Kurztrip ins Tessin: Ein „Overland“ Tourer von 1916

Wer meinen Blog schon eine Weile mitliest, kennt meinen Drang nach Süden über die Alpen – im Unterschied zu den Aktivitäten germanischer Stämme in der Spätphase des Römischen Reichs (ab etwa 300 n. Chr.), ein durch und durch friedlicher.

An sich wäre ich angesichts des April-Wetters wieder mal reif für einen Italien-Trip, doch aktuell reicht die Zeit nur für einen kurzen Schnupperaufenthalt im italienischsprachigen Teil der Schweiz – dem Tessin.

Das eröffnet immerhin eine prächtige Perspektive angesichts wenig erbaulicher hiesiger Verhältnisse – und das in jeder Hinsicht, wie wir gleich sehen werden.

Passend zum Thema Kurztrip will ich nicht unerwähnt lassen, wie „lange“ es brauchte, bis ich den Tourer auf dieser schönen Aufnahme identifiziert hatte, dessen Konterfei einst auf einer schweizerischen Ansichtskarte verewigt wurde:

Overland Typ 86 von 1916; originale Postkarte aus Sammlung Michael Schlenger

Die Gestaltung des runden Kühleremblems mit diagonalem Markenschriftzugs hatte mich bereits an den US-Hersteller Overland denken lassen, der seit 1903 im Bundesstaat Indiana Automobile baute.

Doch das früheste mir vorliegende Foto eines Overland (siehe hier) von 1918 zeigt einen Wagen mit gerundeter Kühlergestaltung. Also tat ich, was ich bei mutmaßlichen US-Fabrikaten immer tue, wenn ich nicht selber auf die Lösung komme.

Ich lud das Foto auf einer einschlägigen Facebook-Gruppe hoch (im vorliegenden Fall der des Antique Automobile Club of America) und hatte binnen 10 Minuten die Antwort, dass es sich um einen Overland Tourer des Modelljahrs 1916 handelt.

Nach kurzer eigener Recherche fand ich hier die Bestätigung in Form eines fast identischen Wagens des 6-Zylinder-Typs 86 mit 50 PS Leistung – man sieht: neben dem Ford Model T gab es in den Staaten damals schon Serienwagen ganz anderen Kalibers.

So schnell kann es gehen, wenn man gängige digitale Kommunikationsformen nutzt. Nach meiner Erfahrung tun sich viele auf dem Sektor in deutschen Landen immer noch schwer.

Keine Wunder, wer sich vor „Handystrahlen“ fürchtet und seine problemlos günstigen und zuverlässigen Strom produzierenden Kernkraftwerke zerstört, ohne vergleichbaren Ersatz zu haben, der hat es nicht mehr so mit moderner Technologie und kühler Ratio.

Verlassen wir dieses unerbauliche Terrain und wenden uns wieder dem Overland zu, der einst irgendwo auf einem Trip im Tessin abgelichtet wurde:

Overland Typ 86 von 1916; originale Postkarte aus Sammlung Michael Schlenger

Der Kleidung der Insassen nach zu urteilen, dürfte die Aufnahme in der ersten Hälfte der 1920er Jahre entstanden sein. Leider wissen wir nichts über die abgebildeten Personen und den Anlass der Fahrt.

Dass es sich um keine ganz gewöhnlichen Ausflug gut situierter Zeitgenossen handelte, die sich so einen teuren Importwagen und einen angestellten Fahrer leisten konnten, das verrät die Aufmachung des hinter dem Auto stehenden Herrn mit Fliege.

Mir gefällt sein blasierter Ausdruck ebenso wie das Erscheinungsbild der übrigen Insassen.

Hand auf’s Herz: Wäre es nicht eine schöne Idee, wenn man sich wieder etwas mehr Mühe dabei geben würden, wie man seinen Mitmenschen in der Öffentlichkeit erscheint?

Jedenfalls finde ich, dass diese Herrschaften durchweg interessante Charaktere abgeben:

So unterschiedlich diese Typen auch sein mögen, sieht man doch allen an, dass sie sich um ein Erscheinungsbild bemüht haben, das das Beste an ihnen hervorkehrt.

Jeder Einzelne dieser Zeitgenossen könnte ohne weiteres eine Rolle in einem Stummfilm der 1920er Jahre übernehmen – wann haben Sie zuletzt in der Öffentlichkeit solches charakterstarkes Personal gesehen?

Bemerkenswert, was man Spannendes und Erfreuliches selbst bei einem kurzen Trip ins Tessin zu sehen bekommt, an dem man selbst gar nicht teilgenommen hat und bei dem erst ein Tip aus Übersee das Bild vervollkommnete…

Dergleichen versöhnt mich am Ende doch wieder in gewisser Weise mit der Gegenwart.

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Die Amis kommen!? Ein „Overland“ von 1918

Moment – fand die Invasion amerikanischer Truppen und ihrer Verbündeten nicht „erst“ vor 80 Jahren – also 1944 – statt?

Nun, im Geschichtsunterricht lernt man ja so etwas nicht, aber „der Invasion“ gingen einige andere Landungen von US-Militär im 2. Weltkrieg voraus, etwa auf Sizilien und bei Anzio und Nettuno in Mittelitalien. Vom Pazifik-Kriegsschauplatz ganz zu schweigen.

Man sieht: Festgefügte Gewissheiten geraten leicht ins Wanken, wenn man einmal genauer hinschaut – die Realität war und ist komplexer als es die einfachen Botschaften ahnen lassen, mit denen sich die denkfaule Mehrheit meist zufrieden gibt.

Dass es aber 1918 noch keine US-Invasion in Europa gab, das ist doch gesichert, oder? Zwar hatten die Vereinigten Staaten 1917 in den 1. Weltkrieg eingegriffen – die Motive sind nebenbei ebenso schillernd wie schon die Gründe für den Kriegsausbruch anno 1914.

Aber nirgends findet sich ein Hinweis auf Landungsaktivitäten der „Yankees“ im Jahr 1918 diesseits des Atlantiks – außer hier in meinem Blog.

Zwar nimmt die US-Automobil-Offensive der 1920er Jahre in Deutschland bei mir den Raum ein, den sie verdient. Aber dass diese friedliche Invasion mit attraktiven Modellen, welche die einheimische Industrie weder vom Preis noch von den Stückzahlen her liefern konnte, schon direkt nach dem 1. Weltkrieg eingesetzt hat, das wäre doch neu, oder?

Tatsächlich fällt es schwer, das zu glauben, gab es doch angesichts des rüstungsbedingt zerrütteten deutschen Staatshaushalts strenge Importrestriktionen speziell für Autos (mit wenigen Ausnahmen), um den Abfluss knapper Devisen zu begrenzen.

Doch meine stetig wachsende US-Autogalerie zeigt die ersten amerikanischen Fabrikate mit deutscher Zulassung bereits in den frühen 1920er Jahren. Natürlich können das auch gebrauchte Wagen aus Nachbarländern gewesen sein, die später nach Deutschland kamen.

Da es aber immer Mittel und Wege gibt, um staatliche Vorschriften mehr oder minder kreativ zu umgehen, möchte ich nicht ausschließen, dass einzelne US-Autos schon früher, also direkt nach Kriegsende, ihren Weg zu gut situierten deutschen Besitzern fanden.

Zumindest ein Indiz dafür scheint mir diese Aufnahme zu sein:

Overland Modelljahr 1918; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Zwar bilde ich mir ein, im Lauf der Jahre ein gutes Gefühl für US-Vorkriegsautos bekommen zu haben – von Wissen möchte ich nicht sprechen – doch auch wenn ich mir schn dachte, dass dieser Tourer ein amerikanisches Fabrikat sein muss, kam ich nicht auf den Hersteller.

Wie schon öfters in solchen Fällen, war die Frage in meiner internationalen Facebook-Gruppe „Vintage Photos of Prewar Cars In Europe“ binnen weniger Stunden gelöst. Das unscharf wiedergegebene Kühleremblem gehört zu einem „Overland“ und die Kühlerform ist typisch für Wagen dieser Marke aus dem Modelljahr 1918.

Die bis ins Jahr 1903 zurückzuführende Marke hatte sich vor dem 1. Weltkrieg zum zweitgrößten US-Hersteller nach Ford gemausert.

Im Unterschied zum Million-Seller Model-T von Ford war der Overland von 1918 ein etwas größeres, gefälliger gestaltetes und deutlich stärkeres Auto. Zwar war es weit teurer, aber für die amerikanische Mittelschicht immer noch bezahlbar.

Für zehn durchschnittliche US-Monatslöhne bekam man das Basismodell „Light Four“ mit 2,9 Liter Motor, der gut 30 PS leistete. Daneben gab es bereits ein Sechszylindermodell mit 35 bis 40 PS – was den Klassenunterschied zum stets nur vierzylindrigen Ford T unterstreicht.

Vielsagend ist diese Aufnahme, welche den Overland von 1918 neben dem Model T zeigt – damit liefere ich zugleich eine Referenz für die Identifikation des Wagens auf meinem Foto.

Bleibt die Frage, ob „mein“ Overland tatsächlich in Deutschland aufgenommmen worden war oder eher in einem anderen europäischen Land, in dem ebenfalls weiße Nummernschilder mit schwarzer Beschriftung üblich waren – Dänemark beispielsweise.

Doch ganz gleich, wie es sich verhält, ist diese Aufnahme ein hübsches Dokument der US-Autoinvasion Europas, die bereits 1918 einsetzte. Dass es schon vor dem 1. Weltkrieg amerikanische Wagen auch in der Alten Welt zu kaufen gab, steht dem nicht entgegen.

Richtig Schwung konnte diese „Invasion“ (wie auch die von anno 1944) aber erst bekommen, als die produktionstechnische und logistische Überlegenheit der Amerikaner voll zum Tragen kam und das lässt sich auf etwa das Ende des 1. Weltkriegs datieren.

Von da an gab es kein Halten mehr für die US-Importflut – anfangs in Skandinavien und Osteuropa, spätestens ab Mitte der 1920er Jahre dann auch in Deutschland. Diese Erfolgsgeschichte ist meines Wissens noch ungeschrieben…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Berliner „Overland Whippet“ der 1920er Jahre in Kiel

Leser dieses Oldtimer-Blogs bekommen schwerpunktmäßig Vorkriegsautos deutscher Hersteller anhand zeitgenössischer Fotos präsentiert. Aber auch auf deutschem Boden gebaute ausländische Lizenzfabrikate genießen hier Aufmerksamkeit.

Vor einiger Zeit haben wir uns mit einem einst in Berlin gebauten Austin Seven befasst – nicht zu verwechseln mit den in Eisenach gefertigten und als Dixi bzw. BMW vermarkteten Nachbauten des englischen Modells.

An der Reihe ist heute ein amerikanisches Fabrikat, das mit dem Berliner Austin etwas gemeinsam hat. Anlass, dieser Verbindung nachzugehen, gibt uns das folgende, auf den ersten Blick wenig informative Originalfoto:

© Willys-Overland „Whippet“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Bei genauem Hinsehen erweist sich Situation als hochinteressant. Das Foto zeigt nicht nur einen außergewöhnlichen Wagen, auch Aufnahmedatum und -ort lassen sich präzise benennen, was sonst selten der Fall ist.

Doch der Reihe nach: Der Kenner wendet sich zunächst der Abdeckung des Ersatzrads der Limousine zu. Auch wenn die Ausschnittsvergrößerung etwas unscharf ist, zeigt sie entscheidende Details:

Nein, man sieht dort keinen Panther oder Jaguar springen – dafür hat der stilisierte Vierbeiner eine zu lange Schnauze. Das ist vielmehr ein Windhund, auf englisch „Whippet“. Genau das steht darunter, gefolgt vom Zusatz „Six“.

Wer sich etwas mit US-Automobilen der Vorkriegszeit auskennt, denkt nun gewiss an das Modell „Overland Whippet“, das von 1926-31 gebaut wurde. Und tatsächlich: „Overland“ scheint in der ersten Zeile der Beschriftung dieser Radabdeckung zu stehen.

Zur Vorgeschichte des Fahrzeugs nur so viel: Der amerikanische Hersteller des Typs – Willys Overland – gehörte bis Ende des 1. Weltkriegs zu den größten PKW-Produzenten in den USA und damit der Welt überhaupt.

Willys Overland fertigte Alltagswagen, die damals in Europa ihresgleichen suchten. Folgende deutschsprachige Originalreklame lässt ahnen, wie überlegen in Großserie gefertigte US-Autos bereits vor Kriegsausbruch waren:

© Overland-Reklame von 1914 aus Sammlung Michael Schlenger

Ein 35 PS starker Wagen mit elektrischer Beleuchtung galt 1914 hierzulande als Luxus. Die Amerikaner waren sich der Überlegenheit ihrer Konzepte natürlich bewusst und zogen nach dem gewonnenen Krieg entsprechende Schlüsse daraus.

1919 tat sich Willys Overland mit der britischen Firma Crossley zusammen, um in Europa unter dem Namen Willys-Overland-Crossley (WOC) Autos herzustellen.

Dazu wurde 1927 auch in Berlin-Adlershof eine Fabrik eingerichtet. Dort waren bis 1918 von etlichen Herstellern Kampfflugzeuge produziert worden. Der Versailler Vertrag erlaubte Deutschland keine entsprechende Produktion mehr, sodass die modernen Hallen ab 1919 leerstanden.

An diesem Ort wurde von WOC neben Willys „Knight“-Wagen mit Schiebermotor auch der Overland „Whippet“ gebaut – und ab 1932 in Lizenz der Austin Seven!

Bevor es zu unübersichtlich wird, kehren wir zu unserem Foto zurück. Dank umseitigen Vermerks wissen wir, dass es am 16. März 1928 entstanden ist. Und es lässt sich sogar herausfinden, wo der Overland Whippet abgelichtet wurde.

Dabei hilft uns folgender Bildausschnitt:

Über dem Ladengeschäft neben dem Overland Whippet ist „Grabow & Matthes“ zu lesen. Eine Recherche im Netz führt zwar zu keiner existierenden Firma dieses Namens. Doch wird ein Unternehmen „Grabow & Matthes“ häufig im Zusammenhang mit deutschen Orden aus den beiden Weltkriegen erwähnt.

Die in Kiel ansässige Firma scheint unter anderem Aufbewahrungsetuis für Orden verkauft zu haben. Auf dem Foto eines solchen Etuis fand sich die Adresse „Grabow & Matthes, Muhliusstraße 32, Kiel“. Sehr wahrscheinlich ist das Foto einst dort entstanden.

Dazu passt das Nummernschild unseres Overland Whippet, das auf eine Zulassung in Schleswig-Holstein verweist (Kennung „IP“). Leider existiert das abgebildete Gebäude nicht mehr, sodass ein direkter Abgleich nicht möglich ist.

Das Haus in der Muhliusstraße 32 wurde während eines der Luftangriffe auf Kiel im 2. Weltkrieg zerstört. Nach dem letzten Bombardement (fünf Tage vor Kriegsende) waren über 95 % der Altstadt vernichtet. Sie – nicht die Werftanlagen der Stadt – waren wie andernorts das erklärte Hauptziel der britischen „Area Bombing Directive“.

Dort wo einst der Overland Whippet stand, zeigt sich dem Besucher heute eine triste Nachkriegsbebauung, mit der viele deutsche Innenstädte ein zweites Mal verheert wurden.

Vom Schicksal Kiels wussten die Einwohner am 16. März 1928 zum Glück nichts. Die Personen neben dem Overland Whippet schienen sich zum Aufnahmezeitpunkt gerade an einem kleinen Tier zu erfreuen, das der Herr mit Hut neben dem Overland Whippet in der Hand hält – vielleicht ein junger Hund: