Hydraulikbremse und 6 Zylinder: Wanderer W11

Auch wenn im Fundus noch einige Fotoraritäten der Veröffentlichung auf diesem Oldtimerblog harren – unter anderem von Vorkriegsautos der Marken AGA, Brennabor, NAG, Presto und Stoewer – haben auch historische Aufnahmen konventionellerer Modelle ihre Qualitäten.

So hatten wir vor einiger Zeit eine Limousine des Typs Wanderer W11 vorgestellt (Bildbericht). Das Foto bezog seinen Reiz jedoch eher aus den vier hübschen Damen, die auf dem Trittbrett posierten, vom Auto selbst konnte man nicht viel sehen.

Wer damals Zweifel an der Identifikation des Wanderer hegte, bekommt heute ein perfektes Vergleichsexemplar präsentiert:

wanderer_w11_10-50_ps_galerie

© Wanderer W11; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese schöne Privataufnahme kommt dem Ideal eines Autofotos sehr nahe: Wagen schräg im Bild platziert, ein gekonnt posierendes Fotomodell und beste Belichtung.

Zwar lässt die Schärfe im vorderen Bereich des Wagens etwas zu wünschen übrig; das kann allerdings Absicht sein. Für den Fotografen – und vermutlich Besitzer des Wanderer – war wohl die Dame auf dem Trittbrett das Hauptmotiv:

Wer sich von der charmanten Trittbrettfahrerin losreißen kann, wird bemerken, dass dies ein richtig großer Wagen ist – eine Sechsfenster-Limousine, die hinten einen Platz bot, von dem man heute selbst in Luxuswagen nur träumen kann.

Mit diesem Modell – dem Typ W11 – stellte die bis dato konservativ agierende Marke Wanderer 1928 ein Auto vor, mit der man der starken US-Konkurrenz etwas entgegensetzen konnte.

Der Wagen verfügte erstmals über einen 6-Zylindermotor, der aus 2,5 Liter Hubraum solide 50 PS leistete. Das Aggregat verfügte über im Zylinderkopf hängende Ventile, was den Gaswechsel erleichterte.

Hervorzuheben ist neben der 12-Volt-Elektrik die hydraulische Bremsanlage von ATE. Auch dieses Detail unterstreicht den Anspruch des Wanderer W11 als Qualitätswagen.

Zum Vergleich: Bei den 50 PS-Sechszylindern von Opel gab es Ende der 1920er Jahre nur seitlich stehende Ventile, 6-Volt-Elektrik und Seilzugbremsen. Nicht umsonst verspottete der Volksmund diese technisch primitiven Wagen als Bauern-Buick.

Wanderer dagegen gelang es auch, seinem neuen 6-Zylinder-Wagen ein repräsentatives Äußeres zu geben:

Die ersten, ab Oktober 1928 gebauten Exemplare des Wanderer W11 trugen noch einen schlichten Kühler nach Art des W10-Vierzylinders. Zum Jahresende führte man die üppig verchromte Kühlermaske mit von innen verstellbaren Lamellen ein, wie sie auf unserem Foto zu sehen sind.

Erstmals trug dieses Modell das geflügelte „W“, das der Vertriebsvorstand vorgeschlagen hatte. Heute braucht man für ein dermaßen aufmerksamkeitsstarkes Markenemblem eine externe Agentur, die sich das dann sehr gut bezahlen lässt…

Weitere typische Elemente sind die vollverchromten Scheinwerfer und die Doppelstoßstange. Wanderer-spezifisch sind außerdem die flachen Blinker auf den Schutzblechen.

Die Scheibenräder verraten, dass der Wagen auf dem Foto erst ab Frühjahr 1929 gebaut worden sein kann, vorher gab’s Speichenfelgen. In dieser Form wurde der Wanderer W11 bis Ende 1930 produziert.

Damit können wir das Baujahr des Wagens recht gut eingrenzen. Auch der Aufnahmezeitpunkt dürfte im Jahr 1929/30 gewesen sein. Die Kleidung unseres Fotomodells verweist nämlich noch auf die späten Zwanziger.

Übrigens gab es bei den gewohnt fabelhaften Classic Days auf Schloss Dyck 2016 genau solch einen Wanderer W11 zu bewundern. Der Wagen war dort verdientermaßen in bester Gesellschaft platziert, wie man bemerken wird:

© Wanderer W11 bei den Classic Days 2016 auf Schloss Dyck; Bildrechte: Michael Schlenger

Kommentar verfassenAntwort abbrechen