Heute befassen wir uns mit einem dunklen Kapitel der deutschen Automobilgeschichte. Zum Glück dauerte es nur drei Jahre – von 1917-1919.
Aus der europäischen Historie wissen wir, dass Phasen, über die nur wenig Gesichertes bekannt ist, wesentlich länger andauern können. So bezeichnen die Briten als „Dark Ages“ die Jahrhunderte nach dem Abzug der letzten römischen Truppen anno 410 aus England.
Zurück blieb eine trotz des Niedergangs staatlicher Strukturen romanisierte und christianisierte Zivilisation. In das miltärische Vakuum rückten germanische Horden aus dem norddeutschen und dänischen Raum ein – die als Angeln und Sachsen bezeichnet wurden.
Außer Plünderung und Vernichtung ist von diesen Stämmen auf englischem Boden kaum kulturelle Kompetenz überliefert – archäologisch sind sie praktisch nur als Krieger zu fassen. Jedenfalls war nach der Besetzung Englands durch diese Herrschaften binnen weniger Generationen nahezu nichts von der spätantiken Zivilisation mehr übrig.
Die romanisierte und christliche Bevölkerung wurde von den primitiveren, aber brutaleren germanischen Völkern weitgehend verdrängt und vernichtet, sodass die Kirche ab dem 6. Jh. sogar eine neuerliche Christianisierung Britanniens beginnen musste.
Wer sich schon immer gefragt hat, weshalb jede größere englische Stadt eine römische Gründung war, aber die über drei Jahrhunderte währende Römerzeit in Traditionen und Sprache der Engländer so wenig Spuren hinterlassen hat, weiß nun warum.
Dass ein solcher Kulturbruch in noch viel kürzerer Zeit erfolgen kann, das wissen wir seit dem 1. Weltkrieg, der binnen vier Jahren die über Jahrhunderte gewachsenen Strukturen in Frankreich, England sowie Deutschland und Österreich-Ungarn über den Haufen warf.
Einziger Sieger des Absturzes in die Barbarei des maschinisierten Massenmords waren die Vereinigten Staaten – nicht zufällig setzte bei Kriegsende der Höhenflug US-Automobilindustrie ein, womit wir fast beim eigentlichen Thema wären.
Denn heute soll es ja um düstere Zeiten gehen und das am Beispiel der Automarke Dixi der Fahrzeugfabrik Eisenach (Thüringen). Mit „düster“ sind in diesem Fall an Anlehnung an die „Dark Ages“ im nachrömischen Britannien die äußerst dürftigen Spuren gemeint, die sich von den zuvor so hochstehenden Dixi-Autos in dieser Zeit finden lassen.
Beginnen wir unsere Betrachtung im vorletzten Kriegsjahr 1917. Damals erschien in der Allgemeinen Automobil-Zeitung (Nr. 35) diese Dixi-Reklame:

Bemerkenswert finde ich hier zwei Dinge: Zum einen meidet diese Anzeige jeden Bezug zum Kriegsgeschehen, den man bei den meisten anderen zeitgenössischen Reklamen deutscher Autohersteller findet.
Wollte man hier bewusst der Hoffnung auf baldigen Frieden Ausdruck geben? Immerhin hatte US-Präsident Wilson im Januar 1917 Vorschläge für einen Verhandlungsfrieden zwischen den Kriegsparteien gemacht.
Dass es ganz anders kam und die USA letztlich selbst in den Krieg eintraten, steht auf einem anderen Blatt, wobei gewisse Parallelen zur Gegenwart bemerkenswert sind.
Mir stellt sich nun die Frage, ob das von Dixi anno 1917 in seiner Reklame gezeigte Spitzkühlermodell nur ein Entwurf für die Nachkriegszeit sein sollte oder ob die PKW-Kriegsproduktion in Eisenach tatsächlich dahingehend umgestellt wurde.
Hierzu liegen mir keinerlei Informationen vor – was entsprechende Evidenz auf zeitgenössischen Fotos angeht, ist die Lage düster, jedenfalls in meinem Fundus.
Rund ein Jahr später – im Frühjahr 1918 – schaltete man dann in der Zeitschrift „Motor“ die folgende Anzeige:
Auch hier keine Spur vom nach wie tobenden Weltkrieg – dafür Urlaubsstimmung vor der Silhouette der Wartburg.
Mit einem Mal ist der ominöse Spitzkühler einem stärker abgerundeten gewichen. Dieser -sowie Positionierung und Gestaltung der Luftschlitze in der Motorhaube – entsprechen fast vollkommen den Nachkriegsmodellen von Dixi.
Bildbelege für die Produktion entsprechend aussehender Dixi-Wagen noch im Jahr 1918 liegen mir allerdings nicht vor – die Überlieferungssituation ist wieder einmal düster.
Erst ab 1919 ist von der Produktion des noch 1914 eingeführten Kleinwagentyps R5 5/14 PS die Rede. Daneben gab es ab 1919 das wiederaufgelegte Spitzenmodell U1 20/55 PS sowie den etwas schwächeren Typ S16 13/39 PS, ebenfalls eine Vorkriegsentwicklung.
Sind diese drei Modelle vielleicht vereinzelt doch bereits 1918 gebaut worden, ohne dass dies Einzug in die Literatur gefunden hat?
Ein Kandidat dafür – wohl das Einstiegsmodell R5 5/14 PS – könnte auf diesem Foto aus der Sammlung von Matthias Schmidt (Dresden) zu sehen sein:
Zwar wirkt dieses Exemplar mit schöner Zweifarblackierung auf den ersten Blick wie das 1921 eingeführte Basismodel G1 6/18 PS. Doch die offenbar noch gasbetriebenen Scheinwerfer sprechen für eine deutlich frühere Entstehung.
Zudem scheint mir auch der Radstand eher zum kleinen Modell 5/14 PS zu passen (2,70 m vs. 2,85 m). Nicht zuletzt wäre das Fehlen eines außenliegenden Schalthebels kompatibel mit dem Vorkriegstyp, welcher der erste Dixi mit innenliegender Schaltung war.
Vielleicht verhält es sich aber auch ganz anders und ein sachkundiger Leser weiß Licht ins Dunkel der düsteren Ära von 1917-19 zu bringen – jedenfalls was Dixi betrifft…
Ebenso wie Wissen in der Breite rasch verlorengehen kann, wenn sich keine entsprechende Kultur findet, die es schätzt und pflegt, kann mitunter die Initiative Einzelner die Weichen für eine Renaissance stellen. Was die Dokumentation frühen Dixi-Wagen betrifft, besteht durchaus Hoffnung in dieser Hinsicht.
Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Danke für die ausführliche Antwort und die wertvollen Erläuterungen – schön, dass mich mein Bauchgefühl nicht getrogen hat. Und gut zu wissen, dass man so sachkundige Leser hat!
Das ist ja wieder mal ein wundervolles Foto aus der Sammlung von Herrn Schmidt, welcher insbesondere auch zu Dixi, schon viele tolle Bilder beigesteuert hat.
Bei dem Modell auf dem Foto handelt es sich eindeutig, wie schon von Michael richtig vermutet um das Kleinwagenmodel Dixi R5 (5/14PS) aus dem Zeitraum von 1919 bis frühe 1920er Jahre.
Vor dem Krieg hatte dieses Modell noch den typischen birnenförmigen Kühler wie die großen Modelle. Der R5 unterscheidet sich zum G1, für den das Modell R5 in vielen Details als Vorlage diente, insbesondere durch die Größe und den Platz für die Passagiere. Beim R5 fanden nämlich nur 3 Personen Platz. Der Fahrer saß in der Mitte und hinter ihm konnten 2 Leute nebeneinandersitzen.
Scheinbar wollte man mit diesem Kleinwagen-Sitzkonzept die bei Wanderers Puppchen bewährte Anordnung der H Modelle, wo man hintereinander saß, mit der Möglichkeit verbinden, zusätzlich zum Fahrer zumindest 2 Passagiere unterzubringen. Wichtiges Zuordnungsdetail ist hierfür auch die zentrale Einstiegstür.
Als auffälliges Merkmal auf Fotos im Gegensatz zu den G-Modellen wäre auch die Radbefestigung zu nennen. Der R5 hat zwar ebenfalls eine Zentralbefestigung der Speichenfelgen auf der Nabe, diese sieht jedoch vorn stark nach „Kinderwagenrädern“ aus und hat nur eine kleine zentrale Radmutter in der Mitte. Der größere Typ 6/18 (G1) wies dann schon durchgehend Rudge-Zentralverschlüsse mit ringsum passenden Rädern auf.
Könnte man hier Bilder direkt anhängen, würde ich einen direkten Größenvergleich zwischen R5 und G1 beisteuern.
Ein weiteres Foto eines solchen Dixi R5, stilecht mit dem ab 1919 eingeführten Centauer, findet man im Netz hier:
http://www.harrypross.de/leben/
Wie es scheint, war der Wagentyp bei Damen beliebt.
Bei der Reklame von 1917 aus der AAZ gehe ich von einer stilisierten „Wünsch-dir-was“ Idealvorstellung eines Spitzkühlermodells aus, welches der Werbeabteilung entsprungen ist. Mir ist kein Dixi-Modell bekannt welches einen solchen Benz-Spitzkühler besaß. Aber vielleicht weiß Herr Doht aus Eisenach hier mehr.