Borduhr? Bei Sonne überflüssig! Horch 350 Cabriolet

Auf meinen Touren nach Italien und zurück sind vor allem zwei Instrumente an Bord wichtig: Die Geschwindigkeitsanzeige und die Uhrzeit.

Erstere, um stets gerade so weit über dem Tempolimit unterwegs zu sein, dass es im Zweifelsfall nicht teuer wird. Besonders wichtig ist das in der Schweiz – wobei mir die Fahrweise der Einheimischen im Tessin verrät, dass man das dort nicht so militant sieht wie nördlich der Alpen.

In Italien orientiert man sich ohnehin am besten an dem, was die Ortsansässigen mehrheitlich praktizieren. Abgesehen von wenigen Lokalitäten wie rund um Bologna hat das meist wenig mit den aufgestellten Schildern zu tun.

Begegnet einem unterwegs doch einmal ein Vorschriftsgläubiger, der am Wochenende durch eine inaktive Schnellstraßen-Baustelle mit 40-50 km/h fährt und eine endlose Kette an Autos hinter sich hat, ist das nach meiner Erfahrung in 99 % der Fälle ein Deutscher…

Die zweite Anzeige ist die Borduhr – bzw. um genau zu sein – die digitale Uhrzeit, die ich zusammen mit dem Tempo auf einem Zusatzinstrument angezeigt bekomme. Dieses habe ich auf dem Armaturenbrett so montiert, dass ich die Augen nicht von der Straße nehmen muss, um beide Daten jederzeit ablesen zu können.

Das dank GPS absolut präzise, vielfach einstellbare und bei jeder Beleuchtung gut ablesbare Teil stammt natürlich vom Chinamann und ist über die vielgeschmähte amazon-Plattform erhältlich. Dort gibt es aber nun einmal die unzähligen praktischen, durchdachten und günstigen Sachen, die man hierzulande verschlafen hat – wie so ziemlich alles, was Elektronik enthält, einfach zu bedienen ist und dabei oft noch schick aussieht.

Warum aber ist mir die Borduhr so wichtig? Nun, damit kann ich bei einer regelmäßig absolvierten Strecke gut abschätzen, wie ich vorwärtskomme bzw. dass ich eine Schippe drauflegen muss, wenn ich unterwegs Zeit verloren habe.

Auf dem Weg nach Italien will ich ja möglichst schnell am Ziel sein und auf dem Weg zurück werde ich von allerlei Mitbewohnern erwartet – das muss als Erklärung genügen.

Ansonsten komme ich im Alltag ganz gut ohne Uhr klar, die biologische ist erstaunlich gut. Versuchen Sie mal, ohne groß darüber nachzudenken, die Uhrzeit zu raten – auf eine Viertelstunde genau kann man es oft aus dem Bauch heraus sagen.

Dabei hilft speziell auf dem Land, wo man noch Sonne, Mond und Sterne kennt, bisweilen der Blick zum Himmel. Der war und ist auch ein verlässlicher Gehilfe, wenn man im Cabrio unterwegs ist und das Verdeck niedergelegt ist.

Genau aus diesem Grund brauchte der prächtige Horch-Achtzylinder von Ende der 1920er Jahre auf folgender Aufnahme keine Borduhr:

Horch „8“ Typ 350 Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Zu den heute noch begehrten 8-Zylindermodellen, die Horch damals baute – hier noch stark an das US-Vorbild Cadillac angelehnt – muss ich nicht viel sagen.

Ich habe bereits x Varianten davon vorgestellt und in meiner Horch-Galerie finden Sie mehr historische Fotos davon als in irgendeiner anderen Publikation.

Heute geht es mir vor allem um das Thema Borduhr, wobei ich mir vorstellen kann, dass die sächsische Automarke ihre Spitzenprodukte bereits in den 1920er Jahren damit austattete.

Doch – wie dargelegt – wenn man in einem Cabrio unterwegs ist und die Sonne lacht, brauchte man das eigentlich nicht. Das hier abgelichtete Horch-Exemplar illustriert das in schwer überbietbarer Weise.

Das ist eine These so steil wie die Weinberge in der prächtigen Landschaft entlang einer Flußschleife, die hier gerade von einer Fähre überquert wird:

Schön, nicht wahr? Und – was im Deutschland des 21. Jh. nicht selbstverständlich ist – diese grandiose Szenerie bietet sich einem heute noch genauso dar.

Man muss nicht einmal dagewesen sein, um zu wissen: so hochdramatisch sind die Weinberge in deutschen Landen nur an der Mosel angelegt.

Ergo brauchte ich nicht lange, um den Aufnahmeort mit der Präzision meines kleinen GPS-Instruments im Auto zu bestimmen: Der Horch hatte vor dem Ortseingang von Ürzig gehalten, das sich zwischen Bernkastel-Kues und Traben-Trarbach befindet.

Jetzt mögen Sie sich fragen, weshalb ich mir so sicher bin – Moselschleifen mit Weinbau in Steillagen gibt es immerhin einige.

Nun, die Antwort findet sich auf folgendem Bildausschnitt:

Hier sehen wir nicht nur den Achtzylinder-Horch mit dem mutmaßlichen Wunschkennzeichen „8-1000“, darüber erkennt man auch die monumentale Ürziger Sonnenuhr, die dort an einer Turmruine des Mittelalters prangt.

Zwecks Bestimmung der Uhrzeit hatte der Horch dort gewiss nicht gehalten, selbst wenn er keine Borduhr besaß. Es ist schlicht eine beeindruckende Szenerie, wenngleich die heutige Bundesstraße 53 dort – wie die darauf verkehrenden Autos – etwas prosaischer erscheint.

Doch der Schönheit dieses Orts tut das keinen Abbruch. Übrigens: Schon vor 2000 Jahren bot sich auf der damaligen Römerstraße dieselbe Szenerie dar, nur ohne Achtzylinder. Auch die Weinberge gab es schon, wie die beiden unweit gelegenen römischen Kelteranlagen in der steilen Südlage „Erdener Treppchen“ beweisen.

Die wurden aber erst in den 1990er Jahren entdeckt, schlummerten also noch ihrer Wiederentdeckung entgegen, als „unser Horch“ dort einst halt machte. Wenn Sie mal in der Nähe sind, können Sie die konservierten und gut erläuterten Kelteranlagen besuchen.

Dann überlassen Sie sich der segensreichen Wirkung der Sonne und träumen Sie sich in eine Epoche ihrer Wahl zurück – vielleicht begegnet Ihnen dann ja der Horch im Tagtraum.. Jedenfalls können Sie an dem Ort Zeit vergessen – eine Borduhr braucht man dort nicht…

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Ziemlich alte Bekannte: Von Benz über Horch bis Mercedes

Die einst ruhmreichen deutschen Autoindustrie hat ziemlich Federn gelassen. Die wenigen verbliebenen Marken befinden sich in der Absatzkrise – teils wegen einseitiger Ausrichtung auf nicht massenmarktfähige Elektromodelle (noch dazu ohne eigene Wettbewerbsvorteile) , teils im Zuge des allgemeinen Niedergangs der Industrie hierzulande, deren Produktion entgegen dem internationalen Trend seit etlichen Jahren rückläufig ist.

Neben einer ausufernden Staatsquote (>50 % vs. 35 % in der Schweiz) ist es vor allem die irrationale Energiepolitik, welche der Industrie hierzulande immer stärker die Grundlage entzieht. Die Reaktion darauf sind Standortschließungen und Verlagerungen ins Ausland.

Ein Kurswechsel ist nicht annähernd in Sicht, von der aus meiner Sicht dringend gebotenen Kettensäge ganz zu schweigen. Da es deprimierend ist zuzuschauen, wie ein Land vor die Hunde geht, zumal das offenbar mehrheitsfähig ist, hilft nur der Blick zurück in eine Zeit, die in vielerlei Hinsicht ihre Schattenseiten hatte – aber in einem grandios war, nämlich in punkto automobiler Vielfalt und Größe.

Zur Illustration möchte ich heute diese Aufnahme aus deutschen Landen vorstellen, die frühestens 1930 entstanden sein kann:

Horch, Mercedes und Benz-Automobile; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Versammelt sind hier Vertreter der Marken, die einst das A und O des Serien-Automobilbaus in Deutschland markierten, so lässt sich mit einer gewissen Berechtigung sagen, wenngleich Nischenhersteller wie etwa Audi, Stoewer, Röhr und Maybach ähnliche Niveaus erreichten.

Am Anfang steht natürlich Benz, das Fabrikat welches am Anfang des Verbrennerautos stand, nicht zuletzt dank der Tat von Bertha Benz, die das ewige Tüfteln ihres Gatten satt hatte und der zeitlos zutreffenden Meinung war, dass ein innovatives Produkt kein Selbstzweck ist, sondern auf den Markt gehört. Eine realistische Frau, die ihre Mitgift im ziellosen Tun des Gatten dahinschmelzen sah.

Kommt Ihnen nun das Exemplar der Marke links auf diesem Bildausschnitt bekannt vor?

Ich hoffe doch, denn denselben Wagen hatte ich kürzlich hier bereits als Benz der frühen 1920er Jahre identifiziert, bevor ich das heute präsentierte Foto erwarb – ein merkwürdiger Zufall wie so vieles, das einem im Leben widerfährt.

Aus dieser Perspektive bin ich mir erst recht sicher, was die Markenidentität angeht, wenngleich das Benz-Emblem auch hier nicht klar lesbar ist.

Den Wagen in der Mitte – ein Horch ab 1930 – kommentieren wir noch später. Nur auf den enormen Unterschied in der Größe der Räder und speziell der Reifen möchte ich hinweisen. Hier sehen wir, was sich von Anfang der 1920er Jahre bis etwa 1930 getan hatte.

Die einstigen Ballonreifen, die bei Niederdruck erheblichen Komfort boten, aber auch eine wenig präzise Straßenlage mit sich brachten, waren kleineren Reifen gewichen. Denn inzwischen waren die Fahrwerke verbessert worden und mit geringerem Reifenquerschnitt bei höherem Druck hatte der Fahrer ein besseres Gefühl dafür, wie der Wagen auf der Straße lag.

Ganz rechts schließlich sehen wir, was aus dem Benz nach dem Zusammenschluss mit Daimler anno 1926 wurde – ein Mercedes-Benz mit ganz ähnlicher Proportion, aber dem nun gängigeren Flachkühler.

Doch wollen wir Daimler nicht einfach anhand dieses etwas brav wirkenden Gewächses abhandeln. Immerhin hatte der Hersteller 1902 mit seinem Modell „Mercedes“ einst den Auftakt zum eigentlich modernen Automobil gegeben, nachdem französische Hersteller das Auto vom Kuriosum zum alltagstauglichen Fahrzeug entwickelt hatten.

Nein, der Ruhm von Mercedes lässt sich doch weit besser anhand der beeindruckenden Limousine des 80 PS starken Typ „Nürburg“ (ab 1928) illustrieren, die wir hier auf der rechten Seite sehen:

Dieses Gerät war zum Aufnahmezeitpunkt zwar stilistisch nicht mehr auf der Höhe, stellte aber mit seiner enormen Präsenz selbst den Horch links daneben in den Schatten. Selbiger war ebenfalls ein Vertreter der luxuriösen 8-Zylinder-Fraktion, der wie der Mercedes mit 80 PS aufwartete, aber eine ganz neue Fahrzeuggeneration repräsentierte.

Der üppige Chromschmuck und die schrägstehende Frontscheibe stand in starkem Kontrast zu Strenge der 1920er Jahre – dabei lagen bloß zwei, drei Jahre zwischen den beiden Wagen.

Horch war damals neben Daimler der einzige deutsche Hersteller in der Luxusklasse, der größere Serien zustandebrachte – dabei rangierten die Sachsen dank ihrer frühzeitigen Offensive im 8-Zylindersegment sogar über den meist konservativen Stuttgartern.

Mit der Pracht und Größe dieser Schöpfungen aus den Häusern Horch und Daimler lässt sich heute nichts mehr vergleichen. Kurioserweise verschlief Audi die Gelegenheit, die einstige Schwestermarke Horch mit einem Produkt der absoluten Spitzenklasse zu ehren.

Stattdessen fabrizierte man eine Weile ohne großen Erfolg den kurios benamten „Phaeton“ – ein Oberklassefahrzeug ausgerechnet auf Volkswagen-Basis, das kaum noch einer mehr kennt. Auch Daimler griff mit seiner S-Klassen-Karikatur „Maybach“ gründlich daneben.

Man könnte meinen: Die Uhr ist auch in der Oberklasse abgelaufen für die deutsche Autoindustrie. Die Zukunft wird ohnehin in Asien definiert, wo der größte Teil der Menschheit lebt. Dort nabelt man sich gerade vom als arrogant und zunehmend inkompetenten wahrgenommenen Westen ab und ist wie einst Japan längst über das Stadium des Studierens und Kopierens hinaus. Selbst Porsche ist dort inzwischen abgemeldet.

Ob im Jahr 2125 ein Wiedergänger meinerselbst noch mit derselben Faszination auf die deutschen Autos der Gegenwart zurückschauen wird, wie wir heute auf von Benz über Horch bis Mercedes, das darf bezweifelt werden…

So lassen wir es für heute beim Studium und stillen Genuss dieser einstigen Kronen automobiler Schöpfung in Deutschland. Die Begegnung mit ziemlich alten Bekannten ist ohnehin irgendwann mit das Beste, was einem passieren kann.

Zum Glück gibt es noch jede Menge davon mit vier Rädern – weniger in natura, aber dafür auf alten Fotos. Mögen auch die Lichter im deutschen Autosektor der Gegenwart allmählich schwächer brennen und irgendwann ganz ausgehen – das großartige Material in Sachen Vorkriegsautos geht mir ganz gewiss nicht aus.

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Hohe Kunst und Alte Schule: Horch 780 Sportcabriolet

Das Elend der sogenannten modernen Kunst – für die es kein kennzeichnendes Attribut gibt statt dem eigenschaftslosen „modern“ – liegt meines Erachtens darin, dass jeder kreativ Bewegte und Begabte meint, es sei genug, sich genial vorzukommen, einen geschäftstüchtigen Manager und meist kenntnisfreie Käufer zu haben.

Betrachtet man die Kunst über die Jahrtausende, so war es aber immer Voraussetzung, dass man erst einmal das Beste der Altvorderen studierte und irgendwann selbst beherrschte, bevor man sich daran wagte, einen Schritt weiter zu gehen.

Hohe Kunst und alte Schule waren untrennbar miteinander verbunden. Erst wer den „State of the Art“ beherrscht, hatte auch das Handwerkszeug und den Horizont, um Neues zu schaffen, das die alten Meister ebenso aussehen ließ.

Von ganz wenigen Ausnahmen im Bereich der Skulptur und der Malerei sehe ich in der Neuzeit davon so gut wie nichts. Jeder „Kunstschaffende“ ist begabt und auf Anhieb großartig, misslungene oder mediokre Werke gibt es nicht mehr, Stile ebensowenig.

Irgendein Zyniker hat einmal das Bonmot geprägt, dass nur die moderne Kunst es bei der Betrachtung erlaube, umstandslos von sich selbst zu erzählen, ohne dass sich jemand im Studium und Genuss des Werks gestört fühlt.

Diese Vorrede war wie immer überflüssig für meine Leser, aber notwendig für mich. Denn irgendwie muss ich ja einen Anfang finden – speziell wenn der Gegenstand der heutigen Bildanalyse sich auf den ersten Blick wenig zugänglich zeigt:

Horch 780 Sportcabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hohe Kunst und alte Schule sehe ich hier auf’s Schönste vereint.

Wer auch immer diese Aufnahme angefertigt hat, verstand sein Handwerk und hatte zugleich einen ganz eigenen Blick auf die Dinge – Voraussetzung für eine technisch vollkommene und zugleich eigenständige Kreation.

Die Aufnahme mit dem kühn ganz am Rand positionierten Wagen und der schönen Perspektive die kurvige Straße entlang auf eine uralte Felsformation zu würde nicht „funktionieren“, wäre da nicht der gut gelaunte ältere Herr, der wie beiläufig durch die Szene geht. Dabei ist er ebenso treffsicher platziert wie die schlanke junge Dame neben dem Auto.

Uns genügt es freilich nicht, sich an der gekonnten Komposition dieser 1938 in Deutschland entstandenen Privataufnahme zu erbauen. Wir wollen auch wissen, mit was für einem Cabriolet die Herrschaften damals unterwegs waren.

Dafür „zoomen“ wir näher an den Wagen heran – und werden wieder durch den Gleichklang von Hoher Kunst und Alter Schule beglückt:

Fehlt hier irgendetwas? Sollte das Fotomodell auf zwei Beinen moderner daherkommen, vielleicht in einem „sportlichen“ Schlabberanzug und mit einer Plastikflasche in der Hand?

Klar, keiner möchte mit den Umständen anno 1938 tauschen, aber macht es nicht nachdenklich, dass im Vorkriegseuropa eine ganze Menge so war, dass man sich für den Alltag etwas davon abschauen könnte – mehr Stil, mehr Würde im Alltag, vielleicht?

Egal, das wird nichts mehr, wie verwalten bestenfalls noch den ästhetischen Niedergang, damit ist man als in dieser Hinsicht sensibler Mensch bereits beschäftigt genug.

Doch immerhin sind wir noch in der Lage, den scheinbar wie eine Nebensache abgelichtetetn Wagen mit derselben Genauigkeit anzusprechen, mit der das ein Autobegeisterter in den 1930er Jahre getan hätte.

Ich kann es nicht so recht erklären, aber mir sofort klar, dass wir es mit einem Sportcabriolet aus dem sächsischen Hause Horch zu tun haben. Kein anderer deutscher Hersteller kam dafür in Frage. Diese Heckpartie und die Seitenlinie ist Hohe Kunst und Alte Schule.

Für die systematisch Veranlagten nachfolgend eine Anleitung: Wir registrieren Drahtspeichenräder mit großen Chromradkappen, ein oberes Türscharnier auf Höhe einer breiten Zierleiste entlang der Flanke, außerdem – wenn man genau hinsieht – seitliche Luftklappen in der Motorhaube – sowie kolossale vollverchromte Scheinwerfer.

Wer mit diesen Details im Hinterkopf die Modellgeschichte von Horch anhand des vorbildlichen Standardwerks von Kirchberg/Pönisch (Verlag Delius-Klasing) durchgeht, wird im Kapitel zum 8-Zylindertyp 780 fündig, der 1932-34 gebaut wurde.

Dort findet sich auch der wichtige Hinweis, dass sich die Karosserie nur in einem Detail von derjenigen des parallel angebotenen Zwölfyzlindertyps 670 unterschied: den waagerecht geführten Trittbrettern, die auch auf unserem heutigen Foto zu sehen sind.

Das grandiose Sportcabriolet auf Basis des 100 PS starken Horch 780 mit seinem 5-Liter-Reihenachtzylinder (OHC) konnte ich bisher nur in einem Fall dingfest machen (hier) und das ist bald 10 Jahre her.

Aber es sind ja auch nur etwas mehr als 200 Fahrzeuge dieses Typs hergestellt worden. Dabei dürfte das heute gezeigte Foto ziemlich einzigartig sein. Hohe Kunst des sächsischen Automobilbaus trifft hier auf die Alte Schule der Fahrzeugidentifikation.

Mit solchen Ergebnissen lässt es sich aushalten, auch wenn der Herbst nicht nur empfindsame Künstlerseelen melancholisch stimmt…

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Macht den Sommertag perfekt: Horch 440/450 Cabriolet

Der Juli und August des Jahres 2025 war in deutschen Landen entgegen den üblichen Expertenvoten das Gegenteil eines heißen (für mich perfekten) Sommers.

Immer wieder Regen und öfters sprang morgens sogar die Heizung an – der Garten grün und üppig wie sonst nur im Frühjahr (hat allerdings auch etwas).

Doch mir steht von jeher der Sinn nach trockener Hitze, Sonnenstunden ohne Ende und Wärme bis tief in die Nacht. Letztere macht sich zwar auch heute wieder rar, doch alle übrigen Ingredienzen ergaben sich heute endlich wieder einmal – sogar ein prächtiger Horch der 1930er Jahre begegnete mir am Nachmittag!

Während ich meine Abendrunde mit dem Rad drehte – rund 20 Kilometer durch die Wetterau, teils auf alten Römerstraßen, dann die staufische Münzenburg streifend (die sehen Sie von der A5 von Süden kommend kurz nach dem Rasthoff Wetterau zur Rechten), den windradfreien Taunus vor mir liegend und zuletzt entlang der unregulierten Wetter heimwärts sausend – da dachte ich mir, dass ich in Sachen Horch etwas bringen könnte.

Was diesen Sommertag auch in historischer Hinsicht perfekt für mich macht, das ist diese Aufnahme, die mir Leser Matthias Schmidt (Dresden) aus seiner Sammlung in digitaler Form zur Verfügung gestellt hat:

Horch 440/450 Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Hier stimmt einfach alles – die Situation am Strand, das klare Licht, die langen Schatten, die schlanke Lady gebräunt und gut gelaunt und nicht zuletzt: ein 8-Zylinder-Horch als Cabrio!

Ich will Sie gar nicht lange vom Genuss dieses zeitlos schönen Sommertags abhalten – daher nur kurz dieses: Die bis vorne durchgehenden Haubenschlitze finden sich so am Horch 440 bzw. 450 von 1931/32, wobei sich die beiden Varianten nur in der Motorisierung unterschieden: 80 oder 90 PS standen hier zur Verfügung.

Daran würden wir auch heute nichts auszusetzen finden, noch dazu in einer Situation wie dieser. Also nehmen wir einfach alles so hin wie es ist und genießen den Moment – denn so perfekt war und ist garantiert nicht jeder Sommertag…

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Endlich groß rauskommen! Horch 400 Sport-Cabriolet

Wer wollte nicht einmal ganz groß rauskommen? Nun, vielleicht nicht auf einer Bühne, der man nicht gewachsen ist, weil es einem an der nötigen Ausbildung und Erfahrung mangelt.

Ein kluger Mensch wird doch keine Position anstreben, der er nicht gewachsen ist, wo man doch sonst schon für alles Mögliche einen Befähigungsnachweis benötigt – mit Ausnahme eines speziellen Bereichs, in dem jedem Banausen alles offensteht.

Das zu konkretisieren, ist hierzulande riskant geworden, aber kluge Köpfe wissen zwischen den Zeilen zu lesen. Also lassen wir es bei der Andeutung auf’s Aktuelle und wenden uns der Welt von Gestern zu, in der man sich in der Retrospektive risikolos bewegen kann – ein Privileg, das wir den Zeitgenossen von damals voraus haben.

Die bewegten sich zwar im Einzelfall mit einem exklusiven Fahrzeug fort, aber das in einem Umfeld, das in nichts Gutes mündete. Dabei wirkt hier doch alles ganz idyllisch, nicht wahr?

Horch 400 Sport-Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Mit so einem Achtzylinder-Horch des Typs 400 – erkennbar an den nach Cadillac-Vorbild nach hinten versetzten Luftschlitze in der Motorhaube in Verbindung mit einer Doppelstoßstange – kam man im Deutschland der 1930er zunächst groß heraus.

Der 80 PS starke Motor und der zweitürige Aufbau als Sport-Cabriolet aus dem Hause Gläser (Dresden) ließen keinen Zweifel – wer darin unterwegs war, bewegte sich am oberen Ende des automobilen Spektrums und machte entsprechend Eindruck.

Doch dann bemerkt man die matte Lackierung und das Kennzeichen mit dem Kürzel „WL“, das für „Wehrmacht Luftwaffe“ stand. Deutschland rüstete damals rasant auf, man wollte das stärkste Militär in Europa werden. Ähnliches war kürzlich in der Zeitung zu lesen, auch manches Vokabular der 30er Jahre wird reaktiviert – aber sicher nur ein Zufall.

Groß rauskommen wollte man damals nach der Schmach des 1. Weltkriegs und dem desaströsen Versailler „Vertrag“, der mal als kolossale Dummheit, mal als kalkulierte Provokation der Kriegsgewinner interpretiert wird.

Egal, wir wissen, was sich aus der Melange aus alliierter Arroganz und deutscher Selbstüberschätzung später ergab. Kluge Köpfe ziehen ihre Schlüsse daraus in diesen Tagen und plädieren für wachsame und wehrhafte Selbstbeschränkung.

Dabei kann man auch auf sympathische Weise groß herauskommen, wenn man sich seiner selbst gewiss ist und den Nachbarn nur im rein touristischen Kontext begegnet:

Horch 400 Sport-Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Der Oberleitung im Hintergrund nach zu urteilen, ist diese schöne Aufnahme, die wir Leser Matthias Schmidt aus Dresden verdanken, in den 1930er Jahren in der Schweiz entstanden, wo die Bahn damals bereits elektrifiziert war.

Das Auto mit Zulassung in Westfalen (Raum Bielefeld) ist leicht als ein weiteres Exemplar des Horch 400 identifiziert, der zwischen 1930 und 1932 rund 950mal gebaut wurde. Und wieder haben wir es mit dem Sport-Cabriolet von Gläser zu tun.

Mit diesem fahrbaren Untersatz war es nicht schwer, endlich einmal auch im Ausland groß herauszukommen, ohne Anstoß zu erregen – vorausgesetzt man verfügte über die Maße der freundlichen Dame an Bord.

Leider wissen wir wie so oft nichts über sie und darüber, was aus dem prächtigen Wagen wurde. Aber manches spricht eben vollkommen für sich wie dieses schöne Zeugnis…

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Eins und Eins? Macht Acht! Horch 710/720 Sport-Cabrio

Kennen Sie schon das neue Delikt der „falschen Tatsachen-Behauptung“?

Offiziell ist es noch nicht justiziabel, aber es scheint in deutschen Landen Kräfte zu geben, die gern ein staatliches oder staatlich subventioniertes Wahrheitsamt installieren möchten.

Ob dieses künftig auch dafür zuständig sein wird, Wahlversprechen daraufhin zu überprüfen, ob sie später auch tatsächlich eingehalten werden, glaube ich weniger.

Auch wird man wohl nicht Behauptungen ins Visier nehmen, wonach man korrektes Schreiben nach Gehör lernen oder sich das Geschlecht einfach selbst aussuchen kann.

Nein, man hat es ganz gewiss nur auf eindeutige Falschaussagen abgesehen, wie ich sie heute im Titel formuliert habe: 1+1=8!

Sie werden aber sehen, dass auch grober Unfug wie dieser bei näherer Betrachtung seine Berechtigung haben kann, im literarischen Sinne jedenfalls. Man bekommt dabei eine Ahnung davon, was passieren würde, wenn man das Wieselwort „Wahrheit“ irgendwelchen Meinungsräten als Maßstab zur Verfügung stellt, die keinen Spaß verstehen.

Dass natürlich „eins“ und „eins“ zusammen „acht“ ergeben können, wenn man bildhafte Sprache versteht und um „die Ecke“ denken kann, das will ich heute zeigen.

Manche unter Ihnen erinnern sich vielleicht an dieses prächtige Foto, dass ich einst beiläufig unter dem ebenfalls kritikwürdigen Titel „Vom Ich zum Selbst“ neben anderen gezeigt habe:

Horch 710 oder 720: Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ich hatte dieses Fahrzeug anhand einiger Details wie dem geflügelten H auf dem Kühler, der einteiligen Stoßstange, den seitlichen Motorklappen und der Gestaltung der Frontscheibe als Horch des Typs 710 oder 720 von 1932/33 identifiziert.

Dabei handelte es sich um die 80 bzw. 90 PS starken Modelle der sächsischen Luxusmarke, die 1932/33 die Nachfolge der 400er Reihe antraten, die ich in meinem Blog und in der einschlägigen Marken-Galerie bereits hinreichend behandelt habe.

Leider ist dieses Foto lange das einzige in meinem Fundus geblieben, das eines dieser großartigen Autos zeigt, mit denen sich Horch damals von den bis dato als Vorbild gewählten amerikanischen Wagen loslöste und zu der eigenen Linie fand, welche den legendären Ruf der Marke untermauerte.

Doch zu „eins“ ist jüngst wieder „eins“ hinzugekommen – und erst damit wird der herrliche 8-Zylinderwagen endlich komplett. Hier haben wir das zweite Puzzleteil, welches einen solchen Horch 710 oder 720 in der besonders begehrten Version als Sport-Cabriolet zeigt:

Horch 710 oder 720: Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Auf dieser Aufnahme, die Gourmets als Schrott disqualifiizieren würden, nicht nur wegen des angerempelten Trittbretts, sehen wir nun den zweiten Teil unseres Horch-Puzzles.

Ja, dieses Exemplar besitzt keine Drahtspeichenräder, sondern Scheibenräder, aber beides war verfügbar beim Horch 710/720. Entscheidend für mich sind die Luftklappen in der Motorhaube, die langgestreckten Vorderkotflügel ohne seitliche „Schürzen“ und die Feinheiten des Aufbaus als zweitüriges Cabriolet.

Markant ist insbesondere die Ausführung der Tür mit schön geschwungenem unterem Abschluss und die sonst nirgends zu sehenden beiden Türscharniere. Genau doeses Details finden sich am „Sport-Cabriolet“ wieder, welches im formidablen Standardwerk „Horch – Typen, Technik, Modelle“, von Kirchberg/Pönisch auf Seite 269 abgebildet ist.

Und natürlich waren hier 8 Zylinder unter der Haube! Sie sehen – mangels eigener Erkenntnis präsentiere ich diese Zuschreibung hier als Tatsachenbehauptung.

Jetzt stellen Sie sich vor, igrendeiner weiß es besser und kann anhand eindeutiger Quellen darlegen, dass dies falsch ist und dass es sich um einen anderen Typ handelt.

Man ahnt, auf welches dünnes Eis man gerät, wenn man den Maßstab der Wahrheit an alles anlegt, was irgendwer, irgendwo und irgendwie vom Stapel lässt. Das wäre schlicht das Ende der Meinungsfreiheit, die nach John Stuart Mill („On Liberty„) auch das Recht umfasst, Blödsinn zu erzählen oder sogar evident Kontrafaktisches zu behaupten.

Der geeignetste Maßstab für richtig oder falsch scheint der zu sein, was im Wettbewerb der Ansichten, Überzeugungen und Argumente sich am Ende (oder auch nur vorläufig) als als die beste Annäherung an „die Wahrheit“ herausstellt.

Offensichtlich Falsches lässt sich widerlegen, Ironie oder Satire lässt sich als solche erkennen, ebenso künstlerische Freiheit. Auf letztere würde ich mich zurückziehen, wenn mir einer unterstellen wollte, dass doch eins und eins unmöglich acht ergeben können.

Wäre jedenfalls schade, wenn man sich solcher Spielereien im kultivierten Umgang miteinander nicht mehr bedienen könnte, meine ich….

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Wohin nur mit dem Geld? Klar: Ein Horch von 1921!

Wer in den letzten Monaten nicht zugehört hatte, musste als Aktienanleger in den letzten Tagen ganz schön einstecken. Denn die neue US-Regierung arbeitet auch in Sachen Einfuhrzöllen schnell und konsequent ihre angekündigte Agenda ab.

Ob die Zollgranate der Amis nun angemessen ist und auf mittlere Sicht die erhoffte Wirkung zeitigt, was das krasse Handelsdefizit und die katastrophale Haushaltslage der Vereinigten Staaten angeht (denn darum geht es), darüber lässt sich streiten.

Nachdem ich meinen Aktienfonds-Sparplan im Dezember angesichts hoher Bewertungen in den USA beendet und Kasse gemacht hatte – ich brauchte die Moneten auch – habe ich die jüngsten Kurskorrekturen zum vorsichtigen Neueinstieg genutzt.

Keine Sorge – das Auf und Ab der Börsen ist seit dem Dotcom-Crash 2000 mein ständiger beruflicher Begleiter und ich bin mit den übertriebenen Reaktionen der Aktienmärkte nach oben wie nach unten über etliche Zyklen vertraut.

Wenn es einen guten Rat in Sachen Geldanlage gibt, dann diesen: Investieren Sie nie ihr ganzes Kapital auf einen Schlag und nie in nur eine Anlageform und: kaufen Sie nur, was Sie verstehen und wovon Sie persönlich überzeugt sind.

Also tun Sie mir den Gefallen: Lassen Sie aktuell die Finger von Aktienanlagen, wenn Ihnen nicht wohl dabei ist und lassen Sie sich nicht zu Euphorie angesichts mutmaßlicher Kaufkurse verleiten – ob wir die schon haben, wissen wir erst, wenn es zu spät ist.

Diese Haftungsausschlusserklärung (Aussagen im Zusammenhang mit Geldanlagen sind nicht als Anlageberatung zu verstehen) bezieht sich auch auf die augenzwinkernde „Empfehlung“, sich eilig einen Horch von 1921 zuzulegen.

Dieses Risiko können Sie sich schon deshalb nicht leisten, weil es wahrscheinlich gerade keinen im Angebot gibt und wenn doch, dürfte sein Preis sechsstellig sein…

Doch anno 1921 war es für vermögende Zeitgenossen, die angesichts der Überschuldung des Deutschen Reichs nach dem 1. Weltkrieg vor der Frage standen „Wohin nur mit dem Geld?“ durchaus eine Überlegung wert, sich so ein Gefährt zuzulegen:

Horch Landaulet von 1921; Originalfoto: Sammlung Jörg Pielmann

Diese herausragende Aufnahme verdanke ich in digitaler Kopie dem Sammler und Leser Jörg Pielmann, der hier einen Horch (siehe Kühleraufschrift) an Land gezogen hat, welcher so nach meiner Recherche bislang noch nirgends dokumentiert ist.

Glücklicherweise ist als Aufnahmedatum das Jahr 1921 überliefert, und angesichts des Zustands des Wagens mit Landauletaufbau und gepfeilter Frontscheibe dürfen wir annehmen, dass dies auch das Entstehungsjahr dieses mächtigen Automobils war.

Bei Horch arbeitete man damals an einer Reihe mittelschwerer Vierzylindertypen mit 35 bzw. 45 PS, die ab 1922 den Neubeginn des Herstellers markierten.

Doch bis es soweit war, hielt man sich mit Modellen über Wasser, die noch vor 1914 entstanden waren. So kommen im vorliegenden Falle anno 1921 grundsätzlich folgende größere Vorkriegstypen in Frage: 18/50, 25/60 und 33/80 PS.

Wie bei allen Anlagefragen agieren wir hier unter Unsicherheit und von daher ist meine Einschätzung wiederum nicht als gesicherte Aussage zu verstehen, auf die Sie sich verlassen sollten. Überhaupt sollten Sie wie im richtigen Leben bei allem kritisch sein, was ich hier als vermeintlicher Experte so von mir gebe.

Unter Vorbehalt des Irrtums und unter Ausschluss jeder Gewährleistung äußere ich die Ansicht, dass dieser prächtige Horch anhand der Gestaltung der Räder und speziell der Naben als noch eher moderat motorisierter Typ 18/50 PS anzusprechen ist:

Bei den äußerlich sehr ähnlichen, aber weit stärkeren Horch-Modellen mit gigantischen Hubräumen von 6,4 Liter (60 PS) bzw. 8,5 Liter (80 PS) finden sich auf den ganz wenigen Abbildungen massiver ausgeführte Räder mit mehr Schraubverbindungen als hier.

Diese Spitzenmodelle waren mit 122 bzw. 46 Exemplaren auch weit seltener als der knapp 300mal gebaute Horch 18/50 PS. Wir ersehen daraus zumindest eines: Es gab 1921 nur wenige hinreichend liquide Zeitgenossen in deutschen Landen, die ihr zurecht als bedroht angesehenes Kapital in solchen Horch-Vorkriegskonstruktionen versenkten.

Auf lange Sicht – ein von Anlageberatern gern bemühter Zeitraum – hätte im Jahr 1921 das Investment in so einem Horch-Luxusgerät zumindest den Werterhalt ermöglicht.

Denn damals wie heute darf man grob den Gegenwert eines Einfamilienhauses für ein Automobil dieser Klasse veranschlagen, sofern es sich in perfektem Originalzustand befindet, wie das die meisten modernen Kaufaspiranten wünschen.

Bloß was nutzt einem, selbst wenn man langfristig richtig liegt, ein Anlagehorizont von gut 100 Jahren? Genau, und das ist zum Schluss noch eine Lehre, die ich allen mit auf den Weg geben will, die sich aktuell fragen: Wohin mit dem Geld?

Also: Wann brauchen Sie ihre Moneten wieder und wie wichtig ist es, dass es bis dahin nicht infolge von Marktturbulenzen oder strukturellen Trends weniger geworden ist? In Bezug auf Vorkriegs-Oldtimer heißt das schlicht: Investieren Sie darin, wenn Sie selber Freude daran haben und ihren Nachkommen etwas Besonderes vermachen wollen.

Aber als Geldanlage? Nie und nimmer.

Investieren heißt, etwas erwerben, was aus sich selbst heraus produktiv ist und einen Ertragsstrom abwirft, weil andere einen messbaren Nutzen daraus beziehen. Alles andere ist reine Spekulation so wie die Frage, was für ein Horch hier anno 1921 im Angebot war…

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Massenphänomen vom Feinsten: Auto-Union Sonderschau

So sehr ich gelungene Auto-Exoten mag, so wenig bin ich darauf festgelegt.

Ich kann mit dem Auto als Massenware sehr gut leben, vorausgesetzt es handelt sich um ein nützliches und ansehnliches Gefährt wie etwa mein Peugeot 202 UH.

Peugeot 202 UH, aufgenommen 2015; Bildrechte: Michael Schlenger

Wenn man schon Städte und Straßen verstopft, sollte wenigstens das Auge nicht zu kurz kommen dabei.

Deshalb ist mir auch die Vorstellung einer reinen Radlerstadt ein Graus, sofern die Leute diese unförmigen modernen Rahmen aus Verbundstoffen fahren und mit schreiend bunten Kunstfaser-Klamotten die Umwelt erst visuell und später auf der Müllkippe verpesten.

Auf dieses Thema kam ich wie so oft auf Umwegen.

So war ich heute wieder in Oberitalien auf dem Weg nach Umbrien unterwegs. Hinter dem Grenzübergang in Chiasso führt die Schnellstraße Richtung Milano an Como vorbei.

Man erhascht dabei nur einen kurzen Blick auf die prächtige Stadt am Südende des Comersees. Von der am Hafen gelegenen Piazza Cavour aus bot sich in die Gegenrichtung (die moderne Straße fehlt hier noch) einst dieser Blick:

Ansichtskarte aus Como (Oberitalien) um 1950; Original: Sammlung Michael Schlenger

Neben den schönen Dampfern erfreuen hier die vielen Autos der 1930er bis ganz frühen 1950er Jahre das Herz des Altblechliebhabers. Ganz vorne stellvertreten ein Fiat „Topolino“ der Vorkriegszeit – ein immer noch erschwingliches Automobil für Ästheten.

Wie es der Zufall wollte, überholte ich wenig später kurz hinter Como den Nachfolger des Fiat Topolino – den 500 Nuova, der ab 1957 in gigantischen Stückzahlen entstand und bis heute in Italien oft anzutreffen ist.

Der Kleine hoppelte mit Tempo 80-90 auf der rechten Spur, während ich mit 130 Sachen vorbeizog. Ein Kontrollblick auf den aktuellen Verbrauch bei dem Tempo ergab übrigens 6,8 Liter – nicht schlecht für einen 150 PS starken Benziner-SUV, meine ich.

Wer moderne Verbrenner immer noch als gravierende Umweltbelastung wahrnimmt, dem sei empfohlen, in die Abgasschwaden der wenigen Autos von einst einzutauchen.

Anno 1914 wie hier im französischen Seebad Deauville – mag das gerade noch akzeptabel gewesen sein:

Ansichtskarte aus Deauville (Frankreich) um 1914; Original: Sammlung Michael Schlenger

Eine frische Meeresbrise löste hier unangenehme Gerüche rasch auf, die damals auch noch von den vielen Pferdegespannen produziert wurden, was gern vergessen wird.

Ebenfalls nicht reproduzieren lässt sich hier das Geräusch der damaligen Motoren – im Einzelfall heute reizvoll und tolerabel, vor über 100 Jahren dagegen von wenigen wirklich leisen Konstruktionen abgesehen innerorts nur lästig.

Delage, Renault und Citroen ab Mitte der 1920er Jahre; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Die beste Figur gaben noch in den 1930er Jahren massenhaft versammelte Automobile eher im Stand ab.

Auf der folgenden Aufnahme von 1934 sehen wir eine Ansammlung in Stresa am Westufer des Lago Maggiore in Oberitalien:

Ansichtskarte aus Stresa (Oberitalien) von 1934; Original: Sammlung Michael Schlenger

Ich könnte noch weitere solche Auto-Massenphänomene bringen, aber einige davon sind für andere Gelegenheiten besser geeignet.

Fast zeitgleich kam es in Deutschland zu dem Massenauflauf, auf den ich heute eigentlich hinauswill.

Dabei versammelten sich – wenn ich nicht daneben liege – ausschließlich Automobile der unter dem Dach der Auto-Union zusammengefassten sächsischen Hersteller Audi, DKW, Horch und Wanderer.

Sehen Sie selbst nach, ob ich vielleicht doch ein Fremdfabrikat übersehen habe. Lassen Sie sich nicht von dem mit „Reichswehr“-Kennzeichen versehenen Horch im Vordergrund ablenken – alle übrigen Wagen scheinen zivile Nummernschilder zu tragen:

Auto Union-Sonderschau, Foto um 1934; Original: Sammlung Michael Schlenger

Die Datierung dieses aus zwei Fotos zusammenklebten Originalabzugs lässt sich recht genau vornehmen.

Die deutsche „Reichswehr“ wurde im Frühjahr 1935 in „Wehrmacht“ umbenannt, warum auch immer, und der neben dem Horch in vorderster Reihe zu sehende Audi kann erst 1933/34 entstanden sein.

Eventuell erlauben weitere hier zu sehende Autos eine noch genauere Eingrenzung. Da ich auf Reisen keinen Zugriff auf meine Literatur habe, überlasse ich diese Recherche gern den in Sachen DKW & Co versierten Lesern.

Was mich hier nachdenklich macht, ist der militärische Kontext. Man sieht im Hintergrund einige Schirmmützenträger und die Hallen könnten zu einer Kaserne gehört haben.

Gewiss, der Krieg lag noch ein paar Jahre in der Zukunft, aber ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass schon einmal das Thema „Zivilwagen an die Front“ geprobt wurde.

Bei besonders regimetreuen Volksgenossen sollte es bald eine Frage der Ehre sein, den eigenen Wagen zur kriegsmäßigen Verwendung abzuliefern. Skeptischere Vertreter wurden mehr oder weniger subtil mit Angeboten überredet , die man nicht ablehnen sollte.

Übrigens landeten auch Fronttriebler massenhaft bei der Truppe – man denke nur an die Adler Trumpf-Wagen oder die in Frankreich geraubten Citroens des Typs „Traction Avant“.

Citroen Traction Avant, aufgenommen bei Troyes 1940; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Die schwächer motorisierten DKWs finden sich im Krieg in heimatnahen Verwendungen wie der Ausbildung weiteren Kanonenfutters dienenden Kasernen oder Flugplätzen.

Von den ebenfalls frontgetriebenen Audis finden sich nur wenige Aufnahmen bei der Truppe, was aber schlicht daran liegt, dass diese edlen Wagen ohnehin nur in sehr geringen Stückzahlen gebaut wurden.

Mehr will ich für heute gar nicht erzählen, ich meine, dass ich genügend Material aufgefahren habe, anhand dessen Sie sich vertieft mit dem Reiz des Massenphänomens Automobil befassen können – bin gespannt, was ich alles übersehen habe…

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Augen-Therapie bei Alltags-Tristesse: Horch 305/350

Leiden auch Sie an der Tristesse des Alltags?

Ich meine nicht die Tatsache, dass wir unser Leben irgendwie bewältigen müssen, dabei Rückschläge erleiden, Illusionen aufsitzen, Enttäuschungen erleben – all‘ das gehört zur „conditio humana“, das ist einfach unser gemeinsames Menschenschicksal.

Ich meine etwas anderes.

An sich lebe ich in Umständen, wie sie besser kaum sein könnten. Ein eigenes Heim, ein eigener Garten und einer der schönsten Kleinstädte Deutschlands – Bad Nauheim. Die wogenden Felder der Wetterau, Taunus und Vogelsberg in der Nähe, mildes Klima, immer noch heile Welt verglichen mit den Metropolen.

Heute drehte ich eine Runde mit dem Alltagsauto – ich wollte Unterboden und Radkästen in der Waschanlage vom Salz des Winters reinigen. Bei der Gelegenheit machte ich Halt an der Post – wohl die einzige Bausünde in Bad Nauheim – ein Machwerk im Betonbrutalismus der 70er Jahre.

Anschließend stand ich an der Ampel auf der Brücke über die Usa, die seit 125 Jahren klaglos Busse und Laster trägt, die es zu ihrer Entstehungszeit noch kaum gab.

Links von mir sah ich eine Gruppe von Leuten, die sich über irgendetwas auszutauschen schienen. Mir fiel auf, dass sie alle nachlässig gekleidet waren, unpassende Sachen zusammengewürfelt, formlose Jacken und Mäntel aus billigsten Kunstfasern.

Die Szene erinnerte mich an die Endphase der sozialistischen Staaten oder auch kurz nach dem 2. Weltkrieg, als man froh war, überhaupt irgendetwas auf dem Leib tragen zu können.

So eine schöne Stadt im Speckgürtel von Frankfurt/Main, vorfrühlingshaftes Wetter und dann diese Tristesse. Ich fuhr wie geplant in die Waschanlage, anschließend nach Hause in unseren Hof, wo mich meine vierbeinige Mitbewohnerin Ellie auf der Holzbank erwartete.

Ich war zurück in unserem kleinen Idyll, aber die Szene an der Brücke hatte etwas in mir aus der Balance gebracht.

Nur so kann ich mir erklären, weshalb ich beim Durchsehen des Bilderfundus für den heutigen Blog-Eintrag spontan an diesem Foto hängenblieb:

Horch 305 oder 350 Tourer; Originalforo: Sammlung Michael Schlenger

Etwas in mir wollte eine Augen-Therapie für die erlebte Alltags-Tristesse – und diese von Licht durchflutete, wohl inszenierte Situation war das, wonach mir der Sinn stand.

Das Foto hatte gerade erst seinen Weg zu mir gefunden – wie fast immer ein Schnäppchen in der 5 Euro-Kategorie. Dass ich hin und wieder bereit bin, deutlich mehr für diese Leidenschaft hinzublättern, davon werden Sie gelegentlich profitieren.

Zurück zu der herrlichen Momentaufnahme, die einen Horch-Tourenwagen irgendwo in der Bergwelt der Alpen zeigt. Wo genau das war, das ist so egal, wie die Frage, ob der Wagen nun ein Typ 305 von 1927/28 oder ein Typ 350 (1928-32) war.

Ein Achtzylinder-Horch war es in jedem Fall und zwar einer mit der nach Cadillac-Vorbild gestalteten prächtigen Kühlerpartie, welche ab 1928 die bis dato für ein Auto dieses Kalibers verstörend primitive Gestaltung hinter sich ließ:

Die Kühlerfigur – ein geflügelter Pfeil – tauchte fast zeitgleich mit der repräsentativen neuen Frontpartie auf. Anfänglich war sie auf einem senkrechten Unterteil montiert, die ab Frühjahr 1928 einer geschwungenen Variante wich, wie sie hier zu sehen ist.

Die amerikanischen Vorbildern nachgeahmte Doppelstoßstange scheint ab Werk zumindest optional verfügbar gewesen zu sein – es gibt auch vergleichbare Horch-Wagen, die darauf verzichteten, obwohl erst sie den modernen „Look“ vollständig macht

Der kleine Achtzlindertyp 305 (3,4 Liter, 65 PS) war im letzten Produktionsjahr 1928 äußerlich nicht mehr vom souverän motorisierten Modell 350 (4 Liter, 80 PS) zu unterscheiden, wenn ich das richtig verstanden habe.

Da der Horch 350 wesentlich länger und öfter gebaut wurde und der überlegene Reisewagen war, spricht einiges dafür, dass wir auch hier eher dieses Modell vor uns haben und nicht den deutlich schwächeren 305.

Genau ermitteln lässt sich das wohl nicht mehr, jedenfalls waren die Insassen sehr zufrieden mit dem Gebotenen, auch wenn die Tourenwagenausführung mit dem simplen Verdeck ohne Fütterung und ohne Kurbelscheiben beim Horch 8 nur noch selten gekauft wurde:

Die gelöste Stimmung dieser Herrschaften und ihre wohlgewählte Reisekleidung sind es, die mich an diesem Foto besonders erfreuen.

Dass man sich in der Öffentlichkeit seinen Mitmenschen von seiner besten Seite zeigt, sollte eine Selbstverständlichkeit sein.

Sich so vorteilhaft wie möglich zu geben, Unvollkommenheiten möglichst zu kaschieren und nicht mit allzu intimen Details hausieren zu gehen – wie man das macht, das kann man auf diesen Fotos unserer Altvorderen häufig studieren.

Zwar braucht man nicht in Knickerbockern und Kleidern wie anno 1930er herumzulaufen, aber zumindest sollte man sich die Frage stellen, ob die Mitbürger alles sehen wollen oder müssen, was einem vor dem heimischen Spiegel in den Sinn kommt.

Schon der Anblick eines typ- und figurgerecht gekleideten Zeitgenossen – zusammen mit einem gewinnenden Lächeln – hilft zumindest bei einem oft geplagten Augen-Menschen wie mir zuverlässig gegen Alltags-Tristesse…

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Wenn Luxus leiden lässt: Horch „8“ Pullman

Dass ein Luxusleben nicht automatisch glücklich macht, das ist dermaßen banal, dass es dadurch nicht der höheren Einsicht von Philosophen, Pfarrern oder Pädagogen bedarf.

Dennoch scheint mir das Streben danach ein gesunder Instinkt zu sein, solange er nicht zulasten des Wohles anderer zustandekommt. Ich kenne einige Leute, die nach den Maßstäben mancher Moralapostel ein Leben in unbotmäßigem Luxus führen.

Da gibt es einen, der in seiner Freizeit mit historischen Fluggeräten am Himmel über der Wetterau herumturnt. Ich hatte einmal das Vergnügen, in seinem hochmotorisierten Trainer von „Yakovlev“ mitzufliegen – Schwerelosigkeit im Parabelflug inbegriffen. Einzige Bedingung war, dass ich mich an den horrenden Kosten für Benzin und Öl beteilige.

„Was für eine nutzlose Verschwendung – dem scheint das Geld zu Kopf gestiegen zu sein, könnte jetzt einer meinen“. Nö, der wohnt in einem kleinen Einfamilienhaus am Ortsrand, pfeift auf Markenmode und hat sich seine Luxusleidenschaft ehrlich selbst erarbeitet.

Ein anderer guter Bekannter sammelt Bilder berühmter Künstler der Zwischenkriegszeit und hat eine eigene Mole nebst Motorboot an der Adria. Auch er arbeitet seit Jahrzehnten hart, macht selten Urlaub, liegt niemandem auf der Tasche, nimmt keinem etwas weg.

In beiden Fällen handelt es sich um Leute, die ihren Mitmenschen in hochspezialisierten Bereichen derart nützlich sind, dass man sie einfach freiwillig sehr, sehr gut bezahlt (ohne das Staatssäckel in Anspruch zu nehmen, wohlgemerkt).

Tatsächlich ist solches vermeintliches Luxusleben auch aus meiner Ökonomenperspektive sogar ausdrücklich zu begrüßen. Denn im Unterschied zum geizigen Dagobert Duck, dessen Moneten nicht nachfragewirksam werden, geben Luxusliebhaber ihre Kohle lustvoll aus.

Ob sie nun Maßanzüge oder Manufaktur-Yachten kaufen, mit übelsten Spritschluckern sinnlos durch die Gegend fahren oder sich in sündhaft teuren Hotels verwöhnen lassen – sie bezahlen ständig andere Leute für Produkte und Dienstleistungen, die es sonst kaum gäbe, sorgen für Arbeitsplätze und ermöglichen fähigen Handwerkern, Köchen oder Personal Trainern ihre eigenen Träume von Qualität zu verwirklichen.

Nachdem wir also mein grundsätzlich positives Verhältnis zum Luxusleben geklärt hätten, muss ich dennoch eine Einschränkung machen. Es gibt vereinzelte Situationen, in denen der Luxus einem einfach zuviel wird und mehr Probleme schafft, als einem lieb sein kann.

Hier haben wir ein besonders eklatantes Beispiel dafür, wie einen der Luxus leiden lässt:

Horch „8“ Pullman-Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

„Wieso, wo ist hier das Problem?“, mögen Sie jetzt denken. Ist doch eine tolle Sache, so eine Pullman-Limousine aus dem Hause „Horch“ mit kraftvollem Achtzylindermotor und großzügigstem Innenraum.

Haben Sie eine Ahnung! Allein eine passende Garage bei 5,10 Meter Länge zu finden, eine Plage. Und dann der Wendekreis, außerdem die Lenkkräfte im Stand – da muss man ja glatt einen robust gebauten Fahrer einstellen. Was das kostet!

Noch belastender sind im vorliegenden Fall aber zwei Dinge: Zum einen habe ich unzählige Flecken und Beschädigungen auf dem schwer mitgenommenen Foto korrigieren müssen, bevor ich den Wagen einigermaßen präsentabel hergerichtet hatte.

Zum anderen habe ich abends lange Zeit Literatur gewälzt, um herauszukriegen, was das nun genau für ein Typ war – und das zu meiner Betrübnis ohne echten Erfolg.

Tja, was wissen Sie als verwöhnte Leser schon von den Leiden, die ich hier für Ihren Luxuskonsum auf mich nehme!

Immerhin sollen Sie nun zumindest theoretisch daran teilhaben. Einfach war ja noch die identifikation des Herstellers, denn es gibt ein zweites Foto desselben Wagens – leider ebenso übel zugerichtet, dass ich erst einmal den Lack gründlich aufpolieren musste.

Ich hoffe, dass ich Ihren hohen Ansprüchen auf diesem Sektor einigermaßen gerecht werden konnte, auch wenn ich weiß, dass es noch besser ginge. Aber dann hätte ich keine Zeit mehr zum Schreiben und diesen sinnlosen Luxus möchte ich mir schon gönnen.

Horch „8“ Pullman-Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Aus dieser Perspektiv wirkt der Wagen nicht mehr ganz so kolossal, dafür ist die markentypische Kühlerfigur und die leicht geneigte Kühlermaske zu erkennen – eindeutig ein Horch ab etwa 1932.

Fassen wir zusammen, was wir hier sonst noch sehen:

Werksaufbau als sechsfenstrige Limousine mit schrägstehender Frontscheibe, mit gegenläufig schließenden Türen und Vorderkotflügeln ohne Seitenschürzen – analog zum Horch 750, aber hier dummerweise mit Luftklappen in der Haube statt den sonst zu erwartenden Luftschlitzen.

Die einteilige Stoßstange gab es erstmals beim Horch 500A ab 1931, die Luftklappen wurden aber erst beim 500B ab 1932 verbaut, dort aber nur in Verbindung mit den erwähnten Kotflügelschürzen, die hier fehlen.

Bleiben mit identischer Vorderpartie (einschließlich der Positionslampen auf den Kotflügeln) nur noch die Typen 710 und 720 – die gab es aber laut der vorzüglichen Literatur (Kirchberg/Pönisch, Horch – Typen, Technik, Modelle, Verlag Delius-Klasing) nur als Cabriolets.

Damit wäre ich mit meinem Latein für’s Erste am Ende. Vielleicht hat ja ein Leser die Lösung für mein heutiges Leiden am Luxus. Um dieses bis zur Aufklärung erträglicher zu gestalten, bringe ich zum Schluss einfach noch aus Lust am Überfluss die folgende Aufnahme:

Horch 420 Pullman-Limousine; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Hier sehen wir vom Aufbau her den direkten Vorgänger unseres heutigen Kandidaten – bloß ohne Luftklappen und noch mit senkrechter Frontscheibe und Kühlerfront sowie Doppelstoßstange. Deser Typ 420 wurde 1932/32 gebaut und war stilistisch noch den späten 1920er Jahren verhaftet.

Der Motor – ein 4,5 Liter-Achtzylinderaggregat mit 90 PS – war aber bereits derselbe, welcher später auch noch in den Typen der 700er Reihe verbaut wurde, wo ich das heutige Rätselfahrzeug am ehesten vermute…

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„Sind Sie Ästhet?“ Neues vom Horch „8“ Typ 350

In seiner wie immer wertvollen Kommentierung meiner spontanen und oberflächlichen Betrachtungen verwendete kürzlich ein Kenner unter meinen Lesern den Begriff des „Ästheten“. Davon fühle ich mich direkt angesprochen.

Zwar nehme ich für mich in Anspruch, einfache Arbeiten an historischen Automobilen ausführen zu können – also Überholung und Einstellung von Vergasern, Zündanlagen und Kühlung, Wartung und Reparaturen an Ventilsteuerung, Bremse und Antrieb sowie Beheben von Elektrikproblemen.

Aber von anspruchsvollen Details in Sachen Konstruktion und Karosseriebau oder auch Abstimmung von Fahrwerk oder Auspuffanlagen habe ich keine Ahnung. Umso mehr schätze ich die einschlägigen Beiträge von sachkundiger Seite.

Es gibt indessen einen weiteren Bereich, in dem ich mir anmaße, klare Urteile fällen zu können – das ist die Ästhetik, also die Empfindungen, welche eine spezifische Gestaltung – sei sie natürlichen oder menschlichen Ursprungs – in uns auslöst.

Menschen, für welche dieser Aspekt von großer Bedeutung ist, bezeichnet man als „Ästheten“, wobei in dem Attribut Anerkennung wie Geringschätzung mitschwingen kann.

Eine Geschichte aus meiner Kinderzeit mag das illustrieren. Wie viele Buben in materiell soliden Verhältnissen war ich Besitzer einer Modelleisenbahn – neben der Vermittlung von Basiskenntnissen in der Fahrradwartung der einzige Erziehungsbeitrag meines Vaters.

Meine Mutter fühlte sich dafür zuständig, mir eine Ahnung der schönen Dinge im Leben zu vermitteln. Die Modelleisenbahn im Maßstab 1:87 interessierte sie zwar nicht in technischer Hinsicht, aber für sie war klar:

Der Bub braucht schöne Häuser auf seiner Eisenbahn! Also bekam ich bei jeder Gelegenheit Modellbausätze von Bauten der Renaissance, des Barock, des Klassizismus und des Jugendstils geschenkt, die ich mit Hingabe zusammenbaute.

So bastelte ich mir Stück für Stück die deutsche Altstadtwelt von gestern zusammen, die im Bombenhagel des 2. Weltkriegs untergegangen war und die meine Mutter als 13-jähriges Mädchen Anfang 1945 im schlesischen Liegnitz zurücklassen musste.

Nie vergesse ich, wie wir einmal bei „Spielzeug Schäfer“ auf der Kaiserstraße im hessischen Friedberg die Modellbauabteilung betraten, in der mal wieder ein Haus für die Eisenbahn ausgesucht werden sollte. Ich war damals allenfalls 10 Jahre alt.

Der Verkäufer – so ein schlecht rasierter 68er-Typ – merkte rasch, dass meine Mutter klare konservative Vorstellungen hatte.

In einer Mischung aus Neugier und Geringschätzung fragte er lauernd: „Sind Sie Ästhet?“ – Meine Mutter ging auf die Unverschämtheit dieses Vogels mit keinem Wort ein. Wie immer in diesen Dingen waren wir beide uns rasch einig, was wir haben wollten.

Diese Geschichte mag vermitteln, warum mir die Ästhetik so wichtig ist. Sie zählt zu den ganz wenigen Dingen, die uns zumindest für eine Weile von den Banalitäten, Schrecknissen und Abgründen des Daseins abzulenken vermag.

Dass das nicht bloß aufgrund einer spezifischen Prägung in der Kindheit bei mir so ist, das beweisen mir regelmäßig die auf die rein ästhetische Wirkung angelegten Fotos von Automobilen, deren Äußeres wiederum ganz auf die ästhetische Wirkung angelegt war:

Horch „8“ Typ 350 Sedan-Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Warum sollte man sich als vermögende Berlinerin anno 1929 bei einem Aufenthalt im Schwarzwald in einer solchen Inszenierung mit Horch-Achtzylijnder ablichten lassen?

Weil die Ästhetik wichtig ist, zumindest solange das Dasein währt. Und damals gab es in vermögenden Kreisen in deutschen Landen nur ganz wenige Automobile, deren Ästhetik dermaßen beeindruckend war.

Wenn man sich bei den oberen zehntausend keinen der Ende der 1920er Jahre dominierenden US-Luxuswagen zulegen wollte, führte an der sächsischen Prestigemarke Horch kein Weg vorbei. Denn sie vereinten die 8-Zylinder-Motoren der amerikanischen Konkurrenz mit einer deutschen Interpretation des Stils von Cadillac & Co.

Bei allen Qualitäten hatte man bei Daimer-Benz diesen Trend verschlafen. So konnten die Sachsen mit den Horch-Achtzylindern den Großteil der Nachfrage in diesem Segment befriedigen und das mit Aufbauten, die auch die Ästheten zufriedenstellten:

Horch „8“ Typ 350 Pullman-Limousine; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Die satten 80 PS Leistung aus dem phänomenalen Reihenachtzylinder mit Ventilsteuerung über zwei obenliegende Nockenwellen nahm der Ästhet damals dankbar zur Kenntnis.

Entscheidend war für ihn ohnehin das damals (1928) modische Erscheinungsbild, das sich ganz eng am Cadillac orientierte, um es vorsichtig zu formulieren.

Sind Sie Ästhet„? – Wer damals als Verkäufer einem solventen Interessenten diese Frage stellte, der wusste (wenn er kein Kleingeist war): es muss mehr als nur ein großes und leistungsfähiges Auto sein. Es muss ein Horch „8“ sein – ein bis heute phänomenales Statement auf vier Rädern.

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Vom „Ich“ zum „Selbst“: Horch 8 von 1927 bis 1932

Nach meiner jüngsten Abhandlung zum Cadillac des Modelljahrs 1930 hatte ich einen aufregenden Traum – darin ging es nicht gerade jugendfrei zu. Das lag daran, dass das Erlebte den Besitz eines Führerscheins und zumindest oberflächliche Erfahrung im Umgang mit klassischen Automobilen voraussetzte.

So fand mich in einer großen Scheune wieder, in der sich neben technischen Geräten, Werkzeugen und Autoteilen ein offener Zweisitzer der 50/60er Jahre befand – eingestaubt und mit Spuren eines langen Lebens, aber augenscheinlich komplett.

Aus dem Schatten trat jemand hervor, der sich als Bekannter des Besitzers vorstellte. Er habe den Wagenschlüssel, ob ich das Auto nicht mal fahren wollte? – So fragte er mich.

Ich bejahte, wollte mir den Wagen wegen offensichtlich längerer Standzeit aber erst genauer ansehen. Wir öffneten die Haube und warfen gemeinsam einen Blick darunter.

Ein Vierzylinder mit obenliegenden Nockenwellen und zwei Doppelvergasern war zu sehen – ein leistungsstarkes und drehfreudiges Aggregat, wie es einst vor allem Alfa-Romeo zu hunderttausenden selbst in Familienautos verbaute, was sich kein deutscher Serienhersteller in der Mittelklasse zu fertigen traute – soweit ich weiß.

Wir testeten die Gängigkeit der Vergaser, bauten eine Batterie ein, prüften Zündspannung und Benzinzufuhr und ließen den Motor ohne Kerzen drehen, bis die Öldruckanzeige – bei deutschen Autos kaum zu finden – auf einen gesunden Wert stieg.

Der Kraftstoff machte noch einen guten Eindruck und so probierten wir unser Glück – der Motor sprang nach einigen Umdrehungen unter einigem Stottern an und lief bald rund. Der Unbekannte ermutigte mich, einzusteigen und den Wagen rückwärts herauszumanövrieren.

Die Bremsen hatte ich nicht getestet, und an dieser Stelle wurde aus der Sache ein Alptraum. Denn die Ausfahrt rückwärts aus der Halle entpuppte sich als abschüssig, der Weg wurde schmaler und verlief schließlich einspurig eng in einer Kurve mit Metallzäunen links und rechts.

Nun, die Sache verlief glimpflich, da der Weg wieder anstieg, bevor er in einer Sackgasse endete. Später fuhren wir dann mit dem Wagen noch in sportlicher Gangart über eine unbefestigte Landstraße und dabei ging es zu meinem Ärger durch eine große Pfütze, die verräterische Spuren an dem Wagen hinterlassen würde.

Doch es machte Spaß, der Motor klang großartig und nahm das Gas willig an. Eine Edelstahlauspuffanlage sorgte für einen metallischen Klang – genau mein Geschmack.

An weitere Details erinnere ich mich nicht – irgendwann stand der Wagen wieder in der Scheune und ich drapierte zur „Tarnung“ einige Herbstblätter darauf.

Nach diesem Abenteuer erwachte ich und da noch Zeit bis zum Aufstehen war, überließ ich mich meinen Gedanken. Bald stellte sich eine Frage ein, die an den Cadillac-Blogeintrag anknüpfte.

Darin hatte ich erwähnt, dass die Cadillacs der späten 1920er Jahre das formale Vorbild für die 8-Zylinderwagen der sächsischen Marke Horch abgegeben hatten.

Doch im Lauf der 1930er Jahre war Schluss damit – Horch stand mit einem Mal für eigenständige gestalterische Meisterstücke wie das Modell 853:

Horch 8 Typ 853 Sportcabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Mir ging die Frage durch den Kopf, wann genau der Moment in der Geschichte der Horch-8-Zylinderwagen war, als man sich vom US-Vorbild emanzipierte.

Das wollte ich klären und gleichzeitig ein Motto finden, unter dem sich dieser bedeutende Schritt beschreiben lässt. Dies beschäftigte meine grauen Zellen während einer längeren Autofahrt.

Nach einer Weile wurde mir das Ergebnis präsentiert – „Vom Ich zum Selbst“ sollte in der Titelzeile stehen. Ein Weg, der zunächst einmal für jeden von uns relevant sein kann. Irgendwann in früher Kindheit erkennen wir uns als „Ich“ in Abgrenzung von den anderen und von da an haben wir Erinnerungen an Erlebtes.

Das „Ich“ kann sich lange Zeit vollkommen in Einklang mit „den anderen“ befinden, teils wird es dazu erzogen, teils ist es von sich aus bestrebt, sich an Vorbildern zu orientieren.

Was man in dieser Zeit als „seinen Stil“ entwickelt ist meist eine Kopie etablierter oder sich für solche ausgebender Personen. Man kommt sich dabei furchtbar individuell vor – besonders kurios sind die, welche aus Protest gegen die Massengesellschaft alle dieselben Insignien des Desinteresses tragen, dieselben Bücher lesen usw.

Diese Phase in der Persönlichkeitsentwicklung kann sich hinziehen, irgendwann stellen sich praktischere „Probleme“ ein und das Interesse an einer Ausgestaltung des Ich erlahmt. Die meisten bleiben mit ihrem „Ich“ der Masse verhaftet, fungieren als Rädchen im Getriebe. Das ist der Normalzustand in einer Gesellschaft.

Interessant – im Guten wie im Schlechten – wird es, wenn Einzelne in sich Wesenszüge entdecken oder heranzüchten, welche sich nicht aus anderen Vorbildern ableiten. Dann entdeckt man ein inneres, autonomes Selbst, welches sich zum Vorschein bringen lässt – zur Freude oder zum Leidwesen anderer.

Wie der Weg vom „Ich“ zum „Selbst“ auf dem Umweg über das bloße Nachahmen zu den schönsten eigenständigen Schöpfungen führen kann, das lässt sich im Fall der Horch 8-Zylinderwagen exemplarisch zeigen:

Frisch auf die Welt gekommen stellte sich der erste Horch 8 des Baujahrs 1927 nur mit einem rein physischen „Ich“ dar. Denn es war äußerlich ein Auto wie jedes andere seiner Zeit am deutschen Markt – bar jeden Charakters:

Horch 8 von 1927; Originalfoto Michael Schlenger

Die fast völlige Abwesenheit individueller Züge war um die Mitte der 1920er Jahre typisch für viele Serienautomobile aus deutscher Produktion. Der Verzicht auf gefällige Details und dem Auge schmeichelnden Zierrat spiegelte die Glaubenssätze der Bauhaus-Ideologen wider.

Man erkannte bei Horch indessen rasch, dass man den grandiosen und sehr teuren 8-Zylindermotor nicht auf Dauer in einer dermaßen banalen Hülle verstecken konnte, wenn man nicht nur einem Spleen folgen, sondern am Markt Erfolg haben wollte, der in diesem Segment von markant gestalteten US-Automobilen dominiert wurde.

Das „Ich“ sollte nun auch zur Persönlichkeit heranreifen und weil man hoch hinaus wollte, nahm man genau Maß an den 8-Zylinderwagen der Marke Cadillac.

Schon ab 1928 zeigte sich der Horch mächtig in Schale geworfen und nur wenige Details unterschieden ihn äußerlich vom modisch führenden Zeitgenossen aus den Staaten:

Horch 6 Typ 350; Originalfoto: Matthias Schmidt (Dresden)

Wie das bisweilen so ist, wenn sich das „Ich“ auf der Suche nach Ausdruck seiner Persönlichkeit übermäßig an anderen orientiert, wird gern ein wenig in die Richtung übertrieben, welche den als Vorbild dienenden Stil ausmacht.

So hängt man sich bei Bedarf noch etwas mehr Lametta um, damit auch jeder sieht: „Ich bin ein Amerikaner“ (frei nach JFK), auch wenn man eigentlich aus Sachsen kommt:

Horch 8 Typ 375; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Der bis 1931 gebaute Horch 375 mit dreiteiliger Stoßstange – nicht bei Cadillac, sondern beim 1929er Buick abgeschaut – markiert zugleich den Gipfel der Anpassung und deren Ende.

Denn die anschließenden Modelle von Horch erhielten nicht nur komplett neu konstruierte (weniger aufwendige) Achtzylindermotoren, sondern lassen zunehmend die Tendenz erkennen, auch äußerlich eigenständig zu werden.

Die Suche nach einem „Selbst“, das aus sich heraus wirkt und keinerlei Vorbild mehr nachahmt, zeitigt ab 1932 erkennbar Erfolg – hier am Beispiel des Horch 8 Typ 500 B:

Horch 8 Typ 500 B; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Mit dieser Frontpartie hatte Horch sich vom Vorbild Cadillac emanzipiert und ging nun immer deutlicher seine eigenen Wege.

Die Gestalter bei Horch hatten offenbar auch ihr eigenes „Selbst“bewusstsein entdeckt und gaben der Marke von nun an ein unverwechselbares Gesicht, das bis heute als ikonisch gilt und Sammler auf der ganzen Welt begeistert.

Hier ein Horch 8 des Typ 710 oder 720 auf einer auf 1940 datierten Aufnahme, die aber deutlich vor Kriegsbeginn entstanden sein muss:

Horch 8 Typ 710 bzw. 720; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hier bestand schon lange keine Verwechslungsgefahr mehr – dies war kein ängstlich um Anpassung bemühter Vertreter seiner Zunft, sondern ein stolzes automobiles Individuum.

Nachtrag: Leser Ulrich Landeck aus der Schweiz schreibt hierzu: „Dieses Bild ist in Zürich entstanden, das im Hintergrund sichtbare Gebäude ist das „Mythenschloss“, das 1926 bis 1928 als herrschaftliches Mehrfamilienhaus in schönster Lage am Zürichsee errichtet worden war. – Die Datierung „1940“ halte ich für absolut glaubhaft, denn in der Schweiz hatte sich ja der Zweite Weltkrieg noch nicht ausgewirkt, also auch nicht in der Beschränkung von Kraftstoff.

Am Ende stand dann die so nur bei Horch zu findende großartig durchgestaltete Kühlerfront des bereits eingangs gezeigten Modells 853 in Verbindung mit sensationellen Aufbauten speziell als Sport-Cabriolet, wie sie deutsche Spitzenautomobilen auszeichneten.

Diese eigenständige und auf die Spitze getriebene, nach herkömmlichen Maßstäben „unvernünftige“ Linienführung macht einen Horch des Typs 853 auch dann sofort als solchen erkennbar, wenn er wie hier hastig durch ein Fenster fotografiert wurde:

Horch 853 Sport-Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Mit den 8-Zylinderwagen der späten 1930er Jahre war Horch also unübersehbar endgültig bei sich selbst angekommen.

Tragischerweise – vielleicht aber auch typischerweise – ging diese kühne Reise an die äußersten Grenzen des Machbaren in einer Zeit zuende, in welcher der Einzelne mit einem aus der Masse herausragenden, autonomen „Selbst“ nicht mehr gefragt war.

Stattdessen wurde das Kollektiv zum Maß aller Dinge erhoben und der Drill zum Gehorsam gegenüber der Obrigkeit allgegenwärtig – nebenbei ein gemeinsames Merkmal antiliberaler und antibürgerlicher Systeme – ganz gleich, wie sie sich nennen, wo sie im Links-Rechts-Schema verortert sind oder welcher Farben, Fahnen und Uniformen sie sich bedienen.

Für den Einzelnen ist letztlich nur eine Frage relevant: Lässt man mich auf dem Weg von meinem „Ich“ zu meinem ureigenen „Selbst“ in Ruhe?

Dieser Weg muss jedem freistehen. Dann wird sich zeigen, wer bloß Teil einer allgemeinen Bewegung sein will und wer selbst eigenen Antrieb entwickelt, Motor großartiger Neuerungen wird oder auch einfach nur sein Selbst für sich und ausgewählte andere entfalten möchte…

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Hier ist kein Platz für Buben: Horch 750 Pullman

Wie? Ein Horch in der Ausführung als Pullman-Limousine – und da soll kein Platz für Jungs und Mädels gleichermaßen gewesen sein? Wie kommt man denn auf dieses schiefe Brett?

Nun, ganz einfach: Wie immer in meinem Blog durch objektive Betrachtung. Diesmal anhand eines prächtigen Fotos, das ich schon eine ganze Weile besitze, für das mir aber bislang die Gelegenheit fehlte, es wirklich angemessen würdigen zu können.

Ich weiß nicht, wie ich darauf kam, aber kürzlich beschäftigte mich der Gedanke, dass es in allen zivilisierten Weltgegenden Gelegenheiten gibt, bei den die Herren lieber unter sich sind und solche, bei denen die Damen keine Anwesenheit von Buben wünschen.

An sich eine Selbstverständlichkeit, sollte man meinen. Und dann das: Ausgerechnet ein gigantischer Horch-Achtzylinder und da sollen die Jungs keinen Zutritt haben dürften?

Das ist doch völlig abwegig – schließlich geht es um ein spezielles Revier der Buben schlechthin, das Premium-Automobil.

Anders wäre es natürlich, wenn einer auf die Idee käme, sagen wir: als Mann beim Frauensport antreten zu wollen. Da haben die Buben nun wirklich nichts verloren und würden das auch gar nicht wollen, das wäre ja kein fairer Wettbewerb, oder?

Ich weiß, dieses Gedankenexperiment ist wirklich sehr weit geholt und ich weiß gar nicht, wie ich darauf komme. Es wird wohl daran liegen, dass ich mich folgende Aufnahme einfach für die Thematik perfider Ausgrenzung der Herren der Schöpfung sensibilisiert hat:

Horch 750 Pullman-Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Was soll man sagen – ist hier nicht ein himmelschreiendes Unrecht zu beklagen?

Da mussten Anfang der 1930er Jahre Männer im Schweiße ihres Angesichts diese 5,10 Meter lange Karosse im Horch-Werk in Manufaktur zusammenbauen.

Sie mussten zudem einen mächtigen Reihenachtzylinder mit 4,5 Litern Hubraum nebst Antriebsstrang in endloser Präzisionsarbeit fertigen und unter der fast die Hälfte des Wagens einnehmenden Motorhaube einbauen.

Und kaum ist das Prachtstück fertig und wartet darauf, dass es seine 90 PS Leistung und seinen schieren Luxus im Innern voll entfalten kann, wird es einfach von einer Meute Mädels in Beschlag genommen.

Meine Güte, hat die Welt je eine größere Ungerechtigkeit gesehen? Gröbste Diskriminierung, ja purer Sexismus zulasten der Herren ist hier zu konstatieren! Kann man dieses empörende Dokument irgendwo zur Anzeige bringen?

Das Vergehen gegen die Geschlechtergerechtigkeit ist doch nicht schon etwa verjährt? Und falls ja, muss man doch zumindest ein Zeichen setzen! Dann lachen die auch noch so frech: „Haha, hier ist kein Platz mehr für Buben, schleicht Euch!

Aber: Gewohnt, im Alltag ständig von den Damen untergebuttert zu werden, tun sich die Jungs zusammen, um Rache zu üben. Der Chauffeur hat sich krankgemeldet, der Tankwart ist auf Bildungsurlaub und die Beamten der Zulassungsstelle haben Betriebsversammlung.

So wird das nichts mit der Ausfahrt! Ganz ohne Jungs geht es dann doch nicht, auch wenn die Damen zweifellos alles können und sogar – wundersamerweise – etwas besser.

Zumindest im Herzen sollte doch jede diese so unterschiedlichen Vertreterinnen der Weiblichkeit einen Platz für Buben haben – wobei einer in der Regel genügen sollte.

Wie die Klosterfrauen sehen die Damen jedenfalls nicht aus, sodass Herren am Ende doch noch eine Chance haben, wenn sie sich überwiegend gesittet aufführen. Aber eines sei gleich festgehalten, Jungs: Die zweite von links habe ich mir bereits ausgesucht. Bei der ist definitiv kein Platz mehr für weitere Buben.

Beinahe hätte ich’s vergessen: Ganze 213 Wagen des Typs 750 entstanden bei Horch zwischen Oktober 1932 und November 1933. Kein Wunder, dass sich die Damenwelt so auf diese rollenden Salons mit allen Schikanen und ihre betuchten Besitzer stürzte…

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Einst ein tierisches Vergnügen: Horch „8“ Typ 375

Die besten Dinge im Leben sind entweder einzigartig und sollen es bleiben – oder sie vertragen beliebig häufige Wiederholungen.

Was für einen in die beiden Kategorien fällt, ist meist eine sehr persönliche Sache. Doch wenn es um Vorkriegsautos auf alten Fotos geht, sind wir uns wohl einig: Wiederholungen sind höchst willkommen, denn eigentlich sind sie in diesem Metier gar keine, auch wenn es um das gleiche Automodell gehen mag.

Es ist die einstige Situation, in der ein noch so bekanntes Modell festgehalten ist, die es jedesmal zu etwas Besonderem macht. Oft genug nimmt das Auto dabei sogar nur eine Statistenrolle ein.

Aber doch nicht bei einem Horch Achtzylinder des Typs 375, mag jetzt mancher denken. Nun, gewiss war das eines der prestigeträchtigsten deutschen Automobile Ende der 1920er Jahre überhaupt.

Kein anderer Hersteller hierzulande bot einen derartig hochentwickelten Reihenachtzylinder, dessen 80 PS Leistung es mit den amerikanischen Luxusmodellen aufnehmen konnten, die damals den Markt beherrschten. Dasselbe galt für die elegante Linienführung.

Man könnte zwar sagen, dass der Horch 375 die perfekteste Kopie der damaligen Cadillacs war, die jemand wagte, doch das wird dem Auto nicht ganz gerecht. Im Detail entfaltete sich bei diese Modell eine Prachtentfaltung, die doch Horch-typisch war bzw. werden sollte.

Das 1929 eingeführte Modell unterschied sich vom Typ 350 (mit identischem Motor) vor allem durch Stylingelemente wie die Radkappen und die opulente dreiteilige Stoßstange:

Horch „8“ Typ 375; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Lassen Sie sich von dem hier überwiegend griesgrämigen Personal nicht ablenken und prägen sie sich die Details der Frontpartie ein – darunter auch die auf die hinteren zwei Drittel beschränkten Haubenschlitze. Die gab es ganz genauso beim Cadillac, aber nicht beim sonst äußerlich fast identischen Horch 500.

So weit so sachlich, aber das haben Sie gleich überstanden.

Zum unterhaltsamen Teil führt nun diese Aufnahme über – wie die vorherige eine bisher nicht präsentierte aus meiner Sammlung:

Horch „8“ Typ 375; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Erwachsene Männer in Lederhosen bringen mich immer zum Schmunzeln. Man muss schon über solides Selbstbewusstsein oder Selbstironie verfügen, um sich dergestalt in der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Immerhin bleibt einem bei dieser geschichtlich kuriosen (weil einst vom bayrischen König als „traditionell“ verordneten) Variante der Herrenverkleidung behaartes Gebein weitgehend erspart bleibt. Dieses möchte wirklich niemand sehen, es wird einem heute aber ständig präsentiert.

Damit wir uns recht verstehen: Gestählte Sportlerwaden, gebräunt und schweißglänzend und vom Haare befreit lasse ich mir gefallen – die alten Griechen haben in ihrer Kunst in der Hinsicht früh Idealvorstellungen entwickelt, die ich für ästhetisch anschlussfähig halte.

Ansonsten sind kurze Hosen für mich Kinderkleidung. Damit mache ich mir im 21. Jh. wenig Freunde, es passt aber zu dem , was ich nun zum Thema Horch 375 präsentieren werde.

Ich lade Sie ein zu einem tierischen Vergnügen, welches einst mit dem Besitz eines dieser prächtigen Luxusautomobile verbunden war. Der Anlass dafür liegt schon einige Monate in Form eines kleinformatigen Fotoalbums auf meinem Schreibtisch.

Das erklärt die Katzenhaare, welche aufmerksame Beobachter darauf bemerken werden, denn zu später Stunde leistet mir eine Dame namens Ellie Gesellschaft, welche ihr betörenden vier langen Beine dann unter der Schreibtischlampe ausstreckt:

Dieses bemerkenswerte Dokument wurde lange im Netz angeboten und ich hatte es wegen zwei Autofotos unter Beobachtung genommen. Ich wusste, dass sie einen Horch 375 zeigen, zögerte aber erst wegen des verlangten Preises.

Dieser nahm aber irgendwann verträgliche Maße an, denn niemand wollte dieses kleine Album mit gerade einmal 20 Fotos haben. Ich fand es schade, dass es möglicherweise ganz verlorengeht und kaufte es schließlich für kleines Geld.

Das habe ich nicht bereut und ich bin sicher, es wird Ihnen am Ende ebenso eine tierische Freude machen wie mir. Angefertigt wurde es 1932 von einer vermögenden Familie in der schwäbischen Kleinstadt Salach nahe Göppingen:

Wer die Empfänger waren – Verwandte oder Freunde – und wo diese lebten, darüber weiß ich nichts. Auch ist mir nichts Näheres über die Familie bekannt, deren schöne Villa wahrscheinlich noch in Salach existiert.

Doch finden sich in dem Album hervorragende Fotos von Mitgliedern der Familie, die uns eine Vorstellung davon geben, was das für Leute waren, die sich inmitten der desolaten wirtschaftlichen Lage um 1930 einen Horch Achtzylinder des Typs 375 leisten konnten.

So sah das Paar aus, aus dessen Leben wir im Folgenden ein paar Schnipsel zu sehen bekommen:

Ein verdammt cooles Foto würde man heute sagen – weniger wegen des winterlichen Umfelds, sondern weil die beiden darauf einfach perfekte Figur machen.

„Er“ ist ein schönes Beispiel dafür, dass ein Mann mit einem lässigen Hut fast immer smart aussieht, wie die Briten sagen. Man muss dazu allerdings ein gewisses Format mitbringen, denn der Hut allein macht aus einem kleinen Ganoven noch keinen Gentleman.

„Sie“ posiert hier ganz wunderbar angelehnt, beinahe schutzsuchend. Dabei ist diese Haltung einfach Ausdruck von tiefer Zuneigung, wie wir noch sehen werden.

Dieses Paar begegnete sich nämlich eindeutig auf Augenhöhe:

Ich vermute, dass der Spazierstock auf eine Kriegsverwundung oder ein anderes Handicap hinweist – vielleicht Relikt eines Unfalls aus der Sturm-und-Drang-Zeit des Herrn.

Damit wäre immerhin schon einmal ein theoretischer Bezug zur Welt der Kraftfahrzeuge hergestellt, falls Sie den an diesem Punkt vermissen.

Dass die beiden nicht nur aneinander Gefallen fanden, sondern auch am tierischen Vergnügen, das lässt die nächste Aufnahme vermuten:

Verflixt, immer noch kein Bild vom Horch 375, dabei war der doch der Auslöser meines Interesses an dem Album.

Aber Sie haben es bisher nicht bereut, dabeigeblieben zu sein, oder? Falls doch, erhalten Sie umgehend Entschädigung für die erlittene Ungemach.

Denn unser sympatisches Paar aus Salach hatte nicht nur ein Faible für Vierbeiner – wir kommen darauf zurück – sondern auch für achtzylindrige Automobile aus Sachsen:

Horch „8“ Typ 375: Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Na, habe ich zuviel versprochen? Auch wenn das im Original sehr kleine Foto etwas unscharf ist, werden Sie dank der Aufnahmen und Anmerkungen eingangs mühelos in der Lage sei, das Cabriolet als einen weiteren Horch des Typs 375 zu identifizieren.

Die Zulassung im Raum Göppingen passt perfekt zum Wohnort der Familie im nahegelegenen Salach und vermutlich ließe sich – wenn man wollte – noch herausfinden, wer diese äußerst gut situierten Leute waren.

Mir ist aber wichtiger, etwas von dem tierischen Vergnügen zu vermitteln, welches mit dem Besitz eines derartigen Fahrzeugs und des dazu nötigen Vermögens verbunden war.

So gehörte zum Haushalt offenbar auch ein wohlgenährter Kater:

Ob die junge Dame die Tochter des Hauses und die deutlich ältere Schwester (oder Cousine?) des Jungen neben ihr war, das lässt sich nicht genau sagen.

Wir begegnen den zwei noch einige Male in diesem schönen Album.

Hier vergnügen sich beide mit dem zutraulichen Kater, dessen Pose mehr als nur Dankbarkeit für’s Füttern ausdrückt – nämlich echte Zuneigung, wie erfahrene Katzeneltern wissen:

Was der Bub uns mit dem Fisch sagen will, muss dagegen offenbleiben. Zwar bin ich als Kind mit allerlei Stofftieren aus dem Hause Steiff verwöhnt worden, die heute noch in meinem Kleiderschrank schlummern, doch einen Fisch hätte ich nicht gemocht.

Aber gut, die Geschmäcker sind zum Glück auch auf diesem Sektor verschieden.

Wie es scheint, hatte der Bub noch einen Bruder, der hier im freundschaftlichen Umgang mit der Hauskatze abgelichtet wurde:

Man sieht: Tierisches Vergnügen scheint in der ganzen Familie eine wichtige Rolle gespielt zu haben. Das aber nicht nur daheim, sonden auch draußen in Feld und Flur.

Hier haben wir einen der Buben – wohl den ersten – zusammen mit dem Haushund in den Wiesen vor den Toren von Salach (so ist es überliefert):

Wer an dieser Stelle schon wieder auf Entzug ist und auf eine weitere Aufnahme des vierrädrigen Hausgenossen wartet, der auf den Namen „Horch“ hörte, dem sei in Aussicht gestellt, dass es schon bald so weit sein wird.

Denn um das nächste Beweisfoto eines tierischen Vergnügens anfertigen zu können, wird unsere Familie aus Salach den eigenen Wagen bemüht haben, für alle Fälle mit Schneeketten an Bord:

Der geduldige Bernhardiner mag ein lokales „Fotomodell“ gewesen sein, das an irgendeinem Wintersportort für die vermögende Klientel bereitstand. Wo das war, ist leider nicht überliefert – dafür sind im Hintergrund merkwürdige Skiakrobaten zu sehen.

Na, was sagen Sie zu diesen tierischen Vergnügungen, die vor über 90 Jahren nur für einen winzigen Teil der deutschen Bevölkerung denkbar waren?

Von der Armut der breiten Masse, die sich oft bestenfalls ein Fahrrad leisten konnte und ein Leben lang den Wohnort nicht verließ, machen wir uns heute gar keine Vorstellung.

Mit diesem Gedanken kehren wir am Ende zurück zum Horch der Familie aus Salach.

Bevor sie aus der Geschichte verschwand, hat sie uns wie zum Abschied eine Aufnahme hinterlassen, die für mich die bisher ungewöhnlichste und berührendste ist, die ich von einem Horch 8 des Typs 375 gesehen habe:

Wie mag es von hier an weitergehen?“ – das scheinen uns die beiden zu fragen, die einer ungewissen Zukunft entgegenblicken.

Die Heckansicht des grandiosen Horch ist wohl das letzte Dokument dieses Wagens, das noch existiert. Das Auto selbst dürfte längst unter die Räder der Geschichte gekommen sein. Was aus den Insassen wurde, kann man sich nicht ausmalen.

Wenn am Ende dennoch ein tierisches Vergnügen an diesen Dokumenten zurückbleibt, war es den Aufwand wert, dieses kleine Album zu retten und seinen Inhalt aufzubereiten…

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Zimmer mit Aussicht: Ein Horch 853 Cabriolet

Na, welche Assoziation weckt „Zimmer mit Aussicht“ bei Ihnen?

Fällt Ihnen spontan die in Italien und England spielende Filmschmonzette „Room with a view“ der 1980er ein? Oder summen Sie plötzlich den gleichnamigen Ohrwurm von Tony Carey aus derselben Zeit?

So oder so bleiben wir nicht in der Zeit hängen, die aus meiner Sicht die beste war, die Deutschland vielleicht je erlebt hat – eine Einschätzung, die nicht nur daran liegt, dass ich damals noch ein Teenie war. Ich könnte auf Internet & Co. verzichten, wenn es noch einmal so ultraliberal und zugleich so stilbewusst zuginge wie im Westen des Landes in den 80ern.

Doch stattdessen geht es mit dem „Zimmer mit Aussicht“ zurück in eine Zeit, die wir in vielerlei Hinsicht auf keinen Fall zurückhaben wollen. Nur die Autos von damals, die wollen alle haben, jedenfalls wenn es das Kleingeld erlaubt.

Die Rede ist von einem der sensationellsten Entwürfe der 1930er Jahre überhaupt – dem Horch 853 Sport-Cabriolet, das von 1935-37 in knapp 700 Exemplaren entstand. Leser meines Blogs durften dieses betörende Geschöpf schon einige Male bewundern.

Hier haben wir beispielsweise eine Aufnahme, die Leser Matthias Schmidt aus Dresden aus seinem Fundus beigesteuert hat:

Horch 853 Sport Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Der Kontrast zwischen diesem Traumwagen und der brutalen politischen Realität im Deutschland jener Tage könnte nicht größer sein.

Vielleicht war es gerade das Gefühl, in Zeiten zu leben, in denen die Freiheiten der Bürger in allen Bereichen unter die Räder kamen, welches die Gestalter und Karosseriebauer zu diesen Spitzenleistungen motivierte.

Um diese Betrachtung zu vertiefen, ist heute keine Zeit und hier auch nicht der rechte Ort – zu komplex ist dieses Thema, das einen als geschichtsbewussten und freiheitsliebenden Deutschen lebenslang beschäftigt und mitunter verfolgt.

Also beschränken wir uns heute – anstatt das große Bild zeichnen zu wollen und daran zu verzweifeln – auf die kleinteilige Perspektive, denn auch diese bietet bisweilen großartige Ein- und Ansichten, etwa in dieser Form:

Horch 853 Sport Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wann hat man zuletzt ein deutsches Auto mit solchen extremen Proportionen gesehen? Auf eine endlos wirkende Motorhaube folgt ein bewusst niedrig und kompakt gehaltenes Passagierabteil, direkt danach fällt die Linie steil ab – hier gibt es nichts mehr zu sehen…

Erinnern Sie sich an meine kürzliche Kritik des primitiven Funktionalismus, welcher sich um die Mitte der 1920er Jahre speziell in Deutschland in gestalterischer Hinsicht breit machte?

Dass es in den 30er Jahren für eine kurze Zeit speziell im Autodesign zu einer Renaissance der reinen Unvernunft kommen sollte, das ist für mich ein zivilisatorisches Wunder.

Der sensationelle Mercedes 300 SL-Flügeltürer der Nachkriegszeit war der letzte Nachklang dieses kurzlebigen Aufflammens des Wunsches nach dem ganz großen Kino – danach kam hierzulande bis heute nichts mehr, was das Attribut „opulent“ oder „umwerfend“ verdiente.

Wäre das anders, würde ich mich nicht seit Jahren schon an dem Phänomen Vorkriegsautomobil abarbeiten und Sie würden nicht ebenfalls diese Leidenschaft teilen.

Genug geschwelgt. Wie war das noch einmal mit dem „Zimmer mit Aussicht“? Nun, das ist einfach – hier haben wir es:

Horch 853 Sport Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Offenbar hat jemand das Prachtstück von Horch aus dem Fenster der gegenüberliegenden Wohnung fotografiert. Links sieht man den Mittelpfosten des zweiflügeligen Fensters, rechts den zur Seite geschobenen Vorhang.

Aber wir sehen hier noch mehr – auch wenn der Wagen so nicht optimal zur Geltung kommt. Gegenüber befindet sich ein monumentales Gebäude im Stil der Neorenaissance mit riesigen Fenstern. Doch scheinen diese zerstört zu sein.

Man erkennt links oben Reste von Fensterglas im Rahmen und rechts scheint selbst dieser teilweise zu fehlen. Mein erster Gedanke war der an die Wirkung der Druckwelle nach einer Bombenexplosion in der Nähe im 2. Weltkrieg.

Doch der Horch trägt nicht die damals vorgeschriebenen Tarnüberzüge auf den Scheinwerfern. Könnte das Foto kurz nach dem Krieg entstanden sein? Doch dann wäre ein Wagen dieses Kalibers sicher von den Besatzungsmächten einkassiert worden.

Also was könnte die Erklärung sein?

Vielleicht doch eine Aufnahme aus Kriegszeiten, in denen sich die privilegierten Besitzer solcher Repräsentationswagen Freiheiten nehmen konnten, welche anderen „Volksgenossen“ nicht vergönnt waren, deren Autos nicht für’s Militär beschlagnahmt worden waren?

Ich muss zugeben, dass ich bei aller Meinungsstärke diesmal zögere, mich auf ein wahrscheinliche Interpretation festzulegen. Sie sehen: „Zimmer mit Aussicht“ kann weit anregender sein als ein Kinofilm oder ein Schlager aus den 80er Jahren.

Und jetzt sind Sie gefragt: Was war das für ein Zimmer mit Aussicht, wann und wo?

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Eine große Verwirrung: Horch 8/24 PS um 1912

„Eine große Verwirrung…“ das mag manchen an den verdatterten Prediger in der Filmsatire „Leben des Brian“ erinnern, der die selbsternannten Verkündiger vorgeblicher Glaubenswahrheiten und ihre Anhänger als lächerliche Figuren gnadenlos vorführt.

Wem dieser britische Anarchohumor nicht subtil genug oder gar anstößig ist, der mag es vielleicht mit Franz Kafkas († 1924) zeitloser Erzählung Die Abweisung halten.

Auch sie handelt von der großen Verwirrung der Leute – diesmal wenn es darum geht, der weltlichen Obrigkeit in Form eines Steuereinnehmers die eigenen Belange vorzutragen.

Die nötige innere Sammlung zu einer selbstbewussten Rede will dem Vertreter der Bürgerschaft dort einfach nicht gelingen, zu verwirrend ist die Präsenz des selbstherrlichen Beamten und der ihn begleitenden Uniformierten:

Mit dem „allerdemütigsten Lächeln, das sich vergeblich anstrengte, auch nur einen leichten Widerschein auf dem Gesicht des Obersten hervorzurufen… formulierte er die Bitte um Steuerbefreiung für ein Jahr, vielleicht auch noch um billigeres Holz aus den Wäldern. Dann verbeugte er sich tief und blieb in der Verbeugung.

Hübsch, nicht? Und wie so oft bei Meister Kafka bleibt man am Ende in einiger Verwirrung zurück – was war das eigentlich, was er da so merkwürdig präzis geschildert hat? Erlebtes, Geträumtes, vielleicht eine Vision der Verhältnisse 100 Jahre später?

Das muss jeder für sich entscheiden, welchen Reim er sich aus solcher literarisch meisterhaft bewirkten Verwirrung macht. Für ebensolche sorgt indessen auch ganz ohne künstlerische Ambitionen das Foto, das ich heute präsentieren möchte:

Horch 8/24 PS um 1912; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Schon bei Erwerb der Aufnahme war mir klar, dass diese einen Tourenwagen der sächsischen Marke Horch aus der Zeit kurz vor dem 1. Weltkrieg zeigt.

Verflixt, wie kann der Kerl das so einfach erkennen – das mögen Sie jetzt vielleicht denken.

Nun, nach Betrachung einiger tausend solcher Fotos von Autos vorwiegend deutscher Provenienz sammelt sich auch ohne Talent im Kopf zwangsläufig ein Kompendium solcher Abbildungen an, an denen jede neue Aufnahme in Millisekunden abgeglichen wird.

Im vorliegenden Fall genügt für diese Musterkennung, für welche „Künstliche Intelligenz“ gigantische Rechenleistung und hochkomplexe Algorithmen benötigt, die Übereinstimmung von genau zwei Elementen:

Das eine sind die schrägstehenden Luftschlitze in der Motorhaube, die es zwar auch bei anderen Herstellern wie etwa Opel gab, aber bei Horch besonders stark geneigt sind (vgl. meine Horch-Fotogalerie:

Das zweite Element ist das Kühleremblem. Davon ist auf den ersten Blick zwar kaum etwas zu erkennen, aber warten Sie einen Moment.

Schneller als jede Künstliche Intelligenz anhand von unzähligen Beispielen mühsam lernt, Übereinstimmungen zuverlässig zu erkennen, kann ich subito das nötige Wissen vermitteln.

Das tue ich anhand einer einzelnen Aufnahme aus meinem Fundus, die noch dazu einen Horch aus völlig anderer Perspektive zeigt:

Horch 6/18 PS oder 8/24 PS um 1912; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieser Wagen trägt vorn das Horch-Emblem, wie es etwa ab 1910 bis einschließlich 1912 auf flachem Kühler Verwendung fand. Ab 1913 wich dieser einem Schnabelkühler (also mit vorkragendem Oberteil).

Jetzt sehen Sie sich nochmals die Kühlerpartie des eingangs gezeigten Horch an – sicher sehen Sie dort nun ebenfalls genau dieses Markenemblem.

Können Sie mir folgen, oder habe ich bereits für große Verwirrung gesorgt? Falls nicht, folgt diese auf dem Fuße und ich muss zugeben, dass ich ihr selbst zum Opfer gefallen bin.

Bevor ich bekenne, was mich so nachhaltig verwirrt an diesem Horch, dass mir die Worte fehlen (eine eher seltene Situation), sei noch festgehalten, dass die Proportionen dieses Wagens auf einen Horch der untere MIttelklasse hindeuten.

Sehr wahrscheinlich haben wir es mit dem Typ 9/24 PS zu tun, der 1911 eingeführt wurde und einen konventionellen 2-Liter-Vierzylindermotor besaß. Ein gewisse Neuerung stellte bei Einführung die Druckumlaufschmierung dar.

Die besaß auch das Schwestermodell 6/18 PS, das äußerlich kaum zu unterscheiden war. Doch der große Tourenwagenaufbau und die höhere Stückzahl (ca. 900 vs. 200) machen den 8/24 PS zum wahrscheinlicheren Kandidaten.

Für die heutige Betrachtung sind solche Fragen aber zweitrangig, denn für weit größere Verwirrung sorgt hier etwas ganz anderes:

Erkennen Sie, was ich meine? Oder sind Sie noch nicht verwirrt genug? Sieht doch alles ganz normal aus, könnte einer denken.

Vorne gasbetriebene Scheinwerfer, Holzspeichenräder mit demontierbaren Felgen (und Reifen) – ein dazu passendes Reserverad (also nicht nur der Reifen), dahinter die außenliegenden Hebel für Gangschaltung und Handbremse.

In Reichweite des Fahrers befindet sich außerdem eine Ballhupe, die Frontscheibe ist oben ausklappbar und kann außerdem geneigt werden. Was soll da für große Verwirrung sorgen?

Na, dann schauen wir uns doch einmal an, was sich da sonst noch an Gerätschaften findet:

Keine Probleme bereiten die in das Windlaufblech zwischen Motohaube und Windschutzscheibe halb eingelassenen elektrischen Standlichter.

Doch was ist das für ein zylinderförmiges Rohr neben der Ballhupe? Für die Zeitung sicher zu klein und als Behälter für die Fahrzeugpapiere vielleicht etwas ungünstig angebracht.

Um die Verwirrung noch zu vergrößern, möchte ich außerdem auf die kuriose Rohrleitung verweisen, die vom Armaturenbrett aus zunächst nach oben steigt und dann rechtwinklig nach vorne abknickt um schließlich wieder abzutauchen, dabei immer breiter werdend.

Ich habe eine Vermutung, um was es sich bei diesen ominösen Anbauteilen handelt, doch möchte ich meine möglicherweise unbegründete Interpretation für mich behalten.

Daher sind jetzt Sie an der Reihe, liebe Leser. Und ganz gleich wie groß die Verwirrung sein mag, in meinem Blog sind alle gleichberechtigt, ihre Sicht der Dinge vorzutragen.

Wenn ich hier mit meinen tagebuchartigen Gedanken in Vorlage trete (ein Blog ist genau das: ein Online-Diarium, englisch: Web-Log), dann setze ich diese der Prüfung durch eine beeindruckende Zahl an Kennern und Sammlerfreunden aus, die hier mitlesen.

Also nur zu: Lässt sich die Verwirrung auflösen, die sich bei Betrachtung dieses Fotos eines Horch 8/24 PS von ca. 1912 einstellt? Oder bleibt es letztlich bei der Akzeptanz des Gegebenen wie in Franz Kafkas Erzählung „Die Abweisung“?

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Gab’s doch gar nicht, oder? Horch „460“ Sport-Cabriolet

Eine intensive Arbeitswoche liegt hinter mir – als Solo-Selbständiger muss man nacharbeiten, was sich während des Urlaubs angesammelt hat. Dass einen die Kunden brauchen, ist freilich ein gutes Gefühl, das einen für die eine oder andere Sitzung am Rechner kompensiert.

Nun ist Wochenende und die noch vorhandene Energie wendet sich vom Broterwerb anderen Aktivitäten zu, die einem zwar keiner bezahlt, aber deren Wert in ihnen selbst liegt.

So hat der große alte Maronenbaum ganz hinten im Garten begonnen, seine Früchte abzuwerfen. Ein Teil davon fällt auf den Fußweg neben dem Grundstück, der von Schulkindern, aber auch Nachbarn genutzt wird, die dort mit dem Hund entlanggehen.

Da gilt es jeden Tag, die stachligen Kastanienhüllen einzusammeln, neben dem Abfall, welchen die umweltbewegte Jugend dort ganzjährig fallenlässt. Noch befriedigender war der abendliche Einkauf zwei Orte weiter – angesichts des schönen Wetters mit dem Fahrrad.

Jemand musste den Leuten die Anweisung gegeben haben, dass man im Oktober mit Pullover und Jacke vor die Tür gehen muss – so kam ich mir mit Polohemd merkwürdig vor, als ich bei tiefstehenden Sonne den Radweg durch das Wettertal entlangsauste.

Was andere tun, denken oder meinen, das soll das eigene Urteil nicht beeinflussen – das ist eine der Maximen, die ich meiner Erziehung verdanke, und so halte ich mich für weitgehend immun, was den Herdentrieb angeht.

Man muss ja nicht automatisch richtig liegen, wenn man sich einen eigenen Reim aus den Dingen macht – wobei das speziell in den herausfordernden Jahren von 2020-2022 schon hilfreich war. Oft genug gewinnt man so ein anderes Bild der Welt.

Auch bei der Beschäftigung mit historischen Automobilen – vor allem der Vorkriegszeit – erweist es sich immer wieder als nützlich, nichts zu glauben, alles zu prüfen, und selbst zu denken, wie sich das Programm der Aufklärung zusammenfassen lässt.

Erproben wir das einmal bei einem Objekt, welches auf den ersten Blick ein klarer Fall zu sein scheint, aber sich bei kritischer Betrachtung der konventionellen Einordnung entzieht:

Horch „Sport-Cabriolet“; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Die großgewachsene und schlanke Dame neben diesem offenbar zweitürigen Cabriolet lässt den Wagen kleiner erscheinen, als er tatsächlich war.

Wer mit scharfem Auge und Sachkenntnis ausgestattet ist, erspäht ein „H“ auf dem Kühlergehäuse, registriert die Gestaltung von Kühlerfigur und Radkappen und weiß: das muss ein Horch sein!

Daran kann kein Zweifel bestehen – die sächsische Luxusmanufaktur baute ab Mitte der 1920er Jahre zwar stark von US-Vorbildern geprägte Wagen, doch im Detail waren diese Horch-Automobile unverwechselbar.

Was fällt hier noch ins Auge? Nun, da wäre vor allem die doppelte Reihe an Luftschlitzen in der Motorhaube, aber auch die massive einteilige Stoßstange.

Wie gehen diese beiden Elemente zusammen? Lässt sich daran erkennen, mit welchem Horch-Typ genau wir es zu tun haben?

Das ist das Problem, vor dem wir heute stehen, und das sich meines Erachtens nicht lösen lässt, ohne ein neues Horch-Modell zu erfinden – den nirgends dokumentierten Typ 460!

Schauen wir aber erst einmal, was die Horch-Galerie an Familienähnlichkeit hergibt.

Da wäre zunächst der Horch 420 zu nennen, welcher die erstmals 1931 auftauchenden zwei übereinanderliegenden Reihen Luftschlitze besaß – hier am Beispiel einer Pullman-Limousine:

Horch 420 PUllman-Limousine: Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Diese eindrucksvolle Aufnahme verdanken wir Leser Klaas Dierks, einer derjenigen, die uns immer wieder an den Schätzen aus über Jahre aufgebauten Sammlungen teilhaben lassen.

Sie sehen: Hier kommen Sie in doppelter Hinsicht auf Ihre Kosten – nicht nur stelle ich Ihnen meine Arbeit als Blogger nicht in Rechnung, auch meine geschätzten „Lieferanten“ tun dies nicht. Es gibt sie noch, die guten Dinge, das soll an dieser Stelle festgehalten sein.

Die Frontpartie des Horch auf dem obigen Foto stimmt bis auf ein Detail mit derjenigen des zuvor gezeigten Sport-Cabriolets überein. Nur die zweigeteilte statt einteilige Stoßstange unterscheiden die beiden Ausführungen.

Was will uns das sagen? Nun, beide besaßen denselben, 90 PS leistenden Achtzylindermotor mit komplexer Ventilsteuerung (OHC) und 4,5 Litern Hubraum. Der wurde neben dem erwähnten Typ 420 auch im parallel angebotenen 450 angeboten, der allerdings über einen längeren Radstand verfügte.

Auch dieser Horch 450 besaß jedoch weiterhin die zweigeteilte Vorderstoßstange wie der Typ 420. Nur die parallel angebotene Ausführung als Sport-Cabriolet – der Horch 470 – besaß eine einteilige Stoßstange wie der Wagen auf dem Foto von Matthias Schmidt:

Dummerweise zeichneten sich die zweitürigen Horch-Sport-Cabriolets aber durch eine bis zur Windschutzscheibe reichende Motorhaube aus.

Das ergibt sich jedenfalls aus dem Studium des Standardwerks „Horch – Typen, Technik, Modelle“ von P. Kirchberg/J. Pönisch, Verlag Delius-Klasing, 2011.

Eine bessere Gesamtschau der Horch-Vorkriegswagen wird man schwerlich finden, aber selbst eine solche von hervorragenden Kennern erstellte Abhandlung kann nicht jede Variante zeigen, die es in der an Spezialmodellen so reichen Horch-Geschichte gab.

Werfen wir zunächst noch einen Blick auf ein Horch-Sport-Cabriolet, wie es sich zwischen 1931 und 1933 typischerweise darstellte – nämlich mit bis an die Frontscheibe durchgehender Motorhaube:

Horch 8 Typ 470 oder 480 Sport-Cabriolet, Bauzeit: 1931-32; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Was ist nun von dem Horch Sport-Cabriolet auf dem Foto von Matthias Schmidt zu halten, welches zwar ebenfalls zwei Reihen Luftschlitze und eine einteilige Vorderstoßstange besitzt, aber dessen Motorhaube nicht bis zur Windschutzscheibe reichte?

Sollte es zwischen den Horch Modellen 420, 440 und 450 einerseits und den Typen 470 bzw. 480 ein bis dato unbekanntes Modell 460 gegeben haben, welches Elemente beider Reihen vereinte?

Ich tendiere zwar zur Auffassung, dass die Wirklichkeit komplexer (mitunter auch völlig anders) ist, als sie einem präsentiert wird, doch im Fall des eingangs gezeigten Horch Sport-Cabriolets meine ich, dass wir es schlicht mit einer Variante des Typs 420 zu tun haben.

Genaueres hätte uns vielleicht die freundliche Dame neben dem fraglichen Wagen sagen können – doch sie ist längst verstummt.

Eine Botschaft aber vermittelt sie uns vielleicht doch: Nehmen wir die Dinge leicht, mit Heiterkeit und erfreuen wir uns selbst und unsere Mitmenschen mit einer gewissen Eleganz, wo es geht, es gibt hässliche Dinge genug…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Einst Preußens Glanz… Horch Tourer von 1913/14

Die Geschichte von Preußen wird von ernsthaften Historikern heute ebenso differenziert betrachtet wie andere Epochen der europäischen Geschichte auch – weder glanzvoll verklärt, noch fanatisch verdammt.

So wollen wir es auch heute halten, wenn es um ein besonderes „Glanzstück“ Preußens geht – wir geben einfach wieder, was wir wissen, halten uns an die überlieferten Fakten, stellen keine kühnen Hypothesen auf und stricken keine Legenden.

Erst recht mit dem Abstand von über 100 Jahren können wir uns dem Gegenstand der heutigen Betrachtung unvoreingenommen nähern und seine unverkennbar glänzenden Seiten würdigen wie seine unübersehbaren Mängel erwähnen.

Dazu begeben wir uns – wenn auch nicht mitten ins Getümmel – so doch in das Umfeld der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, des Ersten Weltkriegs.

Die Möglichkeit zu diesem Zeitsprung in die Endphase von Preußens Glanz hat uns ein Sammler ermöglicht, der auf Fotografien jener Zeit spezialisiert ist.

Er kam auf mich zu und bat mich, das folgende Automobil zu identifizieren, von dem er nur wusste, dass es zum Stab der 105. Infanterie-Division gehörte:

Horch Tourenwagen von 1913/14; Originalfoto: Sammlung H. Wild

Eine im wahrsten Sinne glanzvolle Erscheinung, nicht wahr? Doch der preußische Adler auf der hinteren Tür sagt uns zuverlässig, dass wir uns in einer Zeit befinden, in der in Europa die Lichter ausgingen und auf allen Seiten die Kriegsfurien das Kommando übernahmen.

Doch auch wenn das Wappen, das ab 1871 zugleich das des Deutschen Reichs war, auf ein vom Militär genutztes Automobil hindeutet, scheint hier noch ein letztes Mal Preußens Glanz auf – und sei es nur in Form des Lacks dieses eindrucksvollen Gefährts.

Für einen Wagen im Dienst der Armee ist soviel Glanz eher untypisch, doch zeigen auch Beispiele aus der Frühphase des Zweiten Weltkriegs, dass von hohen Offizieren genutzte Wagen anfangs noch in Zivillackierung in den Einsatz fuhren.

Von daher ist anzunehmen, dass diese Aufnahme zu Kriegsbeginn und weit hinter der Front entstanden ist. Wo sich der auf der Rückseite des Fotos vermerkte Stab der 105. Infanterie-Division damals befand, das mögen Kenner ermitteln.

Mein Auftrag ist heute ein anderer, und für den verfüge ich über das nötige Handwerkszeug.

Der versierte Veteran in Sachen deutsche Vorkriegswagen wirft zunächst einen routinemäßigen Blick auf die Vorderpartie des ins Visier genommenen Fahrzeugs, um zu einer möglichst genauen Ansprache zu gelangen:

Festzuhalten ist hier Folgendes:

Der Wagen weist eine nahezu durchgehend horizontale Linie von Motorhaube und Windlauf – der Blechpartie vor der Frontscheibe – auf. Das findet sich bei deutschen Wagen meist erst kurz vor dem 1. Weltkrieg, selten schon 1912, aber gehäuft ab 1913.

Dass wir es mit keinem Wagen aus späterer Kriegsproduktion zu tun haben, dafür spricht, dass er noch über gasbetriebene Scheinwerfer verfügt.

Das sieht man diesen zwar nicht unmittelbar an, denn es sind aus diesem Blickwinkel keine Löcher zum Abzug der Verbrennungsabgase zu sehen. Doch die beiden am Vorderende des Trittbretts montierten Behälter sprechen eine eindeutige Sprache.

Darin wurde durch Reaktion von Calciumkarbid und Wasser das Gas Ethin (landläufig als Acetylen gezeichnet) produziert, welches in den Scheinwerfern verbrannt wurde.

Das Verfahren wurde noch bis in die 1930er Jahren auch für Fahrräder genutzt, doch ab 1913/14 wurden bei Automobilen als Extra bereits die ersten elektrischen Scheinwerfer angeboten. Im Kriegsverlauf setzte sich die neue Technik durch und war ab etwa 1920 Standard – von einigen Kleinstwagen abgesehen.

Somit haben wir erste Indizien für eine Datierung in die Zeit von 1913/14. Weitere Hinweise liefern uns die drei schrägstehenden Luftschlitze in der hinteren Hälfte der Motorhaube.

Diese Konstellation findet man nach meinem Eindruck so nur bei Wagen der sächsischen Manufaktur Horch – hier am kleinen Modell 8/24 PS zu besichtigen:

Horch 8/24 PS; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Dieses Dokument aus dem Fundus des Dresdener Sammlers Matthias Schmidt hat den Vorteil, dass es auch den Markenschriftzug auf dem Kühler und den „Schnabelkühler“ zeigt, den Horch 1913 einführte und der nur bis 1914 verbaut wurde.

Vergleichen Sie einmal die nach vorn sanft abfallende Form des Kühleroberteils mit der des eingangs gezeigten Wagens – auffallend ähnlich, nicht wahr?

Nur die Proportionen der beiden Wagen wollen nicht übereinstimmen, auch unterscheidet sich die Zahl der Bolzen an der vorderen Radnabe.

Das ist aber kein Grund, den heutigen glänzenden Kandidaten nicht ebenfalls als Horch von 1913/14 zu identifizieren. Denn wie damals üblich unterschieden sich die unterschiedlich motorisierten Modelle eines Herstellers meist nur in den Dimensionen.

Das kann man schön am folgenden Horch nachvollziehen, der ebenfalls mit drei schrägstehenden Luftschlitzen in der hinteren Haubenhälfte und Schnabelkühler daherkommt, aber wesentlich größer ist als der Typ 8/24 PS:

Horch Aufsatzlimousine von 1913/14; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dass obiges Exemplar einen geschlossenen Aufbau trägt, können wir getrost ausblenden. Denn bei diesen frühen Automobilen war in der Regel nur der Vorderwagen marken- und typspezifisch, die übrige Karosserie konnte vom Kunden frei gewählt werden.

Festzuhalten ist hier auch die übereinstimmende Gestaltung der Radnaben. Von daher bin ich – im Rahmen des Möglichen – sicher, dass auch der heute vorgestellte Wagen aus dem Fuhrpark der 105. Infanterie-Division ein großer Horch von 1913/14 war.

Als Motorisierung kommen vor allem die beiden mittleren Vierzylinder 14/40 PS (3,6 Liter) und 18/50 PS (4,7 Liter) in Betracht. Denkbar ist außerdem der ab 1914 gebaute Hubraumriese 25/60 PS (6,4 Liter), der identische Außenabmessungen aufwies.

Viel mehr lässt sich nach meinem derzeitigen Kenntnisstand zu dem großen Tourer auf dem heute vorgestellten Wagen nicht sagen.

Wie man sieht, hatte er zum Aufnahmezeitpunkt vom einstigen Glanz schon ein wenig eingebüßt und die eine oder andere Formveränderung erfahren.

Nur der auf dem Trittbrett montierte Karabiner des deutschen Standardtyps K98k wirkt noch fabrikneu – er war für Notfälle vorgesehen:

Auch der preußische Adler erscheint hier noch frisch und unversehrt, doch waren seine Tage gezählt, als der Fotograf den Auslöser betätigte. Die damaligen Zeitgenossen und auch der Fahrer dieses Horch konnten das nicht wissen.

Wo mögen die Gedanken des Kraftfahrers am mächtigen Lenkrad zum Zeitpunkt der Aufnhame gewesen sein? Wohl daheim bei seiner Familie, für die diese Aufnahme vermutlich gemacht wurde.

Als Chauffeur irgendwelcher „hohen Tiere“ hatte er es vergleichsweise gut getroffen, während der Großteil seiner männlichen Altersgenossen in den Schützengräben täglich dem Tod ins Auge sahen.

Für die Männer dort war Preußens Glanz schon kurz nach Kriegsausbruch passé, als der große Horch-Tourer noch eine glänzende Erscheinung abgab.

Doch war es nur eine Frage der Zeit, bis auch dieser Wagen und die Abenteuer, die er erlebt haben mag, Geschichte waren.

Von diesen Horch-Automobilen jener Zeit, die nur in wenigen hundert Exemplaren entstanden und hohen Chargen vorbehalten waren, haben so gut wie keine die Zeiten überdauert.

So sind es nur solche Bilder, auf denen sie ein letztes Mal von Preußens Glanz künden…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Gestern und heute der reine Luxus: Horch 8/24 PS

Woran denken Sie beim Stichwort „Horch“? Doch wohl am ehesten an einen der grandiosen Repräsentationswagen der 1930er Jahre, die der sächsischen Marke ewigen (nach menschlichem Ermessen) Ruhm gesichert haben.

Stellvertretend dafür hier die Aufnahme eines Horch 853, die ich 2017 vor der Kulisse von Schloss Dyck am Niederrhein gemacht habe:

Horch 853 Cabriolet, Schloss Dyck 2017; Bildrechte Michael Schlenger

Ich behaupte, dass man gar nicht so verdorben von der Moderne sein kann, um diese an Kunst grenzende Meisterschaft der Gestaltung nicht bewundern zu müssen.

Wie im Fall des Jugendstils vor dem 1. Weltkrieg hat man den Eindruck, dass hier ein Gipfelpunkt erreicht war, auf den nur ein verheerender Absturz folgen konnte.

Es sollte nach 1945 etliche Jahre dauern, bis von Italien ausgehend wieder Karosserien entstanden, die solche skulpturenhafte Qualitäten besaßen, nun auf reduzierte, doch immer noch hochelegante Art.

Horch sollte freilich diese Renaissance der schönen Form nicht mehr erleben, für solche großbürgerliche Opulenz war im „Arbeiter- und Bauernstaat“ DDR kein Platz mehr.

Nach dem Waffenstillstand 1918 hatte das noch anders ausgesehen. Horch war unbeschadet durch den Krieg gekommen und profitierte die ersten Jahre von der Scheinblüte am deutschen Automarkt. Diese war von der Ahnung getrieben, dass es mit der durch Kriegsschulden ausgehöhlten Währung kein gutes Ende nehmen würde.

Wer nach Kriegsende noch Vermögen besaß, investierte sein Geld oft in ein Automobil, denn dieses würde seinen Nutzen und damit auch wirtschaftlichen Wert behalten.

So konnte Horch bis 1922 seinen Typ 33/80 PS-Typ mit gigantischem 8,5 Liter-Vierzylinder ebenso im Programm behalten wie das 6,4 Liter-Modell 25/60 PS. Im mittleren Segment baute man die Typen 18/50 PS (4,7 Liter Hubraum) und 14/40 PS (3,6 Liter) weiter.

Diese leistungsstarken Modelle waren während des Kriegs als Offizierswagen im Einsatz und machten einiges her – hier ein großer Horch mit dem 1914 eingeführten Spitzkühler:

Horch “Salonwagen” aufgenommen im 1. Weltkrieg; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Dass diese leistungsstarken Modelle nach 1918 tatsächlich weitergebaut wurden – wenn auch nur in überschaubaren Stückzahlen, das ist durch die Literatur zu Horch belegt.

Daneben bot Horch bis anno 1922 noch das „kompakte“ Modell 8/24 PS mit 2,1 Litern Hubraum an, das bereits 1911 präsentiert worden war. Der Vollständigkeit halber sei auch das Einstiegsmodell Horch 6/18 PS genannt, das jedoch 1920 eingestellt wurde.

Besagter Typ 6/24 PS erhielt nach dem 1. Weltkrieg einen nochmals modifizierten Spitzkühler, während frühere Exemplare noch den ab 1912 verbauten Schnabelkühler besaßen. Hier haben wir ein Beispielfoto aus dem 1. Weltkrieg:

Horch 8/24 PS Tourenwagen im 1. Weltkrieg; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Die Identifikation dieses Horch als Typ 8/24 PS verdanken wir übrigens dem Markenspezialisten Prof. Peter Kirchberg, teilte mir der Besitzer der Originalaufnahme mit.

So wenig sich unter dem Blechkleid in technischer Hinsicht getan hatte, so vollkommen anders kam der Horch 8/24 PS nach dem 1. Weltkrieg in äußerlicher Hinsicht daher.

Der birnenfömige Schnabelkühler war einem schnittigen Spitzkühler gewichen, anstelle der Gasscheinwerfer war nun elektrische Beleuchtung Standard. Nicht zuletzt war die Schwellerpartie zwischen Trittbrett und Aufbau ganz geschlossen worden:

Horch 8/24 PS ab 1919; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Leider steht hier der Fahrer vor der Haubenpartie, auf der sonst die ebenfalls umgestalteten Luftschlitze zu sehen wären – sie waren nun vertikal statt nach hinten geneigt.

Zur Andersartigkeit des Erscheinungsbilds trägt zudem die abweichende Ausführung des oberen Karosserieabschlusses entlang des Innenraums bei. Hier ist nun eine leicht nach innen eingezogene „Schulter“ zu erkennen, die man bei deutschen Wagen der unmittelbaren Nachkriegszeit sehr oft findet.

Der Wirkung dieses an sich gelungenen Tourenwagens etwas abträglich ist die seitlich montierte Steckscheibe. Diese weist im Unterteil eine Klappe auf, die es dem rechts sitzenden Fahrer erlaubt, die hier noch außerhalb der Karosserie liegenden Hebel für Gangschaltung und Handbremse zu betätigen.

Wer übrigens Zweifel hegt, dass wir es mit einem Horch und keinen Opel zu tun haben – die Rüsselsheimer verbauten damals optisch ähnliche Spitzkühler – der sei auf folgende Ausschnittsvergrößerung verwiesen:

Hier lässt sich mit etwas gutem Willen der kursive Schriftzug „Horch“ erkennen. Das Nummernschild verweist übrigens auf eine Zulassung dieses Autos im Raum Erfurt.

Leider ist über die Besitzer dieses Wagens sowie Ort und Zeitpunkt der Aufnahme nichts bekannt. Nach 100 Jahren verlieren sich die Spuren des Daseins im Regelfall zusehends – machen wir uns keine Illusionen: mit uns wird das genauso geschehen.

Ob wohl die flüchtigen Zeugnisse des digitalen Zeitalters überhaupt ähnliche Überlebenschancen wie die physischen Fotoabzüge aus der Welt unserer Vorfahren haben? Es soll ja Leute geben, die ihr ganzes Leben auf ihrem Smartphone oder – noch dümmer – in der „Cloud“ dokumentiert haben. Da könnten schon die Enkel mit nichts dastehen…

Ein letztes Wort noch zum Stichwort „Luxus“ im Zusammenhang mit diesem doch eher bescheiden wirkenden Horch mit seinem kompakten 24 PS-Motor. Für das reine Chassis mit Motor (aber ohne Aufbau) ist ein Preis von 6.000 Mark überliefert.

Klingt erst einmal nicht so aberwitzig, oder? Aber bei solchen Angaben hilft es enorm, sie in Relation zu den Einkommensverhältnissen eines Durchschnittsverdieners zu setzen.

Die entsprechenden Daten sind seit 1891 durchgängig dokumentiert und beziehen sich auf die Gesamtheit aller Arbeiter und Angestellten in Deutschland (ohne Beamte). Demnach betrug anno 1919 das durchschnittliche Jahreseinkommen brutto gut 2.000 Mark.

Für den kompakten Horch mit seiner keineswegs starken Motorisierung hätte ein deutscher Durchschnittsverdiener damals also drei Brutto-Jahreseinkommen aufbringen müssen – und da war die Karosserie wie erwähnt noch nicht dabei.

Man ersieht daran, welch‘ ein Luxus selbst dieser Horch der unteren Mittelklasse damals war. Es wurden auch nur etwas mehr 900 Stück davon gebaut – über einen Zeitraum von 10 Jahren. Einem dieser Wagen nach gut 100 Jahren hier zu begegnen, das darf ebenfalls als Luxus gelten…

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Reisen mit Stil: Ein Horch „8“ Typ 303

Februar 2023 – der Jahreswechsel liegt gefühlt schon weit zurück.

Für mich ist der Januar stets ein besonders arbeitsreicher Monat – nur in der ersten Dezemberhälfte drängen sich so viele Aufträge von Kunden, die unabhängig von der Auslastung unbedingte Präzision und Termintreue erwarten.

Da kann es schon einmal vorkommen, dass noch eine Spätschicht oder ein Wochenendeinsatz eingelegt werden muss. Andere Selbständige kennen das – man ist nicht immer begeistert, aber anders kommt kein Geld herein.

Auf wenig Begeisterung stoßen da Nachrichten, dass die „Beschäftigten“ im maßlos überdehnten Staatsdienst mal eben 10 % Inflationsausgleich fordern. Mein Stundensatz bleibt 2023 unverändert, die Konkurrenz erzwingt es…

Auch sonst ist das Umfeld nicht gerade stimmungsfördernd – dann noch das Wetter. Heute habe ich ein wenig Selbstanalyse betrieben und beschlossen, dass man etwas gegen das Aufkommen schlechter Laune tun muss – und kann!

So will ich fortan dem Thema Stil im Automobilismus mehr Raum schenken. Dabei stehen die Fahrzeuge eher im Hintergrund, geben bestenfalls eine reizvolle Kulisse ab. Am besten eignen sich dafür Wagen, die ich schon erschöpfend besprochen habe.

Den Anfang macht heute die Aufnahme eines Horch 303 – des Ende 1926 präsentierten ersten Achtzylinderwagen der sächsischen Marke.

Man hatte erkannt, dass man den zunehmenden Importen von US-Wagen etwas Besonderes entgegensetzen musste – die Amis boten übrigens schon Anfang der 1920er Jahre 8-Zylinder-Wagen an, etwa diesen Cole V8:

Cole V8 mit deutscher Zulassung; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Da die Amerikaner in allen Größenklassen preislich unschlagbar waren und in Deutschland die Grundlagen für eine vergleichbare Massenproduktion fehlten, blieb nur die Abgrenzung durch besondere Raffinesse.

Horch gelang das als Erstem und Einzigem nachhaltig durch die Entwicklung eines besonders aufwendig ausgeführten Reihenachtzylinders mit zwei obenliegenden Nockenwellen, die von Königswellen angetrieben wurden.

Der dadurch ermöglichten Effizienz des Gaswechsels im Zylinderkopf stellten die amerikanischen Fabrikate schiere Kraft aus großen Hubräumen gegenüber. Das hörte man übrigens auch. Letztlich war es eine Frage des Stils, welchen Ansatz man bevorzugte.

Unter den deutschen Herstellern machte jedenfalls Horch auf viele Jahre das Rennen in der 8-Zylinder-Kategorie. Schon während der kurzen Bauzeit der ersten Serie (1927/28) wurden rund 3.500 Exemplare dieser Wagen an den Mann gebracht.

Interessanterweise stand die ans Banale grenzende Optik des ersten Achtyzlinders von Horch dem Erfolg bei der solventen Kundschaft keineswegs entgegen:

Horch 303 oder 304; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Herrschaften hatten sogar das Kleingeld für einen Fahrer – sie hätten sich also etwas optisch Extravagantes leisten könnten, wollten sie aber nicht. Das hat Stil!

Damit verlassen wir die Ebene der Daten und Fakten – wenn Sie sich im Hinblick auf die frühen Horch-Achtzlinder (303-400) einlesen wollen, finden Sie in meinem Blog Material in Fülle. Die späteren Typen arbeite ich nach und nach ebenfalls ab.

Der Horch 303 begleitet uns mit seinem 60 PS leistenden 3,1 Liter-Aggregat unauffällig, während es weiter auf’s Land hinausgeht. Die Straßen sind nur mäßig befestigt und ziemlich staubig – gut, dass wir in einer Limousine sitzen, andere sind noch mit Tourern unterwegs.

Der Motor und die saugluftunterstützten Vierradbremsen sind jeder Situation gewachsen – sofern man nicht meint, das Spitzentempo von 100 km/h unbedingt hier erproben zu wollen.

Dennoch ergibt sich beim Autowandern in der Einsamkeit ein unerwarteter Halt. Ein Motorradfahrer steht mit seiner Maschine am Straßenrand, er behebt einen Defekt an der Zündanlage.

Die Gegnerschaft von Auto- und Motorradfahrern, auf die man in der Moderne bisweilen stößt, gibt es noch nicht. Es gilt: Alle Führer von Kraftfahrzeugen sind Kameraden! Also halten wir an, grüßen freundlich und erkundigen uns nach dem Defekt.

Der ist bereits behoben, sodass uns nichts weiter zu tun bleibt, als uns ein wenig über die Straßenverhältnisse auszutauschen und uns nach einem Café in der nächsten Stadt zu erkundigen – denn Reisen macht auch mit 8 Zylindern müde und durstig.

Es ergibt sich ein kleines Gespräch über dies und das. Der Motorradfahrer ist ein gut situierter Geschäftsmann, der in seiner knappen Freizeit gern sportlich unterwegs ist.

Wir fixieren ihn ein wenig skeptisch, während er in gewählten Worten von den Freuden des Kurvens auf zwei Rädern schwärmt – er wird doch kein Schnösel sein?

Horch 303; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Na, was sagen Sie? Ist das nicht ein wunderbares Zeugnis einer Begegnung eines Horch 303 aus Leipzig mit einem Motorrad irgendwo auf einer geschotterten Nebenstraße?

Im Hintergrund zieht ein Zug mit längst vergessener Präzision seinem Ziel entgegen. Mehr Zeitkolorit und Stil kann man von so einem Dokument nicht wollen.

Vielleicht war man ja sogar auch zusammen unterwegs und hier ist „nur“ ein kurzer Zwischenhalt zur Besprechung der weiteren Route dokumentiert – vollkommen egal.

Den beiden Männern in typischer Lederkluft – natürlich mit weißem Hemd und Krawatte, wie damals selbstverständlich – gehört unsere ganze Aufmerksamkeit und los geht das Kopfkino. Da hat der Horch-Achtzylinder im Hintergrund keine Chance.

So etwas werden Sie jetzt öfters in meinem Blog finden – denn wir brauchen alle ab und zu kleine Fluchten und Glücklichmacher….

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.