Neu entdeckt! Opel 8/25 PS „Sport“ – aber anders

Gerade schlägt es Mitternacht – die LP mit Vivaldi-Opernarien (dargeboten von meiner jahrzehntelangen Begleiterin Cecilia Bartoli) ist aufgelegt. Sie hat den rechten Schwung für’s heutige Thema, denn auch Signora Bartoli geht die Werke von gestern sportlich an, sofern es angemessen ist.

Zwar steht ein Opel nicht sehr weit oben auf der Liste, wenn es um die leidenschaftlich-italienischen Momente im Leben geht, doch man muss sich auch überraschen lassen können.

Denn die einst so bedeutende und geschätzte Marke aus Rüsselsheim hat in der Schatzkammer ihrer langen Geschichte Erstaunliches zu bieten.

Selbst vermeintlich alte Bekannte wie der Sport-Zweisitzer auf Basis des Opel 8/25 PS von Anfang der 1920er Jahre können einem auf unerwartet neue Weise begegnen. Hier erst einmal zur Erinnerung ein Foto, das den Typ als herkömmlichen Tourenwagen zeigt:

Opel 8/25 PS (8 M 21) Tourenwagen mit gepfeilter Frontscheibe, Baujahr: 1921/22; Originalfoto von 1926 aus Familienbesitz (Lutz Heimhalt)

Von dem nach dem 1. Weltkrieg neu konstruierten 2-Liter-Modell konventioneller Bauweise (Reihenvierzylinder, seitengesteuert) gab es auch eine schnittig wirkende Sport-Ausführung.

Diese war zwar mit demselben Motor bestückt, man darf aber annehmen, dass der wesentlich leichtere Aufbau als Zweisitzer mit Bootsheck den Wagen deutlich agiler machte.

Hier haben wir ein Exemplar dieses Opel 8/25 Sport auf einem Foto aus meinem Fundus, das 1925 in Langelsheim (Landkreis Goslar) entstand:

Opel 8/25 PS (8 M 21) Sport-Zweisitzer, Baujahr: 1921/22; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Gut gefällt mir hier der zupackende Griff des Fahrers, der die rechte Hand am Schalthebel hat, welcher wie der Handbremshebel außerhalb der Karosserie liegt – der Normalfall bei den Opels dieses Typs und den meisten deutschen Automobile vor 1925.

Diese Aufnahme begeistert mich jedesmal, wenn ich sie sehe – die Käufer solcher Wagen hatten unendlich mehr Gespür für ein vorteilhaftes Autofoto als die meisten der damaligen Werksfotografen.

Bitte prägen Sie sich neben dem Spitzkühler mit dem winzigen Opel-Logo noch die Gestaltung des Vorderkotflügels mit integrierter Reserverradaufnahme ein, aber auch die gepfeilte Frontscheibe, die typisch für das Modell war – eigentlich.

Jetzt schauen wir, was uns der schier unerschöpflich erscheinende Brunnen der Vergangenheit an neuen Entdeckungen auf diesem Sektor preisgibt.

Wieder einmal ist es Matthias Schmidt aus Dresden, dem wir einen außerordentlichen Fund verdanken:

Opel 8/25 PS (8 M 21) Sport-Zweisitzer, Baujahr: 1921/22; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt

Na, was sagen Sie? Die Frontpartie sieht bis zur Windschutzscheibe doch genau so aus wie bei dem zuvor gezeigten Opel Sport-Zweisitzer, oder?

Doch schon an der Scheibe selbst beginnen die Probleme: Diese sollte eigentlich mittig unterteilt und leicht geneigt sein. Dann fehlen hier die außenliegenden Hebel für Gangschaltung und Bremse.

Zudem scheint die Bootsheckkarosserie viel flacher ausgeführt zu sein. Dennoch hat man es irgendwie geschafft, dort Notsitze unterzubringen, welche den beiden Damen ausreichend Platz zu bieten scheinen – sie wirken jedenfalls ausgesprochen entspannt:

Was ist von dieser Szene zu halten, die meiner Vermutung nach von einem professionellen Fotografen eingefangen wurde?

Haben wir hier eine bis dato unbekannte Variante des Opel 8/25 PS Sport-Zweisitzers neu entdeckt? Oder haben wir es mit einem etwas jüngeren Typ 10/30 PS mit 2,6 Liter Motor zu tun, welcher seine Nachfolge antrat und äußerlich ähnlich daherkam?

Doch selbst dann wäre die offenbar innenliegenden Schalt- und Bremshebel bei einem Opel der ersten Hälfte der 1920er Jahre außergewöhnlich.

Aber so ist das ja immer wieder bei der Beschäftigung mit der Vergangenheit – man macht dort öfter und leichter großartige Entdeckungen als im Hier und Jetzt.

Damit übergebe ich an Cecilia Bartoli – eine der vielen Hausgötter beiderlei Geschlechts, die mich in musikalischer Hinsicht seit langer Zeit begleiten und für die Hintergrundstimmung sorgen, während ich zu nächtlicher Stunde an diesem Blog arbeite.

Sofern Sie’s interessiert und berührt – nehmen Sie sich ein knappe Viertelstunde Zeit für dieses Drama einer Frau, die in Vivaldis Oper „Farnace“ den Verlust ihres Sohnes besingt.

Die Frage, wer zu solchen Schöpfungen heutzutage fähig wäre, bleibt rhetorisch. Wir leben in erbärmlichen Zeiten, was das angeht, und zugleich in den besten, was die Verfügbarkeit des Großartigsten betrifft, was Menschen einst geschaffen haben:

Videoquelle: Youtube.com; hochgeladen von 07NewYorker

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

2 Gedanken zu „Neu entdeckt! Opel 8/25 PS „Sport“ – aber anders

  1. Lieber Herr Linder, wenn auch nur einer meiner Leser sich über die schönen Dinge von einst freut und sich danach bereichert fühlt, dann ist meine Arbei nicht umsonst. Keine Sorge – ich habe noch tausende Fotos, Reklamen und Prospekte aus der Vorkriegszeit, die der Aufbereitung harren. Das reicht locker für mehrere Jahre – und dann gibt es noch etliche Sammlerkollegen, die ebenfalls über enorme Archive verfügen und gern zeigen, was sie besitzen. Ein wenig stolz darf ich vermerken: Das finden Sie sonst nirgends im deutschsprachigen Raum und monatlich fast 5.000 Besucher sehen das offenbar ebenso.
    Beste Grüße,
    Michael Schlenger

  2. Lieber Herr Schlenger,

    soeben habe ich die wundervolle Vivaldi-Arie gehört, die ich bis heute nicht gekannt habe. Wirklich großartig! Ich finde es sehr schön, dass Sie hin und wieder auch solche Dinge in Ihren Blog einstellen, es ist eine wirkliche Bereicherung.
    Ich lese seit langer Zeit regelmäßig Ihre kenntnisreichen und sehr kurzweiligen Beschreibungen von historischen Automobilfotos und habe sehr viel Freude dabei.
    Wenn man sich näher mit den Lebensumständen in Deutschland während der (vor allem frühen) 20er Jahre beschäftigt, ist es immer wieder erstaunlich, welche Unbeschwertheit und Lebensfreude diese Fotos und die darauf abgebildeten Menschen zeigen.

    Hoffentlich dürfen wir noch viele Fotos und dazugehörige Beschreibungen von Ihnen lesen.

    Vielen Dank und viele Grüße

    Alexander Linder

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