Vor wenigen Stunden bin ich wieder einmal mit dem Auto an meinem Feriendomizil im italienischen Umbrien angekommen.
Die knapp 1200 km sind schnell vergessen, südlich der Alpen war es frühsommerlich warm, Schäfchenwolken glitten über den blauen Himmel – die Landschaft leuchtet nach den ergiebigen Regenfällen der letzten Monate im üppigsten Grün.
Nur von der herrlichen Blütenpracht an Feldern und Olivenhain, die von den hiesigen Landwirten geschont wird und noch im Mai zu bewundern war, ist kaum etwas geblieben. Dafür hat jetzt der Ginster das Regiment übernommen.
Auch wenn morgen etwas Arbeit ansteht – als Freiberufler kann man nie „offline“ sein – steht mir der Sinn nach Aufarbeitung der jüngsten Folge der Spurensuche in Sachen Beckmann, die ich gemeinsam mit Christian Börner unternehmen darf.
Als noch im schlesischen Breslau geborener Urenkel von Paul Beckmann – Chef der dort ansässigen Beckmann-Automobilwerke – verfügt er quasi über einen direkten Draht in die Vergangenheit, wie das kaum mehr möglich ist.
Er hatte noch Gelegenheit, seine Großtante Ilse Beckmann auszufragen, das wohl berühmteste Familienmitglied und wie Christian Börner eine Persönlichkeit mit großer Leidenschaft für das Autofahren – das schnelle Fahren, damit wir uns recht verstehen.
Doch bevor wir zu dieser bemerkenswerten Dame kommen, von der man sich in unseren Tagen eine Wiedergängerin vergeblich wünscht, gebietet es die Chronistenpflicht, erst einmal dort anzuknüpfen, wo wir zuletzt (hier) stehengeblieben waren.
Das war anno 1924, als die Firma Beckmann diesen Tourenwagen der gehobenen Mittelklasse mit Motorisierung 8/32 PS (zugekauft von Basse & Selve) herausbrachte:
![](https://i0.wp.com/vorkriegs-klassiker-rundschau.blog/wp-content/uploads/2024/06/1924_8-32-PS__via_Chr_Boerner.jpg?resize=584%2C259&ssl=1)
Formal war dieser Wagen vollkommen zeittypisch – man findet viele ähnliche deutsche Wagen kurz vor Mitte der 1920er Jahre und mein Fotofundus umfasst einige Kandidaten, die sehr nahe an diesem Modell sind, aber leider doch nicht ganz passen wollen.
Das kann durchaus der Tatsache geschuldet sein, dass die Wagen damals in natura etwas anders ausfielen, als auf solchen gezeichneten Prospektabbildungen.
Daher die Bitte an die Leserschaft mit eigenem Fotobestand, noch einmal im eigenen Archiv nachzuschauen – es muss da draußen noch Aufnahmen solcher Beckmann-Wagen geben.
Eine davon – leider nur in einem größeren Kontext – erhielt Christian Börner im Zuge seiner Recherchen vom Betreiber der Website http://www.motopedia.info in digitaler Form übermittelt.
Zu sehen ist hier der Stand von Beckmann auf der Berliner Automobil-Ausstellung 1925:
Christian Börner berichtet hierzu:
„Laut Allgemeiner Automobil-Zeitschrift Nr. 1/1926 waren von Beckmann nur zwei Autos des Typs 8/32 PS ausgestellt. Bei näherer Betrachtung ist am Beckmann-Stand aber ein drittes Fahrzeug zu erkennen, das quer zu den anderen aufgestellt ist.
Es könnte sich dabei um eine Limousine der in der vorigen Folge beschriebenen Pullman-Type 12/40 PS gehandelt haben.“
Ich selbst würde die Möglichkeit ins Spiel bringen, dass es sich bei dem dritten Wagen um eine Limousinenausführung besagten Typs 8/32 PS handelt. Denn klein waren diese Beckmann-Tourer ja nicht gerade – auf deren Chassis sollte auch ein großer Limousinenaufbau passen.
So oder so zeigt das Beispiel: Zeitgenössische Evidenz ist zwar besser als keine, aber das heißt nicht, dass sie auch akkurat oder vollständig sein muss.
Auf der Berliner-Ausstellung anno 1925 war übrigens kein Platz für ein weiteres Beckmann-Modell, welches zwar ebenfalls bereits 1924 entstanden war, aber weiterhin aktuell war, wie wir gleich sehen werden.
Denn vom Motorenlieferanten Basse & Selve war in derselben Hubraumklasse ein leistungsgesteigertes Aggregat 8/40 PS verfügbar (siehe auch diesen Selve-Blog-Eintrag). Damit ausgestattet bot Beckmann das sportliche Model 40 SL an.
Die Motorleistung wurde bei unveränderter Bezeichnung in der Praxis immer weiter gesteigert – sodass faktisch einige Pferdchen mehr unter der Haube des Beckmann 40 SL darauf warteten, die Sporen zu bekommen.
Dafür war dann Christian Börners Großtante persönlich zuständig, die in den 1920er Jahren bekannte Sportfahrerin Ilse Beckmann, im damaligen Deutschland eine der wenigen ihrer Zunft neben Clärenore Stinnes.
Auch gegen diese trat „Fräulein Ilse Beckmann auf Beckmann“ an, eine der beiden Schwestern des Junior-Firmenchefs Otto Beckmann (die andere war Christian Börners Großmutter).
Hier haben wir die eilige Ilse kurz vor dem Einsatz:
Dass Ilse Beckmann „Benzin im Blut“ hatte, wie es damals hieß, das weiß Christian Börner wie gesagt noch aus ihren späteren Erzählungen – vielleicht mit einem überraschenden Detail:
„In den frühen 1920er Jahren absolvierte Ilse Beckmann einige ihrer Wettbewerbsfahrten noch mit einem Beifahrer („Schmiermaxe“ genannt). Anno 1921 war ein- oder zweimal ein gewisser Rudolf Caracciola ihr Beifahrer. Der war drei Jahre jünger als sie und volontierte gerade als Ingenieurstudent bei den Fafnir-Werken (Aachen).
Kurz darauf (1922), mit dem Gewinn seines ersten Rennens auf einem Fafnir, begann Caracciolas eigene große Rennfahrerkarriere. Der Job als Novize an Bord bei Ilse Beckmann scheint ihm also nicht geschadet haben.“
Aus logistischen Gründen bestritt Ilse Beckmann etliche ihrer Wettbewerbe im damaligen ostdeutschen Raum, was dazu beigetragen haben mag, dass sie heute nicht mehr den Bekanntheitsgrad genießt wie vor 100 Jahren.
Für einen aufmerksamkeitsstarken Auftritt sorgte nicht zuletzt der Umstand, dass ihr flotter Beckmann SL40 eine leuchtendrote Lackierung besaß. So ist es überliefert und ausnahmsweise bedauern wir es, dass die zeitgenössischen Fotos von Vorkriegsautos diese fast immer (es gibt wenige Ausnahmen) in schwarz-weiß zeigen:
Auch wenn man sich das Feuerwehrrot hier dazudenken muss, glaubt man gern, dass sich dieses Gerät mit langer Motorhaube und sparsamem Aufbau (die Türen sind eher Dekor) durchaus flott bewegen ließ, wenn es sein musste und man es konnte wie Ilse Beckmann.
Nebenbei ist dies die beste Aufnahme, die mir bislang untergekommen ist, auf der man den Beckmann-Kühler um Mitte der 1920er Jahre erkennt. Auch dies mag eine Motivation sein, noch einmal nachzuschauen, was sich in der Hinsicht auf alten Fotos finden lässt, die bisher unidentifizierte deutsche Fabrikate der 1920er Jahre zeigen.
An dieser Stelle übergebe ich wieder Christian Börner das Wort; immerhin ist er heute quasi der Chef vom Janzen in Sachen Beckmann – auch wenn die Firma als solche längst aus dem Handelsregister gelöscht ist.
„Ilse Beckmanns sportliche Erfolge konnten das Ende der Firma nicht aufhalten. Beckmann schrieb zunehmend rote Zahlen und war übernahmereif.
Mit Opel fand sich ein solventes Unternehmen, das den attraktiven Beckmann-Standort in der Großstadt Breslau 1927 mitsamt den 150 Mitarbeitern zu guten Konditionen übernahm und zur zentralen schlesischen Opel-Werksniederlassung mit Reparaturwerk umwandelte.“
Hier der (auf wundersame Weise, siehe unten) bis heute erhaltene Bau in einer zeitgenössischen Aufnahme:
„Doppeltes Glück hatte dabei Otto Beckmann: Zum einen avancierte er zum Geschäftsführer dieser Opel-Niederlassung und blieb in der Position bis zur Flucht bzw. Vertreibung der Deutschen aus Schlesien 1945. Zum anderen konnte er nach der Übernahme noch einige auf Halde produzierte Beckmann-Wagen unter dem alten Firmennamen verkaufen.“
So fand die Automobilfabrikation von Beckmann nach rund 30 Jahren einen würdigen Abschluss. Weniger erbaulich ist das weitere Schicksal der Fabrikgebäude mit einstiger Breslauer Adresse Tauentzienstraße 124. Dazu berichtet Christian Börner:
„Die alten, großen Fabrikgebäude, die Paul Beckmann 1898 hatte errichten lassen und welche den 2. Weltkrieg leidlich überstanden hatten, wurden 2019/2020 abgerissen.“
An dieser Stelle sei angemerkt, dass die Zerstörung solcher an Dauerhaftigkeit kaum überbietbaren Bauten der Gründerzeit auch im kriegsversehrten Deutschland bis in unsere Tage anhält.
Das Bauen im und mit dem historischen Bestand überfordert viele zeitgenössische Architekten und Entwickler – und das vor dem Hintergrund der gerade modischen Parole „Nachhaltigkeit“.
Beckmann-Nachfahr Christian Börner weiß aber noch mehr zu berichten:
„Ausgenommen blieb das straßenseitige Büro- und Empfangsgebäude, weil es mir mit lokalen Unterstützern gelungen war, es unter Denkmalschutz stellen zu lassen. Nach Renovierung konnte ich 2023 eine von der Denkmalbehörde der Stadt angebrachte Erinnerungstafel im Beisein von Honoratioren, Presseleuten und vielen Interessenten enthüllen.„
Ein großartiger, bleibender Erfolg für den Beckmann-Erben Christian Börner.
Aber damit nicht genug: Der auch im übertragenen Sinne sportlich veranlagte Großneffe von Ilse Beckmann hat sich nämlich schon vor langer Zeit auf ein weiteres Projekt gestürzt und an etwas mitgewirkt, worauf seine Vorfahren ebenso stolz gewesen wären.
Die Rede ist von der Wiederbelebung des letzten noch existierenden Beckmann-Automobils. Davon wird uns Christian Börner aus aktuellem Anlass berichten und das aus allererster Hand!
Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.