Lichtblick im Novembergrau: DKW F1 in Meißen

Der November macht auch 2016 seinem saumäßigen Ruf alle Ehre: Kalt und regnerisch ist es, die Tage werden kürzer und kürzer. Für Liebhaber des alten Blechs eine schwere Zeit – wenn man mal von den Briten absieht, die mit ihren Klassikern zu jeder Jahreszeit durchs Gelände toben:

© Videoquelle: YouTube

Den Schwarzsehern hierzulande sei diese kurze Filmsequenz ans Herz gelegt, die keine graumelierten Herren beim Speichenputzen und Nietenzählen zeigt. Denn in England hat die Vorkriegsszene jede Menge Zulauf von jungen Leuten.

Auch die holde Weiblichkeit hat dort kein Problem, sich mitten im November in einem ungeheizten Vauxhall richtig durchschütteln zu lassen. Aber die Engländerinnen sind auch aus einem speziellen Holz geschnitzt.

Anlass zu Depressionen gibt schon eher, dass im Heimatort des Verfassers junge Männer bei deutlichen Plusgraden bereits mit Skimützen und dicken Handschuhen herumlaufen und selbst dann noch verfroren wirken.

Erschwerend kommt hinzu, dass man auf der Straße nur noch langweiliges Gegenwartsblechplastik fahren sieht. Der obligate SUV-Stau vor der örtlichen Schule mag ja bei schönem Wetter noch erträglich sein, weil einem zum Ausgleich öfters im Alltag betriebene Fiat 500, BMW 02 und VW-Käfer begegnen.

Doch im November stehen die Chancen bei uns schlecht, überhaupt einen Klassiker auf der Straße zu Gesicht zu bekommen.

Vor 80 Jahren sah das ganz anders aus. Die heute oft zu Tode gepflegten Vehikel von einst mussten damals ganzjährig ihren Dienst verrichten. So auch dieser DKW F1, der an einem trüben Regentag in der Altstadt von Meißen unterwegs war:

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© DKW F1 in Meißen, Mitte der 1930er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Vermutlich haben im Westen der Republik schon mehr Leute einen DKW-Fronttriebler der 1930er Jahre gesehen als diese grandiose Stadtansicht.

Klar: Von einer Kleinstadt mit 20.000 Einwohnern kurz vor der polnischen Grenze muss man ja auch nichts wissen. Umso ausführlicher wurde Insasse hessischer „weiterführender Schulen“ in den 1980er Jahren mit den vorbildlichen Verhältnissen unter totalitären Regimen auf Kuba und in Nicaragua vertraut gemacht…

Dabei ist Meißen eines der städtebaulichen Kleinode, an denen der Osten unseres Landes so reich ist. Die spektakulär über der Elbe gelegene Anlage mit Dom und Schloss sowie die angrenzende Altstadt lag wie Görlitz außerhalb der Reichweite der angloamerikanischen Bomberflotten und blieb so glücklicherweise erhalten.

Nach diesem Aufruf, zur Erbauung die Schönheit der östlichen Teile unseres Landes zu erkunden, kehren wir zum eigentlichen Objekt des Interesses zurück:

Wer nun diesen kleinen DKW mit gerade einmal 18 PS belächelt – der Zweisitzer hatte sogar nur 15 PS – muss sich in die Situation in Deutschland Anfang der 1930er Jahre versetzen.

Wirtschaftlich lag das Land am Boden. Weltwirtschaftkrise und die erdrosselnden Auflagen des Versailler Vertrags sorgten für Massenarbeitslosigkeit und Armut.

Bereits der Besitz eines motorgetriebenen Zweirads war ein Privileg. Wer ein Fahrrad besaß, konnte sich ebenfalls glücklich schätzen. Ansonsten gab es für den Weg zur Arbeit oder zur Schule nur die Möglichkeiten: Bus, (Straßen-)Bahn, zu Fuß.

Als DKW auf der Internationalen Automobilausstellung in Berlin 1931 den DKW F1 vorstellte, war das der günstigste Wagen, der dort zu sehen war. Für alle, die zuvor die zuverlässigen Zweitaktmotorräder von DKW gefahren waren, verhieß dieses Auto mit der vertrauten Technik den ersehnten Aufstieg.

Wer zuvor bei Wind und Wetter auf zwei Rädern unterwegs war, scherte sich nicht um den filigranen Aufbau aus Sperrholz und Kunstleder, der bei einem Unfall kaum Schutz bot. Entscheidend war das Dach über dem Kopf und das Prestige, endlich zu den Autofahrern zu gehören.

Denn der DKW F1 sah trotz bescheidener Dimensionen wie ein richtiges Auto aus. Die mäßig motorisierten Zweitaktwagen aus Zwickau wären wohl nicht so erfolgreich gewesen, wenn sie nicht von Anbeginn so gefällig gestaltet gewesen wären.

Wer sich in die formalen Feinheiten der DKW-Vorkriegsautos vertiefen will, hat auf diesem Blog reichlich Gelegenheit dazu.

Beim Stöbern in der DKW-Bildergalerie, die alle PKW-Modelle bis zum 2. Weltkrieg zeigt, und in den Blogeinträgen zu DKW wird auch der graueste Novembertag in der Gegenwart zum Vergnügen…

Wer dann immer noch Lust auf altes Blech an einem Novembertag hat, sollte sich Zeit für folgende ausführlichere Exkursion nehmen. Man lernt dabei zu schätzen, dass die Briten sich einen Eigensinn bewahrt haben, der hierzulande als verdächtig gilt:

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