Ach Du dickes Ei! Ein NSU-Tourer um 1920

Der Titel meines heutigen Blog-Eintrags passt gleich in doppelter Hinsicht zu dem Fahrzeug, das dabei im Mittelpunkt steht.

Nicht nur, dass es ein erstaunlicher Vertreter der an sich gut dokumentierten Marke NSU ist, welcher sich gar nicht so einfach bestimmen lässt – das dicke Ei findet sich daran auch im wortwörtlichen Sinne – und zwar unübersehbar an der Kühlerfront!

Dazu blenden wir zunächst etwas zurück ins Jahr 1913, als dieser kompakte Zweisitzer des Typs NSU 5/12 PS entstand:

NSU 5/12 PS; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Mit diesem Einsteigermodell (1,2 Liter-Vierzylinder) führte NSU zugleich ein neues Kühlergehäuse ein, das manche als birnenförmig bezeichnen, andere als eiförmig.

Für das eingangs verwendete Wortspiel eignet sich die Eiform natürlich besser, daher belasse ich es dabei. Die Grundform des Kühlers findet sich bis 1920 an allen NSU-Wagen, lediglich die Größe und damit die Kühlfläche variiert je nach Motorisierung.

Bei obiger Aufnahme, die uns Leser Klaas Dierks zur Verfügung gestellt hat, verweist die Gasbeleuchtung auf eine Entstehung vor dem 1. Weltkrieg. Dieser Wagen wurde offenbar von einer Einheit der bayrischen Armee eingesetzt.

Meist findet man im Militäreinsatz die NSU-Typen 8/24 PS und 10/30 PS, aber im 1. Weltkrieg nahm man, was man kriegen konnte. Vermutlich müsste die heutige Beamtenarmee namens Bundeswehr im Ernstfall auch mit Privat-Kfz verstärkt werden…

Jedenfalls trifft man auf den eiförmigen Kühler der damaligen NSU-Wagen im 1. Weltkrieg allerorten, etwa hier an der Westfront:

NSU 6/18 PS oder 8/24 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Man beachte die schlichte Ausführung der Vorderkotflügel, die lediglich durch eine umlaufende Sicke verstärkt sind und aus zwei Teilen bestehen – dem Innenkotflügel und dem daran angebrachten eigentlichen Schutzblech, welches das Rad umschließt.

Während die Ei-Form des Kühlers nach dem 1. Weltkrieg noch bis 1920 beibehalten wurde, scheint man bei einigen Typen die Kotflügel nunmehr stärker der Radform angepasst und aus einem Stück gefertigt zu haben.

Jedenfalls findet sich das so auf der folgenden Aufnahme, die ich erst kürzlich erworben habe und an der sonst niemand verstärktes Interesse zu haben schien:

Was sich uns hier wohlgerundet darbeitet, verdient auf jeden Fall den Ausruf: „Ach Du dickes Ei!“. Denn noch einmal begegnet uns an diesem NSU der eiförmige Kühler, während die Ausführung der elektrischen Beleuchtung bereits auf die Nachkriegszeit hindeutet.

Zudem scheint mir das keines der kleineren Modelle von NSU zu sein, etwa der Typ 5/15 PS, sondern eher ein dicker Brummer wie der bewährte 8/24 PS oder gar der 3,4 Liter-Typ 13/40 PS (wenngleich dieser in nur geringen Stückzahlen entstand).

Zur frühen Nachkriegsproduktion von NSU passt auch die leicht geneigte und mittig unterteilte Frontscheibe – ein sportlich wirkendes Detail, das sich an vielen deutschen Wagen der ersten Hälfte der 1920er Jahre findet.

„Unser erster Wagen“ ist von alter Hand auf der Rückseite des Abzugs vermerkt, außerdem der Ortshinweis „Pittling“, was auf einen alten Ort in Nordböhmen (heute: Pytlíkov, Tschechien) verweist.

Da das Kennzeichen jedoch auf eine Zulassung in Niederbayern verweist (Kennung: IIC), vermute ich, dass der Zusatz „Pittling“ den Aufnahmeort bezeichnet, welcher sich damals in der neu gegründeten Tschechoslowakei befand.

Vielleicht hat ja ein kundiger Leser noch eine bessere Idee.

Jedenfalls ist das ein dickes Ei, so ein großzügiger NSU-Tourer der frühen Nachkriegszeit, denn die bis 1920 noch mit dem alten Kühler gefertigten Wagen der Marke sind nur ganz selten dokumentiert…

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

2 Gedanken zu „Ach Du dickes Ei! Ein NSU-Tourer um 1920

  1. Hallo Herr Schlenger,
    das Photo war mir auch aufgefallen. Da ich den Ort Pittling nicht in Bayern verorten konnte, habe ich probiert, die Handschrift etwas großzügiger zu interpretieren und bin auf den Ort Tittling im Norden des Landkreises Passau gestoßen. Dann passt auch das Nummernschild.

  2. Die Internetsuche nach Pittling führt auch nach Bernhardswald, jedoch handelt es sich dann im kartographischen Nachweis um den nördlich des Wenzenbachs gelegenen Weiler Plitting. Für ein dort zugelassenes Kfz. wäre aber seitens des Bezirksamts Stadtamhof ein mit IIE beginnendes Kennzeichen vergeben worden. Genealogische Quellen mit Pittling als Ortsangabe führen nach Leitmeritz und somit regional zum Bezirk Teplitz-Schönau in der Tschechoslowakei. Gab es nun eine Fahrt von Plitting ins 265 km entfernte Pittling oder war es ein Schreibfehler, denn wenn ich mir f und s in Sütterlinschrift samt dem Querstrich des t vorstelle, dann wären auch Piftling oder Pistling denkbar. Als Ortsname existent wäre Pilsting bei Landau a.d.Isar, wozu auch die niederbayrische IIC-Zulassung passen würde. Gleichwohl bräuchte dieser NSU mit 24 oder gar 40 PS eine Reise ins Elbetal nicht zu scheuen, zumal seine Vorgänger schon von Neckarsulm über Mannheim zum Fronteinsatz bis nach Belgien und Frankreich fuhren. Da Ostern schon vorbei ist, wähle ich die trotz sommerlichen Frühlings noch nicht gereifte Birne und wünsche
    schöne Pfingsten !

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