Nichts für Leute mit Dachschaden: Nash von 1925

Das Thema Dachschaden nimmt in meinem heutigen Blog-Eintrag ungewöhnlich viel Platz ein, wie sich spätestens am Ende zeigen wird. Das mag überraschen, assoziiert man mit der einstigen US-Marke Nash doch vollkommen vernünftige Fahrzeuge.

Ungewöhnlich ist allenfalls, auf welchen Wegen es zur Entstehung der erst seit 1917 tätigen Herstellers kommen sollte. Diese Geschichte will ich bei anderer Gelegenheit anhand eines ganz frühen Nash erzählen.

Heute geht es um ein Modell von 1925, als Nash zwar nicht zu den ganz großen Namen in der US-Automobilindustrie gehörte, aber mit einem Jahresabsatz von rund 100.000 Fahrzeugen bereits jeden europäischen Anbieter in den Schatten stellte.

Nach amerikanischem Verständnis waren Nash-Wagen damals lediglich Mittelklassewagen, die technisch nicht sonderlich avanciert, aber auf der Höhe der Zeit waren – und als hervorragend verarbeitet galten.

Von Vierzylindern hatte man sich mit dem Modelljahr 1925 verabschiedet, fortan baute man nur noch Sechszylinderwagen mit 40 bis 60 PS Leistung. Vergleichbares war am deutschen Markt von einheimischen Herstellern in dieser Kategorie nicht verfügbar.

So konnte Nash bereits Mitte der 1920er Jahre – also noch vor dem ganz großen US-Autoboom hierzulande – auch deutsche Kunden überzeugen, wie die folgende Aufnahme aus der Sammlung von Leser Klaas Dierks beweist:

Nash Tourenwagen von 1925; Ausschnitt aus Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Der Wagen mit Zulassung im Raum Berlin ist aus einer Perspektive aufgenommen, die eine genaue zeitliche Einordnung erlaubt.

Die Form des Kühlergehäuses und die Position des Nash-Emblems sind typisch für das Modelljahr 1925, davor und danach wichen die Details der Frontpartie ab. Aus der Reihe fiel lediglich die Gestaltung des Nash-Einstiegsmodells „Light Six Ajax“.

Jedenfalls finden sich Nash Tourer von 1925 mit vollkommen übereinstimmender Karosserie von der Ausführung der Vorderschutzbleche über die Scheinwerferform bis hin zu Details wie den unterhalb der Frontscheibe angebrachten Positionsleuchten.

Im Modelljahr 1925 gelang Nash eine Steigerung der Absatzzahlen um ganze 50 % – und offenbar bediente man nun auch den europäischen Markt. Ein noch früherer Nash in Deutschland ist mir jedenfalls auf alten Fotos bislang nicht begegnet.

Sehr schön kann man hier die Details des Verdecks studieren, das auf Fotos solcher Tourenwagen meist in niedergelegtem Zustand zu sehen ist. Interessant ist, dass die seitlichen „Fenster“ – aus Zelluloid gefertigt – aus mehreren Elementen bestehen.

Technisch notwendig war dies damals eigentlich nicht, wie zeitgenössische Fotos anderer Tourer beweisen, weshalb man hier eine gestalterische Absicht vermuten darf. Vielleicht sparte man aber so auch Kosten in der Herstellung, da Kunststoffe noch teuer waren.

Jedenfalls macht das eigentliche Dach einen funktionell verlässlichen Eindruck, was die Frage aufwirft, wo denn nun der angekündigte Dachschaden zu besichtigen ist. Nun, die Auflösung findet sich weiter oberhalb des Nash:

Nash Tourenwagen von 1925; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Während der Nash letztlich kaum Rätsel birgt, bereitet mir die Aufnahmesituation einiges Kopfzerbrechen. Was ist mit dem Dachgeschoss dieser Gründerzeitvilla geschehen?

Hat es dort einen Brand gegeben, weshalb man den Dachstuhl ersetzen musste? Dann würde man doch irgendwo Rußspuren erkennen. Und warum sind Teile des Mauerwerks des 1. Stockwerks abgetragen und die Sprossenfenster ausgebaut?

Meine Erklärung ist die, dass hier gar keine Notwendigkeit bestand, das Dach nach einem Brand zu entfernen. Vermutlich handelt es sich eher um einen „Dachschaden“ beim Besitzer der vielleicht erst gerade einmal 30-40 Jahre alten Villa.

Möglicherweise meinte er, von der Mitte der 1920er Jahre aufkommenden Moderne in die Irre geleitet, sein Haus mit einem neuen Geschoss in derselben Schuhkartonmanier versehen zu müssen, die seit bald 100 Jahren die Obsession „progressiver Architekten“ ist.

Vielleicht gibt es ja eine weniger profane Erklärung – aber bis auf weiteres scheint hier jemand ein vollkommen intaktes, strukturell langlebiges Haus zum Objekt einer brutalen Modernisierung auserkoren zu haben, die in solchen Fällen fast immer „in die Hose geht“, weil sich daraus kein stimmiges Ganzes ergibt.

Ob der brave Nash vor der Tür wohl ebenfalls dem Hausbesitzer mit „Dachschaden“ und Hang zu „schöpferischer Zerstörung“ gehörte? Ich glaube es eher nicht, dafür wirkt der Wagen zu konservativ in der Linienführung.

Doch gehört es zum Reiz solcher Fotos, dass sie oft nicht mehr alle ihre Geheimnisse preisgeben und es letztlich unserer Fantasie überlassen bleibt, was wir darin sehen…

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

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