Erträgt alle(s) mit Fassung: Austro-Daimler ADR

Echter alter Adel ist über die Dinge der Gegenwart erhaben – das macht seinen Reiz für viele aus.

Mit der Historie des eigenen Landes eng verflochtene Identifikationsfiguren, die über das Hier und Jetzt hinausweisen und der eigenen flüchtigen Existenz einen fixen Bezugspunkt geben, das scheint eine erhebliche Faszination auszüben.

In Ermangelung geeigneten Personals auf diesem Sektor hält sich mancher an ausländische Königshäuser. Dabei geht es offensichtlich nicht um Sympathie mit der Monarchie als Regierungsform, sondern um das Bedürfnis nach einer überzeitlichen Ordnung, welche die Banalität des Alltags transzendiert.

Das mag erklären, weshalb das Begräbnis von Queen Elizabeth II für solche ungeheure Anteilnahme sorgte, und das nicht nur in England. Unzählige Menschen wollten am letzten Weg dieser Person, die wie keine andere für die europäische Geschichte der letzten 100 Jahre stand, teilnehmen und sei es nur auf dem Bildschirm.

Mancher mag das belächeln, ich aber bedauere diejenigen, die nicht imstande sind, wenigstens für einen Moment ihre kleine persönliche Sphäre zu verlassen und sich der Wucht der Symbolik einer fast tausendjährigen Tradition auszuliefern.

Gerade die Queen, welche für Jahrzehnte ein wohl einzigartig würdevolles Staatsoberhaupt abgab, trug die ihr zugedachte Rolle ebenso mit Fassung wie die Katastrophen, welche sich in ihrer Lebenszeit ereigneten.

Egal, was geschah: sie war immer da, wurde nur älter, aber blieb immer sie selbst – über die Dinge erhaben, war einer wenigen Fixpunkte im Dasein ihres Volkes.

Ähnliche Qualitäten finden sich an Vertretern des automobilen Hochadels und das möchte ich an gleich zwei Exemplaren veranschaulichen.

Die Dynastie, um die es dabei geht, ist die von Austro-Daimler. Sie überlebte nicht nur den Untergang der Donaumonarchie, sondern entfaltete in einer Zeit ihre eigentliche Pracht, welche erst von Demokratisierung, dann von totalitären Tendenzen geprägt war.

Hier haben wir den ersten Abkömmling:

Austro-Daimer Typ ADR Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme entstand im Kontext des „Anschlusses“ Österreichs an das Deutsche Reich im Jahr 1938. Die mächtige Limousine war zu diesem Anlass prächtig geschmückt worden – sie trug es offenbar mit Fassung.

Das Auto war zu jenem Zeitpunkt bereits knapp 10 Jahre alt. Die Kühlerform und die Gestaltung der Vorderkotflügel in Kombination mit sportlichen Drahtspeichenrädern verrät, dass wir es mit einem Austro-Daimler des 1928 vorgestellten Typs ADR zu tun haben.

Der besaß zwar anfänglich „nur“ denselben Sechszylindermotor mit 70 PS wie sein Vorgänger ADM. Völlig neu konstruiert worden war jedoch der Mittelrohrrahmen in Verbindung mit unabhängiger Radführung an der Hinterachse mit Querblattfeder.

Ab 1930 gab es dann eine 8-Zylinderversion des ADR, die standesgemäße 100 PS leistete, womit der Austro-Daimler seine Position im automobilen Hochadel festigte.

Dieser großartige Vertreter seiner Art fand kaum überraschend Bewunderer und Verehrer auch in deutschen Landen. So sehen wir hier eine herrliche offene Version, deren einziger Mangel darin besteht, dass sie von Zeitgenossen umlagert ist, welche dem angemessenen „Dresscode“ nicht ganz gerecht werden:

Austro-Daimer Typ ADR Limousine; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt

Allerdings zeigt sich der Austro-Daimler hier in der offenen Version dermaßen souverän, dass er über die nicht durchweg vorteilhafte Bekleidung der Personen hinwegsehen lässt, die sich damit ablichten ließen.

Im Raum Oldenburg in Norddeutschland war dieses zweitürige Cabriolet einst zugelassen. Das verrät die Kennung „OI“, wobei das „O“ noch auf das alte Herzogtum Oldenburg verwies, welches zum Zeitpunkt der Aufnahme längst Geschichte war.

Doch auf dem Nummernschild lebte die alte Adelswelt noch eine Weile fort, welche von Verhältnissen abgelöst worden war, die von neuen selbsternannten Eliten geprägt war – welche so unterschiedlichen Welten wie Politik, Militär, Wirtschaft und Kunst entstammten.

Der automobile Adel blieb – so er denn die Zeiten überdauert hat – von solchen Umwälzungen gänzlich unbeeindruckt. Auch der Rang von Austro-Daimler ist unangefochten, was seine Rolle als Vertreter der alten Automobilbau-Dynastien betrifft…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.   

2 Gedanken zu „Erträgt alle(s) mit Fassung: Austro-Daimler ADR

  1. Ganz mein Vergnügen! Österreichische Autos bringe ich besonders gern, da sie in D’land einst hochgeschätzt waren, heute aber kaum noch präsent sind.

  2. Sehr geehrter Herr Schlenger, leider gibt die Datenbank des Technischen Museums auch nicht viel her. Besitzer des ADR mit der Nummer A2807 ist der Herr Oskar Meissner. Leider gibt es keine Jahreszahl dazu.
    Österreichische Auto immer gerne gesehen!
    Mit freundlichen Grüßen
    Thomas Billicsich

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