„Das ist unser Kleiner…“: Ein Buick von 1937

Wer sich ein klein wenig mit US-Automobilen der zweiten Hälfte der 1930er Jahre auskennt, wird bei der Überschrift stutzen: „Unser Kleiner“, bei einem 1937er Buick?

Wie kann das sein, wo die Marke in der gehobenen Mittelklasse angesiedelt war – nach amerikanischen Maßstäben natürlich – und schon das Basismodell einen 3,7 Liter messenden 6-Zylindermotor mit über 80 PS besaß?

Auch das äußere Erscheinungsbild wirkte alles andere als kompakt, selbst wenn diese Dame vielleicht nicht die größte war, die sich hier liebevoll an ein in Wien zugelassenes Exemplar schmiegt:

Buick „Eight“, Modelljahr 1937; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wie es scheint, handelt es sich bei diesem Wagen sogar um die äußerlich fast identische, aber etwas längere Achtyzlinder-Version, die rund 100 PS aus 4,1 Litern bot.

Diese großzügigen US-Wagen verkauften sich auch im Deutschland der späten 1930er Jahre immer noch, wenngleich nicht annähernd so, wie das während des „Amerikaner“-Booms Ende der Zwanziger der Fall gewesen war.

Gründe, ein solches „Kapitalistengefährt“ im Deutschen Reich zu kaufen, das damals eine bemerkenswerte Kombination aus staatlicher Planwirtschaft und gewinnorientiertem Privateigentum praktizierte, gab es offenbar immer noch.

Hier sehen wir jedenfalls ein Exemplar mit deutscher Zulassung:

Buick, Modelljahr 1937; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Vielleicht haben wir hier es mit Vertretern derjenigen „Volksgenossen“ zu tun, die immun gegen die Propaganda der braunen wie der roten Sozialisten waren und für die Amerika mit seinem Ideal individueller Entfaltungsfreiheit das positive Gegenbild des primitiven Kollektivismus war, der in Europa damals so viele Anhänger fand.

Möglicherweise hatte man Verwandtschaft in den Staaten und wurde von dort auf dem Laufenden gehalten, was die Entwicklungen im US-Autobau anging, der ab 1933 offiziell nicht mehr als vorbildlich galt, was zuvor ganz anders ausgesehen hatte.

Amerikanische Automobile waren von den selbstgefälligen deutschen Herstellern ab Mitte der 1920er Jahre so fleißig kopiert worden wie die führenden französischen Fabrikate um 1900. Erst ab 1930 emanzipierte man sich hierzulande von den US-Vorbildern und begann wieder eine eigene, wenn auch konservative Formensprache zu entwickeln.

An den US-Modellen der späten 1930er Jahre kündigten sich dagegen bereits formale Elemente an, die nach dem Krieg dominieren sollten. Deshalb wirkte bereits der Ende 1936 entwickelte Buick des Modelljahrs 1937 vor allem an der Frontpartie so modern.

Ist ja schön und gut, wenn hier immer mal wieder am Selbstbild der deutschen Autoindustrie gekratzt wird, mag jetzt mancher denken, aber was hat es jetzt mit dem „Kleinen“ auf sich?

Nun, den sehen wir auf dem folgenden Foto eines weiteren 1937er Buick:

Buick, Modelljahr 1937; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hier haben wir zwar ein in den USA zugelassenes Exemplar, doch dies gehörte deutschen Auswanderern, die das Foto an die Verwandschaft im inzwischen nationalsozialistisch durchgestylten Deutschland schickten.

Auf der Rückseite hat die keck posierende Dame auf Deutsch vermerkt: „Unser Kleiner, Harvey, hinter Paul“.

Der hochgeschossene Bub war also bereits dem Namen nach so perfekt integriert, wie man sich das in jedem vernünftigen Einwanderungsland wünscht – die deutschen Eltern waren es aber ebenfalls, wenn man sich ihren sozialen Status betrachtet.

Der baumlange Harvey hätte seine Wurzeln wohl bereits in den Staaten verortet – das in der alten Heimat verbreitete Schollendenken zu erwerben, werden ihm seine Eltern erspart haben.

Deshalb spricht übrigens von religiösen Minderheiten wie den Amish abgesehen in den USA längst keiner der Amerikaner mit deutschen Wurzeln mehr die Sprache seiner Vorfahren.

Man kann an den Vereinigten Staaten manches beanstanden, so den zunehmend eigengesetzlich agierenden Militärapparat, aber der dortige, auf dem radikalen Freiheitsversprechen der Verfassung basierende Patriotismus hat meine Sympathie.

Leider bedurfte es kurz nach Entstehen des letzten Fotos des Einsatzes Amerikas, um ein Deutschland niederzuringen, in dem die Bauern zwar noch die Ernte mit Ochsenkarren einbrachten, das aber dennoch meinte, seine Nachbarn mit blindem Furor überziehen zu müssen, wie das schon in der Antike die germanischen Stämme getan hatten.

So dürfte auch Harvey auch das Schicksal hunderttausender deutschstämmiger Landsleute geblüht haben, im 2. Weltkrieg als amerikanischer Infanterist, Panzersoldat, Jagdflieger oder Bomberpilot Tod und Verderben ins alte Europa zu bringen oder selbst dort den Tod zu finden.

Auch diese Geschichte ist mit solchen alten Fotos verbunden – wir können sie im 21. Jahrhundert „sine ira et studio“ betrachten und uns Gedanken machen, die über die Beschäftigung mit den technischen und formalen Seiten von Vorkriegsautos hinausgehen…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Ein Gedanke zu „„Das ist unser Kleiner…“: Ein Buick von 1937

Kommentar verfassenAntwort abbrechen