Öfter mal was Neues: Audi Typ 225 Limousine

„Öfter mal was Neues“ – vielleicht nicht ganz das, was man in einem Blog für Vorkriegsautos auf alten Fotos erwartet – oder doch?

Nun, am Wochenende habe ich einen Stapel „neuer“ Aufnahmen gesichtet und dabei reichlich Neuentdeckungen aus der Wunderwelt des Vorkriegsautomobils gemacht.

Wenn heute wieder einmal Audi auf dem Programm steht, könnte man im ersten Moment enttäuscht sein – was soll es da schon Neues geben?

Eine ganze Menge und das obwohl (oder vielleicht weil) Vorkriegs-Audis enorm selten waren und sind. Das Standardwerk „Audi-Automobile 1909-1940“ von Kirchberg/Pönisch erwähnt lediglich 110 überlebende Fahrzeuge (Stand: 2015).

Seither mag irgendwo in den Weiten Osteuropas das eine oder andere „neue“ Exemplar aufgetaucht sein, das dort im Dienst der Wehrmacht einst strandete. Doch am eigentlichen Befund ändert dies nichts: Vorkriegs-Audis sind Raritäten.

Der Großteil der noch vorhandenen Fahrzeuge entfällt auf die Frontantriebsmodelle, die von 1933 bis 1938 gebaut wurden. Dabei fällt auf, dass rund 80 % davon Cabriolets bzw. Roadster sind und nur 20 % Limousinen.

Verständlich wäre das, denn die meist von Gläser (Dresden) gelieferten offenen Versionen der Audi-Fronttriebler sahen einfach gut aus:

Audi Typ 225; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese hübsche Aufnahme wäre die erste Neuigkeit, von der es heute zu berichten gibt, denn sie zeigt ein bisher unpubliziertes Exemplar des Audi „Front“ in der Ausführung mit Kühlluftkiemen in der Motorhaube, die ab Frühjahr 1934 gebaut wurde.

Wer sich hier an Horch erinnert fühlt, liegt nicht völlig falsch, denn diese Audis entstanden im Zwickauer Horch-Werk und dort wurden auch die wesentlichen formalen Elemente entworfen. Doch die schrägstehende „1“ auf dem Kühler verweist eindeutig auf Audi – seit 1923 war diese die Kühlerfigur der Marke.

Wo sich das Hotel „Kaiserhof“ befand, vor dem der Audi mit den beiden Kindern einst abgelichtet wurde, ist mir leider nicht bekannt – vielleicht existieren das Gebäude und das Hotel aber noch. Dann würde ich mich über entsprechende Hinweise freuen.

Mit diesem Cabriolet wäre das erste Dutzend solcher Audi-Fronttriebler voll, die in meiner stetig wachsenden Audi-Galerie versammelt sind. Interessanterweise finden sich dort ebenfalls nur ganz wenige Limousinen.

25 % beträgt ihr Anteil an allen bislang von mir dokumentierten Audi-Frontwagen. Der Wert liegt nur etwas höher als die Quote der überlebenden Autos dieses Typs (20 %). Selbst wenn man annimmt, das schicke Cabrios häufiger fotografiert wurden, ist das ein starkes Indiz dafür, dass die Audi-Käufer damals offene Aufbauten bevorzugten.

Vor diesem Hintergrund stellt das folgende Foto eines Audi-Fronttrieblers mit Aufbau als 6-Fenster-Limousine durchaus „etwas Neues“ in meinem Blog dar:

Audi 225 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Zugegeben: Die Qualität dieser Aufnahme ist nicht gerade berauschend. Doch sieht man alles Wesentliche, was zur Ansprache von Marke und Typ erforderlich ist: Vorn auf dem leicht schrägstehenden Kühler thront die Audi-„1“, entlang der Motorhaube ist der obere Abschluss der kiemenartigen Luftschlitze zu erkennen.

Der Aufbau ist klar als geräumige 6-Fenster-Limousine zu erkennen, wie sie von Horch für den Audi „Front“ gefertigt wurde. Es leuchtet ein, dass eine so massige Karosserie nicht die ästhetischen Qualitäten der offenen Aufbauten von „Gläser“ erreichen konnte.

Gut möglich, dass Käufer des neuen frontgetriebenen Audi damals auch in äußerer Hinsicht auf einen besonderen Auftritt Wert legten, obwohl ab den späten 1920er Jahren immer größere Marktanteile auf Limousinen bzw. Cabrio-Limousinen entfielen.

An dem Tag, an dem das Foto dieses raren Audi „Front“ mit geschlossenem Aufbau entstand – laut Beschriftung des Abzugs der 2. November 1935 – könnten die Insassen jedoch ein festes Dach über dem Kopf und ein feierliches Erscheinungsbild bevorzugt haben – so könnte das Auto damals als Hochzeitswagen gedient haben.

Leider ist von den Insassen fast nichts zu erkennen. Auf dem größeren Originalabzug ist im Hintergrund aber ein Kirchenportal zu sehen. Der Stempel eines Fotohauses aus Hildesheim deutet darauf hin, dass es sich um den dortigen Dom oder die Michaeliskirche handeln könnte.

Leider sind beide Gotteshäuser wenige Wochen vor Kriegsende durch alliierte Bombenangriffe stark zerstört worden und wurden später in stark reduzierter Form wiederhergestellt, sodass es schwerfallen dürfte, heute den genauen Ort zu lokalisieren.

In der Hoffnung, dass es vielleicht doch gelingt, präsentiere ich am Ende entgegen meinen sonstigen Gepflogenheiten den Originalabzug, da er mehr Details des Kirchenbaus zeigt:

Audi 225 Limousine, November 1935, Hildesheim; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch in dieser Hinsicht bewahrheitet sich also der heutige Titel „öfters mal was Neues“, denn hier sieht man zur Abwechslung einmal das Ausgangsmaterial – wobei bereits die zahlreichen Flecken und Defekte des Originals retuschiert sind.

Wer die Szenerie wiedererkennt, ist eingeladen, sein Wissen über die Kommentarfunktion kundzutun, denn so haben alle meiner Leser etwas davon.

An die 5.000 Besucher sind es übrigens inzwischen pro Monat. Auch das sind Neuigkeiten, die mir sagen, dass ich mit meinem Projekt zur Dokumentation von Vorkriegsautomobilen im alten Europa auf dem richtigen Weg bin.

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

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