Vor 100 Jahren: Neues Spitzkühlermodell von Presto

Der heutige Blogeintrag macht zwei Dinge deutlich: Erstens gibt es selbst nach 100 Jahren immer noch Neuigkeiten von längst verblichenen Vorkriegsautomarken.

Zweitens erweist sich das Internet als ideales Medium nicht nur zur Präsentation historischer Automobilfotos, sondern auch zum globalen Austausch von Informationen dazu.

Denn das Bild, das wir heute präsentieren, zeigt erstens ein deutsches Automodell, das nach Kenntnisstand des Verfassers nirgends in der Literatur zu finden ist. Zweitens verdanken wir es der Sammlerleidenschaft eines Enthusiasten aus Australien.

Jason Palmer „from down under“, wie die Briten sagen, hat uns schon den Fund des Monats Mai spendiert, eine rare Aufnahme eines Komnick Tourenwagens.

Nun hat er ein weiteres Foto aus seiner Sammlung eingesandt. Eigentlich wollte er nur wissen, worum es sich bei dem Wagen auf einem malträtierten Abzug handelt.

Das ließ sich schnell herausfinden – es ist ein Presto, doch der genaue Typ ist so interessant, dass er angemessen präsentiert sein will. Beginnen wir also in der Frühzeit des Automobilbaus bei den Presto-Werken in Chemnitz.

Nach einer Phase des Lizenznachbaus von französischen Delahaye-Wagen begann man 1910 mit selbstkonstruierten 8/22 PS-Serienwagen.

Eines dieser bis 1912 gebauten Modelle mit zuletzt 28 PS aus nach wie vor 2,3 Litern Hubraum sehen wir wahrscheinlich auf folgender Aufnahme:

Presto_Tourenwagen_Bayern_1

Presto-Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme ist deshalb interessant, weil sich in der Literatur keine weitere findet, die einen frühen Presto-Wagen aus derartig günstiger Perspektive zeigt.

Selbst wenn es sich um eines der ab 1913 gebauten Modelle 8/25 PS oder 10/35 PS handeln sollte – ganz genau lässt sich das ohne Blick unter die Haube nicht sagen – , ist hier ein Detail zu erkennen, das andernorts kaum zu finden ist.

Hier sehen wir nämlich die frühe Ausführung der Markenplakette von Presto:

Auf dem Originalabzug ist auf der runden Kühlerplakette ganz klar „Prestowerke AG Chemnitz i. Sa.“ zu lesen.

In der Mitte ist ein geflügeltes Rad in einem Kreis platziert, der vertikal in zwei Hälften in den sächsischen Landesfarben Grün und Weiß unterteilt ist.

Dieses Element findet sich auch beim anschließend verwendeten Presto-Emblem, bei dem Firmenname und Ortsangabe einem schlichten „PRESTO-Schriftzug gewichen sind:

Presto-Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Was diese Ansicht zum Kuriosum macht, sind keinesfalls die fehlenden Reifen, sondern die Tatsache, dass der Wagen einst direkt neben dem zuvor gezeigten Vorgänger abgelichtet wurde.

So lassen sich die Veränderungen von Kühlerform und Markenplakette, aber auch des Übergangs von Motorhaube zur Frontscheibe sowie der Vorderschutzbleche  vergleichen, die sich damals in lediglich zwei, drei Jahren vollzogen:

Dass die Originalaufnahme noch zwei weitere Fahrzeuge anderer Marken zeigt, sei der Vollständigkeit angemerkt – obige Vergrößerungen der Kühlerpartien stellen winzige Ausschnitte des Abzugs dar, was für die Qualität des damaligen Fotomaterials spricht.

Nach dieser umständlichen, doch notwendigen Einleitung kommen wir zum eigentlichen Hauptdarsteller des heutigen Blog-Eintrags – quasi dem australischen Stargast:

Presto-Spitzkühlermodell; Originalfoto aus Sammlung von Jason Palmer (Australien)

Wer meint, dass dieses Bild kaum etwas erkennen lässt, hat das Original noch nicht abgesehen – einen vielfach beschädigten und geknickten Abzug.

Der Verfasser hat die schlimmsten Defekte beseitigt, doch sind noch genügend Spuren der Zeit geblieben – man darf einem solchen Zeugnis ruhig sein Alter ansehen.

Wer weiß, welche Odyssee dieses Zeitdokument hinter sich hatte, bevor es nach rund 100 Jahren in den Händen des heutigen Besitzers im fernen Australien landete.

Bevor wir ins Detail gehen, halten wir folgendes fest:

  • Der Wagen verfügt über einen Spitzkühler nach Vorbild von Mercedes und Benz (damals unabhängig), der ab 1914 bei vielen deutschen Herstellern Mode wurde.
  • Montiert sind elektrische Scheinwerfer, wie sie vor dem 1. Weltkrieg meist nur als Option verfügbar, aber ab 1918 Standard waren.
  • Die Insassen sind deutsche Soldaten – ob im 1. Weltkrieg oder danach bei der Reichswehr, ist schwer zu sagen.
  • Das Kennzeichen aus römisch „II“ und „A“ verweist auf eine Zulassung in der bayrischen Hauptstadt München. Bei der fortlaufenden Nummer könnte vor der „0“ eine Ziffer fehlen, vielleicht weil das Kennzeichen dort einen Knick aufweist.

Nun aber zum interessantesten Detail des Wagens:

Hier haben wir beidseitig des Spitzkühlers die typische Markenplakette von Presto in der Ausführung unmittelbar vor dem 1. Weltkrieg.

Wie eingangs bemerkt, ist dem Verfasser keine weitere Aufnahme eines Presto mit einem derartigen Spitzkühler bekannt – und doch hat es das einst gegeben!

Ganz gleich, ob dieser Presto nun kurz vor dem 1. Weltkrieg oder direkt danach entstand, haben wir hier ein bisher fehlendes Bindeglied zu den einst in Deutschland recht verbreiteten Presto D-Typen mit 9/30 PS-Vierzylindermotor.

Auch diese besaßen nämlich einen Spitzkühler, wenngleich einen mit stärker abgerundeter Oberseite des Kühlergehäuses:

Presto D-Typ 9/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Leistungsmäßig hatte sich zwar gegenüber der Vorkriegszeit nicht viel getan – der nunmehr 2,4 Liter große Vierzylinder war für maximal 30 PS gut – doch die schnittige Optik mit nach unten vorragendem Spitzkühler machte einiges her.

In der Presto-Galerie dieses Blogs sind etliche Originalaufnahmen des reizvollen Presto-D-Typs zu finden  – danach zu urteilen, handelte es sich um ein gehobenes Automobil für stilbewusste Leute.

Dass Autos der 1927 von NAG aus Berlin übernommenen Chemnitzer Marke auch nach rund 100 Jahre bei Sammlern für Begeisterung sorgen, das hätten sich die Männer, die diese Wagen einst konstruierten und bauten, nicht träumen lassen.

Statten wir ihnen auf diese Weise unseren Dank für ihren Beitrag zur Entwicklung und Verbreitung des Automobils im Deutschland der Zwischenkriegszeit ab…

© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

2 Gedanken zu „Vor 100 Jahren: Neues Spitzkühlermodell von Presto

  1. Ganz herzlichen Dank für diese hochinteressanten Zusatzinformationen, Herr Bach! Wäre der erwähnte Mitarbeiterbericht in Kopie verfügbar? An dem Foto mit Ihrem Herrn Großvater wäre ich natürlich auch interessiert. Für alle Fälle hier meine E-Mail-Adresse: michael.schlenger@freenet.de

  2. Der Prestofahrer Huth war Georg Huth, der Obermeister der Motorenfertigung im Werk in Chemnitz. Habe einen Bericht eines Mitarbeiters von ihm, der auch die Motoren auf der Bremse am Ende der Fertigungsstrecke betreute. Er fuhr als „Schmiermaxe“ bei Huth mit. 1923 fuhr Kermer mit einem Presto am Klausenpass und 1924 soll Spieß dort den 1. Platz mit dem Presto belegt haben. Spieß war auch Teilnehmer der ADAC-Deutschlandfahrt 1924.Sein Presto steht auf einem Foto hinter meinem Großvater, der diese Fahrt mit dem Motorrad ( Eichler mit Bekamo-Motor) in der kleinen Klasse gewann. Der Chef der DKW-Werke in Zschopau J.S. Rasmussen besaß 1912 auch einen Presto, ebenso der Rittergutsbesitzer in unserem Ort Herr Mathee Herfurth.

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