Die Amis kommen!? Ein „Overland“ von 1918

Moment – fand die Invasion amerikanischer Truppen und ihrer Verbündeten nicht „erst“ vor 80 Jahren – also 1944 – statt?

Nun, im Geschichtsunterricht lernt man ja so etwas nicht, aber „der Invasion“ gingen einige andere Landungen von US-Militär im 2. Weltkrieg voraus, etwa auf Sizilien und bei Anzio und Nettuno in Mittelitalien. Vom Pazifik-Kriegsschauplatz ganz zu schweigen.

Man sieht: Festgefügte Gewissheiten geraten leicht ins Wanken, wenn man einmal genauer hinschaut – die Realität war und ist komplexer als es die einfachen Botschaften ahnen lassen, mit denen sich die denkfaule Mehrheit meist zufrieden gibt.

Dass es aber 1918 noch keine US-Invasion in Europa gab, das ist doch gesichert, oder? Zwar hatten die Vereinigten Staaten 1917 in den 1. Weltkrieg eingegriffen – die Motive sind nebenbei ebenso schillernd wie schon die Gründe für den Kriegsausbruch anno 1914.

Aber nirgends findet sich ein Hinweis auf Landungsaktivitäten der „Yankees“ im Jahr 1918 diesseits des Atlantiks – außer hier in meinem Blog.

Zwar nimmt die US-Automobil-Offensive der 1920er Jahre in Deutschland bei mir den Raum ein, den sie verdient. Aber dass diese friedliche Invasion mit attraktiven Modellen, welche die einheimische Industrie weder vom Preis noch von den Stückzahlen her liefern konnte, schon direkt nach dem 1. Weltkrieg eingesetzt hat, das wäre doch neu, oder?

Tatsächlich fällt es schwer, das zu glauben, gab es doch angesichts des rüstungsbedingt zerrütteten deutschen Staatshaushalts strenge Importrestriktionen speziell für Autos (mit wenigen Ausnahmen), um den Abfluss knapper Devisen zu begrenzen.

Doch meine stetig wachsende US-Autogalerie zeigt die ersten amerikanischen Fabrikate mit deutscher Zulassung bereits in den frühen 1920er Jahren. Natürlich können das auch gebrauchte Wagen aus Nachbarländern gewesen sein, die später nach Deutschland kamen.

Da es aber immer Mittel und Wege gibt, um staatliche Vorschriften mehr oder minder kreativ zu umgehen, möchte ich nicht ausschließen, dass einzelne US-Autos schon früher, also direkt nach Kriegsende, ihren Weg zu gut situierten deutschen Besitzern fanden.

Zumindest ein Indiz dafür scheint mir diese Aufnahme zu sein:

Overland Modelljahr 1918; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Zwar bilde ich mir ein, im Lauf der Jahre ein gutes Gefühl für US-Vorkriegsautos bekommen zu haben – von Wissen möchte ich nicht sprechen – doch auch wenn ich mir schn dachte, dass dieser Tourer ein amerikanisches Fabrikat sein muss, kam ich nicht auf den Hersteller.

Wie schon öfters in solchen Fällen, war die Frage in meiner internationalen Facebook-Gruppe „Vintage Photos of Prewar Cars In Europe“ binnen weniger Stunden gelöst. Das unscharf wiedergegebene Kühleremblem gehört zu einem „Overland“ und die Kühlerform ist typisch für Wagen dieser Marke aus dem Modelljahr 1918.

Die bis ins Jahr 1903 zurückzuführende Marke hatte sich vor dem 1. Weltkrieg zum zweitgrößten US-Hersteller nach Ford gemausert.

Im Unterschied zum Million-Seller Model-T von Ford war der Overland von 1918 ein etwas größeres, gefälliger gestaltetes und deutlich stärkeres Auto. Zwar war es weit teurer, aber für die amerikanische Mittelschicht immer noch bezahlbar.

Für zehn durchschnittliche US-Monatslöhne bekam man das Basismodell „Light Four“ mit 2,9 Liter Motor, der gut 30 PS leistete. Daneben gab es bereits ein Sechszylindermodell mit 35 bis 40 PS – was den Klassenunterschied zum stets nur vierzylindrigen Ford T unterstreicht.

Vielsagend ist diese Aufnahme, welche den Overland von 1918 neben dem Model T zeigt – damit liefere ich zugleich eine Referenz für die Identifikation des Wagens auf meinem Foto.

Bleibt die Frage, ob „mein“ Overland tatsächlich in Deutschland aufgenommmen worden war oder eher in einem anderen europäischen Land, in dem ebenfalls weiße Nummernschilder mit schwarzer Beschriftung üblich waren – Dänemark beispielsweise.

Doch ganz gleich, wie es sich verhält, ist diese Aufnahme ein hübsches Dokument der US-Autoinvasion Europas, die bereits 1918 einsetzte. Dass es schon vor dem 1. Weltkrieg amerikanische Wagen auch in der Alten Welt zu kaufen gab, steht dem nicht entgegen.

Richtig Schwung konnte diese „Invasion“ (wie auch die von anno 1944) aber erst bekommen, als die produktionstechnische und logistische Überlegenheit der Amerikaner voll zum Tragen kam und das lässt sich auf etwa das Ende des 1. Weltkriegs datieren.

Von da an gab es kein Halten mehr für die US-Importflut – anfangs in Skandinavien und Osteuropa, spätestens ab Mitte der 1920er Jahre dann auch in Deutschland. Diese Erfolgsgeschichte ist meines Wissens noch ungeschrieben…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

2 Gedanken zu „Die Amis kommen!? Ein „Overland“ von 1918

  1. Danke! Inwieweit die Exporte der US-Hersteller ab dem 1. Weltkrieg bereits Teil einer ausdrücklichen handelspolitischen Strategie waren, weiß ich nicht. Prinzipiell machten die amerikanischen Hersteller ja nur Gebrauch von den Möglichkeiten weitgehend freier Märkte, wie das die deutsche Industrie zuvor bereits ab der Gründerzeit global getan hatte. Nachdem die heimischen Autohersteller wie Benz, Opel, NAG, Presto oder Stoewer nicht mehr in der Lage waren, Nord- und Osteuropa (oder sogar Australien) zu beliefern (weil der Bedarf viel schneller zunahm als die Produktionsmöglichkeiten) stießen halt Fabrikate aus Übersee in die Lücke. Prinzipiell dasselbe machte übrigens ab 1919 auch Fiat beginnend mit dem Model 501, weshalb deren Modelle bis zum 2. Weltkrieg bereits global präsent waren., ohne dass es dazu einer speziellen Exportstrategie Italiens bedurfte.

  2. Die oft schon wiedergekäute Frage der mehr oder weniger kurz nach dem ersten großen Krieg einsetzenden Exportbemühungen der nordamerikanischen Auto- Industrie zur Erschließung
    der europäischen Märkte bedarf wohl einiger tiefergehender Erwägungen um deren Erfolg innerhalb weniger Jahre zu verstehen.
    Die nach dem Ende des Bürgerkrieges letztlich siegreiche Konföderation der Nordstaaten konnte sich die in aller Regel dem Sieger zufallenden wirtschaftlichen Vorteile zunutze machen und es gab einen großen Sprung in der Entwicklung der Industrialisierung (man spricht nicht umsonst von industrieller Revolution !).
    Hauptfaktoren für deren Erfolg war die praktisch bedingungslose Förderung aller kapitalistischen
    Bestrebungen zur Erschließung neuer Märkte durch die gesamte amerikanische Politik .
    Die Erschließung des Kontinents durch ein immer umfasseneres Netz privater Eisenbahngesellschaften und deren Förderung durch die Zuverfügungstellung kostenlosen Staatslandes (d.h. legitimen Eigentums der verjagten, letztlich abgeschlachteten indigenen (Ur-) Bevölkerung ) im Umfang ganzer europäischer Staaten schaffte die Vorausetzungen für die räumliche Expansion der unaufhörlich aus Armutsregionen des alten Europas nachströmenden Einwanderermassen. Die En1tdeckung und Erschließung des in Pansylvanien teilweise offen zutage tretenden Erdöls als neuen Energieträger neben der ebenfalls im Tagebau zu fördernde Steinkohle waren Voraussetzungen für die Schaffung der industriellen Grundlagen für eine innovative Konsumgüterindustrie.
    Gleichzeitig entstand ein staatlicher wie privater Überbau
    wissenschaftlich- technischer Bildungseinrichtungen und Hochschulen, die eine ausreichend gebildete und ausgebildete Elite hervorbrachte.
    Als Hauptziel amerikanischer Aussenpolitik galt seit Anbeginn
    des Auftretens der jungen USA auf der politischen Bühne die „Erschließung“ auswärtiger Märkte für die erwirtschafteten Überschüsse, erst in der Nachbarschaft, dann auf der ganzen Welt. Durch Einflußnahme, Abhängigmachung und Unterstützung willfähriger Eliten, Eroberung und Krieg wurden nach unnachahmlichen immer größere Weltregionen „Partner“ des amerikanischen des amerikanischen Aussenhandels.
    Ab den 1910er Jahren setzte sich der von Frederic Taylor erdachte Taylorismus (siehe Wikipedia) gerade in der modernen verarbeitenden Industrie durch. Deren jüngste Hervorbringung war damals die explodierende Automobilsparte
    die wohl am meisten von den Taylor’schen Methoden der „Ratio“-nalisierung und Produktivitätssteigerung profitierte.
    Die in unseren Kreisen der Automobil- Enthusiasten wohl allgemein bekannte „Ford- story“ zeigt, daß
    dieser Effekt der immer weitergehenden Verbilligung der Produktion die amerikanischen Erzeunisse nach dem I. Weltkrieg zunehmend konkurrenzfähig auch für europäische Märkte werden ließ.
    Wenn also die Overland- Fabriken zu der Zeit Anfang der Zwanziger Jahre nach Ford zweitgrößter Hersteller in den Staaten waren ist es nur logisch sie allerorten anzutreffen – ehe sie dann bald von den Chevrolets nachhause geschickt wurden.
    Ein alter Freund in Polen zeigte mir bei meinem ersten Besuch seinen Overland inmitten europäischer Fabrikate von Austro- Daimler ADM über Triumpf bis Komissbrot und Dyna- Veritas.
    Im Nachlass meines Großvaters fand sich einen über 50- seitigen Ausriss aus einem „National Geografic Magazin“ von 1922 oder 23, ein Bericht zum Stand des Autobilismus und der Auto- Industrie in den USA mit unzähligen beeindruckenden Schwarzweiß- Fotos aus der Produktion, von Parkplätze mit Hunderten dieser schwarzen, hohen, eckigen Kisten, verstopften mehrspurigen Avenüen – aber auch eine Kreissäge mit Antriebsriemen vom Hinterrad einer aufgebockten Tin Lissy und auch eine, aus der ein Prediger sich hatte eine Kirche bauen lassen – mit Türmchen !

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