Gruß in die Heimat: Pontiac „New Series Six“ von 1928

Wer ist eigentlich nicht gelangweilt vom ewiggleichen beschränkten Markenmix in den Klassiker-Gazetten hierzulande?

Selbst die sonst vom Verfasser bislang geschätzte „Oldtimer-Praxis“ bekam es kürzlich hin, kein einziges Vorkriegsmodell zu besprechen und sich dafür eingehend mit eigenschaftlosen „Youngtimern“ zu befassen – Konsequenz: Das Heft blieb im Laden.

Immerhin brachte man in der letzten Ausgabe zum Ausgleich einen ausführlichen und lesenswerten Bericht zum Studebaker „Dictator“ – geht doch!

Schließlich waren die US-Modelle der Vorkriegszeit alles andere als Exoten am deutschen Markt. Ende der 1920er Jahre entfiel zeitweilig über ein Drittel der Neuzulassungen in Deutschland auf „Amerikaner“-Wagen.

Viele dieser einst oft auch vor Ort montierten US-Fabrikate haben bei uns zwar nicht überlebt. Dennoch verdienen sie gemäß ihrer früheren Bedeutung gewürdigt zu werden.

Dabei könnten Leser, die keine sechsstelligen Summen für Nachkriegsklassiker aufbringen wollen, auch auf die Idee kommen, sich einen der nach wie vor erschwinglichen und leistungsfähigen US-Wagen der Vorkriegszeit zuzulegen.

Anschauungsmaterial dafür findet sich zuhauf auf diesem Blog – der sich wiederum im unerschöpflichen Fundus an Originalaufnahmen bedient, die jahrzehntelang in Fotoalben hierzulande schlummerten und nun auf den Markt kommen:

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Pontiac New Series Six von 1928; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diesen deutsch beschrifteten Abzug schickte einst ein Auswanderer, der „es“ geschafft hatte, aus den Vereinigten Staaten an die Angehörigen in der alten Heimat.

Der Besitzer des zweitürigen Coupés mit funktionsloser Sturmstange hatte sich offenbar rasch der amerikanischen Auffassung angeschlossen, dass man Wohlstand selbstbewusst vorführen darf.

Es gibt zwar ähnliche Aufnahmen stolzer Automobilisten jener Zeit aus Deutschland, aber so selbstgefällig und aufgesetzt gab man sich selten. Wir werden auf einer zweiten Aufnahme bestätigt sehen, dass hier etwas zuviel Eitelkeit im Spiel war.

Was aber war das für ein Auto, das sich unser frischgebackener US-Bürger deutscher Herkunft geleistet hatte?

Nun, die Kühlerfigur zeigt das Abbild des Indianerhäuptlings „Pontiac“, der im frühen 18. Jahrhundert einen zeitweilig erfolgreichen Guerillakrieg gegen die britische Kolonialpolitik führte und damit in Amerika als positive Identifikationsfigur galt.

Die erhöhte Partie, die sich von der Kühlermaske über die Mitte der Motorhaube erstreckt, und die eigenwillige Form der Scheinwerfer sind Merkmale des Pontiac „New Series Six“ von 1928.

Mitte 1928 erschien eine geringfügig überarbeitete Version mit 10 kräftigen statt 12 filigranen Holzspeichen an den Rädern. Mit so einem Modell haben wir es wahrscheinlich auf dem Foto zu tun.

In der Literatur nicht zu finden ist dagegen die massive einteilige Stoßstange – sie wurde wohl nachgerüstet, um das Auto moderner erscheinen zu lassen. Dafür spricht das Aufnahmedatum 1932, das auch auf dem Kennzeichen zu sehen ist:

Pontiac New Series Six von 1928; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier kann man sehr gut den schlanken Kühler erkennen, der den Pontiac Six des Modelljahrs 1928 vom Vorgänger unterschied.

Außerdem wird deutlich, dass die nachgerüstete breite Stoßstange ziemlich brachial an den Vorderwagen des Pontiac angepasst worden war – die originale zweigeteilte Stoßstange hätte eleganter gewirkt.

Doch in der am Michigansee gelegenen Kleinstadt Winnetka im Bundesstaat Illinois – siehe Kennzeichen – zählte 1932 offenbar eher Modernität, oder was man dafür hielt.

Nicht ganz geschmackssicher – eher neureich – wirkt auch die Pose des Pontiac-Besitzers, der mit seinen zweifarbigen Halbschuhen und dem lässig angewinkelten Bein etwas halbseiden erscheint.

„Anyway“, wird er sich gedacht haben, „die Familienangehörigen im rückständigen Deutschland werden tüchtig über den feinen Zwirn und den Sechszylinderwagen mit knapp 50 PS Leistung staunen.“

Und tatsächlich war solch ein Wagen noch in den frühen 1930er Jahren für deutsche Verhältnisse ein Traumauto – echte Volksmotorisierung sollte bei uns erst in den 50ern einsetzen und ein Sechszylinder blieb selbst dann lange Zeit unerreichbar.

Die beiden Fotos machen es schwer, den zweifellos erfolgreichen Besitzer des Pontiac sympathisch zu finden. Doch illustrieren sie, dass die Vereinigten Staaten in jener Zeit das alte Europa hinter sich zu lassen begannen und letztlich überflügelten.

In stilistischer Hinsicht schlugen die Nachfahren unseres wackeren Auswanderers nach dem Krieg erst recht einen eigenen Weg ein, dessen Auswüchse Auswirkungen auch den europäischen Alltag gründlich verändern sollten…

© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

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