Taugt doch für etwas! Hanomag 2/10 PS Limousine

Um es vorwegzunehmen: Der erste Hanomag-PKW, welchen der Maschinenbauer aus Hannover von 1925-28 baute – das Modell 2/10 PS – dieses Minimalgefährt und ich werden gewiss keine Freunde mehr.

Zu weit entfernt war dieses vermeintliche Volksmobil von echten Entwürfen für den Alltagsbedarf, wie sie in den frühen 1920er Jahren längst existierten: In den Staaten der Ford T, in England der Austin 7, in Frankreich der Citroen 5CV und in Italien der Fiat 501.

Nur in Deutschland meinte man, mit etwas Besonderem aufwarten zu müssen. So ließ sich Hanomag auf die Bastelei eines gewissen Fidelis Böhler ein, die konsequent am Massenmarkt vorbeikonstruiert war: lauter Einzylindermotor mit Motorradleistung, kein elektrischer Anlasser, kein Platz für eine Familie mit Kindern.

Die in der Literatur mangels anderer Qualitäten bemüht betonten Novitäten wie etwa die noch ungewohnte Pontonkarosserie machten keinen der genannten Praxismängel wett.

Oft heißt es, der Hanomag 2/10 PS sei „seiner Zeit zu weit voraus“ gewesen oder „von den Käufern nicht verstanden worden“. Das erinnert an die Entschuldigungen, welche heute bei einer radikal an der Realität vorbeiregierenden Politik vorgebracht werden.

Seien wir ehrlich: Außer kinderlosen Avantgardisten konnte doch kein Normalbürger damals ernsthaft Begeisterung für diese komische Kiste mit kulturlosem Krachantrieb aufbringen – wenn nicht gerade eine junge Dame darauf herumturnte:

Hanomag 2/10 PS Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ungeachtet meiner grundsätzlichen Geringschätzung dieses Sackgassengefährts möchte ich heute dennoch Gnade walten lassen, denn ich habe festgestellt, dass der Hanomag 2/10 PS doch für etwas taugte – außer seinen Besitzern das befriedigende Gefühl zu geben, den verständnislosen Mitbürgern ihren exklusiven Geschmack vorführen zu können.

So bot er in Gestalt der Limousine die formidable Möglichkeit, das Dach nicht nur von vorn – wie oben – sondern ebenso leicht auch von hinten zu erklimmen und sich dort zumindest zeitweise im Luftreich der Illusion aufzuhalten.

Im besten Fall war das Resultat dann so erbaulich wie auf der folgende Aufnahme:

Hanomag 2/10 PS Limousine; Oiginalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hier ist fast nur am Ersatzrad und am Fehlen des mittigen Scheinwerfers zu erkennen, dass wir den Hanomag diesmal von hinten betrachten.

Die Idee, ein Auto von vorn wie von hinten nahezu identisch zu gestalten – siehe den unsäglichen Zündapp „Janus“ – empfand ich schon immer als eine Beleidigung des Betrachters, der bei einem dermaßen teuren Gegenstand wie einem Automobil zurecht etwas Bemühen um eine einfallsreiche Form erwarten darf.

Doch heute ist mir das beinahe egal, denn die Aufnahmesituation versöhnt mich diesmal mit diesem automobilen Machwerk. Ja, der Hanomag 2/10 PS taugt doch für etwas!

Ich bilde mir ein, dass die charmante Dame auf dem Dach des Wägelchens sich einfach köstlich über selbigen amüsiert hat, als sie solchermaßen abgelichtet wurde:

Der Kontrast zwischen ihrem reizvollen Erscheinungsbild und der Blechkiste unter ihr könnte kaum größer sein. Selbst der Glanz ihrer Stiefel stellt den Lack des Hanomag mühelos in den Schatten, von anderen Ansehnlichkeiten ganz zu schweigen.

Mir ist bewusst, dass ich mit meinem schroffen Urteil über den Hanomag 2/10 PS auf Widerspruch einiger Verehrer des „rasenden Kohlenkastens“ stoße.

Doch abweichende Ansichten muss man aushalten und Kritik auch sportlich nehmen können. Das ist im wirklichen Leben nicht anders und gegebenenfalls unüberbrückbare Meinungsdifferenzen gehören auch bei letztlich banalen Themen wie Vorkriegsautos dazu.

Rede und Gegenrede – gern auch engagiert und zugespitzt – sind die Vorausetzung jedes argumentativen Austauschs und so sind mir auch ganz andere Sichtweisen willkommen. Wer also dem Hanomag 2/10 PS auch ohne weibliche „Besatzung“ vorteilhafte Seiten abgewinnen kann, möge das im Kommentarteil tun.

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

4 Gedanken zu „Taugt doch für etwas! Hanomag 2/10 PS Limousine

  1. Auch ich möchte noch meine Sympathie für den kleinen Hanomag zum Ausdruck bringen. Mir gefällt der Wagen eben wegen seines einzigartigen Aussehens besonders gut und symbolisiert für mich was für kuriose Konstruktionen in den 1920ern möglich waren und eben nur in diesem Jahrzehnt. Nur in den wilden 20ern kam man auf die Idee solche genial-verrückten „primitiven“ Gefährte zu bauen wie ein Diabolo Dreirad, ein Mollmobil, ein Peter- und Moritz-Wagen, ein Mauser-Einspurauto oder einen fahrenden Bretterkasten mit Elektromotor namens Slaby-Beringer. Unter diesen kleinsten Volksvehikeln war der fahrende Kohlenkasten ganz weit vorn und insbesondere das Design der frühen Modelle (mit im Karosseriekörper einbezogenen Kotflügeln) finde ich genial. Mit seinem Zyklopenauge und seiner elliptischen Seitenansicht schaut er als offener Zweisitzer aus wie ein auf die Seite gefallener Rumpler-Tropfenwagen und stiehlt jedem seiner konventionellen Nachfolger wie dem 3/16PS locker die Schau.

    Ja, er ist laut. Ja, er ist langsam und einfach gestrickt ist er auch, aber dabei unheimlich liebenswert.

  2. Danke für die Replik! In der Sache alles richtig, bloß ändert das nichts an der Tatsache, dass der Hanomag für Otto Normalverbraucher immer noch viel zu teuer war und für ein richtiges Auto zu primitiv. Ich habe bewusst den Vergleich mit den ausländischen Märkten gebracht, um zu zeigen, dass ein massenmarkttauglicher Wagen ein vollwertiger Viersitzer mit auch für Damen unproblematischem Anlasser und einer Optik sein musste, die nicht erklärungsbedüftig war. Hanomag ging bei seinem nächsten Modell nicht zufällig wieder zur Konvention über, die auch dann etwas für sich haben kann, wenn man sich sonst nicht unbedingt zum Spießbürgertum zählt. Das Kommissbrot war eine skurrile Sackgasse und trug nichts zur Volksmotorisierung oder sonst zum Fortschritt bei – ich kann aber verstehen, wenn seine Einzigartigkeit fasziniert.

  3. Vielen Dank für den wieder einmal kurzweiligen Blogeintrag nebst interessanten Fotos.
    Vielleicht paßt in diese Kategorie ja noch der Framo ‚Stromer‘ – aber der sieht zumindest von Vorne wie ein richtiges Auto aus. 😉

  4. Eigentlich schade, daß unser blog- Wart wiedermal der „bürgerlichen Mehrheitsmei- nung“ anhängt und den – zugeben – damals recht unkonventionell daherkommenden kleinen Hannomag aus “ Blech und Lack“ nicht zu würdigen weiß.
    Bot er doch neben dem Nachteil, nicht wie ein damals sogenanntes “ richtiges Auto“ auszusehen viele Vorteile, die seinerzeit durchaus geschätzt wurden.
    Zumal wenn das Geld nicht im Mittelpunkt des Vorwärtsdranges stand, was in diesen Jahren ja durchaus verbreitet gewesen sein soll.
    Kein elektrischer Anlasser?
    Na prima, braucht’s auch keine Anlass- Batterie ( ein erheblicher Kostenfaktor bei allfälliger Erneuerung! War also nur eine kleine Licht- Batterie nötig, die
    allenfalls ein Drittel kam, tat sie’s nicht mehr.
    Die Möglichkeit, den Motor jederzeit im Trockenen sitzend
    anwerfen zu können wog damals manches auf !
    So mancher Automobilist soll bei Gelegenheit die Contenance
    verloren haben, wenn bei Regen der Mann triefte, ehe die verfluchte Kiste endlich lief.
    Und wenn dann noch der Wind
    den Hut über die Straße kullern ließ und der dann auf die Viehweide hinterm Straßengraben segelte !
    Magnetzündung sorgte beim „Kohlenkasten“ zuverlässig für guten Zündfunken und die 10 PS
    mit gutem Drehmoment waren bei dem Leichtgewicht (370 – 430 kg – je nach Aufbau) eine respektable Leistung (zum Vergl.: Opel Laubfrosch 12 PS aus 1000 ccm bei 600 kg).
    Gute Bergsteigefähigkeit bei un- schlagbar niedrigem Verbrauch
    ( 5 Ltr.) machte Laune zu Ausflügen auch in schwieriges Gelände und im Winter.
    Das fehlende Differential sorgte
    bei Glatteis für (relativ) sichere Traktion. Bei Kurvenfahrt spielte
    das angesichts der Schotter- oder Holperpisten noch nicht die Rolle, war doch die Spur hinten auf kurvenverträgliche 910mm
    (gegenüber 1040mm vorne) begrenzt worden.
    Und Platz? Gabs im Laubfrosch sicher nicht mehr – mit seiner schmalen Bootskarosse.
    Gehen wir mal davon aus, daß die drei Damen zusammen zum Fototermin anreisten! Der Kohlenkasten war dünnwandig und die Sitzbank ging also , fast,
    über die ganze Wagenbreite.
    Da hätten wir die ganze junge Familie – der Kleine auf Muttis Schoß – doch schon untergebracht !
    Meine Familie wohnte ab 1924 in Hann.- Langenhagen an der Walsroder Str. Meine Tante erinnerte sich noch an die Kolonnen der ulkigen Autos, die Sonntags Richtung Heide vorbeituckerten und Abends zurück !
    Bei der Hannomag bekamen (verdiente?) Werksangehörige mit Führerschein die Autos zu Ausflugsfahrten ausgeliehen.
    So sparte man sich extra „Einfahrer“ und der Kunde bekam trotzdem ein erprobtes Fahrzeug in die Hand. Genial, nicht ?
    Ich selbst bekam vor Jahren die Limousine eines befreundeten Liebhabers in die Hanf um ihr den Auspufftopf nachzubauen…

Kommentar verfassenAntwort abbrechen