Zimmer mit Aussicht: Ein Horch 853 Cabriolet

Na, welche Assoziation weckt „Zimmer mit Aussicht“ bei Ihnen?

Fällt Ihnen spontan die in Italien und England spielende Filmschmonzette „Room with a view“ der 1980er ein? Oder summen Sie plötzlich den gleichnamigen Ohrwurm von Tony Carey aus derselben Zeit?

So oder so bleiben wir nicht in der Zeit hängen, die aus meiner Sicht die beste war, die Deutschland vielleicht je erlebt hat – eine Einschätzung, die nicht nur daran liegt, dass ich damals noch ein Teenie war. Ich könnte auf Internet & Co. verzichten, wenn es noch einmal so ultraliberal und zugleich so stilbewusst zuginge wie im Westen des Landes in den 80ern.

Doch stattdessen geht es mit dem „Zimmer mit Aussicht“ zurück in eine Zeit, die wir in vielerlei Hinsicht auf keinen Fall zurückhaben wollen. Nur die Autos von damals, die wollen alle haben, jedenfalls wenn es das Kleingeld erlaubt.

Die Rede ist von einem der sensationellsten Entwürfe der 1930er Jahre überhaupt – dem Horch 853 Sport-Cabriolet, das von 1935-37 in knapp 700 Exemplaren entstand. Leser meines Blogs durften dieses betörende Geschöpf schon einige Male bewundern.

Hier haben wir beispielsweise eine Aufnahme, die Leser Matthias Schmidt aus Dresden aus seinem Fundus beigesteuert hat:

Horch 853 Sport Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Der Kontrast zwischen diesem Traumwagen und der brutalen politischen Realität im Deutschland jener Tage könnte nicht größer sein.

Vielleicht war es gerade das Gefühl, in Zeiten zu leben, in denen die Freiheiten der Bürger in allen Bereichen unter die Räder kamen, welches die Gestalter und Karosseriebauer zu diesen Spitzenleistungen motivierte.

Um diese Betrachtung zu vertiefen, ist heute keine Zeit und hier auch nicht der rechte Ort – zu komplex ist dieses Thema, das einen als geschichtsbewussten und freiheitsliebenden Deutschen lebenslang beschäftigt und mitunter verfolgt.

Also beschränken wir uns heute – anstatt das große Bild zeichnen zu wollen und daran zu verzweifeln – auf die kleinteilige Perspektive, denn auch diese bietet bisweilen großartige Ein- und Ansichten, etwa in dieser Form:

Horch 853 Sport Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wann hat man zuletzt ein deutsches Auto mit solchen extremen Proportionen gesehen? Auf eine endlos wirkende Motorhaube folgt ein bewusst niedrig und kompakt gehaltenes Passagierabteil, direkt danach fällt die Linie steil ab – hier gibt es nichts mehr zu sehen…

Erinnern Sie sich an meine kürzliche Kritik des primitiven Funktionalismus, welcher sich um die Mitte der 1920er Jahre speziell in Deutschland in gestalterischer Hinsicht breit machte?

Dass es in den 30er Jahren für eine kurze Zeit speziell im Autodesign zu einer Renaissance der reinen Unvernunft kommen sollte, das ist für mich ein zivilisatorisches Wunder.

Der sensationelle Mercedes 300 SL-Flügeltürer der Nachkriegszeit war der letzte Nachklang dieses kurzlebigen Aufflammens des Wunsches nach dem ganz großen Kino – danach kam hierzulande bis heute nichts mehr, was das Attribut „opulent“ oder „umwerfend“ verdiente.

Wäre das anders, würde ich mich nicht seit Jahren schon an dem Phänomen Vorkriegsautomobil abarbeiten und Sie würden nicht ebenfalls diese Leidenschaft teilen.

Genug geschwelgt. Wie war das noch einmal mit dem „Zimmer mit Aussicht“? Nun, das ist einfach – hier haben wir es:

Horch 853 Sport Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Offenbar hat jemand das Prachtstück von Horch aus dem Fenster der gegenüberliegenden Wohnung fotografiert. Links sieht man den Mittelpfosten des zweiflügeligen Fensters, rechts den zur Seite geschobenen Vorhang.

Aber wir sehen hier noch mehr – auch wenn der Wagen so nicht optimal zur Geltung kommt. Gegenüber befindet sich ein monumentales Gebäude im Stil der Neorenaissance mit riesigen Fenstern. Doch scheinen diese zerstört zu sein.

Man erkennt links oben Reste von Fensterglas im Rahmen und rechts scheint selbst dieser teilweise zu fehlen. Mein erster Gedanke war der an die Wirkung der Druckwelle nach einer Bombenexplosion in der Nähe im 2. Weltkrieg.

Doch der Horch trägt nicht die damals vorgeschriebenen Tarnüberzüge auf den Scheinwerfern. Könnte das Foto kurz nach dem Krieg entstanden sein? Doch dann wäre ein Wagen dieses Kalibers sicher von den Besatzungsmächten einkassiert worden.

Also was könnte die Erklärung sein?

Vielleicht doch eine Aufnahme aus Kriegszeiten, in denen sich die privilegierten Besitzer solcher Repräsentationswagen Freiheiten nehmen konnten, welche anderen „Volksgenossen“ nicht vergönnt waren, deren Autos nicht für’s Militär beschlagnahmt worden waren?

Ich muss zugeben, dass ich bei aller Meinungsstärke diesmal zögere, mich auf ein wahrscheinliche Interpretation festzulegen. Sie sehen: „Zimmer mit Aussicht“ kann weit anregender sein als ein Kinofilm oder ein Schlager aus den 80er Jahren.

Und jetzt sind Sie gefragt: Was war das für ein Zimmer mit Aussicht, wann und wo?

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

10 Gedanken zu „Zimmer mit Aussicht: Ein Horch 853 Cabriolet

  1. Nur zu verständlich, aber: nobody’s perfect – wir machen alle solche Fehler. Ich gehe meine nächtlichen Blog-Einträge später auch noch mehrmals durch, um Tipper und sonstige Schnitzer zu eliminieren. Kollege Weigold hat es bestimmt nicht absichtlich gemacht. Uns eint eine gemeinsame Leidenschaft, seien wir also nachsichtig und gehen wohlwollend miteinander um.

  2. Herr Weigold, gerne las ich Ihr Kommentar und auch den Hinweis auf meine Kommentare, aber es wäre nett, wenn Sie dann auch noch meinen Namen richtig schreiben würden, danke.

  3. Obwohl es nicht unmittelbar mit der im Bild festgehaltenen Situation zu tun hat, aber ein interessantes Schlaglicht auf die seinerzeitige „853er – Szene“ wirft, hier noch folgene Story:
    Ich hatte aus geg. Anlass vor einiger Zeit berichtet, wie der Dresdner Unternehmer und 853- Fahrer „Marmeladen“- Haupt auf der Autobahn während des Krieges der Kolonne des Gauleiters Mutschmann nicht vorschriftsmäßig durch Rechtsranfahren Platz machte sondern einfach Gas gab und sich damit ein saftiges Stafmandat eingandelte..
    Herr Haupt Jun. erzählte damals auch die weitere Geschichte des 853ers:
    Beim großen Auslöschungs- Bombardement Dresdens wurde der Wagen zerstört.
    Haupt war aber mit dem Gläser- Inhaber (und Schwiegersohn des alten Gläser) Heuer gut bekannt, sodaß dieser ihm auf dem damals üblichen Kompensationswege den letzten, noch unfertigen Horch- Wagen , einen 853- artig karossierten 951er mit festem Coupe- Dach und bemerkens- wert großer Heckscheibe (wohl aus Plexiglas) anbot. Der Wagen war fertig bis auf den Innenausschlag mit feinem Leder, der Packen Häute lag bei.. Besteller war die Familie Stauffenberg, weswegen das Projekt natürlich gesperrt war. Das Auto war in späteren Jahren mal im Besitz von Verkehrshistoriker Peter Kirchberg, in dessen Buch “ Die Ahnen unserer Automobile“ sich ein Bild des Wagens findet.
    Herr Haupt Jun. weiter:
    Den Wagen mußte man damals natürlich irgendwo auf dem Lande verschwinden lassen, sodaß er erst 1950 heimlich per LKW nach Görlitz überführt werden konnte, wo dann die Innenaustattung fertiggestellt wurde. Es war ja aber zu DDR- Zeiten auch für betuchtere Leute fast unmöglich, ein solches Auto zu nutzen – schon wegen des Konsums an Betriebsmitteln.
    Der alte Herr mit dem ich bei Haupts war im Jahr 2000, hatte nun dieses Auto nach der Wende erworben und es sollte in Bielefeld restauriert werden .
    Dem eigenartigen Dach traute man nicht und hielt es für unorginal geschustert. Es bekam dann das übliche opulente Cabrio- Verdeck wie es auch auf
    obigem Foto regennass glänzt und die makellose, faltenfreie Passform vorführt.
    Der Besitzer schwitzte jedenfalls ganz schön als er damals eine Woche hier zu Gast war und er den Boliden morgens und abends durch die Hotel-Tiefgarage zu navigieren
    hatte. Er ließ dann, wie auch von Leser Spitzbart angeregt, eine Servoanlage nachrüsten.
    Und genau zwei Jahre danach war die Tiefgarage während der Elbflut komplett abgesoffen…

  4. „Michael Schlenger sagte am 29/04/2024 um 10:50 :
    Ein derartiges Luxus-Problem hätte ich dennoch gern… “

    Aber entweder Lenk-Servo nachrüsten oder längeres Bodybuilding absolvieren – Otto Normalvervraucher hängt an der Lenkung wie ein armes Würstchen ..

  5. Diese Fahrzeuge sind wunderschön anzusehen, auch heute noch leistungsfähig und bequem und denoch fast unfahrbar. Hat man sich so weit in eine Kreuzung „hineingetastet“, daß man den Verkehr in der Querstraße erkennen kann, hat man die Strasse ohnehin mit der Motorhaube fast gesperrt. Das spielte damals kaum eine Rolle, im heutigen Verkehr wird das zum Mega-Problem.

  6. Guter Hinweis, danke! Vielleicht lässt sich das Gebäude sogar identifizieren. Muss ein monumentaler und sehr repräsentativer Bau gewesen sein. Bei dem vielen Wasser auf dem Sockel dachte ich auch an einen Brand als mögliche Ursache.

  7. Hallo,
    eine mögliche Datierung wäre auch der 10.11.1938 oder kurz danach. Die Aktivitäten, die zu zerborstenem Glas führten, gaben der Nacht vom 9. u. 10.11.1938 ja den umgangssprachlichen Namen „Reichskristallnacht“. Auch hatte es in einigen Großstädten des Deutschen Reiches an diesen Tagen etwas geregnet. Die Regenspuren sieht man deutlich am Gebäude.
    Gruß,
    KD

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