Ein Chrysler aus Düsseldorf „auf Achse“ in Italien…

Die Überschrift des heutigen Artikels hat es in sich: Wir wir noch sehen werden, hat die „Achse“ hier eine doppelte, nicht unproblematische Bedeutung.

Bei vielen Automobil-Fotos der 1930er Jahre kommt man bei der Beschäftigung mit dem technischen Stand der Dinge an den damaligen politischen Verhältnissen nicht vorbei. Heute ist beides Historie und so kann man sich dem Gezeigten „sine ira et studio“ nähern, wie der Lateiner sagt – auf gut deutsch: „ohne Parteinahme“.

Kommen wir zur Sache – oder „medias in res“ auf Latein, das uns bei der Besprechung des folgenden Originalfotos noch hilfreich sein wird:

Chrysler_65_Roadster_Bozen_Galerie

© Chrysler 65 , Baujahr 1929-1931; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auf den ersten Blick könnte der Wagen auf dem Foto alles mögliche sein – eindeutige Markenkennzeichen scheinen zu fehlen. Mit etwas Erfahrung wird man aber ein amerikanisches Fabrikat vom Ende der 1920er Jahre vermuten. Dafür spricht unter anderem der stämmige Auftritt mit breiter Spur.

Zwar war der Motorisierungsgrad der Bevölkerung in den Vereinigten Staaten damals weltweit am höchsten. Doch gute Straßen waren in den USA auf dem Land ebenso die Ausnahme wie in Europa. Große Bodenfreiheit und breite Spur zeichneten daher die Alltagsautomobile der Amerikaner aus.

Von den US-Fabrikaten waren Mittelklassewagen der Marken Buick, Chevrolet, Chrysler und Ford damals in Europa am verbreitetsten. Oberklassefahrzeuge von Cadillac und Packard fanden zwar auch Abnehmer, blieben aber die Ausnahme.

Bei der Recherche des Fahrzeugs gelangt man mit einer Auswahl an gut bebilderten Büchern schneller zum Ziel als im Netz. Welchen Suchbegriff sollte man auch eingeben? Mit „2-sitziges Cabriolet Ende 1920er Jahre mit deutschem Kennzeichen vor antik wirkendem Gebäude“ wird man nicht weit kommen.

Machen wir es kurz: Nach etwas Blättern in Werken wie „American Cars in Europe 1900-1940: A Pictorial Survey“ lässt sich der Wagen als Chrysler 65 identifizieren, der von 1929-31 gebaut wurde:

Typisch für diesen Sechszylindertyp ist die vorne und hinten abfallende Linie der Luftschlitze in der Motorhaube. Die filigraner gezeichnete Kühlermaske erlaubt zudem die Unterscheidung vom Vorgängermodell 62.

Der Chrysler 65 stellte damals das kleinste Modell der Marke dar. Mit Vierzylindertypen trat man erst gar nicht mehr an, sondern bot bereits beim Einstiegsmodell sechs Zylinder mit über 3 Litern Hubraum. Ab Mitte 1931 leistete dieses Aggregat satte 75 PS. Kein europäisches Mittelklasseauto war damals auch nur annähernd so leistungsfähig.

Das Nummernschild verrät, dass der Wagen aus dem Raum Düsseldorf (Kennung IY) stammte. Die Besitzer waren offenbar Leute mit Geschmack; sie hatten nämlich die besonders gelungene zweisitzige Roadster-Variante gewählt.

Für die Schwiegermutter wäre zwar im Heck noch Platz gewesen – der gummierte Tritt auf dem rechten hinteren Kotflügel verweist auf eine von dort erreichbare ausklappbare Rückbank. Doch die Schwiegermutter wird angesichts der Strecke, die dieser Chrysler zum Aufnahmezeitpunkt hinter sich hatte, dankend verzichtet haben.

Damit wären wir bei der Frage, wo dieses wohlkomponierte Foto entstanden ist. Apropos Foto: Auf obigem Bild sieht man hinten auf dem Verdeckbezug eine geöffnete lederne Kameratasche liegen. Dem Format nach dürfte es sich ume eine der damals gängigen Balgenkameras mit großem Negativformat gehandelt haben.

Im Folgenden wird es für Nicht-Lateiner und Geschichts-Banausen etwas anstrengend, doch wir versuchen, die Situation allgemeinverständlich zu machen:

Das Gebäude im Hintergrund unserer Aufnahme zeigt ein an römische Triumphbögen angelehntes Gebäude in Bozen, der Hauptstadt von Südtirol. 

Italien hatte sich nach dem 1. Weltkrieg diese zuvor zum Habsburgerreich (Österreich-Ungarn) gehörende Region einverleibt und betrieb dort in der Folge eine von den deutschsprachigen Südtirolern als aggressiv empfundene Italienisierungspolitik.

Als Ausdruck des Herrschaftsanspruchs Italiens in Südtirol ließ das seit 1925 bestehende Mussolini-Regime das abgebildete Siegesdenkmal errichten.

Die lateinische Inschrift darauf lautet „Hic patriae fines siste signa. Hinc ceteros excoluimus lingua legibus artibus.“ Das kommt zwar stilistisch nicht an die Propaganda auf römischen Triumphbögen heran, die Aussage ist aber eine ähnlich selbstbewusste:

„Hier, an den Grenzen des Vaterlands stellt die Feldzeichen auf (als Symbol der militärischen Macht). Von hier aus haben wir den übrigen (Völkern) die (lateinische) Sprache, das Recht und die Künste beigebracht.“

Das ist eine Bezugnahme auf die zivilisatorische Leistung, die einst das römische Reich nach abgeschlossener Eroberung in seinen Provinzen zustandegebracht hat und die im heutigen Europa fortwirkt.

Nur: Italien hat im 20. Jahrhundert – bei aller Sympathie für Land und Leute – nichts Vergleichbares für Europa geleistet. Im Gegenteil: Das Regime von Benito Mussolini war in vielerlei Hinsicht die Blaupause für das Dritte Reich, das so viel Unglück über Deutschland und seine Nachbarn gebracht hat.

Der 1933 etablierte deutsche Führerstaat kopierte im Äußeren einiges vom italienischen Vorbild – bis hin zu den theatralischen Aufmärschen mit Feldzeichen nach römischer Art. Es war die Sympathie des Diktators in Berlin für den Kollegen in Rom, die die politische Achse zwischen den beiden Hauptstädten begründete.

Vor diesem Hintergrund hätte unser von deutschen Urlaubern „auf Achse“ in Italien aufgenommene Foto mit der bewussten Einbeziehung des Monuments des Bündnispartners einen tieferen Sinn. Mitte der 1930er Jahre könnte das Bild also aufgenommen worden sein. 

Das Ergebnis des Achsen-Bündnisses war fatal: Erst trieb es Deutschland in die von Italien leichtsinnig begonnenen Feldzüge auf dem Balkan (1941) und Nordafrika (1941-43) hinein, dann bescherte es Italien ab 1943 – nach dem Verlassen des Bündnisses – ein deutsches Besatzungsregime und Bombardierungen durch die Alliierten.

Vor diesem Hintergrund stimmt diesen scheinbar harmlose Urlaubsfoto nachdenklich. Nach Meinung des Verfassers sind die Völker Europas gut beraten, wenn sie ihre Eigenheiten bewahren, die Grenzen der Nachbarn respektieren und im Übrigen untereinander Handel und freundlichen Umgang betreiben – rabiate Vereinnahmungsversuche von irgendeiner Seite sind Europa nie gut bekommen.

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