„Bescheidenheit ist eine Zier, doch besser lebt man ohne ihr“ – dieses ironische Bonmot hörte ich erstmals aus dem Mund meiner Mutter – die wenig Grund zur Bescheidenheit hatte, doch zeitlebens von einem Mangel an Selbstbewusstsein geplagt war.
Unter anderem daraus habe ich einiges gelernt – und plädiere dringend für den unbescheidenen Auftritt, sofern man es sich leisten kann. Das unverblümte Herzeigen von persönlichen Vorzügen, aber auch materiellem Wohlstand ist mir sympathisch.
Herrje, warum soll man sich seinen Mitmenschen nicht möglichst vorteilhaft präsentieren? Soll eine schöne Frau ihre Aktiva verbergen, nur weil andere weniger opulent ausgestattet sind? Niemand wird dadurch beeinträchtigt – es sei denn, eine(r) ist von Neid besessen.
Dasselbe gilt für das Herzeigen von Luxusgütern – welchen Nachteil erfahre ich dadurch, dass andere mit einem Aston Martin in der Tiefgarage glänzen?
Im Gegenteil, da halte ich inne und drücke mir die Nase an der Seitenscheibe platt, um das Edelholz der Mittelkonsole zu bestaunen. Tatsächlich steht so ein Gerät in der Klassikerhalle eines Bekannten, in dem auch mein MGB GT residiert, und natürlich finde ich das großartig.
Sie denken jetzt vielleicht, dass ich mich für den gestrigen Auflug in die Niederungen bescheidener Automobilität in Gestalt des Hanomag 2/10 PS kompensieren muss. Möglich, es kann aber auch bloßer Zufall sein.
Jedenfalls ist die Limousine auf dem folgenden Foto, das schon eine Weile auf die Vorstellung wartet, auf den ersten Blick das ganze Gegenteil von Bescheidenheit:
Mercedes-Benz Typ 460 „Nürburg“ ab 1929; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Mit knapp 5,40 Meter Gesamtlänge ist diese repräsentative Pullman-Limousine das genaue Gegenteil des „kurzen Vergnügens“, welches der kleine Hanomag darstellte.
Zufälligerweise wurde dieser mächtige Wagen fast zeitgleich mit dem „Kommissbrot“ eingeführt – nämlich 1929 – und markiert gewissermaßen das andere Ende der Skala.
Woher ich das weiß? Nun, weil es sich – ganz unbescheiden formuliert – offensichtlich um einen Mercedes-Benz Typ 460 Nürburg in der ab 1929 gebauten Version handelt.
Die Form der Trittschutzbleche unterhalb der Türen gab den ersten Hinweis auf einen großen Mercedes der zweiten Hälfte der 1920er Jahre.
Auf dem Originalabzug lässt sich der Mercedes-Stern auf den Nabenkappen erahnen und die niedrige Schwellerpartie ist typisch für die überarbeiteten Version der ab 1926 bzw. 1928 gebauten 6- bzw. 8-Zylindertypen Mannheim bzw. Nürburg.
Dabei deutet hier die selbst aus diesem Winkel enorme Länge der Frontpartie auf den großen Reihenachtzylinder hin, der noch auf Ferdinand Porsches Mist gewachsen war.
Die despektierliche Formulierung erlaube ich mir, weil Porsche mit diesem simplen Seitenventiler hinter seinen Möglichkeiten zurückblieb. Das machten die Amis damals nicht anders, bloß verlangten sie für ihre hubraumstarken Achtzylinder keine Mercedes-Preise.
Der Grund für diese konstruktionsmäßige Bescheidenheit war wohl der Umstand, dass man zwei Jahre lang dem Erfolg der 8-Zylinder-Modelle von Horch untätig zugeschaut hatte und auf einmal bemerkt, dass die Sachsen das Marktsegment zunehmend dominierten.
So wählte Porsche den einfachsten Weg – mit 4,6 Liter Hubraum ließen sich ohne anspruchsvolle Konstruktion damals 80 PS produzieren. Nicht ganz das, was man vom angeblichen Spitzenhersteller erwarten würde, aber das war Mercedes damals auch nicht.
Technisch die Nase vorn hatte Horch mit seinen effizienten 8-Zylindern. Dank hängender Ventile und obenliegender Nockenwellen leistete das Zwickauer Aggregat schon bei 3,9 Litern Hubraum die 80 PS, welche die Schwelle zur Luxusklasse markierten.
Die 8-Zylinderwagen von Mercedes blieben daran gemessen ziemlich bescheiden. Immerhin hätte man doch dem weniger effizienten Motor des 460 „Nürburg“ ein größeres Tankvolumen spendieren können.
Denn bei an die 25 Liter Verbrauch auf 100 km/h war auf längeren Reisen sonst häufiges Tanken angesagt – nicht in allen Regionen so einfach wie heute. Doch blieb der Tankinhalt mit nur 85 Litern unnötig bescheiden.
Der deutlich sparsamere Horch war dagegen mit einem 90 Liter-Tank ausgestattet und kam damit auf fast 500 km Reichweite.
„Warum so bescheiden?„, mag sich schon damals mancher gefragt haben. Darauf gab es eine einfache Antwort- weil Mercedes-Käufer es so schätzten: Nicht Maximalleistung, aber mit Mercedes-Stern und das Ganze zum Premium-Preis.
Tatsächlich wurde für den Typ 460 Nürburg ziemlich genau derselbe Preis verlangt wie für die weit raffinierteren Horch-Achtzylinder. Da war man plötzlich unbescheiden…
Entsprechend selbstbewusst präsentierte man sich als Eigner – ob tatsächlich oder nur gestellt – vor diesem Prachtexemplar eines Mercedes 460 „Nürburg“:
Mercedes-Benz Typ 460 „Nürburg“ ab 1929; Originalfoto: Sammlung: Matthias Schmidt (Dresden)
Angeberei auf diesem Niveau ist mir durchaus sympathisch – ich glaube, es fällt weder unter die Zehn Gebote noch ist es (nach gegenwärtigem Stand) justiziabel.
Es sollte nur eine gewisse Substanz vorhanden sein, die überzeugt. Genau das ist hier eindeutig der Fall – ganz gleich, ob hier einer etwas hochstaplerisch unterwegs war oder nicht… Vielleicht ein Motto für das Neue Jahr: Weniger Bescheidenheit Wagen!
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Die einst ruhmreichen deutschen Autoindustrie hat ziemlich Federn gelassen. Die wenigen verbliebenen Marken befinden sich in der Absatzkrise – teils wegen einseitiger Ausrichtung auf nicht massenmarktfähige Elektromodelle (noch dazu ohne eigene Wettbewerbsvorteile) , teils im Zuge des allgemeinen Niedergangs der Industrie hierzulande, deren Produktion entgegen dem internationalen Trend seit etlichen Jahren rückläufig ist.
Neben einer ausufernden Staatsquote (>50 % vs. 35 % in der Schweiz) ist es vor allem die irrationale Energiepolitik, welche der Industrie hierzulande immer stärker die Grundlage entzieht. Die Reaktion darauf sind Standortschließungen und Verlagerungen ins Ausland.
Ein Kurswechsel ist nicht annähernd in Sicht, von der aus meiner Sicht dringend gebotenen Kettensäge ganz zu schweigen. Da es deprimierend ist zuzuschauen, wie ein Land vor die Hunde geht, zumal das offenbar mehrheitsfähig ist, hilft nur der Blick zurück in eine Zeit, die in vielerlei Hinsicht ihre Schattenseiten hatte – aber in einem grandios war, nämlich in punkto automobiler Vielfalt und Größe.
Zur Illustration möchte ich heute diese Aufnahme aus deutschen Landen vorstellen, die frühestens 1930 entstanden sein kann:
Horch, Mercedes und Benz-Automobile; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Versammelt sind hier Vertreter der Marken, die einst das A und O des Serien-Automobilbaus in Deutschland markierten, so lässt sich mit einer gewissen Berechtigung sagen, wenngleich Nischenhersteller wie etwa Audi, Stoewer, Röhr und Maybach ähnliche Niveaus erreichten.
Am Anfang steht natürlich Benz, das Fabrikat welches am Anfang des Verbrennerautos stand, nicht zuletzt dank der Tat von Bertha Benz, die das ewige Tüfteln ihres Gatten satt hatte und der zeitlos zutreffenden Meinung war, dass ein innovatives Produkt kein Selbstzweck ist, sondern auf den Markt gehört. Eine realistische Frau, die ihre Mitgift im ziellosen Tun des Gatten dahinschmelzen sah.
Kommt Ihnen nun das Exemplar der Marke links auf diesem Bildausschnitt bekannt vor?
Ich hoffe doch, denn denselben Wagen hatte ich kürzlich hier bereits als Benz der frühen 1920er Jahre identifiziert, bevor ich das heute präsentierte Foto erwarb – ein merkwürdiger Zufall wie so vieles, das einem im Leben widerfährt.
Aus dieser Perspektive bin ich mir erst recht sicher, was die Markenidentität angeht, wenngleich das Benz-Emblem auch hier nicht klar lesbar ist.
Den Wagen in der Mitte – ein Horch ab 1930 – kommentieren wir noch später. Nur auf den enormen Unterschied in der Größe der Räder und speziell der Reifen möchte ich hinweisen. Hier sehen wir, was sich von Anfang der 1920er Jahre bis etwa 1930 getan hatte.
Die einstigen Ballonreifen, die bei Niederdruck erheblichen Komfort boten, aber auch eine wenig präzise Straßenlage mit sich brachten, waren kleineren Reifen gewichen. Denn inzwischen waren die Fahrwerke verbessert worden und mit geringerem Reifenquerschnitt bei höherem Druck hatte der Fahrer ein besseres Gefühl dafür, wie der Wagen auf der Straße lag.
Ganz rechts schließlich sehen wir, was aus dem Benz nach dem Zusammenschluss mit Daimler anno 1926 wurde – ein Mercedes-Benz mit ganz ähnlicher Proportion, aber dem nun gängigeren Flachkühler.
Doch wollen wir Daimler nicht einfach anhand dieses etwas brav wirkenden Gewächses abhandeln. Immerhin hatte der Hersteller 1902 mit seinem Modell „Mercedes“ einst den Auftakt zum eigentlich modernen Automobil gegeben, nachdem französische Hersteller das Auto vom Kuriosum zum alltagstauglichen Fahrzeug entwickelt hatten.
Nein, der Ruhm von Mercedes lässt sich doch weit besser anhand der beeindruckenden Limousine des 80 PS starken Typ „Nürburg“ (ab 1928) illustrieren, die wir hier auf der rechten Seite sehen:
Dieses Gerät war zum Aufnahmezeitpunkt zwar stilistisch nicht mehr auf der Höhe, stellte aber mit seiner enormen Präsenz selbst den Horch links daneben in den Schatten. Selbiger war ebenfalls ein Vertreter der luxuriösen 8-Zylinder-Fraktion, der wie der Mercedes mit 80 PS aufwartete, aber eine ganz neue Fahrzeuggeneration repräsentierte.
Der üppige Chromschmuck und die schrägstehende Frontscheibe stand in starkem Kontrast zu Strenge der 1920er Jahre – dabei lagen bloß zwei, drei Jahre zwischen den beiden Wagen.
Horch war damals neben Daimler der einzige deutsche Hersteller in der Luxusklasse, der größere Serien zustandebrachte – dabei rangierten die Sachsen dank ihrer frühzeitigen Offensive im 8-Zylindersegment sogar über den meist konservativen Stuttgartern.
Mit der Pracht und Größe dieser Schöpfungen aus den Häusern Horch und Daimler lässt sich heute nichts mehr vergleichen. Kurioserweise verschlief Audi die Gelegenheit, die einstige Schwestermarke Horch mit einem Produkt der absoluten Spitzenklasse zu ehren.
Stattdessen fabrizierte man eine Weile ohne großen Erfolg den kurios benamten „Phaeton“ – ein Oberklassefahrzeug ausgerechnet auf Volkswagen-Basis, das kaum noch einer mehr kennt. Auch Daimler griff mit seiner S-Klassen-Karikatur „Maybach“ gründlich daneben.
Man könnte meinen: Die Uhr ist auch in der Oberklasse abgelaufen für die deutsche Autoindustrie. Die Zukunft wird ohnehin in Asien definiert, wo der größte Teil der Menschheit lebt. Dort nabelt man sich gerade vom als arrogant und zunehmend inkompetenten wahrgenommenen Westen ab und ist wie einst Japan längst über das Stadium des Studierens und Kopierens hinaus. Selbst Porsche ist dort inzwischen abgemeldet.
Ob im Jahr 2125 ein Wiedergänger meinerselbst noch mit derselben Faszination auf die deutschen Autos der Gegenwart zurückschauen wird, wie wir heute auf von Benz über Horch bis Mercedes, das darf bezweifelt werden…
So lassen wir es für heute beim Studium und stillen Genuss dieser einstigen Kronen automobiler Schöpfung in Deutschland. Die Begegnung mit ziemlich alten Bekannten ist ohnehin irgendwann mit das Beste, was einem passieren kann.
Zum Glück gibt es noch jede Menge davon mit vier Rädern – weniger in natura, aber dafür auf alten Fotos. Mögen auch die Lichter im deutschen Autosektor der Gegenwart allmählich schwächer brennen und irgendwann ganz ausgehen – das großartige Material in Sachen Vorkriegsautos geht mir ganz gewiss nicht aus.
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Kennen Sie das auch? Manches im Leben – mag es auch noch so weit zurückliegen – ist einem in der Erinnerung präsent, als sei es gestern gewesen.
Das können prägende Erlebnisse ebenso sein wie kurze intensive Momente, visuelle Eindrücke, Gesichter von Personen, die man längst aus dem Blick verloren hat, sogar Gerüche oder Düfte, die man sich ins Bewusstsein rufen kann.
Und dann gibt es lange Zeiten, sogar ganze Jahre, mit denen man nichts derart Präzises, scharf Umrissenes verbindet – da ist allenfalls eine ungefähre, verschwommene Erinnerung an eine vergangene Phase im Leben.
Nur im Traum begegnet man bisweilen einem verschütteten Stück der eigenen Geschichte, nicht immer erfreulich, aber mitunter auch erbaulich. Es schlummert jedenfalls viel hinter der Leinwand, auf der wir unser Leben im Alltag oberflächlich wahrnehmen.
Manches davon kann man sich in Erinnerung rufen, wenn man sich darauf konzentriert, kann nach und nach dem Bild vom gestern wieder Konturen und Tiefe geben. Oft bleibt aber eine Unschärfe und man kommt über eine verschwommene Erinnerung nicht hinaus.
Das ist keineswegs zu bedauern, denn mitunter sind es nicht alle Details, sondern die Wirkung des Ganzen, die den Eindruck reizvoll macht.
Was das mit Vorkriegsautos auf alten Fotos zu tun hat? Für den nüchternen Betrachter vielleicht nichts, für den für’s Vage, nicht zu Fassende Empfänglichen viel. Dieses Bild, das einst im Herbst vor über 90 Jahren entstand, ist ein schönes Beispiel dafür:
Mercedes-Benz „Stuttgart“ 260 Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Trotz aller Bemühungen bei der Bildbearbeitung hat diese Situation etwas von einer verschwommenenen Erinnerung, durch deren Nebel sich nicht völlig schauen lässt.
Genau das gefällt mir daran, und ob wir den abgebildeten Wagen letztlich genau ansprechen können, ist zweitrangig – die Wirkung ist davon unabhängig.
Mit Mühe meint man einen Mercedes-Stern auf dem Kühler zu erkennen – aber kann das wirklich sein? Das Auto wirkt hier merkwürdig kompakt, jedenfalls gemessen an den Proportionen der meisten Modelle der Zwischenkriegszeit.
Es gab aber tatsächlich einen Mecedes-Benz mit solchen moderaten Dimensionen – das war der 1926 eingeführte kompakte 6-Zylindertyp 8/38 PS. Nach gründlicher Modernisierung firmierte er ab 1929 als Modell 200 „Stuttgart“, hatte aber weiterhin den Makel einer schwachen Motorisierung.
Erst der parallel angebotene Mercedes 260 mit nunmehr 50 PS bot zeitgemäße Leistung. Äußerlich sind speziell die meist ansprechenden Cabriolet-Versionen der Typen 8/38 PS, 200 und 260 schwer auseinanderzuhalten, für mich jedenfalls.
Die gerundeten Vorderkotflügel und die ganz leicht geneigte Windschutzscheibe scheint es beim Typ 8/38 PS noch nichht gegeben zu haben, aber vielleicht waren die Übergänge auch fließend.
Sicher ist nur, dass das eingangs gezeigte Mercedes-Cabrio einen zweitürigen Aufbau mit tiefem Ausschnitt am Heck für das niedergelegte Verdeck besaß – ziemlich genau wie dieses Exemplar, das ich vor längerem als Typ 260 „Stuttgart“ identifiziert hatte:
Mercedes-Benz „Stuttgart“ 260 Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Wenn dieser Wagen so anders erscheint, liegt das in erster Linie an der hellen Farbgebung mit elegantem Zweifarbschema. Ein solches sommerliches Erscheinungsbild geht unserem heutigen Fotokandidaten gänzlich ab.
Dennoch meine ich, dass wir es mit einem nahezu identischen Modell zu tun haben – und aufgrund der selten zu findenden zwei Scheibenwischer bin ich geneigt, von dem teureren Typ 260 auszugehen. Das Fehlen von Stoßstangen wiederum ist ein Hinweis darauf, dass wir es mit der Standardausführung zu tun haben, nicht mit der reichhaltiger ausgestatteten Luxusversion, die wir wohl auf dem zweiten Foto sehen.
Das führt mich zu der letztlich unmaßgeblichen Vermutung, dass wir auf der ersten Aufnahme das sogenannte Cabriolet „NC“ sehen, eine mir sonst noch nicht begegnete Bezeichnung.
So oder so verschwimmt hier die Erinnerung ans Vorgestern auf das Schönste, dass man sich gar nicht länger mit den Details aufhalten will.
Wann genau und wo die Aufnahme entstand, bleibt ebenso ungewiss wie, wer diese zweifellos gutsituierten Leute waren. Sie sollten jedenfalls in den nächsten Jahren unter die Räder der Geschichte kommen, ganz gleich, was sie selbst für ein Rädchen im Getriebe gewesen sein mögen – niemand kann das mehr wissen.
Nur das Mercedes-Cabriolet bleibt am Ende als einzige relative Gewissheit an diesem Stück verschwommener Erinnerung – und das mag es sein, was solche Dokumente für uns so liebenswert geheimnisvoll macht…
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Was denken Sie als erstes, wenn morgens unerwartet ein langer schwarzer Mercedes vor dem Haus hält, es kein Taxi ist und Sie auch sonst spontan keine Ahnung haben, wer das sein könnte?
Schnell noch das Sündenregister der letzten Zeit durchgegangen – irgendeine unbotmäßige Äußerung, ein Scherz auf Kosten der Herrschenden gar? Und jetzt ab zum Verhör?
Ach was, so etwas bringt einem doch in unseren Tagen keinen unangekündigten Hausbesuch ein – jedenfalls nicht im freien Westen, sollte man meinen…
Tatsächlich entpuppte sich dieser Besuch als gänzlich erfreulich – ein alter Oldtimerfreund war mit seinem nicht mehr ganz taufrischen, doch immer noch repräsentativen Benz an der Hofeinfahrt längsseits gegangen, wo ein Konterfei unserer Katze Ellie mit dem Zusatz „Hier wache ich“ bislang alle finstren Gestalten abgewehrt hat.
Nach dieser unheimlich sympathischen Begegnung zweier Vorkriegsautofreunde war mir klar, was der nächste Kandidat in meinem Blog sein würde – nämlich dieser hier:
Mercedes-Benz 290 Pullman; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Na, was halten Sie von dieser finsteren Erscheinung auf sonnendurchflutetem italienischen Boden?
Würden Sie den Wagen ebenfalls als Mercedes-Benz 290 in der Pullman-Ausführung mit verlängertem Radstand ansprechen? Falls ja, hätten wir es mit einem zwischen 1934 und 1937 gebauten Fahrzeug zu tun, das aus meiner Sicht eher untermotorisiert war.
Mit gerade einmal 60 PS (später 68) war zumindest auf bergigen Strecken in dieser Gewichtsklasse kein Staat zu machen. Ein dermaßen repräsentatives und teures Auto hatte eine souveränere Motorisierung verdient und diese war bei der Konkurrenz auch verfügbar.
Dennoch war dieser schwere Brocken für eine auf den ersten Blick etwas unheimliche Begegnung irgendwo im Alpenraum gut. Woher ich das weiß?
Nun, das eingangs gezeigte Foto ist nur ein kleiner Ausschnitt aus einem weit größeren, das schätzungsweise um 1960 entstand.
Spätestens hier ist festzustellen, dass man es doch mit einer durchaus erbaulichen Begegnung zu tun hat, und das nicht nur in automobiler Hinsicht:
Mercedes-Benz 290 Pullman; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Wie schnell der erste Eindruck einer ganz anderen Sicht der Dinge weichen kann!
Jetzt erfreuen Sie sich noch ein wenig an den reizvollen Details auf diesem schönen Urlaubsfoto – vielleicht erkennt ja jemand den Ort.
Der Anbieter des Fotos nannte zwar den Passo di Sella am Übergang von Südirol ins Trentino, das scheint mir aber nicht richtig zu sein. Ich konnte auch auf historischen Ansichten die beiden prächtigen Bauten nicht identifizieren.
Wenn jemand die Örtlichkeit klären könnte, wäre das der glänzende Abschluss eines Tages, der zunächst ein wenig unheimlich begonnen hatte…
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Die Frage „Was ist original?“ gehört zu den meist erörterten in der Klassikerszene. Und so wie bereits die alten Griechen auch sonst so ziemlich jeder zeitlosen Frage auf den Grund gegangen sind, lieferten sie in dieser Hinsicht ebenfalls bleibende Einsichten.
Auch Oldtimer kannte man damals – sogar welche mit Heckantrieb. Das vielleicht bekannteste war das „Schiff des Theseus“ – ein Segler, der im Normalfall seinen Vortrieb von hinten bekam, durch die Kraft des Windes nämlich.
Theseus war ein mythischer König der Vorzeit, der lange vor der Blütezeit Athens dort seine segensreiche Herrschaft entfaltet haben soll. Sein Schiff wurde der Legende nach aufbewahrt und im Zeitverlauf mit immer mehr Neumaterial instandgehalten.
Das warf unter den Denkern der Zeit die Frage auf, ob es sich immer noch um das originale Schiff des Theseus handele, wenn irgendwann der Großteil der Substanz ersetzt worden war.
In einem anderen Szenario wurde erörtert, ob denn ein Schiff, das mit den originalen Planken des Schiffs des Theseus neu aufgebaut worden ist, dann dessen Identität besser repräsentiere als das ursprüngliche Schiff, dem man die Teile entnommen hatte.
Wer sich hier an die Praktiken eines gewissen Mercedes-Spezialisten erinnert fühlt, dessen Produkte mir bereits „too good to be true“ vorkamen, als ich mich vor bald 40 Jahren für antike Automobile zu interessieren begann, liegt zumindest mit der Marke richtig.
Denn heute gehen wir dem Rätsel vom „Schiff des Theseus mit Heckmotor“ anhand eines Mercedes-Benz nahe – allerdings eines Modells, das nicht annähernd den Nimbus erlangte wie etwa der legendäre 300 SL (um dieses rein zufällige Beispiel zu wählen…).
Die Rede ist vom Heckmotormodell 130, das ab 1934 gebaut wurde. Einige Exemplare dieses aufgrund seines fragwürdigen Fahrverhaltens und seiner primitiven Gestaltung erwartbar erfolglosen Gefährts habe ich bereits vorgestellt.
Dieses hier wurde einst vor dem Burgtor in Friedberg/Hessen abgelichtet – nur wenige Kilometer von meinem Heimatort Bad Nauheim entfernt:
Mercedes-Benz 130 in Friedberg/Hessen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Über die Eigenheiten dieses ohne Not entwickelten Fahrzeugs – ein moderner Fronttriebler wäre in der Klasse angebrachter gewesen – will ich keine großen Worte verlieren. Der Wagen war mit rund 4.000 Exemplaren in drei Jahren ein Flop.
Besonders irritiert mich, dass offenbar niemand bei Daimler-Benz die Gelegenheit gesehen hatte, von der traditionellen Fronthaubenform abzuweichen, die durch die Position des Motors vorgegeben war – welche hier aber irrelevant war.
Wenn man sich indessen gestalterisch an herkömmlichen Wagen orientieren wollte, wäre bei einer Marke dieses Kalibers naheliegend gewesen, wenigstens eine Kühlerattrappe anzubringen so wie das Tatra bei seinen luftgekühlten Typen 57A bzw. 75 mit sehr gefälligem Ergebnis machte.
Stattdessen mutete man der verwöhnten Mercedes-Klientel diese grobschlächtige Optik zu, die bei einem Prototypen angemessen wäre, aber unmöglich am Markt Erfolg haben konnte:
Mercedes-Benz 130; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Kurioserweise bot bei diesem unfertig wirkenden Gerät ausgerechnet die sonst meist banale Heckpartie den spannendsten Anblick am ganzen Wagen.
Damit wären wir nun endlich beim „Schiff des Theseus mit Heckmotor“ angelangt.
Das auf dem folgenden Foto abgebildete Exemplar wirft nämlich ebenfalls die Frage auf, ab welchem Grad des Wegfalls von Originalsubstanz noch die eigentliche Identität gegeben ist.
Ab sehen Sie einfach selbst, was hier Sache ist:
Mercedes-Benz 130; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Sehen Sie, womit wir es zu tun haben? Klar, der VW Käfer im Hintergrund verrät, dass dieser Mercedes-Benz 130 einige Jahre nach dem 2. Weltkrieg aufgenommen wurde.
Finden Sie die Heckpartie mit dem quasi im Kofferraum untergebrachten Motor ebenfalls sehr gelungen? Ich meine, das ist das Beste an diesem sonst missratenen Mercedes.
Schon die kiemenartigen Lufteinlasse ruinieren die ganze Linie – das löste man beim Volkswagen viel gekonnter. Immerhin bekommt man den Eindruck, dass das Auto recht geräumig war und die großen Fenster einen guten Rundumblick erlaubten.
Aber was ist mit dem Trittbrett passiert? Gewiss, der Hersteller wäre gut beraten gewesen, es wegzulassen, wie das in den 1930er Jahren öfter geschah, und den Karosseriekörper zu verbreiten.
Hier aber hat jemand das Trittbrett bis auf zwei Reste an den Kotflügeln abgesägt, vielleicht um den Wagen moderner erscheinen zu lassen.
Ganz gleich, wie dem auch sei, schließt sich analog zum Schiff des Theseus die Frage an: Ist der Wagen in dieser verstümmelten Form noch ein originaler Mercedes-Benz 130?
Wie beim Schiff des Theseus könnte man das Gedankenspiel noch weiter treiben: Ab welchem Grad der Veränderung, insbesondere Entfernen ursprünglicher Substanz, kann der Wagen noch als originaler Mercedes der 30er Jahre angesprochen werden?
Ich meine, dass sich auch diese Frage nicht eindeutig beantworten lässt – weshalb man dort wie hier von einem Paradoxon sprechen kann. Die Sache ist einfach nicht eindeutig.
Das führt einen dazu zurück, dass man erst einmal klären muss, was man unter dem Schiff des Theseus versteht bzw. unter einem originalen Mercedes 130.
Ganz eindeutig das Schiff des Theseus war nur das Schiff in der Zeit, in der Theseus selbst darauf gefahren ist. Ab dem Moment, an dem er es verlassen hat, wird die Sache unscharf.
Man sollte daher die Fragestellung anpassen: Sieht das Schiff auf den ersten Blick so aus wie das Schiff des Theseus? Dann geht es nur noch darum, wie nahe es optisch am Original ist. selbst wenn nur noch der Kiel vom ursprünglichen Schiff stammt.
Analog dazu lässt sich sagen, dass original absolut eindeutig nur ein historisches Auto sein kann, das sich genau in dem Zustand befindet, wie es einst aus der Fabrik rollte (das gibt’s praktisch nicht). Ab da unterlag es stetigen und meist immer stärkeren Änderungen bis hin zum Extremfall eines Neuaufbaus nur noch unter Verwendung des ursprünglichen Chassis.
Zwischen diesen beiden Polen gibt es unendlich viele Zwischenstadien und keines davon kann gegenüber anderen absolute Überlegenheit für sich reklamieren.
Die Sache mit der Orignalität erledigt sich damit weitgehend – es liegt im Wesen eines Paradox, das es keine eindeutige und allein richtige Lösung gibt..
Für mich besteht der Ausweg darin, eher zu fragen, ob ein Fahrzeug „historisch“ ist – also irgend ein Stadium in seinem langen Leben glaubhaft und nachvollziehbar repräsentiert oder ob es eine Neuschöpfung ist, selbst wenn dabei alte Teile verwendet wurden.
Kommen wir zum Mercedes 130 auf dem Foto der frühen Nachriegszeit zurück. So wie sich das Auto dort darstellt, ist es sicher historisch. Es wäre bei einem überlebenden Fahrzeug genau in diesem Zustand abwegig zu fordern, dass man ihm die Trittbretter zurückgeben muss, weil es sonst nicht original wäre.
Nein, denn der Wagen wird nicht dadurch „original“, dass man nachgebaute Trittbretter anbringt oder von einem anderem Exemplar welche abbaut und dranschraubt.
Letztlich plädiere ich dafür, die Sache entspannt anzugehen und erst die Begriffe zu klären, bevor man übereinander herfällt.
Ich achte einen kompletten Neuaufbau, schon wegen der handwerklichen Leistung, würde so ein Auto aber nicht geschenkt haben wollen, da es für mich historisch seelenlos ist. Will heißen: Wenig bis nichts davon hat bereits die Welt von gestern gesehen – seien es die 30er oder die 70er Jahre.
Anders betrachte ich Nachkriegsumbauten, die entweder den Zwängen einer bestimmten Zeit geschuldet waren (wie Umbauten von Limousinen in Pritschenwagen) oder die Ausdruck von Zeitgeist waren wie die Hotrods auf Basis des Ford Model A bespielsweise.
Solange erkennbar bleibt und der Besitzer klarmacht, wann und wie es zu den Modifikationen kam, ist das für mich alles gleichwertig – sofern das Ergebnis ästhetisch und technisch überzeugt.
Langer Rede kurzer Sinn: Das Schiff des Theseus schärft den Blick für die letztlich unlösbare Problematik des Originals und gibt Anlass, genauer darüber nachzudenken, worum es einem eigentlich geht bei der Oldtimerei.
Das muss und darf jeder für sich entscheiden, nur eines sollte klar sein: Dass man ehrlich ist in dem, was man macht und was man darüber sagt.
Ich gönne jedem den Spaß in einem nachgebauten Bugatti mit historisch passenden Instrumenten und Sitzen, deren patiniertes Leder von einem alten Sofa stammt – nur wenn einer ernsthaft behauptet, genau dieses Teil sei so bereits in der Vorkriegszeit unterwegs gewesen, ist er bedauernswert…
Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Heute mute ich Ihnen im Blog eine Abweichung vom üblichen Schema zu – statt Vorkriegsfotos in Schwarzweiß gibt es heute Vorkriegsautos ganz in Farbe!
Denn am letzten Sonntag habe ich die Wiederauflage der seit 2006 abgehaltenen „Classic Days“ besucht, die an einem neuen Ort stattfand.
Wer mit den Classic Days noch die schönen Jahre auf Schloss Dyck bei Düsseldorf verbindet, wurde – was das Atmosphärische betrifft – nicht enttäuscht.
Das unweit gelegene Rittergut Birkhof mit seinem Englischen Garten und dem Charme eines alten Gutshofs mit Herrenhaus bietet wieder ein absolut würdiges Ambiente für edle und eigenwillige Karossen von den Anfängen bis in die Neuzeit:
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
Gut zwei Stunden dauerte die Anfahrt aus der heimischen Wetterau, das Alltagsauto wurde auf dem weitläufigen Besucherparkplatz abgestellt und nach nur wenigen Minuten konnte man in eine andere Welt eintauchen – willkommen bei den Classic Days!
Entlang der Allee mit alten Bäumen, die Teil der 2,5 Kilometer langen Rundstrecke um das Rittergut ist, hatten bereits viele Gäste die begehrten Picknickplätze okkupiert und da stand auch schon das erste Vorkriegsauto!
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
Ok, das war die Nachkriegsausführung des Citroen Traction Avant, aber das ist nur an kleinen Details zu erkennen – Konstruktion und Karosserie sind lupenreine Vorkriegszeit.
Die berühmte Gangster-Limousine war vielleicht das beste und zugleich eleganteste europäische Auto seiner Klasse der 1930er Jahre – ein vielversprechender Auftakt, fand ich.
Zwischen jeder Menge Wagen aller nur denkbarer Marken ging es schnurstracks und voller Vorfreude Richtung Fahrerlager, wo gerade eine Horde früher Rennsportwagen warmlief.
Auf dem Weg dorthin entdeckte ich das wohl älteste Fahrzeug vor Ort – einen Daimler „Mercedes“ von ca. 1910, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, vielleicht war es auch 1912. Hinter dem Steinschlaggitter sieht man den Mercedes-Stern – noch ohne Lorbeerkranz, denn der kam erst nach der späteren Fusion mit Benz hinzu:
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
Von nun an geht es halbwegs chronologisch weiter – irgendeine Struktur braucht der Mensch, an der er sich festhalten kann – gerade wenn man von Sinneseindrücken überflutet wird.
Das gilt speziell, wenn man am Morgen von heißen Abgasen umwabert wird und die Luft vibriert, während einer seinen 1914 Premier-Rennwagen aus der Box holt und mit Bärenkräften am servofreien Lenkrad wuchtet:
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
Hier bekommt man einen ersten Eindruck davon, was die Classic Days – neben vielen Attraktionen – so einzigartig macht. Denn hier werden die alten Eisen wirklich gefahren, und man kann das hautnah miterleben, von der Box bis auf die Strecke.
Während die Motoren warmlaufen, stehen die Besitzer gerne Rede und Antwort und man kommt direkt an die Fahrzeuge heran – das kenne ich so nur vom Goodwood Revival in England, wo eine ähnliche hochverdichtete Atmosphäre herrscht:
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
Hier haben wir einen als Rennsportversion zurechtgemachten „Elgin“ von 1917 – einer erst im Vorjahr gegründeten US-Automarke.
Solche auf Serienmodellen basierende Fahrzeuge dieses kurzlebigen amerikanischen Herstellers kamen unter anderem in Indianapolis zum Einsatz.
Dieses Exemplar mit Reihensechszylinder und offenem Ventiltrieb repräsentiert das recht eindrucksvoll, wenn auch mit späteren Anbauteilen wie dem wohl britischen SU-Vergaser:
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
Von hier aus geht es weiter in den Innenhof des Ritterguts, wo das Herrenhaus noch sehr authentisch mit den früheren Betriebsgebäuden verbunden ist.
Man sieht hier neben der repräsentativen Fassade auch die Nutzbauten und bekommt eine schöne Vorstellung davon, wie sich so ein Gut einst für den Besucher darstellte.
Wäre der Hof kopfsteingepflastert, wäre das Idyll für mich vollkommen, aber man kann nicht alles haben. Jedenfalls ergeben bei den Classic Days auf Gut Birkhof historische Achitektur und klassische Automobile ein gelungenes Gesamtkunstwerk:
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
Der Innenhof ist wie einst auf Schloss Dyck für die Sportwagen der Zwischenkriegszeit reserviert – und wieder sind alle Zutaten für eine echte Zeitreise vorhanden, wenn auch noch Platz für weitere Exemplare wäre.
Doch schon diesmal warteten einige Überraschungen auf den Vorkriegsenthusiasten.
Wann bekommt man neben den üblichen britischen Verdächtigen einen französischen „Rally“ in deutschen Landen zu Gesicht? Die Classic Days und langjährige Freunde in der Vorkriegsszene (Gruß an Michael Buller) machen’s möglich:.
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
„Rally, Rally…“, mögen jetzt manche denken – das sagt mir doch etwas. Stimmt, diese feine französische Marke der zweiten Reihe hatte ich bereits in den Anfängen meines Blogs vor rund 10 Jahren besprochen (hier).
So vergeht die Zeit – aber die guten Dinge, sie bleiben (wenn wir auf sie achten und etwas dafür tun).
So können wir auch anno 2025 wieder einen Rally bewundern, der im Stil den Bugattis seiner Zeit nahekam, wenn auch weniger leistungsstark war.
Ich würde trotzdem einen nehmen, denn hier man muss sich damit nicht fragen lassen: „Ist der echt oder ein Nachbau aus Argentinien?“
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
Ein tolles Gerät, nicht wahr? Wir begegnen dem Rally noch ein weiteres Mal bei unserem Rundgang – und dann in Fahrt!
Erst schauen wir uns noch eine Weile im Innenhof um, es gibt da einiges zu sehen, was das Herz höherschlagen lässt, wobei sich immer wieder reizvolle Momente ergeben.
Dabei ist es gar nicht immer so wichtig, um was für ein Fahrzeug genau es sich handelt – als unverbesserlicher Ästhet ist mir oft die reine Wirkung wichtiger als das penible Vermerken von Marke, Typ, Baujahr usw. – etwa in diesem Fall:
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
Mitunter ist aber auch unübersehbar, womit man es zu tun hat.
Nein, ich meine ausnahmsweise nicht den schönen MG von Michael Buller links im Bild, den viele in der Szene kennen.
Vielmehr gefällt mir hier die stilvolle Begegnung der Zweibeiner am Rande, ebenfalls typisch für die Classic Days, wo auch etliche Teilnehmer selbst Darsteller in der Zeitreise sind:
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
Zu einem Retrotrip in die Sportszene der Zwanziger gehört natürlich auch einer der einst allgegenwärtigen Amilcars aus Frankreich – vielleicht das Cyclecar schlechthin und auch bei deutschen Enthusiasten damals sehr beliebt.
Hier haben wir (rechts) ein frühes Exemplar noch mit alter französischer Kennung auf dem Kühler, aber mit neu aufgebauter Karosserie nach eigenem Gusto – erlaubt ist, was gefällt, das war schon vor 100 Jahren nicht anders:
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
Daneben sind als Kontrastprogamm natürlich einige großvolumige Bentleys zu besichtigen, die auch regelmäßig zur Ausfahrt auf die Rundstrecke gehen.
Gäste aus Großbritannien sind wie immer ebenso dabei wie eingefleischte Markenfreunde aus deutschen Landen.
Sie vereint die Begeisterung für die „schnellsten Lastwagen der Welt“, ein ironisches Bonmot, das Ettore Bugatti zugeschrieben wird:
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
Man bekommt bei den Classic Days immer wieder einen anderen Blickwinkel auf vermeintlich Bekanntes präsentiert – die Vielfalt der Vorkriegsautos ist unermesslich und stellt die Moderne mühelos in den Schatten.
Neben den aufgeladenen PS-Monstern von Bentley, bei denen das Auspuffgrollen von schieren Kraft kündet, findet sich von derselben Marke und aus derselben Zeit auch etwas so Filigranes und kultiviert Laufendes wie dieser originale Tourenwagen:
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
Eine klassische Karosserie wie diese ist bei den überlebenden Bentleys seltener anzutreffen als die mit späteren Sportaufbauten versehenen Specials, so faszinierend diese oft sind.
Bei der Gelegenheit meine übliche Behauptung: „Tourer sind langweilig – außer wenn das Verdeck montiert ist“, dann sind sie im wahrsten Sinne des Wortes optisch überaus spannende Exemplare.
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
Bevor es bzb gleich zu den Concours-Autos – den „Jewels in the Park“ – geht, schauen wir noch, was unterdessen aus dem Fahrerlager auf die Rundstrecke geht.
Der Kurs rund ums Rittergut und mitten hindurch erlaubt den Zuschauern viele reizvolle Blicke auf die Wagen in Bewegung – beim Start, in voller Fahrt und beim gepflegten Defilee kurz vor der Rückkehr:
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael SchlengerClassic Days 2025; Bildrechte: Michael SchlengerClassic Days 2025; Bildrechte: Michael SchlengerClassic Days 2025; Bildrechte: Michael SchlengerClassic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
Die Wirkung dieser Sportwagen in Aktion gehört zu den besonderen Reizen der Classic Days. Dabei wird dem jeweiligen Streckenverlauf angemessen gefahren – aber durchaus engagiert, das ist kein bloßes Rollen knapp über Leerlaufdrehzahl.
Wenig ist so atemberaubend, wie wenn ein mächtiger Kompressor-Mercedes der 1920er Jahre um die Kurve kommt und er für einen Moment direkt auf einen zuhält.
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
Nach diesem von Staub und Benzindust geadelten Spektakel, das man den Tag über mehrfach erleben kann – auch mit Nachkriegsautos – begibt man sich zur Einkehr in den Schatten der majestätischen Baumriesen im Englischen Garten, wo zwanglos die schönsten Karossen wie Skulpturen arrangiert sind – ganz ohne Absperrungen.
Was könnte hier stimmiger sein als eine Auswahl herrschaftlicher Rolls-Royce oder Bentleys mit enorm großzügigen Limousinen- oder Cabrio-Aufbauten?
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael SchlengerClassic Days 2025; Bildrechte: Michael SchlengerClassic Days 2025; Bildrechte: Michael SchlengerClassic Days 2025; Bildrechte: Michael SchlengerClassic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
An diesen Zeugen einer untergegangenen Welt kann man sich kaum sattsehen.
Schlicht meisterhaft zu nennen ist die Kunst, diese riesigen Automobile mit ihrem unerreichten Platz im Innenraum so gestalten, dass man ihre Größe nicht als unangenehm wahrnimmt – im Gegenteil hat man den Eindruck, dass die Proportionen perfekt sind.
Gegen diese Giganten wirkt auf einmal sogar ein US-Vertreter der Vorkriegszeit beinahe kompakt – wobei wir es hier auch nicht mit einem Amiwagen der üblichen Verdächtigen zu tun haben. Vielmehr sehen wir hier ein technisch wie ästhetisch außergewöhnliches Fahrzeug – den frontgetriebenen Cord L-29, der von 1929-31 gebaut wurde:
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
Leider kam diesem spektakulären Wagen mit modernem Fahrwerk und 125 PS-Achtzylindermotor der Börsencrash und die Weltwirtschaftskrise in die Quere.
Umso eindrucksvoller, dass ein derartiges Juwel bei den Classic Days einfach so am Wegesrand unter freiem Himmel zu finden ist. Das ist auch im Stillstand ein wichtiger Unterschied zur Präsentation bei Kunstlicht in Museen mit bisweilen sich störend aufdrängender moderner Architektur.
Leider nähern wir uns nun schon dem Ende unseres Rundgangs über das Gelände der Classic Days mit der Vorkriegsbrille. Doch einen Höhepunkt kann ich noch bieten und das ist die Rotte von Specials auf Basis von American La France-Chassis.
Diese opulent motorisierten Geräte dienten in ihrem ersten Leben als Feuerwehrautos, bevor sie als ideale Basis für spektakuläre Umbauten im Stil historischer Rennwagen der Zeit vor dem 1. Weltkrieg entdeckt wurden.
Auch in Deutschland finden sich Anhänger dieser keine Furcht kennenden und fantasiebegabten Fraktion. Sie waren mit ihren Fahrzeugen auf eigener Achse aus dem Süden der Republik angereist:
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael SchlengerClassic Days 2025; Bildrechte: Michael SchlengerClassic Days 2025; Bildrechte: Michael SchlengerClassic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
Kurz vor Ende der Classic Days am Sonntag machte sich die Meute wieder auf den Heimweg, nicht ohne noch drei Ehrerunden auf der Hausstrecke von Rittergut Birkhof zu drehen – zur grenzenlosen Begeisterung des Publikums:
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
Damit sagen wir „adieu“ den Classic Days 2025, nicht ohne dem Team von Marcus Herfort für die großartige Veranstaltung zu danken, bei der die Vorkriegsfreunde in einer Weise auf ihre Kosten kommen wie kaum anderswo in Deutschland.
Mein Fazit ist positiv, der Termin im nächsten Jahr ist schon vermerkt – wir kommen wieder in der Hoffnung, dass noch mehr Vorkriegswagen den Weg dorthin finden und die Tradition der Classic Days auf Schloss Dyck fortschreiben!
Classic Days 2025; Bildrechte: Michael Schlenger
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„Was haben uns die Römer eigentlich gebracht?“ so lautet die Frage des Anführers der Judäischen Volksfront (oder war es die Volksfront von Judäa) im satirischen (und zeitlos aktuellen) Historienfilm „Life of Brian“ der britischen Komikertruppe „Monty Python“, die heutzutage von humorlosen Zeitgenossen mit Klagen überzogen würde.
Was als rhetorische Frage seitens des Chefs der Widerstandstruppe gedacht war, mündet unbeabsichtigt in eine nicht endenwollende Aufzählung der vielen Vorzüge der römischen Zivilisation durch ein besonders eifriges Mitglied.
„Was haben uns die Germanen eigentlich gebracht?“ – diese Frage wäre umgekehrt aus der Perspektive der in der Spätantike über drei Jahrhunderte lang endlos heimgesuchten Bewohner des italienischen Stiefels unbeantwortet geblieben.
In der Tat – außer Plünderungen und sinnlosen Zerstörungen einer Hochkultur, die von den Barbaren aus dem Norden offenbar als Zumutung bzw. Anklage ihres eigenen Unvermögens wahrgenommen wurde, haben die Germanenzüge vom 4 bis ins 7. Jh. praktisch nichts hinterlassen.
Die einzige mir bekannte Ausnahme sind simple Flechtbandmuster bei frühromanischen Kirchen auf italienischem Boden, die wohl germanischen Vorbildern entlehnt waren. Ein Glück muss man sagen, dass Goten, Langobarden und Co. trotz jahrhundetelanger Präsenz kulturell so gut wie keine Spuren hinterlassen haben.
So war in Italien ausreichend Restsubstanz und Kompetenz vorhanden, um bereits ab dem 11. Jh. die Proto-Renaissance und dann die eigentliche Renaissance auf den Trümmern der Antike zustandezubringen – eine auf ganz Europa ausstrahlende und bis heute fortwirkende kulturelle Leistung, die sich ganz allein aus Italien speiste.
Solche Gedanken gehen mir durch den Kopf, wenn ich wieder einmal die lange Strecke über die Alpen ins über 1000 km entfernte Umbrien unter die Räder nehme.
Auch heute wüsste ich nichts, was ich als Nordländer den dort Einheimischen als Bereicherung mitbringen könnte – außer dem Interesse an ihrer uralten und immer noch lebendigen Hochkultur.
Unterwegs unternehme ich in alter Tradition einen Beutezug besonderer Art – ich schaue, was sich so alles an interessanten Automobilen dingfest machen lässt. Das Beste nördlich der Alpen war ein großartiges US-Coupé der frühen 1950er Jahre mit prächtiger Patina, das mit über 120 km/h auf der rechten Spur dahinzog – das Kennzeichen war polnisch.
In der Schweiz gab es nichts mitzunehmen, obwohl einem auch dort bisweilen US-Oldtimer begegnen. Bei Como entdeckte ich einen orangenen Lotus um 1980 – mit seiner radikalen Keilform eine rollende Anklage an das verschwurbelte Autodesign der Gegenwart.
Auf der Höhe von Milano dann der erste Fiat 500 (natürlich das Original), der auf der Autobahn sein Bestes gab. Weitere Klassiker gab es unterwegs – darunter einige Alfa Spider und Porsche 356 – der strahlend schöne Sonntag lud zur Ausfahrt mit dem alten Blech ein.
Das war es wohl, was mich zum heutigen Thema inspirierte. Die Beutetour, die ich dabei mit Ihnen absolvieren will, führt allerdings auf einer anderen Route nach Süden – über die Großglockner-Hochalpenstraße.
An deren höchsten Stelle – der Edelweißspitze auf über 2500 Meter Höhe – fand sich einst einiges an automobilem Beutegut versammelt.
Edelweißspitze an der Großglockner-Hochalpenstraße; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Auf einer zeitgenössischen Postkarte von Ende der 1930er Jahre wurde einst dieses prächtige Panorama mitsamt spannendem Auto-Material festgehalten.
Wir wollen heute schauen, was sich dort versammelt hatte und ich darf schon jetzt sagen, dass alle vier Fahrzeuge perfekt in unser Beuteschema passen, da sie unterschiedliche Stile repräsentieren und aus drei Ländern stammen.
Den Anfang machen die beiden Wagen am linken Rand:
Die Limousine ist sicher ein Mercedes-Benz – dafür spricht schon die Gestaltung der Radkappen. Ich vermute hier einen 170V (ab 1936), überlasse das Urteil den Markenkennern, zu denen ich mich in diesem Fall nicht zähle.
So klassisch der Mercedes auch anmutet, so kann er doch nicht mit der Raffinesse des Ford davor mithalten. Klingt wie ein Sakrileg – aber wer würde nicht einen solchen schicken Roadster der Dresdener Manufaktur „Gläser“ einem braven Serien-Benz vorziehen?
Die Basis war ein simpler Ford „Eifel“ (ab 1936) – aber seien wir ehrlich: der Mercedes war nicht gerade ein Musterbeispiel für souveränes Leistungsgewicht, gut möglich, dass der Eifel „Roadster“ ihm bei der Auffahrt zur Edelweißspitze frech die schöne Heckpartie mit dem flachliegenden Reserverad zeigte.
Gewiss, der Mercedes war nicht zum sportlichen Fahren gedacht, aber in einer dermaßen grandiosen Szenerie könnten bei den Insassen doch gewisse Neidgefühle aufgekommen sein. Wer will hier schon in einer Limousine den Berg hinaufschnaufen?
Kein Wunder, dass auch unsere beiden anderen „Beutewagen“ offene Aufbauten besitzen:
So unterschiedlich diese beiden Wagen äußerlich erscheinen, so sehr ähneln sie sich von der Leistungscharakteristik. Beide waren oberhalb der zuvor gezeigten Wagen angesiedelt.
Das Cabriolet im Hintergrund war ein Steyr, wahrscheinlich ein Typ 220 mit dem feinen 6-Zylindermotor, der 55 PS aus 2,3 Litern leistete. Da konnte der Meredes bei allen klassischen Qualitäten nicht annähernd mithalten.
Leider gelang es Steyr nach dem 2. Weltkrieg nicht mehr, an die Tradition dieser hervorragenden Wagen anzuknüpfen, die ganz auf der Höhe des europäischen Automobilbaus waren und in Deutschland heute zu Unrecht kaum bekannt sind.
Doch auch der deutlich ältere Fiat im Vordergrund war Ende der 30er Jahre am Berg noch konkurrenzfähig. Wie der Schriftzug auf dem Kühler verrät, haben wir es bei diesem Beutestück mit einem Typ 521 (ab 1927) zu tun.
Auch er besaß einen 6-Zylindermotor, zwar mit „nur“ 50 PS, allerdings aus einem langhubigen 2,5 Liter-Aggregat – genau das, was man sich am Berg wünscht.
Bei dieser Bestandsaufnahme unseres Beutezugs nach Süden belassen wir es für heute. Wir sparen uns auch die Überlegung, was die ab 1938 einsetzenden Feldzüge germanischer Prägung unseren Nachbarvölkern eigentlich gebracht haben außer neuerlicher Zerstörung.
Zur zivilisatorischen Leistung unserer Anrainer südlich der Alpen nur dies: Es gibt kaum einen Alpenpass, der nicht bereits von den Römern mit Straßen befestigt wurde. Auch am „Hochtor“ auf dem Scheitelpunkt der Großglockner-Hochalpenstraße haben sie ihre Spuren in Form eines archäologisch gut dokumentierten Heiligtums hinterlassen.
Und Meister des Straßenbaus sind die Italiener in ihrem Land mit anspruchsvollster Topografie heute noch. Wir könnten von ihrer Effizienz lernen, wenn wir nicht an der offenbar unausrottbaren deutschen Arroganz zugrundegingen…
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Das Thema „Deutsches Edelfabrikat“, das ich zuletzt hier anhand eines „Elite“ S12 12/55 PS gestreift hatte, verlangt dringend nach einer Fortsetzung.
Denn ich hatte es versäumt, in dem Kontext neben den 8-Zylinderautos von Horch und Stoewer auch den 1928 neu eingeführten Mercedes-Benz 18/80 PS zu erwähnen.
Der gehörte ebenfalls der 8-Zylinderklasse an, war aber nochmals teurer als die auf dem Sektor etablierten deutschen Fabrikate und erst recht als einschlägige US-Wagen.
Doch verdient das mit dem Zusatz „Nürburg“ angebotene Gerät unbedingt Erwähnung. Erst wenn man diesen Wagen kennt, weiß man, woran sich die Elite-Diamant-Werke mit ihrem „Edelfabrikat“ orientierten – optisch jedenfalls.
Zur Auffrischung hier nochmals eine Elite-Reklame von 1928/29:
Elite-Reklame aus „Auto-Magazin“, Ausgabe Januar 1929; Original: Sammlung Michael Schlenger
Prägen Sie sich insbesondere die Frontpartie dieses Fahrzeugs ein – wir begegnen ihr gleich wieder – wenn auch mit anderer Kühlerfigur, ohne Stoßstangen und in einem überraschenden Umfeld.
Im Unterschied zum „Edelfabrikat“ aus dem Hause Elite-Diamant hatte man bei Daimler-Benz nicht auf die obere Mittelklasse (nach Motorisierung, nicht nach Preis) abgezielt, sondern das Luxussegment der 8-Zylinderwagen anvisiert, in dem neben den US-Fabrikaten die deutschen Hersteller Horch und Stoewer dominierten.
Was die Stuttgarter 1928 auf Grundlage eines Entwurfs von Ferdinand Porsche vorstellten, kam ähnlich kolossal und hochbeinig daher wie der Elite-Wagen. Schon nach einem Jahr – d.h. nur wenigen hundert Exemplaren ging man zu einer Konstruktion mit niedrigerem Rahmen über, welche sich als die marktgängigere erweisen sollte.
Umso bemerkenswerter ist, dass einer der frühen Hochrrahmen-Mercedes des Typs 18/80 PS „Nürburg“ von 1928 die Zeiten überdauert hat. Noch erstaunlicher ist der Ort, an dem dieses Gefährt einst dokumentiert wurde:
Mercedes-Benz 18/80 PS von 1928; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Diese großartige Aufnahme wurde einst in Luckenwalde in Brandenburg fotografiert – vor einer Kulisse, die sich heute noch fast genauso präsentiert – der westalliierte Bombenterror ist an der schönen Stadt vorbeigegangen.
Der nationalsozialistsche Terror indessen hat seine Spuren hinterlassen – nicht nur in der Auslöschung der Bürger jüdischer Herkunft, sondern auch in Gestalt des örtlichen Kriegsgefangenenlagers, in dem Soldaten aus der Sowjetunion wie im damaligen Deutschland üblich die mit Abstand schlechteste Behandlung erfuhren.
Die nationalsozialistische und die Sowjetideologie nahmen sich in Methode und Ergebnis nichts – in beiden Fällen herrschte der pure Terror und es fanden sich willige Vollstrecker.
Vielleicht kein Zufall, hatten sich einst mit dem Deutschen Marx und dem Russen Lenin Brüder im Geiste gefunden, die ihre Spinnnereien als Wissenschaft ausgaben, während sie sich in ihrer Lebensführung als Schmarotzer erwiesen, die mit der Daseinsrealität der angeblich protegierten Proletarier nichts gemein hatten.
Die naheliegende Synthese der Gedankenwelt dieser beiden Psychopathen in Form des Marxismus-Leninismus wundert von daher nicht.
Den Älteren unserer ostdeutschen Landsleuten ist die entsprechende Propaganda noch geläufig – die platten Parolen haben auch auf dem heute vorgestellten Foto ihre Spuren hinterlassen.
Links auf der Fassade ist auf dem etwas größeren Originalfoto irgendein Blödsinnn mit Marxismus-Leninismus auftapeziert, den ich Ihnen hier ersparen will.
Gut gefällt mir, dass ausgerechnet im angeblichen Arbeiter- und Bauern-Staat, in dem es sich wie üblich die Anführer des Ganzen gutgehen ließen, während dem Volk Verzicht als Tugend verordnet wurde, dieser prächtige Manufaktur-Mercedes überlebt hat.
Ich würde das Foto auf etwa 1970 datieren, vielleicht weiß es jemand ganz genau und kennt sogar den Namen des damaligen Besitzers:
Genosse und Terrorchef Lenin hätte diese Form von Luxus sicher gefallen, denn der war als Abkömmling einer adligen Familie der Meinung, dass ihm auch der „Revolution“ ein entsprechendes Vehikel zustand – er bevorzugte allerdings die Marke Rolls-Royce…
Das Überleben des Mercedes ausgerechnet im Menschengehege namens DDR passt für mich zur Osterbotschaft – dem Triumph des Lebens, der Pracht und des Überflusses gegen die Kräfte des Dunkels und der Niedrigkeit…
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Ein Frühlingstag wie im Traum – so kam es mir heute vor. Endlich wieder wärmende Sonne auf der Haut, die Vögel zwitschern um die Wette und im Garten geht Blüte um Blüte auf. Besonders prächtig die alten Obstbäume auf dem Nachbargrundstück.
Und plötzlich blüht auch im Kopf die Phantasie. Wie wäre es, den seit Jahren in einem Topf eingesperrten kleinen Feigenbaum, der bisher immer zwischen alten Autos und Zweirädern überwintern musste, endlich in die Freiheit zu entlassen?
Darauf brachte mich heute die bessere Hälfte und wie immer kooperieren unsere Neuronen auf das Schönste. Also nach getaner Schreibtischarbeit rasch eine entsprechende Aufgabe an meine aktuell bevorzugte KI „Grok“ versandt.
Sekunden später hatte ich eine strukturierte Anleitung, was beim „Aussetzen“ eines noch kleinen Feigenbaums in hiesigen Gefilden zu beachten ist, also Standort, Abstand zu Gebäuden, Beschaffenheit der Erde, Pflege usw.
Auf dieser Basis markierte ich einen vorläufigen Platz im Garten und schaute über den Nachmittag, ob dieser auch bei noch niedrigem Sonnenstand möglichst lange außerhalb der Schatten der angrenzenden Bauten lag.
Das Experiment gelang und so wird unser Feigenbäumchen demnächst eine neue Heimstatt finden. Die Vorstellung, dass er über die Jahre zu einer stattlichen Erscheinung heranwächst wie unser von den Vorbesitzern geerbte Maronenbaum – ein Traum!
„Ein Traum!“ – das ist auch der Titel einer Ansichtskarte, die ich Ihnen heute nahebringen möchte. Sie lief mit Geburtstagswünschen versehen Anfang April 1937 von Waldbröl nach Köln – versandt von Elisabeth an Hanna:
Mercedes-Benz 170H; originale Ansichtskarte aus Sammlung Michael Schlenger
Ein Traum, in der Tat, möchte man hier mit Blick auf das Frühlingswetter, die schlanke junge Dame und den offenbar botanisch interessierten Hund meinen.
Ganz wunderbar, aber was ist von dem sonderbaren Gefährt mit dem Mercedes-Stern auf der unglücklich gestalteten Frontpartie zu halten?
Nun ja, diesen Wagen kann man sich beim besten Willen nicht schönsehen und auch aus technischer Perspektive nicht preisen. Es handelt sich um den ab 1936 gebauten Typ 170H, mit dem Mercedes aus unerfindlichen Gründen eine Alternative zum gern gekauften klassischen Modell 170V anbieten wollte.
Man wollte wohl einer damaligen Mode auf dem europäischen Kontinent folgen und ein Fahrzeug mit Heckmotor anbieten. Das war aber bereits mit dem von 1934-36 in überschaubaren Stückzahlen gebauten Vorläufermodell 130 beim Kunden gescheitert.
Das Teil bot im Alltag nur Nachteile – speziell im Hinblick auf das Fahrverhalten – doch das hielt die Herren in der Chefetage von Daimler-Benz nicht davon ab, das fehlgeleitete Konzept unter Verwendung des Motors des 170V anno 1936 noch einmal zu erproben.
Das Ergebnis fiel ähnlich aus – auch der stärkere 170H wies im Alltag keine praktischen Vorzüge gegenüber dem klassischen 170V mit Frontmotor auf. Unter dem Aspekt der Vermarktung kam erschwerend hinzu, dass die heckgetriebene Variante noch teurer war.
Gleichwohl „musste“ das Gerät in Manufaktur (ca. 1.500 Wagen) bis 1939 weitergebaut werden – wirtschaftlich war das wohl eher ein Alptraum.
Was soll man nun sagen zu dem Konterfei dieses skurrilen Fahrzeugs, an dem gemessen der parallel entwickelte Volkswagen geradezu elegant wirkte?
Tja, das Wetter war schon ein Traum, als dieses Geschöpf abgelichtet wurde. Die reine Schönheit alles Übrigen überstrahlt hier mühelos das Unvollkommene…
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In diesen Tagen verspüre ich mehr als sonst das Bedürfnis, mich nach getaner Arbeit mit schönen Dingen im Kleinen von der Misere im Großen abzulenken.
Das Talent dazu habe ich wohl von meiner Mutter geerbt. Ihr verdanke ich die Freude an Ästhetik und das Gespür für Qualität, auch wenn diese Dinge sie stets nur kurzfristig glücklich gemacht haben. Genau heute wäre sie übrigens 94 Jahre alt geworden.
Solchermaßen inspiriert gehe ich nun auf die Suche nach dem Schönen in einem dafür eher ungünstigen Umfeld.
Die Herausforderung fängt schon im Umfeld irgendwelcher Hinterhofgaragen an, wo einst ein sündteures Mercedes-Cabriolet abgelichtet wurde:
Mercedes-Benz 12/55 PS Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Während der massige Wagen im Hintergrund mit dem unglücklich hoch aufgetürmten Verdeck und der geöffneten Tür wenig anziehend wirkt, macht der modisch gekleidete Motorradfahrer davor mit seiner sportlich niedrig gehaltenen Maschine bessere Figur.
Das Zweirad scheint mir trotz der Berliner Zulassung kein typisch deutsches Fabrikat zu sein. Ich würde es als französisch ansprechen, aber ich mag mich irren.
Ohnehin ist der Auftrag heute der, sich den Mercedes – zu erkennen an der Kühlerfigur und dem Stern auf den Nabenkappen – irgendwie schönzusehen. Auch wenn es erst nicht danach aussieht, bekommen wir das hin.
Hier haben wir denselben Wagen bei der gleichen Gelegenheit ohne Moped-Begleitung, dafür mit weiblicher Besatzung – ein Fortschritt in die richtige Richtung:
Mercedes-Benz 12/55 PS Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Ja, das Verdeck wirkt immer noch fehlkonstruiert, aber wir unterstellen einmal, dass es bloß nicht richtig zusammengelegt wurde.
Der Aufbau hat trotz des abfallenden Hecks nach Vorbild US-amerikanischer „Roadster“ von Mitte der 1920er Jahre etwas Lastwagenhaftes. Das liegt keineswegs nur an der zierlichen Person im Wagen, sondern auch an der ungeschickten Erhöhung der Türpartie.
Diese Linienführung findet sich bis Ende der 1920er Jahre auch an anderen deutschen Wagen öfters, bisweilen wurde sogar manches Fremdfabrikat solchermaßen ruiniert.
Doch wie gesagt: Wir sind auf dem besten Wege, uns dieses schwerfällig wirkende Auto des Typ 12/55 PS aus dem Hause Daimler-Benz Schritt für Schritt schönzusehen.
Immerhin hatte der Hersteller erkannt, dass er mit diesem je nach Aufbau an die zwei Tonnen schweren Gerät zumindest antriebsseitig auf dem Holzweg war. So wurde der Motor zweimal vergrößert und leistete zuletzt wenigstens 60 PS aus 3,5 Litern Hubraum.
Uns interessiert aber eher, was sich innerhalb des Mercedes an Erkenntnisprozessen vollzog. Hier befinden wir uns noch in der Phase eher distanzierter Zweisamkeit:
Mercedes-Benz 12/55 PS Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
An dem gigantischen Verdeck und dem massiven Windschutzrahmen sowie dem prosaischen Bretterverschlag im Hintergrund ist ersichtlich, dass wir es immer noch mit demselben Fahrzeug zu tun haben.
Wie man sich die Sache nun so richtig schönsieht, das bekommen wir auf der nächsten Aufnahme dieser kleinen Serie vorgeführt, die wohl irgendwo im Umland von Berlin an einem Ort entstand, der dem Kaliber dieses Mercedes nicht ganz gerecht wurde.
Aber solches tritt völlig in den Hintergrund, wenn man wie wir heute wild entschlossen ist, sich auch nicht ganz vollkommene Dinge gründlich schönzusehen.
Das stellt sich dann so reizvoll und unterhaltsam dar wie hier:
Mercedes-Benz 12/55 PS Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Was sich bei der Gelegenheit vielleicht anbahnte und was daraus wurde, das wissen wir leider nicht.
Denn an dieser Stelle endet die kleine Fotoserie aus meiner Sammlung, die schon eine ganze Weile auf Veröffentlichung gewartet hat.
Wie soll nun der glückliche Abschluss gelingen? Wollten wir uns nicht den Mercedes-Benz 12/55 PS in der Cabrio-Ausführung unbedingt schönsehen?
Keine Sorge, auch das bekommen wir hin.
Dafür hat uns Leser Klaas Dierks mit seinem Fundus an Qualitätsaufnahmen auf dem Sektor Vorkriegswagen genau das passende Objekt zur Verfügung gestellt.
Jetzt in freundlicher Zweifarblackierung mit hellem Korpus, wie das einem Auto dieser Größe immer guttut. Außerdem mit geschlossenem Verdeck, denn dieser Mercedes zählt zu der Gattung Cabriolet, die geschlossen besser aussieht als offen:
Selbst die junge Dame neben dem mächtigen Mercedes kann man sich durchaus schönsehen. Auf den ersten Blick wirkt sie etwas spröde, aber sie stammt gewiss aus gutem Hause und versteht es, sich von ihrer besten Seite zu zeigen.
Ihre Pose lenkt zwar wieder den Blick auf den absurd hohen Türabschluss, aber die sonstigen Qualitäten dieses Gesamtkunstwerks aus dem Raum Düsseldorf (siehe Nummernschild) versöhnen einen am Ende.
Ja, so lässt sich das Dasein auch unter sonst fragwürdigen Umständen ertragen, meine ich.
Wenn der neue Tag beginnt, besuche ich das Urnenfeld auf dem Bad Nauheimer Südfriedhof, wo die Asche meiner Mutter liegt. Dann denke ich an sie und danke ihr für diese immerwährende Sehnsucht nach Schönheit, die sie mir mitgegeben hat…
Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Heute kommen nicht nur die Freunde klassischer Mercedes-Cabrios der 1930er Jahre auf ihre Kosten, sondern auch die Liebhaber gediegener Weiblichkeit. Dennoch sind hier Schürzenjäger chancenlos, damit dies gleich klar ist. Heute geht es schwäbisch gesittet zu!
Ich will es gleich bekennen: An sich kann ich den kleinen Mercedes-Modellen 170, 200 und 230 nur wenig abgewinnen, die ab 1933 gebaut wurden. Speziell die Limousinen auf dem normalen Fahrgestell sind mir entschieden zu bieder:
Mercedes-Benz 200 Limousine von 1933/34; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Allerdings lief man in Stuttgart stets zu großer Form auf, wenn es galt, seinen Modellen offene Aufbauten zu verpassen.
Auf dem Standard-Radstand von 2,60 bzw. 2,70 Metern der Typen 170 und 200 hatte ich in dieser Richtung bislang wenig aufregendes in meinem Fundus – so dachte ich.
Sicherheitshalber schaute ich in der Mappe mit noch nicht eingescannten Mercedes-Fotos nach, in der vor allem frühe Modelle auf ihre „Wiederbelebung“ im Blog warten.
Und tatsächlich: Gleich obenauf fand sich diese hübsche Aufnahme, die einen Mercedes 200 von anno 1933/34 mit Cabrio-Karosserie zeigt:
Mercedes-Benz 200 Cabriolet von 1933/34; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Das lässt sich doch gar nicht so schlecht an, dachte ich mir.
Man könnte hier glatt zum Mercedes-Fan werden, jedenfalls was die Optik betrifft. Denn der wenig drehfreudige Seitenventiler mit 40 PS aus 2 Litern Hubraum war kein Ruhmesblatt.
Der direkte Konkurrent Wanderer W22 bot ebenfalls einen 2-Liter-Sechszylinder mit 40 PS, aber dank im Zylinderkopf hängenden Ventilen war er agiler, außerdem gab es eine leistungsfähige 12-Volt-Bordelektrik und vor allem: 3 Metern Radstand!
Da nichts beflügelnder wirkt als Wettbewerb, reagierte man bei Daimler prompt und bot ab 1934 den 200er auch mit 30 cm mehr Radstand an. Davon war nicht nur das markentreue Taxi-Gewerbe angetan, nun waren endlich auch schicke 4-Fenster-Cabriolets möglich.
Dies trugen meist die Bezeichnung „Cabriolet B“ und gehörten neben den Roadstern jener Jahre zu den attraktivsten Werksausführungen.
Mein persönlicher Favorit im mittleren Mercedes-Segment (unter 3 Litern) auf dem Sektor ist das Modell 290 – das ich hier schon einmal vorgestellt habe:
Mercedes-Benz 290 Cabriolet B; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Dieses Prachtexemplar zeige ich zum einen, weil man im Leben von schönen Dingen nicht genug haben kann, vor allem wenn sie nicht „notwendig“ sind – denn dort beginnt die Kultur.
Zum anderen möchte ich hieran den Blick schärfen für einige Details, auf die es gleich ankommen wird:
Die Vorderkotflügel reichen beim ab 1934 gebauten Typ 290 bis fast auf die Stoßstangen herunter. Außerdem besitzen sie seitliche „Schürzen“, die den Blick auf das Chassis verbergen – ein Detail, das der Graham „Blue Streak“ 1932 etabliert hatte.
Auffallend hier zudem die schrägstehende und niedrig wirkende Frontscheibe – wobei das auch auf den Effekt des verwendeten Kameraobjektivs zurückzuführen sein könnte.
Nach dieser Vorbereitung sind Sie nun imstande, die folgende Aufnahme zu goutieren, auch wenn es hier für auf leichte Beute hoffende Schürzenjäger nichts zu sehen gibt:
Dieses schöne Dokument hat mir kürzlich Leser Klaas Dierks in digitaler Form zur Bestimmung des Modells zukommen lassen.
Ich muss zugeben, dass mich die Sache doch einige Zeit gekostet hat, auch wenn hier alles erkennbar ist, was man in solchen Fällen braucht.
Der Aufbau als vierfenstriges Cabriolet B ist einfach bestimmt. Auch ist an den deutlich oberhalb der Stoßstange endenden Kotflügeln ersichtlich, dass wir es nicht mit einem Exemplar des Typs 290 zu tun haben.
Doch was ist von den fehlenden Schürzen zu halten?
Ich meine damit nicht die reisefein gekleideten Damen – die vermutlich professionelle Fotomodelle waren, bei denen abenteuerlustige Schürzenjäger chancenlos waren. Ihnen dürfte eher an einer soliden Partie gelegen gewesen sein.
Nein, hier geht es um die fehlenden Schürzen an den Vorderkotflügeln. Wie gesagt wurde das verlängerte Chassis, auf dem Aufbauten wie das Cabriolet B entstanden, erst 1934 eingeführt. Zu der Zeit hatten sich seitliche Kotflügelschürzen allgemein durchgesetzt.
Wenn sie hier fehlen, ist das nur damit zu erklären, dass man zumindest bei den aufwendigen Cabrios auf Wunsch immer noch Kotflügel ohne dieses moderne Detail anbot.
Gesehen habe ich das allerdings bislang bei keinem anderen offenen Exemplar des Mercedes-Benz 200. Das will freilich nicht viel heißen, denn ich bin alles andere als ein Kenner dieses Fabrikats.
In dem Zusammenhang eine Frage an sachkundige Leser: Es muss bei einer Marke wie Mercedes-Benz doch allgemein zugängliche Dokumentationen auf ähnlichem Niveau geben wie im Fall der Marken der einstigen Auto-Union, in denen akribisch genau alle Werksaufbauten, Extras und Detailänderungen im Zeitverlauf beschrieben werden.
Ich arbeite notgedrungen mit der zweibändigen Paperback-Darstellung von Schrader/Hofer (Heel-Verlag, 1982), die aber vieles offen lässt und obendrein schon nach moderater Nutzung auseinanderfällt.
Da muss es für die Marke mit dem Stern nach über 40 Jahren doch Besseres geben, oder?
Immerhin sind wir in der Hinsicht keine auf oberflächliches Vergnügen abzielende Schürzenjäger, sondern sind ernsthaft an diesen Modellen interessiert, die vielleicht nicht umwerfend sind, aber doch ihren Reiz haben…
Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Dem Titel meines heutigen Blog-Eintrags darf man ruhig anmerken, dass ich mich damit schwergetan habe. Denn das tue ich mich auch – rein sachlich betrachtet – mit dem automobilen Gegenstand der Betrachtung.
Die vielen Freunde des Mercedes-Benz 170V, der 1936 eigeführt wurde und nach dem 2. Weltkrieg noch eine ganze Weile weitergebaut wurde, müssen heute nachsichtig sein. Ihr Liebling kommt erst einmal überhaupt nicht gut weg, und das aufgrund schnöder Fakten.
Am Ende bekomme ich aber noch die Kurve, wenn er nämlich wie ein sympathisches Gegenbild einer ins Gesichtslose strebenden Moderne plötzlich gute Figur macht.
Beginnen wir aber erst einmal mit der harten Realität. Als der Mercedes 170V erschien, war er der konservativ gestaltete und konstruierte Bruder des parallel eingeführten Heckantriebsmodels 170H. Dessen vermeintlich modernem Konzept war keine große Zukunft beschieden, das Auto bot eigentlich nur Nachteile und war eine Konzession an einen gewissen in Deutschland herrschenden Zeitgeist – Stichwort: Volkswagen.
So gesehen verwundert es nicht, dass der 170V die heckgetriebene Variante überlebte und stückzahlenmäßig weit in den Schatten stellte. Dieser Triumph relativiert sich freilich, wenn man einen Blick darauf wirkt, was ein wirklich modernes Auto in deutschen Landen in der zweiten Hälfte der 1930er Jahr in der unteren Mittelklasse wirklich bieten konnte.
Daran gemessen, sah der Mercedes 170V schon im Jahr seiner Erscheinung in jeder Hinsicht alt aus. Als Maßstab dient mir ausgerechnet ein Fiat – nämlich der 1935 eingeführte Typ 1500, der auch im Heilbronner Werk als NSU-Fiat gebaut wurde:
Fiat 1500 A mit deutscher Zulassung; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Der Wagen mied zwar ebenfalls radikale Experimente – gestalterisch wie technisch – aber er war dennoch das weit überlegene Fahrzeug und kam zudem optisch dynamischer daher.
Unter der Haube arbeitete im Ggegensatz zum Mercedes ein sehr laufruhiger 6-Zylindemotor und trotz des deutlich geringeren Hubraums leistete das Aggregat mit 45 PS deutlich mehr (38 PS beim 170V). Fiat nutzte nämlich eine zeitgemäße Ventilsteuerung (ohv) im Gegensatz zu der ineffizienten Seitenventilkonstruktion beim Mercedes.
Auch mit 12 Volt-Elektrik punktete Fiat. Hydraulische Bremsen und Stoßdämpfer waren Standard wie beim 170V. Die Abmessungen waren nahezu identisch, wobei der Fiat 1500 ohne Mittelpfosten auskam und damit einen konkurrenzlos bequemen Einstieg ermöglichte.
Zum Nachvollziehen hier die Test-Karte der gefürchteten Zeitschrift „Motor-Kritik“ von 1938:
Testkarte von „Motor-Kritik, 1938; Original: Sammlung Michael Schlenger
An Fahrkomfort und Straßenlage des Turiners wusste die „Motor-Kritik“ nichts auszusetzen – im Gegenteil. Überhaupt findet man keinen nennenswerten Mangel in der Darstellung.
Leider liegt mir vom Mercedes 170V keine vergleichbare Testkarte vor. Dass der Fiat mit gemessenen knapp 120 km/h ein ganzes Stück schneller war als der Mercedes, liegt auf der Hand. Mich würden aber vor allem die Verbrauchsdaten im Vergleich interessieren.
Die von der Motor-Kritik gemessenen Werte scheinen jedenfalls für einen damaligen Wagen dieser Größe und Leistung durchaus günstig – aber schauen Sie selbst:
Testkarte von „Motor-Kritik, 1938; Original: Sammlung Michael Schlenger
Ein nicht unwesentliches Detail sei noch erwähnt: Während der Fiat 1500 eine zeitgemäße Ganzstahlkarosserie besaß, wurde der Mercedes 170V noch in traditioneller Manier mit blechbeplanktem Holzaufbau gefertigt.
Nach diesem Überblick wäre aus meiner Sicht überhaupt nur ein einziger objektiver Vorteil des Mercedes gegenüber dem Fiat zu nennen – der um etwas 10 % niedrigere Preis.
Ansonsten scheint mir für den Erfolg des 170V das Markenprestige und ein konservativer Geschmack deutscher Käufer in dieser Klasse ausschlaggebend gewesen zu sein.
Während der Fiat 1500 (ohne deutsche Produktion) bis 1943 in rund 40.000 Exemplaren entstand, konnte Mercedes von seinem 170V bis 1941 beeindruckende 70.000 Stück absetzen (ohne Kübelwagen-Version).
Nach dem Gesagten erscheint der Mercedes zwar nun wirklich nicht gerade wie ein idealer Repräsentant moderner Automobilbau-Tendenzen. Doch zumindest auf diesem Foto von Leser Klaas Dierks kommt ein Exemplar als zugkräftiger Vertreter des Fortschritts daher:.
Mercedes-Benz 170; Aufnahme aus dem 2. Weltkrieg; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks
Dieser Mercedes 170V mit der ab Kriegsbeginn 1939 im Deutschen Reich vorgeschriebenen Tarnbeleuchtung wurde als „Behelfslieferwagen“ in der Landwirtschaft eingesetzt – hier offenbar bei der Heuernte.
Dass der der Wagen in diesem Kontext geradezu ulttramodern erscheint, ist schlicht auf den extrem niedrigen Motorisierungsgrad in der deutschen Landwirtschaft zurückzuführen.
Man darf sich von der damaligen technischen Führungsrolle der deutschen Industrie in einigen Bereichen wie Maschinenbau, Chemie und Optik sowie Prestigeprojekten der nationalsozialistischen Planwirtschaft nicht täuschen lassen:
In der Landwirtschaft war Deutschland damals noch sehr rückständig. Während in den USA motorisierte Schlepper, Mähdrescher und dergleichen bereits Standard waren, gab es abgesehen von sehr großen Betrieben in Nord- und Ostdeutschland in der Breite so gut wie keine Kraftfahrzeuge bei den Bauern.
Dieses unter Produktivitätsaspekten naheliegende Feld blieb bei der Förderung der Motorisierung durch das Regime im wahrsten Sinne des Wortes unbeackert.
So konnte man in den 1940er Jahren auch mit einem vollkommen traditionellen Automobil wie dem Mercedes 170V geradezu wie die Speerspitze des Fortschritts daherkommen.
Doch spätestens nach Kriegsende war unübersehbar, dass der Wagen in jeder Hinsicht veraltet war. Was damals ein modernes europäisches Auto der unteren Mittelklasse definierte, das repräsentierte beispielsweise der ab 1948 gebaute Peugeot 203.
Es dürfte vor allem am fehlenden Kapital gelegen haben, dass Daimler-Benz noch bis Anfang der 1950er Jahre am Mercedes 170V festhielt und das durchaus mit Erfolg – kein Zweifel. So anachronistisch der Wagen damals längst erschien, so wirkungsvoll grenzte er sich aus Sicht von Kunden vom Zeitgeist ab, die ihre Probleme mit der Moderne hatten.
Und genau da wird er mir ungeachtet seiner technologischen Rückständigkeit mit einem Mal richtig sympathisch. Denn so ein Mercedes 170V ist nun einmal ein denkbar großer Kontrast zu den von jeder Tradition entkoppelten Tendenzen im modernen Bauen ab den 1950er Jahren:
Mercedes 170 V Ende der 1950er Jahre in Rom; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Na, wer erkennt auf Anhieb, wo dieses bemerkenswerte Foto entstanden ist? Selbst wer schon einmal am selben Ort war, wird sich vermutlich kaum daran erinnern können.
Das lässt bereits das Hauptproblem der modernen Bauweise erkennen – sie ist ortlos, d.h. ohne Bezug zu regionalen oder kulturellen Prägungen. Damit ist sie einer der frühesten Vertreter global einebnend und identitätsraubend wirkender Phänomene der Moderne.
Entsprechend nimmt die Gestaltung solcher modernistischer Bauten keinerlei Rücksicht auf lokale Prägungen und Architekturbestände. Nur selten lässt sie außerdem Rückschlüsse auf die Funktion und Bedeutung des Baus zu.
Der Elemente des Baus auf dieser Aufnahme bedient sich lediglich in den Dimensionen variiert wahlweise eine Stadthalle, ein Museum, ein Kongresszentrum, ein Flughafen oder eine Sportarena.
Hätten Sie gedacht, dass dieser gigantische Kasten mit davorgestelltem Glas-Beton-Eingangsbereich der Hauptbahnhof einer für ihre historischen Bauten und Kunstschätze aus über 2. Jahrtausenden berühmten und vielbereisten Stadt ist?
Und selbst wenn Sie es wissen, weil sie schon einmal da waren: Ist Ihnen von Ihrem Besuch eine besondere Erinnerung an diesen Bau geblieben? Vermutlich kaum, obwohl das die Stazione Termini mitten in Rom ist, wo seit 150 Jahren die Züge aus dem Norden ankommen.
Leider wich der ursprüngliche Bau, der eine charaktervolle Mischung aus strengem Klassizismus und schwungvollem Stahlbau war, in den 1930er Jahren einem Neubau.
Doch selbst dessen erhaltene Teile – im Stil des damals international gängigen Neoklassizismus – waren noch dem Anspruch eines angemessenen Entrées in die Ewige Stadt angemessen. So nehmen die Fenster Bezug auf die nahegelegenen monumentalen Hallen der Diokletiansthermen – nebenbei von eiligen Rom-Besuchern gern übersehen.
Hier haben wir die mit dem ortsüblichen Travertin verkleidete Seitenfassade des von der Moderne verschont gebliebenen Bahnhofsteils mit einem Fiat 1100 aus den 1940er Jahren:
Fiat 1100 „Musone“ in Rom; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Ich war bisher dreimal mit dem Zug in Rom und habe an die Stazione Termini keine spezifische Erinnerung mehr – von dieser Seitenfassade abgesehen.
Vermutlich schenkt außer speziellen Jüngern der architektonischen Moderne auch kaum einer dem Vorbau der 1950er Jahre Beachtung oder macht gar Fotos davon.
Darin liegt für mich als unbelehrbaren Verächter dieser in unseren Städten seit dem Krieg so verheerend wirkenden Bautendenz der paradoxe Reiz des vorgestellten Fotos mit dem Mercedes 170V vor der Stazione Termini in Rom.
Nun mag einer fragen: „Wenn er doch keine Erinnerung an das überdimensionierte Tankstellendach mehr zu haben behauptet, wie konnte er die Örtlichkeit erkennen?“
Das ist einfach zu erklären, denn auf dem Foto ist ein bauliches Relikt zu sehen, dass selbst im heutigen desolaten Zustand nach 2.300 Jahren noch genug Charakter hat, um auf Anhieb wiedererkannt zu werden, sofern man es einmal gesehen hat:
Hinter der freundlich schauenden Touristin, sicher zu dem Mercedes gehörend, sind die Reste der einst rund 10 Meter hohen und 11 Kilometer langen Stadtmauer Roms aus der Frühzeit der Stadt zu sehen, als diese noch eine – wenn auch aufstrebende – Regionalmacht war.
Die Art des Mauerwerks und die Dimensionen der Steine erkannte ich auf Anhieb wieder, auch wenn die letzte Romreise rund 30 Jahre her ist.
Selbst als Ruine hat so ein antiker Zweckbau für mich mehr Reiz und Erinnerungswert als die Beton-Machwerke der Gegenwart, die noch dazu optisch wie statisch oft nicht gut altern.
So kommt es, dass am Ende der von mir nicht sonderlich freundlich behandelte Mercedes 170V als sympathischer Vertreter von Gestaltungstendenzen erscheint, die es einem leicht machen, sich dafür auf einer emotionalen Ebene zu erwärmen:
Und so verstehe ich natürlich, wenn für einen heutigen Besitzer eines solchen Mercedes sein Wagen der schönste und beste überhaupt ist – speziell wenn er ihn schon lange begleitet und zum Träger persönlicher Erinnerungen geworden ist.
Gerade Vorkriegsautos mit ihrer sehr weit in unserer Vergangenheit wurzelnden, organischen Gestaltungslogik machen es leicht, einen persönlichen Zugang zu einem technischen Objekt aufzubauen, die sich kühler Rationalität letztlich entzieht…
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Wenn Sie beim Stichwort „Grüne Vision“ zusammenzucken, ist das nicht meine Schuld. Doch keine Sorge, es gibt Dinge, die sich selbst so grün(d)lich unmöglich machen, dass diese keines weiteren Kommentars bedürfen.
Es geht daher heute unpolitisch zu – für den Fall, dass Sie anderes befürchtet hatten.
Wir machen stattdessen einen Ausflug ins Grüne, wie er eigentlich sein soll – erbaulich für den Städter, schonend für die Umwelt und dem Herz des Autofreunds wohltuend.
Das Fahrzeug unserer Wahl ist eines, wie es das längst nicht mehr gibt – hauptsächlich weil das wuchernde Vorschriftendickicht es praktisch unmöglich macht, so etwas zu bauen:
Ein kompakter Viersitzer mit gut einer Tonne Wagengewicht, ausreichender Leistung, guten Bremsen, modernem Fahrwerk und – jetzt halten Sie sich fest: einem 6-Zylindermotor!
Diese Vision verwirklichte Damler-Benz ganz ohne ins Grüne strebende Absichten anno 1931 mit dem Mercedes 170 – nicht zu verwechselt mit dem späteren 170V.
Natürlich gab es in bester Markentradition auch Cabriolet-Versionen, aber die überzeugen den Ästheten aufgrund der kompakten Abmessungen nicht so recht:
Mercedes-Benz 170 (W15) Cabriolet C; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Das riesige Verdeck und die kastige, hohe Tür tun der Linie des Wagens einfach nicht gut.
Unglücklich finde ich auch die arg hohen Luftschlitze in der Motorhaube, die aber auf die offenen Versionen beschränkt waren, wie es nach dem Studium der für meine Begriffe etwas dürftigen Literatur zu dem Modell scheint.
Die klassische Limousine war nach meinen Maßstäben ausgewogener proportioniert. Ein Fan der Mercedes-Optik jener Zeit werde ich allerdings nicht mehr – jedenfalls was die geschlossenen Aufbauten betrifft.
Doch das alles relativiert sich, wenn man mit so einem Mobil ins Grüne aufbricht und sich Visionen ganz eigener Art hingibt:
Mercedes-Benz 170 (W15) oder 200 Limousine; Originalfoto: Sammlung Marcus Bengsch
Ich weiß, dieses Exemplar könnte auch ein Mercedes 200 mit Flachkühler aus dessen Einführungsjahr 1933 gewesen sein, aber es gab den äußerlich identischen 170er zumindest gegen Aufpreis ebenfalls mit Vorderstoßstange.
Mir ging es ohnehin eher darum, Sie ins Grüne zu entführen, welches sich auf alten Fotos meist in Grautönen manifestiert – aber warten Sie ab, Sie erleben am Ende Ihr grünes Wunder.
Hauptsache, wir sind jetzt abseits der Städte, der Industrieareale und ausgebauten Landstraßen – darauf kommt es an, wenn man sich der wahren Verführungskraft des Grünen hingeben will.
Auf diese Foto befinden wir uns schon fast am Ziel für heute:
Mercedes-Benz 170 (W15) Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Wer entwickelt hier keine Sehnsucht nach dem Grünen? Für einen Moment kann man hier glatt die politischen Umstände der 1930er Jahre vergessen, auch wenn sie durchscheinen.
Ich erspare Ihnen und mir an dieser Stelle die Herleitung, dass die Limousine im Hintergrund mit Kölner Zulassung sehr wahrscheinlich ein Mercedes-Benz 170 (W15) war.
Zumindest der Stern auf dem Kühler ist zu erahnen. Vielleicht prägen Sie sich noch die Silhouette der Frontpartie ein, bevor es weitergeht.
Diese Aufnahme, so reizvoll ist, repräsentiert nur eine Zwischenstation auf der Suche nach der angekündigten grünen Vision, wie sie eigentlich sein soll – nämlich: dem Auge schmeichelnd, von alter Kultur geprägt und mit der Moderne harmonisch vereint.
Genau das, liebe Leser, hielt jemand kurz vor dem 2. Weltkrieg für uns auf einem der damals neuen und noch sehr teuren Agfa-Farbdiafilme fest.
DAS ist das Original – grüner wird’s nicht, wie mein Großonkel Ferdinand im Auto zu pflegen sagte, wenn jemand mal wieder vor der Ampel nicht in die Gänge kam:
Mercedes-Benz 170 (W15) Limousine; Originaldia: Sammlung Michael Schlenger
Ich versichere Ihnen: Diese Aufnahme ist nicht nachkoloriert und von ein paar entfernten Flecken abgesehen auch nicht nachbearbeitet.
Der Zustand des Mercedes – aus meiner Sicht muss das ein 170 (W15) sein – spricht gegen eine frühe Nachkriegsaufnahme. Mir liegen noch einige Farbdias weiterer Autos aus der Vorkriegszeit vor, welche ich bei Gelegenheit zeige – das gab es also, wenn auch selten.
Das wär’s von meiner Seite für heute – ich hoffe, diese grüne Vision der besonderen Art hat Ihre Zustimmung gefunden.
Wenn jetzt noch einer herausfindet, wo dieses Foto entstanden ist und wie grün es dort in unseren Tagen (hoffentlich) aussieht, dann ist das Glück für den passionierten Vorkriegsautofreund und unheilbaren Nostalgiker vollkommen…
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Heute begann der Tag mit dichtem Nebel, es wollte kaum hell werden. Doch um die Mittagszeit kam die Sonne hervor und trotz des jahreszeitlich bedingt niedrigen Stands vermochte sie einen Hauch Wärme zu verbreiten.
Immer wieder wunderbar, welche Wirkung das auf das Befinden hat. Kaum verwunderlich, dass der Mensch von jeher die Sonne verehrt.
Nicht zufällig feierten die alten Römer am 25. Dezember den Festtag des Sol Invictus – des unbesiegten Sonnengotts. Terminliche Übereinstimmungen mit dem Weihnachtsfest nach Erhebung des Christentums zu römischen Staatsreligion in der Spätantike haben ihren guten Grund – wie übrigens sehr vieles anderes vom „Heidentum“ in der Kirche fortlebt.
Dazu gehört auch die Tradition der Sterndeuter – auf verschlungenen Wegen über die Zeiten zu den Heiligen Drei Königen oder auch Weisen aus dem Morgenland umgemodelt.
Auf diese Herrschaften kam ich abends, als ich zum Himmel emporsah. In nunmehr kalter Nacht knapp über dem Nullpunkt funkelten dort freundlich die Sterne. Der Blick nach oben ans Firmament gehört seit Urzeiten zu den Aktivitäten, die den Menschen „erden“ – im wahrsten Sinne des Wortes.
Schon in der Antike hatte man eine Vorstellung davon, dass sich dort unzählige Sonnen befinden, unter denen unsere nur eine ist.
Im „Traum des Scipio“ des römischen Politikers und Schriftstellers Cicero – ein im Lateinunterricht ignorierter Part seines Standardwerks „De re publica“ – findet man eine bemerkenswerte Beschreibung erst der Erde von oben, dann einen Blick auf diese aus dem All und eine entsprechende Einordnung der Bedeutung des Menschen.
Cicero beschrieb damit schon vor über 2000 Jahren quasi den „Pale Blue Dot„, den blassblauen Punkt namens Erde, den die US-Raumsonde Voyager 1990 aus 6 Milliarden Kilometern Entfernung aufnahm, bevor ihre Kamera abgeschaltet wurde und die Sonde unser Sonnensystem für immer verließ.
Auf diesem Umweg kam mir der Beruf des Sterndeuters in den Sinn, welcher ebenfalls in der Antike wurzelt, wenngleich ich mit Astrologie nichts anzufangen weiß.
Als Anhänger des Rationalismus im Denken verfiel ich darauf, gewissen „Sterndeutern“ der Gegenwart ein Rätsel aufzugeben, an dem sie sich erbauen und abarbeiten können.
Die Mercedes-Freunde, die ich damit meine, werden zunächst jede Zuständigkeit von sich weisen, wenn ich unter dem Motto „Die Schöne und das Biest“ ihre Dienste ausgerechnet in diesem Fall in Anspruch nehme:
Mercedes-Cabriolet Ende der 1920er Jahre; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
„Nie und nimmer ist dieses Monstrum von Auto ein Mercedes!“ Kein Wunder, dass die adrette junge Dame hilfesuchend Blickkontakt mit uns aufnimmt. Wie es scheint, bereitet ihr das im Hintergrund lauernde Biest Ungemach. Nervös ringt sie die Hände, so scheint es…
Die brachiale Kühlerform, der kastige Aufbau, die breiten Reifen – nein, das ist nicht, was man sich als filigranes Frauenzimmer unter einem eleganten bis repräsentativen Mercedes vorstellt.
Damit hat sie einerseits recht – nirgend findet sich in der mir bekannten Literatur ein solches Biest von Automobil, das durch den Mercedes-Stern geadelt würde.
Andererseits scheint das Monster friedfertig gewesen zu sein, nur so ist zu erklären, dass sich unsere Schöne mit weiteren Zeitgenossen hat daneben ablichten lassen:
Mercedes-Cabriolet Ende der 1920er Jahre; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Die kolossalen Dimensionen und die hohe Schwellerpartie lassen einen an ein Automobil der Zeit kurz vor oder nach dem 1. Weltkrieg denken – auf grobe Weise nachträglich modifiziert.
Die Sterndeuter der Mercedes-Fraktion werden immer noch heftig den Kopf schütteln.
Doch, verehrte Leser mit einschlägiger Kompetenz, studieren Sie die Schwellerpartie mit dem darin eingelassenen Werkzeugfach etwas näher.
Das findet sich bei großvolumigen Mercedes-Wagen um 1920, als sich die Firma Daimler noch nicht mit Benz zusammengeschlossen hatte.
Sie sind als Sterndeuter immer noch unsicher? Dann schauen wir uns den Wagen genauer an:
Mercedes-Cabriolet Ende der 1920er Jahre; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Hier stehen „Die Schöne und das Biest“ geradezu einträchtig beisammen. „Hände aus den Taschen in Gegenwart einer Dame!“ höre ich jetzt meinen Lieblingsonkel rufen.
Leider scheinen die Herren auf diesem Foto nichts davon zu wissen – generell macht sich die Verlegenheitsgeste in solchen Situationen nicht gut. „Macht Euch doch einmal locker Männer„, möchte man ihnen zurufen, „Ihr gehört zu den oberen Zehntausend!“
Denn wer genau hinsieht, erkennt nun den Mercedes-Stern auf dem Kühler dieses kolossal dimensionierten Wagens. Unter der enorm langen Haube darf man einen Sechszylinder gigantischen Hubraums vermuten.
Ich dachte hier an ein Exemplar des 7,2 Liter-Mercedes des Typs 28/95 PS, der 1914 eingeführt und nochmals von 1920-24 gebaut wurde. Allerdings besaß der wohl durchweg armdicke Auspuffrohre, die auf der linken Seite aus der Haube hervortraten.
Davon ist jedoch hier nichts zu sehen:
Mercedes-Cabriolet Ende der 1920er Jahre; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Allerdings steht außer Frage, dass dieser Mercedes stark modifiziert wurde – der Kühler und die nach US-Vorbild nachgerüsteten Doppelstoßstangen künden davon.
Nicht nur professionelle Sterndeuter werden ihr Augenmerk noch auf ein anderes Detail lenken: Kann es sein, dass sich die geöffnete Tür hinter dem Heckkotflügel befindet?
Das würde bedeuten, dass dieser monströs anmutende Wagen einen über die Hinterachse hinausreichenden offenen Aufbau besaß – also im Stil eines Ausflugswagens mit mehreren hintereinanderliegenden Sitzreihen.
Solches findet sich in der Zwischenkriegszeit vielfach im Alpenraum zur Erbauung von Touristen, welche die Schönheiten der Bergwelt aus dieser Perspektive genießen wollten.
Aber: Wieso trug dieser modifizierte Mercedes dann eine Hamburger Zulassung? Sie sehen, liebe Sterndeuter, hier ist Ihre Expertise in besonderer Weise gefragt.
Ich verlasse mich da ganz auf die Magier auf ihrem Gebiet, während ich mich geistig und praktisch auf den Fund des Jahres vorzubereiten beginne, der mir in den nächsten Tagen einen Haufen Arbeit machen wird…
Ein Blick nach oben zu den Sternen in klarer Nacht, ein tiefer Atemzug in kalter Luft, der Genuss der Stille um diese Zeit – und mit einem Mal fühlt man die Fülle des Daseins. Machen wir was draus! Heute, morgen und im Neuen Jahr.
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Bereits vor ein paar Tagen meinte ich den bevorstehenden Herbst zu spüren, als es gegen Abend plötzlich kühl wurde.
Zum Glück blieb uns die Sonne und die Wärme noch ein wenig hold – heute war ein vielleicht letzter prächtiger Tag, wie wir ihn schon bald vermissen werden.
Bei meiner Fahrradrunde durch die Wetterau – eine kurze Tour von gut 20 km – boten sich herrliche Ausblicke bei tiefstehender Sonne über die abgeernteten Felder zum Taunus hin. Die Luft war windstill, trocken und warm – doch das Licht hatte mit einem Mal etwas Fahles, wie es mir ein Vorbote des Herbstes zu sein scheint.
Nach Einbruch der Dunkelheit brachte ich noch ein totes Mäuschen in den hinteren Teil des Gartens – unsere Katze Ellie macht bisweilen solche „Geschenke“. Über der mächtigen Krone des alten Maronenbaums wölbte sich der dunkle Himmel und es funkelten mir einige Sternbilder entgegen, wie sie Städter kaum zu Gesicht bekommen.
In warmen Sommernächten flimmern die Sterne stets etwas, doch jetzt schauten sie kalt und unbeweglich auf mich herab. Nun ist es wohl wirklich so weit: plötzlich ist Herbst.
Dazu passend habe ich ein Autofoto aus meinem Fundus herausgekramt. Dort scheint eben noch Sommer gewesen zu sein – man hatte eine Ausfahrt im Sonnenschein im offenen Tourer unternommen – doch die Kleidung ist bereits auf kühle Luft eingestellt und einige Gesichter zeigen sich überrascht: Soll es das wirklich gewesen sein?
Mercedes-„Knight“ um 1920; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Eine bemerkenswerte Aufnahme, finde ich.
Besonders gut gefällt mir hier der Kontrast zwischen den etwas verdattert dreinschauenden Herren der „besseren Gesellschaft“ – mangels Kontakt mit körperlicher Arbeit keine äußerlich sonderlich beeeindruckenden Mannsbilder – und den von der Erscheinung her klar dominierenden Frauenzimmern.
Die tragende Rolle bei dieser Inszenierung kommt unterdessen dem großzügig dimensionierten Tourenwagen zu. Das Fehlen von Vorderradbremsen und der Spitzkühler sprechen für eine Datierung vor Mitte der 1920er Jahre.
Den Aufbau mit dem in die Karosserie integrierten Verdeckkasten findet man nach meinem Eindruck erst kurz nach dem 1. Weltkrieg. Dann haben wir noch den dreizackigen Stern auf dem Kühler und einen Luftschlitz vor einem Auspuffrohr in der Motorhaube.
Das Gesamtbild passt zum meistgebauten Modell der Marke „Mercedes“ aus dem Hause Daimler – dem „Knight“-Typ mit meist 16/45 PS-Motorisierung.
Der Zusatz „Knight“ in der Modellbezeichnung verwies auf den ventillosen Motor nach Patent von Charles Knight aus den USA. Das bereits 1906 vorgestellte Prinzip sah die Steuerung von Gemisch und Abgas über weitgehend geräuschlose Hülsenschieber vor.
Dem Prinzip werden bisweilen einige Schwächen zugeschrieben, aber das sollte man nicht überbewerten. Alleine Willys-Knight in den USA baute über 180.000 Wagen mit entsprechender Motorisierung und dutzende andere Hersteller nutzten das Patent lange.
Bei Vernachlässigung der Wartungsvorgaben und bei unangebrachter Fahrweise scheint es Ausfälle gegeben zu haben – das erinnert mich an die genialen Doppelnockenweller-Motoren von Alfa-Romeo, die sorgfältiges Warmfahren verlangen und auf ignorante Fahrer mit erhöhtem Verschleiß reagieren, aber ansonsten kaum zerstörbar sind.
Inwieweit Daimler beim „Knight“ 16/45 PS versäumt hatte, den Fahrern die besonderen Anforderungen des Aggregats zu vermitteln, was die Schmierung angeht, oder das Patent konstruktiv schlecht umgesetzt hatte, sei dahingestellt. Dass die „Knight“-Motoren generell mängelbehaftet gewesen wären, lässt sich auf internationaler Ebene nicht erkennen.
So oder so musste man bei Mercedes zu jener Zeit feststellen, dass plötzlich der Herbst der Firmengeschichte bevorstand. Ohne gleichwertigen Partner mit weiteren Produktionskapazitäten und nennenswertem Marktanteil befand man sich im Niedergang.
Wir wissen, dass es anders kam – 1926 erfolgte der Zusammenschluss zur Marke Mercedes-Benz – doch in der ersten Hälfte der 20er, als das vorgestellte Foto entstand, durfte man sich Gedanken darüber machen, ob man nicht die beste Zeit hinter sich hatte.
Diese Frage lässt sich auf manches in unserer Republik auch 100 Jahre später anwenden – und das keineswegs nur im Autosektor. Plötzlich ist der Herbst da für eine über Jahrzehnte florierende und inzwischen von wuchernder politischer Planwirtschaft und überbordendem Sicherheits- und Bequemlichkeitsdenken in der Bevölkerung strangulierten Ökonomie.
Für mich als Volkswirt klassischer ordoliberaler Prägung und Freund von Wettbewerb und kapitalistischen Instinkten wäre es an der Zeit für eine Neuauflage der Erhard’schen Reformen für mehr Markt und weniger Staat, mehr Freiheit und weniger Vorschriften, weniger German Angst und mehr Made in Germany.
Aber das wird wohl nichts mehr, fürchte ich. Der Herbst steht vor der Tür…
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Geht Ihnen der Zeitgeistbegriff der „bunten Vielfalt“ auch auf die Nerven? Als ob die Welt das nicht schon immer gekannt und (in dosierter Form) geschätzt hätte. Darüber musste nicht ständig geredet werden.
Kein Kulturvolk wäre ohne Vielfalt der Ideen, Talente und Ziele ein solches geworden. Nehmen wir das antike Griechenland – ein Flickenteppich stolzer Städte, der es nie zu einem gemeinsamen Staat brachte, aber die Kulturgeschichte Europas bis heute so geprägt hat wie nur ein weiteres Volk – die Römer.
Die haben es das erste und einzige Mal geschafft, von Portugal bis Kleinasien, von Britannien bis Ägypten eine über Jahrhunderte weitgehend friedliche und prosperierende, lokale Traditionen achtende Gesellschaft zu schaffen die zugleich flächendeckend Überlegenes bot. Zwar wurde erst einmal alles zusammenerobert, aber Machtstreben ist eine weitere Konstante.
Das Ergebnis war „Multikulti“ unter dem Dach einer omnipräsenten und mit enormen Vorteilen verbundenen Leitkultur. Mit einem einheitlichen Wirtschaftsraum ohne Zölle, Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit, einer edelmetallgedeckten Währung, Frei- und Fernhandel, überschaubaren Steuern, bester Infrastruktur, robuster Grenzsicherung und minimaler Intervention ins Privatleben. Klingt auch heute nicht schlecht, oder?
Das Übel der Sklaverei darf dabei nicht unerwähnt bleiben, welches freilich auch in der sich als christlich dünkenden Neuzeit bis ins 19. Jahrhundert als legitim galt. Vielfalt.
Heute geben wir uns einmal ganz reaktionär und stellen der „bunten Vielfalt“ unserer Tage, die bemerkenswert autoritär propagiert wird, die vermeintlich schwarz-weiße Einfalt von einst gegenüber und schauen, was es damit wirklich auf sich hat.
Dabei geht es ziemlich hoch hinaus, wie wir in mehrfacher Hinsicht sehen werden:
Monte Subasio (Umbrien), Juni 2024; Bildrechte: Michael Schlenger
Das ist ja die Höhe – ein Foto ganz ohne Autos! Nicht ganz, meines stand unweit geduldig auf der weißen Schotterpiste, über die ich an diesen Ort gelangt war.
Zu sehen ist hier der Gipfel des Monte Subasio – mit knapp 1300 Metern Höhe und seiner markanten abgerundeten Form ein landschaftsbeherrschender Berg im italienischen Umbrien. Der Blick geht über die Valle Umbra – also die Ebene zwischen Perugia und Spoleto – in Richtung Süden.
Besagte Römer haben das Sumpfland im Tal in generationenlanger Arbeit trockengelegt und urbar gemacht. Sie waren auch die ersten, die im Tal verkehrsgünstig Städte anlegten, alle älteren Siedlungen befinden sich auf den umliegenden Hügeln.
Das römische Vermessungsnetz ist an vielen Stellen bis heute zu erkennen – Straßen, Felder- und Flurgrenzen folgen ihm. Selbst das Gewerbegebiet von Foligno ist in das antike Rechteckraster eingefügt. In Foligno verbrachte übrigens der spätere Stauferkaiser Friedrich II. seine ersten Lebensjahre – die Umbrer betrachten und verehren ihn als einen der ihren.
Dass im damals von Deutschland bis Sizilien reichenden Imperium Vielfalt pur herrschte, weiß jeder, der sich einmal mit dieser bedeutenden Epoche beschäftigt hat. Die in der Nähe meines Heimatorts stehende doppeltürmige Münzenburg (von der A5 aus südlicher Richtung aus zu sehen) und das völlig anders geartete Castel del Monte in Apulien stehen bis heute sinnbildlich für die Pole der Vielfalt in der mittelalterlichen Welt der Staufer.
Das ist ja die Höhe, was einem heute an geschichtlichen Exkursen zugemutet wird, mögen Sie jetzt denken. Mag sein, aber ich bin im kleinen Reich meines Blogs der Imperator und Sie sind alle freiwillig da. Also bitte, ich habe bisher noch immer die Kurve bekommen zum alten Blech (selbst hier, wenn auch erst ziemlich spät).
Bei mir bleiben Sie stets ganz auf der Höhe, was Vorkriegsautos auf alten Fotos angeht – so auch diesmal. Und das im besten Wortsinn:
Wiener Höhenstraße; originale Postkarte aus Sammlung Michael Schlenger
Speziell meine Leser in Österreich werden sofort wissen, wo diese Aufnahme entstand.
Wir blicken hier von der Wiener Höhenstraße auf den Leopoldsberg mit seiner schönen Barockkirche, die trotz schwerer Bombenschäden (Februar 1945) heute wieder in alter Pracht erstrahlt.
Bei meinen Recherchen stellte ich fest, dass dieser Abschnitt der Wiener Höhenstraße erst 1935 freigegeben wurde. Gern hätte ich die Aufnahme nur anhand der darauf abgebildeten Autos datiert – das ist nämlich erstaunlich präzise möglich, auch wenn hier noch viel Material aus den 1920er Jahren vertreten ist.
Großartig finde ich die Vielfalt an Marken und Baujahren, die auf diesem Zeugnis versammelt sind. Dieses Nebeneinander – aber auch das Fehlen bestimmter Modelle – ist es, was das Foto trotz des Mangels an Farbe so faszinierend macht.
Keine Sorge, ich werde nicht jedem der abgebildeten Wagen ein ausführliches Porträt widmen. Etliche davon habe ich schon einmal im Blog präsentiert – sie sind über die Suchfunktion oder in meinen Markengalerien zu finden.
Wer zu dem einen oder anderen Auto Details oder auch andere Einschätzungen ergänzen möchte, ist wie immer willkommen, dies über die Kommentarfunktion zu tun.
Beginnen wir ganz rechts, dort finden sich die Vertreter der „Veteranen“-Fraktion:
Sind Ihnen die geisterhaften Schatten am oberen Bildrand aufgefallen? Sie stammen von wegretuschierten Personen, die sich während der Belichtung dieser Aufnahme bewegt haben.
Der Fotograf hatte am Objektiv eine kleine Blende gewählt, um möglichst viel Schärfentiefe (manche sagen: Tiefenschärfe) zu erhalten. Entsprechend musste er eine etwas längere Belichtungszeit wählen, zumal da das Bild am späten Nachmittag bei sinkender Sonne entstanden zu sein scheint.
Das ist ja die Höhe – Bildmanipulation gab es also auch früher schon! Ja natürlich, und zwar seitdem es die Fotografie gibt.
Ein Foto ist mitnichten ein präzises Abbild der Wirklichkeit, sondern immer Ausschnitt und Interpretation derselben. Es zeigt nur eine bestimmte Perspektive und einen konkreten Augenblick, das Objekt wird in ein möglichst günstiges oder ungünstiges Licht gerückt, Unerwünschtes wird ausgeblendet oder gar wegretuschiert, Proportionen betont oder verfälscht, Kontraste werden verstärkt oder weichgezeichnet usw.
Das mache ich mit fast jedem Foto in meinem Blog ebenfalls, und Sie bekommen das Meiste davon nicht mit, da Sie im Regelfall das Ausgangsmaterial nicht kennen.
Letztlich geht es mir um die Wirkung der Situation und die Aussagefähigkeit, was den Hersteller oder das Modell des abgebildeten Fahrzeugs angeht.
Jetzt stürzen wir uns aber wirklich in die automobile Vielfalt von damals:
Der Mercedes vorne in der Mitte ist wohl das älteste Fahrzeug, das hier zu sehen ist. Er trägt noch den dreigezackten Stern auf beiden Seiten des Spitzkühlers und ist sicher vor dem Zusammenschluss von Daimler und Benz entstanden.
Ich würde den Wagen als Mercedes des Typs 15/70/100 PS in der Ausführung von 1924-26 ansprechen – ein kolossales Fahrzeug, das noch lange nach dem Ende seiner Bauzeit den Besitzern äußerst komfortable und mühelose Fortbewegung ermöglichte.
Direkt neben ihm steht ein deutlich kleinerer Citroen des Typs C6 (vom C4 durch die Radkappen zu unterscheiden), wie er von 1928-32 gebaut wurde.
Mit etwas Abstand geparkt hat auf der anderen Seite ein US-Modell – entweder ein Studebaker von 1930 oder (wahrscheinlicher) ein Graham-Paige von 1929.
In der zweiten Reihe dahinter haben sich einträchtig zwei Austro-Daimler eingefunden. Den linken Wagen halte ich für einen Typ ADR (Bauzeit: 1927-31), während der rechte der ältere Typ ADM (Bauzeit: 1923-28) sein könnte und damit dem Mercedes Konkurrenz in punkto Alter machen würde.
Moderner geht es nun in der zweiten Bildhälfte zu, jedenfalls überwiegend. Beginnen wir mit dem rechten Teil derselben:
Bei dem Mercedes-Benz rechts oben würde ich auf den Typ 200 (Bauzeit: 1933-36) tippen. Der wesentliche größere Wagen daneben ist sehr wahrscheinlich ein US-Fabrikat aus der zweiten Hälfte der 1920er Jahre – auf einen Versuch der Identifikation verzichte ich hier.
Was aber könnte das für ein 4-Fenster-Cabriolet (oder Cabrio-Limousine) ganz vorne rechts sein? Ich denke hier an den Steyr Typ XX (1928/29), allerdings passen die seitlichen Parkleuchten aus meiner Sicht nicht dazu.
Schauen wir nun noch auf den zweiten Part der linken Bildhälfte:
Bei diesen Fahrzeugen befinden wir uns ganz nahe am Entstehungszeitpunkt der Aufnahme.
Links haben wir einen modernisierten Steyr des Typs 430, wie er von 1933-35 gebaut wurde. Hier die luxuriöse Ausführung als 4-Fenster-Cabriolet.
Deutlich darüber angesiedelt war indessen die weit voluminösere Limousine daneben. Er besaß mit seiner schon fast wie aus einem Stück bestehenden Frontpartie die wegweisendsten Formen aller hier zu sehenden Wagen.
Außerdem dürfte er von der effektiv nutzbaren Leistung das stärkste Auto im Feld gewesen sein. Wir haben es nämlich mit einem 1934er Hudson zu tun, der ausschließlich mit 8-Zylindermotoren (Reihe) verfügbar war, die zwischen 100 und 120 PS leisteten.
Dieses Gerät – nebenbei ein typischer 8-Zylinder-Amerikaner, der sich auch heute noch souverän im Verkehr bewegen lässt – ist das Fahrzeug, anhand dessen ich die Aufnahme auf Mitte der 1930er Jahre datiert hätte. Passt perfekt zum Baufortschritt der Höhenstraße.
Bemerkenswert diese Vielfalt an Herstellern, Modellen, Aufbauten und Baujahren auf diesem zufälligen Zeitdokument, nicht wahr? Was aber fehlt bei aller Vielfalt?
Was wir vermissen, sind die typischen Kleinwagen jener Zeit, die in Deutschland vor allem von DKW und Opel gefertigt wurden, aber auch in großer Zahl exportiert wurden.
Waren diese im damaligen Österreich eher selten oder hatten deren Besitzer schlicht Besseres zu tun, als sich abends am Blick auf den Leopoldsberg und (in der Ferne) Wien zu erbauen und dafür „sinnlos“ Benzin zu verbrauchen?
Wie so oft in der Kulturgeschichte sind auch hier die „kleinen Leute“ unterrepräsentiert, die vielleicht keine grandiosen Eingebungen haben und über besondere Talente verfügen, die aber den Laden unauffällig am Laufen hielten und halten.
Das waren in der Antike die, welche die Schiffe bauten, mit denen die Griechen den Mittelmeeraum besiedelten, die, welche in römischer Zeit die Infrastruktur zur Entwässerung sumpfiger Ebenen bauten, die, welche im Hochmittelalter Burgen und Kathedralen hochmauerten und die, welche einst am Hochofen standen, in denen der Stahl für die Automobile entstand, die wir heute so bewundern.
Diese echte Vielfalt an Können, Planen und Arbeiten auf allen Ebenen ist es, welche das Leben eines Kulturvolk ausmacht – keine bloßen Propagandaparolen – das gilt heute wie einst.
Das ist ja die Höhe, dass es am Ende wieder grundsätzlich wird. Ja, aber auch darum geht es (mir) bei der Beschäftigung von Vorkriegsautos auf alten Fotos…
Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Die frühen Mercedes-Wagen aus der Zeit vor der Fusion von Daimler und Benz sind recht seltene Gäste in meinem Blog. Das liegt weder an einer Abneigung meinerseits, noch am Mangel an zeitgenössischen Fotos – ganz im Gegenteil.
Ich müsste schön ignorant sein, um Prachtexemplare wie diesen Wagen zu übergehen:
Daimler „Mercedes“ 28/95 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Diese über 100 Jahre alte Aufnahme von Juni 1922 zeigt einen Typ 28/95 PS, der mit seinem 7,3 Liter großen Sechszylindermotor (ohc mit Königswelle) von 1914 bis 1924 einen Spitzenplatz im Daimler-Programm innehatte.
Das hätte ich vielleicht auch selbst herausbekommen, im vorliegenden Fall machte es mir aber die entsprechende Beschriftung von alter Hand auf der Vorderseite leicht.
Bei anderen dieser frühen Mercedes-Typen komme ich aber kaum über Mutmaßungen hinaus. Gewiss, die zeitliche Einordnung anhand stilistischer Merkmale traue ich mir zu, doch bei der Identifikation des genauen Modells muss ich meist passen.
Das liegt zum einen daran, dass sehr viele Mercedes-Wagen der gehobene Klasse damals hochindividuelle Aufbauten erhielten. Zum anderen fehlt es mir an einschlägiger Literatur, in der die Merkmale der frühen Mercedes-Typen systematisch dokumentiert sind.
Gibt es so etwas überhaupt, möchte ich bei der Gelegenheit in die Runde fragen?
Mir scheint es zwar eine erschlagenden Fülle von zeitgenössischen Fotos zu geben, doch eine wirklich streng chronologische Dokumentation mit Hervorhebung der jeweils typischen Elemente ist mir noch nicht begegnet. Manches Foto scheint auch eher exemplarischer Natur zu sein und es sind Zweifel daran angebracht, ob die Typangabe wirklich sicher ist.
Mich fuchst so etwas, weil ich den Ehrgeiz habe, mich dem Baujahr und dem Modell so genau wie möglich zu nähern. So muss ich heute leider passen, was die Typansprache dieses eindrucksvollen Mercedes angeht:
Daimler „Mercedes“ von 1910; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks
Das Foto ist für die Zeit in ungewöhnlicher Manier aufgenommen – jedenfalls verglichen mit den meist statischen Werksaufnahmen von Daimler aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg.
Diese Aufnahme aus der Sammlung von Leser Klaas Dierks wäre auch eine Zierde manches Mercedes-Standardwerks – mir ist bloß bislang keines begegnet, das die frühen Modelle wirklich umfassend, attraktiv bebildert und detailliert beschrieben abhandelt.
Wie gesagt: Buchhinweise werden dankend entgegengenommen – es muss doch etwas geben, was dem einzigartigen Rang dieser Marke gerecht wird.
Unterdessen will ich sehen, was sich dem heute vorgestellten Foto „mit Bordmitteln“ abgewinnen lässt. Klaas Dierks konnte mir schon einmal versichern, dass es sich ausweislich der Plaketten um einen Wagen des Kaiserlichen Automobilclubs handelte.
Mit dem Kennzeichen weiß ich allerdings gar nichts anzufangen, der deutschen Konvention entspricht es jedenfalls nicht. Es sieht eher wie eine fortlaufende Nummer aus, was auf eine Verwendung beim Militär hindeuten könnte:
Halten wir uns aber lieber an das, was gesichert ist: Der dreizackige Stern auf dem Kühler taucht erst ab 1909 bei den „Mercedes“-Wagen von Daimler auf. Der Flachkühler wurde ab 1912 durch einen spitzen abgelöst.
Das Entstehungsjahr lässt sich aber noch weiter einengen: Der „Windlauf“, also die nach oben gewölbte Blechpartie zwischen dem hinteren Ende der Motorhaube und der Frontscheibe taucht bei (nicht speziell für Sportzwecke hergerichteten) Mercedes-Wagen erstmals 1910 auf.
Der abrupte Übergang zwischen Motorhaube und Windlauf, der dessen eigentlichem Zweck einer strömungsgünstigen Gestaltung noch nicht ganz gerecht wurde, findet sich bei Automobilen aus dem deutschen Sprachraum in der Regel nur 1910.
Schon ab 1911 ist diese Partie geglättet, wenngleich Haube und Windlauf meist noch kein Ganzes ergeben wie auch an diesem Mercedes:
Daimler „Mercedes“ von 1911; aufgenommen im 1. Weltkrieg an der Morawa
Ab 1912 erhielten die Mercedes-Wagen dann – wie gesagt – einen Spitzkühler und zu diesem Zeitpunkt war bei deutschen Herstellern zudem eine harmonische Einheit aus ansteigender Motorhaube und Windlauf der Regelfall.
Diese Überlegungen lassen mich annehmen, dass der Mercedes auf dem von Klaas Dierks zur Verfügung gestellten Foto sehr wahrscheinlich aus dem Jahr 1910 stammt.
Dummerweise war dies auch ein Jahr des Umbruchs, was die Typen- und Motorenpalette von Daimler angeht. Einerseits lief die Produktion diverser 4- und 6-Zylinderwagen aus, die seit 1907 in Produktion waren, andererseits begann die Produktion ihrer Nachfolger, die durchweg eine größere Leistungsausbeute bei gegebenen Hubraum aufwiesen.
Die Dimensionen des Wagens, speziell die Länge der Motorhaube würden aus meiner Sicht zu Modellen mit 50 bis 75 PS passen. So oder so waren das damals enorme Leistungen, die bereits Geschwindigkeiten von 80-90 km/h ermöglichten, wenngleich die Übersetzungen vor allem auf starken Antritt bei niedrigen Drehzahlen ausgelegt waren.
Nur eines lässt sich mit Gewissheit sagen: Dieser Mercedes verfügte noch über eine kettengetriebene Hinterachse, wie dieser Bildausschnitt erkennen lässt:
Daimler bot neben dem bereits etablierten Kardanantrieb nach wie vor auch Kettenantrieb an, was den Vorlieben einer konservativen Kundschaft entsprochen haben mag.
Man erkennt die Antriebskette vor dem Hinterrad oberalb des nach unten gebogenen Auspuffrohrs. Das Antriebsritzel befand sich in dem markant gestalteten Kasten vor dem Hinterkotflügel, welcher sich zur Wartung öffnen ließ. Er diente zugleich als Einstiegshilfe für die rückwärtigen Passagiere.
Ein letztes Detail auf diesem Ausschnitt sei noch erwähnt. Der Vorderkotflügel geht hier noch nicht in einem harmonischen Schwung in das Trittbrett über, sondern schneidet dieses rechtwinklig und reicht noch etwas weiter nach unten.
Auch das ist ein Indiz für eine eher frühe Entstehung dieses Daimler, denn solche Kotflügel waren ab etwa 1908 bereits die Ausnahme. Ich bin mir deshalb mit meiner Datierung dieses prachtvollen und gewiss sehr leistungsfähigen Wagens auf 1910 ziemlich sicher.
Jetzt sind aber die Mercedes-Experten an der Reihe, die mir vermutlich einige Fehlschlüsse und -urteile nachweisen und mir – hoffentlich -die ersehnten Literaturinweise geben können!
Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Die Freunde der Marke Mercedes werden in meinem Blog recht kurz gehalten, ich weiß. Das hat keineswegs mit einer Abneigung gegen die Marke zu tun.
Tatsächlich war ich als frischgebackener Führerscheinbesitzer anno 1989 kurze Zeit Eigner einer Mercedes-Benz 280 SE Limousine (W 108), die ich für 600 DM erstanden hatte.
Natürlich war das äußerlich großartige Gefährt in silbermetallic bei diesem Preis technisch eine Leiche (immerhin lief der Motor) und beim Öffnen des Kofferraums konnte man durch großformatige Rostlöcher das Reifenprofil begutachten (nie hätte ich gedacht, dass diese teuren Wagen dermaßen üble Roster sein konnten).
Fein säuberlich aufpoliert und nachdem ich eine fehlende Zierleiste ersetzt hatte (die gab’s für kleines Geld auf dem Schrottplatz) gelang es mir bald, den Wagen für einen Tausender weiterzuverkaufen.
Von dieser Episode abgesehen blieb ein Mercedes für mich stets unerreichbar. Speziell die eleganten Sechs- und Achtzylinder-Coupés der 1960er Jahre, für die ich schon als Schüler geschwärmt hatten, entschwanden rasch in jenseitige Preisregionen.
Was die Vorkriegsware aus dem Hause Daimler-Benz betrifft, musste es erst recht bei der Beschäftigung in Form historischer Fotos bleiben.
Umso mehr Vergnügen bereitet es mir, heute mit einem der legendären Kompressorwagen der 1920er Jahre aufwarten zu können, der meine Sammlung ziert – freilich nur in Form dieses Exemplars, das einst in einer Werbebroschüre abgedruckt war:
Mercedes 24/100/140 PS; Abbildung aus „Progress“-Prospekt um 1925; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Einige Details der Tourenwagenkarosserie dieses Prachtexemplars – speziell die optisch zweigeteilten Vorderkotflügel – machen es schwer, den genauen Typ zu bestimmen.
Man könnte an das schon ziemlich opulente Kompressormodell 15/70/100 PS denken, von dem ich hier ein Exemplar vorstellen konnte.
Doch zum Glück ist die genaue Motorisierung in der Broschüre überliefert, in welcher der Mercedes einst als Fotomodell herhalten musste. Darin ging es nämlich gar nicht speziell um diese Marke, sondern ein progressives Produkt, welches dafür gedacht war.
Dazu hatte man sich ausgerechnet den gigantischen Typ 24/100/140 PS mit 6-Liter-Sechszylindermotor ausgesucht – wohl ein Kundenfahrzeug, mit dem sich prächtig Reklame machen ließ – und anschaulich zugleich.
Achten Sie auf obiger Aufnahme zum einen auf die Stellung der Scheinwerfer und die der Vorderräder, zum anderen auf die unterschiedlichen „Blickwinkel“ der Scheinwerfer selbst.
Ermöglicht wurde dies durch eine Vorrichtung, welche bei der Fahrt durch eine Kurve frühzeitig für die Ausleuchtung derselben sorgte:
Abbildung aus „Progress“-Prospekt um 1925; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Dieses Informationsblatt fand sich zusammen mit etlichen anderen Preziosen im Nachlass einer alten Automobil-Werkstatt – der Firma Fr. Haug in Esslingen am Neckar.
Fein säuberlich abgeheftet hat dieses interessante Dokument die Zeitspanne von beinahe 100 Jahren überdauert, um erst jetzt wieder das Tageslicht zu erblicken.
Darin kann man eine einfache, aber wohl wirkungsvolle Patent-Konstruktion bestaunen, die je nach Lenkeinschlag eine Drehung der Original-Scheinwerfer und zugleich ein „Voreilen“ des kurveninneren Lichts bewirkte.
Sogar an einen speziellen Stoßdämpfer hatte man gedacht, welcher die Scheinwerfer von Stößen entkoppeln sollte, welcher das Lenkgestänge bei der Fahrt ausgesetzt war:
Abbildung aus „Progress“-Prospekt um 1925; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Diese ingeniöse Vorrichtug war für eine Vielzahl von Personen- und Lieferwagen erhältlich – wie erfolgreich sie war, vermag ich jedoch nicht zu beurteilen.
Zu berappen waren für den kompletten Montagesatz (inkl. Versand, aber ohne Anbringung) zwischen 115 und 140 Reichsmark, je nach dem, ob man eine lackierte, teilweise oder ganz verchromte Ausführung wünschte.
Für den Besitzer eines Mercedes 24/100/140 PS waren das bloß „Peanuts“, für einen angestellten Durchschnittsverdiener im Deutschland des Jahres 1925 wäre das rund ein Brutto-Monatsgehalt gewesen. Aber der konnte sich ohnehin kein Auto leisten.
Abschließend würde mich interessieren, ob noch an einem überlebenden deutschen Fahrzeug ein solche Kurvenlichtvorrichtung der Marke „Progress“ zu finden ist. Auch sonstige Anmerkungen dazu sind wie immer willkommen!
Heute kommen die Freunde der Mercedes-Wagen aus der Zeit vor dem Zusammenschluss mit Benz (1926) auf ihre Kosten – zwar mit keiner großen Rarität, doch immerhin mit einem Exemplar, das etwas rätselhaft erscheint.
Die Rede ist vom Typ 16/45 PS mit „Knight“-Hülsenschiebermotor, der von 1910 bis etwa 1924 in mehreren tausend Exemplaren entstand.
Vor den Lohn haben die Götter bekanntlich den Schweiß gesetzt. Dieser Weisheit des altgriechischen Schriftstellers Hesiod folgend sei dem Genuss des „Stars“ des heutigen Blog-Eintrags eine kurze Abhandlung über den „Knight“-Motor vorangestellt.
Im Jahr 1907 hatte der Amerikaner Charles Knight mit einem neuartigen Motorenkonzept Furore gemacht, das für den Gaswechsel statt eines mechanisch anfälligen und geräuschvollen Ventiltriebs fast lautlos arbeitende Hülsenschieber vorsah.
An sich war die Idee genial: Beim Motor nach Knight-Patent war der Kolben von zwei ebenfalls auf- und ablaufenden Hülsen umgeben, die Öffnungen für das Frischgas und das Abgas besaßen, welche genau im richtigen Moment freigegeben wurden.
Hier gab es keinerlei mechanische Geräusche wie das Ticken der Ventile mehr. Die in der Frühzeit des Automobils noch häufigen Ventilfederbrüche blieben ebenfalls aus. Der unheimlich ruhige Lauf der „Knight“-Motoren sorgte international für Begeisterung.
So erwirbt auch Daimler im Jahr 1910 eine Lizenz für den Bau von Motoren nach „Knight“-Patent und bringt im selben Jahr das Modell 16/40 PS auf den Markt. Ein Exemplar dieses Typs aus dem Jahr 1912 war 2019 bei den Classic Days auf Schloss Dyck zu bewundern:
Mercedes „Knight“ Typ 16/40 PS; Bildrechte: Michael Schlenger
Dieses Fahrzeug wurde ursprünglich an den Besitzer einer Kaffeeplantage in Brasilien ausgeliefert und kehrte erst in den 1980er Jahren nach Europa zurück. Leider wurden sämtliche Messingteile später vergoldet, damit sie nicht mehr anlaufen.
Das vulgär wirkende Glitzerergebnis bleibt einem im Schwarz-Weiß-Modus erspart. Erkennbar bleiben indessen die vier im Vorderteil der Motorhaube angebrachten Luftschlitze, über die die Abwärme des Motors nach außen abgegeben wurde.
Dieses Detail findet sich bei nahezu allen Mercedes „Knight“ dieses Typs bis in die 1920er Jahre – mit Betonung auf „nahezu“, denn offenbar gab es Ausnahmen…
Bevor wir uns einer solchen zuwenden, möchte ich die Gelegenheit nutzen, das Foto eines weiteren Mercedes „Knight“ zu zeigen, auf dem paradoxerweise nichts zu sehen ist, was eine solche Identifikation erlaubt:
Fahrer eines Mercedes „Knight“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Wo ist hier ein „Knight“ zu erkennen, mag man sich jetzt fragen. Nun, „Knight“ ist ein durchaus schillernder Begriff und tatsächlich haben wir es mit einem solchen zu tun.
Das englische Wort „Knight“ ist eng mit dem deutschen „Knecht“ verwandt, wenngleich es etwas scheinbar Gegensätzliches bezeichnet. Ein „Knight“ ist im Englischen doch ein „Ritter“, also denkbar weit entfernt vom „Knecht“, möchte man meinen.
Nicht ganz. Ein „Knight“ ist auf der Insel die niedrigste Adelsstufe, die historisch in einem ausgeprägten Dienstverhältnis gegenüber dem König stand.
Diese Unterordnung hat sich im Englischen erhalten, obwohl es sich von Aussprache und Bedeutung oft von den germanischen Wurzeln entfernt hat.
Dass man Ritter und Knecht zugleich sein kann – je nach Perspektive, das ist auch die Botschaft des obigen Fotos mit dem Chauffeur. Denn der war einerseits ausweislich seiner Fahrermütze der Untergebene des eigentlichen Autobesitzers, andererseits war er ein Ritter der Landstraße und souveräner Herrscher über das Automobil selbst.
Speziell einen Mercedes mit „Knight“-Motor vertraute man nur einem Meister seines Fachs an, da der Antrieb nach besonders sorgfältiger Wartung und sensibler Fahrweise verlangte.
Die Nachteile des auf dem Papier genialen Motorenkonzepts waren nämlich die Abhängigkeit von perfekter Schmierung zur Vermeidung klemmender Hülsenschieber und ein disziplinierter Gasfuß, weil Knight-Motoren keine hohen Drehzahlen vertragen.
Soweit so klar – bleibt die Frage, woran man erkennt, dass der so vorteilhaft getroffene Fahrer tatsächlich einen „Knight“-Mercedes fuhr. Die Antwort ist einfach: weil es vor langer Zeit jemand auf der Rückseite des Abzugs vermerkt hat…
Letztlich helfen uns beide bisher gezeigten Fotos – so reizvoll sie jeweils sein mögen – bei der Identifikation eines „Knight“-Mercedes nicht weiter. Oder würden Sie spontan dieses Auto als solchen identifizieren?
Mercedes „Knight“ Typ 16/45 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Für die eingefleischten Mercedes-Freunde ist der Fall natürlich klar – das muss ein Daimler der frühen 1920er Jahre sein – erkennt man doch am Spitzkühler!
Gemach. Ich habe in solchen Fällen noch einige andere deutsche Marken auf dem Radar, die damals mit ganz ähnlichen Kühlern ausgestattet waren – Adler, Brennabor, Dürkopp, Elite, Phänomen, Rex-Simplex und Simson sind einige Beispiele.
Dummerweise ist weder auf dem Kühler noch auf den Radnaben irgendetwas zu erkennen, was auf Hersteller oder Marke hinweisen würde. Auffallend ist bloß, dass das Kühlergitter vorn ein kleines Stück über den oberen Abschluss des Kühlergehäuses hinausragt:
Erst durch Zufall – nämlich beim x-ten Durchblättern der Literatur zu deutschen Vorkriegswagen in einem ganz anderen Fall blieb mein Auge an einem Mercedes „Knight“ der frühen 1920er Jahre hängen, der genau dieses Detail am Kühler aufwies.
Stutzig machte mich indessen, dass kein Mercedes jener Zeit über die durchlaufende Reihe ausgeprägter, relativ weit auseinanderliegender Luftschlitze besaß. Allerdings fanden sich auf sehr vielen Aufnahmen von Mercedes „Knight“-Wagen nach dem 1. Weltkrieg die drei sehr kleinen zusätzlichen Schlitze im Seitenteil hinter der Motorhaube.
Auch die übrige Karosserie unterstützte am Ende die Identifikation als Mercedes „Knight“ 16/45 PS, obwohl der Part hinter der Windschutzscheibe bis Mitte der 1920er Jahre meist marken- und typunabhängig gestaltet war.
Hier sehen wir aber genau eine solche Tourenwagenkarosserie, wie sie sich auf zahlreichen Fotos des Mercedes „Knight“ 16/45 PS bis ins kleinste Detail wiederfindet:
Zwar folgen die Linien des Aufbaus grundsätzlich den seinerzeit maßgeblichen Entwürfen von Ernst Neumann-Neander, doch sind sie hinreichend individuell, um als Mercedes-typisch angesprochen zu werden.
Das gilt speziell für die Proportionen der Türen, aber auch den vorn und oben abgerundeten Kasten vor dem hinteren Kotflügel, welcher die Blattfederaufnahme kaschierte und der über einen Deckel zwecks Schmierung derselben verfügte.
Man findet das genau so auf diversen Fotos des trotz kapriziöser Technik erstaunlich langlebigen Mercedes-Modells „Knight“ 16/45 PS (zuletzt 16/50 PS).
Auf obigem Ausschnitt sehen wir neben einigen „Rittern“ der Landstraße, die sich für die Beherrschung eines Automobils zu fein waren oder sich diese mangels Masse nicht leisten konnten, auch zwei „Dames“ – die englische Entsprechung eines Knights bzw. Sirs.
So haben wir am Ende wieder etwas für die Völkerverständigung getan, wir haben gelernt, was Ritter und Knecht verbindet und einmal mehr festgestellt: Die Literatur zu deutschen Vorkriegsautos bildet die einstige Realität nur sehr oberflächlich ab.
Bei meinen Recherchen habe ich neben Mercedes-Modellen des Typs „Knight“ 16/45 PS mit vier Luftschlitzen im Vorderteil der Motorhaube auch eines gefunden, das ganz ohne solche Entlüftungsschlitze auskommt (es steht im Technik-Museum Speyer).
Bloß ein Exemplar mit durchgehender Reihe an Luftschlitzen in genau der Ausführung wie auf dem heute präsentierten Foto – das scheint ein „Novum“ zu sein, wenn man das von solch einem alten Ritter der Landstraße überhaupt sagen kann…
Das Foto, das ich heute vorstelle, mag für die Freunde der frühen Automobile wenig Aufregendesbieten – für die Kenner der gut dokumentierten Marke Mercedes schon gar nicht.
Doch mag es für diejenigen interessant sein, für die über 100-jährige Veteranenwagen so fremdartig sind wie ein Raumschiff von einem anderen Stern. Dabei ist dieser – der Stern – ein hervorragender Einstieg in die automobile Welt vor dem 1. Weltkrieg.
Von dem vertrauten Symbol ausgehend wird man feststellen, das die Autos jener Zeit gar nicht mehr so fremdartig wirken, wenn man sich einmal auf sie einlässt. Tatsächlich sind sie „form follows function“ in Perfektion, nur kannte man den Slogan noch nicht.
Zunächst möchte ich an ein anderes Mercedes-Foto erinnern, das ich vor längerem hier besprochen habe – zufälligerweise ebenfalls eines aus dem Kriegsjahr 1915:
Daimler „Mercedes“ 28/60 PS, Juni 1915; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Dass das ein Mercedes sein muss, verrät einzig und allein der spitz zulaufende Kühler mit jeweils einem Stern pro Seite. Alle übrigen Details des Aufbaus könnten von einem beliebigen Oberklassewagen aus deutscher Produktion stammen – damals gab es ja noch eine ganze Reihe solcher Hersteller, die heute kaum noch einer kennt.
Während der Stern seit 1909 Erkennungszeichen von Mercedes-Wagen war, taucht der Spitzkühler erst 1912 bei einzelnen Modellen auf. Da das oben abgebildete Fahrzeug noch nicht über elektrische Positionslichter verfügt, dürfte es kaum später als 1913 entstanden sein – als Daimler optional bereits vollelektrische Beleuchtung anbot.
Die Größe des Wagens ist der einzige Indikator für die Motorisierung – es könnte sich um einen Typ 28/60 PS (oder darüber) gehandelt haben, genau lässt sich das nicht sagen. Nun aber zum „Star“ des heutigen Blog-Eintrags:
Mercedes ab 1912, Oktober 1915; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Diese Aufnahme verschickte einst ein in der Gegend von Metz (heute: Frankreich) stationierter deutscher Soldat an seine Frau oder Verlobte – leider ohne weitere Informationen außer dem umseitigen Feldpoststempel von Oktober 1915.
Metz gehörte seit 1871 (wieder) zum Deutschen Reich und war damals ein bedeutender Stützpunkt an der Westfront. Viele Militärangehörige waren in der mehrheitlich deutschsprachigen Stadt untergebracht, so auch der Fahrer „unseres“ Mercedes.
Gleich auf den ersten Blick fällt ins Auge, dass der Wagen zwar einen Stern auf dem Kühler trägt, dieser aber flach und nicht spitz ausgeführt ist.
Auch wenn Flach- und Spitzkühler vor dem 1. Weltkrieg eine Weile parallel verbaut wurden, haben wir hier ein Indiz für eine eher frühe Entstehung bzw. eine schwächere Motorisierung, bei der der als sportlich geltende Spitzkühler nicht so gefragt war.
Ein weiteres Element, das gegen eine Entstehung ab 1913/14 spricht, ist das völlige Fehlen elektrischer Lichter. Selbst die Positionsleuchten links und rechts der Frontscheibe – gewissermaßen das „Standlicht“ von einst, waren Petroleumlampen.
Was wie ein primitives Relikt aus dem Kutschzeitalter erscheint, bewährte sich beim frühen Automobil noch recht lange als einfach und effektiv, bis die Elektrifizierung der Beleuchtung die Oberhand gewann.
Die Form der mächtigen Scheinwerfer verrät, dass diese mit Karbidgas (Acetylen) betrieben wurden. Das Gas wurde nicht etwa in Druckbehältern mitgeführt, sondern bei Bedarf in Karbidgasentwicklern an Bord produziert.
Diese kleinen Chemiefabriken befanden sich fast immer auf einem der Trittbretter und versorgten über Leitungen alle angeschlossenen Lichter mit Gas.
Es sei daran erinnert, dass der Betrieb von Karbidgasanlagen zwar etwas Verstand und Umsicht erfordert, doch bei Fahrrädern noch bis in die 1930er Jahre üblich war. Wenn Uroma einst damit im Alltag zurechtkam, darf man sich heute auch daranwagen.
Allerdings finden sich – wie im Fall der noch komplexeren Holzvergaser-Anlagen – heute kaum mehr historische Automobile, die eine funktionsfähige Gasbeleuchtung besitzen. Vielleicht kennt ja jemand ein Beispiel – außer bei historischen Fahrädern ist mir das in natura noch nicht begegnet.
Besagter Karbidgasentwickler ist bei dem Mercedes aus Metz übrigens der Kasten vorn auf dem Trittbrett. Interessanter finde ich hier allerdings zwei weitere Elemente:
Ein schönes Detail ist zum einen der genau der Form der Felgen angepasste (wohl metallene) Werkzeugkasten, der in die beiden Ersatzräder eingesetzt ist.
Begegnet ist mir so etwas noch nie. Für eine Frontimprovisation erscheint mir das fast zu liebevoll angepasst, auf der anderen Seite war so etwas für damalige Handwerker allenfalls eine Art Gesellenstück. Oder doch ein Werkszubehör von Daimler?
Möglicherweise findet sich etwas Vergleichbares auf anderen Fotos. Daimler-Wagen gehören nicht zu den Schwerpunkten meiner Sammlung, sodass ich hier kein repräsentatives Bild davon habe, was einst üblich war und was nicht.
Zum anderen sehen wir auf obigem Ausschnitt eine ungewöhnlich ausgeführte Hupe. Der Hupenball zur Betätigung vom Lenkrad aus ist vollkommen konventionell, doch welchen Weg nimmt das Rohr eigentlich, nachdem es hinter den Ersatzrädern verschwunden ist?
Mir scheint es in einem Bogen zu der „Schnecke“ zurückzukehren, die sich oberhalb des Karbidgasentwicklers befindet. Bemerkenswert ist dort der Schallaustritt – nämlich nicht in Form eines Trichters sondern einer Kugel, die Löcher in mehrere Richtungen aufweist.
Auch das sehe ich hier zum ersten Mal. Bestimmt erfüllte diese Lösung ihren Zweck, sonst hätte man sie nicht gewählt, aber was spricht eigentlich für eine solche Ausführung?
Fragen über Fragen. Wer sich außerdem fragt, was all‘ die Hebel zu bedeuten haben, die hinter der Hupe an der Außenseite angebracht sind, dem kann indessen geholfen werden:
Dem Fahrer am nächsten ist der Schalthebel, davon befindet sich die Handbremse mit Arretiergriff. Der „Hebel“ weiter hinten war wohl der Holzgriff eines Spatens oder einer Schaufel, die für den Fall mitgeführt wurde, dass man sich festgefahren hatte.
Zuletzt sei auch der Soldat selbst gewürdigt, der dieses interessante Foto vor 105 Jahren auf die Reise in die Heimat schickte. Er trägt die für Kraftfahrer typische zweireihige Lederjacke sowie Schirmmütze mit Schutzbrille.
Im Moment der Aufnahme hielt er das mächtige Lenkrad fest in der Hand, wie das bei Fotos aus jener Zeit oft der Fall war. Man war zurecht stolz darauf, einen solchen Kraftwagen zu beherrschen und zu bändigen – damals ein Handwerk, das Gefühl und Entschlossenheit gleichermaßen verlangte.
Dass diese Aufnahme an die Frau oder Verlobte daheim ging, dafür spricht der Ring an der Hand, der uns hier im Herbstlicht entgegenleuchtet. Was mag der Fahrer dieses Mercedes in dem Moment gedacht haben, als der Fotograf den Auslöser betätigte?
Wir wissen es nicht, aber er wollte damit gewiss eine zuversichtliche Botschaft nach Hause senden, wo jemand man um ihn bangte. Doch kann dies auch das letzte Bild von ihm gewesen sein, das die Heimat erreichte.
Jemand muss dieses Foto sehr lange aufgehoben haben. Die letzten Besitzer der Aufnahme dürften der Generation danach angehört haben und nun scheint offenbar niemand mehr da zu sein, der noch etwas damit anfangen kann.
Doch halt: Dieses Bild, dieser Wagen und sein Fahrer vermögen uns auch nach 105 Jahren sehr viel zu sagen. Was genau es ist, das bleibt jedem selbst überlassen…