Italiener mit „6-Appeal“: Ein Fiat 521 aus Stettin

Selbst Fiat-Freunde kennen kaum die erfolgreichen Vorgänger des legendären Fiat 500 „Topolino“ – die Vierzylindertypen 501, 503, 505, 507 und 509 der 1920er Jahre.

Dabei waren diese kaum kleinzukriegenden Modelle einst auch auf deutschen Straßen sehr präsent, wie etliche schöne Aufnahmen in diesem Blog zeigen.

Hier haben wir stellvertretend ein Foto eines Fiat 503 oder 509 mit klassisch klaren Linien, wie sie typisch für italienische Wagen jener Zeit waren:

Fiat_503_oder_509_Galerie

Fiat 503 oder 509; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Für echte Überraschung wird bei manchem Oldtimerfreund aber die Erkenntnis sorgen, dass es außerdem in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre auch großzügige Sechsyzlinderwagen der Turiner Marke gab.

Im Unterschied zu entsprechenden Versuchen der Nachkriegszeit hatte Fiat damals eine wesentlich sichere Hand und brachte zwischen 1926 und 1931 rund 50.000 Exemplare seiner Sechszylindertypen (512, 520, 521, 525) an den Mann.

Kein deutscher Hersteller war damals in der von US-Herstellern dominierten Sechszylinderklasse annähernd so erfolgreich. Konsequente Ausrichtung auf industrielle Fertigung schon kurz nach dem 1. Weltkrieg schuf bei Fiat die Basis dazu.

So sehen wir auf folgender Aufnahme aus dem Raum Stettin keinen Adler, Brennabor, Opel oder sonstigen deutschen Sechszylinder, sondern einen Fiat 521:

Fiat 521; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese stattliche Sechsfensterlimousine folgte bis auf die Fiat-typische Kühlermaske in Form einer antiken Tempelfront perfekt der von den damals formal wie technisch führenden US-Herstellern entwickelten Linie.

Details wie die Höhe der Motorhaube mit 29 Luftschlitzen, die Scheibenräder sowie die eindrucksvollen Dimensionen lassen darauf schließen, dass wir hier tatsächlich einen 6-Zylinder-Fiat vor uns haben.

Dabei spricht der Radstand eher für das kleine Modell 521 mit 50 PS starkem 2,5 Liter-Motor als für den größeren Fiat 525 mit knapp 70 PS aus 3,7 Liter, der zudem weit seltener war.

Die Kennung „IH-20“ auf dem Nummernschild verweist auf eine Zulassung in der Provinz Preussen (römisch „I“) und dort im Regierungsbezirk Stettin („H“), der bis 1945 zu Pommern gehörte.

Wie auf folgendem Ausschnitt zu erkennen ist, besaß der Fiat 521 Linkslenkung, wie das bereits beim Vorgängertyp 520 ab 1927 der Fall war:

Auf diesem Ausschnitt ist zwar nichts Typspezifisches zu sehen, doch fesselt den Betrachter der selbstsichere Blick des jungen Mannes, der an der Mütze als Chauffeur zu erkennen ist.

Mit der kurzen zweireihigen Jacke über Pullover und Hemd hat er etwas Sportlich-Maritimes an sich – individuell und zugleich korrekt nach damaligem Maßstab.

Weil er nicht so affektiert posiert wie der im selben Jahr – 1932 – abgelichtete Besitzer des im letzten Blogeintrag vorgestellten Pontiac „Six“, würde man ihm wohl eher Vertrauen schenken und sich seinen Fahrkünsten anvertrauen.

Man darf nicht vergessen: Viele Autobesitzer hierzulande besaßen keinen Führerschein und waren auf versierte und manierliche Fahrer angewiesen.

Als Fahrer in einem gutsituierten Haushalt hatte man einst eine verantwortungsvolle, respektable Position inne – gemessen an den meisten Altersgenossen, die in Landwirtschaft und Industrie harte Arbeit verrichten mussten.

Doch der Wandel in der Zwischenkriegszeit sollte auch den Beruf des Fahrers bald überflüssig machen – immer mehr Autobesitzer wollten und konnten ihren Wagen selbst fahren und genossen die Unabhängigkeit auf Reisen.

Dann posierte statt des angestellten Fahrers der Eigentümer selbst vor dem Gefährt, das damals einen heute kaum vorstellbaren Luxus darstellte:

Fiat 521; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Trotz einiger Unterschiede wie Stahlspeichenräder statt Scheibenräder und fehlende Positionsleuchten haben wir hier wohl ebenfalls einen Fiat-Sechszylinder des Typs 521 vor uns – eventuell ist es auch ein Typ 520 mit etwas kleinerem Motor.

Natürlich war man auch in einem so mächtigen Wagen trotz serienmäßiger Vierradbremsen nicht risikofrei unterwegs. Die oft schlechten Straßenverhältnisse oder unerwartet auftauchende Hindernisse konnten gerade auf dem Land Folgen haben:

Fiat 521; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier ist ein Fiat 521 auf gerader Landstraße von der Fahrbahn abgekommen und an einen Baum geprallt. Die Sache scheint zum Glück glimpflich ausgegangen zu sein – die vollständige Geschichte ist hier zu lesen…

© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

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