Glanzvolle Premiere: Ein Packard „Eight“ von 1929

Das Jahr 1929 steht in vielerlei Hinsicht für eine bedeutende Zäsur. So sorgte die Weltwirtschaftskrise nicht nur für gravierende ökonomische Verwerfungen, sie wirkte auch als politischer Brandbeschleuniger, was Deutschlands Weg in einen Staat betrifft, der sich die totale Unterwerfung der Bürger auf die Fahnen geschrieben hatte.

Gleichzeitig zeichnete sich auf ganz anderer Ebene eine wahrhaft glanzvolle Entwicklung ab, mit der ich mich heute anhand der US-Luxusmarke Packard beschäftige. Dabei blende ich zunächst einige Jahre zurück, denn so wird deutlicher, was sich damals bei vielen Oberklasseherstellern in ähnlicher Weise vollzog.

Beginnen möchte ich mit einem ungewöhnlichen Foto aus einem früheren Blog-Eintrag, das zwar technisch nicht perfekt ist, aber eine seltene Dynamik besitzt:

Packard_1926_Fiat_späte_1920er_Schweiz_Ausschnitt

Packard von 1925/26; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Was hier irgendwo in der Schweiz gerade kraftvoll vom Bordstein wegbeschleunigt, ist ein Packard in der Ausführung von 1925/26.

Gegen eine frühere Datierung spricht die nicht länger geteilte Frontscheibe, gegen eine spätere die Ausführung der Vorderschutzbleche, der Scheinwerfer und der Stoßstange, die nur teilweise vernickelt und ansonsten lackiert ist.

Auch alle übrigen glänzenden Metallteile an dem Packard waren in Nickel ausgeführt – das poliert einen warmen Ton wie leicht angelaufenes Silber besitzt.

Der Glanz von Nickel hält sich länger als der von Messing, das bis in die frühen 1920er Jahre verbreitet war, er will aber ebenfalls regelmäßig aufgefrischt werden.

Dieselben formalen Details wie an dem Wagen aus der Schweiz finden sich auf folgendem Foto von Leser Klaas Dierks wieder:

Packard von 1925/26; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Es zeigt einen einst in Berlin zugelassenen Packard – hier in der traditionellen offenen Ausführung mit leichtem Tourenwagenverdeck.

Der schlichte, aber dank Dreifarblackierung nicht langweilige Aufbau könnte von einem lokalen Karosseriebauer stammen. Leider kann ich die Plakette oberhalb des Schwellers am Ende der Motorhaube nicht zuordnen – hat ein Leser eine Idee?

Aus meiner Sicht spricht hier ebenfalls alles für einen Packard der Modelljahre 1925/26 (die nicht ganz mit den Kalenderjahren zusammenfielen).

Festzuhalten ist, dass sich der Einsatz glänzender Metallteile auch hier weitgehend auf Stoßstange, Scheinwerfer und Kühler beschränkt.

Auf der nächsten Aufnahme, die schon einmal Gegenstand einer Besprechung war, hat sich in punkto „brightwork“ einiges getan – und sonst auch:

Packard von 1927/28; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese von Bildaufbau und technischer Qualität ausgezeichnete Aufnahme entstand einst in Berlin mit dem Dom im opulenten Stil der Neorenaissance im Hintergrund.

Der Packard weist passend dazu deutlich mehr Zierrat auf, als dies bei den beiden zuvor gezeigten Wagen der Fall war. So ist die Stoßstange nunmehr vollverchromt und eleganter gestaltet, das hintere Ende der Motorhaube wird von einer umlaufenden Leiste akzentuiert, an der Positionsleuchten angebracht sind, die die Scheinwerfer imitieren.

Hochglänzend ausgeführt ist nun auch der Frontscheibenrahmen, außerdem befindet sich am Schweller unterhalb der Tür ein Schutzblech, mit dem sich Kratzer am Lack beim Einsteigen vermeiden ließen.

Nun könnte man das alles als Zusatzausstattung ansehen, möglicherweise war davon auch einiges optional erhältlich. Doch eine tatsächliche Weiterentwicklung in formaler Hinsicht ist festzuhalten: die abgerundeten, also nicht länger profilierten und nunmehr wie aus einem Guss wirkenden Vorderschutzbleche.

Dieses Merkmal findet sich laut dem „Standard Catalog of American Cars“ von Kimes/Clark erst ab dem Modelljahr 1927. Ich vermute, dass es demgegenüber auch 1928 keine wesentlichen Änderungen gab, sonst wären sie wohl erwähnt worden.

Der nächste große Schritt erfolgte 1929, auch wenn dies auf den ersten Blick nicht so wirkt, legt man folgende Aufnahme zugrunde, die mir Leser Marcus Bengsch zur Verfügung gestellt hat:

Packard von 1929; Originalfoto aus Sammlung Marcus Bengsch

Oberflächlich wirkt dieser Tourenwagen lediglich wie eine mehrsitzige Variante des zuvor präsentierten „Rumbleseat Roadsters“, wie solche Zweisitzer mit ausklappbarem Notsitz im Heck in den USA traditionell angesprochen werden.

Speziell die Frontscheibe, die seitlichen, farblich abgesetzten Zierleisten sowie die Details der Haubenpartie wirken identisch.

Doch die jetzt schüsselförmigen Scheinwerfergehäuse, die ihre trommelförmigen Vorgänger abgelöst haben, sind ein starkes Indiz dafür, dass wir es hier mit einem Packard des Modelljahrs 1929 zu tun haben.

Die moderner wirkenden Scheinwerfer könnten theoretisch auch nachgerüstet sein, doch nach dem Grundsatz „die einfachste Erklärung ist die wahrscheinlichste“, weisen sie wohl auf die modellgepflegte Packard-Version von 1929 hin.

Dass es sich beim letzten Packard der 1920er Jahre um eine wahrhaft glanzvolle Premiere handelte, können wir auf dem Foto leider nicht direkt erkennen. Im Modelljahr 1929 nämlich wurden erstmals bei dem Hersteller sämtliche glänzenden Metallteile in Chrom statt Nickel ausgeführt.

Wer die Qualität von Verchromungen jener Zeit kennt, der weiß, dass diese einen Glanz von großer Dauerhaftigkeit besaßen, wenn nicht übereifrige Besitzer die zwar dünne, aber sehr harte Chromschicht bis auf den darunterliegenden Nickel herunterpolierten.

Nebenbei: Den damals üblichen aufwendigen Unterbau von Chromteilen mit einer Kupfer- und einer Nickelschicht kennt man heute praktisch kaum noch.

Packard bot im Modelljahr 1929 aber nicht nur glänzende Neuigkeiten an der Karosserie. Eine Premiere stellte auch der Verzicht auf Sechszylindermodelle dar.

Im Unterschied zu unseren Tagen war damit keine Rückkehr zu frugalen Vier- oder gar noch unkultivierteren und schwachbrüstigen Dreizylindermotoren verbunden. Nein, für das Jahr der sich anbahnenden Weltwirtschaftskrise stellte Packard die Kunden nur noch vor die Qual der Wahl zwischen zwei mächtigen Achtzylindern!

Bereits die Basivariante „Standard Eight“ kam mit einem 5,2 Liter messenden Aggregat daher, das 90 PS Spitzenleistung abwarf. Die mit längeren Fahrgestellen ausgestatteten Varianten „Custom Eight“ und „DeLuxe Eight“ wurden von einem 105 PS starken Motor angetrieben, der seine souveräne Kraft aus 6,3 Litern schöpfte.

Doch damit nicht genug: In Kleinserie wurde eine „frisierte“ Variante des großen Achtzylinders in Verbindung mit dem kurzen Chassis angeboten, die auf 130 PS kam. Damit waren theoretisch 150 km/h drin…

Von den Packards des „glänzenden“ Modelljahrs 1929 entstanden insgesamt fast 40.000 Stück. Welche Version davon genau auf dem Foto von Marcus Bengsch zu sehen ist, muss ungewiss bleiben.

Doch bestätigen relativ leicht verfügbare Zeugnisse wie die hier gezeigten Originalfotos das, was die Statistik ebenfalls besagt: Im Deutschland der späten 1920er Jahre war der Markt für Automobile gemessen an der Bevölkerung zwar insgesamt deutlich kleiner als in den Vereinigten Staaten (oder auch England und Frankreich).

Es gab aber eine erhebliche Nachfrage nach hochwertigen und leistungsfähigen Sechs- bzw. Achtzylinderwagen, die die einheimischen Hersteller nicht ansatzweise zu stillen vermochten. Dieses Geschäft blieb weitgehend in Hand amerikanischer Marken, die am deutschen Markt mühelos große Stückzahlen absetzen konnten.

Die Überlebensquoten von US-Oberklassewagen in Ostdeutschland kündeten noch nach dem Zweiten Weltkrieg davon, dass Ende der 1920er Jahre in der Spitze rund ein Drittel des Autoabsatzes im Deutschen Reich auf ausländische Modelle entfiel.

Ein solcher Zeitzeuge, der in den späten 1960er Jahren in Ostberlin an einer Veteranenveranstaltung teilnahm, steht stellvertretend für den einstigen Glanz:

Packard von 1927; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die Datierung dieser mächtigen Packard-Limousine kann der Leser nach dem Gesagten sicher selbst vornehmen – ich hoffe, er kommt zum selben Ergebnis…

© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

 

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