Eine kurzlebige Ekstase: Wanderer W21 von 1933

Die sächsische Marke Wanderer ist sicher nicht das Erste, was einem einfällt, wenn es automobilhistorisch um den „Spirit of Ecstasy“ geht – der war bekanntlich Rolls-Royce vorbehalten.

Dieser Tage habe ich meine Wanderer-Galerie weiter aufgefüllt – es gibt dort jetzt nur noch wenige Lücken. Dabei ist mir aufgefallen, dass dennoch zumindest ein Modell geradezu exaltiert daherkam.

Für die bis dato nüchternen Wanderer-Wagen jedenfalls war der 1933 neu eingeführte Sechszylindertyp W21 (1,7 Liter) bzw. das 2 Liter-Pendant W22 von unerhörter Kühnheit. Das kam schon in der hochexpressiven Reklame zum Ausdruck:

Wanderer-Reklame von 1933; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Die Werbeleute hatten erkennbar nachgeholfen, um den Wagen moderner und dynamischer wirken zu lassen – heute würde man das einfach mit einem „KI“-Programm machen, wenn man keine German Angst vor aufregenden Neuerungen hat.

Doch sah der technisch grundsolide Wanderer auch in Wirklichkeit unverschämt gut aus – jedenfalls wenn die Kühlerpartie zur Geltung kam. Eine dermaßen aufmerksamkeitsstarke Geometrie an der Front wagte damals unter den deutschen Herstellern nur Stoewer mit dem schicken Frontantriebsmodell R-140/150.

Wer diese repräsentative Front mit den breiten Kühlerlamellen nicht reizvoll findet, dem ist nicht zu helfen, meine ich:

Wanderer W21 oder W22, Modelljahr 1933; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Übrigens lässt sich aus dieser Perspektive nicht sagen, ob wir es mit einer vierfenstrigen oder sechsfenstrigen Limousine zu tun haben. Diese beiden Aufbauten waren jeweils für den W21 bzw. den nur 5 PS stärkeren W22 reserviert.

Leider war die gestalterische Ekstase, zu der sich die Wanderer-Leute damals aufschwangen, von kurzer Dauer. Denn schon 1934 verfeinerte man die Kühlerpartie, was ihr aus meiner Sicht die Wucht der Wirkung nahm.

Das soll uns nicht davon abhalten, dem 1933er Modell die ausführliche Aufmerksamkeit zu schenken, die es verdient. Am Ende wartet eine weitere kurzlebige Ekstase auf Sie – lassen Sie sich überraschen, speziell wenn Sie verheiratet sind.

Hier haben wir erst einmal ein schönes Beispiel für den W21 von 1933 mit dem typischen Aufbau als 4-Fenster-Limousine:

Wanderer W21, Modelljahr 1933; Originalfoto: Sammlung Marcus Bengsch

Dieses Exemplar entspricht prinzipiell dem Wagen auf der eingangs gezeigten Reklame, doch wirkt er hier nicht ganz so sensationell – die Größenverhältnisse zwischen Haube und Fahrgastzelle waren in Wirklichkeit weniger extrem.

Der konkurrierende 6-Zylinder Mercedes-Benz 170 sah damit verglichen ziemlich von gestern aus, doch das mochte die Stuttgarter Klientel ja noch bis Anfang der 1960er Jahre.

Wenn Sie als alter Blog-Leser sagen, dass Sie das obige Foto schon kennen, dann freut mich das.

Ich habe aber auch „neue“ alte Aufnahmen dieses Typs in petto, etwa hier:

Wanderer W21, Modelljahr 1933; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieses Exemplar mit Zulassung im Raum Kiel hat den Vorzug, dass man nun auch die doppelte Reihe leicht geneigter Luftschlitze in der Motorhaube erkennt.

Diese sind zuverlässige Erkennungszeichen der Typen W21 und W21 bis Anfang 1935 (sowie des kurzlebigen W235 als Nachfolger des W21 anno 1936).

Wieder haben wir es mit dem Aufbau als 4-Fenster-Limousine zu tun, also einem W21.

Dasselbe gilt für dieses Exemplar, welches auffallenderweise wieder mit eher dunkler Lackierung daherkommt:

Wanderer W21, Modelljahr 1933; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Auch dieses Dokument ist ein „alter Hut“ in meinem Blog – aber herrje, man kann sich solche Fotos doch immer wieder anschauen, wenn es darauf so unübersehbar menschelt.

Eine seltene Ausführung des W21 mit heller Farbgebung und sogar Zweitonlackierung kann ich Ihnen auf dem letzten Foto des heutigen Ausflugs in die Welt der kurzlebigen Wanderer-Ekstase von anno 1933 präsentieren:

Wanderer W21, Modelljahr 1933; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wenn dieser Wagen mit Zulassung im brandenburgischen Arnswalde Sie jetzt nicht vom Hocker haut, kann ich das erst einmal verstehen.

Wo bleibt denn die eingangs versprochene Überraschung zum Thema „Kurzlebige Ekstase“, welche ich speziell alterfahrenen Eheleuten in Aussicht gestellt hatte?

Nun, die folgt auf dem Fuße und ist das Dokument der bislang kürzesten jemals gemessenen Ehe, behaupte ich. Im vorliegenden Fall haben wir es nämlich mit einem Foto zu tun, welches direkt im Anschluss an eine standesamtliche Trauung geschossen wurde.

Die frisch verheiratete Braut vermerkte lakonisch auf der Rückseite: „Die ersten fünf Minuten als Frau K…“. So weit oder sagen wir besser: so kurz ist diese Ehe also dokumentiert, welche zwischen zwei offenbar nicht mehr ganz jungen Menschen geschlossen wurde:

Wanderer W21, Modelljahr 1933; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Nach meiner Wahrnehmung ist jede zweite Ehe zum Scheitern verurteilt, man weiß bloß nicht immer vorab ,welche es im Einzelfall ist.

Hier standen die Chancen auf eine über den Rausch der ersten fünf Minuten hinausreichende solide und auch später noch aufregende Partnerschaft gut, meine ich.

Rein statistisch sollte die Hälfte der Paare die erste Ehe überspringen und gleich die zweite schließen – das erhöht die Chance auf Erfolg beträchtlich. Aber das ist nur meine Ansicht als Theoretiker und diistanzierter Beobachter in dieser Hinsicht.

Wenn auch Sie dem Rausch der Ekstase in Sachen Wanderer W21 von anno 1933 erlegen sind und außerdem Sympathie für die tollen ersten 5 Minuten einer Ehe empfinden, dann können Sie mir vielleicht noch einen Gefallen tun.

Ich kann nämlich nicht alles entziffern, was die frischgebackene Braut im Mai 1935 auf der Rückseite des Fotos vermerkt hat. Speziell ihr neuer Familienname und der Ort, an den es nach der Trauung zurückging, bereitet mir Schwierigkeiten:

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

7 Gedanken zu „Eine kurzlebige Ekstase: Wanderer W21 von 1933

  1. Ja klar, das Autokennzeichen musste nicht unbedingt zum gesuchten Ort passen – der Wagen konnte geliehen sein oder einem Verwandten gehören. Schön jedenfalls, dass diese Bilder zu solchen Recherchen inspirieren, bei denen wir alle dazulernen können…

  2. Also , allgemeine Einigkeit!
    Ich hatte auch Lust zur Recherche heute Vormittag und bin auf das selbe Ergebnis gekommen. .Mit Arnswalde hatte unser Blog- Wart eine falsche Färte gelegt.
    Zuchan, polnisch Suchan, lag im Kreis Saatzig und Brüsewitz wohl in unmittelbarer Nähe Zuchans.
    Das Kennzeichen des frühlingsfrischen Wandererwagens ist nach dem Kompendium der Fahrzeughalter von 1909 im damaligen Berliner Umland anzusiedeln. 1909 war es an die Fuhrwerksbesitzerin Berta Grassow, Friedenau, Sieglinde Str.6 für einen „Luxuswagen“ vergeben.
    Interessant, nicht – was man so alles aus dem Netz schütteln kann ?
    Übrigens stieß ich heute auf eine Seite, auf der man jedem deutschen Ortsnamen im heutigen Polen seinen Heutigen
    zuordnen kann! Das war hier sehr hilfreich….

  3. Ausgezeichnet! Natürlich muss zwischem dem Kennzeichen und dem Heimatort des Brautpaars kein zwingend enger Zusammenhang bestehen.

  4. Es besteht ja Einigkeit, daß der Ortsname Brüsewitz lautet, und zunächst fand ich auch den zwischen Lübeck und Schwerin liegenden Ort. Wie Herr Schlenger schrieb, gehörte das Kennzeichen 1935 zu Brandenburg samt der Neumark, wobei die 1922 entstandene Grenzmark Posen-Westpreußen ab 1938 zu Pommern gehörte. Pommern wurde somit größer, Brandenburg kleiner. Auf den gesuchten Wohnort Brüsewitz hat das aber keinen Einfluß, denn dieser sowie Zachan gehörten zum Reg.Bez. Stettin, wobei ich auf dem Originalbild ohne Vergrößerung betrachtet an den 4 Tafeln neben „Städtische Sparkasse Zachan“ auch „Preußisches Standesamt“ zu lesen wage. Nachfolgend sind auch die Karten aufschlußreich :

    http://www.heimatkreis-arnswalde.de/index.php?se=00700000_Der_Kreis_Arnswalde_Neumark.html&p=27|28|29|
    https://ome-lexikon.uni-oldenburg.de/regionen/grenzmark-posen-westpreussen

  5. Hallo,
    es handelt sich um Frau Kessner aus Brüsewitz…
    Gruß,
    KD

  6. Als frisch verheiratet mit Herrn Keßner ging es zurück nach Brüsewitz – aber wohl nicht das dem Amt Lützow-Lübstorf zugehörige nordwestlich von Schwerin, sondern im Kreis Saatzig nordwestlich von Zachan, wo sich wohl das Standesamt befand :

    https://www.saatzig.de/zachan.html

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