Beinah‘ ein Sechser im Lotto: Adler 10/50 PS

Geld macht bekanntlich nicht glücklich – soviel ist klar. Kein Geld aber auch nicht. Und so hoffen jede Woche Millionen von Bundesbürgern auf den sprichwörtlichen Sechser im Lotto, der sie zumindest der Bürde des Geldverdienens enthebt.

Dass gegen diese Form des „leistungslosen“ Einkommens noch nicht von interessierter fiskalischer Seite agitiert wurde, wundert mich. Das kommt aber sicher auch noch – denn dass mit knapp 1.000 Milliarden EUR Steuereinnahmen pro Jahr die nötigsten Staatsaufgaben nicht erfüllt können (dafür aber jede Menge andere), ist offensichtlich.

Auf den sprichwörtlichen Sechser im Lotto musste vor rund 100 Jahren auch der hoffen, der sich ein Automobil des Kalibers zulegen wollte, das wir uns heute anhand einer raren „neuen“ Aufnahme ansehen wollen.

Dazu ist es hilfreich, sich zunächst die Einkommensverhältnisse eines deutschen Durchschnittsverdieners im Jahr 1925 zu vergegenwärtigen. Diese sind gut dokumentiert, denn für die breite Masse der sozialversicherungspflichtigen Arbeiter und Angestellten wird seit 1891 das durchschnittliche Jahreseinkommen erhoben. Dass die Beamten hier nicht enthalten sind, ist vernachlässigbar – ihre Zahl war bis in die 1970er Jahre relativ niedrig.

Schauen wir also in die Statistik der deutschen Sozialversicherung, um uns ein Bild zu machen. Anno 1925 – nach der überstandenen Hyperinflation – betrug das Durchschnittsentgelt 1.469 Reichsmark – pro Jahr und brutto, wohlgemerkt.

Diesen Wert behalten wir im Hinterkopf – wir brauchen ihn später noch. Bevor wir ein wenig rechnen, wollen wir uns erst einmal an einem deutschen Oberklassewagen jener Zeit erbauen – dem Adler 10/50 PS.

Er löste Ende 1925 den kurzlebigen Vierzylindertyp 10/45 Typ ab, der entweder eine Fehlkonstruktion oder in seinem Preissegment kaum verkäuflich war. Der Adler 10/50 PS bot stattdessen bei ähnlichem Hubraum (2,6 Liter vs. zuvor 2,7 Liter) etwas mehr Spitzenleistung und vor allem: Sechszylinder-Laufkultur.

Den ersten Adler mit Sechszylinder hatte es übrigens kurz vor dem 1. Weltkrieg gegeben (Typ 15/35 PS), als dies bei deutschen Wagen noch eine seltene Ausnahme darstellte.

Ab Mitte der 1920er Jahre wurden Sechszylinder – ausgehend von den USA – zum Standard bei gehobenen Automobilen. Man scheint das bei Adler in Frankfurt/Main frühzeitig registriert zu haben, nachdem selbst bei US-Mitteklassemarken wie Buick ab 1925 Sechszylindermotoren die Vierzylinderaggregate ablösten.

So erschien in kurzer Zeit der beeindruckend dimensionierte neue Adler 10/50 PS, den wir hier auf einer Aufnahme aus dem Fundus von Leser Matthias Schmidt sehen:

Adler 10/50 PS Pullman-Limousine; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Mit dem 50 PS leistenden Sechszylinder und Vierradbremsen war der Adler technisch auf der Höhe der Zeit. Die filigranen Drahtspeichenrädern waren Serienausstattung und nahmen dem massigen Karosseriekörper etwas von seiner Schwere.

Typisch sind die sehr schmalen und zahlreichen Luftschlitze in der Motorhaube sowie die minimalistischen Trittschutzbleche auf der Schwellerpartie unterhalb der Türen. Diese Gestaltung findet sich sonst meines Wissens nicht und ist ein Merkmal dieser Adler-Wagen.

Von solchen Finessen abgesehen, sieht der Adler aus der Seitenansicht völlig beliebig aus. Dem in deutschen Landen Mitte der 1920er grassierenden Funktionalismus in der Karosseriegestaltung machte die ausländische Konkurrenz zum Glück bald ein Ende.

Doch zumindest bis Produktionsende 1926/27 kam der mächtige Adler 10/50 PS in diesem puritanisch schlicht anmutenden Gewand daher.

Immerhin hatten die Gestalter in den Adlerwerken nahe dem Hauptbahnhof zu Frankfurt/Main dafür gesorgt, dass man den Wagen von vorne sofort erkennt:

Adler 10/50 PS Pullman-Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieses prächtige Dokument ist mir heute abend bei der Durchsicht meiner prallgefüllten Mappe mit bislang unveröffentlichten Adler-Fotos in die Hände gefallen.

Besonders gut gefällt mir hier, dass der Typ 10/50 PS auf der Rückseite des Abzugs von alter Hand vermerkt ist, denn äußerlich ließ sich dieser vom 10/45 PS nicht unterscheiden – die 10 cm Unterschied im Radstand kann man nicht erkennen.

Überhaupt gibt es kaum Vergleichsfotos dieses Modells. Das gute halbe Dutzend in meiner Adler-Galerie scheint die größte allgemein zugängliche Versammlung solcher Aufnahmen zu sein.

Noch eine Sache möchte ich erwähnen, wenngleich sie für die Bildanalyse unerheblich ist. Der Besitzer des Wagens hat auch seine Mutter (im Fond) sowie die Tochter Brunhilde und deren Mutter Berta auf der Rückseite erwähnt.

Der mutmaßliche Chauffeur am Steuer (damals war Rechtslenkung noch Standard in Deutschland) muss leider namenlos bleiben. Doch sein Status als Fahrer eines dermaßen kostspieligen Wagens war auch so herausgehoben – man wird ihn gut bezahlt haben.

Damit wären wir beim eingangs angerissenen Thema – den leidigen Moneten. Erinnern Sie sich noch an das durchschnittliche Brutto-Jahreseinkommen eines Durchschnittsdeutschen anno 1925?

Genau, knapp 1.500 Reichsmark brutto waren das. Jetzt unterstellen wir einmal, dass ein Durchschnittsverdiener damals noch nicht dermaßen vom Fiskus zur Kasse gebeten wurde wie heute. Nehmen wir an, er musste vielleicht 10 % an Sozialabgaben und nochmals 10 % an Steuern abdrücken – aus heutiger Sicht ein Traum – dann blieben ihm 1.200 Mark.

Und nun nehmen wir noch an, er konnte davon großzügig bemessen 20 % pro Jahr sparen, sagen wir: aufgerundet 250 Mark.

Jetzt raten Sie einmal, nach wievielen Jahren er sich die zuvor gezeigte Pullman-Limousine des Typs Adler 10/50 PS hätte leisten können. Halten Sie sich fest: er hätte 52 Jahre sparen müssen. Der Wagen kostete nämlich kolossale 13.000 Reichsmark.

Machen wir die Rechnung noch anschaulicher. Der Kaufpreis des Adler entsprach fast neun Brutto-Jahresgehältern eines deutschen Durchschnittsverdieners. Das übertragen wir jetzt auf die Gegenwart, damit endgültig deutlich wird, was das einst bedeutete.

Ein sozialversicherungspflichtiger Durchschnittsverdiener in Deutschland bekam im Jahr 2024 rund 45.000 EUR brutto. Ein Auto, für das wie einst für den Adler ebenfalls neun mittlere Brutto-Jahresgehälter aufgerufen werden, würde also heute über 400.000 EUR kosten.

Jetzt dürfte klar sein, weshalb man damals wie heute einen Sechser im Lotto brauchte, um sich so einen Wagen leisten zu können – vom Chauffeurgehalt ganz zu schweigen.

Das erklärt, weshalb diese Autos nur in winzigen Stückzahlen gebaut wurden – wir reden im Fall des Adler 10/50 PS von dreistelligen Produktionsziffern.

Gleichzeitig wird deutlich, weshalb jedes Foto eines dieser raren 6-Zylinderwagen von Mitte der 20er beinahe ein Sechser im Lotto ist – und das wie immer hier kostenlos und steuerfrei…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

3 Gedanken zu „Beinah‘ ein Sechser im Lotto: Adler 10/50 PS

  1. Zum Preisvergleich springe ich mal 3-4 Jahre weiter und somit zum Adler Standard 6, der dann zwar fast die Hälfte, aber doch noch 7.700 RM kostete, während Pontiac seinen 6-28 ab $ 595 anbot. Zum damals festgelegten Kurs von RM 4,20 pro USD hätte der ebenfalls sechszylindrige Pontiac Six als preisgünstigstes GM-Produkt zwischen 2.500 und 3.500 RM gekostet, wobei dessen enormer Erfolg auf dem Heimatmarkt wohl nur wenige Exemplare für den Export übrigließ. Auch wenn zur Deckung der Verschiffungskosten Preise ab 3.000 RM aufgerufen wären, und die viertürige 6-Fenster-Version bei 4.000 RM läge, wäre der Preisvorteil des „Amerikanerwagens“ enorm, aber für den Großteil unserer Vorfahren vor 95 oder 100 Jahren dennoch unerschwinglich gewesen.

  2. Bei genauem Betrachten der beiden als 10/50 PS sicher richtig erkannten Adler- Limousinen fällt auf, daß es sich um unterschiedliche Ausführungen bezüglich der Innenraumlänge und folglich auch des Radstandes handeln muß! Geht man vom im Oswald angegebenen Radstand von 3350 mm für den Wagen mit den 3 Generationen Damen aus, bleibt die Feststellung, daß der erste Wagen mit dem kleinen Fenster in dem Zwischenraum von Vorder- und Fondtür einen deutlich längeren Radstand verfügen muß. Da jedoch die abgelesene Reifendimension mit der Angabe Oswalds übereinstimmt ist davon auszugehen, daß es den 10 PS‐ Typ auch mit längerem Chassis, etwa des größeren 18 PS von 3650 mm gab. Eine solche Anordnung eines kleinen Zwischenfensters sieht man recht selten, da sie Zusatzaufwand bedeutet, der sich durch Vebreiterung beider Türen leicht hätte vermeiden lassen !
    Sollten wir hier undeutscher Verschwendungssucht in schwerer Zeit auf die Schliche gekommen sein? – oder handelt es sich um eine Sonderausführung mit „Konferenz- Bestuhlung“ , vielleicht mit standesrechtlich erforderlicher Trennscheibe ?
    Da die Anordnung eines festen Bereiches im Einstieg der üblichen Klappsitze ungeeignet wäre erscheint mir diese Sonderbauweise plausibel zu sein die evtl. als Einzelstück entstand.

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