Haben Sie die Februar-Ausgabe unserer monatlichen Spurensache in Sachen Beckmann-Automobile aus Breslau vermisst?
Ich hoffe, ja. Mir ging es ebenso, bloß fand ich die nötige Muße und innere Gestimmtheit dafür erst heute – kurz vor Monatsende.
Diese mit Beckmann-Urenkel Christian Börner verfasste Serie verlangt nun einmal mehr als der übliche nächtliche Blog-Eintrag, der meist rasch heruntergeschrieben ist.
Inspiration beziehe ich heute nicht nur von Herrn Börners gewohnt vorzüglicher Vorlage, sondern nebenher von der Arie „Son pietosa son bonina“ aus Joseph Haydns Oper „La Circe, ossia l’isola incantata“ – dargeboten von Arleen Auger anno 1990.
Auf einer verzauberten Insel fernab der rohen Realität bewegen wir Freunde von Vorkriegsautos uns ja generell. Und wie weiland Odysseus von der Magierin Kirke festgehalten wurde, wollen wir nicht davon lassen, uns damit zu beschäftigen.
Also geben wir das Wort an Christian Börner, der gleich auf hohem Niveau einsteigt bei der Betrachtung des Beckmann-Autoangebots ab 1911:
„Wie andere Autobauer versuchte auch die Breslauer Firma Otto Beckmann ab Ende des ersten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts , durch ein breitgefächertes Angebot von Luxusautos die Gewinnmargen hoch zu halten. Für eine bei Wettbewerbern wie Adler und Opel allmählich einsetzende Produktion größerer Serien war Beckmann viel zu klein.„
Der Ausrichtung auf das Oberklasse-Segment verdanken wir prachtvolle Karossen wie diesen Beckmann 21/40 PS von ca. 1911:

Diese grandiose Chauffeur-Limousine mit 3,30 Metern Radstand und 6,3 Liter großem Vierzylindermotor hob sich deutlich von den damals dominierenden Tourenwagen ab.
„Limousinen, oft mit abnehmbarem Oberteil, erlangten im Premiumsegment immer mehr Bedeutung, weil die sehr vermögenden Besitzer es nachvollziehbarer Weise bevorzugten, im geschlossenen Abteil gefahren zu werden. Selbst am Steuer eines offenen Automobils zu sitzen, neben sich die begeisterte (?) Ehefrau, das kam nur für wenige Enthusisasten in Betracht. Ergo musste man sich neben dem Wagen auch einen Chauffeur leisten können.“
Die Cleveren unter den damaligen Kutschern schulten vor diesem Hintergrund auf die pferdelosen Wagen um, wobei sie den Umgang mit den feinen Herrschaften ja bereits gewohnt waren.
Einige Jahre vor dem Ausbruch des 1. Weltkriegs mit seiner komplizierten Vorgeschichte scheint die Luxusautokonjunktur einen ersten Dämpfer erhalten zu haben.
Vielleicht machte sich bei den Gutinformierten Skepsis breit, was die Fortdauer des Aufschwungs der letzten Jahre anging. Bei den europäischen Großmächten waren die Rüstungsanstrengungen und gezielt auf Konfrontation angelegten Bündnisse unübersehbar.
„Bei Beckmann, und nicht nur dort, stellte sich eine nachlassende Nachfrage nach den großen und enorm teuren Luxusmodellen ein. In Anbetracht dessen begann man die ausgeuferte Typen- und Motorenvielfalt auszulichten. Schon 1910 hatte man die Aggregate-Anzahl auf zehn reduziert, in den Folgejahren nahm man weitere aus dem Programm, sodass 1914 nur noch fünf übrigblieben.“
Dieser Angebotsbereinigung fiel damals auch der der große Sechszylinder-Typ 28/50 PS bzw. 28/55 PS zum Opfer – nebenbei einer der ganz wenigen deutschen Wagen dieser Kategorie, was einmal mehr den Rang der Marke Beckmann illustriert.
Beibehalten wurde unterdessen eine Präsenz in der damaligen gehobenen Mittelklasse, wie dieser interessant gestaltete Beckmann 10/20 PS-Typ veranschaulicht, der 1911 auf der Internationalen Automobil-Ausstellung in Berlin zu sehen war:
Der 20 PS-Beckmann Typ begegnet mir hier zum ersten Mal – in der lückenhaften Literatur zu dieser Marke konnte ich ihn jedenfalls nicht finden.
Um 1911 leisteten deutsche Kleinwagen etwa 10-12 PS, während die untere Mittelklasse den Bereich von 14-18 PS abdeckte. Beckmann hatte sich mit dem 10/20 PS also auch hier eher am oberen Ende positioniert – der Rolle anderer (Volumen-)Marken Rechnung tragend.
Im Zusammenhang mit Motorisierung und Antrieb kann Christian Börner bei der Gelegenheit mit einem besonderen Dokument aufwarten – einer Abbildung des Einheitsgetriebes, welches Beckmann um 1911 verwendete:
Die Bezeichnung „Geschwindigkeitswechsel“ für das Getriebe ist mir hier zum ersten Mal begegnet – sie wird der Funktion des Bauteils auch eher gerecht.
Nicht umsonst spricht man im Englischen auch von „speeds“, wenn es um die verschiedenen Übersetzungen geht.
Ein weiteres – ästhetisch reizvolleres – Detail stellt das ab 1910 verwendete Markenemblem von Beckmann dar. Es ähnelt dem berühmten Opel-„Auge“, wie es übrigens auch bei anderen deutschen Herstellern der damaligen Zeit zu finden ist.
Hier sehen wir es an einem Beckmann-Kühler von etwa 1911, der die Zeiten überdauert hat:
„Diese Abbildung eines Beckmann-Kühlers ermöglicht es uns, einem Vertreter dieser Marke ausnahmsweise frontal ins Antlitz zu schauen. Unseren Blog-Wart, Herrn Schlenger, wird das besonders freuen, denn solche Perspektiven ermöglichen ihm, bei seinen Diagnosen spezifische Wiedererkennungs-Merkmale dingfest zu machen.“
Hier weist Christian Börner zurecht auf die Exklusivität solcher Frontalaufnahmen früher Automobile hin – die Hersteller zeigten ihre Wagen in Reklamen und Prospekten fast immer nur aus seitlicher Perspektive.
Warum das so war? Für die Käufer dieser damals extrem teuren Fabrikate waren wohl die Proportionen und repräsentative Wirkung wichtiger – wie der Kühler aussah, wusste man auch so, weshalb man darauf in den Druckwerken keine Abbildung ver(sch)wendete.
Mit der Rolle als Blog-Wart – eine Bezeichnung, welche wir einem vielseitig begabten Leser verdanken – identifiziere ich mich vollkommen. Einer muss ja für Ordnung sorgen in der Welt der Vorkriegsautos, zumindest was ihre Dokumentation im Netz betrifft.
Natürlich gebührt es den Automobilhistorikern, diesem Sujet andernorts fachlich gerecht zu werden, während ich hier meine meist subjektive Sicht der Dinge präsentiere.
Allerdings wüsste ich im deutschsprachigen Raum keine vergleichbare Online-Präsenz, wo Marken und Modelle länderübergreifend so umfassend und zugleich detailliert dokumentiert sind, noch dazu für jedermann kostenlos oder sonstige Zugangsrestriktionen verfügbar.
Zurück zu Beckmann: In der weiteren Betrachtung der Marken-Historie in den Jahren 1911-12 hebt Christian Börner hervor, dass Beckmann damals seine größte Bedeutung in geographischer Hinsicht erlangte:
„Wie schon in der vorigen Folge erwähnt, exportierte Beckmann seine Automobile unter anderem nach Schweden. Hier haben wir ein Bilddokument aus dem Jahr 1911 eines dorthin gelangten Automobils Breslauer Produktion, evtl. eines 10/20 PS Tourers:
Dieses Exemplar muss seinen Besitzer im hohen Norden viele Jahre gute Dienste erwiesen haben.
Denn es hat sich ein weiteres Foto erhalten, welches denselben Wagen zeigt und bei dem ersichtlich ist, dass die Damen an Bord in der Mode der frühen 1920er Jahre gekleidet sind – jedenfalls was die Hutform betrifft, welche es so vor dem 1. Weltkrieg nicht gab.
Dazu Christian Börner: „Details zu diesem Fahrzeug sind ebenso wenig überliefert wie Angaben zum Besitzer und dessen schemenhaft erkennbarer Familie. Immerhin lernen wir hier, dass auch die Schweden seinerzeit Linksverkehr praktizierten (bis 1967).“
Was die internationale Verbreitung von Beckmann-Automobilen angeht, gibt es aber noch weiteres zu vermerken.
So erfuhr schon der junge Christian Börner, als Anfang der 1960er Jahre sein Interesse an der Auto-Geschichte seiner Vorfahren erwachte, von seiner Oma Erna Beckmann (eine der Töchter von Paul Beckmann, leider die weniger automobilbegeisterte…) dieses:
„Selbst der russische Zarenhof hatte vor dem 1. Weltkrieg Beckmann-Fahrzeuge erworben. Über Typen und Anzahl gibt es keine Aufzeichnungen, auch kein Foto oder ein anderes Dokument, das Mitglieder der Zarenfamilie in einem Beckmann sitzend zeigen würde.
In den Jahren 1912 und 1913 sind mehrere Annoncen der Moskauer Beckmann-Vertriebs-niederlassung erschienen, die darauf schließen lassen lassen, dass am Zarenhof in Sankt Petersburg keine Niederlassung existierte und die gelieferten Beckmann-Wagen zur Moskauer Residenz des Zaren gehörten:„
Zeitgeschichtlich interessant ist hier, dass es neben der Generalvertretung von Beckmann in Moskau einer weitere in Goulai-Pole in der Verwaltungsregion Jekatarinoslaw gab. Diese einst zum russischen Reich gehörigen Örtlichkeiten liegen heute in der Ukraine.
An dieser Stelle betreten wir im wahrsten Sinne vermintes Gelände. Während die Firma Beckmann vor dem 1. Weltkrieg offenbar noch beste Handelsbeziehungen nach Russland hatte, stellt sich die Lage heute aus deutscher Sicht bekanntermaßen ganz anders dar.
Man sieht: Mitten in der friedlichen Beschäftigung mit der Automobil-Frühzeit holt einen die aktuelle Historie wie die eigene Geschichte ein.
Angesichts der Verheerungen von deutscher Hand vor gut 80 Jahren in der Region und der Komplexität der Vorgeschichte des aktuellen Konflikts der beiden Großmächte um die Ukraine meide ich entgegen sonstiger Gewohnheit eine Positionierung.
Hier soll es vor allem um die Autos einer untergegangenen Welt gehen und um die wenigen Spuren, die sie hinterlassen haben. Wir wollen unverdrossen nach weiteren suchen.
Bald ist Frühling und vielleicht ist bald – wichtiger als alles – Frieden. Nachtrag: Ich fürchte angesichts der fatalen Rhetorik der jüngsten Zeit: das Gegenteil.
Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Erlauben Sie mir bitte einen Nachtrag zu meinem Kurz-Kommentar vom 01.03.2024, den ich aus meinem Urlaubsort abgegeben hatte. Ich wies darauf hin, dass Beckmann-Autos „selbstverständlich einen Rückwärtsgang hatten“. Nun kann ich das insoweit konkretisieren, als ich auf das Standardwerk von Hans-Heinrich von Fersen „Autos in Deutschland 1885-1922“ verweise. Hieraus ergibt sich, dass bereits die Modelle XIV und XIV (Beckmann Voiturette) mit Rückwärtsgang ausgestattet waren – ab 1901.
Bitte alle locker bleiben, es geht hier nur um alte Autos und nicht den Dritten Weltkrieg. Missverständnisse (speziell bei flapsiger Formulierung) können immer vorkommen, insofern sollten wir alle einander Kredit geben. Das bessere Sachargument setzt sich letztlich durch. Ich möchte auf keinen der Kommentatoren verzichten müssen, ich lerne immer etwas dazu.
WER macht hier Witze ?? Logisch hatten die Auto einen Rückwärtsgang, damals meist in einer separaten Box geschaltet. DENN: Zum Rückwärtsgang gehört ein Wechsel der Drehrichtung, d.h. man braucht dafür 3 Zahnräder – anders geht es nicht. Das gezeigte Getriebe ist – wie damals üblich ein 2-Wellen Getriebe (Hauptwelle und Vorgelegewelle) mit 3 Vorwärtsgängen.
Ich denke mal, ich werde mich künftig raushalten, wenn die Diskussions-Qualität auf den heute üblichen woken (rot-grünen) Bodensatz-Level absinkt – dafür gibt es doch genügend Foren.
Da muss ich doch mal eingreifen, obwohl mir das im Skiurlaub mitten in den Dolomiten, ohne irgendwelche Unterlagen zur Verfügung zu haben, nicht ganz leicht fällt. Die Beckmann-Automobile hatten selbstverständlich einen Rückwärtsgang. Ich kann aber nicht sagen, ab welchem Baujahr das zutrifft.
So rückständig war Beckmann jedenfalls nicht!
Ah – nun wissen wir’s:
Es Ist kein Wunder, daß Beckkmann letztlich an seiner technischen Rückständigkeit zugrunde ging.
Es war ja immer schwieriger auf dem Markt Autos ohne Rückwärtsgang abzusetzen !
Zum Getriebe: Das Zahnrad auf der rechten Seite auf der Vorgelegewelle scheint mir das für den Rückwärtsgang zu sein.
Nun ja, das hier wollte ich ls „Senf“ dazugeben:
Der Autobahn-Bau: https://youtu.be/8POPs0YhsQk?list=TLPQMjcwMjIwMjQcI3tzu4GjnA
und Schlesien danach: https://www.youtube.com/watch?v=K2WcxPBWWGU&list=TLPQMjcwMjIwMjQcI3tzu4GjnA&index=4&pp=gAQBiAQB
Alles eine Erinnerung daran, wie sehr doch Germanien als Kriegsfolge zusammengeschrumpft wurde.
Nun ja, was zum aktuellen Blog: dem gezeigten Getriebe fehlt der Rückwärtsgang. Es war eine der konstruktiven Glanzleistungen von Karl Slevogt, ein kompaktes Getriebe mit bis zu 4 Gängen und Rückwärtsgang zu entwickeln, das mit nur einem Einganghebel betätigt werden konnte. Sowas fahren wir bis heute in Autos mit Schaltgetrieben rum.