Heute war ein großartiger Tag – der näherrückende Herbst gönnte sich eine Verschnaufpause. In der hessischen Wetterau, in der ich von einem Wiesbadener Intermezzo abgesehen seit über 50 Jahren lebe, herrschte Kaiserwetter.
Dazu passend hatte ich das Vergnügen, mit einem Oldtimer-Kameraden aus der Region in einem seiner „Gebrauchtwagen“ auf die angenehmste Weise an einen Ort chauffiert zu werden, den ich allen Freunden historischer Automobile nur ans Herz legen kann.
Die Rede ist von der Central-Garage in Bad Homburg, in der dank der Großzügigkeit des Besitzers wechselnde Klassiker-Ausstellungen stattfinden, die über die Region hinaus ihresgleichen suchen.
Aktuell wird dort das Gordon-Bennett-Rennen des Jahres 1904 dokumentiert, welches wohl das grandioseste lokale Geschehen seit der Römerzeit war, die mit dem Saalburg-Kastell ein einzigartiges Monument hinterlassen hat.
Auf der Hin- und Rückfahrt hatten wir Gelegenheit für alle möglichen Themen, dabei kam auch die Firma Opel zur Sprache. Wir waren uns einig, dass die Rüsselsheimer mit dem „Kapitän“ Ende der 1930er Jahre ein Meisterstück abgeliefert hatten, auf das später nichts Vergleichbares mehr folgen sollte.
Erst recht, wenn man die Klasse der ganz frühen Opel-Wagen betrachtet, kommt man nicht umhin, von Glanz und Elend einer einst hochkarätigen Marke zu sprechen.
Unvergessen der Opel Kadett D Diesel, den meine Mutter als Nachfolger ihres geliebten 1963er Export-Käfers von ihrem Gatten verordnet bekam – neben dem Golf 2 Diesel, mit dem ich meinen Führerschein gemacht hatte, das in jeder Hinsicht miserabelste Auto, das ich gefahren bin – außen und innen hässlich, unendlich lahm, zudem rostig und und unzuverlässig.
Dass Opel vor dem 1. Weltkrieg Luxuswagen auf höchstem Niveau baute, wer weiß das heute noch? Doch gerade in der damaligen Zeit lagen Glanz und Elend nahe beieinander.
Daran musste ich heute denken, als ein fast perfekter Tag zuendeging. Vom erhebenden Besuch der Central-Garage zurückgekehrt, baute ich mein 50er Jahre „Stricker“-Sportrad fertig und unternahm eine knapp 30 km umfassende Testfahrt.

Zunächst lief alles gut, das Teil lief in der Ebene locker über 30 km/h (zwei innerorts angebrachte Tempoanzeigen bewiesen das), es war windstill und die Sonne lachte vom Himmel. Nur der Sattel sollte etwas höher sein, dachte ich.
Zur Halbzeit hielt ich an und da ich etwas Werkzeug dabei hatte, verstellte ich die Sattelhöhe. Allerdings: Beim Festziehen der Sattelklemme ging das Gewinde vor die Hunde, sodass der Sattel nur in der niedrigsten Position – also auf Höhe des Oberrohrs – zum Stillstand kam.
So nahe liegen also Glanz und Elend, dachte ich, während ich erniedrigt die Rückfahrt antrat. Aber mit dem Schnitt konnte ich bei der Ankunft im heimischen Hof dennoch zufrieden sein. Das Sattelproblem war schnell gelöst und anschließend ging es noch zum Nachbarn, der mit einer veritablen Oldtimer-Presse gerade herrlich frischen Apfelsaft herstellte.
Nach so einem Tag verlieren alle Zumutungen der Gegenwart ihren Schrecken, jedenfalls für eine Weile. Und dann bekommt man von einem Leser und Sammlerkollegen ein Foto zugesandt, welches das Thema Glanz und Elend allzuperfekt verkörpert:
Diese außerordentliche Aufnahme hat mir Klaas Dierks in der ihm eigenen Großzügigkeit zur Veröffentlichung bereitgestellt – wie immer in der Erwartung, dass ich dem darauf abgebildeten Auto gerecht werde.
Ich meine, dass mir das möglich ist, auch wenn ich zugeben muss, dass ich ein derartiges Automobil noch nie gesehen habe. Allerdings sagte mir mein Bauchgefühl, dass dieses Fahrzeug mit sportlich geschnittenem Tourenwagenaufbau ein Opel aus der Zeit direkt vor dem 1. Weltkrieg sein dürfte.
Zwar wirkt der Kühler zunächst untypisch, doch die schrägstehenden Luftschlitze in der Motorhaube lieferten zumindest ein Indiz dafür, dass es sich um einen Opel handeln könnte – wobei auch andere Hersteller wie Horch ähnliche Details aufwiesen.
Fündig wurde ich dann im Standardwerk „Opel Fahrzeugchronik Band 1 – 1899-1951“ von Eckhardt Bartels und Rainer Manthey. Dort findet sich ein Opel-Sportmodell mit genau diesem eigenwilligen Kühler, das 1913/14 mit verschiedenen Motorisierungen gebaut wurde.
Im vorliegenden Fall erscheint der Typ 11/35 PS naheliegend – die noch stärkeren 50- bzw. 70-PS-Modelle scheinen keine solchen filigranen Drahtspeichenräder besessen zu haben.
Soviel zum Glanz – nun zum Elend: Die Männer, welche den mutmaßlichen Opel mit Sportaufbau umstehen, waren Mitglieder der Freiwilligen Kriegskrankenpflege im 1. Weltkrieg. Vermutlich waren das nicht fronttaugliche Bürger, die gleichwohl ihren Teil leisten wollten – hier zur Linderung des Elends der Verwundeten und Verstümmelten, welche der Krieg zwischen den seit 1914 plötzlich verfeindeten europäischen Staaten hinterließ.
Betrachtet man den friedlichen sportlichen Wettbewerb zwischen den aufstrebenden Automobilnationen Deutschland und Österreich auf der einen Seite sowie Frankreich und England (später Amerika) auf der anderen Seite in den Jahren vor Kriegsausbruch, kann man nur verzweifeln ob des Weges, den die Geschichte eingeschlagen hat.
Glanz und Elend – nicht nur in Sachen Opel ein aktuelles Thema….
Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Ich kann Ihnen nur beipflichten was Opel betrifft, Herr Schlenger.
Ich hatte mich schon vor einigen Monaten in Ihrem Blog über meine Erlebnisse mit Nachkriegs-Opel-Autos ausgelassen, weshalb ich das nun hier nicht neuerlich vorbringen möchte.
Aber eines kann und darf ich der Familienhistorie wegen nicht verschweigen: Mein Schwiegervater, Enkel des allerersten Adam Opel-Mitarbeiters Peter Schäfer (als dort die ersten Nähmaschinen gebastelt wurden), hat von 1924 an 49 Jahre lang bei Opel gearbeitet, ebenso einige seiner Brüder. Als ich ihm in den 1980ern mein Opel-Leid klagte, war mir das fast peinlich – und er schluckte meine massive Kritik wortlos herunter.
Doch nun noch einige Worte zum Gordon-Bennet-Rennen des Jahres 1904. Anlässlich dieses Rennens fand eine 800 km lange Zuverlässigkeitsfahrt von Breslau nach Frankfurt a.M. statt, die unter anderem durch den Taunus führte, an der neben mehreren Adler-, Benz- und Opel-Wagen auch drei Beckmann-Wagen teilnahmen, von denen einer von Paul Beckmann selbst gelenkt wurde. Er erhielt einen Ehrenpreis, die beiden anderen gingen an Opel-Fahrer.
Das war Teil der noch sehr frühen Glanzzeiten von Opel. Tempora mutantur…