Die Dame mag es luftgekühlt: Piccolo 7 PS Phaeton

An der Luftkühlung scheiden sich bis heute die Geister in der Automobilfraktion: Die einen schwören drauf, vor allem aufgrund des charakteristischen Motorengeräuschs, die anderen wenden sich mit Grausen ab.

Wie so oft, sollte man auch in dieser Hinsicht die Dinge nicht zu ideologisch sehen.

Mir gefällt das seidige Säuseln eines wasserummantelten Sechszylinders ebenso wie das heisere Fauchen eines luftgekühlten Boxermotors (auch wenn ich speziell mit einigen Vertretern der Porsche-Fraktion meine Probleme habe).

Um einen uralten Werbespruch zu zitieren: Es kommt drauf an, was man daraus macht. Und vieles hängt davon ab, wie man als Fahrer eines Luftgekühlten damit umgeht.

Ein vielleicht überraschendes Beispiel dafür darf ich heute präsentieren. Überraschend unter anderem deshalb, weil sich die Luftkühlung nicht nur auf den Antrieb bezieht, sondern auch auf die Insassen, die selbige durchaus zu genießen scheinen.

Doch zuvor will etwas Historie konsumiert sein, natürlich gefällig aufbereitet, denn in meinem Blog soll der Genuss der Bilder von Vorkriegsautomobilen im Vordergrund stehen – die nüchternen Fakten beschränke ich gern auf’s Notwendigste.

Vielleicht erinnern Sie sich an Aufnahmen des „Piccolo“ 5 PS-Modells, welches von 1904 bis 1907 von der Firma A. Ruppe & Sohn im thüringischen Apolda gefertigt wurde. Eine „neue“ davon verdanke ich Leser Klaas Dierks:

Piccolo 5 PS; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Zugegeben: Viel ist hier nicht zu erkennen, aber genug, um diesen einfachen Zweisitzer als 5 PS-Piccolo zu identifizieren. Eindeutiges Indiz ist der runde Lüfter vor dem V2-Aggregat, welcher sich in einem Messinggehäuse dreht, das uns hier entgegenleuchtet.

Nach der Vorstellung in Leipzig Ende 1904 verkaufte sich das robuste Wägelchen dank seines relativ niedrigen Preises gut: Schon 1906 feierte man die Produktion des tausendsten Exemplars (Quelle: Gränz/Kirchberg: Ahnen unserer Autos, 1975).

Die Motorleistung wurde wie damals üblich laufend gesteigert, sodass man 1907 bei 6 und kurze Zeit darauf bei 7 PS angelangt war. Fast 50 km/h Höchstgeschwindigkeit waren damit erreichbar – kein anderes Individualverkehrsmittel erreichte auf Dauer dieses Tempo.

Wie in der Frühzeit des Automobils überwiegend üblich, kamen die Insassen dabei in den Genuss natürlicher Luftkühlung, denn geschlossene Aufbauten waren weit teurer. Zumindest im Stand scheint man damit vollkommen glücklich gewesen zu sein.

Das lässt zumindest die folgende Aufnahme vermuten, die mir Leser Matthias Schmidt Dresden zur Verfügung gestellt hat. Hier mochte es auch die Dame offenbar luftgekühlt:

Piccolo 7 PS Modell; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Das unwiderstehliche Lächeln der Beifahrerin, die sich hier perfekt in Szene gesetzt hat, mag freilich auch einer anderen Tatsache geschuldet sein.

So spendierte man dem Piccolo ab 1906 eine richtige Motorhaube und eine Kühlerattrappe, was dem Wagen ein erwachseneres Aussehen gab.

„Heinrich, auf keinen Fall kommt mir so eine Benzinkutsche ins Haus , bei der sich die schnöde Technik unverhüllt zeigt. Die beiden Zylinder sollen zumindest dem Auge verborgen sein, wenn man sie schon hört. So lasse ich mir die Luftkühlung gern gefallen.“

Vielleicht hatte unsere selbstbewusste Dame mit ihrem Erbe erst die Anschaffung des Fahrzeugs ermöglicht – die Vorstellung, dass Frauen von Autobesitzern vor bald 120 Jahren bloße Heimchen am Herd waren, ist jedenfalls abwegig.

An der Identifikation des Wagens als Piccolo habe ich keinen Zweifel, bloß die genaue Datierung bereitet mir Schwierigkeiten. Angeblich wurde das 7 PS-Modell bis 1910 gebaut, da mag es baujahrsabhängige Unterschiede gegeben haben.

Hier fallen die breiten Luftschlitze auf, die sich eher selten finden. Ob sie ein Hinweis auf eine frühe oder späte Entstehung sind, kann ich derzeit nicht sicher sagen. Vielleicht weiß es ein Leser genauer (dann bitte mit Beleg).

Jedenfalls gibt es etliche Dokumente, die ganz ähnliche Piccolo-Zweisitzer mit mehreren schmalen Luftschlitzen zeigen.

Einer davon scheint bis in die 1930er Jahre überlebt zu haben und wurde bei einer unbekannten Veranstaltung vorgestellt und von enthusiastischen Jugendlichen okkupiert:

Piccolo von 1907; Originalaufnahme von 1931 aus Sammlung Michael Schlenger

Die Angabe „Anno 1902“ auf der Motorhaube kann nicht stimmen, vermutlich liegt hier ein Übertragungsfehler vor – jemand hat wohl eine „7“ als „2“ gelesen“.

Die Kühlerattrappe gehört jedenfalls zu einem Piccolo ab 1906 und da kommt vor allem das zweizylindrige Modell mit 800ccm und 6 bzw. später 7 PS in Betracht.

Daneben gab es ab 1910 von Ruppe&Sohn auch ein primitives Einzylindermodell namens „Mobbel“, das jedoch heillos aus der Zeit gefallen war und nur selten verkauft wurde.

Damit wäre für heute das Wichtigste zu den luftgekühlten „Piccolo“-Wagen aus Apolda gesagt, wäre da nicht eine weitere Aufnahme, die mir wiederum Matthias Schmidt aus Dresden zugesandt hat.

Sie zeigt einen unrestaurierten Piccolo von 1907, der in der verkehrstechnischen Sammlung Dresden die Zeiten überdauert hat und vor einigen Jahren der Öffentlichkeit wieder auf der Straße gezeigt wurde:

Piccolo 6 PS von 1907; Bildrechte: Matthias Schmidt (Dresden)

Könnte das am Ende derselbe Wagen sein wie das bereits 1931 als „Oldtimer“ präsentierte Automobil?

So oder so ist es berührend, dass überhaupt ein Exemplar dieser frühen „Luftgekühlten“ noch existiert und das auch noch ohne eine sogenannte Restaurierung erlitten zu haben.

Das ist ja das Großartige an den Wagen von einst: Ihre Erbauer und Besitzer sind längst verblichen, doch die Autos sind immer noch da und erzählen von vergangenen Leidenschaften, zu denen früh auch die nach „Luftkühlung“ gehörte, während die Masse der Mitbürger zeit ihres Lebens selten kaum über Schrittgeschwindigkeit hinauskam…

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

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