Horch 8-Rivale: Mercedes „Nürburg“ von 1933

Exemplare der ersten Achtzylinderwagen der sächsischen Luxusmarke Horch wurden auf diesem Oldtimerblog bereits wiederholt besprochen (Beispiele und 2).

Was die Zwickauer Ingenieure mit dem hochmodernen Triebwerk geschaffen hatten, war in Deutschland Mitte der 1920er Jahre ohne Vergleich. Dies galt erst recht, als der Horch „8“ auch stilistisch zu einem Automobil der Spitzenklasse reifte.

Mercedes-Benz zog 1928 zwar nach, doch der eilig entwickelte Achtzylinder ließ die Raffinesse und Laufkultur des sächsischen Vorbilds vermissen. Kein Wunder, hatte man doch schlicht die konventionellen 6-Zylinder-Reihenaggregate des Typs „Mannheim“ um zwei Zylinder erweitert.

Auch fahrwerksseitig hielt Mercedes mit Starrachse vorn und Holzspeichenrädern bis Produktionsende an überholter Technik fest. Formal bot man anfangs ebenfalls nur Hausmannskost. 

Ein Adler Standard 8 kostete 1928 rund ein Viertel weniger und kam ebenso imposant daher – nur fehlte ihm das Prestige des schwäbischen Konkurrenten. Und das war der Mercedes-Klientel schon immer wichtiger als die greifbaren Qualitäten.

Wie aber sah so ein Mercedes „Nürburg“ 8-Zylinder aus? Nun, hier haben wir ein seltenes Originalfoto einer besonders interessanten Ausführung:

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© Mercedes 460 oder 500 „Nürburg“ Cabriolet, aus Sammlung Michael Schlenger

Dass dies ein recht frühes Exemplar des insgesamt weniger als 4.000 mal gebauten Mercedes „Nürburg“ mit 8-Zylindermotor ist, erschließt sich nicht sofort.

Aus dieser Perspektive wirkt der über fünf Meter lange und je nach Karosserie weit über 2 Tonnen wiegende Wagen nicht übermäßig beeindruckend. Und so war dieser zeitgenössische Abzug auch für kleines Geld zu haben.

Dass er tatsächlich einen der kolossal teuren „Nürburg“-Achtzylinder zeigt, erweist sich erst bei näherem Hinsehen:

Doppelstoßstangen in Verbindung mit senkrecht stehendem Kühler und geschwungener Scheinwerferstange – das findet sich so nur beim Achtzylinder-Modell „Nürburg“ ab 1928.

Ob es nun die 4,6 oder 5 Liter-Ausführung war, die zeitweilig parallel gebaut wurden, dürfte sich kaum entscheiden lassen. Mit 80 oder 100 PS war der schwere Wagen aus heutiger Sicht gleichermaßen untermotorisiert.

Doch was damals – im Zeitalter unsynchronisierter Getriebe – zählte, war vielmehr die enorme Elastizität des Motors. Laut Literatur konnte der Nürburg selbst im höchsten Gang bis auf 10km/h abgebremst und ohne Schalten wieder beschleunigt werden.

Während die Straßenlage trotz antiquierten Fahrwerks allgemein gelobt wurde, galt schon damals die Bremsleistung des Nürburg als unterdurchschnittlich. Offenbar halfen weder die auf dem Foto erkennbaren riesigen Trommelbremsen noch deren Druckluftunterstützung.

Formal interessant ist ein anderes Detail: die seitlichen Kotflügelschürzen. Sie tauchten erst 1933 auf und geben einen ersten Datierungshinweis. Gleichzeitig wissen wir, dass ab 1934 ein geneigter Kühler verbaut wurde.

Demnach haben wir es wohl mit einem 1933er Modell zu tun. Auffallend ist aber die schräge Frontscheibe, die bei Serienwagen des Typs erst später eingeführt wurde.

Möglicherweise könnte der Mercedes „Nürburg“ von 1933 auf unserem Foto über einen Aufbau eines unabhängigen Karosseriebauers verfügen. Tatsächlich findet sich in der Literatur ein ähnliches Pullman-Cabriolet von Baur (Stuttgart).

Solche Details mögen die jungen Burschen der „Hitlerjugend“ einst kaum interessiert haben, die diesen Mercedes auf dem Foto „erobert“ haben:

Man sieht ihnen die Begeisterung an und einer von ihnen hat auf der Rückseite des Fotos vermerkt: „Wagen des Berliner Rundfunks – Burg Saaleck“.

Demnach entstand dieses Foto einst vor einem der beiden Bergfriede auf dem Gelände der gleichnamigen Burgruine in Sachsen-Anhalt. Sie war in den 1930er Jahren eine Pilgerstätte für Anhänger des nationalsozialistischen Regimes.

Unsere Aufnahme kündet davon, wie dieser Ort propagandistisch ausgeschlachtet wurde. Dabei wurde – wie unser Foto belegt – auch die Begeisterungsfähigkeit und Gutgläubigkeit der Jugend ausgenutzt.

Die Jungen auf der Aufnahme bekamen keine zehn Jahre später als Wehrpflichtige die Gelegenheit, im Staatsauftrag ebenfalls Mercedes-Cabriolet zu fahren – nur sahen diese Wagen und das Umfeld meist anders aus:

© Mercedes 170 VK Kübelwagen, aus Sammlung Michael Schlenger

Hier sehen wir einen Mercedes 170 in der für die Wehrmacht gebauten Kübelwagenversion im Dienst einer Nachrichteneinheit an der Ostfront 1941/42.

Das Schicksal der damals in den Krieg geschickten Generation soll uns Mahnung sein, den Machbarkeitsversprechen von Politikern jeder Couleur und Apellen an kollektive Aufgaben und angebliche moralische Verpflichtungen gründlich zu misstrauen…

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