Hansa Typ A: Evolution von 1907 bis 1912

Heute beschäftige ich mich nach längerer Abstinenz wieder mit einem der sehr frühen Modelle der einst blühenden Hansa-Automobil-Gesellschaft im oldenburgischen Städtchen Varel.

Fotos von Hansa-Wagen jener Zeit sind trotz des beachtlichen Erfolgs der Marke sehr selten zu finden. Die Literatur bietet kaum ein Dutzend Originalaufnahmen für die Zeit vor dem 1. Weltkrieg und stützt sich ansonsten auf Prospektabbildungen.

Im Netz scheint es keine eigenständige Präsenz dieser einst so bedeutenden Marke zu gegeben – ich lasse mich aber diesbezüglich gern eines Besseren belehren.

Ein A-Modell von Hansa – titelgebend für den heutigen Blog-Eintrag – begegnet einem nach der 1905 erfolgten Gründung der Hansa-Automobil-Gesellschaft (HAG) erstmals um 1907 – so ausdrücklich zwar nicht in der Literatur, aber in folgender Reklame:

HAG Typ A10 6/10 PS; Originalreklame vor 1908

Dieser kleine A-Typ besaß noch einen Zweizylindermotor. Die Literatur erwähnt zwar nicht diese Typbezeichnung, wohl aber einen Zweizylindertyp mit identischem Hubraum – das Modell 5/10 PS. Korrekt wäre nach obiger Reklame 6/10 PS – wohl einer der unvermeidlichen (und zahlreichen) Übertragungsfehler.

Daneben gab es ab 1907 einen weiteren A-Typ mit identischen Steuer-PS, aber Vierzylindermotor. Auch hier scheint die Bezeichnung in der Literatur (6/14 PS) nicht ganz zu stimmen – korrekt wären nach folgender Reklame 6/12 PS:

HAG Typ A6/12 PS; Originalreklame vor 1908

Der Zweizylinder-A-Typ wurde beinahe jährlich in der Leistung gesteigert. So finden sich in rascher Abfolge ab 1908 die Bezeichnungen 6/12 PS, 6/14 PS (1909) und 6/16 PS (1910-12) – nunmehr unter dem Markennamen Hansa statt HAG.

In einem früheren Blogeintrag konnte ich einen solchen Hansa A-Typ von 1908/09 identfizieren, nämlich diesen hervorragend aufgenommenen Tourenwagen:

Hansa Typ A 6/12 oder 6/14 PS bzw. A 10/18 PS oder A10/20 PS, 1908 bzw. 1909; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Weiter kompliziert wird die Sache dadurch, dass es parallel zum A-Typ mit 6 Steuer-PS einen äußerlich wohl schwer unterscheidbaren 10 PS-Hansa gab, der ebenfalls als A-Typ firmierte.

Im seinerzeitigen Blogeintrag hatte ich mich tendenziell für das stärkere Modell ausgesprochen, aber solche Zuschreibungen können angesichts der prekären Überlieferungslage bei frühen Hansa-Wagen nur unter Vorbehalt erfolgen.

Klar war nur von der Karosserieform her, dass dieser Hansa-Typ vor 1910 entstanden sein dürfte, da ihm der ab dann fast durchgängig verbaute Windlauf zwischen Motorhaube und Windschutzscheibe fehlt.

Besagter Windlauf – seinerzeit auch als Windkappe oder Torpedo bezeichnet – ist dagegen auf folgendem Foto eines Hansa zu sehen, das ich hier erstmals zeige:

Hansa Typ A 6/16 PS (Zweizylinder) oder 6/18 PS (Vierzylinder) von 1912; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Anhand dieser „neuen“ Aufnahme lässt sich sehr schön der optische Entwicklungssprung des A-Typs von Hansa zwischen ca. 1909 und 1912 nachvollziehen – nach heutigen Maßstäben ein zu vernachlässigender Zeitraum – vor über 100 Jahren dagegen eine ganze Fahrzeuggeneration.

Geblieben ist nur der typische Kühler, während ansteigende Motorhaube und Windlauf von den neuen Zeiten künden, die ab 1910 anbrachen.

Kurze Zeit nach dem Beginn des neuen Jahrzehnts nahm Hansa auch Abschied vom Zweizylinder mit 6 Steuer-PS. Er wurde 1912 von einem annähernd gleichgroßen Vierzylindertyp abgelöst, der nun als 6/18 PS firmierte.

Damit hatte sich binnen vier Jahren die Leistung des 6 PS-Typs um 50 % erhöht. Ob der heute neu vorgestellte Wagen nun einer der letzten Zweizylinder-Hansa des Typs 6/16 PS oder einer der ersten Vierzylindertypen 6/18 PS war, lässt sich derzeit nicht sagen.

Tatsächlich könnte es sich auch um den zeitgleichen Typ C mit nahezu identischen Abmessungen handeln, der über einen 8/20 PS-Vierzylinder verfügte.

Überhaupt ist festzustellen, dass die Dokumentation der Hansa-Modelle vor dem 1. Weltkrieg derartig lückenhaft, teils auch widersprüchlich ist, dass man alle hier gemachten Angaben zu Typen und Motorisierungen nur als vorläufig betrachten kann.

Lediglich bei der Datierung bin ich mir nahezu sicher:

Eine solche Frontpartie mit Flachkühler, ansteigender Haube und daran sauber anschließendem, noch steiler aufwärtszeigendem Windlauf findet man bei deutschen Autos schwerpunktmäßig um 1912 plus/minus 1 Jahr.

Ausnahmen bestätigen die Regel, doch hat sich diese Einordnung anhand der Gestaltung der Frontpartie aus meiner Sicht oft genug bewährt, um bis zum Vorliegen von mehr datierten Originaldokumenten auch bei Hansa als Arbeitshypothese gelten zu können.

Wie immer bin ich dankbar für weiterführende Hinweise – auch fundierte Korrekturen von Markenkennern. Das Schöne am Blog-Format ist ja die Möglichkeit, nachträgliche Verbesserungen und Ergänzungen vornehmen zu können.

Bei Bedarf kann man irgendwann auch eine komplett neue Abhandlung schreiben, in die neue Erkenntnisse und Einschätzungen einfließen.

Von daher kann ich das Blog-Format nur allen Spezialisten empfehlen, die zu „ihren“ Marken weit mehr wissen als ich, aber vermutlich stets einen guten Grund finden, von einer „richtigen“ Publikation abzusehen, weil man sich noch nicht sicher ist…

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

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