Der sprichwörtliche „kleine Mann“ pflegt so lange auf „die da oben“ zu schimpfen, bis er sich selbst auf erhöhtem sozialen Podest wiederfindet. Dann findet er den herausgehobenen Status eigentlich ganz angenehm und irgendwann sogar selbstverständlich.
Das Phänomen lässt sich nach einem Lottogewinn ebenso beobachten wie beim auffallend oft qualifikationsarmen Aufstieg in hochdotierte politische Positionen. Wie einst bei kleingeratenen Herren ein ziviler Zylinder oder eine aufgetürmte militärische Kopfbedeckung Größe vortäuschte, ließ sich im automobilen Zeitalter derselbe Effekt erreichen, wenn man sich in einem möglichst knapp bemessenen Fahrzeug zeigte.
Waren die Dimensionen des Wagens so wie bei diesem Stoewer des Typs D3 6/24 PS von Anfang der 1920er Jahre, dann mag man als Otto Normalinsasse darin weder klein noch groß erscheinen – hier stimmen einfach die Proportionen:
Stoewer Typ D3 6/24 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Man erkennt hier recht gut, was die frühen Typen der Stettiner Traditionsmanufaktur nach dem 1. Weltkrieg auszeichnete – ein nach vorne leicht geneigter Spitzkühler mit oben flach aufgesetztem Markenemblem und eine schräggestellte, mittig unterteilte Windschutzscheibe.
Diese Elemente finden sich sowohl am rund 2.000mal gebauten Vierzylindertyp D3 als auch am größeren Sechszylindermodell D5 mit knapp 40 PS Leistung, von dem immerhin 1.200 Fahrzeuge entstanden.
Der letztgenannte ist vor allem an der längeren Motorhaube zu erkennen. Gelegentlich kann ich eine außergewöhnliche Aufnahme zeigen, die beide Typen gegenüberstellt.
Heute bleiben wir aber ganz in den Gefilden der kleinen Leute, die auch einmal groß herauskommen wollen. Das scheint hier eindeutig der Fall zu sein:
Stoewer Typ D2 6/18 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Man sieht zwar die erwähnten Elemente, doch dieser Stoewer wirkt ein ganzes Stück kompakter als der zuvor gezeigte D3.
Laut Markenexperte Manfried Bauer, dessen Sammlung sich inzwischen in Stettin befindet, handelt es sich bei diesem Exemplar wahrscheinlich um das Übergangsexemplar D2 6/18 PS, das mit gleichen Motorabmessungen, aber weniger Leistung und auf etwas kleinerem Chassis nur 1919-20 angeboten wurde.
Leider kenne ich keine Abbildung eines sicher als D2 identifizierten Wagens. Sollte ein Leser hier helfen können, wäre ich für eine Kontaktaufnahme sehr dankbar.
Unterdessen muss ich mich auf weitere an die Proportionen anknüpfende Überlegungen beschränken, wenn ich ähnliche Stoewer in die damalige Typenhierarchie einzuordnen versuche.
Das folgende Auto würde ich wieder als D3 ansprechen – man beachte etwa das Größenverhältnis der Räder zur Karosserie und das großzügigere Platzangebot im Innenraum:
Stoewer Typ D3 6/24 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Sicher werden Sie bemerkt haben, dass die Gestaltung des Aufbaus in allen drei Fällen demselben Muster folgt: die Flanke ist oben nach innen geneigt (als Schulter bezeichnet) und das Verdeck ist in einem umlaufenden Kasten integriert, der genau diese Form fortführt.
Dieser Entwurf findet sich meines Wissens nur bei deutschen Wagen kurz nach dem 1. Weltkrieg und geht auf den enorm vielseitigen Künstler und Autoenthusiasten Ernst Neumann-Neander zurück, wenn ich mich recht entsinne.
Wie markant dieser Aufbau aus dem richtigen Winkel betrachtet wirkt, das ist auf der folgenden Aufnahme zu sehen: Der zunächst wie eine Blüte sich entfaltende Karosseriekörper neigt sich oben entlang einer scharfen Kante abrupt nach innen:
Stoewer Typ D2 6/18 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Hier lässt sich zudem die beeindruckende Kühlerpartie der damaligen Stoewer-Wagen in seltener Klarheit studieren.
Schön auch, wie hier durch die knapp bemessene Schärfentiefe die Frontpartie des Wagens hervorgehoben wurde, während der Hintergrund vorbildlich verschwimmt.
Dennoch kann man erkennen, dass das Foto entlang einer Bahnstrecke entstand, die an einem Mischgebiet mit großen Villen des späten 19. Jh und dahinterliegenden Fabrikanlagen entlangführte.
Wir dürfen vermuten, dass der Besitzer des Stoewer in einem besonderem Verhältnis zu alledem stand und keineswegs zu den kleinen Leuten zählte. Die waren dennoch mit von der Partie und hatten es sich auf der Rückbank gemütlich gemacht.
Ob es nur an den lustigen Zipfelmützen liegt, dass die beiden Zwerge in dem Wagen so groß herauskommen oder auch daran, dass wir es abermals mit dem frühen kleinen Stoewer-Typ D2 6/18 PS zu tun haben?
Ich tendiere dazu, wenngleich ich mir nicht 100%ig sicher bin. Was sagen die mit den Stoewer D-Typen besser vertrauten Leser?
Überhaupt bin ich an weiterem Material zu der einst weithin berühmten Marke vom Ostseestrand interessiert.
Stoewer zählte unter den deutschen Herstellern zahlenmäßig zu den Zwergen, kam aber über 30 Jahre lang groß heraus und während das auch mit dem Majestätischen mancher Modelle zu tun hatte, waren es letztlich die ehrlichen inneren Werte eines Familienunternehmens, die den Rang und das Ansehen dieses Fabrikats ausmachten.
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Anlass, sich zu ärgern oder das Schicksal vieler Mitmenschen zu bedauern, finde ich beinahe täglich – sei es in den Nachrichten, sei es im Erleben der traurigen Verhältnisse, in denen viele Zeitgenossen hierzulande ihr Dasein fristen.
Die Suggestion vom reichen Deutschland wird nicht nur in den volkswirtschaftlichen Zahlen zunehmend entzaubert, sie erweist sich auch in der täglichen Anschauung der ärmlichen Lebensumstände so vieler als blanker Zynismus.
Ich selber zähle zwar zu den überdurchschnittlich gut Verdienenden, deren historisch einzigartige Abgaben für alles Mögliche verschleudert werden – bloß kaum zur Linderung unübersehbarer Defizite in Infrastruktur, Bildungswesen und Wohnungsbau – doch Anlass zu echter Bekümmernis habe ich persönlich nicht.
Vielmehr kann ich mich nach getaner Arbeit und gezahlten Tributen unbeschwert den Dingen widmen, die mir Freude machen. Eine der Früchte dieser genüsslichen Beschäftigungen ist mein Blog für Vorkriegsautos auf alten Fotos.
Ein reines Luxusprojekt ist das und auch wenn es nicht entscheidend ist, freut mich, dass es nebenher anderen ebenfalls willkommene Ablenkung von einer kulturell immer weniger fruchtbaren Gegenwart bietet.
Die „Probleme“, die sich dabei himmelhoch auftürmen, geben bestenfalls auf den ersten Blick Anlass zur Bekümmernis:
Stoewer D9 Tourer in Eisenach; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Meine Güte, mag man jetzt denken, hier steht das Vorkriegsauto doch arg im Schatten einer mächtig aufragenden Kirche – wie soll man da herausbekommen, womit man es zu tun hat?
Nun, die positiv Denkenden werden sich zuallererst an dieser schönen Aufnahme der Georgenkirche erbauen, die den Marktplatz im thüringischen Eisenach beherrscht. Zumindest dieser Anblick ist uns auch heute noch vergönnt, auch wenn das historische Zentrum 1944/45 stark unter Bombenangriffen der Westalliierten gelitten hat.
Sodann können wir uns – von einer ersten Vermutung getragen – mit Zuversicht an das Wagnis der Identifikation des Tourenwagens am unteren Bildrand machen.
Dabei kommt uns entgegen, dass in den letzten 10 Jahren eine umfassende und ständig weiter wachsende Bildergalerie speziell für die Marke entstanden ist, welche ich von Anfang an in Verdacht hatte – diese hier.
Ebendort – nebenbei gibt es keine vergleichbare Quelle, die allgemein zugäglich wäre – findet sich eine Aufnahme, die uns in unserer „Not“ rasch Linderung verschafft:
Stoewer Typ D3 8/24 PS oder D9 9/32 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Der Spitzkühler mit dem oben flach liegend angebrachten Markenemblem ist typisch für die D-Typen des Stettiner Herstellers Stoewer ab Anfang der 1920er Jahre – und wir werden diesem Detail gleich in Eisenach wiederbegegnen.
Ob es sich nun um ein spätes Exemplar des Typs D3 8/24 PS mit nunmehr flacher Frontscheibe (bis 1923) oder eine frühe Ausführung des stärkeren Nachfolgers D9 9/32 PS (ab 1924) handelt, sei für heute dahingestellt.
DAS soll für uns heute kein Anlass zur Bekümmernis sein – denn die Identifikation des Eisenacher Tourers als ein solcher Stoewer D-Typ ist erfreulich genug – sehen Sie selbst:
Überzeugt? – Wahrscheinlich schon. Und wenn nicht, dann sind wir uns zumindest in der Identifikation des Denkmals für Eisenachs bedeutendsten Sohn einig: Johann Sebastian Bach. Er wurde übrigens in der Kirche dahinter getauft.
Eines seiner Werke thematisiert den Umgang mit etwaiger Bekümmernis auf die meisterhafte Weise, wie wir sie vom wohl genialsten deutschen Komponisten gewohnt sind.
Seine Kantate „Ich hatte viel Bekümmernis“ wird hier in vorzüglicher Weise von der Netherlands Bach Society vorgetragen – übrigens ein Ensemble, das man in Deutschland in dieser Form und Güte vergeblich sucht:
Bach – und überhaupt die Barockmusik – gilt vielen im angeblichen Land der Dichter und Denker inzwischen ja als schwere Kost. Aber ich hab mir diese Kunst auch ohne jede Vorprägung sebst erschlossen – im Elternhaus und in der Schule gab es keinen Bach.
Wer dieses eigentlich sehr eingängige Werk bis zur Auflösung des Themas im Abschlusschor „durchhält“ – was etwa die 10-fache Zeit in Anspruch nimmt, die ein zeitgenössischer Schlager an Aufmerksamkeit verlangt – für den weicht auf einmal alle Bekümmernis – so er denn welche hat…
Und wem das zuviel ist, der mag im Stöbern in den Bildergalerien in meinem Blog Entspannung finden. Ein gute Jazzplatte und ein Glas Wein tun es aber auch…
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Nach meinem Eindruck sind es meist ältere Herrschaften (m/w/d) – bzw. Zeitgenossen, denen offensichtliche Untauglichkeit von vornherein das Vergnügen verbietet – welche der Jugend den Genuss direkter Fronterfahrung schmackhaft zu machen versuchen.
In etlichen Fällen scheinen mir auch in der Familie vererbte offene Rechnungen eine Rolle zu spielen, wenn davon fabuliert wird, dass man politische Probleme doch am besten weit vor den Landesgrenzen gewaltsam lösen sollte.
Für dergleichen Hirngespinste der politischen Eliten ließen nicht nur in Vietnam, sondern jüngst auch am Hindukusch neben ungezählten Einheimischen junge Soldaten westlicher Staaten ihr Leben – ohne dass einer Ziel und Zweck kannte.
Was die deutschen Kontingente in Afghanistan angeht, hört man von den Alliierten übrigens wenig Schmeichelhaftes. Die gefürchtete Kriegstüchtigkeit (lateinisch: „furor teutonicus“) hat man den Deutschen ausgetrieben – zur Abwechslung eine gute Nachricht für unsere Nachbarn, die mit Ausnahme der Schweiz ein trauriges Lied davon zu singen wissen.
Für meinen Teil genügt es, wenn man seine Grenzen robust zu schützen vermag und etwaigen Invasoren durch entschlossenen Auftritt von vorherein den Appetit verdirbt. Auch an der bröckelnden Heimatfront gibt es viel zu tun, vielleicht fängt man erst einmal dort an.
Davon unabhängig plädiere ich heute aber unbedingt dafür, hier und jetzt einschlägige Fronterfahrung zu sammeln und zwar durch direkte Konfrontation mit der neusten „Waffe“, die anno 1931 von der Stettiner Schmiede Stoewer zur allgemeinen Überraschung auf den deutschen Markt gebracht wurde.
Mancher kennt dieses Gerät aus beschönigenden Darstellungen wie etwa dieser hier, auf welcher die beim Gegner unerwartet einschlagende Type V5 ganz harmlos daherkommt:
Stoewer V5 von 1931; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Tja, wer hätte das gedacht, dass Deutschlands erstes in Serie gebautes Frontautomobil einen derartig bieder-konventionellen Eindruck machte.
Bei der Konkurrenz von DKW wirkte die Vorstellung des Stoewer V5 anno 1931 dagegen wie ein Atompilz am Horizont. Denn man war gerade selbst dabei, ein solches Gefährt herauszubringen, das den Abnehmern ebenso direkte Fronterfahrung ermöglichte.
Doch so war es tatsächlich die kleine, aber immer wieder durch ihren Innovationsgeist hervortretende Manufaktur Stoewer aus Stettin am Ostseestrand, die einen serienreifen Kleinwagen mit Frontantrieb, Einzelradaufhängung vorne und hinten sowie einen 25 PS leistenden 1,2-Liter-V4-Motor herausbrachte.
Warum das Teil dann ausgerechnet V5 und nicht V4 nach der ungewöhnlichen Zylinderanordnung getauft wurde? Das wissen vielleicht Sie, liebe Leser, ich konnte der Frage nicht nachgehen. Opfer müssen halt gebracht werden usw.
Wichtiger ist mir, als im Kalten Krieg gedienter Panzergrenadier mit Spezialausbildung in Häuserkampf und anderen wertvollen Feldern, Ihnen heute eine möglichst unverfälschte Fronterfahrung mit dem Stoewer V5 zu ermöglichen.
Dazu eignet sich ideal eine Aufnahme, auf die mich mein Sammlerkamerad und dem Kriegshandwerk fernstehender Oldtimerfreund Helmut Kasimirowicz aufmerksam machte.
So gelang es mir, dieses Prachtfoto zu ergattern, auf dem Sie dem Stoewer V5 so ungeschönt begegnen, wie man sich das bei automobiler Fronterfahrung wünscht:
Stoewer Typ V5 von 1931; Originalfoto. Sammlung Michael Schlenger
Starker Auftritt nicht wahr?
So eine aggressive Erscheinung hätte man dem kleinen Stoewer gar nicht zugetraut. Zur beeindruckenden Wirkung trägt der ungewöhnlich breite Kühlergrill bei, der beim überarbeiteten V5 von 1932 einer weniger militant erscheinenden Version wich.
Das ist ein Gerät, das keinen Hehl aus seiner technischen Konzeption als Fronttriebler macht. Kaum kaschiert unter dem groben Blech unter dem Kühler arbeitet das Differential des um 180 Grad gedrehten 4-Zylindermotors.
Keine Mühe wurde darauf verwendet, die Nuditäten des Vorderradantriebs und der querliegenden oberen Blattfeder auch nur notdürftig zu verbergen. Dieser erste fronttaugliche Stoewer war wie eine Waffe ganz zum unmittelbaren Einsatz konzipiert.
Er verkörpert zumindest von vorne die von mir geringgeschätzte Ideologie des „form follows function“ – eines frei erfundenen Gestaltungsgrundsatzes, den seine Verfechter gern zum Naturgesetz geadelt hätten, was aber an der Renitenz der Normalsterblichen scheitert, welche die organischen Formen der Natur selbst für erstrebenswerter halten.
Stoewer reagierte entsprechend, weshalb die Frontwagen der Stettiner im Laufe der Jahre immer schöner wurden (siehe meine Markengalerie).
Das war es auch schon, was ich dem Thema Fronterfahrung für heute abzugewinnen vermag. Es schlummern zwar noch viele wesentlich einschlägigere Aufnahmen in meinem Fundus, doch irgendwie habe ich derzeit keine Lust, schöne Vorkriegs-PKW im Kriegseinsatz zu zeigen.
Ich sehe jetzt zu, wie ich aus der Fronterfahrungsnummer wieder herauskomme – Jimmy Yanceys Blues-Pianostück „Getaway“ von 1939 hilft mir hoffentlich dabei…
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Wenn Sie hier heute einem alten Bekannten begegnen, dann wird das nicht zu Ihrem Nachteil sein – denn so wie ich Ihnen den frontgetriebenen Stoewer Typ R-150 von 1934/35 diesmal präsentiere, haben Sie ihn garantiert noch nicht gesehen.
Gleich drei Ansichten davon erwarten Sie – nicht schlecht bei nur 1.150 gebauten Exemplaren dieses 1,5-Liter-Autos mit 35 PS der Stettiner Traditionsfirma, die wohl als einzige das Kunststück fertigbrachte, mit reinen Kleinserien so lange zu überleben.
Während ich die Fotos noch etwas bearbeitete – d.h. Flecken entfernte und den Ausschnitt nach meinem Gusto anpasste – stellte ich mir die Frage, was für ein Titel sich dafür eignen könnte.
Ein paar spontane Assoziationen stellten sich ein, darunter solche, die mit Buben in Strumpfhosen zu tun haben. Das war zwar naheliegend, wie Sie noch sehen werden, war mir aber zu heikel – denn wer weiß, was irgendein Suchalgorithmus damit anstellt.
Also griff ich zu der alten Kreativtechnik, nicht angestrengt über ein Problem nachzudenken, sondern es an eine nachgelagerte Instanz im Kopf zu delegieren und derweil etwas anderes zu erledigen – ein brauchbares Ergebnis stellt sich dann unter Umgehung des aktiven Monitors namens Bewusstsein oft von selbst ein.
Dabei arbeiten fleißige Geister im Hintergrund an der Aufgabe – ähnlich einem KI-Agenten, dem man Aufgaben übertragen kann, für die man keine Zeit oder auf die man keine Lust hat.
Das hat heute wieder geklappt – zu meiner Zufriedenheit jedenfalls. Der Titel „Meine Burg, meine Jungs, mein Auto“ ist für mich das, was Friedrich Nietzsche so formuliert hat: „Alle guten Dinge haben etwas Lässiges und liegen wie die Kühe auf der Wiese„.
Wenn jetzt einer zusammenzuckt, die innere Gedankenpolizei aktiv wird und warnt: „Nietzsche, das war doch der schlimme Erfinder des Übermenschen und Frauenverächter„, dann empfehle ich auch hier Gelassenheit und den Mut zum eigenen Urteil.
Nietzsche war ein hochsensibler Mensch, ein Künstler und Poet – kein Philosoph im klassischen Sinne. Es lohnt sich, sich mit ihm und seinem vielschichtigem Werk auseinanderzusetzen – ich halte ihn mit Luther, Goethe und Hölderlin für das größte deutsche Sprachgenie.
Nach diesem überflüssigen, aber notwendigen Exkurs – die beste Verbindung zwischen zwei Punkten ist eine Kurve – geht es endlich zur Sache.
Hier haben wir nun den Burgherrn, seine Jungs und seinen Wagen:
Stoewer R-150; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Zur Identifikation des Wagens ist nicht viel zu sagen:
Die Kühlerfigur – ein stilisierter Greif – verweist auf Stoewer und der schrägstehende Kühlergrill mit den schmalen, in enger V-Formation angebrachten Lamellen ist zusammen mit den horizontalen Luftschlitzen in der Motorhaube typisch für die 1934/35 gebaute Ausführung R-150 des bereits 1931 vorgestellten Frontantriebswagens von Stoewer.
Zugelassen war dieses Exemplar im Raum Leipzig und es stellt sich die Frage, ob auch die Burganlage im Hintergrund in dieser Gegend zu verorten ist.
Leider bietet die Ansicht wenig Spezifisches – einen mittelalterlichen Rundturm mit typischen Schießscharten für Bögen und Armbrüste sowie einen schönen Renaissancegiebel über dem Tor links davon. Vielleicht erkennt ja doch jemand die Anlage.
Dass wir es hier tatsächlich mit dem Burgherrn, seinen Jungs und seinem Wagen zu tun haben, dafür sprechen die beiden weiteren Aufnahmen, die vermutlich ebenfalls auf dem Gelände der historischen Anlage entstanden sind.
Hier sehen wir den Stoewer vor einem Nebengebäude aus seltener Perspektive von hinten links, wahrscheinlich neben seiner Garage:
Stoewer R-150; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Ganz klassisch bietet sich der Stoewer hier dar – so als sei Ende der 1920er Jahre für ihn die Zeit stehengeblieben. Vom Frontantrieb abgesehen, weist hier nichts auf Mitte der 1930er Jahre hin – es fehlen sogar die damals längst üblichen seitllichen „Schürzen“ an den Vorderkotflügeln.
Fast scheint es, als wollte man bei Stoewer damals zwar technisch weiterhin vorne sein, aber stilistisch sich der Mode entziehen – ein durchaus sympathischer Ansatz. Tatsächlich ging damals die Zeit der von den Gebrüdern Stoewer geprägten Firmenhistorie zuende, die sich in Sachen Automobil bis 1899 zurückverfolgen lässt – einzigartig am deutschen Markt.
Doch lassen wir uns nicht von der Nostalgie ablenken, es gibt nämlich noch das dritte Foto desselben Wagens zu studieren, welches abermals zeigt, wie zeitgemäß man bei Stoewer zu konstruieren und gestalten wusste:.
Stoewer R-150; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Den ohne Mittelpfosten auskommenden Limousinenaufbau kennt man vom Fiat 1500 beispielsweise – ein enorm komfortabler Einstieg war so möglich.
Interessant finde ich hier aber auch die leichten Klappsitze mit stoffbespanntem Rohrgestell – das meine ich so zuerst beim Citroen „Traction Avant“ gesehen zu haben. Vielleicht weiß es jemand besser, wer der Erfinder dieser funktionellen Sitze war.
Damit wäre ich auch schon am Ende der heutigen Betrachtung. Dass die kurzbehosten Buben in der kühlen Jahreszeit, in welcher diese Fotos offenbar entstanden, tatsächlich Strumpfhosen trugen, werden Sie selbst bemerkt haben.
Ich kann mir dieses Kuriosum, dem ich auf alten Fotos schon einige Male begegnet bin und das ich auch aus Erzählungen meiner Mutter kenne, die noch in der Vorkriegszeit ihre ersten Lebensjahre verbrachte, nur damit erklären, dass man die Jungs für ebenso kälteempfindlich hielt wie die Mädels und man die Kosten langer Hosen in der Wachstumsphase scheute.
Aber auch dazu werden uns im Strumpfhosenfach bewandertere Leser Aufklärung geben – meine Kompetenz will ich für heute auf die Datierung historischer Bauten, die Identifikation alter Kennzeichen und die Ansprache deutscher Vorkriegswagen beschränken.
Spät ist es wieder einmal geworden, draußen fällt der Regen, der Sommer scheint in Urlaub zu sein, bald sollte meine vierbeinige Freundin Ellie wieder heimkehren und sich über das nasse Fell beklagen – so hat sie sich den Abend nicht vorgestellt.
Bis dahin höre ich noch den Rest der Goldberg-Variationen von Bach in der „umstrittenen“ und genau deshalb beachtlichen Interpretation von Glenn Gould auf dem ahistorischen Flügel.
Ich liebe das Stück ebenso auf dem Cembalo und kann mich nicht entscheiden, was besser ist. Darum geht es letzlich auch nicht, beides kann von Könnern so lässig dargeboten werden, wie das Meister Nietzsche mit den Kühen auf der Wiese meinte…
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Na, wie war Ihr Tag heute? Fanden Sie die 15 Stunden strahlenden Sonnenschein zuviel für die Jahreszeit? Waren Ihnen die herrlich warmen Temperaturen zu „heiß“? Fanden Sie den Aufenthalt im Freien unter stahlblauem Himmel irgendwie „gefährlich“?
Dann sollten Sie Ihren Medienkonsum drosseln und sich vom eigenen Gefühl und der eigenen Erfahrung leiten anstatt sich einreden zu lassen, dass man sich über einen prächtigen Sommertag wie diesen in unseren Breiten nicht freuen darf.
Zu meiner Schulzeit hätte es geheißen „Hurra, Hitzefrei“ und dann wäre es bis abends raus zum Badesee oder ins Schwimmbad gegangen. Mancher hätte es sich auch im Garten gemütlich gemacht – auf jeden Fall mit reichlich Vorräten zur Erfrischung.
Man wusste im Sommer schon selbst, was man verträgt, ob man in der Sonne arbeiten oder Sport machen kann oder eher nicht, und dass man viel von dem trinkt, was man mag.
Für die Erfrischung nach einigen Stunden Arbeit im Garten bzw. beim Basteln an Zweirädern im Hof sorgte heute eine Ausfahrt mit der Fiat 500 Cabriolimousine.
Das Dach bis zum Anschlag geöffnet, eine Scheibe der „Castellows“ in den nachgerüsteten CD-Player eingelegt und zur US-Car Show „Rumbling Engines“ im Nachbarort gefahren.
Dort gab es dann erfrischend andere Eindrücke in Form von „Hotrods“ auf Basis von Vorkriegs-Fords, Buicks der 50er, Chevelles der 60er, Camaros und Corvettes der 70er und Limousinen der 80er – nicht zuletzt Pickup-Trucks, deren Reiz ich erst heute verstehe.
So, jetzt haben Sie’s überstanden, sich eine Erfrischung verdient. Für die sorgt diesmal Leser Klaas Dierks, dessen Fundus immer für eine Überraschung gut ist.
Diesmal hat er ein Feuerwehrauto für uns ausgesucht – und wer könnte schon besser für Erfrischung im Sommer sorgen, als die Jungs von der „Fire Brigade“?
Stoewer „Marschall“ der Feuerwehr im Raum Leipzig; Originafoto: Sammlung Klaas Dierks
Entstanden ist diese erfrischend andere Aufnahme in den frühen 1950er Jahren. Damals wurde in jeder Hinsicht aufgebraucht, was an Material den 2. Weltkrieg überstanden hatte.
Die Helme der Männer waren allerdings keine Wehrmachts-Modelle, auch wenn es auf den ersten Blick so aussehen mag. Die Grundform ging auf den Stahlhelm des 1. Weltkriegs zurück und findet sich ähnlich auch in der frühen Bundesrepublik.
Um das Zugfahrzeug identifizieren können, blenden wir in einen prächtigen Sommer der Vorkriegszeit zurück – auch dafür hatte Klaas Dierks schon hier das perfekte Foto in petto:
Das ist ein Stoewer des Achtzylinder-Typs „Marschall“ mit 60 PS Leistung aus 3 Litern Hubraum.
Nur 280 Exemplare davon entstanden in Manufaktur von 1930 bis 1934. Die geringe Stückzahl dieser Stoewer-Wagen mag erklären, weshalb man sie kaum als für das Militär requirierte Autos im 2. Weltkrieg findet – auch wenn die chronisch unterausgestattete Wehrmacht in der Hinsicht sonst nicht wählerisch war.
Jedenfalls muss zumindest einer dieser einst so exklusiven Wagen den Krieg unbeschadet überstanden haben. Irgendwie und irgendwann gelangte er zu Feuerwehr im Raum Leipzig, wobei er hier interessanterweise noch den während des Kriegs vorgeschriebenen Tarnscheinwerfer auf dem linken Vorderkotflügel trägt:
Dass wir es erneut mit einem Stoewer des Typs „Marschall“ zu tun haben, können wir an zwei Details ablesen, welche die vorherigen Achtzylinderwagen von Stoewer nicht besaßen:
Das eine ist die geschwungene Stange zwischen den Scheinwerfern, sie war zuvor stets waagerecht ausgeführt, das legen jedenfalls die mir vorliegenden Bilder nahe.
Das zweite Detail sind die Scheibenräder mit den großen Radkappen – sie lösten die bis dato üblichen Speichenräder mit kleinen Nabenkappen ab.
Viel mehr, liebe Leser fällt mir heute zu dieser erfrischend anderen Aufnahme nicht ein. Doch Leser Klaas Dierks, dem wir diese schöne Abwechslung verdanken, hat noch eine drängende Frage, die vielleicht jemand von Ihnen beantworten kann.
Existiert dieser Stoewer eigentlich noch?
An sich standen die Chancen doch gut für ihn, er hatte den Krieg intakt überstanden, die Feuerwehr pflegt ihre Fahrzeuge sehr sorgfältig und im Osten unseres Landes formierte sich die „Oldtimer“-Fraktion bereits sehr früh und vermochte weit mehr Vorkriegsautos in die Gegenwart zu retten als die meist erst spät aufwachenden Kollegen im Westen.
Das wäre doch einer dieser erfrischenden Momente im Dasein, wenn sich ein Zeuge der Vorkriegszeit in die Gegenwart gerettet hätte – mit tüchtiger Hilfe von Menschen, die den überzeitlichen Wert dieser Dinge aus der Welt unserer Vorfahren zu schätzen wissen…
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Bei der Beschäftigung mit den ganz frühen Automobilen bekommt man am ehesten eine Vorstellung davon, was der Fortschritt für eine großartige Sache sein kann.
Von Jahr zu Jahr kam es damals zu Neuerungen, die Leistung, Alltagsnutzen und Komfort erhöhten – und das alles ohne zentrale Lenkung, politische Zielvorgaben oder gar Anweisungen, was eine spezielle ideologische Haltung angeht.
Das vollzog sich in allen Automobilnationen so, ganz gleich, wie unterschiedlich ihre gesellschaftlichen Verhältnisse, Machtstrukturen und ideellen Traditionen waren.
Durch kreative Mehrung des Kundennutzens Geld und Ansehen erwerben, das war und ist die ultimative Motivation jedes Fortschritts bei den Dingen, die unser Leben leichter, schöner, abwechslungsreicher und sicherer machen.
Die Marke Stoewer aus Stettin verkörperte diesen Geist in geradezu idealer Weise. Niemand hatte die Gebrüder Stoewer Ende des 19. Jh, dazu motiviert, Autos zu bauen, niemand hatte sie dazu mit Planvorgaben gezwungen oder mit Subventionen gelockt.
Interessanterweise gehörte Stoewer auch zu den deutschen Herstellern, die sehr früh eigene Wege beschritten und nicht erst einmal französische Fabrikate kopierten oder in Lizenz bauten (wie beispielsweise Opel).
Keine 10 Jahre nach dem ersten Stoewer-Automobil brachten die Stettiner ihr erstes in großer Serie gebautes Modell auf den Markt – den Typ G4:
Stoewer Typ G4 ab 1908; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks
Der nur 1,6 Liter messende Vierzylindermotor des Wagens leistete anfangs 12 PS, ab 1909, dann schon 16 PS, 1910 waren schließlich bei identischem Hubraum 20 PS drin.
Auch äußerlich vollzog sich damals der Fortschritt rapide. Auf obiger Aufnahme ist die Lücke zwischen der höhenverstellbaren Windschutzscheibe noch mit einem Leder verdeckt.
Das Ganze wirkt improvisiert, man war noch auf der Suche nach einer Lösung für den Übergang zwischen Motorhaube und Innenraum.
Doch schon auf der zweiten Aufnahme eines Stoewer Typ G4, die mir ebenfalls Leser Klaas Dierks zur Verfügung gestellt hat, zeichnet sich eine stabilere Konstruktion ab:
Stoewer Typ G4 ab 1908; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks
Von dem erwähnten Detail abgesehen, handelt es sich um dasselbe Modell. Doch solche Verbesserungen in der laufenden Produktion waren damals ganz normal.
Stoewer baute bis 1910 fast 1.100 Exemplare dieses leichten Vierzylinderwagens und man darf davon ausgehen, dass die Autos von Jahr zu Jahr besser wurden.
Das zweite Foto gefälllt mir aber auch deshalb so gut, weil seine Insassen genau den Geist zu verkörpern scheinen, um den es mir heute geht: Offenheit für echten Fortschritt, der sich am Menschen misst.
Die Aufnahme entstand 1909 irgendwo im Baltikum – mehr wissen wir nicht. Man mag sich nicht ausmalen, was den einzelnen Personen noch blühte – nicht an Fortschritt in technischer und ästhethischer Hinsicht, sondern was das Geschehen im großen Ganzen angeht, das im 20. Jh. leider überwiegend das genaue Gegenteil von Fortschritt war, obwohl es doch maßgeblich von sich progressiv gebenden Kräften bestimmt wurde.
Vielleicht sehen Sie Ihr Alltagsauto nun mit anderen Augen, wenn Sie das nächste Mal einsteigen und sich vergegenwärtigen, was für ein Wunderwerk des Fortschritts diese Maschine im Wesentlichen immer noch ist…
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Mit dem Blog-Format habe ich mich vor bald 10 Jahren für eine Publikationsform zum hierzulande unterbelichteten Thema Vorkriegsauto entschieden, in der alles erlaubt ist.
Ich muss keine Abonnenten oder Sponsoren zufriedenstellen, ich muss keine geschlossenen Abhandlungen zu irgendwelchen Herstellern oder Typen abliefern, ich muss keine irgendwie wissenschaftlichen Standards einhalten.
Stattdessen kann ich mal langggehegte Pläne ohne Zeitdruck umsetzen, mal kann ich spontan alles Geplante über den Haufen werfen, mich von einer Neuentdeckung, einem persönlichen Erlebnis oder Gedanken zu aktuellen Themen inspirieren lassen.
In jedem Fall ist meine Motivation, fast täglich eine Epistel zu einem Vorkriegsfahrzeug abzufassen, eine rein intrinsische. Wer mit den damit verbundenen Sprüngen, Stimmungen und subjektiven Färbungen ein Problem hat, hat das Format nicht verstanden.
Nach dieser langen Vorrede komme ich nun (fast) zur Sache. Natürlich gibt es auch dabei einen Umweg zu bewältigen.
Der führt durch den eigenen Garten, in dem ich heute bei herrlichem Sonnenschein, aber kaltem Ostwind den Kampf gegen die sich täglich neu formierende Löwenzahnarmee führte.
Diese notwendige Betätigung gehört nicht zu meinen bevorzugten, doch profitiere ich einmal mehr von einer Erziehung zur Gründlichkeit. Das lässt sich trefflich damit verbinden, die Winterblässe durch konsequente Zuwendung zum Zentralgestirn allmählich auszutreiben.
Der Solarenergie war ich schon immer zugetan, sie tut mir gut, auch wenn ich nicht der Typ bin, der tiefe Bräune anstrebt. Aber so ein ehrlich erworbener gesunder Teint war schon willkommene Begleiterscheinung, als ich mich einst in den Semesterferien als Hilfskraft auf lokalen archäologischen Ausgrabungen verdingte.
Die Bezahlung war mäßig, aber ausreichend, um den nächsten Italienurlaub zu finanzieren. Außerdem erwarb ich dabei eine Kompetenz in stundenlangen Erdarbeiten, von der ich noch heute – über 30 Jahre später – profitiere.
Bevor ich nun endgültig abschweife, muss ich sehen, wie ich die Kurve kriege. Also halten wir uns an das Leitmotiv der Solarenergie, ergänzt um ins Historische gehende Neigungen.
Das dazu passende Fotomaterial übermittelte mir Leser Matthias Schmidt aus Dresden:
Wie wir es von den Aufnahmen aus dem Fundus von Matthias Schmidt gewohnt sind, ist das Foto im Original von exzellenter Qualität.
Ich regele die Auflösung bei solchen Spitzenaufnahmen fast immer deutlich herunter, ohne dass die Gesamtwirkung als solche leidet. Für Publikationszwecke stellt Herr Schmidt seine Bilder nach meiner Erfahrung gern in besserer Qualität zur Verfügung.
Was sehen wir nun hier? Die Kenner werden gleich Stoewer aus Stettin als Hersteller dieser markant gestalteten Limousine nennen und auch vom Kürzel „IK“ auf eine Zulassung des Wagens in der Provinz Schlesien schließen.
Der flache Neigungswinkel der Kühlerstreben verweist auf das Modell R-140 ab 1932, während der Nachfolger R-150 ab 1934 steiler nach oben weisende Streben aufwies.
Stoewer bot mit dem R-140 eine äußerlich den hohen Standards der Marke entsprechende Gestaltung seines bereits 1931 (noch vor DKW) vorgestellten Frontantriebswagens V5 an.
Die Leistung des auf 1,4 Liter vergrößerten Motors war mit 26 PS noch nicht ganz überzeugend, doch schon 1933 verbaute man einen stärkeren 1,5 Liter-Motor mit 35 PS, der im optisch überarbeiteten Typ R-150 Verwendung fand.
Leider gelang Stoewer nie der Sprung von der Manufaktur zur Großserienproduktion, weshalb diese attraktiven Frontantriebswagen nicht annähernd die Verbreitung der konkurrierenden DKWs und Adler fanden.
Doch in einer Hinsicht war der heute vorgestellte Stoewer seiner Zeit voraus – denn hier sehen wir ihn an einer experimentellen Solar-Tankstelle!
Der Fall ist (sonnnen)klar – diese wohl naturverbundenen progressiven Kräften zugehörige Dame stellt hier in einer experimentellen Versuchsanordnung eine Verbindung zwischen einer zu 100 % solarbetankten Sonnenblume und dem in der Hinsicht unzugänglichen Vertreter der Verbrenner-Fraktion her.
Leider musste dieses Exeperiment schon vor rund 90 Jahren scheitern, aber wie heißt es oft bei irrationalen Vorhaben: einer muss doch mit gutem Beispiel vorangehen!
Ich meine mich zu erinnern, dass es vor ein paar Jahren hierzulande eine Firma gab, die behauptete, durch auf ihrem Wagen aufgeklebte Solarpanele nennenswert zu dessen elektrischem Vortrieb beitragen zu können.
Eine ähnliche Schildbürgerei wie die ebenso an der physikalischen Realität gescheiterten Flugtaxis aus deutschen Landen. Mit Leuten vom Kaliber der Gebrüder Stoewer und der technologischen Kompetenz der Vorkriegszeit wäre das nicht passiert.
Kann es sein, dass aus dem einstigen Hochtechnologieland Deutschland nur noch heiße Luft aus dem Auspuff kommt?
Wie wäre es statt Utopien zu ventilieren („grüner“ Wasserstoff lässt grüßen) praktische Probleme zu lösen – also das Angebot an erschwinglicher Energie und ebensolchem Wohnraum auszuweiten, die Bildungsanforderungen auf den einstigen Stand zu heben und Bürger wie Unternehmen aus den Fesseln einer unersättlichen Bürokratie zu befreien?
Man wird ja noch träumen dürfen zu fortgeschrittener Stunde und sei es von Zeiten, in denen es nur aufwärts ging und die Zukunft hell erschien wie ein strahlender Frühlingstag.
Morgen geht’s so oder so wieder an die Arbeit – erst am Schreibtisch, dann im Garten – denn aufgeben gilt nicht. Die Sonne lockt mit ihrer Energie leider auch den Löwenzahn…
Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Dass es mit Schrumpfgermanien 80 Jahre nach Kriegsende nicht mehr zum Besten steht, an dieser Erkenntnis kommt man kaum noch vorbei. Das lässt sich auch am automobilen Vermögen hier im Umland von Frankfurt/Main ablesen.
Als ich Schüler war, waren ausländische Fabrikate ganz klar die Ausnahme. In der Nachbarschaft, die aus lauter durchschnittlichen Leuten bestand, die sich mit nur einem Gehalt ein solides Eigenheim leisten konnten, fuhr man überwiegend Volkswagen, Opel und Audi, vereinzelt BMW, gebraucht durchaus auch mal Mercedes.
Deutsche Autos fährt in meiner heutigen Nachbarschaft inzwischen niemand mehr – jedenfalls nicht privat angeschafft und schon gar nicht als Neuwagen. Ein paar Häuser weiter hat einer noch einen frühen Opel Manta und einen Porsche 911 der 1980er Jahre -gekauft zu einer Zeit, als diese Geräte gebraucht noch bezahlbar waren.
Heute dominieren einfache, aber gute Wagen französischer, japanischer und koreanischer Hersteller das Bild. Wer sich etwas Premium gönnen will, hält sich einen Mini oder Fiat 500.
Wann ich zuletzt ein aktuelles S-Klasse-Modell von Mercedes gesehen habe oder einen 7er BMW, wüsste ich nicht. Zu Schulzeiten begegneten mir die in Friedberg/Hessen, wo ich auf’s Gymnasium ging, beinahe täglich.
Der Abstieg der deutschen Mittelschicht scheint unaufhaltsam – jedenfalls sehe ich nicht den Willen hierzulande, durch energische Einhegung des Steuerstaats und wieder wesentlich mehr Raum für die Produktivkräfte der Marktwirtschaft eine Trendwende zu bewerkstelligen.
Aber man kann sich wie am Ende jeder Blütezeit einer Zivilisation doch immerhin an den Zeugnissen vergangener Größe erbauen und es sich einigermaßen behaglich einrichten, wenn die Mittel noch dafür reichen:
Stoewer „Greif“ V8 Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Die Germania am Niederwaldenkmal bei Rüdesheim am Rhein steht hier symbolisch für ein Deutschland, das einmal weltweit für bestimmte Dinge geachtet und ein wenig bewundert wurde.
Damit meine ich nicht die albernen Dünkel von den angeblich einzigartigen deutschen Tugenden, die sich bei unseren Nachbarn ebenso finden – sonst wären deren enorme Beiträge zur Entwicklung des Automobils kaum möglich gewesen, die in meinem Blog reichen Widerhall finden.
Ich meine eher die historische Fähigkeit der Deutschen, aus den wenigen Ressourcen und einer einst zersplitterten politischen Landschaft mit lauter schwachen Staatsgebilden etwas enorm Produktives zu machen, das es so in den übrigen meist straff zentral organisierten Ländern nicht gab – nämlich eine Vielzahl von dezentralen Orten der Innovation. Der in der Provinz angesiedelte deutsche Mittelstand ist das bis heute nachwirkende Ergebnis dieser speziellen Verhältnisse.
Auch in den Künsten und bei den Denkern kamen die bemerkenswertesten Impulse aus kleinen und mittleren Städten. Ich hatte mich hier schon einmal über die Liste berühmter Kölner lustig gemacht, die genau das „ex negativo“ illustriert. Nicht zufällig fand Goethe nicht in seiner Geburtststadt Frankfurt am Main das Umfeld für sein Schaffen, sondern im vergleichsweise winzigen Weimar.
Wer sich mit deutschen Automarken befasst, wird Ähnliches feststellen. Fast alle entstanden abseits der ganz großen Städte in geradezu provinziellen oder zumindest abgelegenen Verhältnissen. Dort gedieh im Spannungsverhältnis zu den Beharrungskräften der Tradition gleichzeitig das Neugierige, Skeptische, Eigenwillige und bisweilen Verschrobene, das Voraussetzung aller Neuerung ist.
Auch die Marke, um die es heute geht und deren vielleicht aufregendstes Produkt aus der Zeit kurz vor seinem Ende wir auf dem oben gezeigten Foto sehen, entstand abseits der ganz großen Metropolen – in Stettin an der Ostsee.
Gewiss war Stettin keine Kleinstadt und war über seinen Hafen mit der Welt verbunden. Doch es war kein Ort mit einer speziellen Maschinenbautradition und auch nicht mit einem besonders vermögenden Großbürgertum.
So war es ganz der Begabung und dem Streben der Gebrüder Stoewer geschuldet, dass ausgerechnet im fernen Stettin an der Ostsee die wohl langlebigste deutsche Automarke entstand, welche bis fast zum Schluss weitgehend in der Kontrolle der Gründer blieb.
Wie sich die Marke über eine Zeitspanne von rund 35 Jahren immer wieder neu erfand, das könnnen Sie in meinen vielen Blog-Einträgen zu Stoewer nachvollziehen. Bemerkenswert ist aus meiner Sicht die Fähigkeit, komplexe Markttrends und Innovationen in die Modellpalette zu integrieren.
Wenn man betrachtet, welchen Aufwand etwa die weit bedeutendere Marke Horch in Sachsen unternahm, um Mitte der 1920er Jahre Modelle mit Achtzylindermotoren auszustatten, verdient es größte Bewunderung, dass dies den Gebrüder Stoewer mit weit weniger Kapital ebenfalls gelang.
Gleiches gilt für die Einführung des Frontantriebs bei Kleinwagen, die Stoewer noch kurz vor DKW bewerkstelligte. Auch hier vereinte Stoewer das richtige Gespür für den Markt mit der Kompetenz, das auch als Manufaktur hinzubekommen.
Dass sich Stoewer dann Mitte der 1930er Jahre ausgerechnet mit einem Frontantriebswagen mit 8-Zylindermotor aus der Eigenständigkeit verabschiedete, das darf man als gelungenen Schlussakkord betrachten.
Mit dem Stoewer „Greif „V8 zog Stoewer noch einmal alle Register – moderne und in Teilen eigenwillige Technik (das Fahrwerk betreffend) und in den besten Exemplaren eine kühne Gestaltung, mit der einem beim Concours d’Elegance ein Preis sicher war.
Und genau so etwas fand sich kurz nach nach der Katastrophe des 2. Weltkriegs im Schatten der Germania am Niederwalddenkmal bei Rüdesheim am Rhein ein – so als wäre nichts gewesen. Nur das Kennzeichen aus der britischen Besatzungszone Rheinland und die Insasssin verraten, dass diese Aufnahme um 1950 entstand:
Stoewer „Greif“ V8 Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Ja, das Verdeck ist nur nachlässig umgelegt, es müsste weiter unten fixiert sein, aber das findet sich öfters auf solchen Aufnahmen. Doch ist das Auto nicht ansonsten ein Prachtstück, wirkt nicht die radikal niedrige Frontscheibe ungemein sportlich?
Dieser Stoewer repräsentiert den auf die Spitze getriebenen deutschen Stil der 1930er Jahre, den man so tatsächlich nirgendwo anders findet. Unter den bedrückenden Umständen des neuen Regimes entstanden damals die großartigsten Karosserien, die nicht mehr wie in den späten 20ern bemühte Kopien amerikanischer Vorbilder waren.
Diese späte, opulente Blüte in einem denkbar ungünstigen Umfeld, als die schuldenfinanzierte Kriegs-Planwirtschaft Deutschlands Privatunternehmen bereits an die Kandare nahm, gehört neben all den verabscheungswürdigen Dingen jener Zeit zu den umso bemerkenswerteren Phänomenen.
Auch Stoewer zeigte sich damals noch einmal ganz auf der Höhe, bevor das Unternehmen seine Unabhängigkeit verlor und 1945 als Hersteller von Kriegsgerät sein Ende fand. Als Zeugen einstigen Glanzes sehen wir diesen Stoewer V8 als Cabrio einige Jahre nach Kriegsende – wunderbar und betrüblich zugleich.
Die Welt von gestern war passé und damit nicht nur die unsäglichen 12 Jahre des Nationalsozialismus, mit denen sich Deutschland als Kulturnation selbst entleibt hatte. Passé war damit auch nahezu alles, was dem voranging, jedenfalls war das die offizielle Doktrin im Westen.
Selbst ein Anknüpfen an positive Traditionen wie noch unter dem Meister-Diplomaten Bismarck, den man sich in unseren Tagen hierzulande wünschen würde, galt und gilt als reaktionär.
Wenn man aber die positiven produktiven Kräfte von einst nicht mehr aktivieren kann, bleibt nur die Verwaltung der Relikte der Vergangenheit. Das gibt ein hübsches Hobby ab, ist aber keine Perspektive für eine gedeihliche Zukunft…
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Langjährige Leser wissen das natürlich: Die besten Momente im Leben sind für mich die ungeplanten, wenn sich alles so fügt, wie es sein soll. Das ist nicht alleine eine Frage des Zufalls, für solche Situationen muss alles vorbereitet sein – aber eben nicht geplant.
Zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein, im rechten Moment der entscheidenden Person begegnen, die passenden Worte finden. Oder auch: Alles wohlgeordnet haben, um schnell handeln zu können, wenn das letzte noch fehlende Puzzlestück auftaucht.
Das Foto, das ich Ihnen heute vorstellen darf, illustriert das in vollkommener Weise. Es ergänzt perfekt das Bild eines heute nur noch wenigen Kennern geläufigen deutschen Frontantriebswagens von Mitte der 1930er Jahre.
Neben den Fronttrieblern von Adler und DKW gab es noch einen weiteren Vertreter dieser fortschrittlichen Kategorie – hergestellt von einer der faszinierendsten und langlebigsten deutschen Nischenmarken: Stoewer aus Stettin.
Tatsächlich war es der Stoewer V5, mit dem 1931 erstmals in Deutschland ein frontgetriebener Serienwagen vorgestellt worden war, also noch vor DKW.
Was der einzigartig anpassungsfähige Hersteller an der Ostsee aus dem anfänglich unscheinbar wirkenden Modell binnen ein, zwei Jahren machte, ist phänomenal.
Schon 1932 erschien der Nachfolger R-140, der wie verwandelt war: Der 1,2 Liter-Motor war einem leistungsfähigeren 1,4 Liter-Aggregat gewichen; vor allem aber hatte man dem Fronttriebler ein völlig neue, unverwechselbare Vorderpartie verpasst:
Stoewer R-140 Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Mit der eindrucksvollen Kühlermaske wirkte das immer noch recht kompakte Auto weit eindrucksvoller. Aber: So rechte Begeisterung will sich hier noch nicht einstellen.
Einer der Gründe dafür ist der, dass Automobile bei Aufnahmen direkt von vorne nur in Ausnahmefällen ihre ganze Wirkung entfalten können. Dasselbe gilt für die rein seitliche Perspektive, die bis in die 1920er Jahre hinein in Hersteller-Prospekten vorherrschte.
Versierte Fotografen erkannten aber früh, dass die Idealperspektive eine ist, die den Wagen aus spitzem Winkel von schräg von vorne ins Visier nimmt.
Die folgende Aufnahme geht in die Richtung, auch wenn sie noch nicht perfekt ist:
Stoewer R-140 Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Der Wagen wirkt hier schon wesentlich attraktiver, dennoch lässt auch diese Aufnahme, die einst bei einer Reise durch die Schweiz entstand, noch Wünsche offen.
Die wenig gelungene Inszenierung der Herren lassen wir mal unkommentiert. Am Auto selbst gibt es nämlich genug zu „beanstanden“, vor allem eines: Irgendwie erscheint der Kühlergrill auch hier etwas bräsig, er könnte dynamischer wirken.
Was ich damit meine, werden Sie gleich sehen. So erkannte man auch bei Stoewer, dass die Frontpartie irgendwie rasanter daherkommmt, wenn man die die Kühlerlamellen noch ein wenig stärker nach oben anwinkelt.
Genau das machte man bei der nächsten Ausbaustufe nur ein Jahr später anno 1934 in Form des R-150. Der besaß nun mit 35 PS aus 1,5 Litern Hubraum eine in der Kompaktklasse achtbare Motorisierung.
Vor allem aber hatte man die Karosserie nun perfektioniert. Das galt zum einen nur für die leicht überarbeitete Kühlerpartie (man vergleiche diese mit der des R-140):
Stoewer R-150 Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Zum anderen hatte man den Türen mit einer Chromleiste optisch gesehen die Höhe genommen. Wir kommen gleich noch darauf zurück.
Aber: „Puh“, mögen Sie jetzt wie der Herr neben dem Auto sagen, „das Foto selbst ist aber noch weit davon entfernt, perfekt genannt zu werden.“
Irgendwie springt der Funke auch hier noch nicht über und das liegt nicht bloß an dem Herrn mit den aufgeblasenen Backen. Vielmehr wird die an sich fast ideale Perspektive durch die geöffnete Tür wieder ruiniert.
Wenn man schon die Tür mit der erwähnten neuen Gestaltung studieren möchte, dann doch eher anhand einer solchen Aufnahme, nicht wahr?
Stoewer R-150 Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
An sich eine unmögliche Aufnahme, wenn man es nur auf das Auto abgesehen hätte. Aber hier war jemandem die Insassin wichtiger und so ist dieses Foto in ästhetischer Hinsicht eine sehr gelungene Komposition.
Damit lässt sich auch trefflich übergehen zum eigentlichen Star des heutigen Blog-Eintrags, denn wie ich zu sagen pflege: Es gibt kein Auto, dessen Wirkung nicht durch die Anwesenheit einer Frau mit Stil profitieren würde.
Das bringt mich zum eingangs Gesagten zurück und zum Titel „Perfekt, wenn plötzlich alles passt“.
Dass sich heute alles in Sachen Stoewer R-150 Cabriolet ganz wunderbar zusammenfügt, sodass am Ende kein Wunsch offenbleibt, das verdanke ich Jörg W. Hitz aus Chemnitz.
Er bat mich nämlich um Identifikation des Autos, mit dem seine Großmutter in den späten 1930er Jahren aufgenommen wurde.
Das war mir nicht nur ein Leichtes, sondern auch ein Vergnügen, denn das ist genau das Foto, welches den Reiz des Stoewer R-150 Cabrios für mich vollkommen vermittelt:
Stoewer R-150 Cabriolet; Originalfoto aus Familienbesitz (Jörg Werner Hitz, Chemnitz)
Für mich ist bereits der Bildausschnitt genial – es sind alle Vorzüge des Autos einbezogen, ohne den gesamten Wagen zu zeigen. Auch der Aufnahmewinkel ist ideal zu nennen.
Und dann diese wunderbar gedankenverlorene Pose der jungen Dame, die den Wagen mit ihrer Präsenz und ihrer Berührung zu einem Teil der menschlichen Sphäre macht.
Ich wage zu behaupten, dass es schwer sein dürfte, das zu übertreffen – jedenfalls, was das „normale“ Cabriolet des Stoewer R-150 betrifft. Denn daneben gab es ja noch das sensationell gezeichnete Sport-Cabriolet, das ich ebenfalls bereits gewürdigt habe (hier).
Bei einer Gesamtstückzahl von wenig mehr als 1.000 Wagen dieses Typs ist aus heutiger Sicht jedes Exemplar bemerkenswert. Nur wie man sieht: Um es wirklich perfekt präsentieren zu können, dazu muss alles zusammenkommen – so wie hier und heute.
Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Wer wird nicht alles diskriminiert heutzutage! Eigentlich fast jeder, hat man den Eindruck.
Nicht nur in politisch korrekten Nachrichtenquellen finden sich fast täglich schlimme Belege dafür – in der Regel vorgetragen von Leuten, die selbst gar nicht betroffen sind, aber sich für die „Diskriminierten“ irgendwie zuständig fühlen.
Keine Minderheit, für die nicht bald irgendeine Gouvernante (m/w/d) zum Sprachrohr wird, um auf angebliches Unrecht aufmerksam zu machen.
Ich muss es wissen, denn regelmäßig werde auch ich zum Opfer von Diskriminierung – nur hat das noch keine Meldestelle beklagt. Also mache ich es selbst. Auf meinen Italientouren mache ich immer wieder dieselbe Beobachtung:
Beim Grenzübertritt in die Schweiz und später nach Italien werde ich jedes Mal als uninteressant aussortiert. Noch nie in all den Jahren hat einer der Uniformträger meinen Dacia „Duster“ herausgewinkt und auf unerlaubte Bargeldbestände, Drogen oder auf dem Index stehende Schriften untersucht.
Dabei lege ich jedesmal die Papiere bereit, drehe die Musik herunter, setze die Sonnenbrille ab und schaue möglichst normal, wenn ich mich der Grenzkontrolle nähere.
Es hilft alles nichts – die diskriminieren mich – systematisch! Um dieses Trauma zu verarbeiten, drehe ich heute den Spieß herum und diskriminiere einfach selbst, aber so richtig!
Der Gegenstand meiner „Unterscheidungs“-Bemühungen (nichts anderes bedeutet Diskriminieren ursprünglich) kann sich nicht mehr wehren, denn er gedieh zuletzt vor 100 Jahren und existiert nur noch auf dem Papier, das bekanntlich duldsam ist.
Das willkommene Objekt, um mein Diskriminierungsbedürfnis auszuleben, fand sich heute in einem Stapel bislang unbearbeiteter Originaldokumente wieder:
Stoewer-Prospekt für die Typen D9 und D12 von 1925; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Während die Lochung dieses Prospekts der Marke Stoewer aus Stettin verkraftbar ist, bereitet mir der Eingangsstempel links oben weit größere Schmerzen.
Das allerdings nicht wegen der optischen Beeinträchtigung, sondern wegen der schieren Dummheit, die sich darin manifestiert. Irgendein bornierter Büroinsasse irgendeiner deutschen Stoewer-Vertretung hat diesen Prospekt wie einen Geschäftsbrief behandelt.
Ich meine, wie dumm muss man sein, um das zu tun? Natürlich musste das Datum des Eintrags „Beantwortet“ offenbleiben.
Schon wegen solcher Sachen werden Leute diskriminiert, und das zurecht. Denn natürlich unterscheidet man in allen Lebenslagen – nicht nur „auf Arbeit“ zwischen Menschen, die ihren Verstand einsetzen und solchen, die maschinenhaft bloß Routinen folgen.
Genug dazu. Ich bin jetzt ganz im Diskriminierungsmodus und werde bis zum Ende des heutigen Blog-Eintrag nicht mehr herausfinden. Machen Sie sich also auf einiges gefasst.
Als Nächstes zu beklagen ist die Diskriminierung, welcher sich die Stoewer-Leute bei der Erstellung ihres 1925er Prospekts selbst schuldig machten:
Stoewer-Prospekt für die Typen D9 und D12 von 1925; Original aus Sammlung Michael Schlenger
HIer wird einfach anhand der Zylinderzahl, des Radstands und der Position des Ersatzrads zwischen den sonst völlig gleichen Schwestermodellen D9 und D12 unterschieden.
Es kommt aber noch dicker: Während der Vierzylindertyp D9 weiterhin als 9/32 PS-Modell angesprochen wird, hat doch tatsächlich einer dem ohnehin privilegierten Sechszylindertyp D12 nachträglich eine Leistungszulage von 45 auf 55 PS genehmigt.
Tatsächlich ist genau das sehr interessant. Denn der Stoewer D12 wird meist mit der Motorisierung 12/45 PS erwähnt – erst die 1925 eingeführte Version D12V mit Vorderradbremse und leicht aufgebohrtem Motor firmierte als 13/55 PS.
Denkbar, dass die stärkere Motorisierung in der laufenden Produktion bereits bei späten Exemplaren des D12 eingeführt wurde, die noch keine 4-Rad-Bremse besaßen. Möglich aber auch, dass man im chronisch klammen Stoewer-Werk keinen neuen Prospekt drucken wollte und einfach die bisherigen Abbbildungen und Angaben weiterverwendete.
Uns bereitet dies großes Vergnügen, denn so werden wir mit Karosserievarianten konfrontiert, die man auf historischen Fotos der Typen D9 und D12 kaum findet:
Stoewer-Prospekt für die Typen D9 und D12 von 1925; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Jedenfalls zeigt meine inzwischen ziemlich umfangreiche „Stoewer“-Galerie – meines Wissens die größte frei zugängliche ihrer Art im Netz – fast ausschließlich Wagen der Typen D9 und D12 mit offenen Aufbauten.
An entsprechenden Fotos dieser beiden Modelle werden wir jetzt als Diskriminierungs-Beauftragte das im gezeigten Prospekt gewonnene Wissen anwenden.
Sie werden sehen: Hat man sich einmal ans Diskriminieren gewöhnt, dann geht es ganz leicht von der Hand und man fühlt sich großartig dabei – los geht’s!
Stoewer D9 9/32 PS Tourer; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Eine ungewöhnliche Aufnahme, beinahe aus der Vogelperspektive. Dass wir hier einen Stoewer D-Typ vor uns haben, werden Sie bereits anhand des gemäßigten Spitzkühlers mit leichter Neigung der Vorderkante festgestellt haben.
Erinnern Sie sich, was im Prospekt zu lesen war? Genau, beim Vierzylindertyp D9 befand sich das Ersatzrad auf der rechten Seite in einer Mulde im Trittbrett. Trotz des kürzeren Radstands war Platz für drei Sitzreihen.
Demnach war beim 6-Zylindertpy D12 nur der Vorderwagen länger, man kann das im Prospekt gut nachvollziehen.
Schärfen wir unsere Diskriminierungs-Kompetenz weiter an Fotos des Stoewer D9. Leser Matthias Schmidt hat hier zwei prächtige Fotos beigesteuert – hier das erste:
Dieser Stoewer D9 wurde einst vor der Festung Königstein in Sachsen aufgenommen, wenn ich es richtig sehe. Nicht zu verwechseln mit der Burg im hessischen Königstein, in deren Schatten ich dereinst als Student Töchtern aus gutem Hause Latein-Nachhilfe gab…
Matthias Schmidt – einer meiner wichtigsten Foto-„Lieferanten“ – wenn ich das so sagen darf, hat in seinem Fundus eine weitere Aufnahme desselben Wagens am gleichen Ort.
Diesmal sehen wir nur den Chauffeur und dieses Foto gefällt mir besonders gut:
Dass der Fahrer mit einem eigenen Porträt gewürdigt wurde, war nach meiner Erfahrung nicht die Ausnahme, eher der Normalfall. Man wusste seine Dienste zu schätzen.
Diese Männer wurden gut bezahlt, denn sie mussten nicht nur den Wagen beherrschen und warten, sondern auch sich den Familienverhältnissen anpassen können und über gute Manieren verfügen. Auch in der Hinsicht wurde halt diskriminiert, was das Zeug hielt.
Freilich gab es in den 1920er Jahren auch vermehrt Selbstfahrer und auf Fotos solcher Herrschaften wird man einen angestellten Chauffeur vergeblich suchen:
Stoewer D12 12/45 PS Tourer; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Diese Aufnahme aus meinem eigenen Bestand entstand einst vor der Ruine von Burg Regenstein in Sachsen-Anhalt, so ist es jedenfalls auf der Rückseite des Abzugs vermerkt.
Lassen Sie sich nicht von den seitlichen Steckscheiben und dem in Wagenfarbe lackierten Kühlergehäuse irritieren – auch das war ein Stoewer-Tourer. Dass wir es nun aber mit einem Sechszylindertyp D12 zu tun haben, das verrät die Position des Ersatzrads.
Es ist nicht auf dem Trittbrett montiert, sondern im Vorderkotflügel eingelassen, wie es der Stoewer-Prospekt beschreibt:
Stoewer D12 12/45 PS Tourer; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Sie sehen, hat man sich einmal ans Diskriminieren gewöhnt, macht die Sache förmlich Spaß und man fühlt sich überhaupt nicht schlecht dabei.
Unterstützt wird man dabei durch objektive Zeugnisse, welche einen darin bestärken, dass es durchaus darauf ankommt, Unterschiede zu erkennen und ihnen Rechnung zu tragen.
So wurde 1925 in einer unbekannten Publikation diese Stoewer-Reklame veröffentlicht, ohne weitere Angabe von Details:
Reklame für den Stoewer D9 9/32 PS von 1924; Original: Sammlung Michael Schlenger
Was sagt hier der Diskriminierungsreflex in Ihrem Kopf? Klarer Fall: Stoewer D9 Vierzylinder mit Ersatzrad auf der rechten Seite, daher hier nicht sichtbar.
Dumm nur, wenn man zwar sicher sein kann, dass man einen solchen Stoewer vor sich hat, aber keinerlei Anhaltspunkte für den genauen Typ hat.
Tja, wenn keine objektiven Unterschiede erkennbar sind, gibt es auch nichts zu diskriminieren. Also bleibt man gelassen und denkt sich – so ein Stoewer D-Typ war doch ein ansehnlicher Wagen, ganz gleich was unter der Haube gewesen sein mag.
Viel interessanter sind in einem derartigen Fall die Typen vor dem Wagen:
Stoewer D9 oder D12 Limousine; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)
Bemerkenswert ist hier, dass dies das erste mir bekannte Foto eines Stoewer des Typs D9 oder D12 ist, das einen geschlossenen Aufbau hat wie im Prospekt.
Kurioserweise besitzt er die gleiche Kühlerfigur wie der D9 Tourer auf dem weiter oben gezeigten Foto aus der Sammlung von Matthias Schmidt. Diese war definitiv nicht markenspezifisch, erfreute sich aber offenbar einiger Beliebtheit.
Vielleicht weiß ein Leser mehr dazu. Dann bitte die Kommentarfunktion nutzen.
Weiter geht es in unserem Diskriminierungs-Lehrgang. Zwar verdient die folgende Aufnahme keinen Preis in Sachen technische Fotoqualität.
Doch ist sie ein schönes Dokument, das vom Selbstbewusstsein zeitgenössischer Autobesitzer zeugt. Von dem Tourer – hier mit aufgespannten Verdeck – ist genug zu sehen, um ihn als Stoewer D-Typ identifizieren zu können:
Stoewer D12 12/45 PS Tourer; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Immer wieder beeindruckt mich, wie diese Autos von den Besitzerfamilien quasi als Kamerad und würdiger Ausdruck ihres Status inszeniert wurden.
Da gab es keine Distanz zu dem technischen Gerät, vielmehr wurde es wie ein Möbelstück des eigenen Daseins aufgefasst, dessen Nähe und Bequemlichkeit man schätzte.
Das ist inzwischen völlig verlorengegangen, seitdem man nicht mehr auf dem Trittbrett sitzen oder sich genüsslich auf der Motorhaube räkeln kann, wie das die Autos der Nachkriegszeit noch lange ermöglichten.
Beinahe hätte ich es vergessen: Was war das noch einmal für ein Stoewer? Typ D12 mit in den vorderen Kotflügeln eingelassenen Ersatzrädern – richtig!
Sie entwickeln bedenkliche Fähigkeiten im Diskriminierungsfach, liebe Leser.
Als einstiger Nachhilfelehrer lasse ich mich jedoch nicht so leicht beeindrucken. Geübt wird, bis die Sache sitzt, damit wir uns recht verstehen. So habe ich das selbst gelernt.
Also eine weitere Aufgabe zwecks Erprobung des Gelernten:
Stoewer D9 9/32 PS Tourer; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Wenn Sie hier spontan denken: „Tolle Aufnahme eines Stoewer mit offener Motorhaube – aber mussten die Figuren davor wirklich sein?„, dann diskriminieren Sie ja schon wieder.
Solche Gedanken gehen uns nun einmal durch den Kopf und das ist uns angeboren, also muss es sich überwiegend bewährt haben. Aber wir können damit auch durchaus rational umgehen. Also schauen wir noch einmal hin.
Die Dame mit dem unsäglichen Sackkleid (wer hat das in den 20ern eigentlich erfunden) sieht ganz freundlich aus, sie hat sich bloß der Mode unterworfen. Das lässt sich vermeiden, wenn man etwas Selbstreflektion betreibt.
Der kleine Bub auf dem Trittbrett wirkt bloß wegen der verunglückten „Frisur“ auffällig. Er kann nichts dafür, dass seine sehr vermögenden Eltern meinten, dass es völlig egal sei, wie er aussieht. Sein freches Lachen lässt erkennen, dass ihm das nichts ausmachte.
Dann das Mädchen vor dem Hinterrad – sie fühlt sich sichtlich unwohl. Denn sie ist eine Hübsche, die später einmal den Männern den Kopf verdrehen wird. Warum nur muss sie eine solches absurdes Kleid tragen? Wer hat sich das ausgedacht?
Diese Frage stellt sich umso mehr, als die Herren in den 1920ern meist weitgehend im Stil der Vorkriegszeit gekleidet blieben. Die Hemdkragen wurden weniger steif und die Bärte wurden eingehegt oder beseitigt, aber sonst blieb man würdevoll.
Lassen wir das, ich verstehe es einfach nicht, was da passiert ist, zumal die Damenmode wenig später die Kurve kriegte und ab 1930 sehr attraktive Schnitte zuwegebrachte.
Kehren wir zurück zu dem Stoewer, sicher haben Sie ihn längst identifiziert. Es war ein Vierzylindertyp D9, doch hier haben wir die ganz seltene Gelegenheit, das mit einem Blick unter die Haube zu überprüfen:
Stoewer D9 9/32 PS Tourer; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Schaut man genau hin, sieht man vier Zündkabel, welche die Zündkerzen des niedrig bauenden 2,3 Liter-Motors mit der benötigten Spannung zum rechten Zeitpunkt versorgten.
So schön es ist, in seinen Vorurteilen bestätigt zu werden, so wichtig ist es, dieselben immer wieder auf die Probe zu stellen – Voraussetzung für fundierte Diskriminierungs-Kompetenz.
Daher kann ich an diesem Punkt nicht Schluss machen. Zwar ist es lange nach Mitternacht und meine Katzenfreundin Ellie ist aus dem Garten zurückgekehrt und wärmt sich nun unter der „Bankers Lamp“ auf meinem Schreibtisch.
Doch gerade hat sie den Vorderlauf ausgestreckt und die Pfote deutet auf Seite 524 von Werner Oswalds Klassiker „Deutsche Autos 1920-1945“ in der Neuausgabe von 2019, die aufgeschlagen rechts neben mir liegt.
Dort sind die technischen Daten der Stoewer-Typen der 1920er Jahre aufgelistet, wenn auch nicht fehlerfrei. Aber egal, die grundsätzliche Richtung stimmt, und wir Vorkriegsauto-Freunde müssen über jede Neupublikation in der Hinsicht sein. Wir werden nicht mehr.
Also erproben wir für heute ein letztes Mal unsere Diskriminierungs-Fähigkeiten – zunächst anhand dieser Stoewer-Reklame von 1925:
Reklame für den Stoewer D12 12/45 PS von 1925; Original: Sammlung Michael Schlenger
Muss ich zu dieser Anzeige viele Worte verlieren? Sie wissen diese inzwischen sicher einzuordnen: Ein Stoewer mit Spitzkühler und flacher Frontscheibe und in die Vorderkotflügel integrierten Ersatzrädern – das muss ein 6-Zylindertyp D12 sein!
Schön, wie man nach 100 Jahren souverän solche Unterscheidungen zu machen vermag! Das Diskriminieren in dieser Hinsicht ist die Voraussetzung, um überhaupt etwas mit diesen Relikten anfangen zu können.
So kommen wir für heute ans Ende und nehmen uns zum Schluss folgendes Exemplar vor, das wiederum auf einem Foto von Leser Matthias Schmidt überliefert ist:
Dieser Stoewer gehörte der Unternehmerfamilie Mäurich (Dresden) und wurde im Mai 1926 auf der Fahrt nach Bad Schandau fotografiert.
Das dürfen wir als zutreffend annehmen, bloß den genauen Wagentyp müssen wir schon selbst ermitteln. Hier kommen uns die erprobten Kompetenzen zupass:
Der leicht geneigte Spitzkühler ist typisch für Stoewer-Wagen der Zeit vom Ende des 1. Weltkriegs bis 1925. Die flache (nicht mehr geknickte) Frontscheibe ist ein Merkmal der D-Typen ab 1924.
Den entscheidenden Hinweis gibt das in den Vorderkotflügel eingelassene Ersatzrad in Verbindung mit der langen Motorhaube. Das muss ein Sechszylinder sein! So verhält es sich höchstwahrscheinlich bei aller nach so langer Zeit gebotenen Vorsicht.
Man sieht: Es kann schon seine Richtigkeit haben, wenn systematisch diskriminiert wird – es muss bloß sachlich begründet sein, damit Unterscheidung nicht zu unangebrachter Benachteiligung oder Begünstigung führt.
Alles und alle gleich zu behandeln, kann die größte Ungerechtigkeit sein.
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Von einem feinen Rotwein und eigenständigem Denken abgesehen, brauchen nur wenige Dinge etwas Zeit zum Reifen.
Der klassische Stil im alten Griechenland entwickelte sich nicht zäh und unter Rückschlägen aus archaischen Vorläufern – er war vielmehr plötzlich fast vollkommen da. Ähnliches gilt für Gotik oder Renaissance – es gibt keine Zwischenstadien mit allmählichen Übergängen.
Einige genial Begabte schufen damals oft in kürzester Zeit etwas radikal Neues. Noch der Jugendstil ist so ein Phänomen – beinahe über Nacht taucht er auf, bevor er nach kurzem Eroberungsfeldzug mit dem 1. Weltkrieg erlischt.
Dass großartige Dinge oft unter großem Druck binnen unglaublich kurzer Zeiträume entstehen, diese Beobachtung macht man in so unterschiedlichen Feldern wie der Musik (z.B. Mozarts 21. Klavierkonzert), Literatur (z.B. Jack Kerouacs Nachkriegsepos „On the Road“) oder Luftfahrt (z.B. die Entwicklung der Boeing 747 „Jumbo“).
So wie ein effizientes Unternehmen eher zuwenige als zuviele Mitarbeiter hat, muss für kreative Dinge oft eher zuwenig als zuviel Zeit zur Verfügung stehen. Meine Kategorie „Fund des Monats“ hebt sich nicht zuletzt auch dadurch positiv von meinen sonst langatmigen Episteln ab, dass ich die Beiträge meist kurz vor Mitternacht am Monatsultimo herunterschreibe. Ich bin so gezwungen, wirklich auf den Punkt zu kommen.
Auch in der Frühzeit des Automobilbaus fällt einem die Atemlosigkeit auf, mit der die Entwickler in Europa, dann in den USA, rastlos an der Fortentwicklung dieser Erfindung arbeiteten.
Ein entsprechendes Klima scheint mir hierzulande längst abhandengekommen zu sein. Eine Volkswirtschaft, in der ernsthaft Stuhlkreise zur Work-Life-Balance und anderen Modethemen eingerichtet werden – natürlich während der Arbeitszeit – die ist erledigt.
Nichts gegen die erwähnte Balance zwischen Anspannung und Entspannung, doch die ist unter Wettbewerbsbedingungen am Weltmarkt 100%ige Privatsache. Bei gerade einmal 35 Stunden Wochenarbeitszeit plus sechs Wochen Jahresurlaub hat jeder Zeit, seine privaten Belange in den Griff zu bekommen. Im Job dagegen ist 100% Einsatz gefragt – dort gibt es nur weniges, was wirklich Zeit zum Reifen braucht.
Wie sah das eigentlich aus, wenn man sich vor rund 110 Jahren etwas Zeit zum Reifen im Automobilbau gönnte?
Weil Sie hier ja auch etwas lernen und sich nicht nur auf meine Kosten unterhalten sollen, will ich das heute am Beispiel der Marke Stoewer aus Stettin illustrieren. Dabei kann ich mich wieder auf die Unterstützung unermüdlicher Sammlerkollegen verlassen.
Den Anfang will ich mit diesem Stoewer von anno 1910 machen, der auf einem Foto aus der Sammlung von Matthias Schmidt (Dresden) auf das Schönste abgelichtet wurde:
Stoewer von 1910 (wohl Typ LT4), Besitzer: Maschinenfabrikant A. Stigler (Bayern); Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)
Hier sehen wir die kleine, aber enorm anpassungsfähige Firma Stoewer an einer für alle deutschen Autohersteller wichtigen Wegmarke. Im Jahr 1910 führten nämlich alle mir bekannten Fabrikate hierzulande eine in gestalterischer Hinsicht wichtige Neuerung ein.
Die Rede ist von der „Windkappe“, ein auch als „Windlauf“ oder bisweilen „Torpedo“ bezeichneter Blechaufsatz zwischen der noch waagerecht verlaufenden Motorhaube und der Trennwand zum Innenraum.
Dieses Element findet sich ab 1907/08 zunächst im Rennsport und diente der besseren Aerodynamik und damit höheren Geschwindigkeit. Im Serienbau setzte sich dieses Bauteil wie gesagt ab 1910 durch, am konsequentesten im deutschsprachigen Raum.
Der solchermaßen modernisierte Stoewer war wahrscheinlich ein Wagen des Typs LT4 mit 1,6-Liter-Vierzylinder, der angeblich 20 PS leistete, was mir aber etwas zuviel vorkommt.
Schon ein Jahr später, anno 1911, brachte Stoewer die neuen Typen der B-Reihe heraus, deren Motorisierungen nun von 1,6 Liter bis 5 Litern reichten.
Hier haben wir einen Vertreter des 1,6 Liter-Typs B1 (16 PS) eventuell auch des 2,3-Liter-Modells B2 (22 PS):
Stoewer B-Typ von 1911/12; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)
Typisch für die kleineren B-Modelle von Stoewer, die bis etwas 1912 gebaut wurden, scheinen die geknickt ausgeführten Vorderkotflügel gewesen zu sein.
Dieses Element hätte ich eher in der Zeit kurz nach dem 1. Weltkrieg vermutet, aber mitunter zeigt sich, dass bestimmte Phänomene bereits frühere Vorläufer hatten – sie brauchten offenbar doch etwas Zeit zum Reifen.
Dass die markante Kotflügelgestaltung des Stoewer auf obigem Foto nicht dem Spleen eines einzelnen Kunden entsprang, dafür spricht diese Reklame für einen Stoewer der B-Reihe von 1911/12:
Stoewer-Reklame für die Baureihe B von 1911/12; Original: Sammlung Michael Schlenger
Jedenfalls findet sich dieses Gestaltungsdetail bei der nächsten Entwicklungsstufe – den ab 1913 gebauten Modellen C1 und C2 – nicht mehr.
Sie deckten mit 1,6 bzw. 2,4 Litern ein ähnliches Hubraumspektrum ab wie die kleine B-Typen. Bei der Leistung hatte man unterdessen Fortschritte gemacht.
Hier haben wir eine Originalreklame, welche den Stoewer C1 mit 18 PS zeigt:
Reklame für den Stoewer Typ C1 6/18 PS aus der Zeitschrift „Motor“ von März 1914; Original: Sammlung Michael Schlenger
Den großen Bruder dieses wackeren Stoewer – den Typ C2 mit beachtlichen 28 PS – finden wir im Folgenden auf drei Abbildungen. Sie veranschaulichen, dass Stoewer in der kurzen Zeit ab 1910 einen beachtlichen Reifeprozess durchlaufen hatte.
Den Anfang macht diese recht verbreitete, da in der Nachkriegszeit vom Verkehrsmuseum in Umlauf gebrachte Ansichtskarte. Sie zeigt einen Stoewer C2 – wohl basierend auf einem zeitgenössischen Verkaufsprospekt von 1913/14:
Noch besser als bei der Reklame für den Stoewer Typ C1 6/18 PS erkennt man hier die neue Gestaltung der Vorderkotflügel sowie die markante Ausführung der Frontscheibe, welche beinahe wie auf den oben erwähnten Windlauf aufgesetzt erscheint.
Beide Elemente finden sich – ebenso wie die inzwischen leicht ansteigende Motorhaube – auf dem folgenden Foto, das mir wiederum Matthias Schmidt aus Dresden in digitaler Form zur Verfügung gestellt hat:
Stoewer Typ C2 10/28 PS von 1913/14; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)
Nun wissen Sie sicher, weshalb ich so auffallend darauf bestanden habe, dass zumindest manche Dinge „etwas Zeit zum Reifen“ benötigen.
Wann im Fall dieses Exemplars die Pneus geliefert wurden, das ist schwer zu sagen. Tatsächlich war es vor dem 1. Weltkrieg nicht unüblich, dass ein Automobil noch ohne Zubehör, wie beispielsweise die Beleuchtungsausstattung, erworben wurde.
Die Montage des Zubehörs oblag dann dem Autohaus, wobei auf übliche Zulieferer zurückgegriffen wurde. Im vorliegenden Fall scheinen immerhin die Gaslampen und der zugehörige Gasentwickler (der hohe Kasten auf dem Trittbrett) geliefert worden zu sein.
Während noch etwas Zeit für die Reifen benötigt wurde, könnte der ansonsten ladenneue Stoewer im Hof des Autohauses gestanden haben. Geben wir der Sache etwas Zeit zum Reifen und schauen dann noch einmal nach.
Kurioserweise gibt es ein zweites Foto desselben Typs – wenn auch nicht desselben Autos – in einer ähnlichen Situation. Dieses stammt aus der Sammlung von Leser Klaas Dierks:
Stoewer Typ C2 10/28 PS von 1913/14; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks
Im ersten Moment glaubte ich, dass die Wagen identisch seien, doch wenn Sie genau hinsehen, werden Sie einige Unterschiede bemerken, die nicht nur der Beleuchtung oder dem anderen Standort geschuldet sind.
Dabei werden sie aber eines ganz gewiss feststellen: Auch dieser Stoewer brauchte erkennbar noch etwas Zeit zum Reifen.
Das war jedoch nicht die Schuld der kleinen, aber feinen Firma aus Stettin, die in den rasanten Jahren der Entwicklung vor dem 1. Weltkrieg ein phänomenales Tempo hinlegte und stets unter großem Druck stehend, sehr erfolgreich mit der Zeit ging.
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Mitunter bringt einen das aktuelle Zeitgeschehen dazu, über zeitlos Aktuelles zu sinnieren. Gelegenheit dazu bietet sich dieser Tage reichlich, meine ich.
Diesmal geht es um den Unterschied zwischen charakterlosen Typen und Typen mit Charakter. Wie ich gerade jetzt darauf komme, mag sich jeder selbst ausmalen.
Jedenfalls kennt wohl jeder den Typus des geländegängigen Opportunisten, des smarten Slalomfahrers, der allen Hindernissen geschickt ausweicht, um ans Ziel zu gelangen – in der Regel eines, das entgegen hehren Bekundungen eng ans Ego geknüpft ist.
Nichts gegen das Ego und damit verbundene Ziele. Doch finden sich bisweilen auch Naturen, denen auf ihrem persönlichen Weg das Geschmeidige weniger liegt, die keine Konfrontation scheuen und sich gern auch robuster Methoden (oder Rhetorik) bedienen.
Dieser Typus des Kämpfers ist selten Sympathieträger, aber oft einer, der sich Anerkennung dadurch erwirbt, dass er sich treu bleibt und auf eine schroffe Weise authentisch ist, die ihn glaubwürdiger macht als die biegsameren Karrieristen, welche allzuoft das Rennen machen.
Wie gesagt, Beispiele für beide Typen – den charakterlosen Mollusken und den robust-aneckenden Charakter – finden sich zu allen Zeiten.
Und da es an Typen ohne Charakter in unseren Tagen leider nicht mangelt, wir uns hier aber vor allem an positiven Beispielen erbauen wollen, beschränke ich mich im Folgenden auf einen Vorkriegstypen, bei dem man spontan ausrufen möchte: „Der hat Charakter!“
Stoewer Typ R-140, viertürige Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Na, was denken Sie über diesen Typen? Nun, bezogen auf den Herrn neben dem Wagen. der sich im Januar 1938 hat ablichten lassen, ist wohl soviel konsensfähig:
Gut betucht und nicht öffentlichkeitsscheu, selbstbewusst, aber im persönlichen Umgang vielleicht nicht der angenehmste. Auf jeden Fall einer, der weiß, wo es lang geht und dabei ungewöhnliche Wege nicht scheut – und sei es bei der Wahl seines Wagens.
Denn dieses nur auf den ersten Blick konventionelle Auto gehörte in der ersten Hälfte der 1930er Jahre zu den modernsten deutschen Autos der unteren Mittelklasse. Das waren in technischer Hinsicht insbesondere die Fronttriebler von Adler und Stoewer.
Während die Marke aus Frankfurt am Main sich einer gut geölten Großserienproduktion bedienen konnte, um ab 1932 den 1,5 Liter-Typ Trumpf an den Mann zu bringen, blieb die unverwüstliche Traditionsmarke Stoewer aus Stettin der Manufaktur verhaftet.
Dennoch hatte sie das Kunststück vollbracht, mit dem Typ V5 anno 1930 noch vor DKW Deutschlands ersten frontgetriebenen Serienwagen vorzustellen, was gern vergessen wird.
Der Stoewer R-140, den wir auf dem Foto sehen, war dann der erheblich verbesserte, weit stärkere und besser aussehende Nachfolger. Er kam 1932 mit 25 PS aus 1,4 Litern auf den Markt, doch schon 1933 hatte man den Motor auf 1,5 Liter (30 PS) vergrößert.
Ob die Höchstgeschwindigkeit von angeblich 85 km/h davon tatsächlich unberührt blieb, wage ich angesichts der Konkurrenz von Adler zu bezweifeln. Immerhin gab es laut Literatur eine sportlich abgestimmte Version mit angemessener Spitze 100 km/h.
Die viertürige Ausführung, welche auf dem Foto zu sehen ist, erschien 1934. Dass Stoewer diese Limousine zu fast demselben Preis anbieten konnte wie Adler sein Modell Trumpf, ist erstaunlich.
Geschuldet war es vielleicht dem Verzicht auf gefällige Details, ein weniger geschmeidiges Finish und ein robusteres Auftreten, was Laufkultur und Fahreigenschaften angeht.
Aber das machte womöglich gerade den Unterschied: Das war ein Typ mit Charakter!
Und wie eine zweite Aufnahme zeigt, war das ein Typ, der nicht nur in der Welt der gelackten Schuhe auf Anklang stieß, sondern auch keine Berührungsängste hatte, was die Welt der harten und schmutzigen Arbeit angeht, wo dennoch auf Ordnung Wert gelegt wird:
Stoewer Typ R-140, viertürige Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Mir sind solche ehrlichen Charaktertypen mit manchen Kampfspuren und Dellen, vielleicht auch dem einen oder anderen offensichtlichen Mangel lieber als perfekt gestylte Vertreter, bei denen man nicht weiß, woran man ist – bis man feststellt, dass das Äußere reines Blendwerk ist und sich dahinter Leere oder abgründige Absichten verbergen…
Die echten Charaktertypen sind heute so rar gesät wie einst und ich wage es zu bezweifeln, dass mehr als ein Dutzend dieser Stoewer-Frontantriebstypen mit viertürigem Limousinenaufbau noch unter uns weilen…
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Sitzenbleiben ist keine Schande – nicht in allen Lebenslagen ist es ratsam, sich durch besonderen Eifer vor anderen hervorzutun.
Wer einst eine Ehrenrunde in der Schule eingelegt hat und heute dennoch auf eigenen Füßen steht, weiß: Es kann großartig ausgehen, einmal das Klassenziel verfehlt zu haben.
Zur Klarstellung: Ich rede hier nicht von mir. Man hat mir die Noten hinterhergeworfen – keine Kunst an hessischen Schulen, sofern man nicht gerade faul war.
Meines Wissens ist aus allen Faulenzern meiner Generation an der Augustinerschule in Friedberg/Hessen etwas geworden. Es war ein Gymnasium ohne besonderen Anspruch, aber die Eltern meiner Schulkameraden waren erfolgreiche Leute. Das überträgt sich meist.
Unter den harten Bedingungen des Markts dagegen ist es fatal, das Klassenziel zu verfehlen, dort hat man meist nur eine Chance, seine wahre Größe unter Beweis zu stellen.
Genau daran scheiterten viele deutsche Autohersteller spätestens Ende der 1920er Jahre und um ein Haar hätte es auch die altehrwürdige Firma Stoewer aus Stettin erwischt.
Die meisten Fabrikate wurden nach wie vor in reiner Manufaktur hergestellt. Und Firmen wie Brennabor und Opel, die auf Fließbandfertigung umgestellt hatten, erreichten nicht annähernd die Effizienz europäischer Konkurrenten wie Austin in England, Citroen in Frankreich oder Fiat in Italien – von den führenden US-Herstellern ganz zu schweigen.
Stoewer – nach wie vor unter Kontrolle der Gründerfamilie – gelang es damals, sich durch eine abenteuerliche, aber stets kreative Modellpolitik durchzumogeln. Das verdient unsere Sympathie, gerade weil man auch aus Fehlern lernte.
Ein Produkt solcher Fehlentscheidungen habe ich einst anhand dieses Beispiels vorgestellt:
Stoewer Typ F6; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Schön, nicht? So großartige Ergebnisse kann es zeitigen, wenn man das Klassenziel verfehlt.
Das Auto, das wir hier sehen, war ein Stoewer des Vierzylindertyps 6/30 PS, welcher 1927/28 in 800 Exemplaren entstand. Etwas mehr als ein Auto dieses Typs mit 1,5 Liter Motörchen wurde also pro Arbeitstag fertiggestellt.
Maximal Tempo 75 war mit so einem Wagen drin – selbst auf damaligen Straßen zuwenig, um den Stoewer als Reisegefährt zu qualifizieren. Daher wird in der einschlägigen Literatur versucht, den Stoewer F6 6/30 PS als „kleines“ Modell der Marke darzustellen.
Dass dies Unsinn ist, lässt sich anhand der Abmessungen (Radstand: 2,85 Meter) und vor allem dieser Aufnahme nachvollziehen, welche mir Leser Klaas Dierks in digitaler Form zur Verfügung gestellt hat:
Stoewer Typ F6; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks
„Großartig – aber Klassenziel verfehlt!“ – das passt hier perfekt. Eine Spitzenaufnahme dieses nur selten dokumentierten Wagens aus dem Hause Stoewer.
Eine Limousine mit Sechsfensteraufbau, das soll ein „kleines Modell“ sein? Entschuldigung, aber hier muss ich den Urhebern dieses Urteils sagen: „Setzen. Klassenziel verfehlt!“
Zwar habe ich kein Problem mit „zu groß“ geratenen Autos – ich fordere aus Nutzerperspektive bloß, dass sie dann auch preislich konkurrenzfähig sein sollten.
Das war beim Stoewer F6 6/30 PS nicht annähernd der Fall. Für die viertürige Limousine wurden anno 1928 sagenhafte 6.950 Reichsmark aufgerufen.
Ein gleichstarker Chevrolet 11/30 PS kostete damals in Deutschland als Viertürer bloß 4.895 Mark. Und Ford rief für seine 4-türige Limousine „Fordor“ nur 4.400 Mark auf. Dabei hatte man die Wahl zwischen einer knapp 30 PS leistenden gedrosselten Version und dem 40 PS starken Original mit drehmomentstarkem 3,3 Liter-Aggregat.
Angesichts dieser Wettbewerbssituation fragt man sich, wie Stoewer überhaupt 800 Wagen seines teuren „Kleinwagens“ des Typs F6 6/30 PS absetzen konnte.
Das einzige Argument war aus meiner Sicht ein um 15-20 Zentimeter längerer Radstand, der etwas größerer Aufbauten erlaubte als bei der US-Konkurrenz. Zudem bot der deutsche Anbieter Wanderer seinen ähnlich dimensionierten Typ 6/30 PS noch teurer an – dessen viertürige Limousine kostete satte 7.500 Mark.
Also gilt auch hier „Großartig“!, aber leider „Klassenziel verfehlt“, denn eine Sechsfenster-Limousine war Ende der 1920er Jahre mit 30 PS klar untermotorisiert und dafür war der Stoewer heillos überteuert.
Immerhin erkannten die Gebrüder Stoewer bald, dass sie mit dem Typ F6 6/30 PS auf dem Holzweg waren. Für einen Manufakturhersteller war es rational, sich stattdessen auf das lukrative Geschäft mit 8-Zylinder-Luxuswagen zu verlegen.
Dass Stoewer sich in diesem anspruchsvollen Segment gegen die Konkurrenz von bspw. Horch über Wasser hielt, verdient Bewunderung – aber das ist eine andere großartige Geschichte, in der man das Klassenziel definitiv nicht verfehlte…
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„Sex sells“, das wussten die Werbeleute schon vor weit über 100 Jahren. Schauen Sie einmal in alte Reklamen der Zeit vor dem 1. Weltkrieg – da wurde einiges auf dem Sektor geboten und das oft ohne nackte Haut.
Gern gezeichnet und gern betrachtet wurden Damen in knackig engen Kleidern, die wenig Fragen in figurtechnischer Sicht offenließen. Zeitgenössische Fotos – speziell aus Paris – belegen, dass man damit ziemlich nahe an der Realität der Oberschicht war.
Der Ästhet wusste und weiß die Andeutung bisweilen mehr zu schätzen als nackte Tatsachen. Ich bekenne, dass ich die kurvenreiche Linienführung der Bleistiftröcke der 1940er bis 50er Jahre aufregender finde als die Hotpants unserer Tage – wenngleich ich unbedingt für deren Erhalt als aufgeklärtes Gegenbild zu Burka & Co. eintrete.
Was nun die Herren der Schöpfung betrifft, möchte ich außerhalb der Museumsgalerien mit nackten antiken Heroen möglichst wenig Nuditäten sehen. Die Grenze des gerade noch Stilvollen hat für mich einst der US-Filmstar Tom Selleck als Privatdetektiv „Magnum“ markiert – er hat sogar das Hawaiihemd mit Brusthaar geadelt.
Eine Athletenfigur mit Intelligenz und Witz kombiniert – das lässt sich aushalten, meine ich. Genau darum geht es heute auf den Spuren der deutschen Vorkriegsmarke Stoewer, oder haben Sie an etwas anderes gedacht?
Für die Intelligenz waren die Eigentümer dieses für mich großartigsten aller deutschen Nischenhersteller zuständig. Sie schafften es, von anno 1900 bis 1945 mit Kleinserienfahrzeugen zu überleben und sich dabei immer wieder neu zuerfinden.
Den Witz steuert heute Leser (und mannigfaltiger Markenexperte) Wolfgang Spitzbarth bei. Er schrieb mir kürzlich „Noch nie sah ich einen Stoewer – auf Foto oder Werbung – mit einer derart unendlich langen Motorhaube.“ und postulierte gigantische Lenkkräfte für den Fall, dass sich darunter tatsächlich das zu vermutende Riesenaggregat verbarg.
Die augenzwinkernde Bemerkung bezog sich auf dieses beeindruckend dimensionierte Gefährt, das ihm in einer Kiste mit Autofotos in die Hände gefallen war:
Stoewer „8“ Typ 15/80 PS „Gigant“ Sport-Cabriolet; Originalfoto via Wolfgang Spitzbarth
Dieses „Luxusproblem“ von Herrn Spitzbarth, der gerne wüsste, womit genau wir es bei diesem Monstrum zu tun haben, das hätten wir natürlich alle gern – sei es als Foto, sei es (völlig utopisch…) als Original im Maßstab 1:1.
Zurecht vermutete er, dass wir es mit einem der Achtzylinder von Stoewer zu tun haben, mit denen der Stettiner Manufakturbetrieb Ende der 1920er Jahre der sächsischen Luxusmarke Horch Konkurrenz machte – zwar nicht in punkto Stückzahlen, aber im Hinblick auf das Prestige allemal.
Bei Stoewer wusste man genau, wie man neben repräsentativ und großbügerlich wirkenden 8-Zylinder-Limousinen auch „sexy“ wirkende Cabriolets für die Playboys jener Zeit kreierte.
Dabei half vor allem ein Kunstgriff – eine ans Absurde grenzende, extrem niedrige Frontscheibe. Dadurch verschieben sich die Proportionen völlig, wie auf dem heute vorgestellten Foto zu erkennen ist.
Nur der Herr neben dem Auto lässt erkennen, dass der Wagen von den Abmessungen her nicht ganz so gigantisch war, wie es auf den ersten Blick erscheint.
Und doch haben wir es mit einem veritablen Giganten zu tun, behaupte ich, nämlich mit dem Spitzenmodell G15 15/80 PS, welches vom Hersteller als „Gigant“ vermarktet wurde.
Hier haben wir das Prachstück auf einem zeitgenössischen Zigaretten-Sammelbild:
Stoewer Typ G15 15/80 PS „Gigant“; originales Zigaretten-Sammelbild aus Sammlung Michael Schlenger
Mag sein, dass das von Wolfgang Spitzbarth entdeckte Exemplar karosserieseitig noch ein wenig radikaler gehalten war – doch für mich liegt es auf der Hand, dass wir es mit solch einem Stoewer „Gigant “ zu tun haben.
Es fiel wohl jedes Exemplar im Detail individuell aus, wofür eine zeitgenössische Reklame spricht, welche ebenfalls einen Stoewer dieses Typs mit Aufbau als 2-Fenster-Cabriolet zeigt:
Stoewer Typ G15 15/80 PS „Gigant“; originale Reklame (ohne Herkunftsangabe) aus Sammlung Michael Schlenger
Das ist ja alles ganz großartig, mögen Sie jetzt sagen – geradezu gigantisch, was Stoewer einst ohne Hilfe von außen in Sachen Achtyzlinder auf die Beine gestellt hatte.
Aber was ist denn nun mit der nackten Athletengestalt, welche ich so wortreich in Aussicht gestellt hatte?
Nun, die wartete einige Jahre in meinem Fundus auf ihren Einsatz, und dank Wolfgang Spitzbarths Fund habe ich jetzt die Gelegenheit, sie auf die Menschheit loszulassen:
Stoewer-Reklame (ohne Herkunftsangabe) aus Sammlung Michael Schlenger
Ich hoffe, Sie sind jetzt nicht enttäuscht, aber der grimmige Speerträger macht hier seine Sache doch ganz gut, oder?
Ok, der Bezug zum Stoewer mag etwas bemüht erscheinen, aber aufmerksamkeitsstark war diese Werbung allemal. Klar, die Klassik ist auch in dieser Hinsicht unübertroffen – bei den alten Griechen wäre diese Figur vermutlich bestenfalls als Lehrlingsstück durchgegangen.
So ist das mit gestalterischen Schöpfungen, die sich nicht verbessern lassen, weil längst die Idealform gefunden wurde – nehmen Sie als Beispiel die Violine, an der zum Glück auch keine jungen Wilden sich mehr versuchen (die können ja die E-Gitarre neu interpretieren).
Und so verhält es sich für mich auch mit den auf die Spitze getriebenen Formen im Karosseriebau der 1930er Jahre. Diese Entwicklung ist ebenfalls abgeschlossen und es liegt an uns, die Erinnerung an diese Meisterwerke aufrechtzuerhalten und so immer wieder für neue Bewunderung oder auch Irritation zu sorgen.
Fast hätte ich es vergessen: unser strammer Nackter ist neben exakt dem Stoewer-Modell abgebildet, welches Wolfgang Spitzbarth für uns auf einem alten Foto aufgetan hat. Vermutlich hat er sich es nicht träumen lassen, was ich aus seinem Fotofund mache.
Sollte sich jemand irgendwie pikiert fühlen (man weiß ja nie, wo jemandes Grenzen des schlechten Geschmacks liegen), übernehme ich wie immer die volle Verantwortung dafür und gelobe, bei Gelegenheit genau so weiterzumachen…
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Genug von den 20er Jahren? Ist es das, was Sie vielleicht denken? Natürlich nicht in Bezug auf die Gegenwart – es ist ja alles perfekt wie nie zuvor in unseren Tagen, nicht wahr?
Aber die 1920er, die werden in meinem Blog vielleicht dem einen oder anderen zuviel. Auch wenn ich diesen unbeabsichtigten Schwerpunkt erklären kann:
Die 30er haben zwar die großartigeren Karosserie-Kreationen hervorgebracht – doch die Markenvielfalt war schon damals infolge der Auslese der Weltwirtschaftskrise arg reduziert.
Gleichzeitig bietet die Frühzeit bis zum 1. Weltkrieg zwar die größte Auswahl an Konzepten und Fabrikaten, doch aufgrund der geringen Stückzahlen ist das noch vorhandene Material nicht so umfangreich – so ergibt sich ein natürlicher Fokus auf die 20er Jahre.
Dennoch soll es heute um eine andere Ausprägung von 20 Jahren gehen – nicht als Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, sondern schlicht als Zeitraum von 20 Jahren.
Paradoxerweise wird die Welt in diesem Zeitraum zwar einmal auf den Kopf gestellt – doch eine Konstante begleitet uns dabei und bleibt erstaunlich auf der Höhe der Zeit.
Das Auto, das sich als „gut genug für 20 Jahre“ erwies, war der 1935 eingeführte Stoewer „Greif“ – anfänglich als „Greif Junior“ bezeichnet. Die aus der Insolvenzmasse von Röhr übernommene Konstruktion stammte ursprünglich von Tatra und ist kaum noch bekannt:
Ein luftgekühlter Vierzylinder mit 34 PS – war das nicht die Spezifikation des VW Käfer ab den 1960er Jahren? Nur mit dem Unterschied, dass der Hubraum 1,5 Liter statt 1,2 Liter beim VW betrug und der Stoewer „Greif“ nur 100 km/h schnell war – verglichen mit knapp 120 km/h beim Käfer (mein gut eingestellter 1200er schaffte das jedenfalls).
Aber: Anno 1935 gab es den VW nur als Vorserienexemplar und mit sparsamen 22 PS aus 1 Liter Hubraum. Damals war Stoewers Greif also eindeutig das bessere Auto und zudem tatsächlich zu kaufen, wenn auch für den Normalbürger unerschwinglich.
Dass der „Greif“ von Stoewer gut genug für die nächsten 20 Jahre war, das will ich mit einer Bilderserie illustrieren – die entgegen sonstiger Gewohnheit mit wenigen Worten auskommt.
Dabei unternehmen wir zugleich eine Zeitreise durch 20 Jahre deutscher Geschichte. Stellen Sie sich auf einige erstaunliche Begegnungen ein. Den Anfang macht diese elegante Limousine mit Berliner Zulassung:
Das Modell gab es außerdem als schicke Cabriolet-Limousine mit besonders schnittiger Optik, wie an diesem Exemplar aus Süddeutschland zu besichtigen:
Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Doch auch ein vollwertiges Cabriolet ohne die feststehenden Seitenteile der Cabriolimousine war zu bekommen – hier ein Beispiel wiederum aus dem Raum Berlin:
Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Ein adrettes Automobil war das, finden Sie nicht? Dabei kennt ihn heute kaum einer mehr.
Der Stoewer Greif wurde sogar in einem zeitgnössischen Tankstellenaushang eigens hervorgehoben – und zwar in ziemlich rasanter Form – bei dem es um Kraftstoffe für die damals in Deutschland gebräuchlichen Autotypen ging:
Standard-Reklame mit Abbildung einer Stoewer „Greif“-Limousine; Original: Sammlung Michael Schlenger
Eine weitere Aufnahme aus meinem Fundus zeigt wieder eine im Raum Berlin zugelassene Limousine dieses Typs. Hier gefällt mir vor allem der unzeitgemäße Haarschnitt des jungen Manns auf der Fahrerseite in Verbindung mit der verwegenen Krawatte:
Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Ein weiteres hübsches Dokument, das einen Stoewer „Greif“ in Friedenszeiten zeigt, ist das folgende, welches im schlesischen Liegnitz entstand. Zum Aufnahmezeitpunkt ging meine Mutter dort noch auf die Grundschule, während diese junge Dame schon volljährig war:
Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Damit hätten wir die ersten fünf Jahre der Karriere des Stoewer Greif abgedeckt.
Zwar endete im Jahr des Kriegsausbruchs 1939 die Produktion des Wagens – Stoewer baute von nun an Militärfahrzeuge – doch das Modell sollte noch ein langes Leben vor sich haben, auch wenn die Umstände denkbar ungünstig waren.
Hier sehen wir nun ein frisch für die Wehrmacht beschlagnahmtes ziviles Exemplar wohl im Jahr 1940 während des deutschen Angriffs auf Frankreich:
Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Zwei deutsche Soldaten bei der Morgenwäsche – was hier noch friedlich wirkt, stellt sich beim nächsten Dokument schon ganz anders dar. Hier sehen wir nämlich einen Stoewer Greif inmitten einer deutschen Militärkolonne während des Kriegs gegen die Sowjetunion:
Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Wie die Sache ausgeht, wenn es mit deutscher Arroganz gegen die angeblich primitiven Ostvölker geht, scheint heute bei vielen Zeitgenossen in Vergessenheit geraten zu sein.
Deshalb kann man nicht oft genug daran erinnern, was man auslöst, wenn man sich einmal leichtfertig auf die militärische Option (sofern man eine hat..) einlässt.
Daran ändert auch die vermeintliche Harmlosigkeit vieler Privataufnahmen aus Kriegszeiten nichts. Diese hier entstand im Mai 1944 – also vor genau 80 Jahren – irgendwo in Deutschland und zeigt einen Stoewer Greif im Dienst einer Luftwaffeneinheit:
Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Zu diesem Zeitpunkt war das Kriegsende nur noch ein Jahr entfernt, doch bis dahin sollte es auf deutscher Seite mehr Opfer geben als im gesamten bisherigen Kriegsverlauf.
Ob der bieder wirkende ältere Militär rechts – wohl ein Veteran des 1. Weltkriegs – „seine Jungs“ nach Möglichkeit schonte oder sie rücksichtslos verheizte, als die Front näherrückte – wer kann das wissen?
Der Krieg entfaltet seine eigene unheilvolle Dynamik – schon allein deshalb gilt es ihn möglichst zu vermeiden, sofern es nicht um das blanke Überleben eines Volkes geht.
Im Mai 1945 – rund 10 Jahre nach Erscheinen des Stoewer Greif – schwiegen zumindest in Europa die Waffen. Nicht allzulange Zeit danach entstand irgendwo in Hessen dieses Dokument, das zeigt, dass das Leben weiterging:
Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Selbst im zerbombten und in den letzten Kriegswochen zerschossenen Berlin oder dessen Umland scheint der andere oder andere Stoewer Greif irgendwie überlebt zu haben.
Jedenfalls sehen wir hier ein Exemplar, das 1952 im Grunewald abgelichtet wurde:
Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Die Cabrio-Limousine scheint die Kriegswirren gut überstanden zu haben, obwohl das Modell gern für das Militär einkassiert worden war und nur selten heil die Zeit überstand.
Noch bemerkenswerter finde ich aber etwas anderes: Der Wagen wirkt auch auf diesen Nachkriegsaufnahmen keineswegs „aus der Zeit gefallen“ oder einfacher gesagt: veraltet.
Erinnern wir uns: Anfang der 1950er Jahre war der VW Käfer nach mühsamem Beginn dank britischer Starthilfe allmählich ins Laufen gekommen. Aber damals war er immer noch dem Stoewer in vielen Belangen unterlegen.
Neben der besseren Motorisierung bot der Stoewer auch hydraulische Bremsen, während der Volkswagen – wenn ich mich nicht irre – noch mit seilzugbetätigten Bremsen unterwegs war. Natürlich funktioniert das, aber es hat schon seinen Grund, weshalb sich die Hydraulikbremse ab den 1920er Jahren – da sind sie wieder! – durchzusetzen begann.
Wie gut der Stoewer Greif auch nach 20 Jahren noch in die Zeit passte – von seiner Eleganz her – das illustriert das für heute letzte Foto, das Mitte der 1950er Jahre entstand:
Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
So sehr ich meinen Käfer für seine langjährigen Alltagsdienste (er gab erst bei 220.000 km mit erstem Motor auf) schätzte, könnte ich mir vorstellen, dass nach dem 2. Weltkrieg genausogut der Stoewer Greif das Rennen hätte machen können.
Doch das Werk in Stettin war ein Opfer des Kriegs geworden und nicht auf Großserienproduktion ausgelegt gewesen. Nur 4.000 Wagen des Stoewer Greif wurden zwischen 1935 und 1939 gebaut.
Eine ganze Reihe davon haben wir heute auf ihrem Weg durch die Zeiten begleitet und man darf wohl das Fazit ziehen, dass diese Konstruktion ohne weiteres „gut genug für 20 Jahre“ war, ohne dabei irgendwie alt auszusehen.
Sehen Sie es mir nach diesem Ausflug durch bewegte Zeiten nach, dass mich der nächste Blog-Eintrag wieder in die 20er Jahre zurückführt. Das ist auch nicht meine Schuld, vielmehr will der nächste Abschnitt der „Beckmann-Spurensuche“ angegangen werden…
Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Nach dem angeblichen „Ende der Geschichte“ – eine am Ende des Kalten Kriegs verkündete These, über die ich schon als damals Zwanzigjähriger schmunzeln musste, stellen wir seit einigen Jahren fest, dass sich die Welt erneut im rapiden Umbruch befindet.
Im „Westen“ scheinen die liberalen Ideale in politischer wie wirtschaftlicher Hinsicht auf dem Rückzug zu sein – ein sich für alles zuständig fühlender Staat ist auf dem Vormarsch einhergehend mit zunehmend planwirtschaftlichen Tendenzen.
Gleichzeitig akzeptieren immer mehr aufstrebende Länder die westliche Vormachtstellung in ideeller wie ökonomischer Hinsicht nicht länger. Es ist unerheblich, wie man das wertet und ob man die Akteure etwa in Asien mit Kategorien des 20. Jh. versucht zu charakterisieren.
Es gibt kein Zurück in die heile Welt des Westens der 1980/90er Jahre, die Geschichte schreitet immer voran und den Aufstieg wie den Untergang von Mächten hält niemand auf. Wir sind aktuell Zeugen, wie sich die Welt neu ordnet.
Warum sollte es uns auch anders ergehen als unseren Vorfahren? Dass vordergründig nichts bleibt, wie es ist, dass lässt sich schon in der Frühzeit des Automobils besichtigen.
Das Tempo der Umwälzungen war damals atemberaubend. Fünf Jahre entsprachen in der Vorkriegszeit bereits einer ganzen Autogeneration, was dazu beitrug, dass eben noch moderne Fahrzeuge wenig später heillos veraltet waren und vom Markt verschwanden.
Ein besonderes Jahr war in dieser Hinsicht 1910 – jedenfalls was Automobile im deutschsprachigen Raum angeht. Denn praktisch von einem Jahr auf das andere setzte sich in der Gestaltung eine dem Sport entlehnte Neuerung durch – der Windlauf.
Wem der Begriff noch nicht geläufig ist, der wird ihn am Ende der heutigen Betrachtung verinnerlicht haben. Doch zunächst gehen wir zurück ins Jahr 1909. Damals sah ein Wagen der renommierten Marke Stoewer aus Stettin noch so aus:
Stoewer Tourenwagen, wohl Typ G4; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks
Diese schöne Momentaufnahme entstand einst irgendwo im Baltikum, soviel ist überliefert. Deutsche Firmen hatten damals dank uralter Handelsverbindungen im Ostseeraum eine Präsenz in der Region, wie sie in der Nachkriegszeit wohl nie wieder erreicht wurde.
Stoewer hatte mit seiner günstigen Lage an der Ostsee besonders gute Voraussetzungen und exportierte seine Wagen nach Skandinavien und Russland, aber eben auch ins Baltikum mit seinem faszinierenden Nebeneinander an regionalen Kulturen.
Der Tourer auf dem Foto von Leser Klaas Dierks dürfte ein Exemplar des Typs G4 gewesen sein, der von 1908 bis 1910 gebaut wurde und einen 1,6 Liter-Motor mit 12 PS (später 15 PS) besaß.
Gegen die Ansprache als zeitgleichen, aber stärkeren 2,5-Liter-Typ PK4 sprechen trotz übereinstimmender Kühlerpartie mehrere Details. Dazu zählt die Gestaltung der Radnaben, vor allem aber der kurze Radstand (2,50 m im Vergleich zu 2,80 m).
Auch wenn es nicht einfach ist, die Größenverhältnisse aus einer solchen Perspektive abzuschätzen, halte ich es für sehr unwahrscheinlich, dass der Radstand dieses Wagens 2,80 Meter betragen haben soll. Die 2,50 Meter des G4 finde ich realistischer.
Wichtiger ist ohnehin etwas anderes: Auf dieser Aufnahme trifft die Motorhaube noch rechtwinklig auf die Stirnwand, welche zugleich die Abtrennung zum „Innenraum“ darstellt. Auf besagter Stirnwand ragte vor 1910 steil die Windschutzscheibe auf.
Hier ist zwar das Unterteil nach hinten geneigt, was für ein gewisse Lenkung des Luftstroms bzw. einen Staubschutz für Fahrer und Beifahrer sorgt. Doch das musste eigens so eingestellt werden, war also noch kein fixes Element des Aufbaus.
Das änderte sich wie gesagt anno 1910 schlagartig.
Inspiriert von entsprechenden Bauteilen bei Sportwagen, die dort ab 1908 Anwendung fanden, verbauten die Hersteller im deutschsprachigen Raum erstmals einen „Windlauf“, auch Windkappe genannt.
Was damit gemeint ist, lässt sich an diesem Wagen nachvollziehen:
Stoewer Tourenwagen, wohl Typ LT4 von 1910; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)
Zu verdanken haben wir diese Aufnahme Leser Matthias Schmidt aus Dresden. Sie kann es nicht nur von der Qualität und Erhaltung mit dem Foto aufnehmen, das Klaas Dierks beigesteuert hat. Sie illustriert auch präzise den Modellwechsel bei Stoewer anno 1910!
Wer genau hinschaut, erkennt den neu eingeführten Windlauf in Form einer aufwärtsweisenden Blechpartie zwischen Motorhaube und Frontscheibe – hier noch mit einem Höhenversatz, der bereits 1912 meist verschwunden war.
Abweichend stellen sich auch die vorderen Rahmenenden dar – sie sind jetzt stärker nach unten gekröpft und wirken auch kräftiger in der Ausführung.
Das findet sich genau so beim 1910 eingeführten Nachfolger des Stoewer G4 – dem Typ LT4. Er besaß ebenfalls einen 1,6 Liter-Motor, der nunmehr 20 PS leistete.
Festzuhalten ist außerdem eine Art Innenkotflügel in Form eines zusätzlichen Blechs, das die Fahrzeugfront gegen Verschmutzung durch die Vorderräder schützt.
Der ab 1911 gebaute Stoewer B1 – der Nachfolger des LT4 – besaß dieses Detail ebenfalls. Doch die noch wie nachträglich aufgesetzt wirkende Windkappe des Wagens auf dem Foto von Matthias Schmidt spricht für die frühe Datierung auf 1910 und somit für den nur in jenem Jahr gebauten LT4.
Was bleibt von dieser Betrachtung außer der Erkennntnis, dass alles im Fluss ist und wir uns mit den unabänderlichen Umbrüchen in unseren Tagen abfinden müssen?
Nun, zwei Dinge: Zum einen kann man sich heute nach Belieben mit den Dingen und Phänomenen der Vergangenheit befassen und darin versenken, wie vielleicht noch in keiner Epoche zuvor. Unsere Welt besteht also nicht nur aus dem Hier und Jetzt, sondern wird auch durch alle die faszinierenden Dinge bereichert, die Menschen einst geschaffen haben.
Zum anderen ist es erstaunlich, wie vieles es gibt, das sich über die Zeiten erhalten hat und uns mit der Welt von gestern verbindet. Das gilt für eine Violine ebenso wie für das Beil, mit dem man sein Feuerholz zurichtet, das gilt für die Krawatte, die man sich zu einem bestimmten Anlass immer noch bindet, wie für den Reiz von Damenschuhen mit Absatz.
Und wenn Sie einmal bewusst um ihr Auto herumgehen, dann finden Sie da immer noch „Kotflügel“, obwohl es längst keine Pferdeäpfel mehr auf den Straßen mehr gibt, es gibt auch immer noch Handschuhfach und Hutablage.
Sogar der heute thematisierte Windlauf begleitet uns heute noch durch’s automobile Dasein. Es ist die unscheinbare Blechpartie zwischen dem hinteren Abschluss der Motorhaube und der Windschutzscheibe.
Erstaunlich, nicht wahr? Und wenn Sie mal wieder den Eindruck haben, dass Sie die Welt nicht mehr begreifen, weil alles so rasant im Wandel ist, dann suchen Sie Zuflucht in meinem Blog – hier steht die Zeit nämlich still in Form fotografisch eingefrorener Momente.
Im übrigen sei an den paradoxen Ausspruch des Fürsten von Lampedusa im sizilianischen Roman „Gattopardo“ erinnert: „Alles muss sich ändern, damit die Dinge so bleiben, wie sie sind.“ Begrüßen wir bei aller Begeisterung für die automobile Vergangenheit auch die Gegenwart und Zukunft – was auch Neues entsteht, trägt doch immer auch bekannte Züge…
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Als ich mich für Automobile als Ausdruck persönlichen Stils zu interessieren begann – das war in den 1980er Jahren – war es vielen Besitzern noch wichtig, die Qualitäten ihres Vehikels ein wenig zuzuspitzen.
Das ist nicht immer gelungen – Manta & Co. lassen grüßen – doch gab es auch Beispiele für gelungene Privatkreationen, welche den Stil der verwendeten Basis erst so richtig auf den Punkt brachten.
Aus unerfindlichen Gründen schrie der 3er BMW förmlich nach einer Individualisierung, während alle Versuche in der Hinsicht bei einer damaligen Mercedes-S-Klasse scheitern mussten. Die makellosen Werke von Bruno Sacco ließen keinen Raum dafür.
Anbieter entsprechenden Zubehörs gab es schon lange vor dem legendären D&W-Katalog. Nützliche Accessoires wurden dem Automobilisten zwar bereits vor dem 1. Weltkrieg angeboten, doch rein der Verschönerung – oder sagen wir besser: Personalisierung – dienende Artikel bekamen erst ab den 1920er Jahren richtig Auftrieb.
Beliebt war der Umbau eines braven Flachkühlerautomobils in ein solches mit dynamisch wirkendem Spitzkühler.
In meinem Fotofundus verfüge ich über haufenweise Beispiele dafür und bei den meisten ist mir schleierhaft, was sich dahinter verbirgt. Als Beispiel dafür mag dieses stark modifizierte Gefährt dienen, das mir seit Jahren Rätsel aufgibt:
unidentifizierter Tourenwagen um 1920; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Vermutlich kurz nach dem 1. Weltkrieg hat hier jemand einem Fahrzeug von ca. 1913/14 nicht nur einen Spitzkühler nach Vorbild von Benz verpasst, sondern auch eckige Kotflügel nach Art der damals neuen AGA-Wagen sowie eine mittig leicht gepfeilte Scheibe.
Für fundierte Vorschläge, was hier zu sehen ist, bin ich äußerst dankbar.
Wenn Sie jetzt denken, dass Sie meinen Blog lesen, um selbst etwas zu lernen, sei daran erinnert, dass ich 90 % meines „Wissens“ der Vorarbeit Dritter verdanke, die übrigen 10 % sind eher im Reich des „educated guess“ angesiedelten, wie die Briten sagen – also der begründeten Annahme.
Von daher ist mein Blog-Projekt bei aller persönlichen Perspektive und Färbung auch auf einen Austausch mit Lesern angelegte, die mehr Ahnung haben als ich. Mit Vorkriegsautos befasse ich ich ja erst seit kurzem (2015).
Heute kann ich aber dennoch etwas zeigen, bei dem ich weder auf eigene Vermutungen oder die anderer angewiesen bin. Und dennoch handelt es sich um ein Fahrzeug, das Sie vielleicht so auf die Spitze getrieben noch nicht gesehen haben.
Fangen wir mit der Basis an, die Anfang der 1930er Jahre einem unbekannten Besitzer als Objekt seiner Verschönerungswünsche diente:
Stoewer V5 Sport-Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Dieser knackige kleine Zweisitzer (Bericht hier) war das Sport-Cabriolet, welches Stoewer aus Stettin 1931/32 auf Basis des 1930 eingeführten Frontantriebsmodells V5 anbot.
Der 1,2 Liter-Motor leistete 25 PS, was in Verbindung mit dem geringen Wagengewicht akzeptable Fahrleistungen ermöglichte. Bei dieser Ausführung stand für die Käufer neben den Vorzügen des Vorderradantriebs aber sicher die sportliche Form im Vordergrund.
Vielleicht das einzige Manko in gestalterischer Hinsicht war aus meiner Sicht der an einem dermaßen rassig wirkenden Cabriolet etwas bieder wirkende Kühlergrill.
Dass ich mit dieser Einschätzung nicht völlig allein stehe, das belegt ein weiteres Foto, welches ebenfalls einen Stoewer genau dieses Typs zeigt, doch hier garniert mit einem Extra, mit welchem der Wagen nun wirklich spitze aussieht, meine ich:
Stoewer V5 Sport-Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Auch wenn die hier dunkel gehaltene breite Leiste unterhalb des Seitenfensters den Aufbau etwas anders wirken lässt, handelt es sich um die identische Karosserieausführung, welche meines Wissens von Stoewer selbst gefertigt wurde.
Wirklich individuell ist der nach Art eines „Kuhfängers“ gestaltete Steinschlagschutz, der vor dem serienmäßigen Kühler montiert ist. Ob es sich dabei um eine Spezialanfertigung oder ein Zubehörteil handelte, sei dahingestellt.
Jedenfalls hat dieser Stoewer damit in gewisser Weise die Spitzkühleroptik zurückgewonnen, die in der ersten Hälfte der 1920er Jahre im deutschsprachigen Raum entgegen internationaler Tendenzen so angesagt war.
Interessanterweise realisierte Stoewer beim Nachfolgetyp R-140 ab 1932 etwas Vergleichbares, wenngleich die neue Kühlerpartie ebenfalls nicht ideal ausfiel.
Ansatzweise erkennbar ist dies auf dem folgenden Foto, welches ich heute freilich nur deshalb zeige, weil es zur Jahreszeit passt (wenngleich es in der milden Wetterau mal wieder nur gießt wie aus Kübeln statt zu schneien – das ist auch besser so):
Stoewer R-140 Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Immerhin hat der Winter gerade erst angefangen, sodass sich diese Aufnahme in den nächsten Wochen als durchaus aktuell erweisen könnte.
Für einen frontgetriebenen Stoewer war Schnee auf der Straße damals kein Problem – ich würde aber auch die Fahrkompetenz der damaligen Automobilisten als überlegen ansehen.
Heute bereitet vielen Zeitgenossen hierzulande ja schon das zügige Einfahren in einen Kreisel Probleme. Offenbar wünschen sich viele mit Selbstverantwortung hadernde Deutsche doch das autoritäre Rot-Grün-Befehlsschema einer Ampel…
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Heute hatte ich „hohen“ Besuch aus Berlin – jedenfalls gemessen an den Dimensionen des VW-Bus, welcher sich nachmittags vorsichtig in die schmale Hofeinfahrt hineintastete.
Zwei seit Jahren geschätzte Sammlerkollegen hatten sich anlässlich einer Veranstaltung in der Nähe angekündigt – eine schöne Gelegenheit, sich einmal persönlich kennenzulernen und natürlich in Vorkriegsdokumenten zu stöbern.
Ich hatte zwar erwartet, dass ich kleines Licht, das erst seit einigen Jahren ohne Systematik Material zusammenträgt, den beiden nicht viel zu bieten hatte. Doch tatsächlich war am Ende einiges dabei, womit ich den Herren eine Freude machen konnte und umgekehrt kam auch ich auf meine Kosten, den sie waren nicht mit leeren Händen gekommen.
Eine glückliche Verbindung, welche eine Vertiefung verdient, so lautete mein Fazit. Genau das soll auch das Thema meines heutigen Blog-Eintrags sein – in mehrfacher Hinsicht.
Eine glückliche Verbindung, auf die ich immer wieder gern zurückkomme und die ebenfalls eine Vertiefung verdient, war die Kombination des noch recht neuen Vorderradantriebs mit gekonntem Styling Anfang der 1930er Jahre.
Wenn Sie dabei zuerst an die attraktiv gezeichneten Frontantriebswagen von DKW denken, ist das nicht verkehrt. Es gab aber noch mehr Raffiniertes auf dem Sektor, wie ich finde.
Dazu müssen wir freilich erst an eine andere glückliche Verbindung erinnern, nämlich diejenige zwischen menschengemachter Maschine und natürlichen Pferdestärken – regelmäßige Leser erinnern sich vielleicht hieran:
Steyr Typ 30; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Diese großartige Szenerie war keineswegs die einzige, welche bei derselben Gelegenheit festgehalten wurde.
Zu diesem Ausritt hatten sich nämlich einige Automobilisten eingefunden, welche auch ihre vierrädigen Lieblinge angemessen festgehalten wissen wollten. Dazu zählte neben dem Steyr 30 ein Mercedes 170 und mindestens ein weiteres, deutlich exklusiveres Fahrzeug.
Um letzteres soll es heute gehen. Damit am Ende auch klar ist, worum es sich handelt und ich mir langatmige Herleitungen sparen kann (obwohl manche Leser gerade die schätzen), beginnen wir ganz vorn – so gehört es sich ja auch für einen Fronttriebler:
Dieses repräsentative, wenn auch etwas düster wirkende Fahrzeug war das Ergebnis von nur drei Jahren Evolution, nachdem Stoewer aus Stettin noch 1930 (also kurz vor DKW) seinen ersten Wagen mit Vorderradantrieb vorgestellt hatte.
Mit jenem kleinen 1,2-Liter-Typ V5 hatte der Nachfolger R-140 bzw. R-150 kaum noch etwas gemeinsam – denn der war mit 1,5 Litern Hubraum und 35 PS klar in der Mittelklasse angesiedelt.
Nach den ersten noch bescheidenen Versuchen mit dem V5 gelang Stoewer spätestens mit dem 1934 eingeführten R-150 eine besonders glückliche Verbindung aus moderner Antriebstechnik und klassisch schöner Gestaltung:
Stoewer R-150; Abbildung aus: Handbuch des Reichsverbands der Automobilindustrie 1935 (Original aus Sammlung Michael Schlenger
Zugegeben, ganz so elegant wie auf dieser Zeichnung sah der R-150 als geschlossener Viertürer dann doch nicht aus.
Allerdings gab es davon auch eine Ausführung als zweitüriges Cabriolet, die man sehr wohl als glückliche Verbindung aus gefälliger Optik und vorteilhaften Fahreigenschaften betrachten darf.
Diese Version habe ich hier schon einmal vorgestellt – wenn ich sie nun nochmals zeige, dann nur, damit Sie am Ende auch mein Urteil nachvollziehen können, was den eigentlichen Gegenstand des heutigen Blog-Eintrags betrifft:
Stoewer R-150 Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Einprägen müssen Sie sich nur drei Dinge: die horizontal verlaufenden Luftschlitze in der Motorhaube, die erhaben ausgeführten Chromradkappen und die spindelförmige Chromleiste im oberen Bereich der Tür, welche diese optisch niedriger wirken lässt.
Hat man einmal diese Elemente des Stoewer R-150 in der Ausführung als Cabriolet verinnerlicht, dann ist man in der Lage, diese Version auch bei nur ausschnitthafter Wiedergabe zu erkennen.
Normalerweise würde man abwinken, wenn auf einem Autofoto kaum mehr als die Türpartie zu sehen ist. Doch gibt es auch in solchen Fällen glückliche Verbindungen, welche die Defizite mehr als ausgleichen.
Jetzt begeben wir uns wieder auf das herrschaftliche Anwesen, auf dem die eingangs gezeigte Aufnahme entstand.
Wieder geht es – wenn man genau hinschaut – um die glückliche Verbindung aus Pferdestärken und motorisiertem Fortbewegungsmittel – doch in den Schatten gestellt wird diese mühelos durch die glücklichste Verbindung, die man sich als Autoliebhaber und Verehrer alles Schönen vorstellen kann:
Stoewer R-150 Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Muss ich zu dieser wahrlich glücklichen Verbindung noch irgendetwas sagen? Wohl kaum, dann genießen wir still und erfreuen uns an den zeitlosen Momenten, welche uns die gemeinsame Beschäftigung mit Vorkriegswagen auf alten Fotos bescheren kann…
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Werbung hat mit Wirklichkeit nur entfernt zu tun – nirgends wird soviel gelogen wie im Krieg, vor den Wahlen, nach der Jagd und in Produkt-Reklamen. Das war schon immer so und die meisten Leute wissen das.
Der Mensch hört aber auch allzugern, dass etwas ganz und gar vollkommen ist, auch wenn die Lebenserfahrung dagegen spricht. Von dieser Paradoxie leben jede Menge Trittbrettfahrer – seien es Religionsstifter, Kosmetikahersteller oder Autobauer.
Heute bringe ich ein seltenes Beispiel dafür, dass Werbung bei aller fragwürdigen Fabulierlust auch vollkommen wahrhaftig sein kann:
Stoewer G15 „Gigant“ Pullman-Limousine; Originalreklame: Sammlung Michael Schlenger
Diese wahrhaft gigantische Pullman-Limousine gehörte bei ihrem Erscheinen 1928 zur „internationalen Sonderklasse“ – das zusätzliche Attribut „exklusiv“ besagt dasselbe, ist also nur Werber-Lametta.
Der „hochstehendste und erprobteste“ Achtzylinder ist nicht global verabsolutierend zu verstehen, sondern als „äußerst hochstehend und äußerst erprobt“. Wer Lateinunterricht genossen hat, kennt den Elativ „Jupiter Optimus Maximus“ – formal dem Superlativ entsprechend, aber faktisch nicht vergleichend gemeint (es gab ja nur einen Jupiter).
Auch hier können wir den Stoewer-Werbern also keinen Fehler nachweisen. Raffiniert, da unwiderlegbar ist auch die Aufforderung „Fragen Sie alle, die einen fahren„. Dazu muss man nämlich erst einmal die Stecknadel im Heuhaufen finden, bei 650 gebauten Exemplaren…
Denn auch wenn der Stoewer-Achtzylinder mit Aufbau als Pullman-Limousine als „Gigant“ verkauft wurde, blieben die Stückzahlen viel zu gering, dass man jemanden finden konnte, der ihn fuhr – erst recht „seit Jahren„.
Wir sind heute – über 90 Jahre später – zwar in der bedauernswerten Situation, dass niemand mehr Wagen dieses Kalibers baut, dennoch sind wir privilegiert: Wir können nämlich auf historisches Fotomaterial zugreifen, das genau diese Giganten zeigt.
Beginnen wir mit dieser Aufnahme einer Stoewer-Pullman-Limousine (aus meiner Sammlung), die an einem unbekannten Ort entstand:
Stoewer G15 „Gigant“ Pullman-Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Haben Sie Zweifel daran, dass dieses kolossale Gefährt mit seinem geräumigen Sechsfenster-Aufbau zu „internationalen Sonderklasse“ im Automobilbau gehörte?
Nein? Dann liegen Sie richtig. Denn mit seinem 4 Liter messenden und 80 PS starken 8-Zylindermotor begegnete der Stoewer „Gigant“ leistungsmäßig der Ende der 1920er Jahre extrem starken US-Konkurrenz auf Augenhöhe.
Was fehlte, war freilich die Fähigkeit der amerikanischen Hersteller zur Großserienproduktion, welche solche Wagen in den Stückzahlen und zu den Preisen verfügbar machte, die der Nachfrage am Markt entsprachen.
Es mangelte also nur an hinreichend entwickelten kapitalistischen Verhältnissen, nicht an der Konstruktionskompetenz als solcher. Auch in gestalterischer Hinsicht war die Lobeshymne der eingangs gezeigten Stoewer-Reklame in diesem Fall vollkommen berechtigt.
Dieser weit über fünf Meter lange Wagen mit 3,40 Meter Radstand und 1,95 Meter Höhe war für seine außerordentlichen Dimensionen geradezu vollkommen proportioniert.
Das wird spätestens an der zweiten Aufnahme eines Stoewer G15 „Pullman-Limousine“ deutlich, die ich heute präsentieren möchte – ich verdanke sie Matthias Schmidt (Dresden):
Entgegen meinen sonstigen Gepflogenheiten erspare ich mir (und Ihnen) eine eingehende Beschreibung der Details dieses grandiosen Fahrzeugs.
Nur eines will ich in aller Subjektivität festellen: Ich wüsste nichts, was man an dieser Erscheinung beanstanden könnte.
Für mich ist hier alles perfekt ausbalanciert, immer wieder will das Auge diesen himmlischen Längen folgen, welche durch die horizontalen Luftschlitze betont werden.
Wirklich gigantisch! Dabei könnte man es bewenden lassen.
Doch wollen wir heute den Reklameleuten von Stoewer den Raum geben, den sie verdienen – für mich verdienen sie ebenso Anerkennung wie die Konstrukteure und Gestalter des „Gigant“.
Wie genial ist beispielsweise diese Werbeabbildung, die eher am Rande einen Stoewer G15 „Gigant“ zeigt? Und: nein, das ist kein willkürlicher Bildausschnitt:
Stoewer G15 „Gigant“; Originalreklame: Sammlung Michael Schlenger
„Happy End“ trifft es zwar auf den ersten Blick – aber auch der zweite Blick kann sich lohnen.
Es musste auch Ende der 1920er Jahre nicht immer ein Paar wohlgeformter Frauenbeine sein, was den automobilen Assoziationen auf die Sprünge half.
Ein kurioses Beispiel dafür fand ich vor einiger Zeit. Es zeigt einen nackten Sportler, der entschlossen, wenn auch ein wenig missgelaunt, seinem Ziel zustrebt.
Was er mit dem Speer vorhat – wenn es einer ist – bleibt im Ungewissen. Werfen dürfte jedenfalls schwierig werden bei dieser Handhabung. Vielleicht sehen wir nur den Ausschnitt einer Lanze, was eher sinnvoll wäre. Doch sehen Sie selbst:
Stoewer G15 „Gigant“; Originalreklame: Sammlung Michael Schlenger
„Kraftbewusst“ – das ist eine wahrhaft originelle Wortschöpfung eines unbekannten Werbers und sie wird einem Fahrzeug gerecht, das eines wirklich wahr: gigantisch.
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Den Frontantrieb in Deutschland etabliert haben einst DKW (ab 1931) und Adler (ab 1932) – das dürfte unstrittig sein. Der ebenfalls in deutschen Landen gebaute Citroen „Traction Avant“, der später bei der Wehrmacht hochbegehrt sein sollte, kam erst 1934 auf den Markt.
Ein Hersteller darf in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben: Stoewer aus Stettin.
Die Nischenmarke, die sich immer wieder neu erfand und als einzige ihrer Größe bis in die 1930er Jahre überlebte, brachte nämlich ein Kunststück zustande, das in Oldtimerkreisen gern „vergessen“ wird.
Stoewer tat sich nämlich überhaupt als erster deutscher Automobilbauer mit einem serienreifen Frontantriebswagen hervor und präsentierte diesen gegen Ende 1930, als bei DKW noch unter höchstem Zeitdruck an einem Konkurrenzentwurf gearbeitet wurde.
So beeindruckend und elegant wie die mächtigen 8-Zylinderwagen, die man von Stoewer gewöhnt war, kam der Vorderantriebstyp V5 natürlich nicht daher: Bescheiden und etwas kastig wirkte der Wagen:
Stoewer V5 von 1931; Originalfoto: Sammlung Helmut Kasimirowicz
Doch verstecken musste sich der kleine Stoewer nicht. Sein 1,2 Liter-Viertaktmotor leistete immerhin 25 PS und Spitze 80 km/h waren ohne weiteres möglich. Eine solide Blechkarosserie gab es obendrein.
Davon waren die frontgetriebenen DKW mit ihren anfänglich nur 15 PS leistenden Zweitaktern und dem kunstlederbespannten Aufbau weit entfernt – wenngleich sie ihre Stärken hatten. Sie waren vor allem um rund ein Drittel billiger als der Stoewer!
Der Preis war im Einstiegssegment des damals noch völlig unterentwickelten deutschen Automarkt der entscheidende Faktor. Und deshalb machte DKW letztlich das Rennen.
Stoewer verbesserte zwar den V4-Motor seines Modells V5 anno 1932 und lieferte den Wagen nun auch mit einer gefälligeren Karosserie aus, doch stand die dünne Kapitaldecke des chronisch klammen Herstellers einer Ausweitung der Produktion entgegen.
So wurde die Produktion des Stoewer V5 bereits nach zwei Jahren und rund 2.000 Exemplaren eingestellt. Darunter fanden sich auch einige hervorragend aussehende Wagen mit Spezialkarosserie wie dieses rasant wirkende Sport-Cabriolet:
Stoewer V5 Sport-Cabriolet von 1932; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Ausführlich besprochen habe ich diesen schicken Stoewer bereits hier.
Damit musste sich der altehrwürdige Hersteller auch in der unteren Mittelklasse wahrlich nicht verstecken und man trat trotz kleiner Stückzahlen bewusst immer wieder mit solchen Spezialversionen auf, um das Markenimage aufzupolieren.
Natürlich konnte die konventionelle Ausführung damit nicht mithalten, doch auch für deren Besitzer gab es keinen Grund sich mit ihrem Auto zu verstecken – entsprechend selbstbewusst trat man beim unvermeidlichen Fotohalt auf:
Stoewer V5 von 1932; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Man sieht sofort: Das waren keine „kleinen Leute“, auch wenn sie nur einen kompakten Stoewer ihr eigen nannten. Tatsächlich besaß in den 1930er Jahren nur ein sehr geringer Prozentanteil der Deutschen überhaupt ein Auto.
Das Auto selbst wirkt hier etwas schüchtern, dabei hat es keinen Grund, sich im Hintergrund zu verstecken. So ein Stoewer war nämlich abseits der großen Städte eine ebensolche Rarität wie jedes andere Auto auch.
Das sollte auch im nach dem 2. Weltkrieg drastisch geschrumpften Deutschland noch einige Jahre so bleiben. Pommern, wo obiger Stoewer einst zugelassen war, war ebenso verloren wie Ostpreußen und Schlesien. Das war das Ergebnis deutschen Größenwahns im Osten.
Nach 1945 wurden in jeder Hinsicht kleinere Brötchen gebacken, und für einige Jahrzehnte war die Arroganz gezähmt – die Kriegsgeneration hatte ihre Lektion gelernt. Nach deren Wegsterben werden in letzter Zeit leider wieder alte Reflexe wach, scheint mir.
Noch im Jahr 1950 sah Deutschland abseits zerbombter Städte praktisch noch genauso aus wie zwanzig Jahre zuvor. Immer noch war ein Auto eine seltene Erscheinung auf dem Lande und für einen Moment schien dort ein Stück heile Welt konserviert:
Stoewer V5 von 1932; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Wäre da nicht das Kennzeichen aus dem britisch besetzten Niedersachsen, beinahe nichts deutete dann darauf hin, dass dieser Stoewer V5 im Jahr 1950 aufgenommen wurde.
Allenfalls die wohl von einem DKW stammenden Stoßstangenhälften könnten einen darauf bringen, dass dieser Wagen in der frühen Nachkriegszeit unterwegs war (in Moosheim).
In diesem Umfeld braucht sich so ein Stoewer nicht zu verstecken, er ist sogar ein veritables Schmuckstück.
Nebenbei bin ich der Auffassung, dass nur Vorkriegsautos die Eigenheit haben, in einem über Jahrhunderte gewachsenen historischen Stadtbild nicht zu stören, sondern geradezu dazu zu passen. Warum das so ist, wäre eine eigene Betrachtung wert.
Für heute will ich es bei der Feststellung bewenden lassen, dass sich der frontgetriebene Stoewer V5 nicht verstecken musste und auch heute nicht müsste.
Es gibt aber wohl bloß nur eine handvoll Überlebende, das einst in Pommern aufgenommene Exemplar gehört wohl nicht dazu – oder doch, wer weiß?
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