Meine jüngste Besprechung des Brennabor Typ R 6/25 PS hat nicht nur Zustimmung erfahren. Speziell meine Kritik der kruden Gestaltung dieses von 1925-28 gebauten Fahrzeugs mochte manchem harsch erscheinen.
Ich will heute darlegen, dass mein Urteil nicht lediglich subjektiv und dem modernen Geschmack geschuldet ist. Als Maßstab für den damaligen Zeitgeschmack ziehe ich dazu einen Wagen heran, der nicht lediglich in ein paar tausend Exemplaren entstand, sondern von dem pro Jahr 200.000 bis 250.000 Wagen abgesetzt wurden.
Es liegt auf der Hand, dass es sich bei diesen Stückzahlen nur um ein US-Fabrikat handeln kann. Die amerikanischen Hersteller hatten nach dem 1. Weltkrieg in nahezu jeder Hinsicht die Führungsrolle am globalen Automarkt übernommen.
Speziell ab Mitte der 1920er Jahre repräsentierten US-Wagen den automobilen Zeitgeschmack auch in weiten Teilen Kontinentaleuropas und verdrängten die technisch wie gestalterisch oft rückständigen einheimischen Fabrikate. Nur in Frankreich und Italien konnten Citroen und Fiat ihre Position einigermaßen halten.
Wer sich schon immer gefragt hat, warum sich renommierte deutsche Hersteller wie Adler, Opel, Horch oder Stoewer ab 1925 darum bemühten, möglichst amerikanisch erscheinende Wagen auf den Markt zu bringen, findet die Antwort darin: Weil alle Welt US-Wagen wollte.
Warum selbst auf größere Serien eingestellte Hersteller wie Brennabor hierzulande letztlich das Nachsehen hatten und der Großteil der Kundschaft lieber „Amerikaner“wagen kaufte, findet heute die Antwort am Beispiel der Buick-Modelle von 1925-27.
Zur Erinnerung: Brennabor stieg damals mit diesem Gefährt des Typs R 6/25 PS in den Ring:
![](https://i0.wp.com/vorkriegs-klassiker-rundschau.blog/wp-content/uploads/2024/03/Brennabor_Typ_R_6-25_PS_Tourer_Teddy_Galerie.jpg?resize=584%2C334&ssl=1)
So reizvoll dieses Dokument auch ist – diesem Tourer mit seiner aus primitiven Formen zusammengesetzten Karosserie ließ sich schon damals ästhetisch wenig abgewinnen.
Die Frontpartie habe ich bereits in meinem letzten Blogeintrag beanstandet – hier kann man nun auch die an einen militärischen Kübelwagen erinnernde Heckpartie studieren.
Lassen Sie dieses Vehikel noch einmal auf sich wirken – ich verspreche Ihnen: Am Ende werden Sie sich an einem offenen Wagen derselben Zeit erbauen können, an dem einst wirklich fähige Gestalter ihres Amts gewaltet haben.
Lassen wir nun einige Bilder erzählen, auf welchem Stand die moderne Autogestaltung damals war. Beginnen wir mit dem Buick des Modelljahrs 1925, in dem auch der Brennabor Typ R 6/25 PS erschien.
Hier zunächst eine Aufnahme aus England, welche die charakteristische Kühlerpartie und die markante Gestaltung der Vorderkotflügel und der Scheinwerfer erkennen lässt:
Selbst in England, wo damals eine größere Herstellervielfalt herrschte als in deutschen Landen, fanden die neuartig gestalteten US-Autos Anklang und wurden dort teils auch hergestellt.
Die Mittelklassewagen von Buick boten ein unverwechselbares Gesicht und man schreckte nicht vor dem Auge schmeichelnder Formgebung zurück, welche die quasi-religiöse Doktrin „form follows function“ souverän ignorierte, weil man den Käufergeschmack im Blick hatte.
Die Buicks von damals kamen hervorragend an, sodass für das Jahr 1926 nur wenige Änderungen am äußeren Erscheinungsbild erfolgten. Dazu gehört eine waagerechte Stange zwischen den Scheinwerfern, wie hier zu sehen:
Hier sieht man neben erwähnter Scheinwerferstange nun auch die zeittypische Gestaltung der Haubenpartie, von der Brennabor damals Lichtjahre entfernt war.
Hatte die Marke aus Brandenburg vor dem 1. Weltkrieg noch international Erfolg, ist mir von den Modellen um Mitte der 1920er Jahre nichts Vergleichbares bekannt.
Auch das gibt zu denken, was die Zeitgemäßheit angeht. Obiges Foto eines 1926er Buick ist übrigens in der Türkei entstanden, wo man damals ebenfalls US-Großserienfabrikaten klar den Vorzug vor den einst geschätzten deutschen Automobilen gab.
In Deutschland wurde auch die Tourenwagenversion des 1926er Buick gern gekauft – hier haben wir ein Exemplar vor einem mir unbekannten Monumentalbau:
Unser kleiner Ausflug ins „Buick-Territorium“ jener Zeit führt uns nun erneut zurück nach England.
Dort entstand die folgende Aufnahme vor der Kulisse kaum weniger beeindruckender Schöpfungen der Natur – großen alten Bäumen, wie man sie auf der Insel noch heute weit häufiger findet als in von der „Flurbereinigung“ verheerten heimatlichen Gefilden:
Sind Sie allmählich auf den (Zeit)Geschmack gekommen? So sah der nämlich ab Mitte der 1920er Jahre aus und die rapide wachsenden Marktanteile amerikanischer Fabrikate in Europa und speziell in Deutschland kündeten davon, was die Käufer wirklich wollten.
Das waren: Repräsentativ wirkende, wohlgestaltete, leistungsfähige und gemessen am Gebotenen preiswerte sowie zuverlässige Autos. All das boten in der vom Markt geforderten Stückzahl damals vor allem US-Wagen – da nutzten auch hilflose Appelle deutscher Wettbewerber an den Patriotismus der Kunden nichts.
Bleibt zum Abschluss noch ein Blick ins Jahr 1927.
Während Brennabor mit seinem Typ R 6/25 PS einige tausend deutsche Kunden (mehr als grobe Schätzungen scheint es nicht zu geben) zufriedenstellen konnte, begeisterte Buick hunderttausende mit wirklich dem Zeitgeschmack entsprechenden hervorragenden Wagen, vor denen man sich gern inszenierte.
Werfen Sie nochmals einen Blick auf das eingangs gezeigte Foto eines offenen Brennabor Typ R 6/25 PS und vergleichen es nun mit dem folgenden aus derselben Zeit:
Ich weiß: Es ist gemein, einen Tourer mit einem Zweisitzer-Cabrio zu vergleichen und es ist gemein, den griesgrämigen und ungesund erscheinenden Insassen des Brennabor diese sportliche junge Dame entgegenzusetzen.
Aber so sah die Konkurrenz damals aus und es hat seinen Grund, weshalb die Amerikaner mit ihrem Stil und ihrer Qualität bei den damaligen Zeitgenossen das Rennen machten.
Das ist kein Urteil aus heutiger Sicht, sondern entspricht den damaligen Gegebenheiten. Die Freunde hiesiger Vorkriegswagen müssen diese bittere Pille schlucken.
Heute haben die Amis die Lufthoheit im IT-Bereich, auch da gibt es nichts zu deut(sch)eln…
Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.