Jetzt auch von vorn: Ein Cord L-29 um 1930

„Jetzt auch von vorn“ – das gilt für den Gegenstand meines heutigen Blog-Eintrags in zweierlei Hinsicht. Kenner amerikanischer Vorkriegswagen werden zumindest eine Bedeutung davon erahnen – speziell in Verbindung mit dem Cord L-29.

Die Bezeichnung ist eines von vielen Beispielen dafür, dass ein wirklich charakterstarkes Automobil auch mit einer an Banalität schwer überbietbaren Typbezeichnung bleibenden Eindruck hinterlässt.

Dass sich der Cord L-29 letzlich als Flop erwies, ist wohl vor allem der Tatsache geschuldet, dass er zur völligen Unzeit erschien.

Acht Wochen nachdem die Cord Corporation – zu der auch Auburn und Duesenberg gehörten – den ersten Wagen unter dieser Marke eingeführt hatte, platzte die Spekulationsblase an der New Yorker Wall Street und ließ über Nacht den Markt für Oberklassewagen zusammenbrechen.

Dabei hätte der Cord L-29 das Zeug zu einem beachtlichen Erfolg gehabt – denn mit ihm gab es erstmals bei einem US-Serienwagen den Antrieb „jetzt auch von vorn“. Der damals noch schwer zu beherrschende Frontantrieb war nicht nur technisch ein Meilenstein. Er bot auch neue gestalterische Möglichkeiten, die Cord sehr wirksam nutzte.

Um das zu veranschaulichen, muss man aber erst einmal eine geeignete Aufnahme finden – nicht ganz einfach angesichts einer Stückzahl von wenigen tausend Exemplaren in der kurzen Bauzeit von 1929-31.

Nun soll mein Blog aber vor allem die Welt des Vorkriegsautomobils in Europa in allen ihren Facetten beleuchten – da grenzte es bereits an ein Wunder, dass ich vor drei Jahren erstmals einen Cord L-29 zeigen konnte, der wahrscheinlich in Wien zugelassen war:

Cord L-29; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch wenn hier nur wenig von dem Wagen zu sehen ist, erschien mir dieser Fund seinerzeit spektakulär genug, um ihn als Fund des Monats zu präsentieren. Dazu trug neben der Seltenheit des Modells in Europa auch die hübsche Situation bei, in der dieses exotische Fahrzeug abgelichtet worden war.

Man muss sich dabei vergegenwärtigen, dass es damals außerhalb der USA nichts Vergleichbares gab – ein Frontantriebswagen mit einem 125 PS starken Achtzylinder, der 130 km/h Spitze ermöglichte – er galt in seiner Heimat nebenbei als untermotorisiert.

Neben der technischen Raffinesse zog noch etwas anderes Käufer auf unserer Seite des Atlantiks an – die Möglichkeit, eine sehr niedrige Karosserie auf das enorm lange Chassis zu setzen. Möglich war das da der platzraubende Antriebsstrang zur Hinterachse entfiel.

So machte der Cord L-29 mit einer Reihe eleganter Sonderaufbauten Furore bei Concours-Veranstaltungen auch in der Alten Welt. Mit so etwas kann ich zwar heute nicht aufwarten – doch umwerfend ist der Wagen auch mit Serienkarosserie, zu genießen jetzt auch von vorn!

Cord L-29 Convertible Coupe; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Gerade im Vergleich zu der nebenstehenden Limousine fällt auf, wie niedrig der Cord gehalten war. Die offizielle Bezeichnung dieser besonders beliebten Variante lautete „Convertible Coupe“ – wir würden den Wagen als 2-türiges Cabriolet ansprechen.

Der ohnehin niedrige Aufbau wirkt an der Flanke dank zweier Kunstgriffe nochmals leichter und flacher:

Zum einen ist das helle Zierprofil unter der Seitenscheibe schlanker ausgeführt, wodurch die Türhöhe optisch geringer erscheint als sie tatsächlich ist. Zum anderen wirkt durch eine hell abgesetzte weitere Leiste die Unterseite der Flanke recht hoch angesetzt.

Man könnte meinen, dass die Tür dort endet, doch tatsächlich reicht sie über den scheinbaren Abschluss bis knapp über das Trittbrett nach unten, wie das eingangs gezeigte Foto erkennen lässt.

Das Zweifarbschema erscheint in verspielter Form nochmals an der Spitze der Vorderkotflügel, hier galt es, den Eindruck einer zu breiten unstrukturierten Fläche zu vermeiden. Noch Mitte der 1920er Jahre wäre das als unnötiger Zierrat abgetan worden.

Gefällig wirken an dem Wagen auch die Weißwandreifen, die in der Vorkriegszeit weit weniger verbreitet waren, als dies moderne „Restaurierungen“ suggerieren. Im Fall dieses Cord ergänzen sie das Farbschema des Aufbaus auf sehr stimmige Weise.

Weniger gefällig wirkt dagegen die Partie unterhalb des Kühlergrills, welcher hier übrigens nicht serienmäßig ist:

Im Unterschied zu deutschen Frontantriebswagen wie Stoewer V5, DKW F2 oder Adler Trumpf, die Anfang der 1930er Jahre erschienen, kaschierten die Gestalter des Cord L-29 bewusst nicht das bauartbedingt vorne liegende Differential.

Offenbar hielt man die neuartige Antriebsform für so beachtlich, dass sie auch von außen erkennbar bleiben sollte – ein an funktionelle Gestaltungsgrundsätze anknüpfender Gedanke.

So blieb auch der Blick auf die Stoßdämpfer, die innenliegenden (!) hydraulischen Bremsen und die beiden Antriebswellen unverstellt. Streiten kann man sicher darüber ob die Gestaltung der Doppelstoßstange gelungen ist, doch fehlen dem Cord L-29 die vorderen Rahmenausleger, an denen sich diese hätte anbringen lassen (siehe hier).

Angesichts so vieler ungewöhnlicher Details an der Frontpartie könnte man glatt das Nummernschild übersehen – dabei ist es kaum weniger exotisch:

„IIA“ stand einst für eine Zulassung in München, wobei die ungewöhnlich niedrige laufende Nummer auf gute Beziehungen zur örtlichen Zulassungsstelle schließen lässt. Als Aufnahmeort ist ebenfalls München auf dem Abzug vermerkt.

Bleibt die Frage, wie dieser prächtige Cord L-29 einst in die bayrische Hauptstadt gelangt sein könnte. Leider wissen wir nichts über den Besitzer und auch nichts darüber, was aus dem edlen Wagen geworden ist. Mag sein, dass er bei Kriegsausbruch vielleicht noch eine Weile bei einer Wehrmachtseinheit in der Heimat einem Offizier diente – für einen tatsächlichen Kriegseinsatz war er zu alt und wohl auch zu komplex.

Andererseits sehen wir in folgendem Film, wie sich selbst das Wrack eines Cord L-29 (hier als Landaulet) wiederbeleben lässt, zumindest in technischer Hinsicht – viel Vergnügen!

Videoquelle: youtube.com; hochgeladen von SebasticookVideo

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