Wunderbar wandelbar: Steyr Typ XII Tourenwagen

Seit es Automobile gibt, stehen sich zwei Fraktionen unversöhnlich gegenüber – die Anhänger offener Aufbauten und die Verfechter der geschlossenen.

Beide wissen für ihre Überzeugungen gute Argumente ins Feld zu bringen – ganz wie im Fall der politischen Ideale der offenen und der geschlossenen Gesellschaft.

Wir in Sachen Karosserievielfalt ziemlich kurzgehaltenen Zeitgenossen wissen meist nur noch zwischen Limousine und Cabriolet zu unterscheiden. Diese bescheidene Auswahl erfordert eine klare Richtungsentscheidung.

Dass es dazwischen eine Vielzahl von Abstufungen und Varianten geben kann, dass wussten noch unsere Altvorderen. Und wie im Fall des Wettstreits zwischen offener und geschlossener Gesellschaft zeigt sich, dass sich das Beste beider Welten vereinen lässt.

Dazu muss man freilich die Zwischentöne kennen und ihnen Raum geben. Das tun wir heute anhand eines österreichischen Automobils – des Typs XII von Steyr.

Mit nur 1,6 Litern Hubraum und 30 PS Leistung bewegte sich der 1926 eingeführte Wagen auf den ersten Blick in konventionellen Gefilden. Doch kaum jemand sonst bot in dieser Klasse einen Sechszylinder-Motor, der dank obenliegender Nockenwelle ausgesprochen drehfreudig und zugleich robust war.

Bis Produktionsende 1929 entstanden über 11.000 Exemplare – für die kleine (aber feine) österreichische Automobilindustrie ein beachtliches Ergebnis. Ganz geschlossene Aufbauten waren mit Abstand am teuersten – sie blieben trotz ihres unübertroffenen Wetterschutzes die Ausnahme.

Eines dieser seltenen Exemplare ist hier auf einem Foto zu sehen, das mir Leser Klaas Dierks in digitaler Form aus seiner Sammlung übermittelt hat:

Steyr Typ XII Limousine; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Österreichische Enthusiasten werden vielleicht mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen, dass es sich wieder einmal um ein in Deutschland zugelassenes Fahrzeug handelt. In diesem Fall haben wir es mit einer Registrierung in Anhalt zu tun.

Tatsächlich fanden Steyr-Wagen auch beim Nachbarn mit seiner weit größeren Autoindustrie immer wieder Freunde – sie boten Qualitäten, die einheimische Produkte vermissen ließen.

Das war offenbar auch die Auffassung eines Paars aus Hamburg, das sich ebenfalls für einen Steyr Typ XII entschied – allerdings stand den Herrschaften der Sinn nach einem sportlich wirkenden Cabriolet:

Steyr Typ XII Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Diese Ausführung war vorrangig für die Fahrt zu zweit gedacht – bei geschlossenem Verdeck saßen etwaige Mitreisende im Dunkeln.

Immerhin bot das gefütterte Verdeck guten Regenschutz, dämpfte Außengeräusche und wurde durch eine massive Sturmstange in Form gehalten.

Die Limousinenfraktion wird gleichwohl auf das bessere Platzangebot und den hellen Innenraum mit den großen Glasflächen verwiesen haben, welcher das Reisen auch bei schlechtem Wetter angenehm machte.

Das Beste aus diesen beiden Welten vereinte jedoch eine dritte Variante, die auch beim Steyr Typ XII die verbreitetste war – der Tourenwagen!

Meist findet man ihn auf Fotos mit niedergelegtem Verdeck wie hier:

Steyr Typ XII Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

War das Wetter passabel – also regnete es nicht gerade – fuhr man meist offen, auch wenn es dann auf den hinteren Plätzen zugig zuging.

Ein geschlossener Kragen und eine Kopfbedeckung waren dann ratsam – vermutlich hat die dunkelhaarige Insassin nur für das Foto Kopftuch oder Kappe abgenommen.

Bemerkenswert ist bei dem hier abgebildeten Wagen, dass er an den Vorderkotflügeln angebrachte Ersatzräder besitzt – meist waren diese bei der Tourenwagenausführung des Steyr Typ XII am Heck angebracht, was wohl die preisgünstigere Lösung darstellte.

Einen wichtigen Unterschied zum zuvor gezeigten Cabriolet stellt das ungefütterte Verdeck dar, welches sich daher auch ganz flach niederlegen ließ, wie hier zu besichtigen.

Nur hin und wieder findet sich eine Originalaufnahme, auf der ein Steyr XII Tourer mit geschlossenem Verdeck zu sehen ist. Das ist so selten, dass man nehmen muss, was man kriegen kann – also entschuldigen Sie bitte die mäßige Qualität der folgenden Aufnahme:

Steyr Typ XII Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dass wir es mit einem Steyr zu tun haben, ist überhaupt nur an dem ungewöhnlichen Lochkreis der sechs Radschrauben und dem großen Nabendeckel zu erkennen.

Davon abgesehen könnte dies eirgendein Tourenwagen aus dem deutschsprachigen Raum um die Mitte der 1920er Jahre sein. Abgelichtet wurde das Auto vor der tristen Kulisse eines „Lichtspiel Excelsior“ – vermutlich befinden wir uns hier am Lieferanteneingang.

Der eigentliche Reiz liegt ohnehin in etwas anderem. Man kann nämlich an diesem Exemplar das Erscheinungsbild des geschlossenen Tourenwagenverdecks mit seinem schlichten Holzgestänge studieren.

Man ahnt, dass sich der Wind- und Kälteschutz auf den einer Stoffplane beschränkte. Sonderlich elegant wirkt der voluminöse Aufbau auch nicht, wenngleich für meinen Geschmack ein geschlossener Tourer stets eindrucksvoller aussieht als ein offener.

Seitenfenster sind nicht zu sehen – den Luxus gläserner Kurbelscheiben wie beim Cabriolet gab es bei Tourenwagen generell nicht. Aber es gab etwas anderes, was die wunderbare Wandelbarkeit des Tourenaufbaus illustriert – seitliche Steckscheiben!

Das klingt erst einmal reichlich abstrakt und man bekommt dergleichen auf alten Aufnahmen nur selten zu sehen. Man muss sich vorstellen, dass zur Ausstattung eines Tourenwagens auch ein Satz an Scheiben gehört, der bei Bedarf seitlich montiert werden konnte.

Um halbwegs Dichtigkeit zu gewährleisten, waren die Scheiben in einem breiten Holzrahmen eingesetzt, der mit Kunstleder bespannt war. Die Scheiben selbst waren aus einem frühen Kunststoff, der dazu neigte, zu zerkratzen und zu vergilben: Zelluloid.

Toll sahen diese Teile also nicht aus, und man verwendete sie eher bei staubigen Straßen oder wenn es zwar trocken, aber doch eher frisch war, also nicht beim idealen Wettter für eine Ausfahrt.

Damit ließ sich ausgerechnet die relativ preisgünstige Tourenwagenvariante in etwas verwandeln, das einen Mittelweg zwischen offenem und geschlossenem Fahren erlaubte.

Wie das Ergebnis beim Steyr XII aussah, das können wir anhand dieses außergewöhnlchen Fotos aus dem Fundus von Leser Matthias Schmidt bestaunen:

Steyr Typ XII Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Wieder wirkt der Steyr hier ganz anders als die anderen bisher gezeigten Varianten.

Die Möglichkeit, das Platzangebot einer Limousine mit der Luftigkeit eines Cabriolets verbinden zu können und bei Bedarf eine halboffene Lösung zu wählen, wie sie später die beliebten Cabriolimousinen boten, das macht den besonderen Reiz des Tourers aus.

Wie im Fall des Widerstreits zwischen offener und geschlossener Gesellschaft, ist für mich hier das „Sowohl als auch“ der Weg, der eine ausgewogenes Ergebnis erlaubt.

Offen sein, wenn es nützlich und angenehm ist, bei Bedarf sich vor Widrigkeiten schützen zu können und je nach Situation auch einen pragmatischen Mittelweg zwischen den Extremen zu wählen – das scheint mir generell ein vernünftiger Ansatz im Leben zu sein.

Man sieht am Ende: Wandel kann wunderbar sein, wenn man dabei sachorientiert bleibt. In automobiler Hinsicht gibt es kaum etwas Vernünftigeres als einen Tourer und auch die Käufer des Steyr XII bevorzugten diesen einst mit Abstand…

Steyr Typ XII Tourenwagen in Linz; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

5 Gedanken zu „Wunderbar wandelbar: Steyr Typ XII Tourenwagen

  1. Ja diese Koffer waren speziell für den Steyr XII von der Firma Nigst in Wien zu haben. Das Double Phaeton hatte ja keinen Kofferraum weil die Rückbank ganz nach hinten gerückt viel Platz für die Beine lies deshalb musste Reisegepäck woanders untergebracht werden. Die Koffer ich habe auch schon eine niedrigerer Ausführung gesehen waren unten am Trittbrett befestigt und oben mit einer Schraube im Windleitblech. In den Koffern waren weitere Innenkoffer die man einfach und elegant z.B. ins Hotel mitnehmen konnte.

  2. Sehr geehrter Herr Schlenger,

    mit den Steyr XII Bildern haben sie mir eine große Freude gemacht. Dazu muss ich aber ein paar Kommentare abgeben. Das erste Foto zeigt einen seltenen XII er mit Linkslenkung mit einer Lindner Karosserie. Ich vermute ein nach Deutschland exportiertes linksgelenktes Chassis das dann aus Zollgründen einen deutschen Lindner Aufbau erhielt. Zur weitern Verwirrung gab es das Cabriolet 3 oder 4 sitzig mit minimalen äußeren Unterschieden. Das Modell mit den Rädern in den Kotflügeln ist ein Kommerzwagen. Die hintere Sitzbank konnte herausgenommen werden und er Raum war mit einer robusten Verkleidung versehen damit man unter der Woche Waren transportieren konnte und am Wochenende die Familie. Die Räder waren an der Seite damit man von hinten unbehindert vom Reserverad das da normalerweise montiert war einladen konnte. Ihre Ausführungen zu den Steckfenstern sind richtig aber die Rahmen waren aus Flacheisen das in den Stoff um das Zelluloid eingenäht waren. Beim Steyr XII war hinter der Rückbank ein Fach in dem diese dann platzsparend aufbewahrt wurden. Steyr hat in den Prospekten den Tourenwagen meist als Double Phaeton bezeichnet. Bei den technischen Daten könnte man noch die hintere Pendelachse erwähnen die zu dieser Zeit auch selten anzutreffen war.
    Danke nochmals für den Blick nach Österreich.
    Mit freundlichen Grüßen
    Thomas Billicsich

  3. Hallo,

    mir ist der ungewöhnlich angebrachte Seitenkoffer an dem Cabriolet und dem Tourenwagen aufgefallen. Interessant finde ich, das es sich in beiden Fällen um das gleiche Koffermodell zu handeln scheint, vielleicht ein Originalzubehörteil von STEYR ?.

    Viele Grüße
    Axel Schmidt

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