Mit Lilo in die Neue Welt: Chrysler von 1924/25

Heute folgen wir den Spuren eines Mädchens namens Lilo und landen in der Neuen Welt.

Dazu müssen wir jedoch die heimatliche Scholle nicht verlassen, denn die Neue Welt manifestierte sich ab Mitte der 1920er Jahren auch in deutschen Landen eindrucksvoll, jedenfalls was Automobile betrifft.

Diesmal befassen wir uns mit einem recht frühen Vertreter der später massenhaft in Deutschland abgesetzten US-Wagen – jedenfalls lässt sich das abgebildete Auto bis ins Jahr 1924 zurückverfolgen.

Damals wurde in New York ein völlig neues Fahrzeug präsentiert, von einer Firma, die gerade erst gegründet worden war – von einem Mann, der als Hilfsarbeiter auf einer Farm begonnen hatte: Walter Chrysler.

Er hatte sich in der Automobilbranche hochgearbeitet, war Manager bei Buick, dann bei Willys gewesen, zuletzt übernahm er das Kommando bei Maxwell-Chalmers. Auf Umwegen konnte er dort drei Konstrukteure verpflichten, deren Prototyp ihm bereits bei Willys aufgefallen war.

Dieses Fahrzeug wurde dann als erster Chrysler präsentiert und noch im gleichen Jahr in über 30.000 Exemplaren abgesetzt.

1925 sah der Chrysler noch ziemlich genauso aus wie der Erstling von anno 1924, sodass wir nicht sicher sagen können, um welches Modelljahr genau es sich bei diesem Fahrzeug handelte:

Chrysler von 1924/25; Originalfoto mit freundlicher Genehmigung von Angelika und Werner Thieme.

Da haben wir die kleine Lilo auf dem Kühler des Chrysler sitzen! Dass wir ihren Namen kennen, das verdanken wir Angelika und Werner Thieme. Frau Thieme weiß auch etwas zum einstigen Besitzer des Autos, denn er war ihr Großvater!

So gehörte der Chrysler einem Stuttgarter Großhändler aus dem Schmuck- und Edelmetallgeschäft namens Erich Oberheidtmann, der damit Einzelhändler in Südwestdeutschland besuchte.

Zumindest zeitweise gingen die Geschäfte gut, denn mit dem Chrysler von 1924/25 gönnte sich der Besitzer eines der modernsten Fahrzeug seiner Klasse überhaupt. Dieses kam nicht nur aus der Neuen Welt, es repräsentierte auch die neue Welt des Autobaus.

Der 3,3 Liter messende Sechszylindermotor des Chrysler war hochverdichtet und bot so eine ungewöhnlich hohe Leistung von knapp 70 PS. Zum Vergleich: Stoewers 6-Zylindertyp D12V bot 1925 bei 3,4 Litern gerade einmal 55 PS, bei Mercedes und Horch sah es selbst nach Mitte der 1920er Jahre nicht besser aus.

Ein Spitzentempo von über 110 km/h war mit dem Chrysler drin, während deutsche Fabrikate meist kaum über 80 km/h hinauskamen. Der amerikanische Hersteller hatte dem Auto konsequenterweise auch gleich hydraulische Vierradbremsen spendiert.

Das war in einem Mittelklassewagen 1924 sensationell, denn selbst Oberklassefahrzeuge deutscher Hersteller besaßen damals oft noch nicht einmal serienmäßige Trommelbremsen an der Vorderachse – trotz oft kolossaler Gewichte.

Kein Wunder, dass Chrysler seinen Absatz schon 1925 mehr als verdoppeln konnte. Im Skalieren der Produktion waren und sind die Amis Meister, weshalb sich deutsche Mittelständler unserer Tage lieber an US-Konzerne verkaufen, anstatt selbst ganz groß ins Geschäft einzusteigen – „German Angst“ bremst auch heute noch zuverlässig.

Das war die neue Autowelt, in der die kleine Lilo ihre ersten Jahre zubrachte. Viel später sollte sie die Mutter von Angelika Thieme werden, der wir die Informationen zu dem Chrysler und seinem einstigen Besitzer verdanken.

Hier haben wir sie noch einmal und nun kann man auch die Kühlerplakette lesen:

Nicht völlig auszuschließen ist, dass der Chrysler, auf dem die kleine Lilo saß, ein Vierzylindermodell des Jahres 1926 war.

Dieses besaß nämlich noch eine dem Sechszylindertyp von 1924/25 ähnelnde Frontpartie, während der Sechszylinder 1926 ein anders gestaltetes Kühlergehäuse erhielt.

Das würde aber nichts daran ändern, dass der Wagen eine Neue Welt repräsentiert, welcher die Hersteller auf dem europäischen Kontinent bis Anfang der 1930er Jahre wenig entgegenzusetzen hatten.

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

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