Hat man noch die besten Zeiten der guten alten BRD mitbekommen – für mich waren das die 1970/80er Jahre – kann man zu dem Eindruck gelangen, dass in unseren Tagen einiges hierzulande ins Rutschen gerät.
Die lange Zeit ausgewogene Balance zwischen den Kräften in der Gesellschaft scheint nicht mehr gegeben.
Ich will an dieser Stelle nicht konkreter werden – wer mit offenen Augen und eigenem Urteil ausgestattet die gegenwärtigen Verhältnisse betrachtet, mag im Privaten wie im Politischen entsprechende Beobachtungen machen.
An sich handelt es sich um Schieflagen im Machtgefüge, die sich wieder ins Lot bringen ließen, doch dazu wären Korrekturen an allzu einseitig gewordenen Verhältnissen vonnöten.
Das passende Foto dazu fand ich heute abend auf der Rückseite eines Albumblatts, bei dem mich eigentlich dessen Vorderseite angesprochen hatte – das wollte ich Ihnen nicht vorenthalten, bevor es zur eigentlichen Sache geht:

Hier haben wir es offenbar mit einer nicht mehr im Gleichgewicht befindlichen Situation zu tun. Dabei handelt sich allerdings um französische Verhältnisse, wie sie sich auch in unseren Tagen bei unseren linksrheinischen Nachbarn konstatieren lassen.
Gewinnt eine Seite zu sehr an Gewicht und rückt zu weit weg von der soliden Mitte, bekommen die Dinge eine riskante Neigung.
Die Gegenseite ist zwar zahlenmäßig überlegen, kann sich aber keine ausreichende Geltung verschaffen, vielleicht mangelt es an Koordination oder – schlimmer: an der Einsicht in den Ernst der Lage.
„Wo ist denn diese Aufnahme entstanden, die sich so trefflich zur Beschreibung aktueller Verhältnisse eignet?„, mögen Sie jetzt fragen. Ich wüsste es nicht, hätte nicht jemand einst unter der Aufnahme lapidar vermerkt: „à Sarlabot„.
Eine kurze Recherche führte dann in der Tat mitten in schönste französische Verhältnisse, nämlich in die Region Calvados in der Normandie.
Dort befand sich im beschaulichen Urlaubsort Dives-sur-Mer- von wo aus angeblich 1066 die Invasionsflotte von William the Conqueror gen England aufbrach – ein als Ausflugsziel beliebtes herrschaftliches Anwesen: die Ferme de Sarlabot.
Die Wippe auf dem eingangs gezeigten Foto findet sich auch auf anderen historischen Fotos dieser Lokalität wieder.
Nur vermuten können wir indessen, dass die zweite Aufnahme, welche von französischen Verhältnissen kündet, einst ebenfalls in dem Ferienort an der Küste entstanden ist:
Klar ist, dass wir es zum Teil mit denselben Personen zu tun haben. Außerdem lässt sich der Wagen mit der eigenwilligen Frontpartie und dem großzügigen Aufbau als 6-Fenster-Limousine recht genau ansprechen.
Aus formaler Sicht würde ich das Auto als Renault von 1927/28 identifizieren. Der traditionell auf Eigenständigkeit bedachte Hersteller hielt damals noch an der Anordnung des Kühlers hinter dem Motor fest, weshalb hier kein Kühlergrill zu sehen ist.
Typisch für diese speziellen französischen Verhältnisse waren die Luftschlitze in der Motorhaube, welche nicht dem Ableiten heißer Luft aus dem Motorraum dienten, sondern im Gegenteil dem Zuleiten kühler Außenluft in Richtung Kühler.
Renault hatte diese thermisch problematisch erscheinende Lösung perfekt im Griff, sodass selbst stärkste Modelle der Marke bis etwa 1929 damit ausgerüstet wurden.
Im vorliegenden Fall dürften wir es indessen eher mit einem Modell der Mittelklasse zu tun haben, vermutlich dem Vierzylindertyp KZ. Die äußerlich sehr ähnliche Basisvariante NN dürfen wir mit Blick auf den großen und schweren Aufbau ausschließen.
Noch genauer will ich mich nicht festlegen – denn mit den sehr speziellen französischen Verhältnissen der Renaults der Vorkriegszeit bin ich wenig vertraut. Selbst die Modelle der 1930er Jahre bereiten mir oft Kopfzerbrechen angesichts der Vielzahl der Typen, ihrer optischen Ähnlichkeit und ihrer verwirrend-schönen Bezeichnungen.
Dass uns Deutschen die französischen Verhältnisse oft rätselhaft erscheinen, gehört zu den charmanten Aspekten interkultureller Vergleiche selbst zwischen engen Nachbarn. Wenn es nach mir ginge, können die spezifischen Eigenheiten der europäischen Völker ruhig bestehen bleiben – ein EU-Einheitstyp nach Brüsseler Norm wäre der Tod Europas.
Doch zurück zu den spezifischen Verhältnissen auf dem Renault-Foto. Ist Ihnen auch aufgefallen, dass da jemand zwar formal dem Partner die Treue hält, aber in Wahrheit mit einem anderen Kandidaten liebäugelt?
Entgegen aller Schwüre mündeten diese französischen Verhältnisse am Ende vielleicht in eine neue Balance – so delikat dies zunächst auch scheinen mag.
Im Idealfall ergibt sich ein Einklang von Herz und Verstand, aber schon manche reine Vernunftehe hat sich als segensreicher erwiesen als eine „amour fou“.
Ein Letztes: Woran liegt es, dass ich über das heutige Erscheinungsbild der „Ferme de Sarlabot“ nichts finden konnte? Ist sie bei der alliierten Invasion 1944 zerstört worden oder habe ich bloß nicht richtig gesucht, weil mir die französischen Verhältnisse eher fremd sind?
Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.