Fund des Monats: Ein Hansa A8 „Alpenwagen“

Mein Fund des Monats April ist so facettenreich, dass er auch als Fund des Jahres durchgehen könnte. Doch das Jahr ist noch recht jung, und auch wenn ich eher zum Skeptizismus neige, kann es 2021 eigentlich nur besser werden – in mancher Hinsicht.

So setze ich einfach darauf, dass mir oder einem meiner Leser noch etwas zuläuft, was am Ende tatsächlich der Kategorie Fund des Jahres würdig sein wird.

Vor die Wahl gestellt, mit welcher der vielen Facetten des Dokuments ich beginne, um das es heute geht, entscheide ich mich kurzerhand für die auf den ersten Blick abwegigste.

So startet die heutige Entdeckungsreise in die Wunderwelt des Vorkriegsautomobils im 14. Jahrhundert – in Nürnberg, um genau zu sein. Damals wird dort erstmals ein Vertreter der Patrizierfamilie Praun erwähnt, Fritz war sein durch und durch bürgerlicher Name.

Die Prauns legten über die nächsten 500 Jahre eine erstaunliche Kontinuität als eine der führenden Geschlechter ihrer Heimat an den Tag. Die Grundlage dafür schuf der überregionale Handel, insbesondere mit Oberitalien.

Dass die Alpen kein Hindernis für die später mit Adelsprivilegien ausgestattete und bis heute im süddeutschen Raum ansässige Familie von Praun war, das sollte sich im 20. Jahrhundert nochmals eindrucksvoll bestätigen.

An dieser Stelle kommt ganz unerwartet ein Name aus dem hohen Norden ins Spiel – und zwar die traditionsreiche Automarke Hansa, die ebenfalls auf eine abwechslungsreiche, wenn auch weit kürzere Geschichte zurückschauen konnte.

Sie war der Erbauer des mächtigen Sportwagens, den wir hier den Berg emporstürmen sehen:

Hansa Typ A „Alpenwagen“ Spezialroadster; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die im oldenburgischen Varel ansässigen Hansa Automobilwerke hatten bereits 1914 bewiesen, dass auch für sie die Alpen kein unbezwingbares Hindernis auf dem Weg zum Erfolg sind – sie absolvierten siegreich eine der härtesten Sportprüfungen der damaligen Zeit: die Alpenfahrt.

Ein original gerahmtes Foto des Siegerteams von 1914 hängt an der Wand meiner kleinen Automobilbibliothek und wird eines Tages noch angemessen gewürdigt.

Heute dagegen spielt die Alpenfahrt des Jahres 1929 eine wichtige Rolle, bei der gleich drei Hansa-Spezialroadster auf die fast 2.200 km lange Reise gingen. Hansa gelangte neben BMW als einziges von 12 gestarteten Teams ins Ziel!

Der oben gezeigte Wagen entsprach genau diesen siegreichen Typen (vgl. U. Kubisch, Hansa-Lloyd Automobilbau, Verlag Steintor, 1986, S. 89). Doch weist das Kennzeichen auf einen Besitzer aus München hin, der sich einen solchen Boliden im Anschluss an den spektakulären Sieg von Hansa bei der Alpenfahrt gekauft haben muss.

85 PS aus über 4 Liter Hubraum leistete der von Continental in den USA zugekaufte Achtyzlindermotor. Das Chassis hingegen war eine Eigenentwicklung von Hansa und war die Basis für die ab 1927 gebauten Typen A6 und A8 (mit sechs bzw. acht Zylindern).

Hansa hatte Wert darauf gelegt, bei der Alpenfahrt 1929 mit technisch serienmäßigen Fahrzeugen des großen Achtzylindertyps anzutreten.

Der anschließende Verkaufserfolg hielt sich zwar in Grenzen – das Geschäft mit großvolumigen und relativ günstigen Wagen beherrschten die Amis damals besser – doch zumindest dieser privat beschaffte Wagen war das genaue Abbild der Siegerfahrzeuge:

Schön und gut, mögen Sie jetzt denken, aber was hat das mit der eingangs erwähnten Familie von Praun zu tun – abgesehen von den transalpinen Ambitionen?

Die Antwort findet sich auf der Rückseite dieses Fotos, auf dem sich eine handschriftliche Nachricht an eine gewisse Hanna findet. Diese ist auf „München, 31.10.1929“ datiert, stammt also aus dem Jahr des neuerlichen Sieges von Hansa bei der Alpenfahrt.

Der Verfasser war ein gewisser Arnold, der in der Nachricht zunächst bedauert, dass man sich wider Erwarten nicht wird treffen können. Die entscheidende Information ist dann folgende: „Umstehend ein Bild von Wilhelm und mir vom Zirler Bergrennen in Österreich, wo wir mit unserem neuen Hansa 8-Zylinder den 2. Preis erhielten“:

Nach der Entzifferung ging alles ganz leicht so wie Abfahrt von einem Alpenpass. Denn der erwähnte Zweitplatzierte beim Zirler Bergrennen 1929 ließ sich als Arnold von Praun (geb. 1885) ermitteln (Quelle).

Er trat beim Zierler Bergrennen in der Tourenwagenklasse bis 5 Liter Hubraum an und benötigte 5 Minuten, 51 Sekunden für die Strecke. Zum Vergleich: Der Bugatti von Robert Richter, der bei derselben Gelegenheit in der Klasse bis 1,5 Liter den Sieg errang, brauchte 40 Sekunden weniger.

Das Überraschende ist für mich nicht nur, dass sich Ort und Anlass dieses Fotos sowie der Besitzer des Wagens so genau ermitteln ließen, sondern die Tatsache, dass die sportlichen Aufbauten der Werksautos von der Alpenfahrt auch für Privatleute erhätlich waren.

In der mir zugänglichen Literatur finden sich neben den drei Spezialroadstern, die bei der Alpenfahrt siegreich waren, ansonsten nur konventionelle Aufbauten auf Basis des Hansa Typ A8 – sie wurden meist von Karmann in Osnabrück geliefert.

Insofern könnte diese Aufnahme, die man sich besser dokumentiert nicht wünschen kann, ein bisher unbekanntes Puzzlestück in der Historie von Hansa darstellen. Vielleicht kann ein Leser noch mehr über diesen Spezialroadster in Händen des Privatfahrers Arnold von Praun sagen, der jenseits der Alpen Furore machte wie einst seine Vorfahren…

© Michael Schlenger, 2021. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

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