil der Welt.

Vielleicht ist später nie wieder ein Wagen gebaut worden, der so viele wegweisende Innovationen in sich vereinte. Auf jeden Fall war es ein Technologieträger, der auch formal in einer eigenen Liga spielte:

Ich wüsste keinen anderen Wagen, der in der ersten Hälfte der 1920er Jahre eine dermaßen niedrige Silhouette und so schlanke, torpedogleiche Form besaß. Bei aller Schlichtheit sind Details wie die kaum merklich geschwungenen Kotflügel ein Gedicht.

Extravagant die Idee, dem Eindruck der Langeweile in der Seitenansicht dadurch entgegenzuwirken, dass hinter der Motorhaube nochmals ein Feld mit Entlüftungsschlitzen auftaucht, das aber nicht etwa die Waagerechte fortsetzt, sondern spiegelbildlich zur abfallenden Linie des Koftflügels nach oben ansteigt.

Die unten abgerundeten und so mit der Motorhaube korrespondierenden Türen sind ein weiterer Kunstgriff, der den Aufbau abwechslungsreich gestaltet – indem er einen Kontrast zu den sonst bei Tourern der 1920er Jahre vorherrschenden rechten Winkeln schafft.

Derselbe Gedanke findet sich in der getreppten Ausführung der Frontscheibe wieder, die sonst meist senkrecht im Wind stand. Der Sinn für erlesene, das Auge fesselnde Details setzt sich im gekörnten Leder des Innenraums fort.

Doch ist auf diesem Ausschnitt noch etwas anderes markant – der Stempel des Fotoateliers, das einst diese Prachtaufnahme erstellte. Die kyrillischen Buchstaben sind für mich kryptisch, so wie manchem Leser vielleicht die Überschrift erschien.

Kann jemand sagen, was auf dem Stempel zu lesen ist und so zur Aufklärung des Entstehungsorts dieser Aufnahme beitragen?

Unterdessen mache ich mich an die Auflösung der Zeile „Piu bella cosa non c’è“ , die ganz einfach ist, denn für überzeugte „Lancisti“ steht fest: „Es gibt nichts Schöneres“ als so einen Lambda aus den 1920er Jahren.

Das lässt sich sogar von der Heckpartie sagen, die bei Tourern jener Zeit oft nicht gerade von Einfallsreichtum kündet:

Für sich genommen würde das abgerundete Heck etwas pummelig wirken, wäre da nicht der kühne Schwung des hinteren Kotflügels, der das Auge förmlich mitreißt. Man kann sich vorstellen, wie er bei der Fahrt auf den kaum befestigten Straßen von einst in einen Staubwirbel überging, der hoffentlich die Passagiere auf der Rückbank verschonte.

Doch ob sich dorthin jemand verirrte, darf bezweifelt werden. Dieser Lancia war zum Posieren allein oder bestenfalls zu zweit wie gemacht. Der Fahrer mit hellem Anzug und dunklen Lederhandschuhen scheint mir ein Ästhet gewesen zu sein, der genau wusste, wie so ein Lancia Lambda am besten wirkt – gewiss nicht vollbesetzt…

So mag er in der Sprache seiner uns unbekannten Heimat ebenfalls gedacht haben „Piu bella cosa non c’é!“. Und für manch einen unter uns Nachgeborenen gilt im Hinblick auf den Lancia Lambda außerdem das:

Com’è che non passa con gli anni miei la voglia infinita di te,

„Wie kommt es, dass die Sehnsucht nach Dir nicht vergeht, je älter ich werde,

Cos’è quel mistero che ancora sei che porto qui dentro di me.

Was ist das für ein Geheimnis, welches Du immer noch bist und das ich in mir trage?

Diese hübschen Zeilen könnten glatt von der Liebe zum Lancia Lambda erzählen, die auch nach bald 100 Jahren immer noch lebendig ist. Sie passen aber auch zu jedem anderen klassischen Objekt der Leidenschaft – nicht nur in automobiler Hinsicht.

Mit diesem Gedanken möchte ich für heute schließen, nicht aber ohne zu verraten, woher die zitierten italienischen Verse stammen. Wer wie ich Ende der 1980er Jahre erwachsen wurde, hat „Piu bella cosa non c’è“ vielleicht noch im Ohr.

Das war der Titel eines der Lieder, mit denen 1996 ein gewisser Eros Ramazotti auf seiner Scheibe „Dove c’è musica“ Furore machte. Wer vergessen hat, wie das einst klang, oder wer diesen Schlager aus Italien gar nicht kennt, dem kann geholfen werden.

Selbst wer solchem Kitsch sonst abhold ist, wird der klassischen Schönheit kaum widerstehen können, deren königlichem Mienenspiel wir hier endlos lang beiwohnen dürfen, während der gute Eros sich mit „Piu bella cosa non c’è“ an sie heranarbeitet:

Videoquelle: Youtube.com, Copyright: RAI, hochgeladen von Amneris Amandoz

Dass das Ganze in einem vollkommen prosaischen Automobil der Moderne endet, tut der Sache keinen Abbruch – es unterstreicht vielmehr, dass klassische Schönheit alles überstrahlt, auch manche Tristesse, die das Hier und Jetzt bereithält…

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Tradition und Moderne: Vom Tatra 11 zum Tatra 75

Heute kommen wieder einmal die trefflichen Wagen der tschechischen Marke Tatra zu ihrem Recht, die vor dem Zweiten Weltkrieg zum Interessantesten gehörten, was auf dem europäischen Kontinent in automobiler Hinsicht entstand.

Ihren Ursprung hatte die Marke in der bis ins 19. Jahrhundert zurückreichenden Kutschenfabrikation von Ignaz Schustala aus dem mährischen Nesselsdorf (tschechisch: Kopřivnice).

An diese Tradition knüpft die folgende Reklame aus dem frühen 20. Jahrhundert an:

Nesselsdorfer Wagenbau-Fabrik; Originalreklame aus Sammlung Michael Schlenger

Auch wenn hier noch der Kutschbau im Vordergrund zu stehen scheint, klingt im Text ein in die Zukunft weisender Ton an:

„Größte Equipagen- und Automobilfabrik Österreich-Ungarns“, heißt es da selbstbewusst.

Weiter unten werden neben diversen Kutschtypen auch konkrete Motorisierungen genannt: 12 und 24 PS. Das erlaubt eine Datierung obiger Reklame auf ca. 1905.

Damals kehrte der Mit-Schöpfer der ab 1897/98 gebauten ersten Automobiltypen der Nesselsdorfer WagenfabrikHans Ledwinka – nach kurzem Abstecher zu einem Wiener Hersteller in die Firma zurück.

Ledwinka entwickelte anschließend bis zum 1. Weltkrieg modernere Wagentypen, wechselte aber 1916 zu Steyr.

Nach dem 1. Weltkrieg und dem Ende der KuK-Monarchie fand sich die Nesselsdorfer Wagenfabrik in der neugegründeten Tschechoslowakei wieder.

Unter dem Zwang, die Vorkriegsmodelle abzulösen und die Fertigungsanlagen auszulasten, holte man 1921 Hans Ledwinka zurück – in der Hoffnung, das sein schöpferischer Genius dem Werk ein drittes Mal entscheidende Impulse geben würde.

Mit dieser im nachhinein sehr glücklichen Entscheidung beginnt die eigentliche Erfolgsgeschichte des Automobilbaus im einstigen Nesselsdorf, nun Kopřivnice.

Das Jahr 1923 markiert in doppelter Hinsicht eine wichtige Zäsur: Die Nesselsdorfer Wagenbaufabrik wurde zusammen mit der in Prag ansässigen Ringhoffer Waggonfabrik in Tatra-Werke umbenannt.

Im selben Jahr wurde Hans Ledwinkas großer Wurf vorgestellt, der uns hier auf einer Postkarte begegnet, die mir Leser Rolf Ackermann zur Verfügung gestellt hat:

Tatra Typ 11; Ausschnitt aus einer Postkarte aus Sammlung Rolf Ackermann

Der von Ledwinka konstruierte Tatra 11 war eine komplette Neuschöpfung:

Er besaß statt eines traditionellen Leiterrahmens einen deutlich steiferen Zentralrohrrahmen an dessen Enden die Vorder- und Hinterräder unabhängig voneinander – also ohne verbindende Achse – aufgehängt waren.

Damit war auf den damals meist noch unbefestigten Straßen wie auf obiger Postkarte eine deutlich bessere Bodenhaftung der Räder gewährleistet.

Auch in punkto Motorisierung beschritt Ledwinka neue Wege: Er konstruierte für den Tatra 11 einen luftgekühlten Zweizylinder-Boxermotor, der zusammen mit dem Getriebe vorn am Zentralrohrrahmen angeflanscht war.

Mit der Luftkühlung war zwar erhebliche Geräuschentwicklung verbunden – der schalldämpfende Wassermantel um den Motor fehlte ja – doch gleichzeitig vermied man die damals verbreiteten Probleme „kochender“ Kühler im Gebirge und zufrierender Wasserkanäle im Winter.

Ledwinkas Kalkül ging auf: Der Tatra 11 stieß rasch auf großen Zuspruch von Automobilisten, die die Vorteile der modernen Konstruktion erkannten.

Auch wenn die Frontpartie mangels Kühlergrill ungewöhnlich aussah, war der Tatra 11 ein Wagen mit dem sich ganz offenbar sehen lassen konnte:

Tatra 11; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Drei Jahre nach Einführung des Tatra 11 mit seinem 12 PS-Aggregat brachte man 1926 einen äußerlich fast identischen Nachfolger heraus – den Tatra 12.

Er besaß einen auf 14 PS erstarkten Antrieb und – was mittlerweile Standard war – Bremsen auch an den Vorderrädern.

Einen solchen Tatra 12 sehen wir auf folgender (bereits bei anderer Gelegenheit vorgestellter Aufnahme) aus der überwiegend von Deutschen besiedelten böhmischen Region, die 1918 ebenfalls an die Tschechoslowakei gefallen war:

Tatra 12; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Bei näherem Hinsehen erkennt man auf dieser Aufnahme am in Fahrtrichtung linken Vorderrad einen Teil der Bremstrommel (wenn der Eindruck nicht täuscht).

Tatra blieb auch bei den nachfolgenden Ausbaustufen dem von Hans Ledwinka entwickelten Grundtyp in technischer Hinsicht treu.

Doch formal näherte man sich immer mehr einem modernen Erscheinungsbild an, bei dem nur das Fehlen eines Kühlergrills erkennen ließ, dass man es mit einem luftgekühlten Wagen zu tun hat.

Folgende Aufnahme zeigt einen in Frankfurt am Main von der 1925 gegründeten Deutschen Licenz Tatra Automobile Betriebsgesellschaft (kurz DETRA) montierten Tatra 57 – einer nunmehr mit V4-Zylinder-Motor ausgestatteten Version:

Mit diesem adretten Wagen – der nebenbei als Röhr „Junior“ und Stoewer „Greif Junior“ noch eine ganz eigene Karriere verfolgen sollte – war Tatra schon nahe am gestalterischen Standard wassergekühlter Wagen jener Zeit.

Den letzten konsequenten Schritt in diese Richtung repräsentierte der ab 1933 gebaute Tatra 75 – und das mit glänzendem Ergebnis.

Nicht nur hatte man die Kühlung des nunmehr solide 30 PS leistenden 4-Zylinder-Boxermotors verbessert, sondern man bot den Tatra nun auch mit einer Karosserie an, die den besten Entwürfen wassergekühlter Wagen in seiner Klasse ebenbürtig war

Erstmals begegnet ist mir dieses makellos gezeichnete Automobil auf diesem Foto, das einen Tatra 75 als Cabriolet zeigt, wie ich nach längerem Suchen herausfand:

Tatra 75 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

So erfreulich diese Entdeckung auch war, blieb der Wunsch, irgendwann eine Aufnahme zu finden, die den formalen Qualitäten des Tatra 75 wirklich umfassend gerecht wird.

Kürzlich gelang mir dann der ersehnte Fund und dann noch in Form eines technisch ausgezeichneten Fotos:

Tatra 75 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier sieht man endlich, wie überzeugend der luftgekühlte Tatra 75 mit der funktionslosen Kühlerattrappe wirkt, die man ihm mit Rücksicht auf den Publikumsgeschmack verpasst hatte.

Funktionalistisch orientierte Design-Puristen mögen diese Lösung beanstanden, doch muss ein solches Produkt dem Kunden gefallen und nicht abstrakten gestalterischen Idealen entsprechen, für die niemand sein sauer verdientes Geld herzugeben bereit ist.

Dass es an diesem bildschönen Wagen der unteren Mittelklasse nichts zu verbessern gab, zeigt auch die Tatsache, dass er bis 1942 (!) weitergebaut wurde. Zwar entstanden in dieser Zeit nur rund 4.500 Exemplare, aber in der Tschechoslowakei gab es bloß einen sehr kleinen Abnehmerkreis für solche Automobile.

So wundert es nicht, dass dieser Tatra 75 dem Nummernschild nach zu urteilen einen Käufer in Wien fand, wo es mehr solvente Kunden für ein solches Schmuckstück gab. Übrigens wurden Tatras ab 1934 auch in der österreichischen Hauptstadt montiert – von den Austro-Tatra-Werken. Denkbar, dass dieser Tatra 75 ebenfalls dort entstand…

Als Fazit bleibt festzuhalten, dass Tatra einst binnen zehn Jahren der Sprung von einem eigenwilligen, vorbildlosen Neuentwurf hin zu einem modernen und gefälligen Automobil gelang, das das Beste aus Tradition und Moderne vereinte.

© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

 

 

Stilistisches Vorbild für den Audi 920: Buick von 1937

Manche Freunde deutscher Vorkriegswagen hören es nicht gern und ich musste es im Lauf der Jahre ebenfalls erst lernen:

Die US-Großserienhersteller übernahmen nach dem 1. Weltkrieg technisch wie stilistisch die Führung und ließen die meisten Autos aus deutscher Produktion im wahrsten Sinne des Wortes alt aussehen.

Ende der 1920er Jahre hatten amerikanische Wagen im Deutschen Reich einen heute unvorstellbaren Marktanteil von mehr als einem Drittel, in der Hauptstadt Berlin waren die „Amerikaner-Wagen“ seinerzeit sogar noch verbreiteter.

Ab 1930 holten die einheimischen Hersteller auf – auch mit Nachhilfe aus Übersee, was die Großserienmodelle von Opel und Ford angeht. Speziell bei Kleinwagen und in der Mittelklasse machten zunehmend deutsche Fabrikate das Rennen.

Doch das lag nicht an einer vermeintlichen Unterlegenheit von US-Wagen in dieser Kategorie, sondern schlicht daran, dass die amerikanische Automobilindustrie so weit fortgeschritten war, dass selbst die Wagen der dortigen Massenhersteller in einer anderen Liga spielten, für die der breite deutsche Markt noch nicht reif war.

Illustrieren lässt sich dies anhand des Vergleichs zwischen dem ab 1938 gebauten Audi 920 – einem der Oberklasse angehörigen Manufakturwagen aus dem Auto-Union-Verbund  – und einem Massenprodukt aus dem General-Motors-Konzern.

Hier zunächst der in weniger als 1.300 Exemplaren gebaute Audi 920:

Audi 920; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses Fahrzeug habe ich hier bereits im Kontext der Audi-Modellgeschichte vorgestellt.

In der Tat handelte es sich bei dem bis zu 80 PS leistenden Sechszylinderauto um einen der modernsten deutschen Serienwagen vor Ausbruch des 2. Weltkriegs.

Zeitgenössische Tests lobten die souveräne Gangart bei hohem Tempo, das Fahrwerk und das synchronisierte Getriebe, das man vom Horch 8 übernommen hatte.

„Vorsprung durch Technik“ – an diesen modernen Slogan von Audi mag man denken.

Doch stellt sich Ernüchterung ein, betrachtet man das, was auf der anderen Seite des Atlantiks im Angebot war – und das nicht im Premiumsegment, sondern ausgerechnet bei der Mittelklassemarke Buick:

Buick des Modelljahrs 1937; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser Buick mit Zulassung in Wien scheint dem Audi wie aus dem Gesicht geschnitten!

Dumm nur, dass die seit 1903 bestehende General Motors-Marke dieses Modell bereits seit Oktober 1936 anbot…

Auch wenn in der Literatur zum Audi 920 meist etwas von „inspiriert von amerikanischen Tendenzen“ gesäuselt wird, war der Wagen zumindest in der Frontpartie fast ein Plagiat des Buick des Modelljahrs 1937.

Dass dies nicht die Juristen bei GM auf den Plan rief, dürfte damit zu tun haben, dass die handgefertigten Audis des Typs 920 in Deutschland keine ernstzunehmende Konkurrenz für den Buick darstellten.

Der US-Wagen war aus Sicht potentieller Käufer im deutschsprachigen Raum weit oberhalb des Audis angesiedelt. So gab sich Buick mit Sechszylindern erst gar nicht ab und bot das Basismodell mit einem 100 PS leistenden ohv-Achtzylinder an.

Verfügbar war außerdem eine 130 PS leistende Variante mit satten 5,2 Litern Hubraum. Standard waren synchronisiertes Getriebe, Hydraulikbremsen und hintere Schwingachse.

Warum es den Amis völlig gleichgültig sein konnte, was irgendwo in Zwickau mit Buick-Optik aus dem Werkstor rollte, unterstreichen die Produktionszahlen.

Während vom Audi 920 zwischen 1938 und 1940 bloß 1.281 Wagen gemütlich zusammengeschraubt wurden, liefen vom Buick des Modelljahrs 1937 genau 220.346 Stück vom Band. 1938 folgten – äußerlich kaum verändert – noch einmal rund 170.000.

Dabei lebten in den Vereinigten Staaten damals gerade einmal anderhalb mal soviele Menschen wie im Deutschen Reich (120 Mio. vs. 78 Mio.). Da blieb für den Export nach Good old Germany – dem Mutterland vieler Amerikaner – genügend übrig:

Buick von 1937; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch diese gutgelaunten „Volksgenossen“ fuhren in den späten 1930er Jahren keinen Audi 920, sondern einen Buick des Modelljahrs 1937.

Offenbar konnte man damals sehr deutsch sein – das Hufeisen am Kühler lässt grüßen – und dennoch ein überlegenes Produkt des US-Kapitalismus wertschätzen.

Leider sieht man von diesen einst in Europa so präsenten Wagen aus US-Produktion relativ wenige auf Traditionsveranstaltungen in Deutschland. Man trifft hierzulande auf haufenweise Bentleys und Bugattis – ganz wunderbar natürlich – aber ein banaler Buick von anno 1937? Fehlanzeige.

Eine fesche Maid aus deutschen Landen daneben, das wär’s doch. Es muss auch keine solche großgewachsene Walküre wie diese hier sein:

© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Schaurig-schön: Hanomag „Kommissbrot“ Zweisitzer

Regelmäßige Leser meines Blogs wissen: Ich kann eigentlich jedem Vorkriegsauto aus dem deutschsprachigen Raum etwas abgewinnen. In manchen Fällen ist es allerdings eher der Kuriositätswert, der aus meiner Sicht eine Beschäftigung rechtfertigt.

Ein Beispiel dafür ist das Ende 1924 vorgestellte Hanomag „Kommissbrot“ – das natürlich nicht so hieß, aber vom Volksmund entsprechend bezeichnet wurde. Die offizielle Bezeichnung lautete Typ 2/10 PS.

An der schmalbrüstigen Motorisierung mit wassergekühltem 1-Zylinder-Antrieb der Motorradklasse wird bereits deutlich, dass der Hannoveraner Maschinenbaukonzern mit seinem automobilen Erstling Mitte der 1920er Jahre einen Sonderweg beschritt.

Ja, die Idee eines volkstümlichen Wagens lag auch hierzulande in der Luft.

Doch alle damals massenmarkttauglichen Fahrzeuge in Europa – ob von Austin und Citroen oder Brennabor und Opel – waren vollwertige Autos mit Vierzylindermotoren in der Leistungsklasse von 12 bis 20 PS aufwärts.

Hanomag verfolgte dagegen auch formal einen sehr eigenwilligen Weg:

Hanomag 2/10 PS Zweisitzer; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Sicher: Ein Auto, das ohne Trittbretter auskam und dessen Fahrgastraum die ganze Breite ausnutzte, war ebenso vorausschauend wie der Verzicht auf freistehende Kotflügel und die (scheinbar) windschlüpfrige Frontpartie.

Doch mit der Optik des „rasenden Kohlenkastens“ – ein weiterer Spitzname des Gefährts  – sorgte man allenfalls bei Exzentrikern für Begeisterung.

Bei einem Maximaltempo von 60 km/h hatte man gegenüber einem Motorrad nur den Vorteil, dass man bei schlechtem Wetter ein Notverdeck über dem Kopf hatte und der Mitfahrer etwas komfortabler untergebracht war.

Auch der Handstarter, der mit der Linken zu betätigen war und über eine primitive Konstruktion den Motor anwarf, stand einer größeren Verbreitung entgegen.

Auf der folgenden Aufnahme sieht man den Einzylindermotor eines offenen Hanomag 2/10 PS „Sportmodells“ mit der Umlenkwelle des Handstarters am Rahmen und der darüber betätigten Kette, die auf ein Ritzel am Motor einwirkte:

Hanomag Typ  2/10 PS Sportmodell, aufgenommen bei den Classic Days 2018 auf Schloss Dyck; Bildrechte: Michael Schlenger

Eine solche Improvisation konnte man bei einem Eigenbau erwarten, sie war aber eines Produkts aus einem Maschinenbaukonzern kaum würdig und schon gar nicht anwenderfreundlich.

Nun gut, funktioniert hat das Ganze natürlich und bis Ende der Produktion im Jahr 1928 fanden sich fast 16.000 Käufer, die kein Problem mit dem eigenwilligen Erscheinungsbild und der schwachen, aber lautstarken Motorisierung hatten.

Wie es scheint, war ein Hanomag Kommissbrot in sich für progressiv haltenden Kreisen zeitweise sogar „schick“. Dafür sprechen Fotos wie das folgende, wo sich die Dame mit modischer Frisur keck als Sportfahrerin inszeniert:

Hanomag Typ 2/10 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das ist zweifellos ein schönes Dokument, das neben der adretten Insassin nicht zuletzt von der Zweifarblackierung des Zweisitzers mit Roadsterverdeck profitiert.

Dieses eigenwillige Farbschema scheint ab Werk lieferbar gewesen zu sein – jedenfalls liefert die mir vorliegende Literatur einige vergleichbare Aufnahmen.

Allerdings ist wie bei so vielen deutschen Herstellern der zweiten Reihe auch bei Hanomag zu konstatieren, dass die Typengeschichte bislang nicht umfassend dokumentiert vorliegt.

Die beste Publikation in der Hinsicht stellt das Buch „Hanomag Personenwagen – Von Hannover in die Welt“ von Görg/Hamacher (1999) dar. Das Werk ist von großem Reiz, nicht zuletzt aufgrund einiger spannender Geschichten rund um die Hanomag-PKW.

Doch ein vollständiges Kompendium mit eingehender Besprechung formaler und technischer Details und entsprechender Bebilderung stellt das Werk nicht dar.

So wird man auch dort eine dermaßen detailreiche Heckansicht eines Hanomag 2/10 PS Zweisitzers vergeblich suchen, wie sie folgendes Foto zeigt:

Hanomag 2/10 PS Zweisitzer; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Manch einer mag hier zunächst die Frontpartie eines Kleinwagens mit Pontonkarosserie sehen, bevor er realisiert, dass er es mit der Heckansicht zu tun hat.

Das Foto lässt erkennen, was die Karosserie des Hanomag 2/10 PS speziell in der ersten Ausführung einzigartig machte: Hier verschmelzen die bis dato freistehenden Kotflügel mit der Karosserie und werden zu Radhäusern, wie wir sie heute kennen.

Bei der Vorstellung des Wagens Ende 1924 war das visionär. Bloß wurde die moderne Form auf einer unzureichenden technischen Basis realisiert, die für die allermeisten Autokäufer inakzeptabel war.

Auch die nach funktionellen Aspekten angeordneten Luftschlitze sowie die freiliegende Auspuffanlage schreckten diejenigen ab, die bei einem ja nach wie vor sehr teuren Automobil eine gewisse ästhetische Verfeinerung erwarteten:

Das Kennzeichen verweist übrigens auf eine Zulassung im mondänen München, wo jemand diesen Hanomag vielleicht als skurrilen Zweitwagen nutzte.

Entstanden ist das Foto 1932, da war der Hanomag schon mindestens sechs Jahre in Betrieb. Wieso lässt sich das so genau sagen? Schließlich wurde das Hanomag „Kommissbrot“ doch bis 1928 gebaut.

Nun, das wissen wir deshalb, weil der Münchener Hanomag auf dem Foto von 1932 noch über die erste Karosserieausführung von 1925/26 verfügte, die die Pontonform sehr konsequent umsetzte.

Ab 1927 machte Hanomag Zugeständnisse an den Publikumsgeschmack und gönnte seinem 2/10 PS-Typ angedeutete Kotflügel, wie sie auf den anderen Fotos zu sehen sind.

Hier eine weitere bereits vorgestellte Aufnahme eines Hanomag 2/10 PS in der ab 1927 gebauten Variante mit vom Karosseriekörper abgesetzten Schutzblechen:

Hanomag 2/10 PS Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Mit diesem hübschen Foto, das nebenbei einen Hanomag 2/10 PS Typ ab 1927 mit geschlossenem Aufbau dokumentiert, sei diese kleine Betrachtung beendet.

Vielleicht machen solche zeitgenössischen Aufnahmen deutlich, weshalb beim Hanomag „Kommissbrot“ das Attribut „schaurig-schön“ seine Berechtigung hat.

Faszinierend ist jedenfalls, dass Hanomag im Anschluss an dieses Kuriosum auf Anhieb ein „richtiges“ Automobil vorstellte, das die Ausgangsbasis für eine ganze Reihe recht erfolgreicher Modelle darstellte.

Eines davon wird Gegenstand meines nächsten Blogeintrags zu Hanomag sein. Doch bis dahin gibt es noch viele andere – wirklich schöne – Vorkriegsfahrzeuge zu besprechen…

© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Fesselnder Nebendarsteller: Lancia Lambda

Liebhaber klassischer Opern und Kinofilme wissen: Selbst in einer Nebenrolle vermögen Ausnahmetalente ein Können an den Tag zu legen, das alles in den Schatten stellt.

In Bezug auf Vorkriegsautos gibt es einige Kandidaten, denen man den Rang eines herausragenden Nebendarstellers zuerkennen möchte. Wagen deutscher Nischenhersteller wie Röhr und Steiger kommen einem in den Sinn.

Doch auf europäischer Ebene haben sich in der Zwischenkriegszeit andere Fabrikate den Lorbeer des brilliantesten Besetzers einer Nebenrolle verdient. Neben Voisin aus Frankreich ist dies nach Meinung des Verfassers die italienische Marke Lancia.

Verehrer des Ausnahmetalents Vincenzo Lancia werden vielleicht nicht an folgende formal konventionelle Schöpfung denken, die wir hier bereits vorgestellt haben:

Lancia Trikappa, Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dabei stellt bereits dieser Lancia Trikappa von 1922 mit seinem 100 PS starken V8-Motor ein Meisterstück dar.

Doch bei Lancia war außergewöhnliche Leistung in jeder Hinsicht einst Standard. Was dagegen heute unter dem Markennamen vertrieben wird, kann man ignorieren.

Getrieben vom Genie des Firmengründers Vincenzo Lancia brannten die Ingenieure des Unternehmens parallel zum Trikappa ein Feuerwerk an Innovationen ab.

Das Ergebnis war der Lancia Lambda – der als fortschrittlichstes Automobil der 1920er Jahre gelten kann, in den 1930ern abgelöst vom Citroen 11 CV.

Die Qualitäten dieses ab 1923 gebauten ingeniösen Fahrzeugs werden hier deutlich:

Lancia Lambda im Renneinsatz; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier haben wir einen Lancia Lambda in voller Fahrt beim Rusel-Bergrennen in Bayern irgendwann in den 1920er Jahren.

Wie sauber der serienmäßige Tourenwagen die Kurve mit hoher Geschwindigkeit meistert, ist einer herausragenden Konstruktion zu verdanken, die sich auszeichnete durch:

  • Einzelradaufhängung vorne mit hydraulischen Stoßdämpfern und kraftvollen Vorderradbremsen,
  • tiefe Schwerpunktlage der erstmals rahmenlosen Karosserie,
  • drehfreudigen V4-Aluminium-Motor mit Ventilantrieb über obenliegende Nockenwelle und Königswelle (Leistung je nach Baujahr ca. 50 bis 70 PS).

Dieser weltweit konkurrenzlose Wagen war selbstverständlich etwas für automobile Gourmets und trug nichts zur Motorisierung der breiten Bevölkerung bei.

Bis 1931 entstanden nur etwas mehr als 11.000 Stück des Lancia Lambda. Daran gemessen hat dieses begeisternde Fahrzeug überproportionale Spuren hinterlassen, etwa ein Promille davon findet sich in diesem Blog:

Lancia Lambda; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme zeigt einen Lambda in der Ausführung als klassischer Tourenwagen mit Berliner Zulassung. Kein Wagen dieser Größenklasse baute so niedrig.

Eindrucksvoll sind hier die Dimensionen der Vorderradbremsen. Man merke sich außerdem die Position der mächtigen Frontscheinwerfer, die selbst den Kühlwassereinfüllstutzen überragen.

Dieselbe Konstellation haben wir bei diesem Lancia mit Berliner Zulassung, hier aber mit geschlossenem Aufbau:

Lancia Lambda; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Offenbar gab es auch an einem Lancia Lambda ab und an etwas zu reparieren, doch scheinen sich die Probleme in engen Grenzen gehalten zu haben, wenn man dem fröhlichem Gesichtsausdruck des Schraubers auf dem Foto glauben darf.

Noch Anfang der 1930er Jahre konnte man sich mit einem Lancia Lambda sehen lassen. Selbst ein fast 10 Jahre alter Wagen des Typs war in technischer Hinsicht modern.

Darauf waren offenbar auch diese jungen Besitzer stolz, die sich 1931 mit ihrem Lancia Lambda haben fotografieren lassen:

Lancia Lambda; Originalfoto von 1931 aus Sammlung Michael Schlenger

Hier taucht wieder das mittig unterteilte Oberteil der Frontscheibe auf – mit bewusst die Gerade vermeidendem unteren Abschluss. Außer beim Lancia Lambda ist dem Verfasser bisher kein weiteres Beispiel dafür begegnet.

Ansonsten sieht man auch hier einen geschlossenen Aufbau mit einer so niedrigen Gürtellinie, wie das außer Lancia wohl kein anderer Serienhersteller bot.

Gut zu erkennen ist außerdem die Einheit aus Federn und Stoßdämpfern, die seinerzeit einzigartig war. Kein Wunder, dass sich die Besitzer eines solchen Technologieträgers auch in Regionen wagten, wo nur noch Pisten zu erwarten waren:

Lancia Lambda; Ausschnitt aus einem Foto aus Sammlung Michael Schlenger

In welcher abgelegenen Region dieses Foto einst entstand, wird sich wohl nicht mehr feststellen lassen. Doch zeigt es, dass die Besitzer eines Lancia Lambda sich selbstbewusst auch auf kaum befestigten Nebenstraßen bewegten.

Das andere Extrem stellten extravagante Spezialaufbauten dar wie dieses von der Manufaktur „Carozzeria Moderna“ aus Turin geschaffene Exemplar, das eine prestigeorientierte großstädtische Klientel ansprach:

Lancia Lambda; originales Werksfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Von diesem aristokratisch anmutenden Sondermodell aus Italien ist der Weg nicht allzuweit zu der nächsten Aufnahme eines Lancia Lambda.

Dabei führt uns die Reise nach Österreich, in die Gegend um Salzburg – zum Schloss Hellbrunn.

Dort ließ sich einst eine Reisegesellschaft, von der der Verfasser noch einige weitere Aufnahmen besitzt, ablichten:

Schloss Hellbrunn; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das Schloss selbst wirkt ein wenig banal – auch unsere Vorfahren lieferten nicht immer nur Spektakuläres ab – doch das Foto ist in doppelter Hinsicht von großem Reiz.

Man fragt sich nämlich: Wer ist auf dieser Aufnahme eigentlich der Hauptdarsteller? Wer auch immer dieses Foto schoss, scheint ganz eigene Gedanken verfolgt zu haben.

Sicher wollte die sechsköpfige Besuchergruppe vor dem Schloss abgelichtet werden. Das ist auch gelungen:

So sah man also aus, wenn man in den späten 1920er Jahren „Sightseeing“ machte und dabei wohl auch den einen oder anderen Kilometer per pedes zurücklegte.

Doch der aufmerksame Betrachter wird auf dem Ausgangsfoto noch etwas anderes bemerkt haben – etwas, das so markant ist, dass es den Verfasser zum Erwerb dieses Fotos veranlasste.

Zeitgenössische Fotos eines Lancia Lambda sind nämlich selten, selbst wenn sie nur die Rolle eines Nebendarstellers innehaben wie hier:

Wer die bisherigen Fotos aufmerksam betrachtet hat, wird diesen vermeintlich unscheinbaren Nebendarsteller gleich als das erkannt haben, was er in den 1920er Jahren war: ein Star der europäischen Automobilszene.

Haben von den bloß rund 11.000 Exemplaren dieses automobilen Wunderwerks wenigstens welche überlebt?

Gewiss, und zwar gemessen an der Stückzahl eine ganze Menge. Ein sehr originales Exemplar haben wir hier:

Lancia Lambda in Goodwood 2017; Bildrechte: Michael Schlenger

Auch dieser Lancia Lambda, der 2017 beim verregneten Gooddwood Revival Meeting  auf dem Besucherparkplatz stand, war dort nur ein unbedeutender Nebendarsteller, und dennoch ragte er unter den ihn umgebenden Klassikern hervor!

© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

 

 

Königlicher Entwurf kurz vor dem Krieg: Audi Typ 920

Zu den schillerndsten deutschen Automarken, die im 21. Jahrhundert noch existieren, gehört zweifellos Audi. Dabei führt gar keine direkte Verbindung von den heutigen Audi-Modellen zurück zum ersten Audi Typ A 10/22 PS von 1910.

Die Leserschaft möge es verzeihen, dass wir von diesem in weniger als 140 Exemplaren gebauten Audi-Erstling bislang kein Originalfoto vorweisen können.

Immerhin fand sich im Fundus des Verfassers eine Aufnahme des ab 1912 gebauten Nachfolgers Audi Typ B 10/28 PS:

Audi Typ B 10/28 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Vorgestellt haben wir das Modell hier. Nebenbei: Davon wurden auch bloß 350 Stück gebaut – die Aufnahme ist nach über 100 Jahren also eine veritable Rarität.

Bei Vorkriegs-Audis hat man es ohnehin nur mit Exoten zu tun – die Marke führte ein reines Nischendasein. Dennoch kann Audi heute auf ein einzigartiges Erbe zurückschauen und man betreibt dort die Traditionspflege mit Hingabe.

Das liegt auch nahe, denn am Anfang der Markengeschichte steht einer der ganz großen Namen in der deutschen Automobilhistorie – August Horch.

Bis Ende der 1920er Jahre baute Audi luxuriöse Wagen in geringen Stückzahlen – Bilder davon sind ebenso wie im Fall der Modelle vor dem 1. Weltkrieg sehr selten.

Ein besonders spektakuläres Beispiel verdanken wir einem Leser, der schon einiges zu diesem Blog beigesteuert hat:

Audi Typ M 18/70 PS; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Von dem mächtigen 6-Zylindertyp M 18/70 PS entstanden zwischen 1924 und 1928 gerade einmal 230 Stück. Aufnahmen davon sind absolut außergewöhnlich.

Auf Dauer konnte das Dasein von Audi in der Luxusnische natürlich nicht gutgehen.

Die erste große Zäsur war die Übernahme von Audi im Jahr 1928 durch den DKW-Konzern, der bis dato nur Motorräder gebaut hatte. Damit endete zum ersten Mal die eigenständige Konstruktion und Produktion von Audi-Wagen.

Nach wenig erfolgreichen Versuchen, die Marke Audi am Markt neu zu platzieren, fanden sich DKW und Audi Anfang der 1930er Jahre zusammen mit Horch (!) und Wanderer unter dem Dach des Auto-Union-Konzerns wieder.

Das Zwickauer Audi-Werk war bis dato vor allem zur Produktion der Frontantriebswagen von DKW genutzt worden. Im Auto-Union-Verbund wurde die Marke Audi reanimiert, die nun ebenfalls Fronttriebler fertigte, aber in der oberen Mittelklasse.

Ein großer Erfolg waren diese Audis zwar weiterhin nicht, aber sie sorgten mit ihrer dynamischen Linienführung für ein exklusives Markenimage:

Audi „Front“ 8/40 PS Typ UW; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

So elegant diese Fronttriebler von Audi auch wirkten, sorgten sie bei den Käufern für Ungemach. Die je nach Aufbau fast 1,5 Tonnen schweren Wagen waren mit anfänglich 40, später 50 bzw. 55 PS untermotorisiert.

Bei konservativen Herstellern wie Mercedes sah das zwar nicht besser aus, doch die Audi-Klientel erwartete schon damals mehr Fahrdynamik.

Opel reagierte seinerzeit auf die Erwartungen des Publikums mit dem über 130 km/h schnellen Admiral, und Ford hatte mit dem 90 PS starken V8 ebenfalls einen flinken Pfeil im Köcher.

Vor diesem Hintergrund wählte man die richtige Strategie, was den Nachfolger der Audi-Frontantriebswagen betraf:

  • Da die Antriebsgelenke der Fronttriebler einer höheren Leistung nicht gewachsen waren, entschied man sich für die Rückkehr zum Heckantrieb.
  • Als Antrieb nahm man einen von Horch entwickelten 6-Zylinder mit 3,2 Litern, dessen Ventile über obenliegende Nockenwelle und Königswelle gesteuert wurden – wahrhaft königlich für einen Wagen der oberen Mittelklasse.
  • Formal orientierte man sich an modernen amerikanischen Vorbildern wie dem Buick „Eight“ von 1937.

Das eindrucksvolle Ergebnis sehen wir auf folgender Aufnahme:

Audi Typ 920; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier haben wir einen der modernsten Serienwagen aus deutscher Produktion aus der Zeit unmittelbar vor Ausbruch des 2. Weltkriegs vor uns.

Damit bot Audi einen souverän motorisierten Wagen, der eine Höchstleistung von über 80 PS und eine Spitzengeschwindigkeit von 130 km/h schaffte.

Zeitgenössischen Tests zufolge wirkte der Audi selbst bei Dauertempo 120 nicht angestrengt. Hinzu kamen das ausgezeichnete Fahrwerk sowie das vollsynchronisierte Getriebe von ZF, das man vom Horch 8 übernommen hatte.

Das hier vorgestellte Foto eines solchen Audi Typ 920 zeigt eine in Zwickau zugelassene Limousine – eventuell lässt sich die Kennung einem aus anderen Quellen bekannten oder sogar noch existierenden Fahrzeug zuordnen.

Von den knapp 1.300 bis 1940 produzierten Audis des Typs 920 haben bloß rund zwei Dutzend überlebt, von der Limousine sogar nur eine handvoll.

Immerhin können wir diesen mit einigen königlichen Attributen ausgestatteten Audi hier auf einem kaum weniger raren Originalfoto genießen…

© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Zwei „Amis“ im Jahr 1938: 10 Jahre, zwei Welten

Bestimmt fährt einer der Leser dieses Blogs im Alltag ein Auto, das schon zehn Jahre auf der Kurbelwelle hat.

Vielleicht ist es ein Diesel einer deutschen Marke – eines jener ökonomischen und dauerhaften Autos also, von denen man einst träumte – und denen geltungssüchtige Fanatiker neuerdings den Krieg erklärt haben.

Diese von kleinen „Pressure Groups“ kriminalisierten Wunderwerke an Effizienz, Haltbarkeit und Sicherheit zu verbessern, ist nur noch in kleinen Schritten möglich.

Dennoch wird weiter daran gearbeitet, zumal das Elektroauto auch nach über 100 Jahren immer noch so im Nachteil ist, dass selbst heftigste Subventionen auf Kosten der Steuerzahler, die sich garantiert keines leisten können, wirkungslos verpuffen.

Der Rückblick in die Vorkriegszeit ist diesbezüglich in vielerlei Hinsicht heilsam. Er führt vor Augen, auf welch‘ hohem Niveau heute über angebliche Unzulänglichkeiten moderner Automobile geklagt wird.

Dabei wird nämlich deutlich, dass die ganz großen Entwicklungssprünge, die dem Wohl von Insassen und Umwelt dienten, längst hinter uns liegen.

1938 – vor achtzig Jahren also – konnte man irgendwo im Alpenraum noch diesem archaisch wirkenden Tourenwagen der US-Marke Studebaker begegnen:

Studebaker von 1927; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Abzug trägt jedenfalls umseitig das Datum 1938. Damals war der abgebildete Studebaker gerade einmal etwas mehr als 10 Jahre alt.

Anhand der Form der Kühlermaske ist der Wagen auf 1927 datierbar. Immerhin 50 bis 75 PS leisteten die verbauten Sechszylinder je nach Modell. Mechanische Vierradbremsen waren Standard. 

Wie veraltet dieses Fahrzeug im Jahr 1938 jedoc bereits war, wird beim Vergleich mit dem Buick des Modelljahrs 1937/38 deutlich, den wir auf folgender – leider verwackelten – Aufnahme sehen:

Buick „Eight“ von 1937/38; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

So unvollkommen dieses Dokument auch ist, so drastisch führt es vor Augen, wie rasant sich die Entwicklung des Automobils vor 80 Jahren vollzog.

Die beiden Wagen haben außer ihrer amerikanischen Herkunft praktisch nichts gemein.

Obige Sechsfensterlimousine besaß eine Motorhaube, die sich nach oben (nicht mehr seitlich) öffnen ließ. Darunter arbeitete ein Achtzylinder, der je nach Modell zwischen 100 und 140 PS leistete. Hydraulische Vierradbremsen waren Grundausstattung.

Für das Modelljahr 1938 waren erstmals Schraubenfedern und eine automatische Schaltung verfügbar. 6- oder gar 4-Zylindermodelle bot Buick erst gar nicht an.

Dabei handelte es sich bloß – das muss man sich klarmachen – um ein Massenfabrikat aus dem General Motors-Konzern. In Deutschland war damals in dieser Kategorie kein Hersteller zu Vergleichbarem fähig.

Typisch für die Buicks von 1937/38 waren die senkrechte Kühlerpartie mit horizontalen Zierleisten, die Scheinwerfer in strömungsgünstiger Form, weitgehend geschlossene Radhäuser und eine V-förmig geteilte Frontscheibe:

Einige dieser Elemente finden sich auch bei den zeitgenössischen Opel-Modellen „Super 6“ und „Kapitän“, doch waren diese eine Klasse weiter unten angesiedelt und erreichten nicht annähernd die 6-stelligen Produktionszahlen des US-Vorbilds.

Bleibt die Frage, ob der eindrucksvolle Buick „Eight“ einst einen deutschen Käufer fand oder ob die Aufnahme ein Gruß eines in die USA ausgewanderten Landsmanns an die Angehörigen in der alten Heimat war.

Die ländliche Umgebung und die Bauten im Hintergrund liefern keinen eindeutigen Hinweis. Doch ist auf dem Abzug umseitig vermerkt: „Heini und Albert“.

Demnach dürften die beiden Buben einst irgendwo im deutschsprachigen Raum auf dem Trittbrett des Buick gesessen haben, der vielleicht einem gutsituierten Verwandten aus Stadt gehörte.

Als dieses Foto entstand, hatte sich die Welt gegenüber den Verhältnissen zehn Jahre zuvor in vielerlei Hinsicht fundamental gewandelt – nicht nur im automobilen Sektor.

Rasanter technischer Fortschritt und radikale politische Veränderungen transportierten unsere Vorfahren binnen kurzer Zeit und auf brutale Weise in eine neue Welt, die mit der altgewohnten kaum noch etwas gemein hatte.

Die teils aufgebauschten, teils frei erfundenen Probleme der Gegenwart könnten dagegen wie Spielerei anmuten, würde ihre Dramatisierung nicht zugleich eine Bedrohung unserer Freiheit und unseres Wohlstands darstellen…

© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Vermächtnis zweier Brüder: Dodge „Four“ Series 116

Hand auf’s Herz: Welchem Freund von Vorkriegsautos hierzulande fällt etwas zur US-Marke „Dodge“ ein? Vermutlich irgendetwas mit gesichtsloser Massenproduktion, ein Hersteller unter vielen in den Staaten…

Der Verfasser hatte zugegebenermaßen bislang auch kein klares Bild davon, was die Autos der „Dodge Brothers“ einst besonders machte. Dass sich das geändert hat, ist folgender Aufnahme und dem Besuch des Goodwood Revival 2017 zu verdanken:

Dodge Series 116 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Foto fand eigentlich nur aus Mitleid Eingang in die Sammlung des Verfassers. Wäre ja schade, wenn es an ein paar Euro scheitern würde, den stellenweise schon angegriffenen Abzug nicht in digitalisierter Form zu konservieren.

Was da für ein Auto zu sehen ist, blieb erst einmal im Ungefähren. Klar war nur, dass es einst in Deutschland aufgenommen wurde. Das verraten die Häuser im Hintergrund (das Originalfoto zeigt mehr davon) und das Erscheinungsbild des Herrn mit „Zweifinger“-Bart und Ledergamaschen über den Halbschuhen.

Das Bauchgefühl sagte zwar „US-Fahrzeug“, doch schien hier zunächst nichts Markentypisches erkennbar zu sein:

Weder die Stoßstange noch die Scheibenräder sind für sich genommen einzigartig, solches Zubehör war prinzipiell für viele Autos der 1920er Jahre verfügbar.

Auch die Scheinwerfer, das elektrische Horn und die Positionsleuchten auf den  Kotflügeln liefern keinen Anhaltspunkt. Ein Detail merken wir uns aber vorerst: die ungewöhnliche Ausbuchtung auf der Oberseite der Schutzbleche. 

Zeitsprung: Gut 90 Jahre, nachdem obige Aufnahme entstand, fand sich anlässlich des Goodwood Revival Meeting 2017 auf dem „Vintage Car Park“ dieses Fahrzeug:

Dodge „Four“ Series 116 Tourer; Bildrechte: Michael Schlenger

Dieser großzügige Tourenwagen war leicht als Dodge der frühen 1920er Jahre zu identifizieren.

Formal betrachtet hätte das Auto alles Mögliche sein können, wenn man einmal vom flachen Kühler absieht. Den hätte man an einem Wagen aus dem deutschen Sprachraum nach dem 1. Weltkrieg kaum zu sehen bekommen – hier waren stattdessen Spitzkühler in allen möglichen Varianten groß in Mode.

Ein näherer Blick auf die Kühlermaske und wir erkennen den Hersteller:

Dodge Brothers-Emblem; Bildrechte: Michael Schlenger

Nun beginnt die Sache spannend zu werden. Das Emblem verweist auf die Brüder John und Horace Dodge aus Detroit, die kurz vor dem 1. Weltkrieg beschlossen, Autos zu bauen.

Bis dahin waren sie als Zulieferer von Ford tätig, sahen aber die Bemühungen ihres Kunden mit Sorge, einen immer größeren Teil der Wertschöpfungskette aus eigenen Kräften abzudecken.

Der Entschluss, in die Offensive zu gehen, fiel den beiden leicht – die Brüder Dodge waren zeitlebens ein Herz und eine Seele. Das auf den ersten Blick an einen Davidstern erinnernde Emblem bringt das zum Ausdruck: Tatsächlich zeigt es zwei griechische „Deltas“, die einander umschlingen (Quelle).

Ihr 1914 vorgestelltes Vierzylindermodell mit 35 PS war auf Anhieb ein Erfolg. Schon 1916 waren die Dodge Brothers auf Rang 4 der größten US-Autohersteller aufgerückt. Kein anderer Wagen seiner Klasse galt damals als dermaßen robust.

1920 erreichten die nur behutsam weiterentwickelten Dodge-Automobile Platz 2 der Zulassungsstatistik in den Vereinigten Staaten – ein wohl einzigartiges Ergebnis für eine Firma, die noch keine zehn Jahre alt war.

Im selben Jahr starben die Brüder Dodge kurz nacheinander. Doch ihr Vermächtnis sollte noch einige Zeit Erfolge zeitigen. 1922 brachte Dodge den weltweit ersten Wagen mit Ganzstahlkarosserie auf den Markt.

Eine 12-Volt-Elektrik war bereits damals Standard bei Dodge, ab 1921 war außerdem eine Heizung verfügbar. 1922 wurden erstmals Scheibenräder verbaut, Stoßstangen vorne und hinten gab es als Extra.

Scheibenräder, Stoßstangen? Hatten wir die nicht auf dem ersten Foto? Und wie war das mit den auffallend gewölbten Schutzblechen? Zumindest die finden wir hier wieder:

Dodge „Four“ Series 116; Bildrechte: Michael Schlenger

Der Fall ist klar: Die historische Aufnahme zeigt ebenfalls einen Dodge „Four“ der ab 1923 gebauten Serie 116, bloß als Limousine statt als Tourenwagen.

Der lange Radstand und die senkrechten Luftschlitze in der Haube verweisen auf das Modelljahr 1924/25. Scheibenräder und Stoßstangen gab es – wie gesagt – als Zubehör. Luxusausführungen besaßen außerdem vernickelte Kühler.

In der Literatur zum Dodge „Four“ Series 116 ausdrücklich erwähnt wird die von viertelkreisförmigen Haltern getragene Sonnenblende, die wir hier sehen:

Beim näheren Hinsehen kann man zudem die Initialien „DB“ auf der Nabenkappe des Hinterrads entziffern, die sich auch auf dem Kühleremblem des in Goodwwod abgelichteten Wagens wiederfinden.

Letztlich ist die Handschrift der „Dodge Brothers“ also auch auf dem anfangs so rätselhaft anmutenden Foto zu erkennen.

Dass ein Exemplar des Dodge „Four“ Series 116 einst ein Deutschland landete, verwundert kaum. Weit über 500.000 Exemplare dieses Modells wurden an verschiedenen Standorten gefertigt.

Davon haben auch in Europa eine ganze Reihe überlebt, wie der makellose Tourer in Goodwood zeigt:

Dodge „Four“ Series 116; Bildrechte: Michael Schlenger

Wer schon immer davon träumte, sich einen erschwinglichen Tourenwagen der frühen 1920er Jahre zuzulegen, das Model T von Ford aber zu simpel findet, der kommt am Dodge „Four“ wohl kaum vorbei.

In den USA sind gute Exemplare ab 10.000 Dollar zu haben – wie war das noch einmal mit angeblich unbezahlbaren Oldtimern? Genau: Wer auf Prestige pfeift, bekommt zum Gebrauchtwagentarif auch heute noch echte Klassiker!

Literatur: „Standard Catalog of American Cars“, von B.R. Kimes, 3. Ausgabe, 1996, S. 459-465

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

 

 

Überraschungsgast: Ein Lancia Lambda aus Schottland

Der von 1923–31 gebaute Lancia Lambda gehört zweifellos zu den bemerkenswertesten Wagen der Zwischenkriegszeit.

Mit Einzelradaufhängung rundum, hydraulischen Stoßdämpfern sowie selbsttragender Karosserie und niedrigem Schwerpunkt stand er wie kein anderer für die Moderne im Automobilbau (siehe auch Bildberichte hier und hier).

Für die bahnbrechende Rolle dieses Modells steht sinnbildlich die folgende historische Aufnahme, die einen Lancia Lambda am Ausgang eines Felsdurchbruchs irgendwo in den Alpen zeigt:

Lancia Lambda; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch wenn nur 11.000 Exemplare des Lancia Lambda entstanden, ist es immer wieder erstaunlich, wohin es diese Fahrzeuge einst verschlagen hat.

Bei einer Tour im Gebirge dürfte der Wagen mit seinem niedrigen Schwerpunkt vielleicht nicht so ideal gewesen sein wie bei Sporteinsätzen von Amateuren, wo er zahlreiche Erfolge feierte.

Der Ruhm dieses in der Gesamtheit seiner Qualitäten wohl einzigartigen Fahrzeugs sprach sich jedenfalls rasch herum. Auch in England, wo es nicht gerade an heimischen Sportwagenmarken mangelte, fanden sich begeisterte Käufer.

Und selbst über 90 Jahre nach der Entstehung des Modells gibt es auf der Insel noch Enthusiasten, die ihren Lancia Lambda nicht ängstlich in einer klimatisierten Halle hüten, sondern bestimmungsgemäß bei Wind und Wetter fahren:

Lancia Lambda; Bildrechte: Michael Schlenger

Dieses gut gebrauchte Prachtexemplar war 2017 beim Goodwood Revival Meeting in Südengland zu bestaunen — auf dem Besucherparkplatz wohlgemerkt.

Die jährlich an der legendären Rennstrecke stattfindende Veranstaltung ist nicht nur wegen ihrer historischen Atmosphäre einzigartig – nirgendwo sonst vermitteln einem tausende stilvoll gekleidete Besucher das Gefühl, in einer Zeitschleife zwischen den 1930er und 1960er Jahren gefangen zu sein.

Auch die Qualität der aus- und abgestellten Fahrzeuge in allen möglichen Zustandskategorien sucht in dieser Konzentration ihresgleichen. Dabei macht sich auf dem Veranstaltungsgelände die Begrenzung der Baujahre auf die Zeit bis 1965 segensreich bemerkbar. Sogenannte Youngtimer wird man dort nicht finden.

In Goodwood kommen die Liebhaber richtig alter Automobile auf ihre Kosten, selbst ausgewiesene Veteranenkenner werden ihre Freude haben. Bei so einem Anblick kann man auch über einen verregneten Vormittag hinwegsehen:

Lancia Lambda; Bildrechte: Michael Schlenger

Man sieht diesem Lancia Lambda sein langes Leben an, wie sich das für einen Veteranen seines Schlages gehört. Die Lackierung ist verblasst und an ein paar Stellen abgeplatzt – sicher ist sie schon einige Jahrzehnte alt, vielleicht sogar original.

Der rund 90 Jahre alte Wagen macht trotz der Spuren der Zeit einen soliden Eindruck und man glaubt gern, dass sich damit auch längere Strecken über Land recht bequem zurücklegen lassen. Das moderne Fahrwerk und die großen Vorderradbremsen tragen ihren Teil dazu bei.

Der eigentümliche Reiz des Lancia Lambda ist auch seiner klaren, fast strengen Linienführung zu verdanken:

Lancia Lambda; Bildrechte Michael Schlenger

Dem Lancia Lambda geht die modische Verspieltheit mancher zeitgenössischer Autos ab, damit ist er ein klassisches Automobil im besten Sinne – zeitlos schön.

Gleichzeitig vermeidet die Gestaltung den Eindruck der Einfallslosigkeit – in vielen Details ist der Lancia Lambda eigenwillig – man beachte nur die Form der Scharniere an den Türen:

Lancia Lambda; Bildrechte: Michael Schlenger

Leider war über die Historie dieses eindrucksvollen Wagens, der auf eigener Achse zum Goodwood Revival angereist war, an Ort und Stelle nichts in Erfahrung zu bringen.

Nur dass der Lancia Lambda einst in Schottland zugelassen wurde, ließ sich aus dem Nummernschild erschließen. Die Buchstabenfolge „DS“ verweist auf eine Zulassung vor 1965 in der schottischen Grafschaft Peeblesshire (Quelle).

In Großbritannien dürfen historische Fahrzeuge ihr ursprüngliches Nummernschild ihr ganzes Leben lang behalten, was ihnen Kennzeichenwechsel bei Umzug oder Verkauf und die Montage zeitgenössischer Schilder erspart.

Zwar wissen wir nicht, wo genau der Lancia Lambda heute sein Zuhause hat – eine virtuelle Heimat ist ihm aber auf diesem Blog für Vorkriegsoldtimer sicher.

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

Genial gedacht, aber gescheitert: Stoewer Typ V5

Wer heutzutage überhaupt noch etwas mit der 1945 untergegangenen deutschen Automarke Stoewer aus Stettin verbindet, denkt wohl am ehesten an die eindrucksvollen D-Typ-Tourenwagen der Zwischenkriegszeit. 

Einige davon sind auf diesem Vorkriegsautos vorbehaltenen Oldtimerblog bereits in historischen Originalaufnahmen präsentiert worden, zum Beispiel hier.

Kennern sind auch die 8-Zylindermodelle von Stoewer geläufig, die im Fotofundus des Verfassers gut vertreten sind, aber hier noch nicht besprochen wurden. Dafür haben wir hier schon Stoewer-Fronttriebler der 1930er Jahre vorgestellt.

Was wir erst jetzt zeigen können, ist der erste dieser modernen Wagen mit Vorderradantrieb aus dem Haus Stoewer:

Stoewer Typ V5; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

So unscheinbar der Wagen auf dieser Aufnahme wirkt, so selten ist ein solches Dokument. Das auf den ersten Blick konventionell erscheinende Auto fand sich auf einem winzigen Abzug, der zudem noch schlecht erhalten war.

Was sich hier nach einigen Retuschearbeiten einigermaßen präsentabel zeigt, ist der erste deutsche Serien-Fronttriebler mit Schwingachsen und hydraulischen Bremsen – zudem der einzige mit 4-Takt-Vierzylinder in V-Form.

Dies dürfte auch bei verwöhnten Lesern Interesse wecken. Denn beim Stichwort „Frontantrieb“ denkt man in deutschen Landen zuerst an die 1931 vorgestellten DKW Front-Wagen und den ein Jahr später folgenden Adler Trumpf.

Dass die im Vergleich zu den beiden Konzernen winzige Firma Stoewer ihnen Ende 1930 zuvorgekommen war und auch fahrwerksseitig die Nase vorn hatte, überrascht.

Denn dieser kleine Stoewer war aus der Not geboren: In der sich Ende der 1920er Jahre zuspitzenden Wirtschaftskrise musste ein bezahlbarer Alltagswagen her, so sehr Chefkonstrukteur Bernhard Stoewer die 8-Zylinder liebte.

Dass er dennoch auch in der unteren Mittelklasse einen solchen hochmodernen Wurf landete, spricht für sein Genie – dem am Ende leider der Erfolg versagt blieb.

Schauen wir uns den Stoewer Typ V5 auf dem Foto näher an:

Hier sieht man trotz der mäßigen Qualität des über 80 Jahre alten Abzugs, wie kurz der Vorderwagen im Vergleich zum geräumigen Innenraum war.

Möglich wurde dies durch die V-Anordnung der vier Zylinder, die die Länge des Reihenmotors annähernd halbierte.

Getriebe und Differential saßen bei dieser Bauweise vor dem Motor, was den unter dem Kühler vorkragenden Unterbau des Wagens erklärt. Erst seit dem 1959 vorgestellten Austin Mini sind die Motoren von Fronttrieblern quer angebaut.

25 PS aus 1,2 Litern Hubraum leistete das Aggregat des 1931 in Serie gebauten kleinen Stoewer. Das genügte für ein Spitzentempo von 80 km/h.

Wichtiger waren der tiefe Schwerpunkt des Wagens, die zupackenden Bremsen und die Zugkraft des Vorderradantriebs. Kein Wunder, dass die 30 PS starke und zudem als rassiger Roadster eingekleidete Sportversion des Stoewer V5 erfolgreich war.

Ein solcher V5 Sportwagen mit Bugattiheck steht heute im Stoewer Museum.

Eigentlich waren alle Voraussetzungen für einen großen Erfolg gegeben. Denn während DKW noch mit der Entwicklung seines eigenen Fronttriebler beschäftigt war, stand im Stoewer-Werk schon Ende 1930 die Fertigungslinie, die Prospekte wurden gedruckt und der V5 darin als Volkswagen angeboten.

Und während auf der Berliner IAMA im Februar 1931 DKW nur ein nicht fahrfähiges Modell seines Wagens zeigen konnte, waren am Stoewer fünf einsatzfähige V5 zu bestaunen, die auch schon zu kaufen waren.

Doch zwei Dinge ließen diesen genialen kompakten Wagen scheitern:

In der Literatur wird die mangelhafte Laufkultur angeführt, die durch die V-Form des Vierzylinders verursacht wird. Eine Begründung dafür findet man nicht.

Der eigentliche Grund dafür, dass Stoewer von seinem Typ V5 bis 1932 nur etwas mehr als 2.000 Stück absetzen konnte, war aber wohl die wenig wirtschaftliche Produktionsweise der Firma, die das Auto zu teuer machte.

3.600 Reichsmark verlangten die Stettiner für ihren Geniestreich. Doch das Rennen machte der zwar lärmige, klapprige, aber kaum langsamere und zudem sparsamere DKW F2, der als Cabrio-Limousine 1932 nur 2.500 Mark kostete.

So wurde Stoewer letztlich zum Verhängnis, dass die Ertragsmargen seiner Autos mangels industrieller Produktionsweise zu gering waren, um sich gegen DKW und Adler durchzusetzen.

Umso erstaunlicher ist es, dass die immer wieder vor der Insolvenz stehende Firma Stoewer solange durchgehalten hat. Man wünschte sich sich glatt, dass der Typ V5 dem Unternehmen einen neuen Frühling beschert hätte…

© Videoquelle YouTube; hochgeladen von Leotaurus1975

Dank schuldet der Verfasser Herrn Manfried Bauer vom Stoewer-Museum, der einmal mehr Detailinformationen liefern konnte, die sonst nirgends zu lesen sind.

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and http://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

US-Stilikone der 1930er – Graham „Blue Streak“

Eine Stilikone – das ist etwas, was als vollkommene Verkörperung einer bestimmten gestalterischen Idee gilt.

In der Nachkriegszeit gehörten in diese Kategorie Wagen wie der Austin „Mini“, der Citroen „2CV“, der Fiat „Cinquecento“, der VW „Käfer“ oder auch Alfa-Romeos „Giulia“.

An amerikanische Wagen würde man – von Ausnahmen wie der Chevrolet „Corvette“ und dem Ford „Mustang“ abgesehen – eher nicht denken.

In der Zwischenkriegszeit sah das anders. Damals waren US-Marken nicht nur technisch überlegen, sondern gaben auch in formaler Hinsicht den Ton an.

Wie stilbildend die US-Modelle damals waren, macht folgende Aufnahme deutlich, die irgendwann Mitte der 1930er Jahre in Amerika entstand:

US-Wagen um 1935; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der kleine Junge vorne links steht vor dem ältesten Fahrzeug auf diesem Bildausschnitt. Mit vertikalem Kühler und ebenso senkrechter Frontscheibe ist es typisch für die Autos der 1920er Jahre.

Auf diese aus den USA vorgegebene sachliche Linie schwenkten speziell deutsche Hersteller oft erst ab 1925 ein. Dann verschwanden die letzten Spitzkühler und es setzten sich Vorderradbremsen durch wie bei dem Wagen auf dem Foto.

Die Autos weiter rechts mit ihren abgerundeten Kühlern und tropfenfömigen Scheinwerfern verweisen auf einen neuen Trend -die Stromlinie:

Besonders interessant ist der Wagen ganz rechts: Er verfügt über etwas, das eine US-Marke 1933 einführte und was sich in Windeseile um den Globus verbreitete.

Die Rede ist von der seitlichen Verkleidung, die aus dem Vorderschutzblech auf einmal ein Radhaus macht. Sie verhinderte, dass das Vorderrad Straßenschmutz auf die Karosserie schleuderte und verbarg auch die wenig ansehnliche Rahmenpartie.

Dieses Element trägt im Deutschen die unschöne Bezeichnung „Kotflügelschürze“.  Nehmen wir das Detail zum Anlass für eine Hommage an den hierzulande kaum bekannten Wagen, bei dem es erstmal zum Einsatz kam – den Graham „Blue Streak“.

Wer jetzt denkt „Graham -was?“, dem sei vergeben. Denn darüber liest man in den hiesigen „Oldtimer“ und „Klassik“-Magazinen natürlich nichts. Dort schreibt man lieber 90er Jahre-Japaner zum Garagengold der Zukunft hoch…

US-Wagen der Vorkriegszeit werden in der einschlägigen Presse hierzulande meist ignoriert. Dabei steht das in krassem Gegensatz zur einstigen Verbreitung von Wagen selbst kleinerer amerikanischer Hersteller in Deutschland.

Zum Beweis werfen wir einen Blick zurück ins Berlin der 1930er Jahre:

Graham „Blue Streak“ von 1934; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ein Wagen wie aus dem Bilderbuch, beinahe französisch-elegant und ungemein präsent wirkend. Die zwei Herren mit gelichtetem Haar waren sichtlich stolz auf das Prachtstück, das unzähligen europäischen Wagen zum Vorbild wurde.

Ohne besondere Kenntnis der amerikanischen Hersteller jener Zeit wäre die Identifikation von Marke und Typ schwierig. Doch zum Glück trägt der Kühler unten ein Emblem mit dem Schriftzug „Graham“.

Die namengebenden Gebrüder Graham kamen ursprünglich aus dem LKW-Geschäft, überließen dieses aber 1926 der Firma Dodge und wandten sich der Autoproduktion zu.

1927 schufen sie nach Übernahme der Firma Paige aus Detroit die neue Marke Graham-Paige, unter der ab 1928 eigenständige Wagen erschienen, die auf Anhieb ein Erfolg wurden. Ab 1930 entfiel der Namenszusatz „Paige“.

Auf den Einbruch der Verkaufszahlen während der Großen Depression Anfang der 1930er Jahre reagiert man bei Graham mit dem formal völlig neuen Typ „Blue-Streak“, der ab 1932 gebaut wurde.

Er verfügte nicht nur als erster Wagen über die erwähnten Seitenschürzen an den Vorderkotflügeln. Neu war auch die wie aus einem Stück wirkende Frontpartie, bei der das Kühlergehäuse sich nicht mehr als eigenständiges Bauteil abhob.

Außerdem bemühte man sich, die Vorderachse möglichst zu verdecken, indem man die Bleche an der Front weit hinunterzog.

Die Wirkung dieser gestalterischen Kunstgriffe kann man auch am Graham „Blue Streak“ des Modelljahrs 1934 auf unserem Foto nachvollziehen:

Typisch für den Graham „Blue-Streak“ von 1934 war die zweiteilige Stoßstange, die die schnittige Erscheinung des Wagens noch verstärkte.

Der „Blue Streak“ machte bei seinem Erscheinen 1932 einen solchen Eindruck, dass sich die Konkurrenten schon im Folgejahr von seiner Gestaltung inspirieren ließ.

So ist zu erklären, dass auch bei deutschen Herstellern ab 1933 Kotflügel mit Seitenschürzen und ähnliche windschnittige Kühlerpartien auftauchten.

Nur in punkto Leistung konnte in dieser Klasse hierzulande nach wie vor keine Marke mithalten. Der „Blue Streak“ wurde mit 6- und 8-Zylindermotoren angeboten, die anfänglich 80 bzw. 90 PS leisteten, später noch etwas mehr.

Ab 1934 baute Graham den „Blue Streak“ außerdem in einer 8-Zylinder-Kompressorversion, die eine Höchstleistung von 135 PS erreichte.

Neben einem leichten Geschwindigkeitszuwachs auf fast 140 km/h zeichnete sich die aufgeladene Variante vor allem durch ein deutlich höheres Drehmoment bei mittleren Drehzahlen aus. Damit war im bereits damals dichter werdenden Verkehr in den USA ein souveränes Überholen langsamerer Wagen möglich.

Vermutlich war Graham der einzige Hersteller, der seinerzeit ein Großserienauto mit permanent laufenden Kompressor anbot. Dabei ging die Aufladung nicht auf Kosten der Haltbarkeit der Motoren und erhöhte auch den Verbrauch nur moderat.

Von einem nervigen Kreischen des Kompressors, wie man es von Mercedes-Benz kennt, ist beim aufgeladenen Graham „Blue Streak“ nichts überliefert.

Die Tester des britischen Magazins „Motor“ zeigten sich 1934 sehr beeindruckt von dem Wagen. Sie beschrieben die Kompressorversion als: „ein Auto, das viele Vorurteile gegenüber der Aufladung zerstreut. Trotz einer Leistung, die einem teuren Sportwagen gut zu Gesicht stünde, ist der Motor extrem leise und von sanftem, flexiblen Charakter. Er startet auch kalt bereitwillig und verbraucht nicht über Gebühr viel Benzin.“

Dieses Urteil aus europäischer Sicht macht den technologischen Vorsprung deutlich, den amerikanische Hersteller in den 1930er Jahren hatten. Kein Wunder, dass Graham seinen „Blue Streak“ auch in Deutschland absetzen konnte.

Von einer solchen Führungsrolle – formal wie technisch – konnten US-Hersteller nach dem 2. Weltkrieg nur noch träumen. Auch Graham sollte den Trend hin zu technisch anspruchslosen und formal oft auf billigen Effekt getrimmten Massenfabrikaten nicht überleben…   

Quelle: http://auto.howstuffworks.com/1932-1935-graham-blue-streak1.htm

 

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and http://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

1931 immer noch ein Traum – Lancia Lambda

Wer sich mit der Geschichte des Automobils in der Vorkriegszeit befasst, steht immer wieder fassungslos vor den Entwicklungssprüngen, die damals binnen weniger Jahre gelangen.

Meist waren einzelne Überzeugungstäter am Werk, die entweder sang- und klanglos scheiterten oder brilliante neue Lösungen fanden. Es gab nur Erfolg oder Untergang – für gepflegte Routine oder Mittelmaß gab es keinen Platz.

Diesem Wettbewerb verdanken wir unseren heutigen Wohlstand, unseren Komfort, unsere Mobilität. Das folgende, über 110 Jahre alte Originalfoto zeigt zwei Pionierautomobile mit ihren stolzen Insassen:

© Zwei Panhard-Levassor von 1900 bzw. 1903, Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese gewiss vermögenden Herren aus dem damals deutschen Elsass ahnten, dass sie mit ihren Panhard-Wagen an einer großen Sache beteiligt waren und schauen auf dem Foto entsprechend selbstbewusst drein.

In unseren Tagen scheinen die Voraussetzungen für echten Fortschritt zu schwinden, auch in der Automobilindustrie. Altehrwürdige Konzerne versuchen erstmals in der Autogeschichte, eine über 100 Jahre alte Technologie mit weniger Mobilität zum weit höheren Preis als Fortschritt zu verkaufen – die Rede ist vom Elektroauto.

Wir befassen uns lieber mit den Produkten wirklich schöpferischer Genies aus der Automobilhistorie – heute ist dieses an der Reihe:

© Lancia Lambda, aufgenommen 1931, Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Was auf den ersten Blick konventionell daherkommt – so einen klassischen Kühler trugen einst etliche italienische Automobile – ist das zukunftsweisendste Fahrzeug, das in den 1920er Jahren in Serie gebaut wurde – der Lancia Lambda.

Selbsttragende Karosserie, Vierradbremsen, unabhängige Vorderradaufhängung mit hydraulischen Stoßdämpfern, außerdem ein V4-Motor mit kopfgesteuerten Ventilen – jedes dieser Details war Anfang der 1920er Jahre sensationell.

Doch alles das in einem Auto vereint sollte es noch anno 1931 – als unser Foto entstand – nur bei Lancia geben. Der Kopf hinter diesem brillianten Entwurf war ein begnadeter Ingenieur und Besessener – Vincenzo Lancia.

Zugegeben: Er hat das nicht alles im Alleingang entwickelt. Fahrwerk und Chassis entwarf sein Chefingenieur Battista Falchetto, der Motor geht auf Rechnung der Lancia-Ingenieure Rocco und Cantarini – das war’s dann aber auch.

Die Motorleistung von anfangs 50, zuletzt knapp 70 PS in Verbindung mit einer hervorragenden Straßenlage machte den Lancia Lambda zu einem der besten Straßensportwagen der 1920er Jahre. Beim ersten „Mille Miglia“-Rennen 1927 belegten Lancia Lambdas die beiden ersten Plätze in der Hubraumklasse von 2-3 Liter.

Das folgende Originalfoto – ein spektakuläres Dokument – lässt ahnen, wie souverän der Lancia Lambda auch bei scharfer Fahrweise auf der Straße lag:

© Lancia Lambda beim Rusel-Bergrennen, Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese brilliante Aufnahme gibt es in keinem Buch, keinem Oldtimermagazin zu besichtigen, nur hier. So etwas findet sich nur mit viel Geduld und Glück.

Trotz seiner unerreichten Qualitäten war der Lancia Lambda stets etwas für Automobil-Gourmets. Bloß rund 11.000 Stück wurden von 1923 bis 1931 gefertigt, in neun Serien, in die ständig Verbesserungen einflossen.

Unter Enthusiasten gilt der Lambda bis heute als der größte Geniestreich der Marke, die seit der Übernahme durch Fiat eine beschämende Existenz führt…

Den beiden jungen Herren auf unserem Foto aus dem Jahr 1931 sieht man jedenfalls an, wie zufrieden sie mit ihrem „alten Lancia“ sind.

Die beiden wussten genau, was für einen Traumwagen sie da an Land gezogen oder geerbt hatten. Denn dieser Typ aus der Zeit kurz nach dem 1. Weltkrieg stellte auch in den 1930er Jahren die meisten in Deutschland gefertigten Autos in den Schatten.

Ein Bankräuber wäre damals mit dem Lancia hierzulande vermutlich so gut bedient gewesen wie sein französischer Kollege mit dem Citroen Traction Avant. Auch dieser war – nebenbei bemerkt – nicht das Produkt vielhundertköpfiger Teamarbeit.

Das Privileg unserer Zeit beschränkt sich vermutlich darauf, die Produkte der Schaffenskraft unserer Vorfahren auf vielfältige Weise genießen zu können…

Vor über 80 Jahren: Glückliches Schrauben am Lancia Lambda

In jedermanns Leben gibt es Träume, die unerfüllt bleiben. Das zu akzeptieren und dennoch glücklich zu sein, ist Lebenskunst. Lebenskunst ist auch, sich über die erfüllten Träume anderer ohne Neid freuen zu können; gerade das fällt vielen schwer.

Ein schönes Exempel, an dem wir unser Fähigkeit, anderen ihr Glück zu gönnen, erproben können, ist das folgende Originalfoto der Vorkriegszeit:

© Lancia Lambda Limousine der 1920er Jahre; Foto aus Sammlung Michael Schlenger

Gewiss: einen Preis für das Autofoto des Jahres kann man damit nicht gewinnen. Die Anmutung einer unscharfen Amateuraufnahme war auch der Grund dafür, weshalb sich außer dem Verfasser niemand für den Schnappschuss erwärmen konnte.

Doch das vom Anbieter mehr schlecht als recht beschriebene Foto ließ einen außergewöhnlichen Fund ahnen. Tatsächlich zeigt es einen „Traumwagen“ der Zwischenkriegszeit, der bis heute die Sammlerherzen höher schlagen lässt.

Für dieses hier unscheinbar wirkende Auto würde mancher Enthusiast seinen Bentley oder Horch, Cadillac oder Delage hergeben. Selbst die Mercedes-Kompressorfraktion dürfte bei soviel technischer Brillianz für einen Moment schwach werden.

Zu tun haben wir es mit dem wohl innovativsten Automobil, das in den 1920er Jahren in Serie produziert wurde, dem 1923 vorgestellten Lancia Lambda.

Selbsttragende Karosserie mit niedrigem Gewicht, Einzelradaufhängung mit hydraulischen Stoßdämpfern, kleinvolumiger, drehfreudiger V4-Motor mit obenliegender Nockenwelle – das bot in den 1920er Jahren außer Lancia niemand, schon gar nicht die meist rückständigen deutschen Autohersteller.

Altauto-Gourmets wissen natürlich um die Qualitäten des Lancia Lambda. Daher sind auch Fotos des bis 1931 rund 12.000mal gebauten Typs heiß begehrt. Unser Foto muss aber den meisten Kennern durch die Lappen gegangen sein.

Dabei ist die Identifikation des Wagens auf dem Abzug eigentlich kein Kunststück:

Das Emblem auf dem Kühler mit der schemenhaft erkennbaren „Lancia“-Flagge ist ein erster Hinweis auf den Hersteller. Format und Anordnung der Frontscheinwerfer sind ein klares Indiz für das Modell Lambda. Wegen der bauartbedingt flachen Silhouette des Lambda mussten die Lampen entsprechend hoch angebracht werden.

Die Speichenräder mit Rudge-Zentralverschlussmutter „passen“ ebenso wie die großzügig dimensionierten Bremstrommeln, die an der Vorderachse vieler Wagen der frühen 1920er Jahre noch die Ausnahme waren.

Das Nummernschild mit dem Kürzel „I A“ verrät, dass dieser Lancia Lambda im Raum Berlin zugelassen war. Dieses in jeder Hinsicht herausragende Automobil fand einst auch in Deutschland enthusiastische Käufer.

In unserem Fall spricht allerdings einiges dafür, dass der fröhlicher Schrauber nicht mehr der Erstbesitzer ist. Der Wagen sieht schon stark gebraucht aus und dürfte in den Händen eines frühen Klassikerliebhabers gelandet sein, wohl irgendwann in den 1930er Jahren.

Jedenfalls deutet die Aufnahmesituation nicht auf eine Panne unterwegs hin, eher auf eine größere Reparatur im Motorraum. Dafür spricht die nicht bloß aufgeklappte, sondern komplett entfernte Motorhaube.

Unser Schrauber wirkt nicht gerade wie ein gut betuchter Besitzer, der mal eben unter der Haube nach dem rechten schaut. Es scheint eher ein junger Bastler zu sein, der den schon angejahrten Wagen vielleicht günstig bekommen hat und ihn am Laufen hält.

Ihm gilt unsere ganze Sympathie – denn, Hand aufs Herz: Wer würde einen Lancia Lambda nicht auch besitzen wollen, wenn er nur irgendwie erreichbar wäre? Nicht umsonst galt der Wagen dank einzigartiger Straßenlage und schwer zu übertreffendem Leistungsgewicht als ausgesprochen sportlich:

© Lancia Lambda, gefilmt 2015 in Goodwood; Videoquelle: youtube.com

Bei dem Lancia auf unserem Foto handelt es sich allerdings nicht um die bei Sportfahrern so begehrten offene Version, sondern um eine viersitzige Limousine (ital. Berlina) mit großzügigen Fenstern. Tatsächlich konnte der selbsttragende Karosseriekörper hier noch mit unterschiedlichen Aufbauten versehen werden.

Was wohl aus dem seltenen Wagen geworden ist? Wir wissen es nicht. Das Bild erzählt jedenfalls von der zeitlosen Magie klassischer Automobile und im glücklichen Gesichtsausdruck des längst dahingeschiedenen Schraubers erkennen wir uns selbst…

Wie sich die Zeiten ändern: Ein Citroen 5CV in Dieppe

Wer sich öfters auf diesen schwerpunktmäßig Vorkriegsautos gewidmeten Blog verirrt, hat es vielleicht schon bemerkt: Der in den 1920er/30er Jahren bedeutendste Volumenhersteller aus Deutschland ist bislang kaum vertreten: Opel.

Ja, es gibt eine Besprechung eines Opels von 1906 und eines herrschaftlichen Modells von 1910, außerdem das Porträt eines Opel 8/25 PS der frühen 1920er Jahre. Aber das waren allesamt Fahrzeuge aus Manufakturfertigung.

Was aber ist mit den Großserienwagen, mit denen Opel in der Zwischenkriegszeit den deutschen Markt eroberte? Ist sich der Kerl zu fein dazu, oder hat er eine generelle Abneigung gegen Opel?

Zur ersten Frage: Der Verfasser kann sich in Sachen historische PKW für dekadente Exoten wie auch für brilliante Massenprodukte begeistern. Hauptsache, die Wagen haben Charakter und geben eine gute Geschichte her.

Zur zweiten Frage: Ja, der Verfasser ist ein ausgesprochener Opel-Hasser. Das bezieht sich aber nur auf die Rüsselsheimer Produkte der 1980/90er Jahre wie Kadett D, Omega und Astra – alle bemerkenswert hässliche Gefährte und sagenhafte Roster.

Ansonsten wartet hier ein umfangreiches Archiv historischer Fotos der Opel-Modelle auf die Veröffentlichung, die einst den bis in die 1970er Jahre anhaltenden Ruf der Marke als Hersteller fast unzerstörbarer Alltagswagen begründet haben.

Nur der rechte Einstieg wollte gut gewählt sein. Kenner der Opel-Historie wissen: Am Anfang der Opel-Großserienproduktion stand ein Plagiat des Citroen 5 CV. Genau damit beginnen wir unsere Besprechung der populären Opel-Modelle bis in die 1950er Jahre:

© Citroen 5CV, Baujahr 1922-26; Ansichtskarte aus Sammlung Michael Schlenger

Unsere Reise in die Vergangenheit führt uns heute in die französische Hafenstadt Dieppe, die in der Normandie zwischen Le Havre und Calais am Ärmelkanal liegt.

Die obige Postkarte aus Dieppe zeigt eine vom Strand aus aufgenommene reizvolle Situation: Links die aus dem Spätmittelalter stammenden „Les Tourelles“ – eines der einstigen Stadttore, rechts das prächtige Theater im dekorativen Stil des auch architektonisch so erfindungsreichen späten 19. Jahrhunderts.

Auf die Bauten kommen wir noch zurück. Doch vorher beschäftigen wir uns mit dem offenen Wagen, der wie bestellt vor dem Theater geparkt hat.

Die Identifikation des Typs bereitet keine großen Schwierigkeiten. Die markant gestaltete Kühlerpartie, die Scheibenräder und die hochbeinige Ausführung sind Merkmale des ersten französischen „Volkswagens“, des Citroen 5 CV.

Zwischen 1922 und 1926 baute die französische Marke über 80.000 Exemplare des Vierzylindertyps, der bloß 11 PS leistete. Zu seiner Popularität trug der elektrische Anlasser bei, der dem Fahrer das Ankurbeln von Hand ersparte. Die Höchstgeschwindigkeit von 60km/h war weniger wichtig als der geringe Benzinverbrauch von 5 Litern auf 100 km.

Unser Foto und viele andere entlarven die Behauptung als Legende, der Citroen 5CV sei nur in der Farbe Gelb erhältlich gewesen sein. Dies trifft nur auf die ersten Fahrzeuge zu, danach war der Wagen in mehreren Lackierungen erhältlich.

Dass ein bis dahin als Premiumhersteller bekannter Autobauer wie Opel meinte, ab 1924 dieses simple Gefährt ohne Lizenz kopieren zu müssen, bleibt rätselhaft. Jedenfalls werden wir hier gelegentlich die entsprechenden Nachbauten von Opel und deren Weiterentwicklungen anhand originaler Fotografien vorstellen.

Viel mehr gibt es zu dem Wagen auf unserem Foto nicht zu sagen, wohl aber zur Umgebung. Da ist zum einen vor dem Theater das Heck einer ausgewachsenen Limousine zu erkennen, die sich aber nicht näher identifizieren lässt:

An dem Fahrzeug wie auch an der reich ornamentierten Fassade ist zu erkennen, dass in dem kleinen Hafenort einst auch die „feine Gesellschaft“ verkehrte.

Zum anderen ist am linken Ende der Postkarte ein Teil eines weiteren Automobils zu sehen. Auch hier lassen sich Hersteller und Typ nicht benennen. Umso klarer zeichnen sich die beiden Türme des ehrwürdigen Stadttores von Dieppe ab, die nahezu unverändert die Zeiten bis heute überdauert haben:

Die Versuchung liegt nahe, nach einer Ansicht der Örtlichkeit aus unseren Tagen Ausschau zu halten.

Die dem Meer zugewandte Seite von Dieppe nahm 1942 einigen Schaden, als die Alliierten dort einen für sie verheerend endenden Landungsversuch wagten (Operation Jubilee). Bei der späteren Invasion 1944 wurde die Stadt von der Wehrmacht kampflos geräumt und daher nicht wie geplant bombardiert.

Die Chance zur Wiederherstellung der beschädigten Bauten wurde nach dem Krieg leider nicht genutzt. Auch in Frankreich tobte sich die in den 1920er Jahren wurzelnde Ideologie aus, die der gefälligen, dauerhaften Baukunst der Vorfahren einen bis heute dominierenden Beton- und Stahlbrutalismus entgegensetzte. Damit gingen Abrissorgien einher, deren Ergebnisse Bombenangriffen nicht nachstanden.

Nur mit starken Nerven sollte man sich ansehen, wie der Aufnahmeort unseres Fotos heute aussieht (Ansicht von Dieppe). Wer sich fragt, woher die Leidenschaft für alte Autos, antike Möbel und historische Gebäude kommt, findet hier eine Antwort.

Nicht zufällig erhielt die Wertschätzung klassischer Formen und Materialien in den 1970er Jahren einen Schub, als Gestaltung und Haltbarkeit vieler Bauten und Alltagsgegenstände einen Tiefpunkt erreichten.

Das folgende Foto muss in dieser Zeit entstanden sein:

© Citroen 5CV, Baujahr 1922-26; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wir sehen hier eine fröhliche Dame irgendwo in Südeuropa auf Reisen und ihr hat es offenbar ein schon schwer gebrauchter Citroen 5CV angetan. Das brave Auto muss damals schon fast 50 Jahre unterwegs gewesen sein – ein eindrucksvoller Beweis der enormen Dauerhaftigkeit der Konstruktion.

So mögen sich zwar die Zeiten ändern – und das nicht immer zum Guten. Doch klassische Autos vermögen noch nach Jahrzehnten Nutzen stiften und Freude bereiten.

1919: Der erste 500er Fiat wird zum Riesenerfolg

Auch wer sich nicht für alte Autos begeistert, kennt und erkennt diese drei Ikonen der Massenmotorisierung: den Volkswagen „Käfer“, den „Mini“ von Austin und den 500er „Cinquecento“ von Fiat. Kein Wunder, dass es von allen drei Modellen zeitgenössische „Wiedergänger“ gibt.

Das nach Ansicht des Verfassers gelungenste dieser Retromobile ist der aktuelle Fiat 500, weil er von den Dimensionen dem Original recht nahe ist und in den engen Gassen italienischen Altstädten nach wie vor „bella figura“ macht.

Freunde von Vorkriegsautos wissen zwar meist, dass es bereits vor dem legendären 500er, wie er von 1957-75 gebaut wurde, einen ähnlich genialen Vorgänger gab – den von 1936-57 gebauten 500er „Topolino“. Der war übrigens von demselben brillianten Kopf konstruiert worden: Dante Giacosa.

© Fiat 500 Topolino, aufgenommen in Umbrien/Italien 2016; Bildrechte: Michael Schlenger

Doch bereits nach dem 1. Weltkrieg hatte Fiat einen „500er“ entwickelt und zielte damit auf eine Massenmotorisierung ab, wie sie Ford in den USA bewerkstelligt hatte. Der 2-sitzige Wagen, über den nur wenig bekannt ist, tauchte 1918 im Fiat-Katalog auf, kam allerdings über das Prototypenstadium nicht hinaus.

Das lag nicht nur daran, dass die Zeit für ein solches Volksauto im industriell rückständigen Italien noch nicht reif war. Vielmehr zeichnete sich beim darüber angesiedelten, ab 1919 produzierten Modell 501 ein derartiger Erfolg ab, dass man das Konzept des kleineren 500er nicht weiter verfolgte.

In gewisser Weise wurde der Fiat 501 mit seinem für die Zeit kompakten 1,5 Liter-Motor in den 1920er Jahren das, was der 500er ab den 30ern werden sollte: ein wirtschaftliches, zuverlässiges und ungemein robustes Auto.

Folgendes Originalfoto zeigt einen solchen Fiat 501 als offenen Viersitzer mit leichtem Verdeck, damals als Phaeton oder Tourenwagen bezeichnet:

© Fiat 501 der frühen 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Übrigens ist dieses scharfe und kontrastreiche Bild eine Ausschnittsvergrößerung einer deutlich größeren Aufnahme und lässt die technische Qualität ahnen, die Fotoapparate vor über 90 Jahren ermöglichten, wenn sie sachkundig bedient wurden.

Man mag sich fragen, wie sich dieser beliebig wirkende Tourenwagen als Fiat der 500er-Reihe identifizieren lässt. Nebenbei: die 500er-Reihe war bei Fiat ab 1918 für PKWs reserviert, 600er waren Lastwagen, 700er Traktoren und 800er Rennautos.

Um Klarheit zu gewinnen, vergrößern wir unser Foto weiter:

Mit etwas gutem Willen ist auf der Kühlerfigur bzw. dem Kühlerthermometer der Schriftzug FIAT zu erkennen. Außerdem ahnt man auf der Front der Kühlermaske eine ovale Plakette, auf der ebenfalls der Markenschriftzug angebracht war.

Nicht zuletzt ist die leicht birnenförmige Formgebung des Kühlers typisch für 500er Fiats, die nach dem 1. Weltkrieg bis zum Aufkommen der neuen klassischen Kühlerform gebaut wurden (siehe Bildbericht zum Fiat 520).

Zum Vergleich hier ein weiteres Originalfoto, bei dem auf der Rückseite die Modellbezeichnung Fiat 501, der Aufnahmeort Treviso (Venetien) und das Datum (1924) vermerkt sind:

© Fiat 501, aufgenommen bei Treviso (Oberitalien) 1924; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Bei diesem Unfallauto kann man die erwähnte Fiat-Markenplakette besser erkennen und die identische Kühlerform nachvollziehen.

Wer sich bei der Gelegenheit fragt: „Woher hat der Kerl solch ein Unfallfoto?“, dem sei mit einem Bonmot des Modeschöpfers, Ästheten und Sammlers Karl Lagerfeld geantwortet: „Ich suche auch das, was ich nicht suche.“ An solche Kuriosa gelangt man nur durch Zufall und wie sich hier zeigt, kann man sie irgendwann gebrauchen.

Kommen wir zur Papierform des Fiat 501: Der ruhiglaufende kleine Seitenventiler leistete in der Basisversion 23 PS, war aber auch in einer stärkeren Sportversion 501S verfügbar. Mit vier Gängen – für damalige Verhältnisse sehr leicht zu schalten – und Vierradbremse (ab 1924) war der Wagen auf der Höhe der Zeit, aber keineswegs innovativ.

Die Stärke des Fiat 501 lag in seinen Nehmerqualitäten, die ihm astronomische Laufleistungen erlaubte. Die sprichwörtliche Unzerstörbarkeit der Konstruktion sprach sich rasch herum. Man fühlt sich an das Model T von Ford erinnert.

Schon 1924 wurde der Wagen außer in Italien über Niederlassungen in Deutschland, England, Polen, Spanien, der Schweiz, Rumänien, Jugoslawien, der Türkei und Argentinien vertrieben. Rund 80.000 Exemplare des Fiat 501 wurden bis 1926 gebaut. Kein deutscher Hersteller erreichte in jener Zeit solche Produktionszahlen mit ein und demselben Typ. 

Werfen wir zuletzt noch einen Blick auf die Insassen des Fiat 501 auf unserem Foto:

Die beiden Herren sind nach Manier der 1920er Jahre weitgehend bartlos und für damalige Verhältnisse lässig gekleidet – sie tragen kein Jackett und keine Hüte. Dennoch wirken sie seriös, weil man damals noch verstand, dass es für das Sich-Entblättern eine Grenze gibt, die heutzutage bei sommerlichen Temperaturen meist ignoriert wird.

Vom Stilgefühl der Altvorderen kann man in vielerlei Hinsicht lernen. Und zumindest der heutige Fiat 500 darf als würdiger Widerhall einer fast 100-jährigen Tradition gelten…  

Einen Fiat 501 im Renneinsatz kann man übrigens hier bewundern.