Im Gegenlicht – meisterlich: Adler „Trumpf“ von 1932/33

Wer meinen Blog schon eine Weile verfolgt, dürfte bemerkt haben, dass ich gern eine eigene Sicht der Dinge einnehme – sowohl, was aktuelle Geschehnisse angeht, als auch die Beurteilung automobilhistorischer Phänomene betreffend.

Die Freiheit zur anderen Sicht gibt mir das Blog-Format, das ein völlig subjektives ist.

Ich kann darin frei von Verpflichtungen meinen Blick darlegen – ich habe keinen akademischen Ruf zu verlieren, ich muss auf keine Werbekunden Rücksicht nehmen, ich habe keine Vorgesetzten und keine Parteivertreter in einem Aufsichtsgremium.

Das heißt nicht, dass meine Perspektive zwangsläufig besser oder „richtiger“ ist – sie ist aber unabhängig und kennt keine Scheu vor angeblichen oder tatsächlichen Auto-Ritäten.

Das Widerständige, der Wille zur eigenen Meinung – das wurde mir nicht in die Wiege gelegt. In meiner Familie wurde man erst zum Gehorsam und dann zum Denken erzogen.

Ich habe meine Skepsis und das Bedürfnis, den Dingen selbst auf den Grund zu gehen, noch als Teenager irgendwann entdeckt, praktiziert und über die Jahre kultiviert.

Mir gefällt der Leitsatz „Im Zweifel für den Zweifel“, den ich mir von einem eigenwilligen deutschen Konservativen der Nachkriegszeit geborgt habe – Joachim Fest (1926-2006).

Wie alle interessanten Menschen war Fest „umstritten“ – wie sich das für jede wissenschaftliche Hypothese, theologische Konzepte und ästhetische Ideale gehört.

Fest begegnete mir erstmals, als ich mich Ende der 1980er Jahre für Italien zu interessieren begann. Abseits des Mainstreams den Facetten menschlicher Kultur nachzuspüren, das war das Thema von Joachim Fests meisterlichem Italienbuch „Im Gegenlicht“ (1988).

Fest hatte sich seinerzeit Italien „gegen den Strich“ vorgenommen – von Sizilien nach Norden reisend und aus einem Alltag berichtend, den ich auf meinen frühen Italienfahrten selbst noch ansatzweise erleben konnte, der aber über 30 Jahre später Geschichte ist.

Wie komme ich nun vom Fest’schen „Gegenlicht“ von anno 1988 zum Adler des Frontantriebstyps „Trumpf“ aus den Jahren 1932/33? Das ist einfach, auch wenn das Gegenlicht mit das Anspruchsvollste ist, das einem Fotografen begegnen kann.

Wie bei jeder guten Übung für Körper und Geist beginnen wir mit den einfachen Dingen, die leicht von der Hand gehen und einen ersten schönen Erfolg bescheren:

Adler „Trumpf“ Limousine von 1932/33; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Was soll man hier schon falschmachen? Das Licht ist ausreichend, drei prächtige Individuen schauen gut gelaunt und zwanglos in die Kamera und den Hintergrund gibt ein moderner Frontantriebswagen ab.

Wie am Kühleremblem ersichtlich handelt es sich um einen Adler aus Frankfurt am Main, wobei die Gestaltung der Frontpartie (noch ohne Kotflügelschürzen) verrät, dass wir es mit einem frühen Exemplar des Modells „Trumpf“ von 1932/33 zu tun haben.

Damit folgte Adler dem Trend zu Fronttrieblern, den in Deutschland Stoewer und DKW initiiert hatten, gefolgt von Audi. Im Fall von Adler steckte dahinter Hans-Gustav Röhr mit seinem Team von Selberdenkern.

Röhr, der sich mit starren Strukturen und Hierarchien schwertat, verdankt Adler seinen größten Erfolg überhaupt. Die Fronttriebler „Trumpf“ und ab 1934 „Trumpf Junior“ zählten zusammen mit den DKWs und Opels bis zum 2. Weltkrieg zu den meistverkauften deutschen Autos.

Dem Erfolg nicht im Weg stand, dass man Adlers „Trumpf“ anfangs eine ziemlich bieder anmutende Karosserie verpasst hatte – jedenfalls die Limousine betreffend. Die besaß eine Ganzstahlkarosserie von Ambi-Budd (nebenbei: wo wurde diese noch verbaut?), die noch ganz im Stil der späten 20er Jahre gehalten war:

Adler „Trumpf“ Limousine von 1932/33; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Allenfalls das Fehlen eines Trittbretts – kurioserweise ohne die naheliegende Konsequenz, den Passagierraum breiter zu gestalten – deutet hier auf die frühen 30er hin.

Die Stärke der äußeren Erscheinung des Adler Trumpf mit seinem konventionellen 1,5 Liter-Motor (32 PS) lag zweifellos auf der Frontpartie.

Hier haben wir den passenden Bildbeweis (Dank an Leser Marcus Bengsch), wobei dieses Exemplar über einen nachgerüsteten Nebelscheinwerfer an dem mittigen Bügel verfügt:

Adler „Trumpf“ Limousine von 1932/33; Originalfoto: Sammlung Marcus Bengsch

Auch wenn die Sonne von oben scheint, deutet sich das Thema „Gegenlicht“ bereits leise an – der Hintergrund wirkt grell und stört die Balance etwas.

Aber mit den Filmen der 30er Jahre war das kaum vermeidbar – speziell wenn das eigentliche Objekt dunkel gehalten war.

Noch schwieriger war es damals, einen solchen Wagen im Schnee abzulichten. Nicht, dass sich unsere Altvorderen dann nicht vor die Tür wagten – gerade der frontgetriebene Adler konnte unter winterlichen Bedingungen seine Stärken entfalten.

Doch der extreme Kontrast zwischen weißem Schnee und wiederum dunkler Lackierung überforderte das damalige Filmmaterial häufig:

Adler „Trumpf“ Limousine von 1932/33; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Bei aller Kunst des Fahrers und der Konstrukteure des Frontantriebs ist hier doch zu konstatieren, dass die Kunst des Fotografen nicht daran heranreicht.

Dennoch: So ein Dokument bekommt man nicht alle Tage zu sehen, und unter anderem deshalb finden Sie ja auch den Weg hierher, nicht wahr?

Und zurecht erwarten Sie, am Ende durch das belohnt zu werden, was die hohe Kunst der Automobilfotografie im Gegenlicht auszeichnet.

Einen ersten Vorgeschmack mag diese Aufnahme vermitteln:

Adler „Trumpf“ Limousine von 1932/33; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Zwar kommt auch hier das Sonnenlicht von oben, aber der helle Himmel überstrahlt fast alles im Hintergrund, was diesen umso geheimnisvoller erscheinen lässt.

Vielleicht vermag ja einer von Ihnen, liebe Leser, diese Flusslandschaft zu identifizieren. Zu dem Auto muss ja nichts sagen – so schnell lernt man den Adler „Trumpf“ als Limousine in der frühen Ausführung von 1932/33 selbst aus seitlicher Perspektive (er)kennen.

Bleibt die Frage, wie sich ein bis zur Erschöpfung dokumentierter Adler „Trumpf“ mit Limousinenaufbau von Ambi-Budd darstellt, wenn man ihn mal im Gegenlicht betrachtet.

Beantworten kann ich das anhand einer Aufnahme, die ich erst kürzlich erworben habe.

Sie zeigt den Adler vordergründig aus konventioneller Perspektive, bettet den Wagen aber in ein ungewohntes Umfeld ein, das den Blick in die Ferne gehen lässt – in ein geheimnisvolles Gegenlicht, vor dem sich eine wie Käpt’n Nemos „Nautilus“ anmutende Insel abzeichnet – und statuenhaft die Silhouette einer Frau, die entrückt ins Weite blickt:

Adler „Trumpf“ Limousine von 1932/33; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

DAS ist nach meiner unmaßgeblichen, aber nicht minder festen Überzeugung meisterlich.:

Der Mensch in seiner Vergänglichkeit und seine vordergründigen Schöpfungen vor der Kulisse einer Welt, die zuvor schon Milliarden von Jahren existierte und die nach uns ebenso ungerührt und für uns unergründlich fortbestehen wird.

Ob Sie nun meine Sicht der Dinge teilen oder nicht – heute haben Sie etwas vermeintlich Vertrautes gesehen wie nie zuvor – zunächst gewohnt gefällig, zuletzt hart im Gegenlicht. So sind die Realitäten und wir sollten Sie aus beiden Blickwinkeln betrachten und annehmen.

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Luxus serienmäßig! Zwei Adler Landaulets um 1907

Traditionell wird Luxus mit Verschwendung in Verbindung gebracht – typischerweise von Leuten, die wenig einschlägige Praxiserfahrung haben.

Das ist ähnlich wie bei Zeitgenossen, die sich für eine Besteuerung von Vermögen in die Bresche werfen – nicht etwa, weil der Fiskus so klamm wäre, sondern weil es sie stört, dass andere ihnen etwas voraus haben. Nach dem Gewinn des Jackpots im Lotto wird diese Auffassung allerdings zuverlässig eine fundamentale Korrektur erfahren…

Meine Einstellung zum Luxus ist eine uneingeschränkt positive. Nicht nur meine ich, dass jenseits alltäglicher Notwendigkeiten der Spaß am Leben erst beginnt – ich gönne mir (und Ihnen) auch selber regelmäßig einigen Luxus.

Während sich das nicht auf meinen Geschmack bei klassischen Autos im Maßstab 1:1 bezieht – dort beschränke ich mich von jeher auf das untere Preissegment – gebe ich mich in diesem Blog gern hemmungslos dem schieren Überfluss hin.

Nicht nur ist die Beschäftigung als solche bereits eine Verschwendung von Zeit und Geld, auch mit den Gegenständen der Betrachtung gehe ich fahrlässig großzügig um.

Ein besonders verwerfliches Beispiel dafür bringe ich heute – denn diesmal präsentiere ich ungeheuren Luxus aus der Frühzeit des Autos gleich in Serie.

Ich kann mir diesen Luxus nicht nur leisten, ich bin hier paradoxerweise auch von blanker Not getrieben. Denn gerade bei den Wagen der Marke Adler aus Frankfurt am Main gehe ich förmlich in sehenswerten zeitgenössischen Fotos unter.

Das gilt nicht nur für die üblichen Verdächtigen der Frontantriebs-Fraktion der 1930er Jahre („Trumpf“ und „Trumpf Junior“) oder die ebenfalls sehr zahlreich dokumentierten „Ami“-Konkurrenten der späten 1920er Jahre („Standard 6“ und „Favorit“).

Nein, auch andernorts praktisch nicht oder nur sehr dürftig vertretene Adler-Modelle der Zeit vor 1925 finden sich auf hunderten Aufnahmen aus meiner Sammlung und aus denen von Gleichgesinnten, deren Schätze ich hier ebenfalls präsentieren darf.

Warum sonst keiner etwas aus der schieren Materialfülle bei dieser einst enorm bedeutenden deutschen Marke macht? Ich weiß und verstehe es nicht. Ich bin kein Adler-Spezialist und besitze nur ein Fahrrad der Marke von ca. 1950 (in ziegelrot, sonst sprechen mich die Adler-Räder weniger an als andere jener Zeit).

Dennoch ist meine nebenher in den letzten 10 Jahren aufgebaute Adler-Galerie die weltweit größte allgemein zugängliche ihrer Art. Sie ist weder vollständig noch vollkommen, was die Ansprache speziell der frühen Modelle angeht, aber es gibt sie und sie wächst stetig.

So bin ich in der komfortablen Lage, Ihnen heute Luxus aus dem Hause Adler gleich serienmäßig nachzubringen. Den Anfang macht dieses Landaulet nebst Chauffeur:

Adler Landaulet um 1907; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieser Wagen bot einst seinen sehr vermögenden Besitzern nicht nur den Luxus eines prinzipiell geschlossenen Passagierabteils, das am Heck jedoch ein zu öffnendes Verdeck für Fahrten bei schönem Wetter besaß.

Das Auto war auch mit seiner Dachreling darauf ausgelegt, Reisegepäck (und nicht nur Reservereifen) aufzunehmen. Der Chauffeur hingegen war bei allem Chic der „Uniform“ in dieser Klasse kein Luxus, sondern quasi serienmäßig, denn Selbstfahrer waren damals noch die Ausnahme.

Aber was ist denn unter diesem „damals“ zu verstehen?

Nun, bei üblicher Analyse lässt sich wie folgt vorgehen: Gasscheinwerfer bedeuten: vor 1920, rechtwinklig auf die Windschutzscheibe stoßende Haubenpartie bedeutet: vor 1910 und die hier wirklich noch passend benamten Kotflügel, die nicht direkt insTrittbrett übergehen, bedeutet ganz grob: vor 1908.

Unterstützt wird diese Datierung auf geradezu luxuriöse Weise. Denn auf der Rückseite des Originalabzugs sind Aufnahmeort und -jahr von alter Hand vermerkt: „Wandlitz 1908“.

Ist das nicht großartig? Jetzt müssen wir anhand von Vergleichsfotos „nur“ noch das frühestmögliche Baujahr dieses Wagens bestimmen. Auch das geht mit einiger Erfahrung.

Ab etwa 1906 findet sich bei Adler-Wagen diese Gestaltung der Vorderpartie – weitgehend unabhängig von der Motorisierung. Dass wir es mit einem Adler zu tun haben, verrät die Kühlerform in Verbindung mit dem damals markentypischen Einfüllstutzen (kein Witz).

Auch wenn der wohl recht großgewachsene Fahrer den Wagen eher moderat dimensioniert erscheinen lässt, deutet etwas auf einen Adler mit deutlich gehobener Leistung hin. Die Räder besitzen 12 statt nur 10 Speichen bei den schwächeren Modellen. Das ist ein HInweis auf einen stärkeren Motor, der bei dem schweren Aufbau auch ratsam war.

Ich würde hier auf ein Aggregat der 30 bis 40 PS-Klasse tippen (es gab noch weit stärkere von Adler, aber sie blieben sehr selten). Das war für einen ernstzunehmenden Reisewagen durchaus angemessen, speziell wenn man Touren in bergigen Regionen vorhatte.

Vergessen wir nicht: Wer so ein in monatelanger Handarbeit gebautes Landaulet orderte, der gab damals dafür den Gegenwert eines kleinen Hauses aus. Im Unterschied zu einem Arzt oder Geschäftsmann brauchte ein auf Repräsentation und Reisen erpichter reicher Besitzer nicht am Detail zu sparen, er konnte sich das volle Programm leisten.

Vor diesem Hintergrund mag es verwundern, dass ich heute Luxus aus dem Hause Adler „serienmäßig“ angekündigt hatte. Nun, zum einen kann ich mich herausreden, da bei einem solchen Landaulet aller erdenklicher Luxus ohnehin serienmäßig war.

Doch steckt wie immer mehr als nur ein Körnchen im Titel meines Blog-Eintrags – so ziemlich das einzige, worüber ich einen Moment nachdenke, den Rest schreibe ich meist herunter inspiriert von den Fotos selbst und in der Regel mit musikalischer Begleitung.

Tatsächlich scheint Adler diese majestätisch anmutenden Luxuswagen in gewisser Weise serienmäßig hergestellt zu haben. Darauf kam ich, nachdem ich das eingangs gezeigte Foto mit dem folgenden verglich:

Adler Landaulet um 1907; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ignorieren wir für einen Moment die mächtigen Frontscheinwerfer – die Beleuchtungsausstattung war vor dem 1. Weltkrieg hochindividuell und wurde vom Käufer oft erst nach Erwerb des Wagens selbst ergänzt.

Aber ansonsten sehen wir jede Menge Übereinstimmungen, oder? Selbst die Speichenzahl der Räder und die Gestaltung von Trittbrettkästen und Dachreling stimmt überein.

Könnte es sich um denselben Wagen handeln? Das wäre nach bisheriger Erfahrung nicht auzuschließen. Wiederholt habe ich mit erheblichem Zeitabstand Fotos erworben, die ein identisches Auto zeigen.

Im vorliegenden Fall ist die Sache aber klar: Der Adler auf dem zweiten Foto war ein anderes Fahrzeug, weil er einen auch am Heck geschlossenen Aufbau besaß – als Chauffeur-Limousine würde man diese Ausführung ansprechen.

Aufgenommen wurde das Exemplar in Hückeswagen -. einem Ort, von dem ich zuvor noch nie gehört hatte. Davor präsentiert sich offenbar der stolze Besitzer – im Unterschied zum Chauffeur auf dem ersten Foto neben der Einstiegstür zum Passagierabteil.

Wir machen uns im 21. Jh. keine Vorstellung davon, wie exklusiv der Besitz eines derartigen Automobils vor bald 120 Jahren war. Auf heutige Verhältnisse übertragen entsprach ein solcher Wagen einem modernen Geschäftsflugzeug mit eher zwei Triebwerken als einem.

Man mag die ökonomischen Unterschiede der Gegenwart beklagen- sinnlos, wie ich meine, da sie eine Konstante in allen Gesellschaften sind, auch den angeblich egalitären.

Aber eines betone ich immer wieder. Mit dem Automobil für jedermann, das wir der amerikanischen Industrie verdanken, verfügen wir alle heute serienmäßig über einen Luxus, der einst Superreichen und gekrönten Häuptern vorbehalten war.

Denken Sie daran, wenn Sie das nächste Mal ihren Wagen starten, die Sitzheizung einschalten und am servounterstützten Lenkrad drehen. Vollgetankt an die tausend Kilometer Reisefreiheit – das ist der pure Luxus serienmäßig in unserer Zeit…

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Für mich „der“ Favorit: Adler Standard 6 Cabriolet

In der Überschrift der heutigen Betrachtung verbirgt sich ein tieferer Sinn, speziell für die Freunde der Marke Adler aus Frankfurt am Main. Aber keine Sorge – tiefsinnig wird es heute deshalb jedoch nicht.

Im Gegenteil bleiben wir schön oberflächlich – und wer hätte schon etwas gegen schöne Oberfläche, speziell wenn die inneren Werte gesichert rechtschaffen sind. Dass sich unter dem äußeren Erscheinungsbild eines Adler „Standard 6“ stets ehrliche Qualität verbarg, das war bei diesem Hersteller nämlich so selbstverständlich, dass nicht viel dazu zu sagen ist.

Das galt auch für das vierzylindrige Schwestermodell „Favorit“, das ein Jahr nach dem 1927 eingeführten „Standard 6“ debütierte. Bei Gelegenheit will ich wieder einige Fotos dieses Modells zeigen, das meist als Limousine mit Ganzstahlaufbau von Ambi-Budd gefahren wurde.

Diesmal beschränke ich mich aber aus einem speziellen Grund auf das 2-Fenster Cabrio, von dem wir gleich eine frühe Reklame sehen. Vielleicht nie wieder hat ein deutsches Auto so perfekt amerikanisch ausgesehen wir hier:

Adler „Favorit“-Reklame von 1928/29; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Die frühen Exemplare des Favorit hatten mit dem stärkeren Standard 6 die in zwei Gruppen angeordneten horizontalen Haubenschlitze ebenso gemeinsam wie das ins Kühlernetz hineinragende dreieckige „Adler“-Emblem.

Äußerlich waren die beiden Modelle aber an der unterschiedlichen Zahl der Radbolzen zu unterscheiden. Das änderte sich im Zuge der Modellpflege ab 1930.

So wanderte das Adler-Emblem nach oben, die markanten horizontalen Luftschlitze in der Motorhaube wichen traditionellen senkrechten und die Zahl der Radbolzen wurde auf fünf vereinheitlicht.

Genau diese Details lassen sich bei diesem Zweifenster-Cabriolet studieren, das auf einem Foto aus der Sammlung von Thomas Ulrich (Berlin) festgehalten ist:

Adler „Favorit“ oder Standard 6, 2-Fenster-Cabriolet (Karosserie: Weinsberg), Baujahr: 1930/31; Originalfoto: Archiv Thomas Ulrich

Ob das nun ein „Favorit“ oder Standard 6 war – das lässt sich nicht genau sagen.

Man kann allerdings annehmen, dass Besitzer, die sich statt der Großserienkarosserie einen traditionellen Manufakturbau in Holz-Blech-Ausführung gönnten, eher zum besser motorisierten Sechszylinder mit 50 PS griffen.

Das ist aber für die heutige Betrachtung einerlei, denn was ich Ihnen heute präsentiere, bleibt auch dann (m)ein Favorit, wenn es sich um einen Standard 6 handelte.

Diese „Logik“ geht folgendermaßen: Das obige Zweifenster-Cabrio hat sich schon ein ganzes Stück von den US-Vorbildern wegbewegt, die sich noch in der eingangs gezeigten frühen Cabrio-Reklame widerspiegeln.

Während man sich mit der geschwungenen „Bauchlinie“ etwas traute, verließ die Gestalter bei der Frontscheibe wieder der Mut – sie stellt sich wie eh und je störrisch dem Wind entgegen.

Dass auf Adler-Basis zur selben Zeit entschieden elegantere Cabrios entstanden, das belegt folgende Aufnahme, wenngleich hier eine vierfenstrige Ausführung zu sehen ist.

Adler „Favorit“ oder Standard 6, Vierfenster-Cabriolet, Baujahr: 1930/31; Originalfoto: Sammlung Marcus Bengsch

Hier ist die Windschutzscheibe niedriger und schräggestellt, was sich im hinteren Haubenabschluss fortsetzt. Dadurch entsteht der Eindruck einer längeren Frontpartie, hier glaubt man gern, dass sich ein Sechszylinder darunter verbirgt, obwohl das nicht garantiert ist.

Diese Frage ist – wie gesagt – auch zweitrangig, denn heute geht es um den Beweis, dass ein solches Adler-Cabriolet ab 1930 auch dann (m)ein Favorit sein kann, wenn es sich eigentlich um einen Standard 6 handelt.

Das nötige Anschauungsmaterial finden wir auf dieser prächtigen Szene, die ich irgendwo in Nordhessen, eventuell auch Thüringen verorten worden – das Fachwerk kommt mir jedenfalls sehr vertraut vor:

Adler „Favorit“ oder Standard 6, Zweifenster-Cabriolet, Baujahr: 1930/31; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Bevor wir uns den Adler näher ansehen, möchte ich den Blick auf die Schönheit dieser Fachwerkidylle lenken.

Offenbar ist die Aufnahme am Ortsrand auf einer Brücke über einen Bach entstanden, der sich rechts fortsetzt. Links sehen wir freilaufende Hühner – Sprossenfenster und Fensterläden vervollkommen den Anblick eines solchen dörflichen Anwesens.

Während man in England sicher sein darf, dass es in einem solchen Dorf heute noch genauso aussieht – und das nicht etwa weil die Leute arm wären – ist hier im Hessischen nach dem Krieg viel Originalsubstanz der Dummheit der Besitzer zum Opfer gefallen.

Jede Nachkriegsgeneration hat eine neue Lage an „modernen“ Materialien verbaut – erst Eternitplatten, dann Fliesen und zuletzt hat man die Holzkonstruktionen verputzt oder gar unter Dämmstoffen verborgen – was über kurz das Raumklima und über lang das Holz ruiniert.

Ich weiß, wovon ich rede, ich wohne selbst in so einem Haus und sehe jedes Jahr das Zerstörungswerk in der Nachbarschaft voranschreiten.

Genug davon, nehmen wir nun das 2-Fenster-Cabriolet von Adler in den Blick, das hier so trefflich festgehalten ist:

Die prächtige Kühlerfigur lässt keinen Zweifel an der Marke aufkommen. Erstaunlich jedoch, wie vollkommen anders dieser Adler nun wirkt.

Hier stimmt mit einem Male alles: Das Auto vereint die besten Elemente der beiden zuvor gezeigten Ausführungen, wirkt aber besser ausbalanciert – weil es sich um eine Zweifensterversion handelt, welcher die voluminöse Heckpartie der vierfenstrigen Ausführung fehlt.

Hier kommt auch das Zusammenspiel der vielen geschwungenen Linien zur Geltung, die dem Karosseriekörper Spannung und eine gewisse Leichtigkeit verleihen. Mit dem 2-Fenster-Cabrio auf der Reklame von 1928/29 hat dieser Wagen nichts mehr gemein – außer der Zahl von fünf Radbolzen. Wir sehen hier eine eigene Linie im deutschen Karosseriebau entstehen, die ihre Vervollkommnung in den nächsten Jahren erfuhr.

Jetzt wissen Sie, was ich mit (m)einem Favorit meinte, der vielleicht ein „Standard 6“ war – aber in diesem Fall so offenkundig perfekter Oberflächlichkeit sind mir die inneren Werte ausnahmsweise vollkommen schnuppe…

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Ist auch das Rad los, ist man nicht ratlos: Adler 5/13 PS

Es geht nichts über einen gelungenen Titel – man denke nur an den grandiosen Historienroman „Der Name der Rose“ von Umberto Eco, der einst spannende Unterhaltung und anspruchsvolle Gedankenwelten meisterhaft miteinander verwob.

Atemlos folgt man dem Geschehen über hunderte von Seiten, arbeitet sich in eine fremde Epoche ein und lernt dabei mehr über das Denken und die Konflikte des europäischen Mittelalters als in jahrelangem Schulaufenthalt.

Das Geniale am Titel „Der Name der Rose“ ist, dass der Autor es am Ende dem Leser überlässt, worauf er damit anspielt.

Anspielungen gibt es auch hier wiederholt – meist auf Aktuelles, was Purismuspriestern nicht gefällt. Aber ich störe gern den Gottesdienst, wenn mir der Sinn danach steht.

Doch zumindest, was den Titel eines neuen Blogeintrags angeht, mache ich mir durchaus ernste Gedanken, wie dieser möglichst das trifft, worum es geht. Dabei darf freilich auch gekalauert werden – so wie heute.

Je abwegiger der Humor, desto besser, das Leben ist ernst genug. Dass wir Menschen uns reinen Blödsinn ausdenken und darüber lachen können, das hätte das Zeug für einen Gottesbeweis. Meines Wissens ist aber noch keiner darauf gekommen – jedenfalls nicht in der christlichen Tradition – das Lachen ist übrigens ein Thema in „Der Name der Rose„.

Der hat doch ein Rad ab!„, mag jetzt einer denken – und hat damit vollkommen recht:

Adler Typ KL 5/13 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Eine Szene wie gemalt, möchte man meinen, dabei hat hier nur einer ein verdammt gutes Gespür für Situation, Perspektive und den rechten Moment gehabt.

Heute kann jeder meisterhaft anmutende Fotos produzieren, sofern er kein Banause ist. Die Videofunktion der Kamera aktivieren, draufhalten und einen idealen Moment auswählen.

Möglich ist das, weil es keine Limitierung mehr in Form der Zahl an Negativen im Fotopapparat gibt. In der Frühzeit war das eine einzelne Glasplatte, später für lange Zeit ein Mittelformatfilm, der 12 Bilder ermöglichte. Selbst die 36 Aufnahmen der Kleinbildära stellten eine ernstzunehmende Limitierung dar, wenn man 2 Wochen Urlaub dokumentieren wollte.

Nach diesem Exkurs hat man umso mehr Respekt vor der Qualität vieler Bilder aus der Zeit vor dem Weltkrieg und die vorliegende Aufnahme ist ein perfektes Beispiel dafür.

Dass wir dieses schöne Dokument sehr genau datieren können, verdanken wir der rapiden Entwicklung des damaligen Automobilbaus. Machen wir es kurz: Das aufsteigende Windlaufblech zwischen Motorhaube und Windschutzscheibe taucht im Serienautobau erst 1910 auf – nur im Sport ist es bereits ab 1907/08 zu finden.

Die trommelförmigen Gasscheinwerfer waren nach dem 1. Weltkrieg – von einfachen Cyclecars der Einsteigerklasse abgesehen – ebenso Geschichte wie die bodenlangen und hochgeschlossenen Kleider der Damen.

Insofern finden wir auf dieser Aufnahme genügend Evidenz dafür, das Foto auf 1910-14 einzugrenzen. Doch meine ich, dass es noch ein wenig genauer geht, zumindest was die Entstehung des vorderen Wagens angeht.

Zur Erinnerung: „Radlos bedeutet nicht ratlos!

1911-13 nämlich baute Adler aus Frankfurt am Main den kompakten Typ KL 5/13 PS, der den markentypischen quadratischen Kühler (mit abgerundeten Ecken und ganz leicht geschwungenem Oberteil) und genau solche filigranen Drahtspeichenrädern besaß.

Die stärkeren Modelle dieses damals bedeutenden deutschen Herstellers besaßen in der Regel Holzspeichenräder, sahen davon abgesehen genau so aus, waren nur größer.

Hier habe ich mich dem Adler KL 5/13 PS schon einmal gewidmet. Doch anstatt die Bilder von damals aufzuwärmen, kann ich heute mit einem weiteren „neuen“ aufwarten – nicht schlecht nach über 100 Jahren – wo sonst findet man so etwas frei verfügbar?

Adler Typ KL 5/13 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

1921 ist diese Aufnahme entstanden – der Adler war damals schon rund 10 Jahre alt – aber im damaligen Deutschland war das Auto im Kleinwagensegment noch konkurrenzfähig. Bekanntlich brachte Opel seinen Erfolgstyp 4/12 PS erst 1924 heraus.

Der Star ist für mich ohnehin die selbstbewusste Lady mit dem breitkrempigen Hut – und weil es so schön ist, bringen wir sie gleich noch einmal.

Man sieht hier: unsere Urgroßmütter waren offenbar nicht alle unterdrückte Hascherl, welche an den Herd gekettet waren:

Adler Typ KL 5/13 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Das Fehlen von Scheinwerfern erkläre ich mir hier damit, dass man aus irgendwelchen Gründen die dazu erforderliche Karbidgasanlage entfernt hatte und den alten Adler nur noch bei Tag bewegte – offenbar störte das resultierende Beleuchtungsdefizit damals keinen.

Nachdem wir der Identität des eingangs abgebildeten Wagens ziemlich nahegekommen sind – sollte jemand anderer Meinung sein, ist seine Einschätzung willkommen – müssen wir aber noch einmal an den ursprünglichen „Tatort“ zurückkehren.

Denn in einer Hinsicht lässt mich die Aufnahme nicht nur „radlos“, sondern auch „ratlos“ zurück. Wo entstand dieses Foto? Ich tippe hier auf Süddeutschland, insbesondere Bayern, aber genau kann ich es nicht sagen:

Adler Typ KL 5/13 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Das Wappen über dem Türbogen dieser frühen „Tankstelle“ ganz rechts mag den Schlüssel dazu liefern. Und jetzt sind Sie dran, liebe Leser.

Ich werfe mir jetzt noch etwas Musik ein, die mich ratlos zurücklässt – Mozarts Klaviersonate KV 570, eingespielt von Friedrich Gulda anno 1978.

Wie kann etwas auf dem Papier so Einfaches in der Praxis so schön und zugleich so schwer zu reproduzieren sein, dass wir immer wieder auf die alten Meister zurückkommen müssen?

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Eindeutig von Porsche inspiriert! Adler 9/24 PS

Wer sich mit Vorkriegsautos aus dem deutschen Sprachraum auskennt, der weiß: Ferdinand Porsche bzw. sein Entwicklungsbüro hatten bei vielen Konstruktionen ihre Finger im Spiel.

Mir gefallen Porsches Kreationen aus der Zeit bei Austro-Daimler am besten, andere werden die Kompressor-Autos bevorzugen, die er danach für Daimler-Benz entwickelte.

Porsches wohl bekannteste Konstruktion – der Volkswagen – war demgegenüber weniger originell. Damit realisierte er nur ein Konzept, an dem auch andere, teils deutlich vor ihm gearbeitet hatten – schon Ende der 20er gab es Entwürfe in der Richtung.

Doch heute wollen wir uns einem Fahrzeug zuwenden, von dem bis heute völlig unbekannt war, dass es von Porsche zumindest inspiriert war, hier schon mal die Heckansicht:

Adler 9/24 oder 9/30 PS; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Da ich hier keinen automobilhistorischen Anspruch erhebe, darf ich mir in der Hinsicht eine gewisse Freiheit erlauben. Dennoch stimmt die Story auf’s Wort. Und das geht so:

Nachdem ich den Tag überwiegend am Schreibtisch tätig gewesen war, stand mir der Sinn nach „echter Arbeit“ – dazu war freilich im Baumarkt einiges an Material zu besorgen.

Schon auf dem Hinweg deutete sich das heutige Thema an – mir begegneten drei Fahrzeuge nacheinander, die mit typischem Vorkriegstempo 60-70 km/h auf der für 100 Sachen freigegebenen, trocken und übersichtlichen Landstraße entlangzockelten.

Warum das immer mehr Leute machen – übrigens alters- und geschlechtsunabhängig?

Meine Vermutung ist die, dass die Hirne vieler mit der Bewältigung eines komplexer gewordenen Alltags ausgelastet sind – dann wird wie beim PC der Arbeitsspeicher zur Limitierung und die Rechenleistung im Oberstübchen lässt nach.

In solchen Fällen echauffiere ich mich nur noch selten, stattdessen drehe ich die Musik lauter oder fahre die Seitenscheibe herunter, um die gute Landluft reinzulassen.

Die Inspiration in Sachen Porsche erfuhr ich auf dem Rückweg. Da bog doch ein 924er aus den 1970er Jahren vor mir ein! Herrlich, so einen hatte ich ewig nicht mehr gesehen.

Als der Porsche 924 noch im Alltag unterwegs war – das war zu meiner Schulzeit – wurde er kaum ernst genommen. Das lag weniger an seiner Technik, die war für ein vergleichsweise günstiges Sportwagenmodell durchaus angemessen.

Es war eher die billige Optik speziell im Innenraum, die an die VW-Verwandtschaft erinnerte. Auch erschien die Linienführung gemessen am Porsche 911 wenig charakterstark.

Ich muss zugeben, dass der 924 aus heutiger Sicht äußerlich durchaus Wirkung entfaltet. Hier sitzt alles, keine unnötigen Polster irgendwo – so wie ein Herrenanzug von Armani.

Nur die Heckansicht, die sich mir heute eine Weile lang darbot, lässt zu wünschen übrig. Ich bin nicht sicher, ob an dem sonst makellos erscheinenden Auto etwas fehlte, aber unterhalb des Stoßfängers bot sich nicht nur der Endschalldämpfer voluminös dar, man konnte auch den unteren Teil der Reserveradwanne sehen und sogar das Transaxle-Getriebe.

Egal, ich war betört, nicht zuletzt weil der Porsche vor mir eine Abgasfahne hinter sich herzog, wie sie jüngere Zeitgenossen heute nicht mehr kennen. Was man heute gerne schnuppert, war einst in gehäufter Form eine Zumutung und definitiv schädlich.

Warum manche Kreise nun im 21. Jahrhundert einen solchen Krieg gegen die inzwischen blitzsauberen Verbrennerwagen führen, ist vor dem Hintergrund unverständlich – sofern man naiv ist und keine politischen Absichten dahinter vermutet.

Das Nummernschild des heute flott vor mir herfahrenden Porsche – am Steuer ein noch jugendlich wirkender Herr mit weißem Haar um die 70 – endete auf 924H, so muss das sein. Und in dem Moment, als der Wagen mit ungewöhnlicher Lackierung in „Milchkaffeebraun“ abbog, hatte ich meine Inspiration für den heutigen Blog-Eintrag.

Nicht ganz ein 924er aber ein 9/24er von Adler sollte es werden! Allerdings nicht von hinten betrachtet, sondern von der Schokoladenseite:

Adler 9/24 oder 12/34 PS (früh); Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ein großartiges Foto, finde ich. Ich will nicht die Hand dafür ins Feuer legen, dass es tatsächlich den Anfang der 1920er Jahre gebauten Adler des Typs 9/24 PS zeigt – der parallel angebotene Vierzylindertyp 12/34 PS kommt ebenfalls in Betracht.

Festzuhalten ist jedenfalls, dass diese kleinen Adler der Zeit kurz nach dem 1. Weltkrieg noch über einen Spitzkühler verfügten, der erst beim neuen 6/24 PS ab 1923 (nicht zu verwechseln mit seinem Nachfolger 6/25 ab 1925) verschwand.

Die damals ebenfalls erhältlichen Adler-Hubraumriesen mit 60 und 80 PS blieben demgegenüber sehr selten und sind an ihren enormen Dimensionen zu erkennen.

Die für die frühen 1920er typische Tulpenkarosserie ist hier besonders gut zu studieren – der Name rührt von dem wie eine Blüte nach oben sich weitenden Aufbau her.

In der Seitenansicht stellt sich diese Ausführung weniger spektakulär dar, doch ahnt man, wie der Aufbau ab der Frontscheibe nach hinten immer stärker nach außen auskragte – eine Herausforderung für die Karosseriebauer. welche diese mit Bravour meisterten:

Adler 9/24 oder 12/34 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieses Exemplar ist übrigens das einzige dieses kleinen Adler-Typs der frühen 1920er, das ich bisher gesehen habe, welches keine Drahtspeichenräder besitzt. Für den 9/24 PS wie den längeren 12/34 PS sind diese als Standardausstattung überliefert.

Der Käufer wird im vorliegenden Fall die weniger eleganteren, aber robusteren Stahlspeichenräder wohl so gewünscht haben.

Sehr wahrscheinlich „nur“ ein Adler 9/24 PS – nicht der 50 cm langere 12/34 PS – begegnet uns auf der nächsten Aufnahme.

Eventuell haben wir hier auch bereits die Ausführung 9/30 PS, die 1923/24 auf derselben Basis im Programm war – nun ohne „Tulpenkarosserie“:

Adler 9/24 PS (spät) oder 9/30 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hier sehen wir trotz des nunmehr deutlich simpler ausgeführten Aufbaus die vertrauten Drahtspeichenräder wieder.

Übrigens waren die Kühler dieser Adler-Wagen der ersten Hälfte der 1920er Jahre von seltenen Ausnahmen abgesehen stets in Wagenfarbe lackiert – warum auch immer.

Erst kurz vor Einführung des Flachkühlermodells 6/24 PS anno 1923/24 erlaubte man sich beim Typ 9/24 PS bzw. nunmehr wohl 9/30 PS erste Glanzlichter in Form vernickelter Scheinwerferringe wie bei diesem Exemplar:

Adler 9/24 PS (spät) oder 9/30 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hier fällt zudem auf, dass das Adler-Emblem nach unten „gerutscht“ ist und dass an den Vorderkotflügeln die merkwürdigen Seitenschürzen zu sehen sind, die bei fast allen mir bekannten Adlern des späteren Typ 6/25 PS nachgerüstet wurden.

In der veralteten Literatur zu den Autos der Marke Adler werden Sie dazu nichts finden – und auch im Netz nicht. Merkwürdigerweise ist meine Adler-Galerie nach wie vor die einzige umfassende Online-Bilddokumentation (nahezu) sämtlicher Typen der Marke.

Ich bin sicher, dass sie einige Fehler enthält und Lücken aufweist. Doch wie bei etlichen anderen deutschen Vorkriegsmarken scheint der Wille zur simplen, kostengünstigen und jederzeit erweiterbaren Dokumentation in der digitalen Sphäre im Fall von Adler wenig ausgeprägt zu sein – und das obwohl es Spitzenmaterial ohne Ende gibt.

Dabei gibt es selbst bei einer rein ästhetischen Perspektive soviele herrliche Entdeckungen auf dem Sektor zu machen. Mein Favorit in Sachen Adler 9/24 PS ist nach wie vor diese Aufnahme aus der Sammlung von Leser Klaas Dierks:

Adler 9/24 PS (links) und 12/34 PS (rechts); Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Hand auf’s Herz: Hier ist es sogar egal, ob der Adler nun ein 9/24 PS oder ein 9/30 PS oder auch ein parallel angebotener 12/34 PS bzw, 12/40 PS war.

Die knackige Ästhetik dieser Wagen vebunden mit dem typischen Umfeld der frühen 1920er Jahre, meisterhaft aufgenommen – das begeistert noch über 100 Jahre später. Und das alles inspiriert von einem Porsche 924 der 70er Jahre!

Bin beinahe selbst begeistert, was so eine moderne Begegnung auf der Landstraße an Assoziationsketten auslösen kann. Seien Sie auf mehr solcher Ausflüge gefasst, so umständlich auch die Anreise bisweilen sein mag…

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Alles muss raus! Adler „Standard 6“ 4-Fenster-Cabriolet

Alles muss raus“ – das ist nicht nur die Kurzfassung des Prinzips der absoluten Meinungsfreiheit, die auch widerlegbaren Blödsinn und behauptete Beleidigungen umfasst – meisterhaft begründet 1859 in John Stuart Mills Werk „On Liberty“. Der ultraliberale Bösewicht war nebenbei auch ein früher Verfechter des Frauenwahlrechts…

Alles muss raus“ – das gilt aber auch für den Staub im Auge, der mich heute halb blind gemacht hat, als ich das seit wohl über 10 Jahren wuchernde Efeu-Kunstwerk beseitigte, welches sich über die gesamte Breite des Gartens der Schwiegereltern entlang des Zauns zum Nachbargrundstück erstreckte.

Die Vorbesitzer fanden es es wohl irgendwie natürlich, dieses auf Dauer zerstörerische Gewächs „gedeihen“ zu lassen – das andere Extrem zum modischen Schotter“garten“.

Alles muss raus„, das ist aber zugleich das Prinzip jedes gründlichen Frühjahrsputzes, und genau das ist, wonach mir trotz tränenden Auges heute noch der Sinn steht – jedenfalls, was das überfällige Aufräumen in Sachen Adler „Standard 6“ angeht.

Sie wissen natürlich, dass Sie in meiner Adler-Galerie bereits bislang die umfassendste Fotodokumentation des ab 1927 in gut 20.000 Exemplaren gebauten Sechszlindermodells der altehrwürdigen Adler-Werke aus Frankfurt am Main fanden.

Doch heute habe ich im Rahmen meiner „Alles muss raus“-Offensive nochmals ein Dutzend neuer alter Fotos dieses gängigen Typs aufgearbeitet, der sich stilistisch eng an den damals in der Klasse dominierenden US-Modelle orientierte.

Speziell die Limousine war amerikanischen Vorbildern nachempfunden, was nicht das Schlechteste war, da die Amis damals vorgaben, wie ein modernes Serienauto auszusehen hatte und damit auch am deutschen Markt abräumten.

So war die Ganzstahlkarosserie des Adler Standard 6 damals ganz auf der Höhe der Zeit:

Adler Standard 6 Limousine; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Dieser zufrieden dreinschauende Besitzer des Wagens mit der typischen Adler-Kühlerfigur, der in einer Raute eingefassten „6“ auf der Scheinwerferstange und den markant angeordneten sieben Radbolzen war wohl ein „Selbstfahrer“.

Doch gab es Ende der 1920er Jahre noch jede Menge Wagen dieses Kalibers, die von angestellten Chauffeuren bewegt wurden – im Unterschied zu den USA war das Autofahren in Deutschland noch längst keine Selbstverständlichkeit.

Das galt offenbar auch für einen hohen Beamten der deutschen Reichspost, dessen Fahrer sich hier mit „seinem“ Wagen hatte ablichten lassen.

Warum die „6“ hier fehlt? Keine Ahnung, vielleicht wollte der Chauffierte „bescheiden“ erscheinen. Es gab ja auch das optisch identische Vierzylindermodell „Favorit“, dessen Räder allerdings anders aussahen:

Adler Standard 6 Limousine; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Einen weiteren Adler Standard 6 mit Limousinenaufbau und Chauffeur sehen wir auf dem nächsten Foto.

Allerdings fällt hier unterhalb der Seitenfenster ein schmaler hell abgesetzter Streifen auf -das habe ich so noch nirgends gesehen – ein Hinweis darauf, dass es mehr als nur „Standard“ bei diesem Adler gab:

Adler Standard 6 Limousine; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Dagegen wirkt die gängige Karosserie von Ambi-Budd (Berlin) doch eher schlicht, wie in dieser Seitenansicht eines Adler Standard 6 zu besichtigen ist, die mit der weniger vorteilhaften einfarbigen:Lackierung daherkommt:

Adler Standard 6 Limousine; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Viel macht allerdings die Wahl der Perspektive aus, wie das nächste Foto beweist, auf dem nun wiederum ein Fahrer mit seinem anvertrauten Adler zu sehen ist.

Wie alle bisher gezeigten Aufnahmen dieses Typs ist auch dieser Wagen mit einer Doppelstoßstange nach US-Vorbild ausgestattet:

Adler Standard 6 Limousine; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Dass der Adler gar nicht so groß war, wie er hier vielleicht erscheint, das wird deutlich, wenn man „belebtere“ Aufnahmen dieses Typs mit identischem Aufbau heranzieht.

Ein Beispiel dafür ist dieses Foto, auf dem gleich drei Herren vor dem Auto posieren:

Adler Standard 6 Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wenn Sie jetzt denken, dass diese Männer vielleicht einfach etwas stattlicher daherkamen als damals üblich, dann kann ich einige weitere Aufnahmen beisteuern, die diesen Eindruck als Fehleinschätzung entlarven.

Auf dem folgenden Foto erscheint der Adler ebenfalls moderat dimensioniert, was auch zu seiner Motorleistung von 45 PS (später 50 PS) passt:

Adler Standard 6 Limousine; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Selbst wenn man auf die Idee verfällt, das Auto nur mit Frau und Kind abzulichten, stellt sich nicht der Eindruck eines besonders großen Automobils ein.

Man würde den Adler Standard 6 daher konsequent in der gehobenen Mittelklasse einsortieren, was nach damaligen deutschen Maßstäben bedeutete, dass nur sehr wenige gut Situierte hierzulande sich so einen Wagen leisten konnten

Adler Standard 6 Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wie genau man nun damals im Deutschland der späten 1920er Jahre zu soviel Geld gelangte, um sich so ein teures Automobil aus einheimischer Produktion leisten zu können, das ist schwer zu sagen.

Man sieht es den damaligen Besitzern meistens nicht an, ob sie Unternehmer, Spitzenbeamte oder gut verdiendende Freiberufler waren.

In einigen Fällen hat man den Eindruck, dass es sich nicht unbedingt um sympathisch wirkende Zeitgenossen handelte, aber das tut den Qualitäten der Automobile keinen Abbruch, speziell, wenn sie von Könnerhand abgelichtet wurden wie hier:

Adler Standard 6 Limousine; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Jetzt ist es aber irgendwann auch gut mit diesen Standard-Limousinen, mögen Sie jetzt denken. Aber ich darf an an das heutige Motto erinnern: „Alles muss raus!

Und so kann ich Ihnen eine weitere Aufnahme nicht ersparen, die auf den ersten Blick auch bloß so eine 0815-Limousine auf Basis des Adler Standard 6 zeigt.

Aber bei näherem Hinsehen erkennt man, dass es offenbar auch andere geschlossene Aufbauten gab, die ich in der mir zugänglichen Literatur nicht finden konnte:

Adler Standard 6 Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Damit nähern wir uns allmählich dem im Titel angekündigten Exotenmodell auf Basis des Adler „Standard 6“.

Dieser Wagen war nämlich trotz Verfügbarkeit der in Großserie gebauten Limousinenkarosserie aus dem Hause Ambi-Budd dermaßen teuer, dass sich unter den relativ wenigen dafür in Frage kommenden Käufern am deutschen Markt etliche fanden, die sich auch einen in Manufaktur hergestellten Spezialaufbau leisten konnten.

Zwei schöne Beispiele dafür kann ich heute vorstellen und meiner Überzeugung folgend, dass alles raus muss an die interessierte Öffentlichkeit, will ich diese Dokumente nicht länger zurückhalten, welche ich Sammlerkollegen verdanke, die meinen Blog schon einige Jahre mit hervorrragenden Fotos versorgen.

Nummer 1 ist diese Aufnahme von Leser Matthias Schmidt (Dresden). Sie zeigt einen Adler Standard 6 mit einem raren Aufbau als 4-Fenster-Cabriolet irgendwo im Alpenraum:

Adler Standard 6 Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Sie erinnern sich hier vielleicht an das, was ich kürzlich festgestellt habe – nämlich, dass man bei deutschen Cabriolets von Ende der 1920er Jahr öfters eine ungewöhnlich hohe Seitenlinie findet, welche nicht das Niveau der Haubenpartie fortsetzt.

Was man sich bei dieser markenunabhängig anzutreffenden wenig ansprechenden Lösung dachte, konnte ich bisher nicht in Erfahrung bringen. Überhaupt ist mein vorläufiger Eindruck nach nur rund 10 Jahren Auseinandersetzung mit Vorkriegswagen der, dass in der Literatur dergleichen gestalterische Aspekte kaum eine Rolle spielen.

Die Ästhetik und die ihr zugrundeliegenden Prinzipien scheint in deutschen Landen nur wenigen Zeitgenossen ein bedeutsamer Aspekt zu sein. Man sieht es der ganzen Republik an, dabei sollte man angesichts vielfältiger Miseren der Meinung sein, dass man wenigstens im Erscheinungsbild brillieren kann, wenn schon sonst nicht mehr.

Sie meinen, das hat in Deutschland keine Tradition? Nun, sicher nicht in der Breite, aber doch im Einzelfall, der sich dann so herrlich eigenwillig darstellt wie auf dem letzten Foto für heute, das einen weiteren Adler Standard 6 mit rarem Aufbau als 4-Fenster-Cabriolet zeigt:

Adler Standard 6 Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Jürgen Klein

Lassen wir einmal die optisch unvorteilhafte Stoßstange aus dem Zubehör außen vor, die sich bei deutschen Autos aus der Großstadt – hier: Berlin – öfters fand. Dieser Adler Standard 6 mit 4-fenstrigem Cabrio-Aufbau macht durchaus gute Figur.

Der von mir beanstandete hohe Türabschluss ist in diesem Fall verkraftbar und das liegt an der schönen Situation, die vielleicht irgendwann in einem ebenso frischen Vorfrühling entstand, wie wir ihn gerade erleben.

Das Verdeck bleibt geschlossen, solange die Natur sich noch zögerlich zeigt. Doch der Frühling rückt näher und es gilt nun für Zwei- und Vierbeiner : „Alles muss raus!“

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Stimme(n) aus der Stille: Adler 6/25 PS Tourenwagen

Zum Wochenende hin gibt’s wie in jedem anständigen Haushalt, der nichts verkommen lässt, Resteverwertung. Die gereichte Kost wird indessen nicht so schwer werden wie beim jüngsten „BMW meets Bach“-Thema – versprochen!

Auch gibt es diesmal wenig zu sinnieren oder zu recherchieren – denn eigentlich tische ich Ihnen heute nur x-mal das Gleiche auf. Als geübter Hobbykoch meine ich aber, auch einer simplen Rezeptur traditioneller Machart einige raffinierte Seiten abgewinnen zu können.

Auf der Menükarte steht nur ein einziges Gericht – doch zum Glück nicht angerührt in der für ihren kalten Funktionalismus berüchtigten Frankfurter Küche – sondern in den prächtigen Adlerwerken unweit des Hauptbahnhofs zu Frankfurt am Main.

Viele Jahre – von der kaufmännischen Ausbildung über das VWL-Studium bis zu meiner Tätigkeit bei einem örtlichen Wertpapierverwalter (Kennern als „Asset Manager“) bekannt – fuhr ich täglich mit der Bahn dort vorbei, ohne mir viel dabei zu denken.

Erst als ich in der Frühzeit meines Dilettierens über Vorkriegsautos auf alten Fotos vor bald 10 Jahren über diese Aufnahme stolperte, begann ich eine intensivere Beziehung zu der Traditionsmarke Adler zu entwickeln – jedenfalls, was deren Automobile betrifft:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Die wirklichen Veteranen der Altautofraktion wussten es natürlich lange vor mir: Das war ein Adler des Typs 6/25 PS, der ab 1925 in rund 6.500 Exemplaren gebaut wurde.

Das technisch konventionelle Fahrzeug mit 1,6 Liter Vierzylindermotor (seitengesteuert) war der bis dato größte Erfolg der Marke. Mit Vierradbremsen, vier Gängen und 12 Volt-Elektrik sowie markentypisch makelloser Verarbeitung war der Wagen ein grundsolides Angebot.

Im Unterschied zu einigen anderen Wagen der um 1925 einsetzenden Flachkühler-Ära am deutschen Markt wirkte der Adler durchaus gefällig gestaltet. Mit seinen serienmäßigen Scheibenrädern und der markant gestalteten Frontpartie stach er aus der Masse ähnlicher Fahrzeuge deutscher Provenienz hervor.

Sofern sich der Käufer für die spektakuläre Adler-Kühlerfigur entschieden hatte, kam der Wagen beinahe repräsentativ daher:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Vielleicht fragen Sie sich an dieser Stelle die Frage, was mich dazu bewogen hat, den adretten Adler 6/25 PS im Titel mit „Stimme(n) aus der Stille“ in Verbindung zu bringen.

Nun, das ist einfach erklärt. Ich suchte nach einem Motto, das sich für einen Bilderreigen des Immergleichen eignet, der ohne viele Worte auskommt und zugleich die Frage aufwirft: Was ist aus all den tausenden Wagen dieses Typs geworden, die in den meisten Fällen als Tourer und nur selten mit geschlossenem Aufbau gekauft wurden?

Zum Glück hatte ich gerade eine Platte mit Liedern der geheimnisvollen italienischen Sängerin Mina (nicht zu verwechseln mit Milva) aufgelegt und gerade wickelte sie mich mit der Nummer „La Voce del Silenzio“ auf’s Angenehmste ein.

Das wäre doch ein passender Titel – die alten Adler Fotos als paradoxe „Stimme(n) aus der Stille“ zu präsentieren und zu lauschen, was sie uns – wenn auch stumm – am Ende doch zu sagen vermögen. Und das ist eine ganze Menge, wie wir im Folgenden sehen werden.

Dieser Adler etwa erzählt – mag er selbst sonst völlig schweigend dastehen – von der gestalterischen Schönheit so banal erscheinender Gegenstände wie eines Gartenzauns an einer großzügigen Vorstadtvilla:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Das folgende Exemplar wiederum lässt uns an den bisweilen auftretenden Problemen damaliger Kameras teilhaben.

Hier war unbeabsichtigt Seitenlicht auf den eingelegten Film gefallen. Das konnte beispielsweise passieren, wenn man den belichteten Film herausnehmen wollte, aber vergessen hatte, ihn zuvor ganz zurückzuspulen:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Der aufmerksame Betrachter erfährt hier aber auch etwas anderes: Auffallend viele dieser Adler wurden nachträglich mit wohl ledernen „Seitenschürzen“ an den Vorderkotflügeln ausgestattet. Das kenne ich in dieser Häufung von keinem anderen Wagen.

Ich schließe daraus, dass die vorderen Kotflügel ihren Zweck nur unvollkommen erfüllten. Der Hersteller scheint darauf nicht reagiert zu haben. Auch die bei obigem Modell montierte Doppelstoßstange stammte aus dem Zubehörhandel.

Überhaupt fällt auf, dass die Fahrer deutscher Wagen jener Zeit oft die Behebung von Mängeln ihrer Fahrzeuge selbst in die Hand nahmen – im Fall von Stoßstangen nahm man meist Maß an den moderneren US-Modellen, welche den Stil auch solcher funktioneller Bauteile vorgaben.

Wer auf dem Land wohnte, wo außer dem Hausarzt und dem Gutsbesitzer kaum ein Mensch ein Auto besaß, konnte freilich noch gut auf Stoßstangen verzichten. Wenn sich einer freilich in die Großstadt traute – hier im Fall von „Vati in Darmstadt“ – galt es vorsichtig zu sein:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Erst recht kam man ohne großstädtischen Ballast aus, wenn man einen Tourenwagen des Typs Adler 6/25 PS bestimmungsgemäß in der Botanik ausfuhr, um sich an derselben und der Stille zu erbauen, die beim Abstellen des Motors zu vernehmen war.

Dieser Herr etwa fühlte sich irgendwo im Wald mit sich, der Welt, seinem Adler so zufrieden, dass er genau hier und genau so für die eigene Erinnerung und die Nachwelt festgehalten werden wollte:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Andere Vertreter (m/w/d) der Adler-Fraktion wiederum bevorzugten die reizvolle Umgebung eines herrschaftlichen Landsitzes, auch wenn es wohl nicht der eigene war.

Vielleicht bekommt jemand heraus, vor welcher Schlossanlage diese Aufnahme entstand. Der Abzug trägt auf der Rückseit den Stempel eines Fotogeschäfts aus Kassel – das könnte helfen:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Auf der folgenden Aufnahme geht es zwar weit bodenständiger zu, jedenfalls die Architektur im Hintergrund betreffend, aber immerhin ist hier überliefert, wo das Foto entstand und auch wann.

Denn umseitig ist vermerkt: „Pinneberg, Juni 1930“: Die teuer gekleideten Kinder neben dem Wagen wollen eher nicht zu den einfachen Häusern in dieser Straße passen – zum Adler dagegen durchaus:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

So viel Menschliches ist auf diesen nur vordergründig schweigenden Dokumenten zu sehen. Da beginnt der Adler 6/25 PS allmählich in den Hintergrund zu rücken, wenngleich er als Charaktertyp auch in solchen Situationen stets auf Anhieb zu erkennen ist.

Bei der Gelegenheit darf ich an die bereits erwähnten Seitenschürzen erinnern – diese nicht gerade schmückenden Teile, welche eine spätere Kotflügelgestaltung vorwegnehmen. Sie müssen von vielen Fahrern des Adler 6/25 PS als Notwendigkeit empfunden worden sein:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Weiter geht es mit der Resteverwertung auf gehobenem Niveau. Dass ich einigen von Ihnen auch mit bereits vorgestellten Aufnahmen des Adler 6/25 PS eine Freude machen kann, das weiß ich genau.

So zeige ich mit Vergnügen wieder dieses Foto eines Wagens des Typs, der in den 1960er Jahren in der DDR regelmäßig bei Veranstaltungen in der dort bereits vorbildlich organisierten Veteranenszene mit von der Partie war. Wir wissen in diesem Fall sogar, wem dieses schöne Exemplar gehörte, nämlich Heiner Goedecke aus Leipzig:

Adler 6/25 PS Tourenwagen von Heiner Goedecke (Leipzig); aufgenommen in den 1960er Jahren

Von diesem speziellen Fahrzeug, das sehr wahrscheinlich noch existiert, finden sich in einem älteren Blog-Eintrag einige weitere Fotos.

Das hatte ich fast vergessen, als mir kürzlich eine Aufnahme desselben Adler 6/25 PS in die Hände fiel, die ebenfalls zu dieser Zeit bei einer Veranstaltung in der DDR entstanden sein muss.

Hier haben wir das gute Stück neben einem russischen Militär-LKW, wenn ich es richtig sehe:

Adler 6/25 PS Tourenwagen von Heiner Goedecke (Leipzig); aufgenommen in den 1960er Jahren

Zu diesem speziellen Exemplar können sicher noch einige Zeitzeugen etwas sagen. Doch ich will mich nicht zu weit vom heutigen Motto entfernen: „Stimme(n) aus der Stille“. Denn hier sind die alten Fotos selbst die Botschaft und vieler Worte bedarf es nicht.

Nebenbei: Wie so ein Adler 6/25 PS in der Tourenwagenausführung aussah, werden Sie spätestens jetzt verinnerlicht haben, ohne dass ich darauf ausführlich eingehen musste.

Also lassen wir noch ein letztes Mal für heute eine Aufnahme eines Adler 6/25 PS ganz aus sich selbst heraus sprechen und lauschen, was sie uns vielleicht zu sagen hat:

Adler 6/25 PS Tourenwagen von Heiner Goedecke (Leipzig); aufgenommen in den 1960er Jahren

Ein zauberhaftes Dokument finde ich. Hier ist der Wagen ebenso wie die Fachwerkscheune im Hintergrund nur eine gut gewählte Kulisse. Der Fotograf hat die Schärfentiefe mit seltener Präzision auf den Bub hinter dem Lenkrad gelegt, dafür musste man sehr versiert sein.

Und jetzt überlasse ich es ganz Ihnen, was Ihnen dieses schöne stille Foto sagt, das einen Moment festhält, von dem nichts geblieben ist als – bestenfalls – die Scheune mit ihren verwitterten Balken und den typischen Tonziegeln, die man hierzulande nur noch selten findet.

Damit Sie das Wochenende aber nicht allzu melancholisch beginnen, sei Ihnen anempfohlen, was die hinreißende Mina einst zum Thema „Stimme der Stille“ zu singen hatte. Das war anno 1968 – seitdem geht es stilistisch leider eher den „Bach runter“…

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Der letzte seiner Art? Adler „Primus“ von 1932

Wir leben wieder in Zeiten, in denen Altes Neuem weicht. Die Karten werden auf vielen Ebenen neu gemischt – unangreifbar scheinende Champions werden binnen kurzem abgehängt oder nehmen sich in Selbstgenügsamkeit aus dem Rennen.

Liebgewonnene Denkschemata und Freund/Feind-Bestimmungen werden durch neue Gegebenheiten und Frontlinien abgelöst. Wer in den Kategorien und Methoden von gestern verhaftet bleibt, mag sich noch eine Weile über Wasser halten, wird aber früher oder später dynamischeren und vitaleren Kräften weichen.

Das ist der Gang der Geschichte – in unseren Gefilden nur durch die Erstarrung im Kalten Krieg eine Weile aufgehalten.

Doch spätestens mit der IT-Revolution ab 2000 zeigt sich zunehmend: Wer bisher der Klassenprimus war, mag sich in der rauen Wirklichkeit des Wettbewerbs bald abgehängt sehen, wenn er die Zeichen der Zeit nicht erkennt oder schlicht abgewirtschaftet hat.

Solche Phasen geben Anlass zur Melancholie – man lässt Gewohnheiten ungern gehen – doch zugleich eröffnen sich mit einem Mal Räume, die großen Reiz entwickeln können, wenn man im Kopf beweglich bleibt und sich selbst neu zu erfinden weiß.

Die Kutscher mussten nach 1900 über kurz oder lang das Chauffeurs-Handwerk erlernen. Kaum waren angestellte Fahrer etabliert, wurden sie ab 1920 selbst Opfer des Fortschritts – wer auf Zack war, wurde dann Fahrlehrer, eröffnete eine Werkstatt oder ein Autohaus.

Eine der wenigen deutschen Automarken, die alle Umbrüche ab der Jahrhundertwende mitmachten und sich bis zum 2. Weltkrieg unter dem Druck des Markts immer wieder erfolgreich neu zu orientieren zu verstanden, war „Adler“ aus Frankfurt am Main.

Anfang der 1930er Jahre sah sich der Traditionshersteller ebenso wie seine Kunden einem rapiden Wandel in der Welt des Automobils gegenüber. Gleich mehrere Tendenzen zeichneten sich ab, ohne dass sicher war, welche davon den Weg in die Zukunft wies:

Der neue Frontantrieb forderte den Status quo ebenso heraus wie die Idee, Karosserien windschnittiger und zugleich geräumiger zu gestalten. Straßenlage und Fahrkomfort gewannen immer mehr an Bedeutung, und das Einsteigerauto sollte endlich familien- und reisetauglich tauglich werden, wie das in den USA längst der Fall war.

Interessant zu sehen ist, dass etliche Hersteller auf diese neue Gemengelage dadurch reagierten, dass sie Tradition und Moderne gleichermaßen Raum gaben und damit einer gespaltenen Kundschaft gerecht zu werden suchten.

Im Fall von Adler konnte das noch anno 1932, als man bereits das moderne Frontantriebsmodell „Trumpf“ anbot, so vollkommen konservativ aussehen wie hier:

Adler „Primus“ von 1932; Originalfoto: Michael Schlenger

Das könnte doch glatt ein Adler „Favorit“ sein – entwickelt Ende der 1920er Jahre – und bis in die frühen 30er mit etwas modernisierten Formen weitergebaut.

Nur die kompakte Bauweise als zweitürige Limousine, die einfache Stoßstange und das neugestaltete Adler-Emblem auf dem Kühler verraten, dass wir es mit einem 1932 neu eingeführten kleineren Modell zu tun haben – dem „Primus“ mit 1,5 Liter-Vierzylinder.

Wieso Adler ausgerechnet dieses traditionelle Gefährt mit Heckantrieb und 20er Jahre-Optik als „Klassenbesten“ anpries, erscheint schwer verständlich. Vielleicht dachte man, dass es nicht schaden kann, ein so konservatives Angebot dem Namen nach aufzuwerten.

Tatsächlich ging das Kalkül auf und bis 1936 blieb der Primus im Programm. Allerdings wurde der identisch motorisierte Adler „Trumpf“ mit Frontantrieb weit öfter verkauft, obwohl er nicht über die Hydraulikbremsen des „Primus“ verfügte. Womöglich wollte Adler damit dem Hecktriebler etwas Rückenwind geben.

Während das Spekulation bleiben muss und auch egal ist, wenn man Vorkriegswagen aus vorwiegend ästhetischer Sicht betrachtet, ist eine Sache es wert, festgehalten zu werden.

Der Adler Primus wurde nämlich nur im Jahr seines Erscheinens, also 1932, mit dem klassischen Flachkühler angeboten, der perfekt zu der konservativen Erscheinung passt.

Adler „Primus“ von 1932; Originalfoto: Michael Schlenger

In dieser Ausführung war der Primus zwar dem Namen nach der „Erste“, aber von der Form her der letzte seiner Art. Adler sollte ab 1933 keinen Wagen in dieser klassischen Optik mehr bauen.

Das mag in Verbindung mit den gegenüber dem Fronttriebler „Trumpf“ weit geringeren Stückzahlen dazu beigetragen haben, dass der „Primus“ von 1932 kaum noch bekannt ist.

Dabei war der Wagen genau in dieser Form noch einmal perfekter Ausdruck des Stils der 1920er Jahre, den amerikanische Gestalter perfektioniert hatten. Hier wird nämlich im Kleinformat ein letztes Mal die klassische Frontpartie des Cadillac von 1928 zitiert:

Adler „Primus“ von 1932, Nachkriegsaufnahme; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dem repräsentativen Eindruck keinen Abbruch tut weder die mitgenommmene Stoßstange noch der aus dem 2. Weltkrieg übriggebliebene „Notek“-Tarnscheinwerfer auf dem Kotflügel.

Dieser „Primus“ hatte die Umbrüche jener Zeit einigermaßen intakt überstanden, und auch wenn er inzwischen völlig von gestern war, löste er für seine Besitzer immer noch das zentrale Versprechen des Automobils ein: Herrscher über Zeit und Raum zu sein.

Ich würde diese Aufnahme grob auf „späte 40er Jahre“ datieren, tue mich aber schwer mit dem Nummernschild. Offensichtlich handelt es sich nicht um eines der damals in Deutschland üblichen Besatzungskennzeichen, aber was ist es dann?

Dass jemand im einst von deutschen Truppen besetzten Ausland nach dem Krieg noch die an unselige Zeiten erinnernde Tarnlaterne beibehalten hätte, fällt mir schwer vorzustellen.

Könnte das ein Kennzeichen aus der Zeit der Neuordnung des Nummernschildwesens ab 1948 sein? Für Hinweise bin ich dankbar – dann bitte die Kommentarfunktion nutzen.

Mich beschäftigt und begeistert unterdessen mehr die zweite Aufnahme desselben Wagens:

Adler „Primus“ von 1932, Nachkriegsaufnahme; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

So wie der Adler mit Heckantrieb, 20er Jahre-Look und Tarnscheinwerfer formal wirklich von gestern war, wirkt auch der Herr mit Hund ganz links wie einer der letzten seiner Art.

Das bezieht sich auf sein Erscheinungsbild mit klassischer Knickerbocker-Hose und langen Strümpfen – nebenbei ein Outfit, das ich als Retro-Radler und radikaler Gegner kurzer Hosen bei Männern mit bleichem Gebein nur zur Nachahmung empfehlen kann.

Dieses Thema werde ich übrigens demnächst hier vertiefen, anhand eines Potpourris an Bildern aus dem Süden, bei dem es nebenbei auch um Vorkriegsautos geht.

Was den Adler „Primus“ betrifft, hoffe ich doch sehr, dass wir auf diesen frühen Nachkriegsfotos nicht wirklich den letzten seiner Art sehen. Einige sollte es noch geben.

So gelungen die Fronttriebler von Adler auch waren, würde ich vor die Wahl gestellt, doch dem rareren „Primus“ die Rolle als meinem „Favorit“ einräumen.

Denn so ein wirklich klassischer Vorkriegswagen ist doch die reine Freude, auch wenn es mal etwas zu basteln gibt, nicht wahr?

Adler „Primus“ von 1932, Nachkriegsaufnahme; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Beinah‘ ein Sechser im Lotto: Adler 10/50 PS

Geld macht bekanntlich nicht glücklich – soviel ist klar. Kein Geld aber auch nicht. Und so hoffen jede Woche Millionen von Bundesbürgern auf den sprichwörtlichen Sechser im Lotto, der sie zumindest der Bürde des Geldverdienens enthebt.

Dass gegen diese Form des „leistungslosen“ Einkommens noch nicht von interessierter fiskalischer Seite agitiert wurde, wundert mich. Das kommt aber sicher auch noch – denn dass mit knapp 1.000 Milliarden EUR Steuereinnahmen pro Jahr die nötigsten Staatsaufgaben nicht erfüllt können (dafür aber jede Menge andere), ist offensichtlich.

Auf den sprichwörtlichen Sechser im Lotto musste vor rund 100 Jahren auch der hoffen, der sich ein Automobil des Kalibers zulegen wollte, das wir uns heute anhand einer raren „neuen“ Aufnahme ansehen wollen.

Dazu ist es hilfreich, sich zunächst die Einkommensverhältnisse eines deutschen Durchschnittsverdieners im Jahr 1925 zu vergegenwärtigen. Diese sind gut dokumentiert, denn für die breite Masse der sozialversicherungspflichtigen Arbeiter und Angestellten wird seit 1891 das durchschnittliche Jahreseinkommen erhoben. Dass die Beamten hier nicht enthalten sind, ist vernachlässigbar – ihre Zahl war bis in die 1970er Jahre relativ niedrig.

Schauen wir also in die Statistik der deutschen Sozialversicherung, um uns ein Bild zu machen. Anno 1925 – nach der überstandenen Hyperinflation – betrug das Durchschnittsentgelt 1.469 Reichsmark – pro Jahr und brutto, wohlgemerkt.

Diesen Wert behalten wir im Hinterkopf – wir brauchen ihn später noch. Bevor wir ein wenig rechnen, wollen wir uns erst einmal an einem deutschen Oberklassewagen jener Zeit erbauen – dem Adler 10/50 PS.

Er löste Ende 1925 den kurzlebigen Vierzylindertyp 10/45 Typ ab, der entweder eine Fehlkonstruktion oder in seinem Preissegment kaum verkäuflich war. Der Adler 10/50 PS bot stattdessen bei ähnlichem Hubraum (2,6 Liter vs. zuvor 2,7 Liter) etwas mehr Spitzenleistung und vor allem: Sechszylinder-Laufkultur.

Den ersten Adler mit Sechszylinder hatte es übrigens kurz vor dem 1. Weltkrieg gegeben (Typ 15/35 PS), als dies bei deutschen Wagen noch eine seltene Ausnahme darstellte.

Ab Mitte der 1920er Jahre wurden Sechszylinder – ausgehend von den USA – zum Standard bei gehobenen Automobilen. Man scheint das bei Adler in Frankfurt/Main frühzeitig registriert zu haben, nachdem selbst bei US-Mitteklassemarken wie Buick ab 1925 Sechszylindermotoren die Vierzylinderaggregate ablösten.

So erschien in kurzer Zeit der beeindruckend dimensionierte neue Adler 10/50 PS, den wir hier auf einer Aufnahme aus dem Fundus von Leser Matthias Schmidt sehen:

Adler 10/50 PS Pullman-Limousine; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Mit dem 50 PS leistenden Sechszylinder und Vierradbremsen war der Adler technisch auf der Höhe der Zeit. Die filigranen Drahtspeichenrädern waren Serienausstattung und nahmen dem massigen Karosseriekörper etwas von seiner Schwere.

Typisch sind die sehr schmalen und zahlreichen Luftschlitze in der Motorhaube sowie die minimalistischen Trittschutzbleche auf der Schwellerpartie unterhalb der Türen. Diese Gestaltung findet sich sonst meines Wissens nicht und ist ein Merkmal dieser Adler-Wagen.

Von solchen Finessen abgesehen, sieht der Adler aus der Seitenansicht völlig beliebig aus. Dem in deutschen Landen Mitte der 1920er grassierenden Funktionalismus in der Karosseriegestaltung machte die ausländische Konkurrenz zum Glück bald ein Ende.

Doch zumindest bis Produktionsende 1926/27 kam der mächtige Adler 10/50 PS in diesem puritanisch schlicht anmutenden Gewand daher.

Immerhin hatten die Gestalter in den Adlerwerken nahe dem Hauptbahnhof zu Frankfurt/Main dafür gesorgt, dass man den Wagen von vorne sofort erkennt:

Adler 10/50 PS Pullman-Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieses prächtige Dokument ist mir heute abend bei der Durchsicht meiner prallgefüllten Mappe mit bislang unveröffentlichten Adler-Fotos in die Hände gefallen.

Besonders gut gefällt mir hier, dass der Typ 10/50 PS auf der Rückseite des Abzugs von alter Hand vermerkt ist, denn äußerlich ließ sich dieser vom 10/45 PS nicht unterscheiden – die 10 cm Unterschied im Radstand kann man nicht erkennen.

Überhaupt gibt es kaum Vergleichsfotos dieses Modells. Das gute halbe Dutzend in meiner Adler-Galerie scheint die größte allgemein zugängliche Versammlung solcher Aufnahmen zu sein.

Noch eine Sache möchte ich erwähnen, wenngleich sie für die Bildanalyse unerheblich ist. Der Besitzer des Wagens hat auch seine Mutter (im Fond) sowie die Tochter Brunhilde und deren Mutter Berta auf der Rückseite erwähnt.

Der mutmaßliche Chauffeur am Steuer (damals war Rechtslenkung noch Standard in Deutschland) muss leider namenlos bleiben. Doch sein Status als Fahrer eines dermaßen kostspieligen Wagens war auch so herausgehoben – man wird ihn gut bezahlt haben.

Damit wären wir beim eingangs angerissenen Thema – den leidigen Moneten. Erinnern Sie sich noch an das durchschnittliche Brutto-Jahreseinkommen eines Durchschnittsdeutschen anno 1925?

Genau, knapp 1.500 Reichsmark brutto waren das. Jetzt unterstellen wir einmal, dass ein Durchschnittsverdiener damals noch nicht dermaßen vom Fiskus zur Kasse gebeten wurde wie heute. Nehmen wir an, er musste vielleicht 10 % an Sozialabgaben und nochmals 10 % an Steuern abdrücken – aus heutiger Sicht ein Traum – dann blieben ihm 1.200 Mark.

Und nun nehmen wir noch an, er konnte davon großzügig bemessen 20 % pro Jahr sparen, sagen wir: aufgerundet 250 Mark.

Jetzt raten Sie einmal, nach wievielen Jahren er sich die zuvor gezeigte Pullman-Limousine des Typs Adler 10/50 PS hätte leisten können. Halten Sie sich fest: er hätte 52 Jahre sparen müssen. Der Wagen kostete nämlich kolossale 13.000 Reichsmark.

Machen wir die Rechnung noch anschaulicher. Der Kaufpreis des Adler entsprach fast neun Brutto-Jahresgehältern eines deutschen Durchschnittsverdieners. Das übertragen wir jetzt auf die Gegenwart, damit endgültig deutlich wird, was das einst bedeutete.

Ein sozialversicherungspflichtiger Durchschnittsverdiener in Deutschland bekam im Jahr 2024 rund 45.000 EUR brutto. Ein Auto, für das wie einst für den Adler ebenfalls neun mittlere Brutto-Jahresgehälter aufgerufen werden, würde also heute über 400.000 EUR kosten.

Jetzt dürfte klar sein, weshalb man damals wie heute einen Sechser im Lotto brauchte, um sich so einen Wagen leisten zu können – vom Chauffeurgehalt ganz zu schweigen.

Das erklärt, weshalb diese Autos nur in winzigen Stückzahlen gebaut wurden – wir reden im Fall des Adler 10/50 PS von dreistelligen Produktionsziffern.

Gleichzeitig wird deutlich, weshalb jedes Foto eines dieser raren 6-Zylinderwagen von Mitte der 20er beinahe ein Sechser im Lotto ist – und das wie immer hier kostenlos und steuerfrei…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

War das ein perfekter Sommer? Adler 6/25 PS

Anfang Oktober – gestern abend hörte ich die ersten Wildgänse über meine Heimatregion – die hessische Wetterau – fliegen. Wie immer kamen sie von Osten und steuerten auf die nächstgelegene Landmarke zu – den Taunus, wo sie dann nach Süden abbiegen.

Das geht so seit unausdenklichen Zeiten – die Zugvögel wussten ihren Weg schon, als die Wetterau für rund 200 Jahre ein Zipfel des Römischen Reichs war, und sie wussten ihren Weg, als hier vor rund 7500 Jahren die ersten unserer Vorfahren sesshaft wurden.

Die Sehnsucht nach dem Süden, nach der Wärme, nach dem Sommer – sie ist auch uns Menschen eingepflanzt, die Spezies mit der bislang kürzesten „Karriere“ auf Erden. Es ist die Wärme, in der die ersten Hochkulturen gediehen, ob im Industal, in Ägypten, Griechenland oder Rom.

Absurd die in jüngster Zeit zu beobachtenden Versuche deutscher Wetterdienste, diese Wärme, ja den ganzen Sommer zur brandgefährlichen Hitze hochzujazzen, einige Tage über 30 Grad für lebensgefährlich zu erklären, während in stark bevölkerten Ländern wie Thailand das ganze Jahr über tropische Temperaturen deutlich darüber herrschen.

Wenn ich in Italien unterwegs bin, höre ich stets den Sender „RAI Musica Tutta Italiana“ – kommt dort zur vollen Stunde die Wettervorhersage, ist sie wohltuend sachlich, wie das bis vor ein paar Jahren auch bei uns der Fall war. Am Ende wird stets erwähnt, dass der brottrockene Bericht von der italienischen Luftwaffe stammt. Ja, die gibt es.

Der deutsche Sommer 2024 war weit davon entfernt, rekordverdächtig zu sein – erst hat er lange auf sich warten lassen, dann gab es vielleicht vier Wochen Sonnenschein, aber ohne die herrlich warmen Nächte, die zum Verweilen im Freien bis Mitternacht einladen.

Vermutlich ist kein Sommer je perfekt gewesen – irgendwer hat immer zu jammern, dem einen ist „zu heiß“, dem anderen „zu trocken“ und wiederum einem ist er „zu durchwachsen“. Aber wenn er geht, und der Herbst das Regiment übernimmt, trauern wir ihm doch nach.

Da brauchen wir plötzlich draußen zumindest eine leichte Jacke, das Schuhwerk wird solider und die Zeit des Offenfahren ist in der Regel auch vorbei. Die perfekte Illustration liefert Leser Jürgen Klein mit diesem Foto eines Adler 6/25 PS:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Jürgen Klein

Immer schön, so einen Tourenwagen einmal mit aufgestelltem Verdeck zu sehen – der Wagen wirkt so gleich viel erwachsener und für mich „vollständiger“. Aber wie komme ich eigentlich darauf, hier einen Adler 6/25 PS zu sehen?

Dazu erst einmal dies: Das 1925 eingeführte Fahrzeug der unteren Mittelklasse war der mit Abstand meistgebaute Adler bis zum Erscheinen des neuen 6-Zylindertyps „Standard 6“ anno 1927. Mit den 6500 bis 1928 gebauten Exemplaren des 6/25 PS hielt sich die Frankfurter Traditionsmarke im PKW-Geschäft einigermaßen über Wasser – die parallel erhältlichen weit stärkeren Typen mit 45 bis 80 PS wurden nur in sehr geringen Stückzahlen gebaut.

Unverwechselbar ist die Gestaltung der Scheibenräder in Verbindung mit dem engen 5-Lochkreis für die Radbolzen – so unglaublich es klingt: genau so findet man das nur beim Adler 6/25 PS und das kann ich nach Betrachtung von inzwischen wohl über tausend Autofotos aus den 1920er Jahren mit Zuversicht sagen.

Da Sie aber zurecht der Ansicht sein werden, dass Wissen besser ist als Glauben, zeige ich hier mein bisher wohl bestes Foto dieses Modells, das neben der charakteristischen Radgestaltung auch die Kühlerpartie erkennen lässt, welche es mit in den Grill hineinreichendem Adler-Emblem so ebenfalls nur beim Typ 6/25 PS gab:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Michael Schlenger

Nachdem auch diese Aufnahme trotz niedergelegten Verdecks eher auf einen kühlen Tag schließen lässt und wir davon noch genügend vor uns haben – leider meist ohne so ein wohlgestaltetes Adler-Automobil – ist es nun Zeit, zum eigentlichen Thema zurückzukehren.

Also noch einmal die Frage: War das ein perfekter Sommer?

Die Antwort geben Sie jetzt bitte nicht anhand Ihrer Wahrnehmung des hinter uns liegenden, sondern anhand desjenigen, welcher unzweifelhaft den Hintergrund für diese großartige Aufnahme lieferte, welche ich erst vor einer guten Woche erworben habe:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Michael Schlenger

Na, was meinen Sie? Hier könnte man glatt neidisch werden, nicht wahr?

Diese Herrschaften (m/w/d usw.) genossen zweifellos einen herrlichen Sommertag und bei einigen hat die Sonne bereits erkennbar Wirkung in Form gesunden Teints gezeitigt.

Bevor wir uns dem Personal im Detail zuwenden – denn vom Auto gibt’s ja nicht so viel zu sehen, muss zumindest ein kurzer Exkurs sein. Dieser führt uns in Gefilde, die normalerweise nicht zu den aufregendsten eines Vorkriegsautos gehören.

Doch irgendwie muss ich ja herleiten, wie ich darauf gekommen bin, dass auf dieser Aufnahme tatsächlich ein Adler des Typs 6/25 PS den Hintergrund abgab:

Da ist sie wieder, die meines Erachtens so einmalige Gestaltung des Scheibenrads – an sich einer Konstruktion, welche sich in den 1920er Jahren an vielen Fahrzeugen fand, insbesondere solchen von US-Herstellern, was ein sehr weites Feld eröffnet.

Doch hier sind wir in der komfortablen Situation, dass man mit etwas gutem Willen den Namen „Adler“ auf der Nabenkappe erkennen kann. Damit ist der Fall klar, sodass wir nun zum angenehmen Teil der heutigen Betrachtung übergehen können.

Den Anfang machen die beiden auf der linken Seite:

Hier gibt es nun wirklich nichts auszusetzen – auch wenn die Sonne ins Gesicht scheint, wird hier durchaus freundlich und erfreulich posiert, meine ich.

Über die Vorzüge der jungen Dame mit den schicken Sommerschuhen muss ich keine Worte verlieren, daher vielleicht eine Anmerkung zu dem ganz in Weiß gekleideten Herrn.

Seine Kapitänsmütze muss nicht auf eine entsprechende Profession hinweisen – so etwas wurde gern auch so getragen, wenn man sich an der See befand und sportlich geben wollte. Dennoch gut möglich, dass der Mützenträger aber wirklich ein Segelboot sein eigen nannte.

In wessen Leben ein Automobil eine Rolle spielte, ob es das eigene oder das von Freunden oder Verwandten war, gehörte im Deutschland der 1920er Jahre zu einer dünnen Schicht an sehr weit überdurchschnittlich materiell Ausgestatteten.

Das gilt praktisch für alle damals erhältlichen Wagen, auch Kleinwagen die Opels 4 PS „Laubfrosch“. Kein Automobil war hierzulande für Durchschnittsverdiener auch nur annähernd so erschwinglich, dass man es für volkstümlich erklären konnte.

Ein Adler 6/25 PS und der Besitz eines Boots war also durchaus etwas, was zusammenpasste. Wer so etwas bezahlen konnte, hatte auch das Kleingeld für den Aufenthalt in einem der schon damals teuren Seebäder, zu dem auch der Erwerb einer entsprechend sommerlichen Garderobe gehörte:

Der junge Mann ganz rechts war ziemlich genau so gekleidet, wie die Herren damals Tennis spielten – eine weitere Beschäftigung, welche dem Normalmalocher unzugänglich war.

Ich bin aber vermutlich nicht allein mit der Einschätzung, dass der reizvollste Teil des Schauspiels auf dieser Aufnahme genau in der Mitte zu finden ist.

Hierfür war ich ausnahmsweise bereit, etwas mehr als die üblichen 5 EUR zu bezahlen:

Tja, was soll man sagen? Die Natur ist bekanntlich ungerecht, was die Verteilung äußerer Vorzüge angeht. Aber soll man sich deshalb über die Lockenpracht und die sportliche Erscheinung der Dame links beschweren?

Selbst mit geschlossenen Augen stellt sie die Konkurrenz mühelos in den Schatten und speziell der im Wagen sitzenden Geschlechtsgenossin meint man eine leicht säuerlich Miene andichten zu dürfen. Aber das war sicher nur der Sonne geschuldet.

Bezeichnend, dass die Dame rechts, ihrer etwas herberen Erscheinung mit einigen Accessoires auf die Sprünge half, was ihr Pendant nicht nötig hatte. Aber auch hier muss man konstatieren: durchaus typgerecht und besser als vieles, was man in unseren Tagen auf diesem Sektor im Sommer geboten bekommt – jedenfalls in deutschen Landen…

Den Vogel schießt freilich der Herr auf dem Trittbrett ab, der erst gar nicht versucht, sich besonders elegant zu geben. Er weiß, dass er in der Rolle des Spaßvogels die beste Figur abgibt und als solcher sind ihm besitzergreifende Scherze erlaubt, welche die Damen gewiss nicht bei jedem geduldet hätten.

Jetzt würde man nur noch gern das Muster und die Farben seines phantasievollen Bademantels im Detail studieren dürfen, doch das muss uns leider versagt bleiben.

War das dennoch ein perfekter Sommer, auch wenn wir ihn nur in Schwarz-Weiß präsentiert bekommen und der Adler 6/25 PS sich hier der Konkurrenz geschlagen geben muss?

Die Antwort findet sich auf der Rückseite des Fotos. Dort ist in kleiner feiner Schrift vermerkt: „1932“. Und nun entscheiden Sie selbst, ob der schönste Sommer damals nicht von einem schattenhaften Makel behaftet war, von dem diejenigen, welche ihn damals genossen, noch nichts ahnen konnten. Denn niemand von uns würde mit ihnen tauschen wollen.

Also genießen wir das Hier und Jetzt, den Herbst und manche Unzuträglichkeit, überlegen aber auch, wie wir uns unsere bürgerlichen Freiheiten vor erneuten totalitären Tendenzen schützen – eine zeitlose Botschaft solcher Fotos aus dem Deutschland der Vorkriegszeit…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog

Vom Charme des Backsteins: Adler „Favorit“

Oh, da wird sich unser Blog-Wart aber diesmal die Sympathien der Freunde der Marke Adler aus Frankfurt am Main verscherzen! Wie kann er nur dem Modell „Favorit“ der späten 1920er Jahre den Charme eines Backsteins zuschreiben?

Nun, liebe Leser, wenn Sie jetzt so denken, dann möchte ich darauf wie folgt antworten: 1. Die Gleichsetzung des Adler „Favorit“ mit einem Backstein haben Sie vorgenommen. 2. Was ist eigentlich an einem soliden Backstein auszusetzen? und 3. Wie langweilig wäre es, wenn es hier nur sachlich und ohne Schelmereien zuginge?

Probieren wir es zur Abwechslung einmal, rein faktenbasiert zu sein, etwa so:

Adler „Favorit“: von 1929-33 gebautes Vierzylindermodell mit 35 PS aus 1,9 Litern Hubraum, Seitenventiler, Spitze 80 km/h – einzige Besonderheit: Hydraulikbremsen. Preis als 4-türige Limousine: 5.575 Reichsmark.

Reicht das schon, um uns für den Adler zu begeistern? Wohl kaum. Denn für 600 Mark weniger bekam man anno 1929 in Deutschland auch das hier:

Chevrolet „AC International“: 6-Zylindermodell mit 45 PS aus 3,2 Litern Hubraum, im Zylinderkopf hängende Ventile, Spitze 95 km/h.

Wer sich nicht an der höheren Kfz-Steuer und dem höheren Verbrauch des US-Modells störte und mit herkömmlichen Gestängebremsen leben konnte, hatte außer patriotischen Anwandlungen kaum einen Grund, den Adler „Favorit“ zu kaufen.

Man könnte damit die Betrachtung beenden – und müsste nicht einmal mehr die Stückzahlen vergleichen (Adler „Favorit“: ca. 14.000, Chevrolet 6 von 1929: >1 Million).

Ist es das, was Sie bevorzugen? Wieder sage ich: Wohl kaum. Denn der eigentliche Charme des Adler liegt darin, dass es ihn angesichts der schieren Übermacht der Amerikaner-Wagen am deutschen Markt überhaupt gab.

Während sein deutlich kräftigerer Bruder – der Sechszylindertyp „Standard 6“ von der Papierform mit dem Chevrolet 6 mithalten konnte (vom Preis her freilich nicht), wäre der Favorit an sich kaum der Rede wert, was nicht heißt, dass er schlecht war.

Aber er repräsentiert nun einmal den damaligen Stand vieler deutscher Serienwagen, war ziemlich geräumig und war gestalterisch bei Erscheinen auf der Höhe der Zeit.

Nehmen wir uns also etwas Zeit und betrachten ihn aus verschiedenen Perspektiven – er wird uns dam Ende wie ein guter alter Freund erscheinen: Ehrlich, unprätentiös, verlässlich.

Adler „Favorit“; Originalfoto: Sammlung: Marcus Bengsch

Hier haben wir den „Favorit“ als 6-Fenster-Limousine mit Zulassung im Raum Tuttlingen auf einem Foto von Leser Marcus Bengsch.

Irgendwelche Beanstandungen? Nein.

Brauchen Sie Erläuterungen, woran, man den „Favorit“ erkennt? Vorerst nicht. Sie werden ihn auf den folgenden Fotos sofort wiedererkennen – das markante Kühlergesicht war eine seiner Stärken.

Über jeden Zweifel erhaben war traditionell auch die Verarbeitung und die Haltbarkeit der Adler-Wagen – dieses Foto von Leser Matthias Schmidt (Dresden) weist eigens darauf hin:

Adler „Favorit“; Originalfoto: Sammlung: Matthias Schmidt (Dresden)

Dieses im Raum Pirmasens zugelassene Exemplar lässt neben der achtbaren Laufleistung auch gut die typische Gestaltung der Räder und Naben erkennen.

Fünf Radbolzen verweisen i.d.R. auf den „Favorit“, während deren sieben stets einem „Standard 6“ oder gar dem sehr seltenen „Standard 8“ vorbehalten waren.

Leser Klaas Dierks hat das nächste Foto eines „Favorit“ beigesteuert – wie man sieht, haben wir es erneut mit der 6-Fenster-Limousine zu tun, dem nach meiner Wahrnehmung häufigsten Aufbau – zugeliefert in Ganzstahl-Ausführung von Ambi-Budd aus Berlin:

Adler „Favorit“; Originalfoto: Sammlung: Klaas Dierks

Spätestens jetzt sind Sie ganz ohne oberlehrerhafte Hinweise soweit, den Adler „Favorit“ im Schlaf zu erkennen, falls er Ihnen im Traum begegnen sollen (es gibt Schlimmeres, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, denn ich träume viel und ziemlich wild).

Ein weiteres Exemplar hätte ich noch (wieder beigesteuert von Matthias Schmidt), um das Gelernte aus nochmals leicht veränderter Perspektive zu verinnerlichen:

Adler „Favorit“; Originalfoto: Sammlung: Matthias Schmidt (Dresden)

Was sagen Sie jetzt? Wäre so ein Adler nicht doch vielleicht ein heimlicher Favorit, wenn es um solide deutsche Mittelklassewagen jener Zeit geht?

Nun, es gibt einige überlebende Exemplare und die Mitglieder des Adler Motor Veteranen-Clubs kümmern sich mit Hingabe darum.

Aber seien Sie gewarnt: Der erwähnte Chevrolet 6 derselben Zeit steht demnächst ebenfalls auf der Agenda und er verkaufte sich nicht ohne Grund auch in Deutschland wie geschnitten Brot (naja, sagen wir eher : wie Schwarzwälder Kirschtorte – denn jedes Auto war damals in Deutschland ein teures Vergnügen).

Doch was hat nun das Ganze mit dem Charme des Backsteins zu tun? Wie so oft spielt der Titel meiner Blog-Einträge auf etwas an, was mich gerade beschäftigt.

Heute war das – lachen Sie nicht! – ein Haufen Backsteine. Diese waren vom Abriss eines maroden Anbaus der 1980er Jahre übriggeblieben, waren aber selber älter als dieses. Ich hatte die Ziegel seinerzeit aus dem Schutt geborgen, was nicht nur die Entsorgungskosten etwas minderte, sondern auch die Aussicht auf Wiederverwendung bot.

Nach rund fünf Jahren bin ich nun endlich dazu gekommen, dieses schöne alte Baumaterial einem neuen Dasein als Trockenmauer im Garten zuzuführen. Dafür galt es freilich hunderte Ziegel von Hand von Mörtel und sonstigen Anhaftungen zu befreien.

Wie macht man das als sonst gewohnheitsmäßiger Schreibtischtäter? Ganz einfach: Man beginnt bei 30 Grad in der Mittagssonne im Hof mit der Arbeit – schön der Sonne zugewandt, damit man den Teint aufmöbelt, so lange das noch geht hierzulande.

Aus selbigem Grund arbeitet man ohne Handschuhe – auch wenn sich am Ende das Gefühl von Schmirgelpapier einstellt. Mit einem vorne zugespitzten Hammer wird sodann jeder Backstein mit Hingabe von allen Seiten bearbeitet – ein Training für Arm- und Handmuskulatur, welches nicht zur allzu häufigen Wiederholung empfohlen wird.

Bei sinkender Sonne war das Werk vollbracht – der Ziegelhaufen war in eine prächtige hüfthohe doppellagige Trockenmauer von beachtlicher Länge verwandelt.

Jedenfalls hatte ich bei dieser intellektuell nicht anspruchsvollen, aber befriedigenden Tätigkeit (wer Haus, Hof und Garten hat, braucht keinen Psychiater) Zeit, über dies und das nachzudenken. Mir war rasch klar, dass ich mein Backsteintrauma verarbeiten und in etwas Positives transformieren musste.

Eigentlich hatte ich vor, als Thema irgendetwas mit „bekloppt“ zu wählen, Assiziationen diesbezüglich stellen sich ebenfalls haufenweise ein – doch dann stieß ich in meinem in die Tausende gehenden Fundus unveröffentlichter Aufnahmen von Vorkriegsautos auf das hier:

Adler „Favorit“; Originalnegativ aus Sammlung Michael Schlenger

Wer hier keinen Adler „Favorit“ und den Charme des Backsteins erkennen kann, dem ist nicht zu helfen.

Das Erscheinungsbild der Autos hat sich seither stark gewandelt, doch die Schönheit von historischen Ziegelbauten gehört zu den Dingen aus der Welt von gestern, an denen wir uns im Alltag immer noch erfreuen können.

Ein solches Fachwerkhaus wie hier zu besichtigen ist für Jahrhunderte gemacht und damit im besten Sinne nachhaltig. Wer das Raumklima solcher Bauten kennt, weiß, dass es dort nichts zu „dämmen“ gibt.

Selbst die Originalfenster lassen sich aus energetischer Sicht beibehalten, wenn man das alte Prinzip der Kastenfenster anwendet und ein zweites derselben Machart innen anbringt.

In Verbindung mit einer hocheffizienten Gastherme und einem ergänzenden Kaminofen lässt sich der ganze Charme des Backsteins in die Gegenwart retten – man darf sich von vorübergehenden Anwandlungen Made in Berlin nicht verrückt machen lassen.

Dann vielleicht noch ein Adler „Favorit“ in der alten Maschinenhalle nebenan – oder doch ein Chevrolet 6? Beide waren für die Ewigkeit gemacht, sofern man das menschlichen Maßstäben sagen darf – und die überlebenden Exemplare werden uns noch lange begleiten.

Vielleicht werden sie einst sogar die letzten Autos sein – auch das hätte Charme wie alte Backsteine….

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Ist das denn noch „Vorkrieg“? Ein Pontiac Six von 1939

Bisweilen erhalte ich freundliche Hinweise von Lesern, dass sie meine Ausflüge in die Welt der Vorkriegsautos zwar gerne lesen, aber zugleich eine stärkere Konzentration auf die Fragen der Entwicklung, Technik und Gestaltung wünschen.

Anders gesagt: Meine bisweilen mäandernden Hinführungen zum eigentlichen Thema gefallen nicht jedem. Das verstehe ich, kann und will es aber nicht ändern.

Ich verfasse hier keine Auftragsarbeiten, bei denen es irgendjemandes Wünsche zu berücksichtigen gilt – ein Blog ist eine subjektive Ausdrucksform und weil ich die Chose produziere und bezahle, bestimme ich auch Inhalt und Herangehensweise.

Mehr Grundsätzliches dazu in meinem Kommentar zum vorangegangenen Blog-Eintrag. Konkreteres in der Hinsicht heute anhand der Frage „Was ist eigentlich ein Vorkriegsauto?“

Diesen Beitrag hatte ich ohnehin geplant, und jetzt nutze ich die Gelegenheit dazu darzulegen, dass es beim Thema „Vorkriegsautos auf alten Fotos“ nicht um nüchterne akademische Abhandlungen geht – die finden Sie ggf. anderswo (oder auch nicht…).

Vielmehr kommt man oft nicht umhin, sich für eine ganz persönliche Sicht zu entscheiden, Sie zu erläutern und auch zur Diskussion zu stellen.

Jetzt werden manche sagen: Ist doch ganz klar, das hier ist ein Vorkriegswagen:

Adler 18/35 PS „Präsidentenwagen“ des ASC im Juni 2024 in Butzbach; Bildrechte: Michael Schlenger

Dieses herrliche Gefährt durfte ich kürzlich bei einer Ausfahrt des „Allgemeinen Schnauferl Clubs“ (ASC) in meinem Nachbarort Butzbach (Hessen) live erleben.

Wer angesichts eines solchen Meisterwerks des frühen Automobilbaus stur sachlich bleiben möchte, der ist ein armer Tropf, behaupte ich.

Dieses fast 120 alte, einst in den Adlerwerken zu Frankfurt am Main entstandene 18/35 PS-Modell ist eine Erscheinung aus einer anderen, längst untergegangenen Welt. Es in Bewegung zu erleben, ist ein geradezu mystisches Erlebnis.

Die Männer, die es geschaffen haben, die Menschen, die es einst im Alltag erlebten – sie sind allesamt verschwunden so wie weite Teile der Welt von damals – die großartigen und ebenso die verstörenden. Doch der Adler ist noch da, als wäre nichts gewesen.

Noch dazu begeistert der Umstand, dass er von jungen Leuten gefahren wird, wo diese sich doch angeblich nicht mehr für’s alte Blech interessieren. Im vorliegenden Fall weiß ich, dass das reine Erziehungssache ist – schon mit der Bemerkung mache ich mir nicht nur Freunde.

Kein Zweifel: Dies ist ein Vorkriegswagen, denn er verfügt über freistehende Kotflügel, eine klar davon abgegrenzte Hauben- und Kühlerpartie und überhaupt ist er aus einzelnen funktionellen Elementen zusammengesetzt.

Ganz anders dieses Fahrzeug, das ich bei derselben Gelegenheit aufgenommen habe. Es gehört einem ortsansässigen Enthusiasten, den ich nach Jahren wieder einmal zufällig traf. Er entschuldigte sich dafür, dass sein Wagen nicht perfekt sei, doch sehen Sie selbst:

Jaguar XK 120 in Butzbach im Juni 2024; Bildrechte: Michael Schlenger

Ein herrliches Auto – der Jaguar XK120 Roadster – aus meiner Sicht eines der schönsten der späten 1940er Jahre aus europäischer Produktion.

Doch auch wenn es motorenseitig das Aufregendste war, was damals zu bekommen war (2,4 Liter DOHC-Sechszylinder mit 160 PS) wirkt die Form noch von Vorkriegsautos beeinflusst.

Für mich gehört dieses Gerät zu den vollkommensten Beispielen der Synthese des Besten aus der Welt von Gestern und der Moderne. Dass der Jaguar XK 120 Ergebnis einer Nacht-und-Nebel-Aktion war, bestätigt meine Überzeugung, dass die besten Dinge unter großem Druck entstehen – er setzt die wirklich kreativen Kräfte des Menschen frei.

Das war schon wieder so eine unsachliche Behauptung – na und? So geht das nämlich dauernd, wenn man sich mit diesen Skulpturen aus Blech auseinandersetzt, die für manchen der eigentliche Ausdruck künstlerischer Meisterschaft der Neuzeit sind.

Wie schwierig es ist, eine objektive Grenze zwischen Vor- und Nachkriegsautos zu ziehen, das wurde mir (wieder einmal) klar, als ich bei einem kürzlichen Zwischenhalt aus dem Fenster des Hotels am Vierwaldstättersee in der Schweiz schaute:

Wagen des Luxemburger Morgan-Clubs in Beckenried, Juni 2024: Bildrechte: Michael Schlenger

Noch so eine unnötige Schleife in die Gegenwart, zudem aus der Perspektive unseres disziplinlosen Blog-Warts – das denkt jetzt vielleicht einer.

Gewiss, aber bis hier haben Sie doch durchgehalten, oder? Bleiben Sie dran, es geht am Ende schon in die Welt von Schwarz-und-Weiß, auch wenn das Thema sich als schwierig erweisen wird – soviel vorab.

Doch erst einmal nähern wir uns diesen Sportwagen des britischen Traditionsherstellers Morgan, der seit über 90 Jahren im Geschäft ist. Gebaut wurden und werden diese Wagen (teilweise) noch immer in Vorkriegsmanier, also mit blechbeplanktem Holzrahmen.

Das Ergebnis sah und sieht wie folgt aus:

Morgan-Roadster in Beckenried, Juni 2024: Bildrechte: Michael Schlenger

Aha, da haben wir einen in Deutschland zugelassenen Morgan, der sich der Ausfahrt der Luxemburger Kollegen angeschlossen hat, über die ich sonst nichts weiß – alles Zufall.

Mit Vergnügen nutze ich solche Beobachtungen am Wegesrande meines Daseins, um sie in meine Betrachtungen einzuflechten.

Was meinen Sie? Sind das nun Vorkriegswagen oder nicht? Formal sind sie jedenfalls deutlich früher als der 1948er Jaguar XK120 anzusiedeln, irgendwo in den 1930ern.

Doch nicht nur die Nachkriegsmotoren und der Komfort, den die Morgans boten und bieten, machen sie zu Schöpfungen der Nachkriegszeit.

So großartig das Fahrgefühl in diesen Wagen auch sein mag. Eines fehlt ihnen genau wie den zuhauf angebotenen Rekonstruktionen von Vorkriegswagen. Sie waren nicht „dabei“.

Was meine ich damit?

Jeder, der ein Faible für wirklich historische Gegenstände hat, Bücher des Barock, Musikinstrumente des 19. Jahrhunderts oder Artefakte aus dem Jugendstil, kennt die Magie des Antiken und kennt die Frage: Wer mag das einst besessen haben?

Und daran anknüpfend die menschliche Frage schlechthin: Was wurde aus den Besitzern, was ist ihnen in den Katastrophen der Vergangenheit widerfahren?

So, damit sind wir nun endlich dort angelangt, wohin ich eigentlich wollte – aber es ging nur auf diesem Umweg, sonst würde Ihnen das folgende Foto vielleicht banal vorkommen:

Pontiac Six im Mai 1939; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ja, ist das denn noch ein Vorkriegswagen? Nach den bisherigen Betrachtungen fällt die Antwort wie in vielen existenziellen Fragen ambivalent aus: ja und nein.

Die Frontpartie dieses Autos wirkt bereits wie aus einem Guss, ein Kühler ist eigentlich nicht mehr als eigenständiges Element zu erkennen – die Kotflügel sind nicht mehr freistehend.

Dieser Wagen ist weit näher am Nachkriegs-Jaguar XK 120 als an den optisch auf Vorkrieg getrimmten Morgans – was kein Werturteil sein soll, ich mag die Dinger.

Aber: Der Datierung der Aufnahme nach ist der Fall klar. Das Auto wurde im Mai 1939 fotografiert und sein Konterfei gelangte per Post an die Verwandtschaft in Deutschland – wo es die Zeiten bis in unsere Tage überdauerte, mehr wissen wir nicht.

Entstanden ist dieses Zeitdokument in Fremont im US-Bundesstaat Nebraska, während der Wagen selbst im Bundesstaat Iowa zugelassen war. Identifizieren konnte ich das Auto als Pontiac „Six“ des Modelljahrs 1939 – der Wagen war also noch ziemlich neu.

Was macht diesen Pontiac bei aller Modernität der Erscheinungsform zu einem Vorkriegswagen? Das ist die zeitgeschichtliche Komponente, an der hier kein Weg vorbeiführt.

Denn wir dürfen annehmen, dass etwas mehr als fünf Jahre später – im Juni 1944 – irgend ein Mann, der diesen Pontiac gefahren oder gesehen oder in der Umgebung gelebt hat, an der Landung der US-Truppen in der Normandie beteiligt war.

Dort gab es einen nach der größten Stadt Nebraskas – Omaha – benannten Strandabschnitt. Was sich dort am 6. Juni an Horror auf beiden Seiten abspielte, ist schwer zu erfassen.

Die jungen US-Soldaten liefen aus den Landungsbooten ungedeckt in das deutsche Abwehrfeuer hinein – während ihre Gegner, mit denen sie in manchen Fällen verwandt waren, keine andere Wahl hatten, als die eigenen Stellungen und das eigene Leben zu verteidigen.

Das ist die Assoziation, die nur ein Foto eines Vorkriegsautos auszulösen vermag. Es ist der historische Ballast, den so ein Wagen mit sich schleppt, nicht Technik oder Formgebung.

Daher wird der perfekteste Neuaufbau nie ein Vorkriegsauto werden und umgekehrt ist selbst der erbärmlichste, x-fach umgebaute Überlebende immer noch ein Relikt der Vorkriegszeit.

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Souverän durch’s Chaos: Adler 1,7 & 2 Liter Cabriolet

Als Schulbub hatte ich in der Familie den Ruf als Leseratte weg. Irgendwie hatte ich schon vor der Grundschule zu lesen gelernt – wohl hatte ich meinen älteren Bruder bei den Hausaufgaben genervt, bis er mir verriet, wie das ging.

Ich las alles, dessen ich habhaft werden konnte – erst im heimischen Bücherschrank, später in der Stadbibliothek. Zu den Werken, die neben Archäologie und Science Fiction früh Eindruck bei mir hinterließen, gehörten Gustav Schwabs „Sagen des Klassischen Altertums“.

Darin waren die Mythen der alten Griechen und Römer in komprimierter Form enthalten – wenn ich mich recht entsinne im klassischen Stil von Johann Heinrich Voss (1751-1826). Irgendwann las ich auch dessen komplette Übertragung von Homers Ilias und Odyssee – der Werke, die am Anfang der europäischen Literatur stehen und bis heute fortwirken.

Der König von Ithaka, der mit seiner List den Griechen vor Troja nach 10 Jahren Belagerung zum Sieg verhalf, gehört für mich zu den großartigsten Figuren der Literaturgeschichte. Denn nach der Überwältigung der Trojaner sollte er auf dem Heimweg nach und nach alles verlieren, seine Flotte, seine Kameraden und beinahe das nackte Leben.

10 Jahre irrte er umher, den Launen der Götter unterworfen, nur mit Athene als Verbündeter. Praktisch mittellos landete er schließlich an den heimischen Gestaden.

Wie er von alten Weggefährten erkannt wird und schließlich mit tödlicher Präzision unter den Freiern aufräumt, die seine Frau bedrängen, und am Ende einen einzigen verschont, das gehört zu den atemberaubendsten Episoden in der Literatur.

Souverän durchs Chaos des Daseins – das gilt für meinen Heros Odysseus ebenso wie für das Fahrzeug, das ich heute anhand eines Bilderreigens präsentiere, der Sie am Ende hoffentlich ebenso sprachlos zurücklässt wie mich einst die Lektüre Homers.

Eine ehrgeizige Nummer, werden Sie jetzt denken. Und Sie haben recht: Denn die Modelle 1,7 bzw. 2 Liter des Traditionshauses Adler aus Frankfurt am Main boten neben dem Frontantrieb technisch nichts, was sie irgendwie vor der Konkurrenz auszeichnete.

Und trotz der modern gestalteten Kühlerpartie erschien die Limousinenausführung wenig aufregend – die mittig geteilte Frontscheibe wirkte schroff und der Aufbau abweisend:

Adler 1,7 Liter Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Gleichwohl hatte der 1936 in dieser Form vorgestellte Adler unzweifelhafte Nehmerqualitäten – der Dulder Odysseus lässt an dieser Stelle das erste Mal grüßen.

Dieses um 1960 entstandene Foto zeigt ein Exemplar mit geschlossener Karosserie und niederländischer Zulassung. Bei der Gelegenheit sei angemerkt, dass die glatten Scheibenräder der einzige Hinweis auf die Motorisierung sind.

Die 1938 eingeführte stärkere 2 Liter-Version ist praktisch nur dadurch zu unterscheiden, dass sie gelochte Felgen besaß. Das sah dann so aus:

Adler 2 Liter Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ein nettes Foto irgendwo an einer Tankstelle aufgenommen kurz vor oder nach dem 2. Weltkrieg. Der Adler wirkt hier trotz untadeliger Proportionen immer noch wenig einladend.

Das wird sich gleich ändern, denn auf der mindestens 10-jährigen Odyssee, die ich nun gemeinsam mit Ihnen unternehmen will, begegnet uns der Adler nur noch in der Erscheinungsform als Cabriolet, die eine Klasse für sich war.

Man bekommt eine erste Ahnung davon auf dieser Abbildung:

Adler 1,7 Liter Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Befreit von dem düsteren Dachaufbau präsentiert sich der Adler hier mit einem Mal fast luftig und leicht – die Heiterkeit der jungen Dame davor tut ein übriges.

Sie war offenbar mit der besseren Hälfte unterwegs auf Urlaubsreise und wir begegnen ihr gleich noch einmal.

Hätte ich nicht beide Aufnahmen zusammen erworben, wäre ich vermutlich nie darauf gekommen, dass auch dieses Foto einen solchen Adler zeigt:

Adler 1,7 Liter Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hier ging es einst hoch hinaus und man konnte sich damals nicht ausmalen, welche Odyssee einem in den nächsten Jahren bevorstand.

Doch bis dahin war man frohen Mutes, denn es ging vermeintlich herrlichen Zeiten entgegen in deutschen Landen – wenn man nicht zum Feindbild der Herrschenden zählte. .

Dieser junge Herr konnte sein Glück kaum fassen, war er doch nicht nur mit einem schicken Adler-Cabrio unterwegs, hier sogar in der sportlichen 2-Fenster-Ausführung – sondern hatte gleich zwei Grazien als Begleiterin – was konnte da noch schiefgehen?

Adler 1,7 Liter oder 2 Liter Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ob es diese spezielle Ausführung nicht nur für den Adler 1,7 Liter, sondern auch die spätere 2-Liter-Version gab, das werden sicher sachkundige Leser beantworten können (bitte Kommentarfunktion nutzen).

Motorenseitig war man mit der 2-Liter-Ausführung natürlich weit angemessener unterwegs – mit 45 PS statt lediglich 38 PS war nun echtes Autobahntempo möglich.

Das Cabrio bewegte der Kenner freilich bevorzugt auf Landstraßen, wo es entschieden mehr zu sehen gab wie in diesem Fall eine Burg am Rhein:

Adler 2 Liter Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Was könnte einem hier schon die gute Laune verderben – es läuft doch gerade alles so gut, man ist Herr über Raum und Zeit und es gibt kein Hindernis, das man nicht mit List und der notwendigen Härte überwinden könnte, nicht wahr?

So wie Odysseus und seine Kameraden sich in ihrem Sieg über die Trojaner sonnten und nicht an das Morgen dachten, so selbstgewiss wirken diese Herren, die an der Ostfront – ich vermute anno 1939 in Polen – die Relikte zurückliegender Kämpfe besichtigen:

Adler 2 Liter Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Das Adler 2-Liter Cabriolet trägt das deutsche Hoheitszeichen, um nicht der eigenen Luftwaffe zum Opfer zu fallen – ein klares Indiz für die Frühphase des Kriegs, in der umfassende militärische Überlegenheit gegeben war.

Ob das verwahrloste Pferd im Vordergrund kurz zuvor noch als Zugtier für das verlassene Artilleriegeschütz dienen musste, ist ungewiss. Vielleicht hatte jemand es aus Mitleid losgebunden.

Vielleicht gehörte es aber auch zu einem Hof in der Nähe, dessen Bewohner vor der Walze deutschen Vernichtungswillens geflohen waren, der im Osten gnadenlos war.

Im selben Kontext ist folgende Aufnahme zu verorten, die einen im aufgeweichten Boden festgefahrenen Adler 2 Liter des deutschen Heers zeigt – wieder in der Ausführung als 4-Fenster-Cabrio:

Adler 2 Liter Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Grundsätzlich waren die Fronttriebler unter solchen Bedingungen eher im Vorteil. Nicht zufällig wurden nach der Kapitulation Frankreichs anno 1940 zahllose Citroen mit Vorderradantrieb in den Fuhrpark des deutschen Militärs eingegliedert.

Irgendwann im weiteren Kriegsverlauf entstand ein weiteres Foto, das den Adler eines Arztes zeigt – mit Zulassung im Landkreis Turek im besetzten Polen.

Der Name des Bubs auf dem Kühler ist überliefert – er wurde Kläuschen gerufen:

Adler 1,7 Liter oder 2 Liter Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Das schöne Foto darf nicht darüber hinwegtäuschen, wie die polnische Bevölkerung damals unter der deutschen Militärherrschaft litt – speziell Menschen jüdischer Herkunft wurden als Arbeitssklaven ausgebeutet (wie im nahegelegenen Ghetto Litzmannstadt) und in der Spätphase des Kriegs zu Hunderttausenden ermordet.

Das macht nicht jeden Zeitgenossen auf solchen Fotos zum Verbrecher, schon gar nicht die KInder. Doch die Ungeheuerlichkeiten, die im Osten von Deutschen en masse begangen wurden, sollten bis in unsere Tage im Bewusstsein bleiben und zu äußerster Zurückhaltung mahnen, was Belehrungsinstinkte gegenüber den Völkern Osteuropas betrifft.

Irgendwann war der deutsche Siegeszug am Ende, und wendete sich mit ebensolcher Härte und Unerbittlichkeit gegen die einstigen „Herrenmenschen“. Mit den vereinten Kräften der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion wurden die deutschen Aggressoren zurückgeschlagen – im günstigsten Fall kehrten sie mittellos heim.

Während Odysseus aus seiner Tragödie am Ende einen Sieg machte, galt es für die Überlebenden des Chaos der Zeit nach 1945 ihr Leben wieder in zivile Bahnen zu lenken.

Nur wenige hatten das Glück, dabei auf einen Überlebenden der automobilen Gattung zurückgreifen zu können – hier wieder ein Adler 2 Liter Cabrio mit österreichischer Nachkriegszulassung:

Adler 2 Liter Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Was kann nach dieser 10-jährigen Reise durch die Wirren der Zeit noch kommen?

Nun, ein Dokument, das positiver ist als das deprimierende Fazit deutschen „Wirkens“ im Osten Europas und anderswo, welches unsere nach dem Krieg formulierte Verpflichtung zum Frieden begründete, aber in diesen Tagen in Vergessenheit zu geraten droht .

Erinnern wir uns nochmals an den tragischen Helden Odysseus, dem erst 10 Jahre nach Kriegsende die Heimkehr beschieden sein sollte – wie einst den letzten deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion.

Bei ihrer Rückkehr war die Welt eine andere geworden und man hatte nichts als Kampf und Chaos erlebt – nichts gelernt, was konstruktiv und kreativ war.

Doch zuhause wartete vielleicht jemand auf einen – wie einst Penelope auf Odysseus.

Sie war nach so langer Zeit nicht mehr die Jugendfrischeste, um es vorsichtig auszudrücken. Das Drama der Jahre hatte auch sie gezeichnet und doch: Ihre Zuversicht war unverbrüchlich, dass „Er“ eines Tages zurückkehren wird.

10 Jahre hatte sie gewartet und sie hatte die ganze Zeit über den alten Adler 2 Liter in der Cabrio-Ausführung gehütet – vor den Häschern versteckt, die scharf auf ihn waren.

Damit hatten die beiden einst die schönsten Reisen unternommen und wenigstens das sollte aus der Welt von gestern erhalten bleiben und einen Neuanfang ermöglichen.

So, jetzt lachen sie bitte nicht, denn die Penelope in meiner heutigen Geschichte lebte nicht auf Ithaka, sondern in Schmadebeck im Landkreis Rostock und sie hieß schlicht Rosa Köpcke.

Sie war eine biedere Landfrau, als sie in den 1950er Jahren (oder später) vor diesem Adler posierte.

Adler 2 Liter Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wir machen uns keine Vorstellung davon, was sie in den Jahren davor erlebt hatte – also stellen wir uns einfach vor, dass an diesem Tag ihr Mann zurückkehrte.

Der Adler ist hier wie aus dem Ei gepellt und zeugt vom menschlichen Willen, dass auch nach dem Chaos irgendwann wieder die schönen Dinge des Lebens Einzug halten sollen – und sei es in Form eines alten Autos, mit dem man gemeinsame Erinnerungen verknüpft…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Spagat zwischen Stil und Funktion: Adler 10/45-50 PS

Heute unternehmen wir einen Ausflug ins Deutschland der Mitte der 1920er Jahre. Damals gewann eine der für mich fatalsten Ideologien in Sachen Gestaltung die Oberhand – der radikale Funktionalismus.

Ohne Rücksicht auf jahrtausendealte Erfahrungen und menschliche Bedürfnisse erhoben einflussreiche Vertreter ihrer Zunft die frei erfundene These zum Naturgesetz, wonach sich die Gestaltung eines Gegenstands aus seiner Funktion zu ergeben habe.

Schönheit, Eleganz und Wohlproportioniertheit als eigene Werte wurden unnötig abgetan, Dekor wurde von einigen deutschen Design-Extremisten sogar kriminalisiert.

Diesem unseligen Geist haben wir unter anderem die bis heute hierzulande unausrottbare und immergleiche freudlose Schukarton-Architektur zu verdanken. Zum Glück gibt es im Ausland auch andere Strömungen, die dem primitiven Bauhaus-Kult abgeschworen haben und durchaus expressiven bis überwältigenden Formen wieder Raum geben.

Im Bereich der Automobilgestaltung markiert die Mitte der 1920er Jahre die Abkehr von den Relikten der damaligen Vorkriegszeit – vor allem dem bis dato im deutschen Sprachraum dominierenden Spitzkühler, der Dynamik und Windschnittigkeit zum Ausdruck brachte:

unbekannter deutscher Tourenwagen der frühen 1920er Jahre; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Rein funktionell brauchte man diese aufregenden Formen nicht, ein flacher Kühler erreichte bei ausreichender Dimensionierung denselben Luftdurchsatz.

Auch die breite und hier zusätzlich farblich betonte „Schulter“ an der Flanke der Karosserie war nicht „notwendig“ – dasselbe gilt für den nach hinten waagerecht auslaufenden Kotflügel, welcher die Dynamik des Wagens rein optisch betonen sollte.

Auch bei der Traditionsfirma „Adler“ aus Frankfurt am Main hinterließ die neue Nüchternheit ab 1925 unübersehbar Spuren – selbst bei gehobenen und enorm teuren Wagen wie dem Typ 10/45 PS von 1925 bzw. seinem 6-Zylinder-Pendant 10/50 PS.

Beide Varianten lassen sich äußerlich m.E. nicht auseinanderhalten, der minimale Unterschied im Radstand hilft nicht, wenn man alte Fotos vor sich hat wie dieses:

Adler 10/45 PS bzw. 10/50 PS von 1925-26; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wie man bei einem fast eigenschaftslosen Tourenwagen darauf kommt, dass man es wahrscheinlich mit so einem mittelschweren Adler von 1925/26 zu tun hat (es gab darüber noch einen raren 18/80 PS Typ), das habe ich vor einigen Jahren hier vorgeführt.

In der Zwischenzeit tauchte noch ein dazu passendes Foto auf, das ich wieder einmal Leser Klaas Dierks verdanke, der ein ganz besonderes Gespür für Qualität hat.

Die Aufnahme lässt erkennen, dass Adler der Spagat zwischen Stil und Funktion tatsächlich gelungen war. Hier zeigt sich der Tourer 10/45 bzw. 10/50 PS durchaus gefällig:

Adler 10/45 PS oder 10/50 PS, Bauzeit: 1925/26; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Dass ein ansprechender Stil hier nicht zu kurz kommt, ist freilich vor allem dem gekonnt posierenden und figurbetont gekleideten Mann neben dem Auto zu verdanken.

Ein Übriges tun hier die geneigte Frontscheibe und der verwegen wie eine Bombe gestaltete Reservekanister auf dem Trittbrett. Wäre es nach der beschränkten Logik der Funktionalisten gegangen, hätte man dort zwingend einen rechteckigen Kasten installiert.

Heute habe ich dank eines weiteren Lesers und mit guter Nase ausgestatteten Sammlers – Matthias Schmidt aus Dresden – das Vergnügen, erneut den Spagat zwischen Stil und Funktion zu thematisieren, den ein Foto mit einem Adler Tourer von Mitte der 20er Jahre erkennen lässt:

Adler 10/45 PS oder 10/50 PS, Bauzeit: 1925/26; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Dass wir es hier mit demselben Typ zu tun haben, das muss wohl nicht umständlich begründet werden. Gern wüsste man wieder, ob und wie sich das 4-Zylindermodell 10/45 PS vom nur ein Jahr später erschienen 6-Zylindertyp 10/50 PS äußerlich unterschieden.

Auch wäre es reizvoll zu erfahren, weshalb die Adler-Leute den 6-Zylinder nach nur einem Jahr – also anno 1926 – mit geändertem Verhältnis aus Zylinderbohrung und Hub anboten. Jedenfalls wurde das nun kurzhubigere Aggregat drehfreudiger und die Spitzenleistung fiel bei 3000 Umdrehungen pro Minute statt zuvor 2800 an. War das der einzige Grund?

Vier Gänge und Vierradbremsen waren allen diesen Varianten gemeinsam, ebenso die solide 12 Volt-Elektrik und der achtbare Radstand von rund 3,30 Metern. Quellen zu den Hintergründen dieser Varianten sind mir nicht bekannt.

Auch die Website des seit über 50 Jahren bestehenden Adler Motor Veteranen-Clubs schweigt sich über diese Modelle ebenso aus wie über die meisten frühen Adler, obwohl Material und Wissen dort sicher reichlich vorhanden sind.

So bleibt mir heute nur, dieses Foto von Matthias Schmidt meiner quasi im Vorübergehen aufgebauten Adler-Galerie einzuverleiben – der größten allgemein zugänglichen ihrer Art.

Eine letzte Bemerkung zum Spagat zwischen Stil und Funktion kann ich mir nicht verkneifen. Wieso posieren die beiden Herren in dem repräsentativen Adler ausgerechnet in Unterwäsche – also dem ultrafunktionellen Feinripp-Unterhemd?

Ich könnte mir nur vorstellen, dass sie in einer Fabrik mit schmutzigen Arbeiten tätig waren, gerade aus der Dusche kamen und die Gelegenheit nutzten, den Adler des Direktors zu okkupieren. Das hätte schon wieder einen gewissen kühnen Stil…

Doch nein, das ist eher unwahrscheinlich, der Kontext dieses Fotos mit dem Kleinkind muss ein anderer gewesen sein. Ideen dazu – auch humorvolle – sind wie immer willkommen!

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Sieg nach Punkten: Adler Standard 6 vs. NSU 6/30 PS

Heute las ich einen Artikel über die altehrwürdigen „Bundesjugendspiele“, welche schon zu meiner Grundschulzeit in den 1970er Jahren abgehalten wurden. Darin hieß es, dass man die Ergebnisse der Teilnehmer beim Laufen, Springen, Werfen usw. nicht mehr genau festhalte, denn „Kinder können nichts mit diesen absoluten Zahlen anfangen“.

Das glaube ich in Zeiten des „Schreibens nach Gehör“ und anderer Experimente an den wehrlosen Grundschülern sogar. Exaktes Rechnen und Vergleichen kann ja auch zu unschönen Erkenntnissen führen – davor muss die Jugend unbedingt geschützt werden.

Nun gehöre ich jedoch einer Generation an, die noch Schlimmes erlitten hat, was den Umgang mit Zahlen betrifft – ich musste sogar einen Beruf daraus machen: erst als Kaufmann, dann als Volkswirt (mit dem gefürchteten großen Statistikschein…).

Von daher kann ich nichts dafür, wenn ich heute den braven Sechszylindertyp 6/30 PS von NSU aus dem Jahr 1928 einem unbarmherzigen Vergleich mit dem 1927 eingeführten Adler Standard 6 unterziehe.

Wie kann ich nur so grausam sein – der NSU hat doch von vornherein keine Chance, oder? Nun, dass ich ihn gegen der Adler antreten lassen, das hat er sich selbst zuzuschreiben, denn rein äußerlich tat er ganz schön groß:

NSU 6/30 PS Limousine von 1928; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Mit über vier Metern Gesamtlänge und geräumiger Sechsfenster-Karosserie will dieser Wagen offenbar hoch hinaus. Dazu passend hat ihm NSU einst den ersten selbstkonstruierten Sechszylindermotor verpasst.

Ende der 1920er Jahre war ein Sechszylinder die Voraussetzung dafür, einigermaßen mit der erdrückenden Konkurrenz der preiswerten und gut ausgestatteten US-Importmodelle mithalten zu können, auf die zeitweise rund ein Drittel des deutschen Markts entfiel.

Nun mögen Sie denken, dass NSU mit diesem bieder anmutenden und schwach motorisierten Gefährt von vornherein chancenlos war. Dabei war die Tourenwagenversion durchaus gelungen, nicht wahr?

NSU 6/30 PS Tourenwagen von 1928; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

In der Tat kommt hier der von italienischen Modellen inspirierte Kühler mit klassischer Silhouette gut zur Geltung – so aufgenommen, wirkt das Gefährt beinahe sportlich.

Allerdings war der gerade einmal 1,6 Liter messende Motor mit seinen 30 PS Spitzenleistung zwar kultiviert, aber wenig durchzugsstark. 80 km/h waren damit maximal drin – genug für die Landstraße, aber für gebirgiges Terrain war der kompakte Antrieb nicht ideal.

Dennoch meinte man bei NSU, dem Chassis auch einen großen geschlossenen Aufbau verpassen zu müssen – und zwar genau denselben, den die Berliner Karosseriefabrik Ambi-Budd unter anderem an die Adler-Werke in Frankfurt am Main lieferte.

Prägen Sie sich bitte die Details des Aufbaus des NSU ein – speziell die Anordnung der seitlichen Zierleisten und Türscharniere:

Bei der Gelegenheit sei auch auf die kleinen Radkappen mit den nur vier Bolzen verwiesen, wie man das sonst eher an Kleinwagen fand.

Jetzt unternehmen wir einen großen Sprung, obwohl sich an Radstand und Wagenlänge kaum etwas tut – dafür aber unter der Haube und vor allem in stilistischer Hinsicht.

Dazu wenden wir uns einer „neuen“ Aufnahme eines alten Bekannten zu – des Adler „Standard 6“ aus Frankfurt am Main.

Wir hatten diesen Wagen bereits einige Male zu Gast – wie auch sein Vierzylinder-Pendant „Favorit“ – beide gehörten zu den meistverkauften deutschen Mittelklassewagen ihrer Zeit.

Nun aber zum „Standard 6“ – hier anhand eines Fotos von Leser Matthias Schmidt (Dresden):

Adler „Standard 6“; Originalfoto: Matthias Schmidt (Dresden)

Obwohl dieser Wagen praktisch dieselben Abmessungen hat wie der NSU und mit identischem Limousinenaufbau von Ambi-Budd daherkam, spielte er in einer anderen Liga.

Das betrifft zum einen die weit raffiniertere, an US-Vorbildern orientierte Kühler- und Haubenpartie. Allein die Kühlerfigur und die Scheinwerferstange mit einer „6“ in einer Raute machen mächtig etwas her. Die Gestaltung der Räder verweist ebenfalls auf die gehobene Klasse des Wagens.

Die eigentliche Stärke lag jedoch im Verborgenen. Hinter den Rädern arbeiteten unauffällig vier hydraulische Bremsen – die ersten an einem deutschen Serienwagen. Und unter der Motorhaube fand sich ein Sechszylinder, der mit 2,5 Litern Hubraum und 45 PS das Mehr an Elastzität und Spitzenleistung bot, welches man beim NSU vermisste.

Der kleine Sechszylinder aus Heilbronn mit den äußerlich großen Ambitionen krankte zudem an einer veralteten Kühlung (Thermo-Siphon-Prinzip) und anderen Malaisen, welche erst die Ingenieure von Fiat behoben, nachdem die Turiner die Autofabrikation von NSU 1929 übernommen hatten.

So musste sich der NSU-Sechszylinder dem Adler letztlich klar nach Punkten geschlagen geben – aber auch gestalterisch war er kaum konkurrenzfähig. Nur beim Preis von 6.600 Mark (für die Limousine) hatte er die Nase vorn (Adler: 7.700 Mark).

Allerdings waren dies ohnehin Sphären, in die sich damals kein Durchschnittsverdiener verirrte. Nur wenige Betuchte konnten sich in Deutschland überhaupt ein Automobil leisten – meist reichte es bei Otto-Normalverbraucher nur für ein Fahrrad.

Von daher irritiert es ein wenig, dass NSU sich so gar keine Mühe gab, wenigstens mit etwas Zierrat um die anspruchsvolle Kundschaft zu buhlen.

Aber so ist das im Leben – am Ende kann nicht jeder Sieger sein. Womit wir wieder zurück bei den eingangs erwähnten Bundesjugendspielen wären. Ich weiß es noch genau: Neun Jahre alt war ich im Jahr 1978 und erhielt eine Urkunde, auf der stand: „Zweiter Sieger“.

Dieser offenkundige Unfug hat mich damals so irritiert, dass ich den Moment bis heute in Erinnerung behalten habe. Der fatale Feldzug gegen das Leistungsethos hierzulande hat tatsächlich schon viel früher begonnen, als man es gemeinhin denkt…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Experten unter sich: Ein Adler Tourer um 1907

Heute lasse ich Sie an einem Moment teilhaben, bei dem eigentlich die Kenner unter sich bleiben wollen. Als bei den meisten Vorkriegsmarken nur Halbgebildeter kenne ich aber keinen Respekt vor Autoritäten und mische mich gern frech ein.

Mir passt es nämlich gar nicht, wenn die Experten ihr Wissen am liebsten für sich behalten wollen, damit sie nicht vom gemeinen Pöbel belästigt werden. Dergleichen Attitüden legen keineswegs nur Sprösslinge alter Adelsgeschlechter, Kirchenfürsten oder sonstige Vertreter der jeweils herrschenden Priesterkaste an den Tag.

Schlimmer sind die eifrigen Aufsteiger, die sich einbilden, es noch besser zu wissen als die bis dato Mächtigen und sich umgehend die Aura der Unantatstbarkeit zulegen, sobald sie höhere Sphären erreicht zu haben glauben als der erdverbundene Fußgänger.

In der Frühzeit des Automobils waren dieser Versuchung insbesondere diejenigen ausgesetzt, welche einen der neuartigen und enorm komplexen Kraftwagen beherrschten.

Diese Experten – wichtigtuerisch Chauffeure genannt – wussten, was sie ihren vermögenden Brötchengebern wert waren und blieben nach Dienstschluss gern unter sich. Mit dem übrigen Personal wollte man wohl nichts zu tun haben.

Hier haben wir zwei Exemplare dieser benzingetriebenen Elite ins Fachgespräch vertieft:

Adler Tourenwagen um 1907; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ist das nicht ein hübscher Schnappschuss, der hier einem frühen Vertreter der Paparazzi gelungen ist? Wir dürfen sicher sein, dass die eigentlichen Besitzer dieses mächtigen und kolossal teuren Tourenwagens irgendeine Form von Prominenz genossen.

Wie komme ich als bloßer Betrachter – keinesfalls Eingeweihter – dieser Szene zu einer derart kühnen Vermutung? Sagen wir, dass ein gesundes Halbwissen meist schon reicht, um in diesen Kreisen einigermaßen bestehen zu können.

Das erforderliche Mindestmaß an Bildung kann man sich mit etwas Disziplin im Selbststudium aneignen. Dazu schule man sich am besten an hochkarätigem Material – beispielsweise diesem:

Adler-Reklame von 1907; Original: Sammlung Michael Schlenger

Wen diese Reklame eher verwirrt als orientiert, dem sei zweierlei empfohlen:

Erstens das Studium der Kühler- und Haubenpartie, zweitens die genaue Betrachtung der Armlehne der vorderen Sitzbank mit dem auffallenden Haltegriff. Den übrigen Aufbau vergisst man am besten – der war weder typ- noch markenspezifisch.

Die Frontpartie entspricht derjenigen stark motorisierter Wagen der Adlerwerke aus Frankfurt am Main, wie sie zwischen 1906 und 1908 gebaut wurden. Diese Autos verfügten über kolossale Hubräume von über sieben Liter, welche eine Spitzenleistung von 40 bis 50 PS bereits bei Drehzahlen von etwas über 1.000 Umdrehungen pro Minute abwarfen.

Hier ein Adler-Landaulet dieses Kalibers, welches 1908 in Wandlitz abgelichtet wurde:

Adler Landaulet um 1907; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Sicher erkennen Sie die weitgehende Übereinstimmung von Kühler- und Haubenpartie – typisch für Adler-Wagen aus der Zeit kurz vor 1910.

Der vor dem Landaulet abgelichtete Fahrer war ebenfalls ein Experte seines Fachs, doch immerhin zeigt er sich uns zugewandt – von ihm hätten wir vermutlich alles über „seinen“ Adler erfahren, was wir wissen wollen.

Doch leider kann er nicht mehr zu uns sprechen – ganz wie die beiden Kollegen auf dem eingangs gezeigten Foto. Dabei hätten wir gern einiges von ihnen erfahren, und sei es nur, welcher der am Armaturenbrett aufgereihten Öler für welchen Schmierpunkt zuständig war:

Dergleichen Details werden die beiden Magier des Motorwagens vermutlich als Berufsgeheimmis für sich behalten haben wollen.

Dabei hätten wir doch bloß gewusst, ob wir mit der Vermutung richtig liegen, dass es sich bei dem großzügig dimensionierten Automobil tatsächlich um einen Adler mit 40 PS aufwärts handelte, wie er ab 1906 im Programm auftaucht.

Dazu ist freilich das Votum eines Kenners der frühen Adler-Modelle vonnöten. Wäre doch schade, wenn die heutigen Experten dieser einst so bedeutenden deutschen Marke unter sich blieben und ihr zweifellos vorhandenes Wissen für sich behielten – die mir bekannte Literatur dazu ist nämlich über 40 Jahre alt (Werner Oswald, Adler Automobile, 1981)…

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Fast ein 6er im Lotto: Adler 10/45 und 10/50 PS

Lottospielen ist eine tolle Sache – vor allem für den Ausrichter.

Kaum zufällig hat sich von jeher der Staat das Vorrecht dazu reserviert, um anstrengungslos gut berechenbare üppige Einnahmen zu erzielen. Gäbe es dagegen viele private Konkurrenten, würde das bedeuten, dass die Spieler bessere Gewinnchancen hätten.

In meinem Blog sind Sie regelmäßig Gewinner – sofern Ihnen der Sinne nach Vorkriegsautos steht – und das ganz ohne finanziellen Einsatz, sie müssen bloß ertragen, was ich dazu spontan zusammenspinne.

Heute habe ich mir das Thema „6er im Lotto“ gewählt und muss nun zusehen, wie ich es in einen Zusammenhang mit zwei Fotos bekommee, die Wagen der Traditionsmarke „Adler“ aus Frankfurt am Main zeigen.

Bei „6er“ und Adler denken die Kenner jetzt vielleicht an den „Standard 6“ der späten 1920er Jahre – doch mit Verlaub – so etwas ist mir heute schlicht zu alltäglich:

Adler „Standard 6“ Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

„Jetzt ist er verrückt geworden – das ist doch ein großartiges Dokument“, denken jetzt vielleicht die Adler-Freunde.

Aber tatsächlich ist diese Aufnahme eine von unzähligen des Sechszylindermodells, mit dem Adler Ende der 1920er Jahre den „Amerikanerwagen“ Paroli bieten wollte. Davon gibt es noch haufenweise unpublizierte Fotos – gelegentlich zeige ich einige.

Weit interessanter, weil viel seltener ist aus meiner Sicht der Vorgänger des „Standard 6“. Denn schon ab 1925 bauten die Adlerwerke ein Sechszylindermodell, das weitgehend vergessen ist – den Typ 10/45 PS (später 10/50 PS).

Wir sind diesem seltenen Typ, der noch keine Kopie amerikanischer Wagen sein sollte, bereits begegnet – unter anderem anhand dieses Fotos aus meiner Sammlung:

Adler 10/45 PS oder 10/50 PS Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Seinerzeit hatte ich diese eindrucksvolle und makellos gezeichnete Limousine als Adler des Typs 10/45 bzw. 10/50 PS angesprochen, ohne dass mir Vergleichsfotos mit eindeutig identifizierten Wagen dieses Modells vorlagen.

Die Dokumentation der Adler-Wagen vor 1930 in Buchform und im Netz wird – man muss es leider immer noch immer sagen – der Bedeutung dieser Marke nicht annähernd gerecht. Ich weiß nicht genau, was mit den deutschen Oldtimer-Enthusiasten los ist, aber Adler ist nur eine von vielen Marken, die immer noch einer umfassenden Würdigung harren.

Ich lasse mich ja gern belehren, aber leider bin ich auf Zusendungen von Sammlerkollegen angewiesen, was Vergleichsmaterial im Fall des Adler 10/45 PS bzw. 10/50 PS angeht.

Einer davon ist Matthias Schmidt aus Dresden – ihm verdanke ich den ersten „6er“ im heutigen Adler-Lotto:

Adler 10/50 PS Limousine; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt

Normalerweise wäre eine solche Aufnahme von der Seite nicht mein Favorit, doch hier ist sie mir hochwillkommen. Denn sie bestätigt meine Identifikation des zuvor gezeigten Adler als 6-Zylindertyp 10/45 PS oder 10/50 PS ab 1925.

Der Hauptunterschied sind die unterschiedlichen Räder, wobei die Drahtspeichenräder auf den Typ 10/50 PS zu verweisen scheinen, während der etwas schwächere 10/45 PS über Stahlspeichenräder verfügte – das ist aber nur eine Vermutung.

Die Aufnahme von Matthias Schmidt hat den Vorzug, dass man auf den Nabenkappen den Schriftzug „Adler“ erkennen kann. Ohne diesen und ohne das Fabrikschild auf dem Schweller wäre es gar nicht so einfach, diese Limousine überhaupt als Adler zu identifizieren – es hätte auch ein 6-Zylinder-Fiat jener Zeit sein können.

Tatsächlich ist hier die Rückseite des Fotos noch interessanter, denn hier findet der wahre Adler-Liebhaber alles, was sein Herz begehrt:

Adler 10/50 PS Limousine; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt

Wer einen solchen Adler 10/50 PS als erstes Auto überhaupt besaß, muss außerordentlich gut situiert gewesen sein und einen Sinn für’s Besondere besessen haben.

Denn davon wurden nur rund 150 Wagen produziert und man darf für die hier abgebildete Pullman-Limousine einen Preis von rund 15.000 Reichsmark ansetzen – das entsprach Mitte der 1920er Jahre zehn Brutto-Jahresverdiensten eines Angestellten!

Im vorliegenden Fall ist sogar die Fahrgestellnummer überliefert, allerdings bezweifle ich, dass auch nur ein einziger dieser Wagen den 2. Weltkrieg und den „Alles Alte muss weg“-Furor im Nachkriegsdeutschland überlebt hat.

Dafür hat etwas anderes die Zeiten überdauert, was beinahe einem weiteren „6er“ im Adler-Lotto entspricht, nämlich die Aufnahme einer offenen Version des gleichen Typs:

Adler 10/45 oder 10/50 PS Tourer; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Hier haben wir nicht nur das Glück, dass der Wagen aus idealer Perspektive zu sehen ist und man genügend Details erkennt, um ihn als 6-Zylindermodell ab 1925 ansprechen zu können (dazu zählen auch die Trittschutzbleche auf dem Schweller unterhalb der Türen).

Vielmehr ist hier eine wohl markenunabhängige Konstruktion vor dem Kühler zu sehen, die mir so noch nie begegnet ist. Ich vermute, dass das an der Scheinwerferstange angebrachte Gehäuse ein elektrisch beleuchteter Fahrtrichtungsanzeiger war.

Jedenfalls habe ich keine andere Erklärung dafür. Da viele meiner Leser weit mehr Erfahrung mit solchen Dingen habe – ich verstehe mich eher als Archivar und nehme keine besondere Sachkenntnis für mich in Anspruch – weiß bestimmt jemand Näheres dazu.

Als unverbesserlicher Ästhet will ich nicht zuletzt auf den neben dem Adler stehenden Besitzer aufmerksam machen, dessen Outfit mit präzise auf den Leib geschneidertem Mantel ebenso beeindruckt wie seine bewusst eingenommene Haltung.

Solche Dinge waren einmal wichtig, für viele sogar selbstverständlich, und nicht zuletzt die Bedeutung von „fare bella figura“, wie es die Italiener nennen, verrät uns, wie anders diese Welt von gestern war.

Ihr ein wenig näher gekommen zu sein und dabei ausgerechnet dem raren Adler 10/45 bzw. 10/50 PS begegnet zu sein, das dürfte uns dem „6er“ im Lotto zumindest näher gebracht haben als das Ausfüllen eines einschlägigen Spielscheins…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Stets für eine Überraschung gut: Adler 6/25 PS

Mitte der 1920er Jahre schien die große Zeit der Automobile aus den Adlerwerken in Frankfurt/Main vorbei zu sein.

Die enorme Typenvielfalt der Zeit vor dem 1. Weltkrieg, die von Kleinwagen mit nur 1,3 Liter Hubraum bis zu 80 PS starken Giganten reichte, war ab 1920 einem deutlich geschrumpften Angebot gewichen.

Die großen Spitzkühlertypen wurden nur noch vereinzelt gebaut, der Schwerpunkt lag nun auf Wagen mit 6 bzw. 9 Steuer-PS, was etwa 1,5 bzw 2,3 Litern Hubraum entsprach. Doch auch diese blieben vergleichsweise selten.

1925 wurde die Produktion dann weitgehend auf das 6/25 PS-Modell konzentriert, welches zwar motorenseitig auf dem 6/18 PS bzw. 6/22 PS-Typ ab 1921 basierte, aber mit 4-Gang-Getriebe, Vorderradbremsen und innenliegender Schaltung deutlich moderner ausfiel.

Auch die Gestaltung entsprach nun ganz der neuen sachlichen Linie, mit der die meisten Hersteller von den charakterstarken Spitzkühler-Optik Abschied nahm. Allenfalls die aufpreispflichtige Adler-Kühlerfigur verlieh dem Wagen eine kühne Note:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

So wie auf dieser schönen Abbildung aus meinem Fundus, die es immerhin in die Neuausgabe des Klassikers „Deutsche Automobile 1920-1945“ von Werner Oswald geschafft hat, sehen die meisten Adler des Typs 6/25 PS aus.

Immerhin rund 6.500 Exemplare sollen davon bis 1928 enstanden sein – womit das Modell der bis dahin erfolgreichste Adler überhaupt sein sollte. Bei einer für deutsche Verhältnisse recht hohen Stückzahl sollte doch Raum für die eine oder andere Überraschung sein, oder?

Gewiss, und heute will ich einige Exemplare zeigen, deren Erscheinungsbild mehr oder weniger von der Norm abweicht. Dabei halte ich mich strikt an das Tourenwagenmodell – daneben gab es noch offene Zweisitzer und natürlich Limousinen.

Überraschend anderes wirkt der Adler 6/25 PS Tourer beispielsweise in dieser wohl noch ziemlich ladenneuen Ausführung:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dank des glänzenden Lacks und Nickels sowie der zahlreichen Accessoires wirkt der Adler hier beinahe wie ein anderes Auto. Besonders gut gefällt mir der auf Hochglanz polierte und auf Windschnittigkeit getrimmte Reservekanister auf dem Trittbrett.

Doch die Kühlergestaltung in Verbindung mit den Scheibenrädern verrät, dass auch dies ein Typ 6/25 PS sein muss.

Mit dergleichen Fotos von Tourenwagen des Adler 6/25 PS könnte ich noch eine Weile fortfahren: Hier beispielsweise hätten wir ein schon stark gebrauchtes Exemplar, das wohl mit der Aufnahme vor der überraschenden Kulisse eines Schlosses „geadelt“ werden sollte:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Weiß vielleicht jemand, um welche Schlossanlage es sich handelt? Als Hinweis mag die Tatsache dienlich sein, dass der Originalabzug von einem Fotogeschäft in Kassel stammt.

Nachtrag: Leser Peter Oestereich konnte die Lösung liefern: Der Adler parkte vor dem Eingang von Schloss Wilhelmsthal (Calden).

Wo aber bleiben die versprochenen Überraschungen, Herr Blog-Wart? Nun, die liefere ich nach und nach, keine Sorge. Zunächst machen wir erst einmal einen Ausflug unter die Motorhaube, denn wie es dort aussah beim Adler 6/25 PS weiß ja kaum einer mehr.

Zum Glück fand ich in meiner Ausgabe des „Handbuch vom Automobil“ von Joachim Fischer (1927) diese Abbildung:

Adler 6/25 PS Motor; Abbildung aus: „Handbuch vom Automobil“, Joachim Fischer, 1927

Hier sieht auch der Laie einige interessante Details. So befinden sich die Pedale auf der rechten Seite (wie natürlich auch das hier nicht zu sehende Lenkrad). Das Gas befand sich zwischen Kupplung und Bremse.

Gut zu erkennen ist der mittig angebrachte Schalthebel (bei früheren Adler-Wagen noch außenliegend) und die ebenso hoch aufragende Handbremse. Rechts am Motorblock ist der über ein Stirnrad angetriebene Zündmagnet und der dahinterliegende Zündverteiler mit vier Zündkabeln zu sehen.

Ganz vorne haben wir den Antrieb von Lüfterflügel und Wasserpumpe. Die spiralförmige Welle am Vorderende des Motors unten ist die Aufnahme für die Starterkurbel, sollte einmal die Batterie leer sein.

Von der anderen Seite bietet sich der Motor des Adler 6/25 PS so dar:

Adler 6/25 PS Motor; Abbildung aus: „Handbuch vom Automobil“, Joachim Fischer, 1927

Allzuviel zu sehen gibt es hier nicht. Ganz oben erkennt man den Kühlwasserstutzen, über den das vom Motor erhitzte Wasser zum Kühler transportiert wurde. Vorne sieht man den Stutzen für den von unten kommenen Schlauch, über den das abgekühlte Wasser in den Motor zurücktransportiert wird.

Mittig vor dem Zylinderblock (die untere Motorenhälfte beherbergt die Kurbelwelle) sieht man den kompakten runden Luftfilter vor dem Vergaser. Darüber läuft der Abgaskrümmer, der vorne zur Auspuffanlage hin nach unten abknickt.

Man sieht, sonderlich komplex ist so ein klassischer Vierzylindermotor mit Vergaser gar nicht. Für Verwirrung könnte allenfalls der hier nicht zu sehende seitliche Ventiltrieb sorgen.

Genug davon, ich wollte nur die Gelegenheit zu nutzen, dieses seltene Dokument zu zeigen. Eine weitere Überraschung ist dann die nächste Aufnahme, denn einen Adler 6/25 PS Tourer mit aufgespanntem Verdeck und montierten Steckscheiben findet man kaum:

Adler 6/25 PS Tourer; Orignalfoto: Sammlung Jürgen Klein

Diese ungewöhnliche Aufnahme verdanke ich Leser und Sammlerkollege Jürgen Klein, der auch sonst noch manches Vorkriegs-Schmuckstück aus seinem beeindruckenden Fundus beisteuern kann.

Die zweite Plakette rechts neben dem üblichen Adler-Typenschild dürfte vom Autohaus stammen, das einst diesen Wagen verkaufte. Leider wissen wir nichts Näheres zu Ort und Zeitpunkt der Aufnahme.

So überraschend anders der Wagen hier wirkt, so vertraut mutet die kunstlederne seitliche „Schürze“ am Vorderkotflügel an. Sie findet sich an den meisten Adler-Wagen dieses Typs, was die Frage aufwirft, ob sie ein Werkszubehör war. Vielleicht weiß es jemand genau.

Eine Ausnahme – und damit eine Überraschung – stellt dieses Exemplar dar:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieser 1929 in Dortmund aufgenommene Adler 6/25 PS Tourer wirkt ohne besagte Kotflügelschürzen und mit Adler-Kühlerfigur deutlich edler, oder?

Ansonsten ist alles konventionell an diesem Exemplar. Bei der Gelegenheit prägen Sie sich bitte den Abstand zwischen den beiden Türen ein. Dieser scheint beim Tourenwagenaufbau stets sehr knapp bemessen gewesen zu sein.

Der Radstand von 2,80 Metern bot auch nicht mehr Raum, soviel ist klar.

Doch was ist dann von dem Adler-Tourer auf folgender Aufnahme zu halten? Kühler und Scheibenräder sprechen doch eindeutig für das Modell 6/25 PS, nicht wahr?

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Zwei Dinge sind hier überraschend anders: Zum einem ist die Frontscheibe deutlich geneigt und vertikal unterteilt. Zum anderen ist der Abstand zwischen den Türen weit größer. Sollte es noch ein weiteres und größeres Adler-Modell mit Scheibenrädern gegeben haben?

Nun, Christian Rioth vom Adler Motor Veteranen Club lieferte mir die Erklärung: Hier sehen wir die die ganz frühe Ausführung des Typs 6/25 PS, bei der die Türen kürzer waren und die Frontscheibe sich noch am Vorgängermodell 6/24 PS (mit Spitzkühler) orientierte.

Beruhigt können wir fortfahren, doch eine weitere Überraschung hätte ich noch in petto. Die folgende Aufnahme aus der Sammlung von Matthias Schmidt zeigt nämlich eine deutliche Abweichung von allen bisher gezeigten Fahrzeugen des Typs Adler 6/25 PS:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Sehe ich es richtig, oder täusche ich mich, wenn das Lenkrad hier auf der linken Seite zu sein scheint?

Die (dürftige und veraltete) Literatur zur Marke Adler kennt nur Rechtslenkung, doch bei einer Bauzeit bis 1928 wird der Hersteller die damals fällige Umstellung früher oder später vorgenommen haben, aber wann?

Beweisfotos finden Sie – leider nur anhand von Limousinen – in meiner Adler-Galerie.

War das denn nun schon alles, werden die verwöhnten Leser meines Blogs denken? Nun, zwei Überraschungen zum Thema Adler 6/25 PS hätte ich noch.

Die erste verdanke ich Leser Klaas Dierks, der doch tatsächlich einen dieser braven Adler 6/25 PS-Wagen mit serienmäßigen Aufbau im Sporteinsatz zeigt:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Für die zweite Überraschung am Ende sorgt eine Amerikanerin mit dem glamourösen Namen Karen Starr Venturini.

Ob das ihr echter Name ist, das dürfte in Zeiten, in denen man sich sogar sein Geschlecht nach Tagesform aussuchen darf, einigermaßen egal sein. Jedenfalls schickte sie mir vor einiger Zeit diese Aufnahme eines Adler 6/25 PS zu – die vollkommen für sich spricht:

Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto via Karen Starr Venturini (USA)

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Gruselfaktor inklusive: Adler 6/24 PS Tourenwagen

Zur Geisterstunde pflege ich ein langjähriges Vertrauensverhältnis. Zwar glaube ich nicht an Gespenster – jedenfalls keine, die nicht von unserer Phantasie erzeugt werden – dennoch fühle ich mich im Dunkel der Zeit um Mitternacht von guten Geistern umgeben.

Anders fehlte mir wohl die Inspiration, mich zu später Stunde an Vorkriegsautos auf historischen Fotos abzuarbeiten.

Nur ein Teil davon ist einigermaßen ernst gemeintem Dokumentationsinteresse geschuldet – das ist ja eher die Domäne der Automobilhistoriker, wenngleich ich deren Produktivität hierzulande für entschieden steigerungsfähig halte.

Größeren Raum ein nimmt mitunter die Beschäftigung mit grundlegenden Fragen von Stil und Gestaltung sowie dem menschlichen Bedürfnis, seinem Dasein einen bestimmten Ausdruck zu verleihen und spezielle Momente davon für sich und andere festzuhalten.

Die Art und Weise, wie Mensch und Maschine auf diesen Dokumenten inszeniert wurden, ist für mich ein Quell nicht versiegender Faszination. Oft sind es Kleinigkeiten, die mit dem eigentlichen Fahrzeug wenig zu zu tun haben, welche fesseln.

Heute haben wir wieder so einen Fall und ich darf in Aussicht stellen, dass es dabei zur rechten (Uhr)Zeit durchaus ein wenig gruselig zugeht.

Beginnen wir ganz harmlos mit dieser technisch mäßigen, dennoch reizvollen Aufnahme:

Adler 6/24 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieser eher kompakte Tourenwagen birgt keine besonderen Geheimnisse. In das Kühlernetz ragt das dreieckige Markenemblem der Adlerwerke aus Frankfurt/Main hinein.

Da das Kühleremblem nur unscharf wiedergegeben ist, hat man uns den Gefallen getan, zusätzlich eine unübersehbare Kühlerfigur in Adlerform zu montieren, die so kaum serienmäßig war.

Ebenfalls ein Zubehör waren die kunstledernen „Schürzen“ an den Vorderkotflügeln, die einer stärkeren Verschmutzung des Wagens vorbeugen sollten. Bewusst aufgefallen sind mir diese merkwürdigerweise bisher nur bei Adler-Wagen der Typen 6/24 und 6/25 PS.

Von den meiner Adler-Galerie versammelten Fahrzeugen dieses Typs war etwa jeder zweite Wagen damit ausgestattet. Offenbar erfüllte der werksseitige Kotflügel seinen Zweck nur unzureichend, denn eine Verschönerung stellen diese Teil nicht gerade dar.

Die Drahtspeichenräder sind übrigens das Hauptunterscheidungsmerkmal zwischen dem 1923/24 gebauten Adler 6/24 PS und seinem 1925 eingeführten „Nachfolger“ 6/25 PS, welcher leicht anhand seiner Scheibenräder zu erkennen ist.

Technisch waren diese kleinen Vierzylindertypen vollkommen konventionell, hervorzuheben gibt es da nichts. Der Käufer wusste vor allem, dass er sich auf die Adler-Qualität unbedingt verlassen konnte.

Wer schnelle und geräumige Reisewagen suchte, musste sich andernorts umschauen. Für die Spritztour am Wochenende mit der Familie oder Freunden war der Adler 6/24 PS aber allemal vorzüglich geeignet, man findet ihn oft bei solchen Ausflugssituationen abgelichtet.

Mitunter ergaben sich dabei sogar charmante Dokumente wie dieses hier:

Adler 6/24 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Manchem Leser wird die Aufnahme bekannt vorkommen – ich habe sie vor längerem als Teil einer netten kleinen Serie präsentiert.

Nehmen Sie sich etwas Zeit, sich die Insassen dieses Wagens einzuprägen, allesamt prächtige Individuen, die uns hier über einen Abstand von bald 100 Jahren anblicken.

Wenn es doch so etwas wie Geister gibt, erfreuen sich diese nun vielleicht daran, dass die Nachgeborenen nach so langer Zeit immer noch Genuss an dem Moment empfinden, der hier einst festgehalten wurde.

Vielleicht treiben sie aber auch etwas Schabernack mit uns. Denn auf mysteriöse Weise hat lange nach dem Erwerb der kleinen Serie, aus der dieses Foto stammt, eine weitere Aufnahme den Weg zu mir gefunden – wie eine Flaschenpost aus der Vergangenheit, die einen etwas längeren Weg zurückzulegen hatte als die anderen.

Irgendetwas hat mich lange davon abgehalten, auch dieses Zeugnis vorzustellen. Doch wie das oft so ist bei meinen nächtlichen Rendezvous mit den automobilen Hinterlassenschaften unserer Altvorderen, wusste ich heute plötzlich, dass nun die Zeit gekommen ist.

Noch gut fünf Minuten bis Mitternacht. Auch wenn es vielleicht nicht dem Ideal einer Gruselgeschichte entspricht, unternehmen wir gleich noch einen Spaziergang zur Tankstelle, wo man uns bereits erwartet.

Die Herrschaften, die wir mit ihrem Adler 6/24 PS gerade (wieder) getroffen haben, werden uns dort auf eine Weise wiederbegegnen, die nur auf den ersten Blick vertraut wirkt. Erst auf den zweiten Blick enthüllt sich das, was vielleicht für einen kalten Schauer sorgen wird.

Im Unterschied zu Ihnen weiß ich bereits, was uns erwartet, auch wenn ich erst heute abend den Gruselfaktor dieser Aufnahme entdeckt habe.

Sind Sie bereit? Gerade schlägt es Mitternacht von der kleinen gotischen Kirche her, die nur wenige hundert Meter entfernt steht. Und mit einem Mal ist es wieder heller Tag – zumindest auf einem Teil des Bildes, während der Rest in rätselhaftem Dunkel verharrt:

Adler 6/24 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Schon etwas merkwürdig, diese Situation an der Tankstelle, nicht wahr?

Rationale Geister werden uns nun sofort eine Erklärung für das Phänomen liefern können, das diesen Adler 6/24 PS wie im Zwischenreich von Dämmerung und strahlend hellem Tag erscheinen lässt.

Gut, das war jetzt noch nicht wirklich gruselig, oder? Gut, denn dann haben Sie das ebenfalls auch erst einmal übersehen, was sich in diesem Foto an Mysteriösem verbirgt.

Tatsächlich lässt sich erst einmal in gewohnt kühler Manier die Frontpartie des Wagens studieren – mit ein paar Handgriffen lässt er sich dem Reich der Schatten entreißen:

Fällt Ihnen hier etwas Außergewöhnliches auf? Nein? Nun, ganz rechts deutet sogar eine Hand genau darauf!

Hinter dem Adler zeichnet sich nämlich die Frontpartie eines unheimlich wirkenden mächtigen Tourenwagens ab, der offensichtlich einer anderen Hubraumklasse angehört.

Was könnte das sein? Ich tippe auf einen Dinos der frühen 1920er Jahre, aber es könnte auch ein anderes deutsches Fabrikat der Zeit kurz nach dem 1. Weltkrieg sein (Vorschläge bitte per Kommentarfunktion).

War’s das jetzt etwa schon? Nein, natürlich nicht, aber ich wollte ihren Blick erst einmal in eine andere Richtung lenken, damit der folgende Effekt umso mehr Wirkung zeigt.

Denn jetzt schauen wir mit einem Mal in ein gleißendes, beinahe übernatürliches Licht:

Das ist auf den ersten Blick eine reizvolle Situation, nicht wahr?

Man hat sogar freundlich die Tür des Adler offengelassen, als ob man uns einladen wollte, doch einfach mitzukommen? Wer wollte da widerstehen?

Doch ich warne Sie, lassen Sie sich nicht täuschen! Hier stimmt nämlich etwas nicht – die Tür ist in Wahrheit gar nicht offen!

Schauen Sie noch einmal hin: Das Rund des Kotflügels geht durch die offene Tür, wie kann das sein? Die Tür kann in der Realität nicht gleichzeitig auf und zu sein.

Nur in einer von Geistern bewohnten Welt scheint ein solches Nebeinander möglich zu sein. Sind denn diese Geister dann vielleicht sogar selbst hier abgelichtet? Ja, das sind sie.

Schauen Sie sich noch einmal den letzten Bildausschnitt an:

Plötzlich sehen sie dort die Gesichtshälfte einer jungen Frau mit Brille, die sie anschaut. Und neben dem Herrn auf der Rückbank schweben geisterhaft die Schemen eines Ohres und einer Fahrerbrille im leeren Raum…

Ein wenig gruselig fand ich das schon, als ich das entdeckte. Aber wie gesagt: Es gibt für alles eine vollkommen rationale Erklärung…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Überraschend wintertauglich: Adler 5/14 PS von 1914

Die Winter der letzten Jahre sind zumindest in meiner Heimatregion – der hessischen Wetterau – meist mild ausgefallen.

Wer darin gleich einen Trend sieht, sollte sich vergegenwärtigen, dass in den USA regelmäßig ganze Bundesstaaten in Schneemassen versinken und mit klirrender Kälte konfrontiert sind, welche auch die „Schneeflöckchen“ hierzulande rasch vom Wert eines Pickups mit großer Bodenfreiheit, Stollenreifen und bärenstarkem V8-Motor überzeugen würden.

Auch bei uns kann das Wetter wieder in eine andere Entwicklung nehmen, niemand weiß es genau. Die Faktoren hinter den Klimaschwankungen der letzten Jahrhunderte und Jahrtausende in unseren Breiten werden bis heute nicht verstanden.

Sie sehen: die modische These, dass das Spurengas CO2 quasi alleinverantwortlich für das Wetter sein soll, liegt mir fern – wie generell alle monokausalen und mit päpstlicher Autorität vorgetragenen Welterklärungen.

Bleiben wir demütig, tun das unsere, um die Umwelt zu schonen (deren Bestandteil wir freilich auch selbst sind) und passen uns an das Unabänderliche an – und das erstreckt sich auch auf die Wahl eines ganzjahrestauglichen Automobils.

Manche Dinge haben sich eben nicht geändert – dazu gehören die fahrphysikalischen Herausforderungen bei Eis und Schnee. Dass man damit jedoch bereits vor über 100 Jahren gut (gelaunt) zurechtkommen konnte, will ich heute zeigen.

Dabei werden wir nebenbei Zeuge, wie bei der Marke Adler aus Frankfurt/Main der Spitzkühler Einzug hielt – ein Leitmotiv bei deutschen Autos kurz vor dem 1. Weltkrieg.

Den Anfang macht diese schöne Aufnahme eines Adler, wahrscheinlich des Kleinwagentyps 5/13 PS, welcher 1912 auf den Markt kam:

Adler 5/13 PS Tourenwagen von 1912/13; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch ohne die prachtvolle Adler-Kühlerfigur und den Markenschriftzug auf dem Kühlernetz wäre der Hersteller leicht zu erraten gewesen.

Solche schmucklosen, oben abgerundeten Flachkühler mit annähernd quadratischer Kühlerfläche sind typisch für die Adler-Motorwagen aller Größenklassen ab etwa 1910.

Bei diesem Exemplar haben wir es den Dimensionen nach zu urteilen mit dem Kleinwagentyp KL 5/13 PS zu tun, der standardmäßig solche Drahtspeichenräder besaß.

Es gab ihn auch in zweisitzigen Ausführungen wie auf dieser Reklame dokumentiert, die 1913 in der Kunst- und Gesellschaftszeitschrift „Die Jugend“ erschien:

Adler 5/13 PS Zweisitzer; Originalreklame von 1913 aus „Die Jugend“ (Sammlung Michael Schlenger)

Hier möchte ich Ihr Augenmerk auf das rechts abgebildete Fahrzeug lenken.

Es weist eine sportlich wirkende Karosserie mit zwei nebeneinanderliegenden Sitzen und rundem Heckabschluss auf.

Dieser Aufbau wird uns heute begleiten, nur mit einem kleinen, aber für die stilistische Entwicklung der Adler-Wagen jener Zeit wichtigen Unterschied: einem Spitzkühler:

Adler 5/14 PS Zweisitzer ab 1914; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

So anders die Frontpartie auf dieser Aufnahme im ersten Moment wirkt, handelt es sich bloß um die modellgepflegte Variante des Adler 5/13 PS – den ab 1914 gebauten Typ 5/14 PS.

Er verdankte seine leicht höhere Leistung der Feinarbeit im Ansaugtrakt, welche in der laufenden Produktion ständig Effizienzgewinne ermöglichte. Die Grundspezifikation des 1,3 Liter messenden Vierzylinders blieb dabei unverändert.

Hier haben wir eine entsprechende Abbildung aus dem Adler-Prospekt von 1914:

Adler-Prospekt von 1914; Faksimile aus dem Archiv-Verlag (Sammlung Michael Schlenger)

In dieser Form scheint der Adler 5/14 PS bis 1920 weitergebaut worden zu sein. Das Exemplar auf dem zuvor gezeigten Foto wurde 1919 aufgenommen; es kann also sowohl ein Vorkriegsmodell als auch ein Neuwagen gewesen sein.

Ein für die weitere Betrachtung wichtiges technisches Detail am Adler 5/14 PS bleibt auf der abgebildeten Prospektseite unerwähnt: Der Wagen besaß zwar zeittypisch eine rechts vom Fahrer außerhalb der Karosserie liegende Handbremse, der Schalthebel lag aber innen.

Diese ungewöhnliche Anordnung unterstützt die Identifikation des folgenden Wagens als ebensolchen Adler 5/14 PS ab 1914:

Dieser Wagen wurde im 1. Weltkrieg auf deutscher Seite eingesetzt – und zwar beim Generalkommando XII als Automobil Nr. 1101, wenn ich die Beschriftung richtig interpretiere.

Wir sehen hier wieder den typischen Zweisitzeraufbau mit außenliegender Handbremse, außerdem Drahtspeichenräder und Spitzkühler. Was sich in dem zylinderförmigen Behälter auf dem Vorderkotflügel befand, bleibt fraglich – weiß es ein sachkundiger Leser?

Und könnte es sich bei dem dunklen Gegenstand auf der Werkzeugkiste auf dem Trittbrett um ein Teil der Kamera gehandelt haben, mit der dieses Foto entstand?

Leider ist auf dem Abzug nichts über Ort und Datum der Aufnahme überliefert – gewiss hätte sich der ernst posierende Soldat am Steuer nicht vorstellen können, dass noch im 21. Jahrhundert sich Menschen für diese Situation interessieren könnten.

Das tun wir in der Tat und nicht nur wegen der alten Autos, sondern immer auch wegen des Interesses am Leben der Menschen, die einst damit unterwegs waren. Mitunter fällt es schwer, sich in deren Lage hineinzuversetzen, gerade bei Kriegsfotos.

Ganz anders sieht das aus, wenn man auf eine Aufnahme wie die folgende stößt:

Adler 5/14 PS Zweisitzer ab 1914; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Muss ich noch viel zu diesem Wagen sagen, der anno 1920 mitten im Winter aufgenommen wurde?

Wenn man einmal so einen Adler 5/14 PS in der ab 1914 gebauten Spitzkühlerversion und mit zweisitzigen sportlichen Aufbau gesehen hat, wird man ihn nicht mehr vergessen. In der Kleinwagenklasse war das sicher eines der attraktiveren deutschen Autos seinerzeit.

Ich jedenfalls würde mich ihm auch bei Schnee sofort anvertrauen. Die Schneeketten sorgen für Traktion an der Hinterachse und das geringe Gewicht von gut 600 kg unterstützt die Beherrschbarkeit auf glattem Untergrund.

Bei Spitze 60 km/h lässt sich nicht viel Schaden anrichten, wenn doch mal etwas schiefgeht und der starre Leiterrahmen steckt einiges weg. Fazit: Überraschend wintertauglich!

Mit so etwas müsste man bei Schnee einigen Spaß haben, und das gehört doch zum Autofahren von jeher dazu, meinen Sie nicht auch? Schauen wir einmal, was der diesjährige Winter in der Hinsicht mit sich bringt. Die gute Laune lassen wir uns jedenfalls nicht nehmen…

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.