Freund(e) der Familie: Stoewer R-180

Heute kommen nach längerer Pause wieder einmal die Frontantriebswagen von Stoewer zu ihrem Recht, die zwar nicht annähernd die Verbreitung vergleichbarer Modelle von Adler oder DKW erreichten, aber für den Vorkriegsenthusiasten umso interessanter sind.

Tatsächlich war es dem Nischenhersteller aus Stettin 1930 gelungen, noch kurz vor DKW den ersten deutschen Serienwagen mit Vorderradantrieb vorzustellen – den Typ V5.

Wie im Fall der mächtigen Achtzylinderwagen der späten 1920er Jahre verdient es Anerkennung, dass eine eher kleine und chronisch an Kapitalmangel leidende Firma wie Stoewer immer wieder der Anschluss an die modernsten Tendenzen gelang.

Stoewer entwickelte seine Fronttriebler laufend weiter (1932: Typ R-140, 1934: Typ R-150, 1935: R-180) und versah die Wagen im Lauf der Zeit mit immer gefälligeren Aufbauten.

Das kann ich heute anhand einer ganzen Reihe von Bildern ein und desselben Wagens illustrieren, die nach und nach angeboten wurden und deren Zusammengehörigkeit ich erst später erkannte.

Bei dem Auto handelte es sich um einen Stoewer R-180, dem mit 45 PS leistungsstärksten und harmonischsten Typ aus der R-Reihe. Er war als viertürige Limousine nicht nur vom Platzangebot her ein „Freund der Familie“ – er wurde von seinen Besitzern auch immer wieder ganz selbstverständlich für das Familienalbum mitabgelichtet:

Stoewer R-180; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Zwar lässt die Aufnahme nicht allzuviel von dem Stoewer erkennen – aber genug, um den Typ eindeutig identifizieren zu können. Während sich die horizontalen Luftschlitze in der Motorhaube bei allen R-Typen finden, ist die Gestaltung des hinteren Dachabschlusses so nur beim R-180 zu finden – der übrigens kein halbes Jahr im Programm war.

Bei einem nur in rund 300 Exemplaren gebauten Wagen ist es umso erfreulicher, gleich mehrere Aufnahmen davon aus unterschiedlichen Perspektiven vorliegen zu haben. Die nächste ist zwar unscheinbarer, aber nicht unwichtig. Ich hatte sie separat erworben und zunächst keinen Zusammenhang mit der ersten Aufnahme hergestellt:

Stoewer R-180; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme entstand in Karlsruhe vor dem Denkmal Kaiser Wilhelms I., was ich nur deshalb herausfinden konnte, da auf der Rückseite zumindest der Ortsname vermerkt war.

Der Herr, der hier mit dem Stoewer posiert, während zwei Radfahrer durchs Bild huschen, wird uns gleich nochmals begegnen – und zwar zusammen mit der jungen Dame, die auf dem ersten Foto links vor dem Wagen steht.

Sie findet sich auch auf einer weiteren Aufnahme, wiederum mit dem Stoewer als vierrädrigem Familienmitglied und eventuell einer Freundin oder Verwandten:

Stoewer R-180; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Stoewer macht hier besonders gute Figur, da die harmonische Gestaltung des Hecks und die lange Haube zu erkennen sind. Diese wirkt, als könnte sich darunter auch ein Sechszylinder verbergen, doch hier wird der Platz für das vor dem Motor angeflanschte Getriebe benötigt – für Frontantrieb war diese Anordnung unerlässlich.

Geschmackvolle Akzente setzen die Linierung auf Kotflügeln und Radkappen, während einige Chromteile für willkommene Glanzlichter an dem offenbar einfarbigen Aufbau sorgen.

Die nächste Aufnahme dieser Serie ist nochmals belebter, doch wiederum wird auch dem „Freund der Familie“ gebührend Platz eingeräumt – diesmal in der äußerst seltenen Ansicht schräg von hinten:

Stoewer R-180; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der junge Soldat ganz links könnte aber doch ebenfalls ein „Freund der Familie“ gewesen sein, oder? Nun, das ist schwer zu sagen. Ich halte es für möglich, dass er der Sohn des Herrn rechts außen ist – den wir übrigens schon von der zweiten Aufnahme aus Karlsruhe kennen.

Wenn das zutrifft, könnte die junge Dame mit den Zöpfen seine Freundin oder Verlobte gewesen sein – jedenfalls weist sie keine Ähnlichkeit mit den übrigen Personen auf. Wir sehen sie gleich wieder zusammen mit dem Soldaten – ein Unteroffiziersanwärter, der sich auf dem Truppenübungsplatz seinen tüchtigen Teint verdient haben dürfte:

Stoewer R-180; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme ist vom selben Standort aus gemacht worden wie die mit den beiden jungen Damen – doch diesmal von weniger kundiger Hand. Gleichwohl ist das ein schönes Dokument, in dem sich die besitzergreifende Geste mit tiefer Zuneigung verbindet.

Zu befürchten ist freilich, dass die Verbindung der beiden im Krieg unglücklich endete. Dieser kündigt sich auf einer weiteren Aufnahme an, die nochmals den Stoewer R-180 zeigt – nun aber mit weiteren mutmaßlichen „Freunden der Familie“ – Unteroffizieren der Wehrmacht im Ausgehanzug:

Stoewer R-180; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Lassen wir uns aber von der Vorahnung der kommenden Katastrophe nicht unnötig die Stimmung verderben – immerhin sind die Soldaten hier noch gut aufgelegt, die Aufnahme dürfte wie die anderen vor Kriegsausbruch entstanden sein.

Die einzige „alte Bekannte“ ist hier die junge Dame links – die mutmaßliche Tochter des Wagenbesitzers. Zu ihr kehren wir am Ende nochmals zurück – anhand einer kolorierten Version eines der schon gezeigten Fotos.

Mit einem Mal schnurrt hier der Abstand von über 80 Jahren zusammen, als sei die Szene gestern gewesen – ein bezauberndes Dokument vergangenen Lebens:

Was aber mag aus dem Stoewer geworden sein? Er könnte bei Kriegsausbruch beschlagnahmt worden und einer Einheit von Heer oder Luftwaffe zugeschlagen worden sein.

Dass Fronttriebler von der Wehrmacht „verschmäht“ worden sein, wie bisweilen zu lesen ist, lässt sich durch Bilddokumente leicht widerlegen, die vor allem entsprechende Adler-Modelle, aber auch den hervorragenden Citroen Traction Avant im Militärdienst zeigen.

Der Stoewer R-180 war zwar zu selten, um besondere Bedeutung im Kriegsgeschehen zu erlangen, aber grundsätzlich war kein Auto seiner Leistungsklasse vor der Beschlagnahme sicher, wenn es nicht bereits aus den 1920er Jahren stammte.

Im Zweifelsfall gab es immer Bedarf auch in heimatnahen Verwendungen wie Nachschub- oder Ausbildungseinheiten. Nur der Nachweis eines dringenden Bedarfs des zivilen Besitzers stellte letztlich einen wirksamen Schutz vor staatlichem Zugriff dar.

Vielleicht war das auch bei dem hier gezeigten Stoewer der Fall und er blieb dann noch bis in die Nachkriegszeit als treuer „Freund der Familie“ erhalten…

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2 Gedanken zu „Freund(e) der Familie: Stoewer R-180

  1. Stichwort „Raumökonomie“: Diese ist natürlich nicht aus heutiger Sicht zu beurteilen sondern anhand der modernsten damaligen Beispiele. Soweit ich weiß, besaß der R-180 keine Mittelsäule – der Einstieg hinten dürfte also durchaus bequem gewesen sein. Vorbildlich in dieser Hinsicht war übrigens die viertürige Limousine des Fiat 1500. Ansonsten fällt mir für die Mitte der 1930er Jahre wenig in dieser Klasse ein, was wesentlich mehr Platz bot (evtl. der Citroen 11CV), aber die Leute waren ja auch im Schnitt kleiner und meist weniger korpulent als heute…

  2. Eine wirklich sehr schöne, interessante Photoserie mit dem seltenen Stoewer- Modell als „star“ !
    Diese Karosserie- Ausführung war auch mir unbekannt – insbesondere mit der steil abfallenden Heck- Partie mit dem “ von außen zugänglichen
    Kofferabteil !
    Gleichzeitig ist dieses Auto – so elegant es mit der langen Haube auch
    wirken mag – ein Musterbeispiel der aus heutiger Sicht sehr frag-
    würdigen Raumöko- nomie damals konserva- tiv gestalteter Modelle.
    Hier noch verstärkt durch das Frontantriebs-
    Konzept, Differen-
    total- Getriebe – Reihen-
    motor online.
    Gerade das Heck zeigt die fast verzweifelt zu- sammengedrängte Situation der Fondpassa- gieren und des sicher nur andeutungsweise vorhandenem Gepäckab-teiles. Die weit ausladen- den Türscharniere zeigen das Bestreben des
    Konstrukteurs, den Einstieg durch weit zurückgelegte Scharnier- Drehachse zuoptimieren
    möglich scheint mir dem
    Anschein nach sogar
    eine B- Säulenlose Bau- art wie sie in Deutschland sonst nicht üblich war.
    Zu würdigen ist auch die Augiebige Applikation von sog. Nadelstreifen die ja nicht aufgeklebt waren damals noch ein kleines Kunstwerk – mit dem Schlepppinsel frei- händig aufgemalt wurden, fast ausschließlich von Frauenhand übrigens !
    Man beachte auch beim letzten Photo den Winker von beträchtlicher Länge !
    Wer weiß heute noch warum dieser so (vermutlich. 250 mm) vorgesehen war ?
    Genau! Laut StVO hatte der „Fahrtrichtungsan- zeiger“ den Karosserie- Umriss von hinten gesehen um 175 mm überragen. Die Karosse- rien waren ja auf Höhe der A- Säule erheblich schmaler als hinten!
    Bemerkenswert ist auch die dicke Zigarre die der vom Wagen verdeckte Uffz. schmauchte – ein Geschenk vom Schwiegervater in spe?
    Und man stelle sich die drei Herren in ihren schicken Uniformen auf der schweren Seitenwagen- Maschine, die im Hintergrund steht mit der sie wohl den Treffpunkt erreicht hatten…

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