Vorkrieg, Nachkrieg? Nicht zu kriegen? Salmson S4

Keine Sorge – der Titel meines heutigen Blog-Eintrags kommt nur scheinbar kriegerisch daher.

Denn es geht diesmal um ein Automobil, das einen den Krieg glatt vergessen lässt, der zu soviel Elend im 20. Jahrhundert geführt hat und nach der von 1914-1918 geleisteten „Vorarbeit“ dem alten Europa endgültig den Rest gegeben hat.

Dabei gibt es Orte, an denen man glaubt, dass die Zeit in dem Moment stehengeblieben sei, an dem die Gestaltung von Luxusautomobilen zu regelrechten Skulpturen geführt hat. An einem dieser Orte weilte ich vor fast 10 Jahren – Schloss Chantilly nördlich von Paris.

Dort besuchte ich auf dem Weg zum Goodwood Revival in England den alljährlichen Concours d’Elegance, der zu den großartigsten seiner Art in Europa zählt.

Man kann dort neben den üblichen Verdächtigen von Bugatti über Mercedes bis zu Rolls-Royce auch Vertreter der französischen Karosseriebaukunst der 1930er Jahre bestaunen, die man hierzulande selten zu Gesicht bekommt.

Dazu muss man nicht die Displays von Delage oder Delahaye aufsuchen, schon bei einem in der oberen Mittelklasse anzusiedelnden Hersteller wie Hotchkiss kommt man auf seine Kosten.

Wo hat man zuletzt so hinreißende Heckpartien gesehen?

Concours d’Elegance auf Schloss Chantilly 2015; Bildrechte: Michael Schlenger

Angesichts solcher Schönheit – die selbst einen banalen Gegenstand wie ein Reserverad in den Adelsstand zu erheben vermag – vergisst man für einen Moment, dass dies rare Zeugen einer untergegangenen Welt sind.

Zu den wenigen Vorteilen unserer in kultureller und ästhetischer Hinsicht unfruchtbar gewordenen Zeit zähle ich die Möglichkeit, sich auf solche Zeitreisen begeben zu können, sofern man über ein Automobil und etwas Muße verfügt.

Man muss nicht unbedingt im nahegelegenen Chateau de Fosseuse nächtigen, obwohl dieses exklusive Vergnügen es wert ist. Man sollte solche seltenen Gelegenheiten nutzen, das sauer verdiente Geld auch einmal hemmungslos auszugeben.

Günstiger sind die virtuellen Ausflüge in die große Zeit des französischen Automobilbaus, welche die Internet-Technologie ermöglicht.

In dem Zusammenhang ist mir wichtig, meinen Lesern den Zugang zur Autowelt von gestern, den mein Blog bietet, kostenlos und werbefrei zu halten. Ich erinnere ab und zu daran, weil das nicht selbstverständlich ist und mich der Spaß einen Batzen Geld pro Jahr kostet.

Genug von solchen Banalitäten – heute haben wir das Luxusproblem, dass sich nicht sagen lässt, ob diese 1951 entstandene Aufnahme aus meiner Sammlung einen Wagen der Vorkriegszeit zeigt oder ein Nachkriegsfabrikat:

Salmson Typ S4-61, aufgenommen 1951; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Mir war früh klar, dass es sich um ein französisches Modell handeln muss – dermaßen exaltierte Vorderkotflügel findet man eigentlich nur westlich des Rheins.

Nachdem ich Delage und Delahaye ausgeschlossen hatte, die ab Mitte der 1930er Jahre mit solchen eleganten Aufbauten versehen wurden, wusste ich erst einmal nicht weiter.

Zum Glück hatte ich vor einigen Jahren auf Facebook eine auf Vorkriegsautos auf alten Fotos beschränkte Gruppe geschaffen, die inzwischen über 1.500 Mitglieder weltweit hat.

Es dauerte nur ein paar Stunden, bis ein britischer Enthusiast die französische Marke „Salmson“ als Lösung vorschlug. Jetzt können Sie sagen, dass das doch klar ist – ja mag sein, dass Sie das wissen, aber wie erfahre ich davon?

Genau darin liegt der Wert der Online-Medien, mögen diese wie alle Technologien Vor- und Nachteile haben, Nutzen stiften und Risiken bergen wie jedes banale Brotmesser.

Das Stichwort „Salmson“ genügte mir letztlich, um den Rest selbst herauszufinden.

Das Auto auf meinem Foto war ein Typ S4-61, wie er ab 1938 gebaut wurde. Der Wagen besaß einen schon 1932 eingeführten und stetig weiterentwickelten – damals einzigartigen – 1,7 Liter-Vierzylindermotor mit zwei obenliegenden Nockenwellen.

Garniert wurde dieses Aggregat mit synchronisiertem Vierganggetriebe oder optionalem Cotal-Vorwählgetriebe, außerdem unabhängiger Vorderradaufhängung mit Torsionsstabfederung.

Ich wüsste keine vergleichbare Konstruktion aus deutscher Produktion in dieser Hubraumklasse – das stolze Selbstbild der einheimischen Autoindustrie erweist sich bei längerer Beschäftigung mit ausländischen Fabrikaten ohnehin als wenig fundiert.

Eine Sache stellt sich allerdings als problematisch heraus, was den Salmson S4-61 angeht. Das Modell wurde nämlich nach dem 2. Weltkrieg noch eine Weile weitergebaut.

Ob das heute vorgestellte Foto nun aus Vorkriegs- oder Nachkriegsproduktion war, ist aber letztlich egal – Stil und Konstruktion stammten unverkennbar aus den 30er Jahren. Letztlich ist dieses Auto also nicht zu kriegen – zumindest was sein Herstellungsdatum betrifft.

Bemerkenswert ist aber, dass Exemplare dieser in Manufaktur gefertigten Schöheiten in natura doch noch zu kriegen sind – entweder zum Gegenwert eines banalen VW Golf GTI aktueller Produktion oder eines schrottreifen Jaguar E-Type – ein zwar hinreißender Wagen, aber ein immer noch massenhaft verfügbares Großserienfabrikat.

Sollte man dann nicht lieber doch so etwas in Erwägung ziehen – auch wenn man über die Farbgebung streiten kann?

Videoquelle: Youtube.com; hochgeladen von Gentry Lane

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

6 Gedanken zu „Vorkrieg, Nachkrieg? Nicht zu kriegen? Salmson S4

  1. Ja, sicher. Man muss hier zwischen dem S4-61 mit 1,7-Liter-Motor und dem S4E mit 2,3-Liter-Motor unterscheiden. Der S4E erhielt die herabgezogenen Kotflügel schon 1947. Die beiden Modelle sehen sich sehr ähnlich und sind nur an Details, etwa der Motorhaube zu unterscheiden. Meine Quellen sind das Standardwerk „Salmson – La Belle Mécanique Francaise“ von Claude und Laurent Chevalier, sowie die entsprechenden Jahresausgaben der „Toutes les voitures francaises“ von René Bellu.

  2. Sicher? Im Netz finden sich auch etliche Fotos von Vorkriegswagen dieses Typs mit genau dieser Kotflügelform – die auch bei anderen französischen Herstellern der späten 1930er verbreitet war.

  3. Rechtslenker fahren sich nach meiner Erfahrung problemlos – auch auf dem Kontinent. Ihre Frage kann ich aber auch nicht beantworten.

  4. Ja – aber nicht in dieser existierten Farbgebung !
    Ich konnte mich auch nie mit „Lenkrad auf der falschen Seite“
    anfreunden. Kennt ein Leser dieser Zeilen den Grund warum alle Wagen der exklusiven Keinserien- Marken französisch/
    belgischer Produktion meiner Beobachtung nach ausschließlich als Rechtslenker
    zu sehen sind? Alle Massen- fabrikate französischer Provinienz hatten doch das Steuer links ?
    War es dem Schielen nach dem erhofften Absatz jenseits des Kanals geschuldet – oder der Rücksicht auf die konservative Kundschaft ?
    Auch diese unförmigen vierspeichigen Federlenkräder halte ich für eher kurios als zweckmäßig ! Es sei denn man versteht sie als Hinweis auf die aufzubringenden Lenkkräfte….

  5. Moin,
    bei dem abgebildeten Salmson handelt es sich in der Tat um das Modell S4-61, und zwar eindeutig um ein Nachkriegsmodell, da die heruntergezogenen Kotflügelseiten erst im Februar 1949 eingeführt wurden.
    Mit freundlichen Grüßen
    Gerd Klioba

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