Beinah‘ ein kleiner Rolls… DKW Typ P 15 PS

Heute trägt er aber besonders dick auf, unser „Blog-Wart“ – um die Wortschöpfung eines geschätzten Lesers zu verwenden. So mag jetzt der eine oder andere unter Ihnen denken.

Und die DKW-Freunde werden ohnehin der Meinung sein, dass ihre zweitaktenden Lieblinge solche Vergleiche gar nicht nötig haben. „Macht er sich am Ende lustig über DKWs erstes Serienautomobil?“

Nein, mit Spott bedenke ich regelmäßig nur das von manchen für ein Auto gehaltene „Kommissbrot“ von Hanomag – was mich nicht davon abhält, demnächst wieder einige Fotos auch dieser abwegigen Konstruktion zu zeigen, denn das verlangt die Chronistenpflicht.

Wie man vom 1928 vorgestellten DKW Typ P 15 PS ausgerechnet auf Rolls-Royce kommt, das will ich heute vorführen und vielleicht verstehen Sie am Ende, wie diese Idee entstand.

Beginnen wir zunächst mit einem schönen Dokument, welches mir Leser und DKW-Spezialist Volker Wissemann in digitaler Form zur Verfügung gestellt hat. Es zeigt den vierrädrigen Erstling des renommierten Motorradherstellers in der Ausführung als zweisitziges Cabriolet:

DKW Typ P 15 PS, 2-Sitzer-Cabrio; Originalfoto: Sammlung Volker Wissemann

Man mag die Motorisierung des DKW mit gerade einmal 600ccm messendem Zweizylindermotor belächeln – Ende der 1920er Jahre war das an sich nicht mehr zeitgemäß.

Doch die Zeiten waren schwer und mit diesem Gerät konnte man die höhere Hubraumsteuer konkurrierender Modelle von Opel, Hanomag und Dixi unterbieten.

Hinzu kam die extreme Einfachheit der Zweitaktmotoren, welche vom Motorrad her kommenden Erstkäufern entgegenkam. Ansonsten sprach eigentlich nichts für den kleinen DKW – weder beim Kaufpreis noch in der Leistung bot er Vorteile.

Nicht einmal einen soliden Stahlrahmen bot er – die Karosserie bestand aus einem selbsttragenden Holzkorpus. Bei DKW wusste man wohl um die Nachteile des Konzepts und so scheint man besondere Sorgfalt auf die Gestaltung gelegt zu haben.

Tatsächlich war der kleine DKW – wie die meisten seiner Nachfolger – durchaus attraktiv gezeichnet. Kein anderer deutscher Hersteller sollte in der Kleinstwagenklasse Autos bauen, die so erwachsen und wohlproportioniert wirkten.

Speziell die einfachste Version – der offene Zweisitzer mit leichtem Roadsterverdeck – erschien geradezu sportlich:

DKW Typ P 15 PS Roadster; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hier haben wir übrigens ein ganz frühes Exemplar, bei dem das DKW-Emblem noch nicht auf einer etwas vorspringenden Fläche auf dem Kühlergehäuse angebracht ist.

Dass hier bei allen Qualitäten gestalterisch noch Luft nach oben war, das mag der ein odere andere Besitzer schon damals festgestellt haben.

Tatsächlich hatte sich ein unbekannter DKW-Fahrer vorgenommen, seinen kleinen 15 PS-Wagen gleich um mehrere Klassen aufzuwerten.

Vermutlich hat er unter der Haube alles beim alten gelassen, doch mit geschickten Modifikationen hat er dafür gesorgt, dass sein Wagen auf den ersten Blick wie ein kleiner Rolls-Royce daherkam:

DKW Typ P 15 PS, modifizierter Zweisitzer; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wäre da nicht immer noch das DKW-Logo auf dem Kühler, könnte man dieses offene Exemplar doch glatt für eine Miniaturausgabe des Rolls-Royce Phantom I halten, von dem es damals auch Roadster-Ausführungen gab.

Dieser Effekt ist vor allem auf zwei Elemente zurückzuführen:

Das eine sind die riesigen Chrom-Scheinwerfer, welche sicher von einem weit größeren Fahrzeug stammten. Das andere ist die schräggestellte Frontscheibe, die ich so noch nie beim DKW 15 PS gesehen habe.

Die beiden Damen sitzen weit hinten auf der ausklappbaren Rückbank, welche sich ganz am Ende befindet – noch hinter der Dachabschluss. Dadurch erscheint das Auto weit größer, als es wirklich war.

Wie sich die tatsächlichen Verhältnisse darstellten, wird einem schlagartig klar, wenn man das Originalfoto in seiner Gesamtheit betrachtet:

Man ist beinahe enttäuscht – die Illusion eines Rolls-Royce „en miniature“ war doch zu schön und nun hält die schnöde Wirklichkeit wieder Einzug.

Dennoch meine ich, dass dies ein sehenswertes Beispiel für meine These ist, dass es bei historischen Fahrzeugen nicht nur „den“ einen Originalzustand gibt, welchen ein Auto beim Verlassen der Fabrikationshalle für ohnehin meist nur kurze Zeit aufwies.

Nein „original“ im Sinne von historisch authentisch ist daneben auch jeder Zustand, in welchem die Wagen einst nachweislich im Alltag unterwegs waren – also mit zeitgenössischen Extras, individuellen Umbauten, nutzungsbedingten Beschädigungen und späteren Veränderungen, die einem Mangel an Ersatzteilen oder neuen Vorschriften geschuldet waren.

Jedenfalls würde ich den heute vorgestellten DKW – wenn er sich denn so erhalten hätte – auch genau in diesem Zustand belassen, nicht zuletzt deshalb weil er dadurch ein ganzes Stück nobler wirkt als die serienmäßige Variante.

Erwähnt sei abschließend noch die „geknickte“ Scheinwerferstange, die ebenfalls nicht der Serie entsprach. Ob diese selbst fabriziert oder von einem anderen Wagen „ausgeliehen“ war, das sei dahingestellt.

Bei einer Frage können Sie mir aber vielleicht noch helfen: War dieser DKW denn nun ein Roadster – dafür würde die einteilige Frontscheibe sprechen – oder ein zweisitziges Cabrio – worauf eine ansatzweise zu erkennenden Sturmstange an der Seite hindeutet?

Und wie immer gilt: Jeder Kommentar auch zu Aspekten, die ich übersehen oder falsch interpretiert habe, ist willkommen. Nur was den Titel „Beinah‘ ein kleiner Rolls…“ angeht, bin ich unbelehrbar – das Teil wirkt einfach so auf mich, und das ist als Kompliment gemeint…

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Herummäkeln zwecklos! DKW PS 600 Roadster

Die zwecklosen Dinge sind die Würze des Lebens, meine ich.

Ein früherer Vorgesetzter von mir fragte bei allen möglichen Gelegenheiten: „Ist das wirklich notwendig?“ – Meine genervte Antwort war irgendwann, dass man mit der Notwendigkeit als Maßstab über kurz oder lang wieder in der Steinzeit landet.

Wer an Automobile – das teuerste Konsumgut für die meisten – ohne Not mit einer reinen Zweckbetrachtung herangeht, ist ein armer Tropf. Selbst ein praktischen Verwendungen dienendes Gefährt sollte gefällig daherkommen, gern auch etwas angeberisch.

Manche meinen zu wissen, wieviel(e) Auto(s) man braucht, wie groß es sein darf, was es verbrauchen soll usw. Diese Bevormunderei ist in Deutschland mit seiner Kontroll- und Neidkultur leider besonders ausgeprägt.

Doch was geht es andere an, wenn ich mir einen großen Spritsäufer mit V8 zulege, der völlig unzweckmäßig ist, wenn ich damit pro Jahr nur einige hundert Kilometer fahre?

Die automobile Realität sah und sieht für die breite Masse in Deutschland doch in Wahrheit prosaisch aus. Für angebliche Exzesse fehlt es den meisten am Spielgeld – „Vater“ Staat muss vorrangig gemästet werden, das wollten die Deutschen schon immer so.

Die automobile Bescheidenheit sehe ich jeden Tag selbst hier im Speckgürtel von Frankfurt/Main. Fast alle Leute, die selbst dafür bezahlen müssen, fahren banale Gebrauchtwagen, überwiegend von günstigen Herstellern aus Asien oder Frankreich.

Neue deutsche „Premiumautos“ sind die Domäne von Dienstwagenfahrern oder Möchtegerns, welche sich zwar keinen Wagen kaufen, aber leasen können. Beides war in der Vorkriegszeit weitgehend unbekannt, und ein Auto zu besitzen, war in Deutschland ein Privileg an sich.

Man kann sich kaum vorstellen, dass das erste DKW-Automobil – der simple Zweitakttyp P 15 PS von 1928 – seinerzeit einen exklusiven Besitz darstellte, den man mit Stolz präsentierte:

DKW Typ P 15 PS, 2-sitziges Cabriolet; Originalfoto: Volker Wissemann

So gefällig dieser Kleinwagen auch aussah, war er doch in technischer Hinsicht noch von nackter Notwendigkeit geprägt.

Der 600ccm messende Zweizylindermotor war aus einem Motorradaggregat abgeleitet, die Karosserie war zwar selbsttragend, aber weitgehend aus Holz.

Das wohl einzige Komfortmerkmal waren die mittig an der Vorderachse angebrachten Reibungsstoßdämpfer, die man auf dem Foto von Volker Wissemann gut erkennen kann.

Gestalterisch indessen – das muss man DKW lassen – war dieses Gefährt ausgesprochen gelungen, was übrigens auch für die späteren Modelle gilt. Von der ungeschlachten „Schwebeklasse“ abgesehen, sah ein DKW stets mindestens eine Klasse besser aus, als es seinen Fahrleistungen entsprach.

Nicht ganz 5.000 Exemplare seines automobilen Erstlings P 15 PS brachte DKW in dreieinhalb Jahren (Juni 1928 bis Dezember 1931) an den Mann. Diese extrem niedrige Zahl für einen Kleinwagen kündet von der erschütternden Armut im Deutschland jener Zeit.

Und dennoch gab es auch damals eine Minderheit, der bei aller Ungemach der Sinn nach radikal Unvernünftigem stand – diese Leute verdienen unsere besondere Sympathie.

So bot DKW neben der 15 PS-Standardausführung eine um sagenhafte 3 Pferdestärken leistungsgesteigerte Sportversion an. Sie mögen jetzt lächeln, aber in Verbindung mit weniger Gewicht (ca. 500 kg) und echter Roadster-Optik war das schon ein Lichtblick.

Das als PS 600 firmierende Gerät wurde parallel zum P 15 PS in weit geringeren Stückzahlen gefertigt – ganze 500 Wagen entstanden bis 1931.

Nicht zufällig hat dieses unvernünftige Fahrzeug erstaunlich viele Spuren hinterlassen. Die eine oder andere Aufnahme habe ich über die Jahre bereits hier vorgestellt.

Erst vor kurzem stieß ich wieder auf ein Exemplar, und das in einem durch und durch bürgerlichen Umfeld, wo es ansonsten im Alltag eher zweckmäßig zuzugehen hatte:

DKW PS 600 Roadster; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Klar, hier haben wir es nicht gerade mit einer Arbeitersiedlung zu tun, die hohen Sprossenfenster deuten auf einen gewissen Wohlstand hin. Aber selbst so zweckmäßige Dinge wie einen Kühlschrank oder einen Staubsauger gab es auch dort noch meist nicht.

Wie kam da jemand auf die Idee, sich ausgerechnet so ein unvernünftiges Gefährt ohne jeden praktischen Nutzen vor die Tür zu stellen? Nun, weil es jemand wollte und vielleicht dafür bereit war, auf anderes zu verzichten oder etliche Extraschichten einzulegen.

Leider wissen wir nichts über den Besitzer dieses DKW PS 600 mit Zulassung in Herford (Westfalen). Immerhin konnte er seine Freundin, Schwester oder die charmante Nachbarin überreden, doch einmal auf dem Fahrersitz zu posieren.

Gar nicht so schlimm, dieses unpraktische Automobil, stellt man bei näherer Betrachtung fest:

Hier ist alles Herummäkeln zwecklos – den kleinen Sportwagen würde kaum jemand wieder aus der Garage schubsen, wenn sich einer der wenigen Überlebenden dorthin verirren würde.

Ohne solche Dinge, die einen über das rein Zweckmäßige erheben, sind wir einfach nur arme Wichte, die auf Erden freudlos ihre Zeit absitzen und ein Dasein als Sklaven vorgeblicher Notwendigkeiten führen…

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Alles im Eimer? Ein DKW P15 „Kübelwagen“

Militärfahrzeuge sind normalerweise eine ernsthafte Angelegenheit und sie spielen in meinem Blog allenfalls am Rand eine Rolle.

Wer selbst noch zu Zeiten des Kalten Kriegs gedient hat, weiß aber auch, dass Soldaten berufsbedingt einen speziellen Humor haben – schon deshalb verbietet sich übrigens die Anwesenheit von „Frauensvolk“ (Filmzitat, nicht bös gemeint…) beim Militär.

Dieser Humor speist sich aus unterschiedlichen Quellen, wie ich als einstiger Panzergrenadier weiß: dem schwer erträglichen Gehabe komplexbehafteter Unteroffiziere, evident sinnlosen Befehlen und absurden am Schreibtisch ersonnenen Vorschriften, nicht zuletzt dem Auseinderklaffen zwischen dem maßlosen Anspruch deutscher Exzellenz und dem praktischem Versagen von Kriegsgerät schon bei moderater Inanspruchnahme.

Ging es anno 1988/89 auf eigener Kette zu einer Übung, so waren die ersten unserer „Marder“-Schützenpanzer schon kurz hinter dem Rotenburger Kasernentor „im Eimer“. Ganz so lachhaft wie heute war der Zustand der Truppe damals aber wohl noch nicht.

Vom „Eimer“ ist der Weg nicht weit zum „Kübel“ – und um diese eigentümliche Fahrzeuggattung geht es heute. Im offiziellen Sprachgebrauch nannte man die auf Zivil-PKW basierenden offenen Militärfahrzeuge „Kübelsitzwagen“.

Diese Bezeichnung bezog sich auf die Sitze, die besonderen Seitenhalt bieten sollten, im Idealfall in Kombination mit offenen Türausschnitten. Hier haben wir ein typisches Exemplar in Form eines Stoewer M12 RW:

Stoewer M12 RW Kübelwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieses 1940 in der Normandie aufgenommene Fahrzeug habe ich vor längerem hier ausführlich präsentiert.

Solche Wagen mit Kübelsitzaufbau boten praktisch alle deutschen PKW-Hersteller an – in der Hoffnung, an lukrative Aufträge der Reichswehr (später Wehrmacht) zu gelangen.

Die Initiative ging also häufig von den Firmen selbst aus und man scheute sich nicht, auch mit schwach motorisierten Modellen anzutreten, wie etwa Hanomag mit dem Typ 3/20 PS.

Doch vielleicht im Vertrauen auf die Ahnungslosigkeit praxisferner Entscheider am Schreibtisch wagte sich mancher auch mit noch weniger Leistung in den Ring.

Wenn ich nicht völlig danebenliege, haben wir es hier mit so einem Fall zu tun:

DKW Typ P15 „Kübel“ (vermutlich); Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

An diesem Fahrzeug ist offenbar so ziemlich alles „im Eimer“ und es ist irgendwo neben einer Holzbaracke abgestellt worden.

Vier gutgelaunte Soldaten der Reichswehr hält das nicht davon ab, mit diesem Gefährt frohen Mutes und siegesgewiss an die Front zu „fahren“.

Das Gerät ist übrigens eine Beispiel für eine Variante des Kübelwagens, die einfache Türen aufweist – welche freilich ebenso leicht zu entfernen waren, wie man sieht.

Der Zustand mit platten Reifen, ausgeschlachteten Scheinwerfern und geöffneter Haube lässt darauf schließen, dass dieser Kübelwagen am Ende seiner Dienstzeit angelangt ist.

Das macht ihn freilich kaum weniger interessant. Denn dieses Exemplar fehlte bislang in meiner Kübelwagen-Galerie, die ich bis dato für ziemlich vollständig hielt.

Was könnte hier als Ausgangsbasis gedient haben? Das wollte auch der Besitzer der Originalaufnahme, Leser Klaas Dierks, von mir wissen.

Mir kam an der Frontpartie einiges auffallend bekannt vor:

Bitte prägen Sie sich folgende Details ein:

Kühlergehäuse, trommelförmige Scheinwerfer, optisch zweigeteilte und mit Sicken versehene Kotflügel, Scheibenräder mit vier Radbolzen – nicht zuletzt die Art und Weise, wie die gewölbte Blechpartie hinter der Motorhaube auf den unteren Windschutzscheibenabschluss trifft.

Nun werfen wir einen Blick auf einen DKW des Typs P15 PS, der 1928 als erstes Serienauto des bis dahin als Motorradproduzent bekannten sächsischen Herstellers eingeführt wurde.

Hier haben wir aus ähnlicher Perspektive festgehalten ein vollkommen ziviles Exemplar:

DKW Typ P 15 PS, Roadster, 1928/29; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Sicher sehen Sie die weitgehenden Übereinstimmungen, aber auch einige Unterschiede.

Abweichend ausgeführt sind beim serienmäßigen DKW Typ P 15 PS vor allem die seitlichen Luftschlitze in der Motorhaube. Doch auch der Kühler scheint anders gestaltet zu sein.

Dazu muss man allerdings wissen, dass der neuentwickelte DKW auch mit einem Kühler gebaut wurde, welcher dieselbe Ausbuchtung auf dem Oberteil aufwies wie der zuvor gezeigte „Kübelwagen“.

Ein besonders schönes Beispiel dafür zeigt diese Aufnahme aus dem Fundus von Leser und DKW-Experte Volker Wissemann:

DKW Typ P 15 PS, 1928/29; Originalfoto: Sammlung Volker Wissemann

Auf diesem Foto erkennt man außerdem klar eine oben ausstellbare Windschutzscheibe, wie sie auch das von Reichswehr-Männern „besetzte“ Fahrzeug aufweist.

Nicht irritieren lassen sollte man sich von den den mittig an der Vorderachse angebrachten Reibungsstoßdämpfern, die sich als Extra nicht an jedem Fahrzeug fanden.

Volker Wissemann kann auch diesbezüglich mit dem passenden Beweisfoto aufwarten:

DKW Typ P 15 PS, 1928/29; Originalfoto: Sammlung Volker Wissemann

Zwei Hauptunterschiede bleiben indessen: Die abweichenden Luftschlitze in der Motorhaube und nicht zuletzt die Länge des Chassis.

Den DKW gab es ausweislich der Literatur (Thomas Erdmann: DKW Automobile 1904-1945, Verlag Delius Klasing) nur als Zwei- oder Dreisitzer. Auch konnte ich in den mir zugänglichen Quellen keinen Hinweis auf eine Kübelwagenversion finden.

Aber: Die Prototypen des DKW P15 PS besaßen ebenfalls noch senkrechte Haubenluftschlitze, wie sie sich übrigens auch an der Sportversion PS 600 finden.

Ich vermute daher, dass der Reichswehr-Wagen, an dem so ziemlich alles „im Eimer“ war, ein speziell für die Truppenerprobung gebautes Fahrzeug auf Basis des DKW P15 mit verlängertem Chassis war.

Eine bessere Erklärung für die vielen auffallenden Übereinstimmungen mit dem zivilen Model bzw. dessen Prototyp habe ich nicht. Aber vielleicht weiß es ja jemand besser als ich und das Fahrzeug entpuppt sich als etwa ganz anderes.

Dann wäre zwar mein schöner Blog-Eintrag „im Eimer“, aber Niederlagen gehören nicht nur beim Militär zum Geschäft. Auf verlorenem Posten kämpfen, ist sinnlos, auch wenn es nur um eine harmlose Sache wie die Deutungshoheit bei alten Autofotos geht.

Daher gilt nun, liebe DKW-Experten: Feuer frei!

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Das einfach Schöne…DKW F2 Meisterklasse von 1933

Auch wenn es um Vorkriegsautos geht, kommt man an Altmeister Goethe nicht vorbei. Was Shakespeare für das Englische ist – ein Lieferant von Lebensweisheit in allen Lagen – das war und ist der Weimarer Dichterfürst für uns Deutsche.

„Das einfach Schöne soll der Kenner schätzen…“, so sagt die adlige, doch uneheliche Eugenie zur Hofmeisterin in Goethes Werk „Die natürliche Tochter“ von anno 1803.

Natürlich kannte ich als Inhaber eines hessischen Schmalspurabiturs dieses Werk bis heute abend gar nicht. Die Klassiker kamen im Deutschunterricht viel zu kurz, wurden bestenfalls auszugsweise gelesen, stattdessen gab es „progressive“ Autoren, deren Namen und Werke ich vergessen habe.

Zum Glück lässt sich später alles nachholen. Denn das Großartige an unserer Zeit ist ja, dass jedermann das Wissen und die Weisheit, die Mythen und die Moden aller Epochen offenstehen – es ist alles aus zweieinhalb Jahrtausenden da, kostenlos verfügbar.

Und so genießen wir heute das von Goethe empfohlene „einfach Schöne“ anhand eines Produkts, von dem er nichts ahnen konnte – welches ihm aber vielleicht gefallen hätte, weil er damit entschieden leichter in sein geliebtes Italien gelangt wäre.

Dazu genügten vor rund 90 Jahren bereits 20 Pferdestärken aus einem Zweizylinder-Zweitaktmotor mit knapp 700ccm Hubraum – das war die Spezifikation des Wagens, den ich Ihnen heute unter dem Motto „Das einfach Schöne“ nahebringen will:

DKW F2 Meisterklasse von 1933; Originalfoto aus Schenkung von Helga Diettrich

Jeder Freund von Vorkriegsautos wird sofort ausrufen: „Das ist ein DKW!“ – niemand sonst baute Anfang der 1930er Jahre so „einfach schöne“ Kleinwagen.

Ich weiß nicht, wer für die Gestaltung der DKW-Zweitaktwagen verantwortlich war, jedenfalls wirken sie in allen bis zum 2. Weltkrieg gebauten Varianten einfach stimmig, geradezu vollkommen proportioniert.

Und das obwohl die Aufbauten mit einer Kombination aus Sperrholz und Kunstleder nicht sonderlich widerstandsfähig oder dauerhaft waren. Aus Blech waren an der Karosserie nur die Motorhaube, die Kotflügel und die Kühlermaske.

Trotz der Einfachheit der Konstruktion wirkt alles auf merkwürdige Weise richtig – man wüsste bei DKW-Wagen generell nicht, was man anders daran gestalten wollte (Ausnahme: die ungeschlachte „Schwebeklasse“ ab 1934).

Nun wissen die DKW-Freunde natürlich, wieviele Veränderungen es äußerlich an diesen adretten Autos gab, das ist fast eine Wissenschaft für sich. Doch zum Glück gibt es zwei Werke, die einem bei der Einordnung helfen:

Zum Einstieg empfehle ich das „DKW-Fotoalbum 1928-1942“ von Jörg Lindner, Verlag Kleine Vennekate, 2010. Zur Vertiefung ideal ist dann „DKW Automobile 1907-1945“ von Holger Erdmann, Verlag Delius-Klasing, 2012.

Damit munitioniert lässt sich der DKW auf obigem Foto wie folgt ansprechen: Die Motorhaubengestaltung gab es zwar noch beim Typ F5 anno 1935, doch die gerade Unterseite der Frontscheibe verweist auf das frühere Modell F2.

Dieses wurde 1932 als Nachfolger des ersten DKW-Fronttrieblers F1 eingeführt, doch erst 1933 gab es die hier abgebildete Variante mit von Chromleisten eingefassten Luftschlitzen in der Kühlermaske:

Eindrucksvoll ist das Profil des in Fahrtrichtung linken Vorderreifens, während der rechte völlig abgefahren ist – vermutlich handelt es sich um ein Ersatzrad, auf das man mangels Alternativen zurückgriff.

Das Nummernschild mit dem Kürzel „IIA2“ verweist auf eine Vorkriegszulassung im Raum Stuttgart. Darüber ist ein Nebelscheinwerfer zu sehen – dieser DKW war trotz aller Schönheit im Einfachen eindeutig kein Schönwettervehikel.

Leider wissen wir nicht, wozu der großgewachsene Herr den Wagen nutzte, der daneben abgelichtet ist. Der DKW F2 war 1,47 Meter hoch, sein Besitzer muss eine beeindruckende Erscheinung gewesen sein.

Wir kennen sogar seinen Namen – „Johannes Diettrich“ ist auf der Rückseite vermerkt.

Das für mich wirklich „einfach Schöne“ ist dies: Johannes Diettrich war der Großvater der Dame, die mir dieses Foto im Original übereignet hat. Heute fand ich es wohlbehalten in meinem Postfach vor, nachdem es in Flensburg auf die Reise geschickt worden war.

Die Enkelin war der Ansicht, dass dieses Dokument bei mir eine angemessene Würdigung erfahren würde, und ich muss sagen, dass mich das sehr rührt.

Dass einander fremde Menschen so selbstverständlich freundlichen Umgang miteinander pflegen – das mag ebenfalls das „einfach Schöne“ sein, was Meister Goethe einst meinte. Das gibt ein Vorbild für den Alltag ab, von dem wir auch heute lernen können.

So gewinnt am Ende das alte Foto eines Vorkriegsautos einen überzeitlichen Wert. Und die DKW-Experten sind hoffentlich einverstanden mit der Einordnung des Wagens…

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Herr Doktor hat heut‘ Zeit! DKW F8 Luxus Cabriolet

Besuch beim Arzt oder Besuch vom Arzt – beides gehört normalerweise zu den Dingen, auf die man gern verzichtete. Wobei man heilfroh ist, dass es ihn gibt…

Ich kenne aus der Kinderzeit noch den Landarzt des alten Schlags. Dr. Gundermann war ein freundlicher älterer Herr, der seine Praxis in einer Jugendstilvilla am Ortseingang hatte.

Das war für mich als Kind aus einem der Neubaugebiete der 1960er Jahre (immerhin hatten wir einen großzügigen Bungalow) der früheste Kontakt mit Qualitätsarchitektur. Vertieft wurde der später durch die phänomenale Bausubstanz in meiner Geburtsstadt Bad Nauheim und in Friedberg/Hessen, wo ich das Augustiner-Gymnasium besuchte.

Das mag erklären, weshalb ich für die seit 100 Jahren immergleichen Schuhkasterlbauten der „Moderne“ nur Mitleid übrighabe. Zum Glück hat in Europa trotz der Verheerungen der Weltkriege genügend unseres baulichen Erbes überdauert, dass man dieses aufsuchen und darin eintauchen kann.

Dabei ist es keineswegs nur elegante, opulente oder repräsentative Architektur, die mich anzieht. Auch durchschnittliche Bauten auf dem Lande hatten in der Historie eine Qualität, die mich immer wieder fragen lässt: was ist bei uns eigentlich schiefgelaufen?

Ich meine, dass es nicht allein die Katastrophe des 2. Weltkriegs war, welche die Traditionslinien hierzulande unwiderbringlich gekappt war. Dass man sich speziell in Deutschland entschlossen hat, nur noch progressiv zu sein, das kam erst später.

Folgendes Foto aus meiner Sammlung illustriert, dass auf dem Lande eine zumindest äußerlich heile Welt überdauert hatte, auch wenn in jedem Dorf die Gefallenenmahnmale des 1. Weltkriegs eine traurige „Ergänzung“ erhielten.

Egal, wie Ihnen gerade zumute ist, ganz gleich was sie belastet, deprimiert oder erzürnt – versetzen Sie sich in die frühe Nachkriegszeit, nehmen Sie Platz und genießen diese Szene:

DKW F8 Front Luxus Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ist das nicht wunderbar? Jetzt stellen Sie sich im Hintergrund einen Sichtbeton-Bau der Gegenwart vor und direkt neben Ihrem Tisch ein Nissan Micra Cabriolet…

Sehen Sie, was ich meine? Die Situation auf diesem Foto ließe sich mit modernem Material nicht wiederholen, stattdessen würde man sich hier sofort „sauwohl“ fühlen, nicht wahr?

Dabei ist diese Aufnahme in einer Zeit großer Not entstanden, und es stellte ein außerordentliches Privileg dar, einen solchen Moment „heile Welt“ genießen zu können.

„Herr Doktor hat heut‘ Zeit“ – so lautet das Motto, also nehmen wir uns ebenfalls Zeit und schauen, was dieses Dokument hergibt. Beginnen wir links mit dem offenen Wagen, der auf den ersten Blick kostspielig wirkt. Der zweite Blick offenbart, worum es sich handelt:

Gewiss, das war einmal ein ziemlich luxuriöses Fahrzeug. Der Kühlergrill erinnert tatsächlich stark an die sächsische Premiummarke Horch.

Dabei haben wir es mit einem 20 PS-Auto zu tun. Das verrät die Form des Kühleremblems, welche typisch für eine andere Marke aus dem Auto Union-Verbund war – DKW!

Die frontgetriebenen DKWs mit ihren sparsamen und zuverlässigen Zweitaktmotoren wurden nach ihrer Einführung anno 1931 im Lauf der Zeit äußerlich immer raffinierter.

Speziell das ab 1935 verfügbare Luxus-Cabriolet besaß eine Qualität, welche den Standardausführungen abging: Stahlkarosserie, reichlich Chrom und Ledersitze. Die Motorleistung blieb zwar dieselbe, aber das tat dem Prestige keinen Abbruch.

Unser Foto zeigt die letzte Variante des Front Luxus Cabriolets auf Basis des 1939 eingeführten DKW F8 – hier erkennbar an den senkrechten Streben im Kühlergrill.

Dieses Detail erlaubt die Ansprache sogar bei einem des Zierrahmens und Markenemblems auf dem Kühler beraubten Wagens wie diesem, der kurz nach dem 2. Weltkrieg in Chemnitz fotografiert wurde:

DKW F8 Front Luxus Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Wagen auf dieser Aufnahme hat untenliegende Scheibenwischer, während an dem oben gezeigten Fahrzeug die spätere Anordnung am oberen Scheibenrahmen zu sehen ist.

Die Karosserien dieser DKW F8 Front Luxus Cabriolets sollen erst im Horch-Werk entstehen, wurden aber aus Kapazitätsgründen von Baur in Stuttgart gebaut. Es handelte sich letztlich um teure Manufakturfahrzeuge, die alles andere als volkstümlich waren.

Aufgrund ihrer geringen Leistung wurden die DKW-Zweitakter im Krieg vom Militär nur fern der Front eingesetzt. Eingezogen wurden sie aber durchaus, sofern der zivile Besitzer keine Gründe dafür vorbringen konnte, dass er darauf angewiesen ist.

Hier haben wir einen F8 mit geschlossenem Aufbau, das bei einer Luftwaffenheit zum Einsatz kam – wie üblich mattgrau bzw. mattblau lackiert:

DKW F8 Front Luxus Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Nach einigen Jahren Militäreinsatz blätterte die Lackierung der Chromteile ab und schon ist man bei der Optik des oben gezeigten F8 Luxus Cabriolets.

Dieses Auto muss also im Krieg bei einer Militäreinheit unterwegs gewesen sein. Nach der Kapitulation der Wehrmacht im Mai 1945 gab es noch zahlreiche solcher PKW, die über Nacht herrenlos wurden.

Was die Sieger übrigließen, fand bald wieder neue Besitzer, denn neue Autos gab es erst einmal so gut wie keine. Dass ehemalige Wehrmachtsfahrzeuge auf neue Privatbesitzer zugelassen wurden, war an der Tagesordnung – das wurde pragmatisch gehandhabt.

Speziell Ärzte und Veterinäre auf dem Land gehörten zu den ersten, die wieder motorsiert waren – sofern sie nicht ohnehin den Krieg über ihre Autos behalten konnten.

Sie haben sicher das Schild mit dem Roten Kreuz und der Aufschrift „Arzt“ hinter der Windschutzscheibe des eingangs gezeigten DKW gesehen. Demnach gehörte dieser F8 in der Cabriolet-Ausführung nach dem Krieg einem Doktor – wobei ich das Nummernschild noch nicht einordnen konnte (Lösungsvorschläge willkommen!).

„Herr Doktor hat heut‘ Zeit!“ so mag einst die junge Dame gejubelt haben, die hier zusammen mit der Mutter(?) bei einem Arztbesuch der vergnüglichen Art abgelichtet wurde:

Die beiden gut gebräunten Herren scheinen das Wochenende zu einem Ausflug auf’s Land irgendwo im Mittelgebirge oder Alpenraum (vermute ich) genutzt zu haben.

Hier haben gerade vier Menschen viel Freude miteinander und aneinander, ganz wunderbar. Dabei liegt das Grauen des Kriegs noch nicht weit zurück. Ein Zeuge davon ist nicht nur der ziemlich mitgenommene ehemalige Wehrmachts-DKW.

Haben Sie das zweite Auto im Hintergrund bemerkt? Man darf sich nicht von den großen Scheinwerfern täuschen lassen: Das ist ein VW-Kübelwagen, der wie der DKW nach der Kapitulation auf verschlungenen Pfaden einen neuen Besitzer gefunden hat.

Was mögen die zwei Autos und die vier Menschen auf dieser Momentaufnahme in den Jahren davor erlebt haben? Wir wissen nichts davon, aber eines sagt uns dieses Foto: Der Mensch ist ein Überlebenskünstler.

Zum Überleben braucht es freilich im Zweifelsfall nicht nur einen guten Arzt, sondern auch die schönen Dinge im Leben, an denen man sich erfreuen oder auf die man sein Streben ausrichten kann.

„Herr Doktor hat heut‘ Zeit – vielleicht unternehmen wir ja eine Fahrt im Cabriolet!“. Das ist ein Arztbesuch der schönsten Art und mein Wort zum Sonntag: Lassen Sie sich vom Gang der Dinge nicht betrüben, machen auch Sie etwas draus!

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Glück und Tragik: DKW F7 „Meisterklasse“ von 1937

Im Leben gehören Glück und Tragik untrennbar zusammen. Wir können das Dasein göttergleich genießen, solange uns das Glück uns hold ist – doch die Endlichkeit holt uns unweigerlich ein – irgendwann.

Diese Tragik versucht der Mensch seit Urzeiten immer neu zu verarbeiten, irgendwie erträglich zu gestalten, manchmal ihr gar einen Sinn abzuringen.

Die dem Leben zugewandten Griechen konstruierten ihre Mythologie ganz um dieses irdische Menschenschicksal herum – das Jenseits spielte nur eine unerbauliche Nebenrolle.

Der Maßstab für Kunst ist für mich, dem Spannungsverhältnis zwischen flüchtigem Glück und final triumphierender Tragik Ausdruck zu verleihen.

Während ich diesen Blog-Eintrag schreibe, höre ich eine Musik, die ich erst heute kennengelernt habe. So fand ich in der Post eine bestellte CD, die ich vergessen hatte. Darauf befinden sich zwei Werke des englischen Komponisten Henry Purcell (1659-1695).

Das erste strotzt vor Opulenz und Glanz – es ist die Ode „Come Ye Sons of Art“, die Purcell anlässlich des Geburtstags von Queen Mary im Jahr 1694 schrieb.

Das versetzt mich in die rechte Stimmung, um die Schönheit eines Automobils zu preisen, das für mich einen gestalterischen Gipfelpunkt in den späten 1930er Jahren darstellt:

DKW F7 „Meisterklasse“ von 1937; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Nie zuvor und nie wieder danach wurde ein Kleinwagen von solcher klassischer Vollkommenheit gebaut. Dieses Auto, dessen Zweitaktmotor gerade einmal 20 PS leistete und das mit Mühe Spitze 85 km/h erreichte, besaß alle äußeren Attribute eines Luxusautomobils, bloß brilliant ins Kleinformat übertragen.

Normalerweise funktioniert so etwas nicht, aber die Gestalter der Auto-Union, welche damals für das Erscheinungsbild der vier unter diesem Dach vereinten Marken Audi, DKW, Horch und Wanderer zuständig waren, vollbrachten das Meisterstück.

So erhielt dieser DKW des Ende 1936 eingeführten Frontantriebstyps F7 verdientermaßen die Bezeichnung „Meisterklasse“ – wobei der Zusatz eigentlich nur auf die gehobene Ausstattung mit verchromtem Kühlergehäuse, Chromstoßstangen und Chromradkappen sowie Zweifarblackierung verweisen sollte.

Die ebenfalls verchromte Hutze am oberen Windschutzscheibenrahmen gab es so nur 1937, was eine entsprechend präzise Datierung solcher DKWs erlaubt.

Bevor wir in dieser Ode auf den DKW F7 „Meisterklasse“ zum nächsten Stück wechseln, sei noch angemerkt, dass mir bei der ersten Aufnahme das Fehlen von Menschen keinen Nachteil darzustellen scheint. Die ländliche Ruhe mit den grasenden Kühen in Verbindung mit diesem aus idealer Perspektive fotografierten DKW lässt keine Wünsche offen.

Dennoch stellt der DKW auch mit seinen einstigen Besitzern einen erfreulichen Anblick dar – dieses Foto verdanken wir ebenfalls Leser Klaas Dierks:

DKW F7 „Meisterklasse“ von 1937; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Passend zur Purcell’schen Geburtstagsode für Queen Mary kommt mir diese adrette junge Dame tatsächlich wie ein kleine Königin vor – sie hat genau studiert, wie die feinen Damen aus altem Erb- und neuem Geldadel sich in der Öffentlichkeit gaben.

Sie macht ihre Sache so gut, dass man glatt vermuten könnte, dass sie auch für Modemagazine ihrer Zeit posierte. Dagegen sieht ihr Partner am Lenkrad etwas naiv in die Kamera, aber er ist hier nur unmaßgebliches Beiwerk.

Dass man besonders faszinierend erscheinen kann, wenn man gerade nicht in die Kamera blickt, das werden wir gegen Ende bestätigt finden.

Vorher werden wir allerdings noch Zeuge einer dritten Situation mit demselben DKW – und hier kündigt sich an, dass gerade dann, wenn alles nach unseren Wünschen zu gehen scheint, das Schicksal unheilvoll dazwischenfunken kann.

Unsere Altvorderen wussten damit freilich umzugehen, zumindest was die allfälligen Reifenpannen betrifft, die auch den bestpräparierten Automobilisten ereilten. Dann ging man(n) unaufgeregt an die Arbeit, während „sie“ die Situation fotografisch festhielt:

DKW F7 „Meisterklasse“ von 1937; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Passend dazu ist soeben Purcell’s Geburtstagsode an Queen Mary zuendegegangen.

Das nun folgende zweite Werk ist ganz anderen Charakters. Es beginnt mit einem feierlichen Marsch in langsamem Schritt – um was genau es sich handelt, verrate ich zum Schluss.

Damit will ich überleiten zu einer abschließenden Aufnahme eines DKW F7 „Meisterklasse“. Sie zeigt wiederum ein Exemplar aus dem Jahr 1937, diesmal aber nicht als heitere Cabrio-Limousine, sondern als ernster daherkommende Limousine.

Davon abgesehen findet man an dem Wagen alle erwähnten Attribute – bloß der verchromte Kühler ist hier nicht erkennbar, denn ein ernst in die Ferne blickender Mann mit Akkordeon hat darauf Platz genommen:

DKW F7 „Meisterklasse“ von 1937; Originalfoto aus Besitz von Heidemarie Valentin

„In the midst of life“ – „Mitten im Leben“ so singt gerade der unvergleichliche englische Monteverdi Choir unter John Eliot Gardiner im Hintergrund.

Mitten im Leben, so scheint es, ist einst diese Aufnahme irgendwo im Fränkischen entstanden, das lässt die Zulassung im Raum Nürnberg jedenfalls vermuten. Irgendwann zwischen 1937 und 1939 muss das gewesen sein.

Der feierliche Ernst des Mannes auf dem Kühler verleiht dieser Aufnahme seine ganz besondere Aura. Zwar denkt man bei einem Akkordeon zunächst an heitere, gefällige Musikstücke – doch wer schon einmal etwas vom Bandoneon-Großmeister Astor Piazolla gehört hat, weiß dass solche Instrumente zu allem fähig sind.

Zudem wirkt der gebräunte und makellos gekleidete Mann mit der hohen Stirn nicht gerade wie irgendein zur Volksbelustigung aufspielender Musikus.

Gerade hat die letzte Nummer auf der CD begonnen, die mich heute begleitet hat. Wieder ist es ein feierlicher Marsch. Damit endet ein Werk, das Henry Purcell nach dem Tod von Queen Mary 1695 schrieb, also kurz nachdem er sie noch mit seiner Geburtstagsode gefeiert hatte.

Mitten aus dem Leben – mit nur 32 Jahren – riss damals der Tod diese faszinierende Frau. Henry Purcell starb kurz danach, mit Mitte Dreißig, auf dem Höhepunkt seines Könnens.

Mitten aus dem Leben riss der Tod auf dem Schlachtfeld 1944 in Frankreich auch den ernsten Musiker auf dem Kühler des DKW F7. Auf einem deutschen Soldatenfriedhof bei Versailles hat er seine letzte Ruhestätte gefunden, wie man zu sagen pflegt.

Dabei hätte er viel lieber nicht schon so früh geruht und stattdessen mit seiner Tochter noch einige glückliche Jahre gelebt. Sie wurde Ende 1944 geboren und hat ihn nie kennenlernt.

Ihre Mutter heiratete später einen anderen ehemaligen deutschen Soldaten, der nach der Kriegsgefangenschaft auf der Suche nach einer neuen Heimat war – die alte lag unerreichbar im verlorenen Schlesien. Er war der deutlich ältere Bruder meiner Mutter und so ist die Tochter des ernsten Musikanten auf dem DKW F7 „Meisterklasse“ meine Stiefcousine.

Streng genommen sind wir gar nicht miteinander verwandt, und doch verbindet uns ein herzliches Verhältnis – ein geheimnisvolles Band, an dem die Zeit unauffällig geknüpft hat. So überwiegt am Ende bei aller Tragik des Geschehenen vielleicht doch ein kleines Glück.

Die Musik dazu: Henry Purcell, Music for the Queen Mary, Monteverdi Choir & Orchestra, J.E. Gardiner, Erato/Warner Classics 1977/2014

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Na gut – ein letztes Bild noch… DKW Typ P 15 PS

Eigentlich hatte ich das Kapitel des ersten DKW-Serienautos – des 1928 erschienen Typs P 15 PS- für mich als abgeschlossen betrachtet.

Nicht, dass ich keine Sympathien für das kleine Gefährt hegte. Es sah für seine geringe Größe geradezu elegant aus – auf jeden Fall wie ein richtiges Automobil, auch wenn die Karosserie weitgehend aus Sperrholz bestand, das mit Kunstleder bespannt war.

Das daraus resultierende geringe Gewicht – speziell bei den nur 500-600 Kilogramm wiegenden offenen Versionen – erlaubte akzeptable Fahrleistungen trotz gerade einmal 15 PS Höchstleistung des Zweizylinder-Zweitaktmotors.

Gerade im Vergleich zum etwas billigeren, aber primitiven Hanomag 2/10 PS bot DKW seinen Kunden ein durchaus flottes und auch optisch ansprechendes Einsteigerauto:

DKW Typ P 15 PS, 2-sitziges Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses Exemplar verfügte sogar über ein richtiges Cabriolet-Verdeck, das innen gefüttert war und aufgespannt von einer Sturmstange in Form gehalten wurde wie bei den Großen.

Häufig wählten die oft vom Motorrad kommenden und mit den Eigenheit des Zweitaktantriebs vertrauten Kunden jedoch die einfachere Roadster-Ausführung, die nur über ein ungefüttertes Notverdeck verfügte und anfänglich nur einen Stoßdämpfer an der Vorderachse besaß (statt zwei wie beim Cabriolet).

Einige Fotos der Roadster-Ausführung habe ich bereits vorgestellt und in meine DKW-Galerie aufgenommen. Leser Klaas Dierks hat mir ein weiteres Exemplar aus seinem Fundus zur Verfügung gestellt, dass ich bei dieser Gelegenheit noch zeigen will:

DKW Typ P 15 PS, Roadster; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Hier lässt sich die ansprechend gestaltete Flanke studieren, an der die weitgehend übereinstimmenden Proportionen von Motorhaube und Tür auffallen – sicher ein beabsichtigtes Element.

Die leicht ansteigende Vorderpartie und die waagerecht (statt sonst meist vertikal) ausgeführten Haubenschlitze geben dem Wagen eine gewisse Spannung und Dynamik.

Jetzt ist es aber auch gut mit diesem ersten DKW des Typs P15 PS – schließlich gibt es unzählige andere adrette und interessante Vorkriegsfahrzeuge zu betrachten.

Den viel besser informierten und sortierten DKW-Freunden in meiner Leserschaft kann ich ohnehin auf diesem Sektor wenig bieten – wenn es nicht gerade einmal wieder ein Exemplar der wunderbaren Front Luxus-Cabriolets der 1930er Jahre ist…

Doch dann fand ich kürzlich eine Aufnahme, die den Titel meines heutigen Blog-Eintrags rechtfertigt. Also gut, eine letzte Aufnahme noch vom DKW Typ P 15 PS!

DKW Typ P 15 PS, 3-sitziges Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die technische Qualität und die ungewöhnliche Perspektive allein rechtfertigen schon die Präsentation dieses DKW Typ P 15 PS.

Tatsächlich ist auf keinem der bislang in meiner DKW-Galerie versammelten Exemplare die Frontpartie dermaßen gut zu erkennen. Hier sieht man in wünschenswerter Deutlichkeit das auf einem Vorsprung der Kühleroberseite angebrachte DKW-Emblem.

Frühe Exemplare dieses Typs verfügten dagegen nur über ein flach auf dem Kühler angebrachtes Markenemblem, das aus seitlicher Perspektive oft kaum erkennbar ist.

Insofern ist diese Aufnahme ein Novum in meiner Sammlung von Aufnahmen des DKW Typ P 15 PS, während der Aufbau als dreisitziges Cabriolet bereits in meiner DKW-Galerie vertreten ist.

„Na gut, ein letztes Bild noch“ – das mag auch die leicht genervt dreinschauende junge Dame gesagt haben, nachdem sie ihr fotobegeisterter Partner so lange bearbeitet hat, bis sie weich wurde. „Mitzie, ein Bild habe ich noch auf dem Film, und Du weißt doch, wie gern ich Dich zusammen mit unserem DKW sehe.“

Vermutlich hatte er die Kamera zuvor auf einem Stativ vor dem Wagen montiert, dabei aber irrtümlich den Selbstauslöser bereits ausgelöst. Während er noch auf sie einredet, erkennt sie die ausweglose Lage und macht die beste ihr gerade noch mögliche Miene:

Wir nehmen nach diesem letzten Foto Abschied vom DKW Typ P 15 PS – aber natürlich nur so lange, bis wieder eine Aufnahme dieses Typs auftaucht, die so sehenswert ist, dass man dafür alle Prinzipien über den Haufen wirft…

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Heiß-Macher: DKW Kompressor-Renner von 1932

Was verbindet man landläufig mit einem Tuner? Die Hifi-Freunde bezeichnen damit ein sich bedeutend gebendes Radioempfangsgerät und die Gebrauchtwagen-Fraktion jemanden, der Serienautos mit lautem Auspuff und hartem Fahrwerk langsamer und instabiler macht.

Vor dem 2. Weltkrieg kannte man beides nicht – dafür gab es andere merkwürdige Leute, die brave Großserienmotoren „frisierten“ und „heißmachten“. Was ist von solchem Treiben zu halten? Nun, eine ganze Menge, wenn man die richtigen Männer ranlässt.

Vom Tun – nicht Tuning – eines dieser Heiß-Macher kann ich heute ein eindrucksvolles Dokument zeigen. Und wie es der Zufall will, hieß der Verantwortliche auch noch Gerhard Macher – manche Namen sind einfach Programm.

Das wäre mir allerdings nicht möglich, wenn mich Vorkriegsrennsport-Experte Michael Müller nicht auf die richtige Fährte gebracht hätte. Er hat das Foto, um das es geht, nach einigen Recherchen in seinem Fundus richtig einordnen können und am besten zitiere ich ihn selbst an den entscheidenden Stellen.

Die Welt des Vorkriegsrennsports ist mir zwar nicht völlig fremd, doch habe ich davon letztlich nur oberflächliche Kenntnis. Ab und zu läuft mir ein Foto zu, das an diese technisch und kulturhistorisch bedeutende Facette der Mobilität erinnert.

Die folgende Aufnahme, die mir Leser Volker Wissemann zur Verfügung gestellt hat, ist so ein Fall. Sie passt perfekt an den Anfang der Geschichte, die ich heute erzählen darf:

DKW PS 600 Rennversion; Originalfoto aus Sammlung Volker Wissemann

Der Renner, der hier dynamisch durchs Bild prescht, war der erste vom DKW-Werk gefertige Wagen mit ernshaften sportlichen Ambitionen – der Typ PS 600.

Basierend auf dem braven DKW P 15 PS hatte man damit eine leichtere und etwas stärkere (20 PS) Variante geschaffen, die ab 1929 zum Einsatz kam. Davon gab es übrigens auch eine Straßenversion mit 18 PS, etwas mehr Blech und Notverdeck.

Unterdessen arbeiteten die DKW-Rennleute längst an wirklich heißgemachten Sportwagen, die dem PS 600 nur noch äußerlich ähnelten.

O-Ton Michael Müller: „Auf Basis des PS entstanden 1929 vier Werkswagen, die beim Großen Preis von Deutschland auf dem Nürburgring zum Einsatz kamen. Die Autos hatten Vierzylinder-Motoren, die aus zwei Zweizylinder-Motorradagreggaten zusammengesetzt waren und eine Ladepumpe besaßen.“

Einen davon fuhr Gerhard Macher. „Macher war ein Zweitaktmann mit Leib und Seele, Werkstattleiter bei der großen Berliner DKW-Vertretung Bittrich.“ Er war 1928 von Dixi in Eisenach gekommen und hatte bereits mit dem Dixi 3/15 PS Sporterfahrung gesammelt.

Macher trat Anfang 1929 mit einem heißgemachten DKW P 15 bei der Rallye Monte Carlo an und regte anschließend im Spandauer DKW-Werk den Bau des PS 600 an. Er stand auch in Kontakt mit Arnold Zoller, dem damaligen „Zweitakt-Kompressor-Papst“.

1930 wurde wiederum auf Initiative Machers ein neuer DKW-Werksrennwagen gebaut – abermals mit Vierzylinder-Doppelmotor, nun aber mit 1100ccm und mit den Achsen des neuen Serienmodells DKW 4=8.

Ich zitiere wieder Michael Müller: „Das Auto wurde für die Saison 1932 erneut umgebaut, nun mit einem Bimotor mit zweimal 400ccm (bzw. 375 ccm, je nach Hubraumklassen der Veranstalter) und Zoller-Kompressor.“

Arnold Zoller war 1931 zu DKW gekommen, um den DKW-Motoren ordentlich Dampf zu machen, vor allem im Zweiradbereich. Seine Kompetenz wurde aber auch von Gerhard Macher geschätzt, der nun Zoller für die Autosparte einspannte.

Der mit Zoller-Kompressor ausgestattete DKW-Werksrenner von anno 1932 „wurde mit einer aerodynamischen Front versehen, und genau um den geht es bei dem Foto“. Das schrieb mir Michael Müller zu dieser Aufnahme:

DKW Werksrennwagen von 1932; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Bedingt durch Belichtung und Aufnahmequalität erscheint bei diesem Schnappschuss der Kühlereinlass heller, als er tatsächlich war.

Das tut aber der Tatsache keinen Abbruch, dass wir hier einen 1932er DKW-Werksrenner mit Zoller-Kompressor auf uns zurasen sehen, wie er unter anderem auf der AVUS in Berlin, aber auch bei lokalen Veranstaltungen wie dem Lückendorfer Bergrennen eingesetzt wurde (Quelle: Michael Müller).

Dass wir es bei diesem heißgemachten Zweisitzer mit einem sportlichen DKW-Derivat zu tun haben, hatte ich zwar aufgrund der Vorderachskonstruktion in Erwägung gezogen, doch wäre ich nicht imstande gewesen, dieses Fahrzeug zu identifzieren.

Genau dafür hat man Freunde und Gleichgesinnte in der Vorkriegsszene. Michael Müller konnte übrigens noch einen drauflegen und lieferte mir eine Aufnahme der nächsten Ausbaustufe des 1932er DKW-Rennwagens.

„Für die Saison 1933 wurde der DKW zum Monoposto umgebaut, er war der erste Renwagen mit den vier Auto-Union-Ringen. Der Motor soll 80 PS geleistet haben, was in Anbetracht des Kompressors und der Mitarbeit Zollers glaubhaft ist.“

Und genau dieses gemeinsame „Machwerk“ mit gerade einmal 800ccm Hubraum sehen wir anlässlich des Debüts beim AVUS-Rennen 1933:

DKW 800 Macher-Zoller-Rennwagen von 1933; Originalfoto via Michael Müller

Bei solchen Dokumenten und derartig genialen „Machenschaften“ könnte man glatt noch zum Rennsportfan werden – doch dafür bräuchte es ein zweites Leben.

Glücklich kann sich daher schätzen, wer sich auf Enthusiasten verlassen kann, deren Passion bereits die Renngeschichte ist und die ihren Wissensschatz nicht für sich behalten.

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Sensation: Adler einst auch Teil der „Auto Union“!

Mit dem reißerischen Titel meines heutigen Blog-Eintrags sichere ich mir die Aufmerksamkeit von gleich zwei Fraktionen deutscher Vorkriegsauto-Freunde:

Die Fans der Frankfurter Traditionsmarke Adler kommen hier ebenso auf ihre Kosten wie diejenigen, deren Liebe den unter dem Dach der Auto-Union zusammengefassten Marken gilt. Dazu zählen nach herkömmlicher Auffassung Audi, DKW, Horch und Wanderer.

Wie soll Adler Teil dieses 1932 Konglomerats gewesen sein, ohne dass es jemand außer mir bemerkt hat? Das geht natürlich nur, wenn man „Auto-Union“ sehr großzügig auslegt.

So wurde bereits 1927 in Hamburg eine Firma mit der Bezeichnung „Selbstfahrer Union Deutschlands“ gegründet. Sie sollte die spätere Auto-Union überleben, denn sie existierte bis 1970.

Dass diese „Selbstfahrer Union“ in gewisser Weise auch eine Art „Auto Union“ war und mit dieser ganz erhebliche Überschneidungen aufwies, diese Erkenntnis hat mir folgender Zufallsfund beschert, der mir im Netz auf der Verkaufsplattform „eBay“ gelang:

Broschüre der Selbstfahrer Union Deutschlands; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Dies ist das Deckblatt einer 1938 erschienenen kleinen Broschüre. Das Aufmacherbild macht noch heute Lust auf eine Landpartie im offenen Wagen, auch wenn man weiß, dass diese Reklame unter dem Regime der Nationalsozialisten entstand.

Über dessen Charakter ist alles bekannt und gesagt. Ich weigere mich aber, reflexartig alles für verwerflich zu erklären, was damals entstand. Beispielsweise wird die fabelhafte Autobahn-Infrastruktur jener Zeit nicht dadurch entwertet, dass der NS-Staat damit ältere Pläne umgesetzt und das vorhandene Können der Ingenieure und Arbeiter genutzt hat.

So muss man auch nicht dieses hervorragend gelungene Reklamefoto zwanghaft als Bekenntnis zu „arischen“ Idealen interpretieren. Die selbstbewusst in die Ferne deutende „Wasserstoff“blondine hätte man auch jenseits des Atlantiks zum Fototermin eingeladen.

Zurück zur Auto-Union – korrigiere: Autofahrer-Union, nein Selbstfahrer-Union. Diese war gewissermaßen ein früherer Vorläufer von „Car Sharing“-Konzepten.

Im Unterschied zu einer klassischen Autovermietung, die es ebenfalls bereits gab, musste man Mitglied sein und einen fixen Jahresbeitrag zahlen, um die verfügbaren Fahrzeuge nach Bedarf nutzen zu können.

Im gesamten Deutschen Reich gab es Stützpunkte, außerdem Niederlassungen in mehreren Nachbarstaaten:

Broschüre der Selbstfahrer Union Deutschlands; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Voraussetzung für die Mitgliedschaft war der „Ariernachweis“ – man sieht: ganz kommt man an der Ideologie jener Zeit nicht vorbei.

Der reguläre Jahresbeitrag betrug 10 Reichsmark, Soldaten der Wehrmacht mussten nur 3 Mark berappen. Einen Sonderrabatt (5 RM) genossen zudem Mitglieder nationalsozialistischer Organisationen wie SA, SS, NSKK usw.

Je nach dem, welches Auto man auswählte, fielen dann individuelle Nutzungsgebühren an.

Diese staffelten sich nach Entfernung, Nutzung wochen- oder feiertags sowie natürlich nach Wagentyp. Auf jeden Fall war eine Kaution von 100 Reichsmark fällig, die zugleich der Selbstbeteiligung im Rahmen der separat zu zahlenden Versicherung entsprach.

Bemerkenswert ist nun, welche Wagen die Selbstfahrer-Union anbot. Blättern wir doch einfach durch die Broschüre durch und schauen, welche Typen verfügbar waren:

Broschüre der Selbstfahrer Union Deutschlands; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Das Einsteigerangebot stellte kaum überraschend der obige DKW F7 mit Zweitaktmotor und Frontantrieb dar. Günstiger und zuverlässiger konnte man kaum vier Personen einigermaßen kommod und mit ordentlichem Landstraßentempo transportieren.

Sicher gab es noch kompaktere Wagen am deutschen Markt, doch das waren keine vollwertigen Automobile, weshalb sie reine Nischenexistenzen führten.

Den kleinen DKW – der übrigens die vier Ringe der Auto-Union auf dem Kühler trug – konnte man ausweislich der Broschüre als Cabrio-Limousine wie abgebildet oder als ganz geschlossene Ausführung „buchen“.

Ebenfalls aus dem Hause DKW gab es daneben dieses Schmuckstück:

Broschüre der Selbstfahrer Union Deutschlands; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Technisch bot der DKW F7 in der Ausführung als Luxus-Cabriolet gerade einmal 2 PS mehr und eine etwas höhere Spitzengeschwindigkeit (die Literatur nennt 85 km/). Doch ästhetisch wie von der Verarbeitung her repräsentierte dieser Wagen eine Klasse für sich.

Die bei Horch gebaute Karosserie war mit Blech beplankt, nicht mit Kunstleder bespannt, serienmäßig gab es sportlich wirkende Drahtspeichenräder, Zweifarblackierung und reichlich Chrom. Besonders elegant war die wie ein Kometenschweif auslaufende seitliche Zierlinie.

Gestalterisch war der DKW von den großen Horch-Wagen aus dem Auto Union-Verbund inspiriert und mir fällt kein Kleinwagen ein, der jemals wieder diese formale Klasse erreicht hätte.

Bevor wir uns weiteren alten Bekannten aus dem Hause Auto-Union widmen, kommt als nächster tatsächlich ein Adler an die Reihe:

Broschüre der Selbstfahrer Union Deutschlands; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Zumindest in der Selbstfahrer-Union führte der ebenfalls frontgetriebene, aber mit 4-Zylinder-Viertakter souveräner motorisierte Adler eine friedliche Koexistenz mit dem DKW der Auto-Union.

Dabei waren die beiden in der Praxis scharfe Konkurrenten. Solventere Käufer entschieden sich für den solideren und erwachsener wirkenden Frankfurter, an dem es gestalterisch nichts zu mäkeln gab, wenngleich der Verbrauch merklich höher war.

Dass bereits ein kleines Mehr an Spitzengeschwindigkeit damals allgemein mit deutlich höheren Verbräuchen erkauft wurde, zeigt der nächste Kandidat – wiederum ein Adler:

Broschüre der Selbstfahrer Union Deutschlands; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Der ebenfalls frontgetriebene große Bruder des Adler Trumpf Junior kam zwar mit optisch windschnittiger erscheinender Frontpartie daher, doch unter dem Strich brachte das nicht viel.

Der Geschwindigkeitszuwachs war überschaubar – immerhin konnte jetzt die magische Marke von 100 km/h geknackt werden. Ansonsten fiel der weit stärkere Motor (38 statt 25 PS) durch erheblich höheren Verbrauch auf, war allerdings auch elastischer.

Nach diesem Adler-Intermezzo kehren wir wieder zur „echten“ Auto-Union zurück, und zwar in Form des Wanderer W 24:

Broschüre der Selbstfahrer Union Deutschlands; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Man fragt sich in Anbetracht der Leistungsdaten, weshalb die Selbstfahrer-Union neben dem Adler Trumpf auch den in etwa gleichstarken Wanderer W24 im Programm hatte.

Ich kann mir das nur damit erklären, dass man in dieser Kategorie die Wahl zwischen Front- und Heckantrieb sowie zwischen progressiver und konservativer Formgebung bieten wollte.

Dabei bot jedoch ausgerechnet der Wanderer mit seinen traditionellen Trittbrettern zugleich einige Gestaltungsdetails, die vergleichsweise modern wirkten. Das hilt für die Kühlerpartie und die angedeutete Verbindung zwischen Vorderkotflügeln und Motorhaube.

Formal stimmiger kommt mir jedenfalls der Adler vor, wenngleich seiner Linie ein Trittbrett ebenfalls gutgetan hätte.

Nochmals teurer – und wesentlich – durstiger war der Sechszylindertyp Wanderer 40:

Broschüre der Selbstfahrer Union Deutschlands; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Bei allen Qualitäten krankt dieses Modell an derselben formalen Unentschlossenheit, die irgendwo zwischen Tradition und Moderne umherirrt.

Vom größeren Kofferraum und der Laufkultur des Sechszylinders abgesehen bot diese Ausführung eigentlich nur Nachteile: Höhere Mietkosten als beim Adler Trumpf und dem Wanderer W24 sowie drastisch erhöhten Benzinverbrauch.

Nur die wesentlich bessere Elastizität des großen Motors, die schaltfaules Fahren ermöglichte und besondere Reserven im Gebirge bot, sprach für dieses Angebot.

Noch bemerkenswerter ist jedoch das „Spitzenmodell“, das die Mitglieder der Selbstfahrer-Union“ für ihre Zwecke ordern konnten:

Broschüre der Selbstfahrer Union Deutschlands; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Mit diesem Adler stellte man den angebotenen Wagen der Auto-Union etwas zur Seite, was dort nicht zu haben war: ein Fahrzeug in der damals als besonders modern geltenden Stromlinienform.

Die behauptete Zahl der Insassen (bis zu sechs!) lassen wir einmal unkommentiert.

Legt man Hubraum, Leistung, Spitzengeschwindigkeit und Verbrauch zugrunde, scheint die Karosserieform zwar Effizienzgewinne gegenüber dem Wanderer W40 gebracht zu haben. Vergleichbare Leistungsdaten bot aber auch der Sechszylinder-Fiat 1500 bei erheblich kleinerem Hubraum, weniger exotischer Linienführung und geräumigerem Innenraum.

Ausgerechnet an dem scheinbar zukunftsweisenden „Stromlinien“-Adler Typ 2,5 Liter wird deutlich, wo ein Gutteil der Effizienzgewinne verborgen lag, die später erschlossen wurden.

Mein erstes Auto – ein simpler 1200 VW Käfer mit 34 PS-Motor – schaffte 120 km/h Spitze (und zwar als Dauertempo auf der Autobahn) und konnte im günstigsten Fall in der Ebene bei Tempo 100 mit gut 7 Liter Verbrauch gefahren werden, ansonsten mit 8-9 Litern (eigene Erfahrungswerte).

Der Volkswagen war ja ebenfalls eine Konstruktion der 1930er Jahre, weshalb es mir schleierhaft ist, wieso der fast 60 PS leistende Adler trotz „Stromlinien“form so lahm war.

Entweder war die Karosserie in Wahrheit aerodynamisch ungünstiger als sie aussieht, oder man traute dem Motor keine Dauer-Höchstleistung zu und begrenzte über die Übersetzung die Drehzahl im vierten Gang.

Für die Mitglieder der Selbstfahrer-Union Deutschlands dürfte jedenfalls nach der Lage der Dinge der „Stromlinien“-Adler wenig für sich gehabt haben außer der eigenwilligen Form. Vielleicht hatte Adler versucht, das Modell auf diese Weise in den Markt zu drücken.

Doch aus Nutzersicht werden die Modelle der Auto-Union die Nase vorn gehabt haben, wobei zumindest Adler „Trumpf“ und „Trumpf Junior“ diesen ebenbürtig waren.

Im Angebot der Selbstfahrer-Union Deutschlands waren jedenfalls einst Autos von Adler und der Auto-Union für kurze Zeit als Mitglieder eines illustren Clubs vereint. BMW, Hanomag, Opel und Mercedes waren dort dagegen nicht vertreten…

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Unzulängliches wird zum Ereignis: DKW Schwebeklasse

„Oje“, werden die DKW-Freunde vielleicht denken, „heute zieht er wieder über die gute alte Schwebeklasse her“.

Doch auch wenn ich kein Freund dieses Gefährts mehr werde, dessen Malaisen der Hersteller lange nicht in den Griff bekam und dessen Pseudo-Stromlinienkarosserie auf mich grob behauen und unfertig wirkt, will ich heute gnädig sein.

Milde gestimmt hat mich eine unerwartete Wiederbegegnung mit dem Fahrzeug – und mit Meister Goethe (Faust, 2. Teil) kann ich daher heute dieses sagen:

Alles Vergängliche
Ist nur ein Gleichnis;
Das Unzulängliche,
Hier wird’s Ereignis.

Denn so unzulänglich die „Schwebeklasse“ in mancher Hinsicht war, hat sie tatsächlich das Zeug, zum Ereignis zu werden. So unwahrscheinlich das klingt, so leicht wird es zur Realität, wenn wir uns dazu verführen lassen – nochmals sei Goethe zitiert:

Das Unbeschreibliche,
Hier ist’s getan;
Das Ewig-Weibliche
Zieht uns hinan.

So war es eine alte Liebschaft, die mich wieder an den DKW „Schwebeklasse“ erinnert hat – hier ein Foto von ihr aus fernen Tagen:

DKW „Schwebeklasse“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Bald sechs Jahre ist es her, dass ich sie hier gefunden habe, und ich fühlte mich sofort „hinangezogen“, um es in den Worten des Alten aus Weimar zu sagen.

Diese Magie ging freilich nicht von der „Schwebeklasse“ aus, die auf diesem Bild der späten 1940er bzw. frühen 1950er Jahre abgelichtet ist.

Schon damals konnte ich über die eigentümliche Gestaltung von Kühler und Motorhaube mühelos „hinwegsehen“ und mich der Anziehungskraft der jungen Dame ergeben, die in Tracht neben dem „Biest“ aus Blech (und viel Holz) steht und alles wiedergutmacht.

Dass alles wieder gut wird, nichts sehnlicher wünschten sich nach dem 2. Weltkrieg Millionen von Menschen. Für unzählige von ihnen sollte die Welt aber nie wieder heil werden, zu groß die Verluste an Familienmitgliedern, Freunden, Heimat und Gewissheiten.

Dieses Foto dagegen wirkt so, als ob es doch gelingen konnte – als seien bloß ein paar Jahre vergangen und außer dem Kennzeichen und frischem Lack sei alles beim alten.

Blendet man gut zehn Jahre zurück, deutet ebenfalls nichts darauf hin, dass weite Teile der Welt zwischenzeitlich durch die Hölle gehen würden und kein Gott ihnen half:

DKW „Schwebeklasse“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme entstand im Juni 1936 irgendwo im Umland von Hildesheim, wo der DKW zugelassen war.

Über die Gelegenheit und die Insassen ist sonst nichts überliefert, aber fast könnte man meinen, es handele sich um den gleichen Wagen wie auf dem Nachkriegsfoto. Die junge Dame wäre dann freilich noch ein Kind gewesen.

Viel mehr fällt mir zu diesem bisher unveröffentlichten Dokument nicht ein – ich wollte es aber nicht der Vergessenheit anheimfallen lassen und es gibt ja heute noch ein paar Freunde dieses DKW-Modells, die darin mehr sehen als ich.

Wie aber war ich überhaupt darauf gekommen, es zu zeigen?

Nun, so unglaublich es klingt: Sechs Jahre nach unserer letzten Begegnung habe ich just heute meine „Flamme“ von einst wiedergefunden. Wiederum neben dem DKW „Schwebeklasse“ – hier ist sie!

DKW „Schwebeklasse“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das muss mit einem eigenen Blog-Eintrag gefeiert werden, dachte ich spontan.

Denn tritt das Ewig-Weibliche so wunderbar auf den Plan, wird selbst Unzulängliches wie die „Schwebeklasse“ auf einmal zum Ereignis und Vergängliches wie ein altes Autofoto wird zum Gleichnis des Menschlichen schlechthin.

Für Genießer solcher Dinge gibt es hier zum Abschluss den oben zitierten Goethe’schen Chorus Mysticus in der grandiosen Vertonung von Franz Liszt unter Leitung von Großmeister Leonhard Bernstein:

Videoquelle: YouTube; hochgeladen von: Andrea Politano

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Mit etwas Übung über die Alpen: DKW P 15 PS

Übung ist nicht in allen Lebenslagen ein Erfolgsgarant – für manches Vorhaben braucht man auch Talent, welches leider „ungerecht“ verteilt ist – doch in manchen Bereichen genügt bereits etwas Übung zur Überwindung der gröbsten Hindernisse auf dem Weg zum Ziel.

Heute gehen wir mit einigen wackeren Automobilisten ein Hindernis der besonders groben Art an – die Alpen. In der Vorkriegszeit, als es auf dem Weg in den Süden noch mit meist wenig PS Pässe zu bezwingen galt, konnte das durchaus eine Herausforderung sein.

Aus eigener Anschauung weiß ich, dass sich mit luftgekühlten 34 PS der Gotthardpass beispielsweise mühelos meistern lässt, wenn einem die dröge Fahrt durch den neuzeitlichen Tunnel nicht behagt und das Wetter dazu einlädt.

Mit einem 15 PS-Automobil wie dem ersten DKW Typ P von anno 1928 die Alpen bezwingen zu wollen, mutet dagegen schon kühn an, doch unsere Vorfahren waren aus einem anderen Holz geschnitzt als unsereins.

Bekanntlich haben die Alpen noch keine germanische Völkerschar davon abgehalten, ihre Sehnsucht nach dem Süden zu zügeln und so dachten sich einst auch einige Sachsen, dass so eine Italienfahrt mit dem Automobil gewiss eine schöne Sache sei.

Da man wusste, dass die Götter vor den Genuss südlicher Sonne die Alpen gesetzt haben, begab man sich zu Übungszwecken zunächst ins Mittelgebirge – und zwar ins schöne Vogtland, wo es sich auf rund 700 Meter Höhe entspannt mit dem DKW üben ließ:

DKW Typ P 15 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

„Abwärts schiebt er sich besonders leicht!“ so scheint hier der Mann am Heck im Spaß zu rufen. „Stelle mich hiermit für die Partie hinter der Passhöhe zur Verfügung…“

Der Mann ganz vorn – mit Fahrermütze offenbar ein alter Hase – mag sich denken: „Warte ab, Du Milchgesicht, wirst Dich noch wundern, wenn’s erst mal ins Gebirge geht.“

Unterdessen scheinen die Insassen die Trockenübung ebenfalls auf die leichte Schulter zu nehmen. „Ist doch ganz gleich, wie wir vorwärtskommen mit 15 PS plus Schiebung von hinten, im offenen Wagen ist eine Fahrt in den Süden das reine Vergnügen.“

Da unsere sächsische Reisegruppe damals noch nicht dem Komfort von sechs Wochen Jahresurlaub genoss (die manchem Zeitgenossen immer noch zu wenig sind), entschloss man sich aber dann doch den Ernstfall beim Sturm auf die Alpen zu üben:

DKW Typ P 15 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

„Verflixt, so schwer kann der Wagen doch gar nicht sein – ist doch fast nur Sperrholz und Kunstleder!“ – „Das müssen die 15 Pferde unter der Haube sein, die haben sich bei der Mittagsrast die Bäuche vollgeschlagen und verweigern jetzt die Mitarbeit…“

Dergleichen launige Dialoge könnte man sich bei dieser natürlich inszenierten Aufnahme vorstellen, schließlich brachte der DKW Typ P 15 PS gerade einmal gut 500 bis 600 kg auf die Waage – je nach Ausführung.

Nach dieser Trockenübung, die noch zur allgemeinen Belustigung beigetragen hatte, konnte es nun ernst werden. Irgendwann um 1930 müssen sich unsere sonnenhungrigen Sachsen aus Dresden auf den Weg gemacht haben – wie es scheint mit zwei Fahrzeugen.

Hier hat jemand aus Wagen 2 einen kurzen Halt fotografisch festgehalten, als der mächtige Alpenhauptkamm bereits in bedrohliche Nähe gerückt war:

DKW Typ P 15 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Trotz einiger Übung bei eigenen Alpenüberquerungen muss ich sagen, dass ich bislang nicht ermitteln konnte, wo dieses Foto entstand.

Die Situation mit zwei gegenüberliegenden Burgen an dem sich verengenden Tabschnitt und majestätischen schneebedeckten Bergen im Hintergrund könnte sich in der Schweiz, aber auch in Österreich befinden.

Für Reisende aus dem Raum Dresden war natürlich die Brennerroute, die einst schon Goethe auf seiner augenöffnenden Italienreise nahm, die naheliegendere. Sie ist mir aus eigener Anschauung nicht bekannt, daher hoffe ich, dass ein Leser mehr dazu sagen kann.

Nachtrag: Leser Peter Oesterreich hat die Örtlichkeit identifiziert: Es handelt sich in der Tat um die alte Brennerroute, die zwischen den beiden Burgen Reifenstein und Sprechenstein hindurchführt (allerdings von Süden kommend, also auf der anderen Seite der Alpen…).

Bevor es weitergeht, werfen wir noch einen Blick auf das Kennzeichen des Wagen, der hier von hinten abgelichtet und aus dieser Perspektive nur schwer als DKW Typ P 15 PS zu identifizieren ist:

DKW Typ P 15 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das Kennzeichen lautet „II 6230“ und verweist auf die Zulassung im Raum Dresden. Darunter angebracht ist das im Ausland schon damals vorgeschriebene „D“-Schild. Ein solches, bloß kleiner, habe ich von meinem treuen Volkswagen aufgehoben, der mich vor gut 25 Jahren bis hinunter nach Mittelitalien gebracht hat.

Dort – in der bergigen Region Marken, die ich damals bereiste – sieht es ähnlich aus wie auf folgendem Foto, das unsere sächsischen DKW-Fahrer machten, nachdem sie offensichtlich erfolgreich die Alpen bezwungen hatten – offenbar hatte sich das Üben daheim ausgezahlt:

DKW Typ P 15 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch hier stellt sich wieder die Frage, wo dieses schöne Panorama entstanden sein konnte. Von der Topographie kommt neben dem Apenninnengebiet, in das es mich einst mit 34 PS verschlagen hatte, vor allem Südtirol in Betracht – aber auch das Piemont.

Das wird sich wohl nicht mehr genau klären lassen, aber immerhin liefert uns diese Aufnahme die Bestätigung, dass der zuvor von hinten abgelichtete Wagen tatsächlich ein DKW Typ P 15 PS ist – das Kennzeichen stimmt nämlich überein und auf dem Kühler ist das bei diesem frühen Modell rechteckige DKW-Emblem zu erahnen:

Sonst fast immer vom Nummernschild abgedeckt ist die hier zu erkennende doppelte Abstützung der Vorderachse gegen die darüberliegende Querblattfeder – ein weiterer Hinweis auf das DKW-Modell P 15 PS.

Nach dieser Verschnaufpause für Mensch und Maschine muss es weiter an die Küste gegangen sein – bloß wohin genau? Wieder lässt uns ein Foto dieser Reise vor rund 90 Jahren mehrere Möglichkeiten in Betracht ziehen.

Im ersten Moment dachte ich, dass diese schöne Szene an der Via Partenope in Neapel mit Blick nach Westen auf den Stadtteil Mergellina aufgenommen sein worden könnte:

DKW Typ P 15 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Doch ließ sich die Szene mit Neapel nach eingehendem Studium nicht zur Deckung bringen. Zudem erschien mir eine Reise so weit in den Süden dann doch zu unwahrscheinlich.

Nicht, dass ich dem kleinen DKW nicht das Durchhaltevermögen zugetraut hätte, doch selbst auf gut ausgebauten Landstraßen war damit nur eine Höchstgeschwindigkeit von 70-80 km/h möglich, während von Italienreisen mit weit stärkeren Tourenwagen bereits in den 1920er Jahren Spitzengeschwindigkeiten von an die 100 km/h überliefert sind.

Die Zeit für einen Abstecher an den Golf von Neapel wird unseren DKW-Insassen nach erfolgter Überwindung der Alpen kaum zur Verfügung gestanden haben. Naheliegendere Küstenstädte mit derartig großstädtischer Bebauung wären Triest an der Adria und Genua in Ligurien, vielleicht auch noch La Spezia.

Erkennt ein Leser die Situation wieder? So viel hat sich an Italiens historischen Orten seither nicht geändert, dass sich der stark bebaute Küsteabschnitt heute ganz anders darbieten würde:

Oder liege ich geografisch völlig falsch und wir befinden uns an einem der großen Seen in Oberitalien oder gar in der Schweiz?

Jedenfalls erkennen wir hier unseren DKW mit den tapferen Insassen aus Dresden wieder, die immer noch die zünftige Reisekleidung tragen, die bei der Fahrt im offenen Wagen über staubige Landstraßen angebracht war.

War dieser Ort der südlichste Punkt ihrer Reise? Ich kann mir das gut vorstellen, denn es existiert nur noch eine weitere Aufnahme aus dieser Serie, die den DKW wohl wieder auf der Heimfahrt zeigt:

DKW Typ P 15 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Verkehr auf dieser gut ausgebauten Landstraße war offenbar so dünn, dass man mit offener Fahrertür für ein Foto haltmachen konnte.

Analog zur Hinfahrt stellt sich mir hier die Frage: Tessin oder Südtirol?

Bergen vielleicht die Begrenzungssteine einen Hinweis oder die markanten Strommasten, die rechts der Straße verlaufen? Sie kommen mir merkwürdig bekannt vor.

Wo auch immer genau diese Momentaufnahme entstanden ist – für den Italienreisenden gehören heute noch solche Szenerien zum Erlebnis dazu, der grandiosen Landschaft hat die Moderne kaum etwas anhaben können.

Wie lange mag unsere kleine Reisegesellschaft einst unterwegs gewesen sein? Was mag sie an erzählenswerten Begebenheiten mit nach Haus gebracht haben? Welche Reisen mögen noch mit dem kleinen DKW unternommen worden sein?

Nichts von alledem wissen wir. Alles vergessen und verweht bis auf diese paar übriggbliebenen Fotos, die uns im 21. Jahrhundert das Abenteuer einer Alpenbezwingung mit 15 PS – und die scherzhaften Übungen dafür – noch einmal nacherleben lassen.

© Michael Schlenger, 2021. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Panne am Weltfrauentag: DKW „Sonderklasse“

Am Weltfrauentag kommt man kaum vorbei – der 8. März ist für Anpasser aller Art ein Anlass mehr, Haltung zu zeigen. Manche Konzerne nötigen ihre Angestellten förmlich dazu.

Da die Tradition des Weltfrauentags aus der Vorkriegszeit stammt, widme ich mich ihr gern. Lange war der Weltfrauentag meiner Aufmerksamkeit entgangen. Es musste 2021 werden, um ihn erstmals in seiner globalen Bedeutung wahrzunehmen.

Da es mir unheimlich ist, wenn plötzlich alle das Gleiche tun, habe ich mich mit dem Hintergrund befasst – zumal mir Datum und Anlass irgendwie bekannt vorkamen…

Am 8. März wird in sozialistischen Ländern seit jeher der Internationale Frauentag begangen. So beschlossen 1921 auf einer kommunistischen Frauenkonferenz in Moskau.

Dass die Damen der Schöpfung ihre Interessen vertreten, ist eine gute Sache – die freilich entwertet wird, wenn es im Rahmen einer radikal antibürgerlichen Ideologie geschieht. Irgendwie hat man es aber geschafft, diese unselige Tradition zu übertünchen.

Noch zu DDR-Zeiten erlahmte der Sturm und Drang der roten Frauenbewegung. Da die Befreiung der Frau im Arbeiter- und Bauernstaat längst erreicht war, verkam der Internationale Frauentag zu einer Art sozialistischer Muttertag.

So putzten sich vermutlich auch diese Damen aus Berlin einst am 8. März kurz nach dem Krieg heraus, um an ihrem Ehrentag einen Ausflug mit dem Auto zu unternehmen:

DKW Sonderklasse; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Leider hatten die Männer wieder einmal versagt und den Wagen nicht ausreichend vorbereitet. So war man liegengeblieben, fieberhaft wurde der Fehler gesucht.

Dabei war so ein DKW nun wirklich nicht kompliziert – das wussten die beiden Damen – nennen wir sie aus Nostalgie einfach Rosa L. und Clara Z.

„Sag‘ mal Rosa, das kann doch nicht sein, dass die Männer das nicht alleine hinbekommen. Der DKW-Motor hat doch bloß drei Teile, das weiß doch jedes Kind.“

„Clara, ich kann es mir auch nicht erklären. So ein Zweitakter ist wirklich das Einfachste, was es gibt. Wir wären auch darauf gekommen, wenn man uns gelassen hätte.“

Damit hatten die beiden schlauen Frauen prinzipiell recht – an einem klassischen DKW-Zweitakter gibt es kaum etwas, was kaputtgehen kann. Selbst Männer können ihn ohne akademische Vorbildung reparieren.

Was Rosa und Clara allerdings nicht bedacht hatten, war die Tatsache, dass dieser aus der Vorkriegszeit übriggebliebene DKW so ziemlich das Komplizierteste war, was jemals an Zweitakttechnik auf Deutschlands Straßen unterwegs war.

DKW hatte hier zwar formal alles richtig gemacht und die gleiche stromlinienförmige Frontpartie gewählt, mit der der Fiat 1100 im alten NSU-Werk in Heilbronn gefertigt wurde:

Fiat 1100 in Westberlin; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die Ähnlichkeit der beiden Wagen, die 1937 in Serie gingen, ist frappierend, aber wohl nicht Ergebnis eines Plagiats.

Wie in anderen Fällen auch, lagen gewisse formale Ideen in der Luft, wobei Fiat der Stromlinie konsequenter huldigte als DKW, wo man eine Lufthutze am oberen Abschluss der Frontscheibe verbaute, die strömungstechnisch verheerend war.

Die Neigung für abwegige technische Lösungen setzte sich beim DKW-Modell mit der Bezeichnung „Sonderklasse“ unter dem Blech fort. Dort fanden sich ein komplexer und durstiger V4-Zylinder-Zweitakter mit je einer Ladepumpe pro Zylinderbank.

Die auf dem Papier geniale Motorenkonstruktion war erstmals 1930 zum Einsatz gekommen. In der Praxis barg sie Tücken, die DKW nie in den Griff bekam bzw. die zu einem immer komplexeren Aufbau führten, der die Vorteile des Zweitaktmotors ins Gegenteil verkehrte, nämlich: wenige bewegte Teile, einfache Ölversorgung, geringer Verbrauch.

Ob es einst tatsächlich der vermaledeite Ladepumpenmotor war, der diesen DKW am Internationalen Frauentag zum Stillstand verdammt, ist schwer zu sagen:

Auf diesem Ausschnitt ist im Motorraum an der Stirnwand nämlich etwas zu sehen, was es dort eigentlich nicht geben sollte – ein oberhalb des Motors angebrachter Benzintank. Bei der ab 1937 gebauten DKW „Sonderklasse“ befand sich der nämlich im Heck des Wagens.

Vielleicht hat jemand eine Idee dazu. Unterdessen haben die Damen wieder das Wort:

„Wenn es nach uns Frauen gegangen wäre, hätte man einen Motor eingebaut, den wir selbst wieder in Gang hätten bringen können, nicht wahr, Clara?“

„Da hast Du völlig recht, Rosa. Das haben die Männer nur deshalb so kompliziert gemacht, um uns Frauen von der Technik fernzuhalten, so ist das nämlich!“

Nun ja, mir scheint, dass die beiden Damen eigentlich ganz zufrieden damit sind, dass sie beim Basteln im öligen Motorraum wieder einmal „ausgegrenzt“ werden. Daran hat sich bis heute wenig geändert – Ausnahmen bestätigen die Regel.

Forderungen am Weltfrauentag nach stärkerer Teilhabe des schönen Geschlechts an schmutzigen und gefährlichen Arbeiten sind mir noch nicht zu Ohren gekommen.

Damit sich wirklich etwas bewegt in Sachen Gleichbehandlung, muss der 8. März in mehr Ländern zum gesetzlichen Feiertag werden. In den freiheitlichen Musterstaaten Nordkorea, China und Uganda ist das bereits der Fall – im stets progressiven Berlin übrigens auch…

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Kontrastprogramm: DKW „Schwebeklasse“ im Schnee

Kontrastreich geht es zu im ersten Blog-Eintrag des Jahres 2021 – in mehrfacher Hinsicht:

Statt in den sonnigen Süden wie der letzte Ausflug in die automobile Vorkriegsgeschichte führt es uns ins winterliche Deutschland, statt 2.500 Jahren Geschichte sind es diesmal bloße drei Jahre und statt eines robusten Sport-Tourers der 1920er Jahre mit immerhin 45 PS Leistung müssen wir uns mit einem unzuverlässigen 30 PS-Vehikel begnügen.

Als wäre das alles nicht schon ernüchternd genug, kommt noch eine Gestaltung hinzu, die ich zu den schlimmsten Entgleisungen deutscher Automobilherhersteller zähle:

DKW „Schwebeklasse“, Ausführung von 1934/35; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Zugegeben: auf dieser Aufnahme sieht der DKW der ab 1934 gebauten „Schwebeklasse“ besonders gruselig aus.

Bedenkt man, dass die Zweitaktwagen der sächsischen Marke sonst stets mit sehr ansehnlichen Aufbauten daherkamen, die geschickt über die bescheidene Leistung hinwegtäuschten, ist umso schwerer verständlich, dass diese Monstrosität das Prototypenstadium je verlassen hat.

Dem Modell lag kein besonderes Marktbedürfnis zugrunde, sondern nur der Wille der DKW-Führung, partout auch einen Wagen mit der gerade modischen „Stromlinie“ im Programm zu haben. „Deutsch sein heißt, etwas um seiner selbst willen zu tun“ – an dieses berühmte Diktum von Richard Wagner fühlt man sich erinnert.

Das Ergebnis fiel entsprechend aus: In nur vier Monaten wurde der neue Wagen entwickelt, was erklären dürfte, weshalb die Karosserie wie grob zurechtgehauen wirkt. Da kann der Wehrmachtssoldat auf Urlaub im März 1940 noch so zuversichtlich grüßen, mit diesem Klotz war der Kampf um die Kundschaft nicht zu gewinnen:

DKW „Schwebeklasse“, Ausführung von 1936/37; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Bezeichnend für die unzureichende Planung war außerdem, dass der für den Wagen vorgesehene 36 PS-Motor nie fertig wurde. Hektisch griff man zum Vierzylinder-Aggregat der alten Sonderklasse – mit allen bekannten Schwachstellen.

Drei Jahre lang laborierten die DKW-Techniker nach dem Prinzip „Versuch und Irrtum“ an dem untypisch komplexen Zweitakter mit Ladepumpe herum, ohne die Probleme je ganz in Griff zu bekommen: zu hoher Verbrauch an Benzin und Öl, Neigung zum Festfressen, zu geringe Leistung für das gut abgestimmte Fahrwerk.

Die entsprechende Lektüre im Standardwerk „DKW Automobile“ von Thomas Erdmann (S. 68-82) ist deprimierend. Um die Schwächen des Antriebs zu kaschieren, wurde der Motor so weit gedrosselt, dass der Wagen nur noch 90 km/h Spitze erreichte, kaum mehr als die billigeren, robusten und adretten Zweizylindertypen von DKW.

So kam es, dass zwischen 1934 und 1937 nur 6.999 Fahrzeuge der „Schwebeklasse“ Käufer fanden. Offenbar wollten einige Automobilisten genau den Kontrast, den ein solcher „progressiv“ wirkender Wagen gegenüber konservativen Konzepten darstellte.

Wer partout zur Avantgarde gehören will, läuft Gefahr, zum Versuchskaninchen zu werde – das war damals so wie heute, nicht nur in punkto Automobil. Einen reizvollen Kontrast kann ich der DKW „Schwebeklasse“ am Ende aber doch noch abgewinnen:

DKW „Schwebeklasse“, Ausführung 1934/35; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Vor dem Hintergrund dieser verschneiten Winterlandschaft und in Gesellschaft gut aufgelegter Besitzer macht sich der DKW „Schwebeklasse“ gut. Vielleicht ist es aber bloß die Asssoziation mit einem Schneepflug, die den Wagen hier vorteilhaft wirken lässt.

Im Februar 1935 ist dieses Foto entstanden, die Zulassung verweist auf Hildesheim. Wie so oft bezieht die Aufnahme einen Teil ihres Reizes daraus, dass wir für einen Moment am Leben von Menschen aus vergangener Zeit teilhaben, von deren übrigem Weg wir nichts wissen. Doch die Jahreszeit und die Freude am Schnee verbindet uns mit ihnen.

Der DKW mit seinem wenig erbaulichen Äußeren und dem chronisch anfälligen Motor wird längst den Weg alles Vergänglichen gegangen sein – dieses Foto ist eines der wenigen, die heute noch an den Typ „Schwebeklasse“ erinnern.

So gesehen ist man als Freund von Vorkriegsautomobilen schon wieder dankbar für ein solches Kontrastprogramm – denn zuviel Schönheit ist auf Dauer auch nicht zu ertragen.

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Die Perspektive macht’s: DKW PS600 „Sport“

Was man unter Sport versteht, darüber gehen bisweilen die Meinungen auseinander.

Bei knüppelharten Herausforderungen wie der Tour de France, dem Ironman auf Hawaii oder – in früheren Tagen – der Targa Florio auf Sizilien ist man sich zwar einig. Doch neuerdings werden selbst kollektive Computerspiele als „E-Sports“ propagiert.

Wie immer im modernen Sportleben geht es dabei um „staatliche Förderung“, wie das Abgreifen hart erarbeiteter Steuergelder der Mitbürger bezeichnet wird. Auch Käufer von E-Automobilen hierzulande bedienen sich sehr gern dieser Methode…

Wo echter Sport beginnt, das war auch unter Automobilenthusiasten vor rund 90 Jahren keineswegs ausgemacht. Für die einen musste sich ein Sportwagen von der Leistungsentfaltung, Straßenlage und Handling klar von einem Alltagsauto unterscheiden, bei dem Komfort und Wirtschaftlichkeit im Vordergrund standen.

Anderen genügte eine bloß sportliche Anmutung, die bereits durch Verwendung gewisser formaler Elemente entstand, während Motor und Fahrwerk nicht wirklich sportlichen Ansprüchen gerecht wurde.

Was an Leistung und Fahrdynamik fehlte, ließ sich durch Einsatzbereitschaft oder auch eine kühne Perspektive ersetzen. Sehr schön illustriert diesen Ansatz eine Reihe historischer Originalaufnahmen des DKW PS600 „Sport“, die ich Markenkenner Volker Wissemann verdanke.

Für den perfekten Einstieg sorgt dieses Dokument aus seiner Sammlung:

DKW P15 Werkssportwagen (am Steuer: Walter Oestreicher); Originalfoto aus Sammlung Volker Wissemann

Wer würde bei diesem tollen Schnappschuss nicht an einen typischen Sportwagen um 1930 denken?

Minimalistische Kotflügel wie beim Motorrad (im Fachjargon „Cyclewings“), keine Windschutzscheibe und kein Trittbrett, außerdem – wie es scheint – ein Bootsheck mit Notverdeck (wenn überhaupt).

Der Hersteller dieses Wagens – DKW – hat hier stilistisch alles richtig gemacht und der Fotograf hat genau die Perspektive gewählt, aus der so ein Wagen ungemein sportlich daherkommt.

Tatsächlich haben wir es hier mit einem echten Sportwagen zu tun, auch wenn es von der Papierform her nicht so scheinen mag. Denn wenn nicht alles täuscht, ist das ein ab 1929 gebauter DKW-Werkssportzweisitzer mit einer auf 20 PS frisierten Version des 600 ccm messenden Zweizylinder-Zweitaktmotor des DKW Typs P15.

Besagter Typ P15 war der 1928 eingeführte PKW-Erstling von DKW, der sich mit 15 PS Leistung begnügte. Von der reduzierten Sportversion wurde eine auf den ersten Blick recht ähnliche Straßenausführung unter der Bezeichnung PS600 „Sport“ angeboten.

Hier ein aus ganz anderer, aber kaum weniger reizvoller Perspektive aufgenommenes Exemplar mit Zulassung in Sachsen:

DKW Typ PS600 Sport; Originalfoto aus Sammlung Volker Wissemann

Vom Werkssportwagen unterschied sich die Straßenversion äußerlich durch voll ausgebildete Kotflügel, Trittbrett und Windschutzscheibe.

Der Motor war gegenüber der Werkssportausführung auf 18 PS leistungsbegrenzt, besaß damit aber gegenüber dem Serientyp P15 immer noch 20 % mehr Leistung. 90 bis 100 km/ Spitze sollen mit dem nur 500 kg wiegenden Wagen erreichbar gewesen sein.

Für einen durchschnittlichen Fahrer war das auf den damaligen, oft nur teilweise befestigten Straßen ein beachtliches Tempo und so beginnt man zu verstehen, dass es eine Frage der Perspektive war, ob so ein Gefährt zurecht in die Kategorie „Sport“ fällt oder nicht.

Während für die Dame mit den kräftigen, zur Bändigung eines Boxers wie geschaffenen Oberarmen der DKW PS600 Sport einst lediglich als Sitzgelegenheit diente, zeigt sich ihre Geschlechtsgenossin auf einem weiteren Foto desselben Typs entschlossen, dem Wagen selbst ein sportliches Erlebnis abzugewinnen:

DKW Typ PS600 Straßenversion; Originalfoto aus Sammlung Volker Wissemann

Passend zur sportlichen Ambition hat man hier ganz auf das Roadsterverdeck verzichtet, wohl wissend, dass in dieser Leistungsklasse jedes überflüssige Kilogramm zählt. Ansonsten ist das Erscheinungsbild identisch.

Die Zweifarblackierung war übrigens serienmäßig – grün/weiß oder rot/weiß. Auf der obigen Aufnahme lässt sich außerdem nachvollziehen, was der Dame auf dem vorherigen Foto als Sitzgelegenheit diente – der Batteriekasten.

Und noch etwas sei festgehalten – das auf „22527“ endende Nummernschild. Ihm begegnen wir auf zwei weiteren Aufnahmen aus der Sammlung von Volker Wissemann. Auf der ersten haben die offenbar aus dem Raum Dresden (Kennung: „II“) stammenden Besitzer den DKW besonders verwegen in Szene gesetzt:

DKW PS600; Originalfoto aus Sammlung Volker Wissemann

Diesen DKW-Eignern war bewusst, dass Sportlichkeit eine Frage der Perspektive ist, und haben sich für einen Aufnahmewinkel entschieden, aus dem der Wagen schon im Stand schnell wirkt.

Mangels Sitzplatz für eine dritte Person wird dieses Foto wohl mit Selbstauslöser entstanden sein. Eine derartige Inszenierung eines solchen „Westentaschen“-Bugatti ist auch eher den stolzen Besitzern selbst als einem Unbeteiligten zuzutrauen.

Die Assoziation zu Bugatti ist bewusst gewählt- natürlich keineswegs mit Blick auf die Leistungsdaten. Doch müssen die Eigner dieses hübschen DKW PS600 etwas in der Richtung im Hinterkopf gehabt haben, als sie einst ihren Liebling aus drei unterschiedlichen Perspektiven in Szene setzten.

Denn auf der letzten Aufnahme könnte man im ersten Moment versucht sein, an einen Bugatti oder andere französische Sportwagen der späten 1920er Jahre zu denken:

DKW PS600 „Sport“; Originalfoto aus Sammlung Volker Wissemann

Hier haben wir den DKW PS600 auf einer wohl einzigartigen Aufnahme, die sein Bootsheck gerade so wirken lässt, als habe man einen echten Rennsportwagen vor sich. Man sieht: alles eine Frage der Perspektive!

Eines noch sei angemerkt: Wenn ich hier dank der Großzügigkeit von Volker Wissemann gleich vier Aufnahmen dieses außergewöhnlichen DKW-Modells zeigen kann, dann grenzt das an Verschwendung.

Bei aller Attraktivität des Typs PS600 wurden von 1929 bis 1933 nämlich nur rund 500 Stück gefertigt – kein Wunder angesichts eines Preises von anfänglich 2.750 Reichsmark. Dieser entsprach dem 1,3-fachen des durchschnittlichen Jahresgehalts eines sozialversicherungspflichtigen Angestellten im Jahr 1929.

Umgerechnet auf das Jahr 2020 (Durchschnittsgehalt eines gesetzlich Versicherten in Westdeutschland: 40.551 EUR) entspräche das einem Preis von weit über 50.000 EUR für einen Zweisitzer mit Notverdeck und den Fahrleistungen eines 125ccm-Motorrads.

Wer würde heute so etwas kaufen? Natürlich nur jemand, der so etwas nicht braucht, aber unbedingt haben muss – einfach weil es schick, rar oder verwegen ist – und dabei einfach ungemein sportlich aussieht

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Ein dringender Fall für den Friseur: DKW F8

Seit Beginn dieser Woche darf sich der gemeine Deutsche wieder frisieren lassen – offenbar ein Privileg, das während der Ausgangsbeschränkungen der letzten Wochen Politikern und Talkshow-Insassen vorbehalten war, an deren äußerem Erscheinungsbild es nicht mehr auszusetzen gab als sonst – wie war das nur möglich?

Egal, für den Untertan galten schon immer besondere Verhaltensregeln, und so dürften aktuell wieder einige Landsleute dringende Fälle für den Friseur sein wie der junge Mann auf dem folgenden Foto:

DKW F8 Front-Luxus Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese hübsche Aufnahme aus Chemnitz entstand zu einer Zeit, in der auch sonst der Gürtel enger zu schnallen war, nämlich kurz nach dem 2. Weltkrieg.

Während der Hunger ungestillt bleiben musste, ließ sich für einen kurzen Moment immerhin ein gewisser Appetit nach Luxus befriedigen – und sei es nur, indem man so tat, als gehöre einem das Auto mit der opulent verchromten Kühlermaske.

Vielsagend finde ich übrigens, dass „er“ mit der Hand den Wagen berührt, während „sie“ mit besitzergreifender Geste die Hand auf seine Schulter legt. „Das ist meiner!“, ist ihrem selbstbewussten Gesichtsausdruck zu entnehmen, während er mehr schlecht als recht versucht, den stolzen Autobesitzer zu geben.

Ob ihre perfekte Frisur ebenfalls auf Nähe zu politischen „Größen“ mit Sonderrechten schließen lässt, sei einmal dahingestellt – für mich ist sie jedenfalls ein Beispiel dafür, wie man auch unter materiell ärmlichen Umständen seine Würde bewahren kann.

Was das für ein schickes Auto ist, neben dem die beiden posieren, bewegt den Leser sicher ebenso wie einst mich. Möglicherweise kommen Markenkenner auf Anhieb darauf – mich hat es jedenfalls einige Zeit gekostet herauszufinden, dass es ein DKW ist.

Man möchte das erst nicht glauben, denn der Wagen wirkt nicht gerade wie ein schmalbrüstiger Zweitakter mit Holzkarosserie. Das Fehlen des Markenemblems und der vier Ringe, die auf die Zugehörigkeit von DKW zum Auto Union verwiesen, hat mich jedenfalls zunächst etwas anderes vermuten lassen.

Allerdings handelt es sich auch nicht um irgendeinen der so populären Frontantriebswagen der sächsischen Marke, sondern um die Sonderausführung „Front Luxus-Cabriolet“ mit Stahlkarosserie von Baur.

Dies zu beweisen, bedarf es einiger Schritte, bei denen das titelgebende Motto „Ein dringender Fall für den Friseur“ eine ganz eigene Bedeutung erlangt. Beginnen wir mit einem kleinen Detail, das mich letztlich auf die Spur des Herstellers DKW gebracht hat:

Bei genauem Hinsehen erkennt man, dass die seitlichen Luftschlitze in der Motorhaube links vom Scheinwerfer unterbrochen wirken. Das ist auch tatsächlich der Fall, wir haben es bei diesem Modell mit zwei übereinanderliegenden Reihen von Schlitzen zu tun.

Wer Zweifel hegt, kann sich gleich davon überzeugen, dass die Beobachtung zutrifft.

Vorher möchte ich aber noch auf ein anderes Detail hinweisen, das es im Hinterkopf zu behalten gilt – und zwar die unten durch die Frontscheibe geführten Achsen der Scheibenwischer. Wir werden ihnen später wiederbegegnen.

Nun aber zum angekündigten Vergleichsfoto, das ebenfalls nach dem Krieg in Ostdeutschland entstand:

DKW IFA F8 der frühen Nachkriegszeit; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Trotz der Unschärfe kann man die erwähnten beiden Reihen Haubenschlitze erkennen – ansonsten findet sich dieselbe Kühlermaske mit senkrechten Stäben, die Kennzeichen des DKW F8 von 1939 war.

Das rautenförmige Emblem in der Mitte der Scheinwerferstange und die profilierten Stoßecken sind jedoch Kennzeichen des ab 1949 in Zwickau weitergebauten F8. Motorenseitig war die Vorkriegskonstruktion übernommen worden.

Dabei hätte gerade diese Anlass zum „Frisieren“ gegeben, denn schon vor dem Krieg waren die 20 PS des DKW F8 arg knapp bemessen.

Dessen war man sich bei DKW durchaus bewusst war. Angesichts der drohenden Konkurrenz des von Ferdinand Porsche neuentwickelten Volkswagens entstand 1938 der erste Prototyp eines nunmehr dreizylindrigen Typs (F9).

Da mit dem Beginn der Serienfertigung des DKW F9 nicht vor 1940 gerechnet wurde, entwickelte man mit dem F8 ein Übergangsmodell, das 1939 den bisherigen Typ F7 ablöste. Zwar verzichtete man dabei auf ein „Frisieren“ des faktisch unveränderten Motors, doch bei beim Fahrwerk entschied man sich für einen grundlegend anderen „Zuschnitt“.

Das neue Chassis (mit Anleihen bei der Konzernschwester Wanderer) bedeutet nicht zuletzt dank verbesserter Bremsen einen deutlichen Fortschritt gegenüber dem F7. Auch die Geräuschdämmung wurde verbessert.

Bei unveränderter Karosserieform wurde der neue DKW F8 vom Markt gut aufgenommen, wie mehrmonatige Wartefristen nach Vorstellung Anfang 1939 bewiesen. Kriegsbedingt sollten aber nicht viele Käufer in den Genuss eines DKW F8 kommen.

Lediglich beim Militär erhielt man gegebenfalls Gelegenheit dazu, wie folgendes Foto illustriert:

DKW F8 (Luftwaffenfahrzeug); Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wie das Kürzel „WL“ auf Kotflügel und Nummernschild verrät, gehörte dieser Wagen zu einer Einheit der deutschen Luftwaffe – über Ort und Entstehungszeitpunkt der Aufnahme ist mir nichts bekannt.

Sämtliche Chromteile sind matt überlackiert – im typischen Blaugrau von Luftwaffenfahrzeugen. Einer der beiden mit den typischen Tarnkappen versehenen Scheinwerfern ist hier merkwürdig verdreht. Evtl. sollte er auf schlechten Wegen den rechten Fahrbahnrand beleuchten.

Auf dieser Aufnahme sieht man außerdem die im Normalfall oben am Scheibenholm angebrachten Scheibenwischer. Dies war so bei allen gängigen Versionen des DKW F8 zu finden, je nach Ausstattung war mitunter nur ein Wischer serienmäßig.

Erinnern Sie sich an die unten an der Windschutzscheibe angebrachten Scheibenwischer des eingangs gezeigten DKW F8? Nun, diese sind der entscheidende Hinweis auf eine Sonderausführung mit der Bezeichnung „Front Luxus-Cabriolet“.

DKW F8 Front Luxus-Cabriolet; zeitgenössische Originalreklame aus Sammlung Michael Schlenger

Der Aufbau dieser äußerlich geschickt „frisierten“ Version wurde im Fall des DKW F8 vom Karosserielieferanten Baur gefertigt – und zwar im Unterschied zu den übrigen Ausführungen komplett mit Stahlblech statt Kunstleder beplankt.

Üppiger Chromschmuck und Ledersitze setzten luxuriöse Akzente, während unter der Haube weiterhin der vertraute 20-PS-Zweizylinder-Zweitakter werkelte. Wie opulent das Front Luxus-Cabriolet dabei wirkte, lässt sich hier bewundern:

DKW F8 Front-Luxus Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Marcus Bengsch

Diese reizvolle Aufnahme, die ich Leser Marcus Bengsch verdanke, zeigt das Spitzenmodell des DKW F8 aus ungewöhnlicher Perspektive, aber durchaus gekonnt.

An der Vorderpartie fallen die beiden Reihen Haubenschlitze ins Auge, außerdem kann man nun die untenliegenden Scheibenwischer von innen besichtigen. Der Scheibenwischermotor ist hinter dem linken Wischer montiert, der rechte wird über eine damit verbundene Stange betätigt.

Dieses Detail wurde noch vor Kriegsbeginn geändert – die Wischer wanderten wie bei den Normalausführungen nach oben, sodass diese Ausführung nur selten zu sehen ist.

Bekommen wir am Ende noch einmal die Kurve zurück zum Thema „Ein dringender Fall für den Friseur?“ Ja, nicht ohne dabei ein weiteres Detail ins Visier zu nehmen, das typisch für die bewunderten Front Luxus-Cabriolets von DKW war:

Hier haben wir zum einen die mächtige Sturmstange vor uns, die bei geschlossenem Verdeck einen eleganten Akzent setzte, zum anderen die wie ein Komentenschweif breit auslaufende seitliche Zierleiste, die das dunkel lackierte Oberteil von der hell gehaltenen und leicht wirkenden Flanke trennt.

Ob die Dame auf dem Beifahrersitz bereits ahnte, dass sie bei Fortsetzung der Fahrt bald ein dringender Fall für den Friseur sein würde? Ohne eine schützende Kappe, wie sie die vergnügte Nachbarin trug, oder ein Kopftuch, richtet der Fahrtwind bei damaligen Cabriolets früher oder später die robusteste Haarpracht zugrunde.

Die Frage, ob es das alles wert war, wird man zumindest im Fall des DKW F8 Front Luxus-Cabriolet – vom Volksmund nicht ohne Grund als „kleiner Horch“ bezeichnet – gewiss bejahen können…

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Winter adé!? Unterwegs im DKW F7 „Meisterklasse“

Nur noch wenige Tage bis zum Frühlingsbeginn: Nachts wird es zwar empfindlich kühl, doch tagsüber entwickelt die Sonne bereits Kraft und weckt die Lebensgeister. Stadtkinder kennen leider kaum die Freuden des Frühlingserwachens auf dem Lande, wo es nun allerorten sprießt, sich Knospen bilden und Frühblüher ungewohnte Farbakzente setzen.

Winter adé, heißt es da, so gnädig er auch hierzulande ausfiel. Das Motto passt gut zu den Bildern eines Vorkriegsmodells, das ich schon länger nicht mehr gewürdigt habe. Die Rede ist vom DKW F7, der von Ende 1936 bis Sommer 1939 in über 100.000 Exemplaren gebaut wurde.

Wer meinen Blog schon länger verfolgt, erinnert sich vielleicht an die folgende schöne Aufnahme, die einen DKW F7 in noch winterlicher Landschaft zeigt:

DKW F7 Limousine „Reichsklasse Spezial“; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Diese im März 1939 entstandene Aufnahme lässt gut die äußerlichen Hauptunterschiede gegenüber dem Vorgängermodell F5 erkennen:

  • die Entlüftungsschlitze sind nicht mehr in die Motorhaube eingestanzt, sondern sind Teil eines aufgeschweißten Blechs (die Haube war wie die Kotflügel aus Blech, während der übrige Aufbau aus kunstlederbespanntem Holz bestand)
  • die Tür verläuft vorne nicht mehr geschwungen, sondern annähernd senkrecht, damit verbunden war ein größerer Türausschnitt, der Ein- und Ausstieg erleichterte).

Ebenfalls im Winter, jedoch erst 1940, entstand diese Aufnahme, die ebenfalls einen DKW F7 zeigt, wie trotz der dunkelgrauen Heereslackierung zu erkennen ist.

DKW F7 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die vorn aufgezogenen Schneketten verweisen unübersehbar auf den typischen Frontantrieb, mit der DKW vor allem im Winter Vorteile bot.

Bisweilen liest man in der älteren Literatur, dass die Wehrmacht Fronttriebler „verschmäht“ habe, weil man dem Frontantrieb gegenüber voreingenommen war,

Tatsächlich „entlieh“ man bei Kriegsausbruch auch die bewährten Frontantriebswagen von Adler und DKW von ihren zivilen Besitzern und kassierte nach der Besetzung Frankreichs noch lieber die hervorragenden Citroen „Traction Avant“-Modelle.

Mein Onkel, der als Offizier des 51. Niederschlesischen Infanterieregiments in Polen und Russland im Einsatz war, fuhr noch nach dem Krieg aus Überzeugung DKW, nachdem er im Krieg die Vorteile von Fronttrieblern kennengelernt hatte.

Dass man DKWs im Militärdienst seltener auf zeitgenössischen Fotos abgelichtet findet, liegt schlicht daran, dass sie nicht so exotisch waren wie Horch- oder Mercedes-Modelle, die der fotografischen Evidenz nach zu urteilen den Großteil des Wehrmachts-Fuhrparks ausgemacht haben müssten, wenn man es nicht besser wüsste…

Dass der oben gezeigte DKW F7 tatsächlich ein Wehrmachtsfahrzeug war, lässt eine am selben Tag entstandene weitere Aufnahme desselben Autos erkennen:

DKW F7 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme zeigt im Hintergrund die Pfarrkirche der österreichischen Ortschaft Scheuchenstein. Abgesehen von dem Auto hat sich an der Ansicht fast nichts geändert.

Das Kürzel „WH“ auf dem rechten hinteren Kotflügel belegt die Zugehörigkeit zu einer Heereseinheit der deutschen Wehrmacht, links ist noch das zivile Nummernschild zu sehen.

Mit diesen Aufnahmen sei nun aber dem Winter endgültig „Adieu“ gesagt. Wenden wir uns stattdessen diesem schönen Dokument zu, das einen DKW F7 im März 1938 zeigt:

DKW F7 „Meisterklasse“ Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ein Stempel auf der Rückseite des Abzugs verweist auf ein Fotogeschäft im sächsischen Städtchen Wilsdruff westlich von Dresden.

Dem Nummernschild nach zu urteilen war der DKW jedoch einige Dutzend Kilometer südwestlich im Raum Flöha bei Chemnitz zugelassen.

Eindrucksvoll wirkt hier der vor dem Kühler montierte Nebelscheinwerfer, einst ein nicht gerade billiges Zubehör. Der klassischen Frontpartie tut dieses Accessoire jedoch keinen Abbruch.

Eher gestört wird die Linie durch ein serienmäßiges Detail – die am oberen Ende der Frontscheibe angesetzte Lufthutze zur Belüftung des Innenraums. Dabei handelt es sich wohl um eine einzigartige Lösung, die zugleich eine Datierung des Wagens auf 1937 erlaubt.

Im Folgejahr wanderte das den Blick störende Element an die Oberseite des Scheibenrahmens, wo es freilich noch deplatzierter wirkte. Für mich eines der wenigen Details an den DKW-Wagen jener Zeit, die in gestalterischer Hinsicht missglückt waren.

Die beiden jungen Damen, die sich hier noch in winterlich anmutender Bekleidung neben dem Wagen haben ablichten lassen, wird vielleicht eher interessiert haben, wann es wieder nach Hause geht.

Denn eine Heizung besaß auch die hier zu sehende Ausstattungsvariante „Meisterklasse“ nicht – sie sah bloß schicker aus als die schmucklose „Reichsklasse“.

DKW F7 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Nicht nur der Temperatur wegen werden unsere beiden DKW-Insassinnen gern dem Winter adé gesagt und das Frühjahr begrüßt haben, das auf diesem Foto freilich noch im Rückstand zu sein scheint.

Wir können uns heute an beidem freuen – dem schicken DKW und frühlingshaften Temperaturen. Genießen wir beides, solange es geht – zumindest der Winter könnte nochmals zurückkehren…

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Allwettertauglich: DKW Typ P 15 PS „Roadster“

DKW gehört nicht zu den Vorkriegsautoherstellern, bei denen sich noch viel Erstaunliches zutagefördern ließe. Praktisch jede Variante der adretten Zweitakter ist in der Literatur dokumentiert (DKW Automobile von Thomas Erdmann, Verlag Delius-Klasing).

Auch meine DKW-Fotogalerie gehört zu den vollständigsten überhaupt, die ich bislang zu deutschen PKW-Marken aufbauen konnte.

Dennoch kehre ich gern zu den sächsischen Kleinwagen zurück, da sie immer wieder neue reizvolle Ansichten bieten – seien diese Autos technisch noch so primitiv gewesen.

Gern wird über den wenig dezenten Zweitaktsound der DKWs hergezogen, die geringe Leistung der Motoren und die fragilen Aufbauten aus Sperrholz und Kunstleder.

Dass die DKWs dennoch von Anfang an Anklang fanden und sich bis Kriegsbeginn zu einem Riesenerfolg mauserten, lag daran, dass sie die erschwinglichsten Autos am deutschen Markt waren, noch dazu zuverlässig und ggf. leicht zu reparieren.

Für viele Deutsche – und wohl auch zahlreiche Käufer im Ausland – war ein DKW das erste Auto überhaupt. Welchen Stellenwert diese von der Papierform so einfach daherkommenden Autos im Leben ihrer Besitzer hatten, das steht in keinem Buch.

Wie sehr DKW-Fahrer ihre Gefährte(n) schätzten, das steht in ihre Gesichter geschrieben – nicht zuletzt das macht den Wert der Fotos von einst aus:

DKW Typ P 15 PS Roadster; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Vielleicht erinnert sich der eine oder andere Leser an diese Aufnahme, die ich als eines der ersten DKW-Fotos in meinem Blog besprochen habe.

Der Wagen eignete sich als Auftakt zu einer kaum noch überschaubaren Zahl von Beiträgen zu den vielen Modellen, die DKW zu einem der einfallsreichsten deutschen Hersteller der 1930er Jahre machten.

Auf obigem Foto haben wir den automobilen Erstling von DKW – den Typ P 15 PS, der 1928 der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Er besaß noch nicht den Frontantrieb, mit dem DKW später so erfolgreich sein sollte.

Der Motor nahm jedoch schon viel von dem vorweg, was später zum DKW-Standard werden sollte. Die zwei Zylinder waren in einem Block mit Wassermantel zusammengefasst und ließen kaum noch etwas davon ahnen, dass ein 500ccm-Motorradmotor Pate gestanden hatte.

Aus nunmehr 600ccm Hubraum schöpfte das Aggregat 15 PS, was in Verbindung mit der leichten und kompakten Karosserie ein Spitzentempo von 80 km/h ermöglichte.

Auf ein solches Gefährt durfte man mit Recht stolz sein, noch dazu, wenn es so flott daherkam wie der DKW Typ P 15 PS mit „Roadster“-Aufbau auf dem Foto:

Woran erkennt man aber, dass dieser DKW Typ P 15 PS tatsächlich ein „Roadster“ war? Schließlich fehlen die roadstertypisch tief ausgeschnittenen Türen.

Nun, dazu muss man wissen, dass die Werbeleute der Vorkriegszeit durchaus großzügig in der Beschreibung der Wagen waren, die es anzupreisen galt.

Wenn man nur ein simples Basismodell ohne gefüttertes Verdeck im Angebot hat, macht es sich viel besser, dieses zum „Roadster“ zu adeln, der sich ja auch nur durch ein dünnes, wenig windfestes Notverdeck auszeichnet.

Dass man nichts vom Verdeck oder seinem Gestänge sieht, ist ein Indiz, dass obiges Foto einen Roadster zeigt und nicht das sonst identische 2-Sitzer-Cabriolet, das ein hoch aufgetürmtes gefüttertes Verdeck mit seitlicher Haltestange („Sturmstange„) besaß.

Hier ein Beispielfoto für das Cabriolet, das ich ebenfalls vor längerem gezeigt habe:

DKW Typ P 15 PS, 2-sitziges Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Jetzt könnte man der Ansicht sein, dass so ein DKW Roadster mangels „richtigen“ Verdecks doch nur ein Schönwetterauto gewesen sein kann, während das Cabriolet mit seinem gefütterten, stabileren Verdeck besseren Schutz vor Regen, Wind und Kälte bot.

Nun, man sollte den Komfort des 2-sitzigen Cabriolets nicht überschätzen, denn auch dort ging es noch relativ zugig zu. Denn so wie dem „Roadster“ auf Basis des DKW Typ P 15 PS die ausgeschnittenen Türen fehlten, so musste das „Cabriolet“ auf die bei diesem Aufbau üblichen seitlichen Fenster verzichten.

Stattdessen wurden Steckfenster wie beim Roadster montiert, die aus Zelluloid bestanden und in einem Holzrahmen mit Kunstlederbespannung eingelassen waren.

Auf folgender Reklame für das Modell kann man die beiden Knebelverschlüsse erkennen, mit denen diese Konstruktion am oberen Rand der Tür befestigt wurde:

DKW Typ P 15 PS, 2-sitziges Cabriolet; Ausschnitt aus Originalreklame aus Sammlung Michael Schlenger

Nun aber genug vom Cabriolet, das übrigens einen Notsitz im Heck besaß, der dem Insassen bei schlechtem Wetter die denkbar ungünstigste Position zuwies…

Andererseits: Unsere Altvorderen waren aus dem Alltag Härten gewohnt. Die wenigen Deutschen, die in den 1930er Jahren erstmals ein Auto erwerben konnten, waren ihr bisheriges Leben lang den Unbilden des Wetters ausgesetzt gewesen – auf dem Schulweg, auf dem Weg zur Ausbildung und Arbeit.

Während es in den Städten für stark frequentierte Verbindungen Straßenbahnen und Busse gab, mussten die Landbewohner bei Wind und Wetter zu Fuß, mit dem Rad oder – wenn sie gutsituiert waren – mit dem Moped ihren Alltag meistern.

Das erklärt, welcher Sprung der Besitz eines Automobils war – ein enormer Gewinn an Komfort, Beweglichkeit und Autonomie, der für uns heute selbstverständlich ist und den die allermeisten – vorgeblich „grüner“ Propaganda zum Trotz – nicht aufgeben wollen.

Das erklärt auch, weshalb auf zeitgenössischen Fotos Besitzer dieser aus heutigen Sicht so unvollkommenen frühen DKW-Typen so zufrieden in die Kamera schauen – und das selbst bei Schmuddelwetter, das kaum an’s Offenfahren denken lässt:

DKW Typ P 15 PS Roadster; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese schöne Aufnahme verkörpert für mich vollkommen den Stolz auf’s eigene Auto, die Abgeklärtheit gegenüber schlechtem Wetter und zugleich ein Stilbewusstsein, das in dem Maß verlorengegangen ist, in dem das Automobil zur Selbstverständlichkeit wurde.

Man könnte es beim Genuss dieses Dokuments bewenden lassen, wäre da nicht noch die Frage, ob wir hier nun einen DKW des Typs P 15 PS in der Ausführung als Roadster oder als 2-sitziges Cabriolet vor uns haben.

Das Verdeckgestänge ist mit einem Überzug verdeckt, sodass nicht zu erkennen ist, ob eine Sturmstange vorhanden ist, die kennzeichnend für das Cabriolet war.

Allerdings spricht der flache Verlauf des Überzugs dafür, dass sich darunter tatsächlich nur das dünne Roadsterverdeck verbirgt und nicht das hoch aufbauende Cabrioverdeck. Vielleicht kann ein DKW-Kenner diesen Punkt klären.

Möglicherweise gibt es aber kaum noch jemanden, der sich dazu aus eigener Anschauung äußern könnte. Denn überlebende Exemplare dieses ersten serienmäßigen DKW-PKW müssten sehr rar sein.

Die Holzkarosserie wird in der Literatur als wenig dauerhaft beschrieben, was unter dauerhaft feuchten Bedingungen auch zugetroffen haben mag. Andererseits ist Holz ein Material, das im richtigen Umfeld sehr lange haltbar ist. Ich besitze selbst zwei Vorkriegsautos mit völlig intaktem originalem Holzrahmen.

Immerhin hat der obige DKW Roadster des Typ P 15 PS zum überlieferten Zeitpunkt der Aufnahme – 1935 – bereits fünf bis sechs Jahre auf dem Buckel. Nach einer solchen Zeit wanderten in den 1970er Jahren viele Autos durchgerostet auf den Schrott…

Auf mich macht der DKW auf dem Foto jedenfalls einen mindestens so soliden Eindruck wie der Fahrer, aus dessen Fotoalbum diese Aufnahme wohl stammen dürfte und der uns hier anschaut, als würde ihn das miese Wetter rein gar nichts angehen…

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Unterwegs durch die deutsche Geschichte im DKW „Front“

Heute befasse ich mich nicht mit eigenwilligen Konstruktionen, in Vergessenheit geratenen Nischenherstellern oder Luxusautomobilen für die oberen zehntausend.

Nein, heute geht es anhand von Fotos eines durch und durch bodenständigen Fahrzeugs durch einige Episoden der deutschen Geschichte – begleitet vom unverkennbaren Sound und „Duft“ eines Zweitaktmotors.

Die Reise beginnt in einem Ort, von dem ich nie zuvor gehört hatte – Tangermünde.

Kein Wunder: als Schüler an einem hessischen Gymnasium der 1970/80er Jahre erfuhr man so gut wie nichts von der reichen Geschichte des östlichen Teils Deutschlands. Dieser sollte einem nach den Wünschen der roten Ideologen in der damaligen Schulbürokratie Hessens möglichst fremd bleiben.

So wäre ich von mir aus unmöglich darauf gekommen, dass die folgende Aufnahme einst vor dem spätmittelalterlichen Rathaus der einstigen Hansestadt und zeitweiligen Kaiserresidenz Tangermünde entstand:

DKW F5 in Tangermünde; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der großartige Bau kann heute noch in voller Schönheit bewundert werden, wie auch das gesamte Städtchen fast unbeschadet durch den 2. Weltkrieg gekommen ist und von den Verheerungen der sog. Moderne verschont geblieben ist.

Das Kleinod, das im Nordosten Sachsen-Anhalts an der Mündung des Tangers in die Elbe liegt, lebt vor allem von ihrer über Jahrhunderte gewachsenen Schönheit, die auch durch Autoverkehr kaum beeinträchtigt wird.

An Ostern 1937, als diese Aufnahme entstand, waren Automobile noch weit seltener als heute – der einzige Wagen auf dem ansonsten leeren Platz vor dem Rathaus war dieser DKW-Frontantriebswagen:

Auch wenn die Aufahme etwas verwackelt und die Ausschnittsvergößerung heftig ist, sieht man genug, um den DKW als Typ F5 „Meisterklasse“ ansprechen zu können.

Die ab 1931 gebauten DKW-Fronttriebler mit ihrem einfachen, aber zuverlässigen und anspruchslosen Zweizylinder-Zweitaktmotor wurden äußerlich stetig weiterentwickelt und lassen sich daher anhand kleiner Details recht gut datieren.

Die breiten schrägstehenden Luftschlitze in der Motorhaube und die seitlichen „Schürzen“ an den vorderen Schutzblechen finden sich zwar bereits beim 1934 eingeführten Typ F4 „Meisterklasse“.

Doch zwei Elemente verweisen hier auf den Nachfolger F5 „Meisterklasse“, dessen Produktion noch Ende 1934 anlief: Der F5 besaß eine bis über den Schweller nach unten reichende Tür und verfügte über größere Radkappen als der F4.

Hier zum Vergleich das Foto eines sonst fast identischen DKW F4 in der Standardausführung als Cabrio-Limousine:

DKW F4 am Fernpass; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Man erkennt hier, dass die Tür vorne abgerundet war und oberhalb des Schwellerabschlusses endete. Im direkten Vergleich wirken zudem die Radkappen kleiner als beim DKW F5 aus Tangermünde.

Diese schöne Winteraufnahme ist ebenfalls datiert – sie entstand an Ostern 1938 am rund 1.200 Meter hoch gelegenen Fernpass in den österreichischen Alpen, über den bereits die Römer eine erste befestigte Straße bauten.

Vom selben Fahrzeug entstand bei dieser Gelegenheit eine weitere Aufnahme, diesmal im Schneetreiben:

DKW F4 am Fernpass; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Gut gefällt mir die lässige Eleganz, mit der die wackere DKW-Passagierin das wenig erbauliche Wetter ignoriert.

Auch darin wird deutlich, wieviel sich seit jener Zeit gewandelt hat – und das nicht nur zum Guten. Erst kürzlich sah ich einheimische Männer mit Handschuhen bei acht Grad Plus den Weg vom Parkplatz zum Eingang des Supermarkts absolvieren…

Auch was die Klarheit des Schriftbilds auf dem Nummernschild angeht, sehe ich die heutigen Verhältnisse nicht als Fortschritt an. Irgendwo las ich, dass die verunglückt wirkende Schrift auf den deutschen „Euro“-Kennzeichen (und nur dort) maschinenlesbar sein solle.

Abgesehen davon, dass auf deutschen Straßen zahllose ausländische Fahrzeuge mit allen möglichen anderen Schriften unterwegs sind, die problemlos erfassbar sind, zeigt gerade diese Ausschnittsvergrößerung aus einem rund achtmal so großen Foto wie gut die hierzulande früher gebräuchliche Schrift selbst auf große Distanzen unter ungünstigen Bedingungen zu lesen ist.

Der Wimpel am in Fahrtrichtung rechten Kotflügel verweist auf die deutsche Nationalität des DKW – sie ist nicht zwangsläufig als Bekenntnis zur national-sozialistischen Ideologie zu interpretieren.

Natürlich kommen wir an der ab 1933 von Berlin aus ausgeübten Diktatur nicht vorbei – wenn wir uns mit deutschen Wagen jener Zeit beschäftigen. Da das NS-Regime in freien Wahlen nie eine Mehrheit der Wähler gewinnen konnte, liegt es mir jedoch fern, alle Menschen auf solchen Zeitdokumenten reflexartig damit zu identifizieren.

So können wir nicht wissen,wie beispielsweise diese Bewohner der Reichshauptstadt bei der letzten freien Reichstagswahl Anfang 1933 votierten, bei der die NSDAP dort lediglich 31,2 % der Stimmen erhielt:

DKW F4 aus Berlin; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Interessant an diesem DKW – zweifellos wieder ein Typ F4 von 1934 – ist das ungewöhnliche Farbschema mit hellem Karosseriekörper und dunkel abgesetzten Partien (Schutzbleche, Motorhaube, Dach).

Das war offenbar eine privat in Auftrag gegebene, durchaus gelungene Lackierung, die an die „Front Luxus“-Ausführungen erinnert, die bei DKW für einen Aufpreis in Ganzstahlausführung mit Drahtspeichenrädern und Ledersitzen erhältlich war.

Offenbar müssen diese hocheleganten Luxusversionen auch manche Besitzer standardmäßiger DKW inspiriert haben.

Ein trauriges Kapitel der jüngeren deutschen Geschichte scheint dagegen in der folgenden Aufnahme auf, auch wenn man es ihr auf den ersten Blick nicht ansieht.

Dieser hervorragend getroffene serienmäßige DKW F4 „Meisterklasse“ war dem Nummernschild nach zu urteilen im einstigen Landkreis Glatz in Schlesien zugelassen.

Das Auto hinterlässt zwar noch einen glänzenden Eindruck, dem Reifenprofil und dem Lack der Frontpartie nach zu urteilen, war der DKW zum Zeitpunkt der Aufnahme aber gewiss nicht mehr neu.   

Setzt man als spätestes Datum dieses Fotos 1939 an – danach mussten privat weitergenutzte PKW Tarnscheinwerfer besitzen – sollte das kleine Mädchen, das uns hier so freundlich anschaut, wenige Jahre später sein Zuhause verlieren.

Vermutlich floh es wie meine ebenfalls schlesische Mutter im Februar 1945 mit Ihrer Familie in einem der letzten Züge vor der näherrückenden Sowjetarmee gen Westen und absolvierte einen Großteil des Wegs durch Böhmen nach Bayern zu Fuß.

Mehr als einen kleinen Koffer wird es dabei nicht bei sich gehabt haben. Der enthielt neben etwas Kleidung und Waschzeug die wichtigsten Urkunden und Zeugnisse, das Sparbuch und auf jeden Fall den kostbarsten Besitz: das Fotoalbum.

So muss uns dieses schöne und zugleich bedrückende Dokument erhalten geblieben sein. Es erzählt davon, dass nicht nur in den von Deutschen verheerten Nachbarländern sondern auch bei uns einer unschuldigen Generation alles genommen wurde.

Übrig blieb ein geschlagenes und aus meiner Sicht bis heute traumatisiertes Volk, dem auch rund 75 Jahre nach Ende der national-sozialistischen Herrschaft ein gesundes Verhältnis zu sich selbst unmöglich erscheint.

Sinnbildlich dafür steht aus meiner Sicht diese letzte Aufnahme eines DKW F4 „Meisterklasse“, die kurz nach dem Krieg entstanden ist:

DKW F4 nach dem 2. Weltkrieg; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die Gesichter sind ernst, der Kamera abgewandt. Die Kleidung ist stark getragen und nachlässig. Vom ausgeprägten Stilbewusstsein breiter Schichten der 1930er Jahre ist fast nichts übriggeblieben.

Der DKW sieht ebenfalls ziemlich mitgenommen aus. Auch er weist eine nicht standardmäßige Zweifarblackierung auf wie bereits der Wagen aus dem Berlin der Vorkriegszeit. Allerdings sind hier zusätzlich die Kotflügel hell lackiert und nur die Partie oberhalb der Gürtellinie ist dunkel gehalten.

Sonderlich überzeugend finde ich das Ergebnis nicht, aber soviel ist klar:

Aus historischer Perspektive sind alle hier gezeigten Fahrzeuge auf ihre Weise authentisch. Sie stehen jeweils für unterschiedliche Epochen und Ereignisse der Geschichte unseres Landes, die allesamt eine Beschäftigung verdienen, ob es einem im Einzelnen gefällt oder nicht…

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Zweitakter mit Charakter: DKW F7 Reichsklasse Spezial

Nach längerer Abstinenz kehre ich heute wieder einmal zu den charmanten Frontantriebswagen von DKW zurück, die in den 1930er Jahren zu den meistverkauften Wagen in Deutschland zählten.

Mancher mag die Nase rümpfen, wenn er an die unkultivierten Zweitaktmotoren mit 18 bis 20 PS denkt, die in denkbar großem Kontrast zu der schönen Form der Wagen standen.

Doch das war damals der Preis, der für ein halbwegs erschwingliches Automobil hierzulande zu zahlen war. Für DKW-Kunden war wichtiger, überhaupt einen eigenen Wagen zu besitzen – wir können heute kaum ermessen, was das damals bedeutete.

Wie stolz DKW-Fahrer auf ihren (meist ersten) fahrbaren Untersatz mit vier Rädern waren, davon erzählen unzählige Fotos der Vorkriegszeit. Ein Beispiel dafür ist diese herrliche DKW-Parade:

DKW F7 an der Reichsautobahn; Originalfoto aus Sammlung Volker Wissemann

Diese außergewöhnliche Aufnahme verdanken wir DKW-Sammler Volker Wissemann, der schon etliche Dokumente zu meinem Blog beigesteuert hat.

Hier haben sich vier DKW des ab Ende 1936 gebauten Typs F7 an einem Autobahnparkplatz zum Fototermin versammelt – herrlich übrigens die Leere auf den zum Horizont reichenden Betonbändern im Hintergrund…

Auf den ersten Blick sehen die Wagen fast identisch aus, doch wie das bei solchen Gruppenaufnahmen meist ist – einer muss aus der Reihe tanzen. Und genau mit diesem speziellen Charakter befasse ich mich heute.

Zur Identifikation der DKWs als Typ F7 genügt ein Blick auf die Partie oberhalb der Frontscheibe:

Die Lufteinlasshutze oberhalb der Windschutzscheibe tauchte in dieser Form erstmals beim DKW F7 ab 1938 auf. Sie war wie die doppelten Scheibenwischer auf die etwas stärkere und besser ausgestattete Version „Meisterklasse“ beschränkt.

Bei näherem Hinsehen erkennt man hier, dass der Wagen mit Zweifarblackierung eine Cabrio-Limousine war, während der dunkel lackierte Nachbar einen geschlossenen Aufbau besaß.

Was aber hat es mit dem von links gezählt dritten DKW auf sich? Nun, hier fällt nicht nur der Besitzer aus dem Rahmen, der es sich im Unterschied zur übrigen DKW-Gesellschaft auf der Stoßstange gemütlich gemacht hat:

Auch dieser Wagen ist ein DKW F7 – doch ein ganz spezieller Charakter, der nähere Betrachtung verdient.

Im Vergleich zu den anderen Wagen fällt auf, dass die Kühlermaske hier in Wagenfarbe lackiert ist, die Lufthutze an der Frontscheibe fehlt und nur ein Scheibenwischer montiert ist.

Das wäre an sich ein Hinweis auf die DKW-Basisvariante „Reichsklasse“, die nicht nur die schwächere Motorisierung aufwies, sondern auch mit weniger Zierrat auskommen musste.

DKW war allerdings stets kreativ, was die Möglichkeit der Aufwertung und Differenzierung der Basisvarianten seiner Frontantriebsmodelle anging. So bot man beim F7 gegen 100 Reichsmark Aufpreis erstmals eine Variante an, die zwischen Reichsklasse und Meisterklasse angesiedelt war – das Modell Reichsklasse „Spezial“.

Wir erkennen es auf obigem Foto an der feinen Chromleiste, die die beiden Hälfte des Kühlergrills einrahmt. Für die weiteren Unterscheidungsmerkmale können wir wiederum auf ein reizvolles Foto von Volker Wissemann zurückgreifen:

DKW F7 Reichsklasse „Spezial“; Originalfoto aus Sammlung Volker Wissemann

Auch an dieser Limousine mit Zulassung im Raum Berlin sehen wir die feine Akzentuierung der Kühlereinfassung, die auf mich sogar raffinierter wirkt als die glänzende Chromausführung der „Meisterklasse“.

Nimmt man die Motorhaube unter die Lupe, bemerkt man nicht nur die gegenüber dem Vorgänger F5 geänderte Ausführung der Luftschlitze. Da ist auch eine entlang des Haubenscharniers verlaufende Chromleiste zu sehen, die es bei der Basisausführung „Reichsklasse“ nicht gab. Dasselbe gilt für die verchromten Haubenhalter.

Auch die verchromten Stoßstangen gehörten zur Ausstattung des DKW F7 Reichsklasse „Spezial“. Weitere Unterschiede zum spartanischen Basismodell „Reichsklasse“ fanden sich im Innenraum.

Darüber könnte die Dame mit dem gestreiften Kleid vielleicht etwas sagen, möglicherweise posiert sie hier aber auch bloß als Automobilistin.

So müssen wir uns weiterhin auf’s Äußere des DKW F7 Reichsklasse „Spezial“ beschränken, doch das muss kein Nachteil sein. Wie gekonnt DKW diese Version gegenüber der simplen Basisausführung aufgewertet hatte, sieht man auch hier:

DKW F7 Reichsklasse „Spezial“; Originalfoto aus Privatbesitz (via Wolf-Dieter Ternedde)

Das ist eine ganz außergewöhnliche Aufnahme, noch dazu von hervorragender technischer Qualität.

Angefertigt wurde das Foto 1937 von einem Unternehmer aus Seesen (Harz), der damals mit seinem Wanderer W51/52 die Elbfähre Glückstadt-Wischhafen benutzte. Von seinem eigenen Auto sind ebenfalls Fotos erhalten, die ich gelegentlich zeige.

Dieses Dokument verdanke ich Wolf-Dieter Ternedde aus Seesen, der sich um die Geschichte seines Heimatorts einige Verdienste erworben hat. Von ihm stammt nebenbei das wunderbare Buch „Seifenkistenrennen in Seesen 1951 bis 1955“.

Besonderes Interesse an diesem DKW F7 Reichsklasse „Spezial“ verdient die Frontpartie:

Bemerkenswert sind hier die beiden Wimpel mit den Landesflaggen des Deutschen Reichs (zu beachten: kein politisches Parteiabzeichen!) und des Königreichs Schweden in Verbindung mit dem ausländischen Nummernschild.

Der Besitzer dieses DKW, der 1937 die Elbfähre nutzte, befand sich offenbar auf einer größeren Reise – doch woher kam er? Handelt es sich um ein Kennzeichen aus Schweden oder einem anderen skandinavischen Land?

Das wird sicher ein Leser beantworten können, der sich in diesen Dingen auskennt.

Unterdessen lasse ich es bei dem Urteil bewenden, dass der DKW F7 in der Ausstattungsvariante Reichsklasse „Spezial“ ein besonderer Charakter war, der heutzutage sehr selten sein dürfte.

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Abschied vom Sommer: DKW F5 Luxus Cabriolet

Bald haben wir Ende September und traditionell endet zum 21. kalendarisch der Sommer. Vor 80 Jahren hatten die Völker Europas um diese Zeit bereits Abschied vom Sommer nehmen müssen.

Anfang bzw. Mitte September 1939 waren deutsche und sowjetische Truppen in Polen einmarschiert und teilten das Land nach kurzen Kämpfen unter sich auf – mit dieser Aggression im Einklang mit dem Hitler-Stalin-Pakt begann der 2. Weltkrieg.

Wenige Wochen zuvor – am 16. Juni 1939 – unternahm der Besitzer dieses DKW seine „erste Fahrt im eigenen Wagen“, wie er auf der Rückseite des Abzugs vermerkte:

DKW F5 „Reichsklasse“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ausweislich des Kennzeichens unternahm unser hoffnungsfroher DKW-Besitzer seine erste Ausfahrt irgendwo im Landkreis Grünberg in Niederschlesien.

Trotz der mäßigen Qualität des Abzugs lässt sich der DKW als Typ F5 in der Basisausführung „Reichsklasse“ identifizieren.

Dabei handelte es sich um die ab Ende 1934 gebaute bis dahin erfolgreichste Variante der populären Frontantriebswagen von DKW mit Zweizylinder-Zweitaktmotor und 20 PS aus 700 ccm.

Fast 75.000 Exemplare des F5 wurden bis 1938 gefertigt – zu erkennen übrigens an den über die Schwellerpartie nach unten hinausreichenden Türen. Dabei waren die lackierte Kühlereinfassung und der Verzicht auf eine seitliche Zierleiste an der Motorhaube Kennzeichen der Einstiegsversion „Reichsklasse“.

Trotz bescheidener Motorisierung nutzten viele Besitzer dieser für einen Kleinwagen ausgesprochen attraktiv gezeichneten Fahrzeuge die neu gewonnene Mobilität für Fernreisen oder Ausflüge ins Gebirge:

DKW F5 „Reichsklasse“; Originalfoto aus Sammlung Volker Wissemann

Diese stimmungsvolle Aufnahme eines DKW F5 „Reichsklasse“ verdanken wir Leser Volker Wissemann, der selbst DKW-Vorkriegswagen besitzt und bewegt.

Im Unterschied zum ganz oben gezeigten Wagen handelt es sich hier nicht um eine Limousine, sondern um eine Cabrio-Limousine – seinerzeit ein vor allem im deutschsprachigen Raum beliebte Karosserieversion.

Noch attraktiver waren jedoch die Front-Luxus-Ausführungen, die im Zwickauer Horch-Werk ganz aus Stahl gefertigt wurden und zum schönsten gehören, was jemals auf das Chassis eines Kleinwagens mit Zweitakter montiert wurde.

Einen Vorgeschmack gibt diese Aufnahme, die ein solches DKW F5 Front Luxus Cabrio irgendwo am Rand einer Landstraße zeigt:

DKW F5 Front Luxus Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Bereits hier kann man das wichtigste Erkennungsmerkmal der „Front Luxus“-Ausführung erkennen: die zum Heck hin breit auslaufende seitliche Chrom-Zierleiste in Form eines Kometenschweifs.

Besagte Leiste verläuft hier oberhalb des oberen Türscharniers, was auf einen Zweisitzer hindeutet – der Fotograf muss also mit einem weiteren Auto unterwegs gewesen sein. Bei der viersitzigen Version lief die Leiste durch das Scharnier hindurch.

Gut erkennbar ist hier, dass bei den Front-Luxus-Ausführungen des DKW F5 die Türen nicht mit der Schwellerunterseite abschlossen, sondern die Türunterseite oberhalb verlief und nach vorn anstieg, was für die Spannung sorgt, die der Serienversion fehlt.

Was auf obiger Aufnahme kaum zu erkennen ist, sind die in Wagenfarbe lackierten Drahtspeichenräder – ein weiteres Merkmal der Front-Luxus-Versionen.

Dieses Detail – und weitere – sind auf folgendem Foto in wünschenswerter Deutlichkeit zu erkennen:

DKW F5 Front Luxus Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der aufmerksame Betrachter wird außerdem die beiden Hupen oberhalb der Stoßstange sowie die vollverchromten Scheinwerfer bemerken, die dem Front-Luxus-Modell ebenso vorbehalten waren wie die lederbezogenen Sitze im Innenraum.

Kurios bei dieser Aufnahme ist der Korbsessel hinter dem Fahrersitz. Könnte es sich um ein Picknickzubehör gehandelt haben? Serienmäßig gab es so etwas nämlich nicht.

Dafür kann man hier die Ausführung der seitlichen Zierleiste studieren, die opulent wie ein Kometenschweif ausläuft. Dieses Element findet sich bei vielen Luxuswagen der späten 1930er Jahre und macht sich auch am DKW F5 „Front Luxus“ sehr gut.

Das Kennzeichen des Wagens scheint mit „IE“ zu beginnen, gefolgt von einer Zifferfolge, die mit „10…“ startet. Dies passt perfekt zum Stempel des Fotogeschäfts auf der Rückseite des Abzugs, das sich in Sorau befand.

Sowenig wie Grünberg in Schlesien den meisten heutigen Lesern noch etwas sagt, dürfte dies bei „Sorau“ der Fall sein. Ich selbst bin diesbezüglich familiär vorbelastet, da meine Mutter im niederschlesischen Liegnitz geboren wurde.

Zwar musste sie schon als Dreizehnjährige im Februar 1945 mit ihrer Mutter aus ihrer Heimatstadt fliehen, doch brachte sie genügend Erinnerungen mit in den rettenden Westen, um mir einiges davon zu vermitteln.

Es ist erstaunlich und mit dem Abstand von rund 80 Jahren berührend, was zum Erinnerungsgut eines Kindes jener Zeit gehört. So etwa dieser Spruch: „Sag‘ an, mein Kind, so rauh der Wind – Berlin, Stettin, wieviele Städte das sind?“

Wer mit der Welt der Städtenamen in Deutschlands Osten vertraut ist, hört hier die Namen Sagan (Niederschlesien) und Sorau (Brandenburg) heraus und damit schließt sich der Kreis.

Die fesche Dame, die einst im letzten Sommer vor dem 2. Weltkrieg in dem DKW F5 Front Luxus Cabriolet posierte, scheint aus der Gegend von Sorau gestammt haben, die wie Niederschlesien 1945 Polen zugeschlagen wurde und anschließend von den noch verbliebenen Deutschen „gesäubert“ wurde.

Dass dieses Foto noch existiert, spricht dafür, dass sie Glück im Unglück hatte und wie meine Mutter ebenfalls in den Westen gelangte und dort ein neues Leben anfing.

Dieses dürfte aber ohne den herrlichen DKW begonnen haben, denn mehr als einen Koffer und das, was man in Kopf und Herzen trug, konnte kaum einer retten.

Glücklich schätzen konnte sich dagegen, wer nach dem Krieg immer noch über seinen treuen DKW F5 verfügen konnte, und sei es nur in der Form als Cabrio-Limousine:

DKW F5 Cabrio-Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses Foto ist dem Besatzungskennzeichen nach zu urteilen, nach 1945 entstanden und man darf annehmen, dass diese Insassen des DKW mehr Glück gehabt haben als unzählige andere in Europa, denen der Krieg Leben, Heimat und Wohlstand genommen hatte.

Bemerkenswert, dass dieser DKW F5 in der frühen Nachkriegszeit entsprechend dem Farbschema des „Front Luxus“ Cabriolets umlackiert worden war. Da wusste jemand offensichtlich noch, was im letzten Sommer vor dem Krieg so glänzend daherkam…

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