Mit dem 21. Dezember ist für mich jedes Jahr eine wichtige Wegmarke erreicht – ab hier werden die Tage allmählich wieder länger. Doch wenn man am 21. etwas draußen vorhat, wird das bestenfalls ein kurzes Vergnügen.
Egal, anhaltender Frost ist angesagt und das mögen die noch im Hof an der Hauswand verbliebenen mediterranen Kübelpflanzen nicht – also sind die wenigen Stunden Tageslicht schon zum Gutteil verplant.
Der Hauptaufwand besteht darin, in dem angrenzenden über 100 Jahre alten Ziegelbau, in dem meine Fahrzeuge „wohnen“, Platz zu schaffen. Gar nicht so einfach, denn ein ungeschriebenes Gesetz will es, dass Sammler alter Sachen über kurz oder lang jeden freien Platz mit ihren Schätzen okkupieren.
Der vergnügliche Teil beschränkt sich angesichts dieser Herausforderung darauf, die Pflanzen zuvor draußen noch auf ein verträgliches Maß zurückzuschneiden. Sodann gilt es die schweren Töpfe nebst Inhalt in irgenwelche Nischen zu bugsieren.
Die am 21. Dezember besonders knapp bemessene Helligkeit brachte mich darauf, mich heute im Blog dem vermutlich kürzesten Vergnügen im Sektor Vorkriegsautos zu widmen – dem Hanomag 2/10 PS, auch als Kommissbrot bekannt.
Das von 1925 bis immerhin 1928 gebaute minimalistische Gefährt war in meinen Augen kein vollwertiger Kleinwagen – wie das aussah, war mit Citroen 5CV, Fiat 501 und Austin Seven bereits Anfang der 20er Jahre definiert.
Ich würde den Hanomag eher als Spaßmobil für Leute bezeichnen, die sich auch einen kaum teureren Opel 4 PS hätten leisten können, aber sich bewusst für die provokante Optik entschieden und die Abwesenheit von Komfort bei dem 1-Zylinder-Gerät wie ein Motorradfahrer heroisch nahmen.
Die folgende Aufnahme aus dem Raum Berlin illustriert das für mich beinahe ideal:

Was hier nur ansatzweise ersichtlich ist, ist der Umstand, dass der Hanomag selbst in der geschlossenen Version als „Limousine“ ein ebenso kurzes Vergnügen darstellte wie die offene Variante.
Wie kurz, das wird deutlich, wenn man sich die nächste Aufnahme betrachtet, die ich – wie die meisten der folgenden Fotos – noch nicht gezeigt habe.
So ein langer Lulatsch vor der Loreley lässt selbst mit abgeschnittenen Unterschenkeln den Hanomag genauso winzig erscheinen, wie er tatsächlich war.
Speziell die geschlossene Ausführung wirft die Frage auf, wo bei diesem Kasten auf vier Rädern eigentlich vorne und hinten waren. Nur die unterschiedliche Größe von Front- und Heckscheibe gibt einen Hinweis.
Den einen Scheinwerfer, auch das im wahrsten Sinn ein Unikum in jener Zeit, könnte man hier auch für eine großgeratene Rückleuchte halten.
Kenner des Konzepts werden einwenden, dass die senkrechten Luftschlitze an der Flanke doch klar die Richtung vorgeben, denn der Hanomag besaß einen Heckmotor.
Eindeutig die Frontpartie zeigt auch aus Sicht des Laien die folgende Aufnahme. Hier wird zudem deutlich, dass die bisweilen aufgestellte Behauptung, der Hanomag sei mit seinem Verzicht auf freistehende Kotflügel wegweisend gewesen, ziemlich kühn ist:
Diese am breiten Markt nicht vermittelbare Primitiv-Gestaltung blieb natürlich ohne Nachfolger – selbst Hanomag kehrte 1929 mit dem anschließenden Typ 3/16 PS zu etablierten Formen zurück.
Den Weg zur letztlich obsiegenden Pontonkarosserie wiesen erst diverse US-Großserienmodelle ab Ende der 1930er Jahre.
In was für Kreisen der skurrile Zweisitzer Anklang fand, das wird deutlich, wenn man sich die Insassen betrachtet – hier haben wir Foto Nr. 2 desselben Wagens am selben Ort:
Die Aufnahme zeigt ganz offensichtlich keinen abgekämpften Malocher nach getaner Arbeit auf der Heimfahrt – hier präsentieren sich gutsituierte Leute.
Dem für die breite Masse der Deutschen völlig unerschwinglichen Hanomag 2/10 PS anzudichten, er sein ein frühes „Volksautomobil“ gewesen, erweist sich bei Betrachtung der Fakten als Humbug.
Das war in Wahrheit ein netter Zweitwagen für Betuchte oder der Erstwagen zu Geld gekommener Paare, die (noch) keine Kinder hatten.
Es dürfte auch vereinzelt Geschäftsleute ohne großen Anspruch gegeben haben, die sich so etwas für Kundenbesuche auf dem Land zulegten.
An so etwas mag man denken, wenn man sich den Herrn mit Melone auf dem folgenden Foto ansieht – vielleicht hatte er seine Sekretärin dabei, die das Foto machte:
Übrigens muss diese Aufnahme in den 1930er entstanden sein, als doppelte Scheinwerfer bei PKW vernünftigerweise vorgeschrieben wurden – auch das bizarre Monokel am Hanomag war also nur ein kurzes Vergnügen.
Wir kurz das Vergnügen in Sachen Karosserie beim Hanomag 2/10 PS war, das vermittelt die nächste der bis dato unveröffentlichten Aufnahmen aus meiner Sammlung.
Es entstand offenbar vor einem großzügigen Bauernhaus, das ich in Norddeutschland verorten würde – vielleicht kann jemand den Stil regional zuordnen:
Vergnüglich sieht das ja schon aus, sofern man sich nur kurz mit diesem Gefährt den Unbilden des Wetters aussetzen musste.
Aber das kann doch niemand ernsthaft als Beitrag zur Volksmotorisierung bezeichnen. Das taten in Deutschland damals in Wahrheit die Zweitakt-Mopeds von DKW, während bei den „Cowboys“ in den Staaten jeder einfache Arbeiter schon einen Ford oder Chevrolet fuhr.
So wäre auch der Ausflug des Maschinenbauers Hanomag in die Welt des Automobils nur ein kurzes Vergnügen geblieben, hätte man an diesem Nischenkonzept festgehalten. Die großartigen Kreationen auf Basis der Hanomag-Volumenmodelle „Rekord“ und „Sturm“ der 1930er Jahre hätte es nie gegeben:
Das wäre doch schade gewesen, nicht wahr? Denn der einzigartige Charakter von Vorkriegsautos resultiert gerade aus der organischen Gestaltung jedes Bauteils – das kennen wir heute nicht mehr (von der britischen Firma Morgan einmal abgesehen).
Dass wir im 21. Jahrhundert immer noch von Kot“flügel“, Motor“haube“ und Stoß“stange“ sprechen, obwohl es das alles strenggenommen an modernen Autos nicht mehr gibt, das ist das anhaltende Echo der gestalterischen Gesetze der Vorkriegszeit.
Seien wir unterdessen nicht so streng mit der (aus meiner Sicht) automobilen Verirrung in Gestalt des Hanomag 2/10 PS von Ende der 1920er Jahre.
Immerhin bereitete er seinen einstigen Besitzern ein Vergnügen, das in einigen Fällen vielleicht gar nicht so kurz war.
Die beiden könnten – wenn sie Glück hatten – miteinander altgeworden sein und vielleicht konnten sie dabei sogar ihren kleinen Hanomag über die Zeiten retten.
Denn eine bemerkenswerte Zahl dieser Minimalmobile war noch in der Nachkriegszeit zugelassen – sie fraßen keinen Platz und für den irren Krieg Deutschlands gegen die halbe Welt war der Zwerg nicht zu gebrauchen.
Wenn Sie einem überlebenden Exemplar begegnen und sich mit den heutigen Besitzern unterhalten, dann werden Sie bei allen Schwächen des Entwurfs eines feststellen – das war wie bei jeder echten Liebe am Ende doch mehr als nur ein kurzes Vergnügen…
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