So jung und schon Veteran: Ein Brennabor um 1911

Anfang der 1920er Jahre – also vor gut einem Jahrhundert – konnte man schon sehr früh den zweifelhaften Status des Veteranen erwerben – als junger Mann ebenso wie als solider Gebrauchtwagen. Man musste dazu „nur“ den 1. Weltkrieg überstanden haben…

Um besser zu verstehen, wieso das damals so schnell gehen konnte, werfen wir zunächst einen Blick auf das, was Deutschlands damals größte Automobilfabrik im Angebot hatte. Die Rede ist weder von Benz noch Opel, weder von NAG noch Wanderer.

Nein, um 1920 war Brennabor aus Brandenburg an der Havel derjenige Hersteller, welcher dank konsequenter Rationalisierung der Fertigung die höchsten Stückzahlen erreichte.

So ist es kein Wunder, dass man speziell dem Typ P 8/24 auf alten Fotos am laufenden Band begegnet. Lediglich die ganz frühen Ausführungen mit dem sportlich wirkenden Spitzkühler nach Vorlage von Benz finden sich nicht ganz so häufig:

Brennabor Typ P 8/24 PS um 1920; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Typisch für die frühen Modelle war neben besagtem Spitzkühler mit aufgesetztem „B“ das Fehlen von Haubenschlitzen und die optisch nach hinten versetzt wirkende Vorderkotflügel.

Gelegentlich bringe ich wieder eine Auswahl von Fotos zu diesem nur auf den ersten Blick eigenschaftslos erscheinenden Modell.

Jedenfalls war Brennabor damit gestalterisch auf der Höhe der Zeit, zumindest am deutschen Markt. Und jetzt sehen wir uns an, wie ein Brennabor gerade einmal 10 Jahre zuvor ausgesehen hat – wie aus einer anderen Welt:

Brennabor Chauffeur-Limousine um 1911; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Diese beeindruckende Aufnahme verdanken wir Leser Matthias Schmidt aus Dresden. Sie zeigt ebenfalls einen Brennabor, doch dieser weist außer dem Namen und (wahrscheinlich) der Motorengröße keine Gemeinsamkeit mit dem Typ P 8/24 PS auf.

Wer nun meint, dies liege daran, dass wir es in Wahrheit mit einem Minerva zu tun haben, zeigt sich zwar als überdurchschnittlich gebildet in Sachen frühe Automobile – denn die Wagen des belgischen Herstellers besaßen damals eine ähnliche Haubengestaltung, auf den ersten Blick. Falsch liegt man trotzdem mit dieser Einschätzung.

Hier haben wir zu Vergleichszwecken einen Minerva derselben Zeit und mit ähnlichem Aufbau als Chauffeur-Limousine (ausführliches Porträt hier):

Minerva Chaufffeur-Limousine um 1912; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Diese prachtvolle Aufnahme, die uns Leser Klaas Dierks zur Verfügung gestellt hat, erlaubt die Unterscheidung anhand der Gestaltung des Oberteils des in beiden Fällen „getreppt“ gestalteten Kühlergehäuses.

Beim Minerva war dieses oben abgerundet, nicht flach, außerdem war eine runde Markenplakette angebracht, was es bei Brennabor vor dem 1. Weltkrieg nicht gab.

Zur Bestätigung flechte ich eine weitere Aufnahme ein, diesmal aus meinem Fundus. Sie zeigt unstrittig einen Brennabor um 1912, denn auf dem Kühler ist der Markenname lesbar (Porträt hier):

Brennabor Landaulet um 1912; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

In der Hoffnung, Sie überzeugt zu haben, kehre ich nun zu dem Foto zurück, das mir Matthias Schmidt in digitaler Kopie zur Verfügung gestellt hat.

Wie in den meisten Fällen steckt etwas Arbeit in der hier zu sehenden Version, falls Sie sich wundern, wie ein rund 100 Jahre altes Foto immer noch so gut aussehen kann.

Den Gesamteindruck störende Flecken und Kratzer habe ich beseitigt, die horizontale Ausrichtung verbessert und den Bildausschnitt so angepasst, dass das Fahrzeug im Mittelpunkt steht.

Das Drumherum war nämlich belanglos, bis auf eine Kleinigkeit, auf die ich noch zurückkomme, weil sie bei der Datierung der Aufnahme hilft. Aber zunächst werfen wir einen näheren Blick auf den Brennabor:

Die deutliche Stufe zwischen der Motorhaube und dem dahinter befindlichen Blech – dem „Windlauf“ – ist typisch für die Zeit zwischen 1910 und 1912. Davor und danach findet man sie bei deutschen Serienautos generell nicht.

Ich würde dieses Fahrzeug daher auf „um 1911“ datieren, wozu auch die noch gasbetriebenen Parkleuchten passen, denn 1913/14 setzte sich hier bereits elektrische Beleuchtung durch, zumindest bei Wagen der Mittel- und Oberklasse.

Mit den mächtigen Frontscheinwerfern, welche ihre Energie aus dem Karbidgasentwickler bezogen, der auf dem Trittbrett vor den beiden Ersatzreifen angebracht ist, wirkt der Brennabor vollkommen so, wie ein Wagen kurz vor dem 1. Weltkrieg aussah.

Nur: Das Foto ist ganz sicher erst nach dem Krieg entstanden. Darauf verweist das moderne Erscheinungsbild des jungen Mannes am Steuer, der ohne Vatermörderkragen und mit Krawatte nach der neusten Mode gekleidet (und auch frisiert) ist.

Man sieht es ihm nicht an, aber wir können annehmen, dass er zum Aufnahmezeitpunkt bereits ein Veteran war – sofern er im Krieg als Soldat dienen musste.

Was er gesehen und gelebt und vielleicht getan hat, wissen wir nicht. Aber man betrachtet ihn mit anderen Augen, wenn man sich vergegenwärtigt, dass er ein Zeitzeuge der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts in Europa war.

Während er äußerlich mit der Zeit ging, blieb sein Brennabor das was, er war: Ein Zeuge der Vorkriegsautogeneration, die nach dem 1. Weltkrieg ziemlich schnell „von gestern“ war.

Aber wann ist dieses Dokument überhaupt entstanden? Könnte es nicht sogar erst aus den späten 1920er Jahren stammen? Nun, denkbar wäre das schon, modisch wäre der Fahrer auch dann noch auf der Höhe der Zeit gewesen.

Doch schauen Sie sich das Foto noch einmal genau an. Dort sehen sie links – und vor allem rechts – des Autos schemenhaft Frauen, deren Kleider nicht mehr bodenlang waren wie noch anno 1914, aber auch noch nicht so kurz wie Mitte der Zwanziger.

Das spricht dafür, dass uns der heutige Ausflug mit der Zeitmascheine etwa ins Jahr 1920 befördert hat. Viel länger wäre auch kaum noch jemand mit den Gaslaternen am Auto umhergefahren.

Damit war der Brennabor noch mehr Veteran als sein Lenker, und das obwohl er gerade einmal zehn Jahre alt gewesen sein mag, wenn überhaupt.

Das gibt einem vielleicht eine Vorstellung von den rapiden Umbrüchen jener Zeit, im Vergleich zu denen es heutzutage eher beschaulich zugeht.

Ein junger Mann in den Zwanzigern ist heute kein Veteran hierzulande und wir sollten Sorge tragen, dass dies so bleibt. Auch könnte ich ein knapp zehn Jahre altes Auto kaum von einem aktuellen unterscheiden (allerdings interessiere ich mich auch nicht dafür…).

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

2 Gedanken zu „So jung und schon Veteran: Ein Brennabor um 1911

  1. Wieder einmal besten Dank! Noch zum „Karbidgas“ – umgangssprachlich durchaus gängig (da weniger sperrig). Wollte man 100%ig sein, müsste man übrigens „Calciumcarbid“ sagen…

  2. Wiedermal einige interessante Bilder der damals sehr verbreiteten Brennabor- Wagen mit den (lebens)klugen Anmerkungen unseres Blogwarts zur abgebildeten Scenerie der Aufnahmen.
    In der Tat: Anmutung und Kleidungsstil des jungen Fahrers des „alten“ Brennabors stehen in krassem Gegensatz zum antiken Erscheinungsbild der gediegenen Limousine!
    Sollte sich hier Veteran mit Veteran „verbündet“ haben, um gemeinsam die harten Nachkriegsjahre als Miet- Auto- droschke zu überstehen?
    1919 standen ja Abertausende
    Militärkraftfahrer vor dem existenziellen Nichts, oft
    ohne Erwerbsgrundlage – ausser dem Militär-Kraftfahrer !

    Könnte – in Farbe – glatt ein Schnappschuss von einer heutigen Veteranenrally sein – wäre es denn möglich, ein solches Fossil heute hierzulande zu bewegen! Man stelle sich die Schwierigkeit allein der Darstell-ung einer azethylengasbetriebe- nen Warnblinkanlage vor…
    Übrigens: bitte nicht “ Karbidgas- entwickler“ !
    Man spricht von Azethylen(gas)-
    Entwicklern, denn „entwickelt“ wurde Acethylengas (CaCO2) aus Karbid unter (richtig) dosierte Zugabe von Wasser.
    Wir Alten haben das noch in der Grundausbildung Metall gelernt.
    Ehe es üblich (bzw. die Versorgung durch auf Flaschen gespeicherten „Ace“ möglich war) stand in jeder Schlosser- oder Schmiedewerkstatt, in der geschweißt wurde ein sog. Acethylenentwickler – der allerdings auf kein Trittbrett passte!
    Diese doch mit gewissem Bedienungsrisiko behaftete chem. Reaktion in möglichst langanhaltender und verstetigter Funktion bei „narrensicherer“ Bedienung in den Dienst zur nächtlichen Beleuchtung von Automobilen zu stellen, war Entwicklungsziel
    Der damaligen Hersteller wie z.B. „Eisemann“ die es ja heute noch gibt .
    Es konnte also durchaus vorkommen, daß diese grandios helle (nicht abblendbare) Beleuchtung in stockdunkler Nacht ausfiel – durch Fehlbedienung oder durch mangelnden Vorrat an Karbid.
    So musste also jedes Fuhrwerk bzw. Automobil eine Ersatz- oder „Not“-beleuchtung führen,
    hier noch die dann noch vor dem WK I durch batteriegespeiste elektrische Seitenleuchten ersetzten Kerzenlüster.
    Die sind charakterisiert durch diese nach unten ragende stielartige Aufnahme für die spezielle Kerze, die zum Ausgleich des Abbrandes von Zt. zu Zt. nach oben geschraubt oder geschoben werden mußte.
    Und das Karbid kann man heute noch z.B. bei Amazon bestellen, in Dosen zu 500 gr. oder kiloweise – ab € 8,50 .
    Beliebt beim Hobbygärtner -‐ gegen Wühlmaus und Maulwurf!

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