Vor 90 Jahren: Neuigkeiten von Horch – der Typ 375

Aufmerksame Leser meines Blogs für Vorkriegsautos auf alten Fotos erinnern sich vielleicht an einen älteren Eintrag, in dem es um den Horch 8 des 1929 vorgestellten Typs 375 ging.

Dabei hatte ich mich mit Abweichungen des Erscheinungsbilds der 8-Zylindertypen 350 bzw. 375 von der Beschreibung in der Literatur (Kirchberg/Pönisch: Horch – Typen, Technik, Modelle) beschäftigt.

Eine Auffälligkeit ließ sich dank eines sachkundigen Lesers aus der Schweiz klären – doch der Reihe nach.

Nach meinem damaligen Verständnis kennzeichneten folgende Elemente den Sondertyp 375, der von 1929-31 parallel zum gleichstarken Vorgängertyp 350 angeboten wurde:

  • Einführung einer dreiteiligen Stoßstange,
  • auf zwei Drittel der Haube beschränkte Luftschlitze,
  • geflügelte Weltkugel als Kühlerfigur,
  • Positionslampen auf den Vorderschutzblechen,
  • große, die Radbolzen überdeckende Radkappen.

Vorübergehend erschüttert wurde diese Auffassung durch folgende Aufnahme:

Horch_350_08-1932_1_Galerie

Horch 8 Typ 350; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Abgesehen von der dreiteiligen Stoßstange entspricht auf dieser Aufnahme alles dem konventionellen Horch 8 Typ 350, wie er von 1928-32 gebaut wurde.

Nebenbei ist das ein Foto, das zwar technisch unvollkommen ist, aber auch nach über 90 Jahren seinen Reiz von der Dame am Steuer bezieht. Für den Fotografen stand hier erkennbar nicht das Auto im Mittelpunkt.

Man darf davon ausgehen, dass hier die Stoßstange vom Paralleltyp 375 übernommen wurde, um dem Wagen ein repräsentativeres Äußeres zu geben.

So weit so gut. Etwas dazugelernt habe ich etwas in Bezug auf den Horch auf folgender Aufnahme:

Horch 500; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier haben wir eine Kombination aus dreiteiliger Stoßstange, Positionsleuchten auf den Kotflügeln und geflügelter Weltkugel auf dem Kühler. Nach meinem bisherigen Verständnis waren dies Merkmale des Horch 8 Typ 375.

Doch die durchgehende Reihe Luftschlitze wollte nicht dazu passen. Muss sie auch nicht, wie mir Leser Peter Ramsauer aus der Schweiz nahebrachte.

Denn die direkt in die Haube geprägten Luftschlitze verweisen weder auf den Horch 350 (mit aufgenietetem Blech) noch auf den 375, sondern auf den Horch 8 Typ 500.

Er wurde mit neuentwickeltem 5 Liter-Achtyzlinder von 1930-32 gebaut und besaß ebenfalls eine dreigeteilte Stoßstange. Bis zu diesem Modell war ich mit meinen Recherchen jedoch noch nicht vorgedrungen.

Wie aber sah denn nun ein „echter“ Horch 8 Typ 375 aus, um die Sache anschaulicher zu machen? Nun, da kann ich mit gleich drei Aufnahmen aufwarten:

Horch 375 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Marcus Bengsch

Dieses „schräge“ Foto verdanken wir einmal mehr Leser Marcus Bengsch, der schon etliche besondere Aufnahmen aus seiner Sammlung beigesteuert hat, insbesondere zu den raren Wagen von Röhr.

Das viersitzige Cabriolet weist alle in der Literatur beschriebenen Elemente auf, die kennzeichnend für den Horch 8 Typ 375 sind, insbesondere die auf zwei Drittel der Haube beschränkten Luftschlitze in der Motorhaube.

Alles das findet sich auf der folgenden, bisher ebenfalls unpublizierten Aufnahme eines Horch 8 Typ 375 wieder – hier mit Aufbau als mächtiger 6-Fenster-Limousine:

Horch 8 Typ  375 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Nun kann man zurecht die Qualität dieser Aufnahme bemängeln. Vermutlich wurde sie mit einer der verbreiteten Kameras gemacht, die auf kurze Distanzen nicht genau das im Sucher zeigten, was das tieferliegende Objektiv auf den Film bannen würde.

Wer beim Fotografieren nicht daran dachte, schnitt zwangsläufig das Oberteil seines Motivs ab. Dennoch ist hier gerade noch zu erkennen, dass ein Junge auf dem Beifahrersitz herumturnte, während das Foto entstand.

Wir dürfen annehmen, dass diese Aufnahme aus seinem Album stammt, dessen Inhalt im 21. Jh. in alle Winde zerstreut wurde – das ist der Lauf der Dinge. Leider ist vom Kennzeichen nichts zu sehen, sodass das Bild nicht weiter einzuordnen ist.

Ein Zubehör waren die Trittschutzbleche am Schwellerblech unterhalb der Türen – so etwas sieht man auf zeitgenössischen Fotos des Typs nur selten.

Festzuhalten ist, dass zumindest die auf zwei Drittel der Motorhaube begrenzten Luftschlitze typisch für den Horch 8 Typ 375 waren. Die Stoßstange konnte verändert worden sein, und auch beim Typ 350 finden sich bisweilen die Positionsleuchten auf den Vorderschutzblechen statt an der Flanke am hinteren Ende der Motorhaube.

Damit sind wir nun in der Lage, den Wagen auf dem folgenden Foto präzise anzusprechen, auch wenn er nur teilweise zu sehen ist:

Horch 8 Typ 375; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Eine solche Aufnahme hätte in einer Buchpublikation vermutlich keine Chance auf Veröffentlichung, doch in einem informellem Medium wie einem Blog lässt sie sich ohne weiteres einbinden.

Und seien wir ehrlich: der Reiz dieses Fotos liegt doch gerade darin, dass auch hier jemand nicht den Wagen in den Mittelpunkt stellte.

Da lichtete einst jemand den Fahrer seines Horch 8 Typ 375 ab, damit auch er eine Erinnerung in sein Fotoalbum kleben oder die Verwandschaft mit Abzügen beeindrucken konnte.

Der Chauffeur dieses Horch war nicht irgendein Angestellter, den man nach Belieben ersetzen konnte. Das war ein Fachmann, der die Technik eines der modernsten und komplexesten Automobile beherrschen musste, die in Deutschland gebaut wurden.

Ganze 937 Stück des Horch 8 Typ 375 wurden einst im sächsischen Zwickau gefertigt. Einige wenige davon sollen noch existieren – wobei mir noch keiner begegnet ist.

Insofern stellt jedes bislang unpublizierte, noch so unvollkommene alte Foto dieses Luxusautos nach 90 Jahren eine reizvolle Neuigkeit dar…

© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

 

 

 

 

 

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