Limousine im XXL-Format: Protos Typ C1 10/45 PS

Gerade gestern erst habe ich einen typischen deutschen Tourenwagen der ersten Hälfte der 1920er mit Spitzkühler vorgestellt – einen Mercedes „Knight“ 16/45 PS.

Wenn heute ein weiteres Spitzkühlermodell folgt, lasse ich dennoch die Zeit unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg hinter mir, die im deutschsprachigen Raum von sehr konservativer Gestaltung bei Automobilen geprägt war.

Ab Mitte der 1920er Jahre verschwand bei den meisten Herstellern der noch aus der Vorkriegszeit stammende Spitzkühler – zumindest in seiner ausgeprägtesten Form, zugleich kam eine sehr nüchterne, mitunter gesichtslose Gestaltung auf.

Eine markante Ausnahme von diesem Trend, der das Diktat des Funktionalismus widerspiegelte, welcher sich speziell in der neuen Architektur bemerkbar machte, waren die Wagen der alterwürdigen Berliner Marke Protos.

Nicht nur hielt man auch über das Jahr 1925 hinaus noch am Spitzkühler fest – man beließ es auch bei dem einzigartigen Ornament an dessen Oberteil, das Einflüssen des Jugendstils folgte. Damit erhielten Protos-Wagen ein unverwechselbares Gesicht:

Protos Typ C1 10/45 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses Prachtexemplar habe ich schon vorgestellt – es handelt sich um den 1924 eingeführten Nachfolger des Protos Typ C 10/30 PS – das Modell C1 10/45 PS.

Dessen beträchtliche Mehrleistung war unter anderem einem neuen Zylinderkopf mit über den Zylindern hängend angebrachten Ventilen zu verdanken. Ab 1926 besaß dieses verbesserte Modell außerdem Vierradbremsen.

Äußerlich zu unterscheiden war der Protos C1 10/45 PS vom Vorgänger nur anhand der nunmehr zehn statt acht Luftschlitze pro Haubenseite, die zudem deutlich höher waren.

Auf obigem Foto sind die genannten Details sehr gut zu erkennen, die den Protos zu einem unverwechselbaren Anblick machten – nicht selbstverständlich zu jener Zeit. Konventionell blieben unterdessen die Aufbauten als offener Tourenwagen oder wie hier als Limousine.

Die geschlossene Karosserie verwandelte den Protos in eine kolossale Erscheinung, die den Tourer deutlich in den Schatten stellte.

Nun könnte man einwenden, dass der Aufbau auf obigem Foto nur deshalb so opulent wirkt, da der Fahrer wie die meisten Menschen in der Vorkriegszeit deutlich kleiner war als unsereins im 21. Jahrhundert.

Diese Annahme lässt sich leicht widerlegen – und zwar anhand eines weiteren großartigen Fotos einer ganz ähnlichen Limousine auf Basis des Protos C1 10/45 PS, das ich Matthias Schmidt aus Dresden verdanke:

Protos Typ C1 10/45 PS; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Bis auf ein Detail scheint dieser Protos vollkommen mit dem Wagen auf dem ersten Foto übereinzustimmen.

Hier ist der ausgeprägte Spitzkühler jedoch einer stark abgeschwächten Variante gewichen, die typisch für die späte Ausführung des Protos C1 10/45 PS war, die 1926/27 gebaut wurde.

Bemerkenswert ist hier, dass der Kühler wie meist bei den Protos-Wagen der 1920er Jahre in Wagenfarbe lackiert war. Nur vereinzelt finden sich Abbildungen, die einen glänzenden Messingkühler zeigen.

Das ist merkwürdig, da der Trend damals allgemein zu vermehrtem Einsatz von vernickelten und später verchromten Glanzteilen an Automobilen ging. Zudem ist die expressive Kühlergestaltung in der unlackierten Version weit wirkungsvoller.

Das lässt sich anhand dieser Aufnahme des Vorgängertyps Protos C 10/30 PS nachvollziehen, die ebenfalls die Sammlung von Matthias Schmidt ziert:

Protos Typ C 10/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt

Wie es scheint, konnte der Käufer zwischen einer polierten Messingausführung und einem lackierten Kühlergehäuse wählen – wobei letztere der Standard gewesen zu scheint.

Vielleicht lenkte aus Sicht vieler Käufern die hochglänzende Ausführung den Blick zu sehr auf den nach modischen Maßstäben nicht mehr zeitgemäß gestalteten Kühler, weshalb man die lackierte Version bevorzugte.

Für mich wäre dagegen die Wahl zugunsten der Messingvariante ausgefallen, auch wenn sie zusätzlichen Putzaufwand bedeutet hätte, da das Metall rasch anzulaufen pflegt. Vielleicht bot Protos aber bereits auch eine Vernickelung an, die unempfindlicher war.

Der Besitzer der Protos-Limousine des Typs C1 10/45 PS auf dem Foto von Matthias Schmidt hatte sich indessen für die lackierte Variante entschieden, vielleicht weil er ein zu Nüchternheit tendierender Charakter war:

Dass wir hier wohl den Besitzer des Wagens sehen, dafür spricht das Fehlen der typischen Fahrermütze und einer zünftigen Lederjacke, die Schutz vor Regen und Öl bei Pannen bot.

Die lässige – bewusst falsche – Knöpfung der Anzugjacke findet man häufig bei betuchten Herren der Vorkriegszeit auch in Deutschland, obwohl sie vor allem in England gängig war.

Der entschlossene Blick dieses Protos-Besitzers geht in eine unbestimmte Ferne, während ein leichtes Lächeln die Mundwinkel umspielt. Leider wissen wir nichts über den Herrn und die Basis seines unübersehbaren Wohlstands.

Für die Limousinen-Ausführung des Typs C1 10/45 PS waren 13.000 Reichsmark aufzubringen – das entsprach 1926 dem achtfachen Jahresgehalt eines durchschnittlichen sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmers im Deutschen Reich!

Heute verdient ein sozialversicherungspflichtiger Arbeitnehmer im Schnitt 41.541 EUR pro Jahr – das Achtfache davon beträgt über 330.000 EUR. Dies mag trotz veränderter Preise von Inputfaktoren und gestiegener Produktivität den sozialen Rang veranschaulichen, der mit dem Besitz eines solchen Wagens verbunden war.

Kolossal war aber nicht nur der Preis dieses Wagens, auch seine Dimensionen entsprachen der Konfektionsgröße XXL. Denn der mit sich und der Welt zufriedene Protos-Eigner war keineswegs klein, er dürfte an die 1,80 m gemessen haben. Bloß sein Automobil überragte ihn mit in der Literatur überlieferten 2,10 m Höhe um Haupteslänge.

Dagegen sind selbst die in unseren Tagen bei einigen – längst nicht den meisten – Käufern so beliebten SUVs noch fast moderat dimensioniert. Ich selbst bevorzuge zwar bei Nachkriegsfahrzeugen die niedrige Silhouette, finde aber bei Vorkriegsmodellen die gänzlich anderen, teilweise ehrfuchtgebietenden Proportionen vollkommen angemessen.

Wie müssen diese Fahrzeuge erst auf Zeitgenossen gewirkt haben, die seinerzeit selbst meist kein XXL-Format aufwiesen, sondern eher klein und schmächtig waren?

Sie dürften sich ganz klein gefühlt haben neben diesen mächtigen Maschinen – so wie dieser junge Mann neben einem deutschen Tourer, den ich noch nicht identifizieren konnte:

© Michael Schlenger, 2021. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

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