Das Motiv des Wanderers, des Pilgers und des Heimkehrers gehört zu den Konstanten in der Literaturgeschichte.
„Draußen vor der Tür“ von Wolfgang Borchert (1921-1947), in dem es um die gescheiterte Heimkehr des Kriegsteilnehmers Beckmann geht, zählt zu diesem Genre.
Neben dem „Steppenwolf“ von Hermann Hesse, „On the Road“ von Jack Kerouac und „Hamlet“ von Shakespeare eines der wenigen bleibenden literarischen Erlebnisse meiner Schulzeit
Das unübertroffene Meisterwerk der Heimkehrerliteratur indessen steht am Anfang der europäischen Erzählkunst und ausgerechnet das musste ich mir selbst erschließen:
Homers Odyssee gehörte – wie Dutzende andere Klassiker – nicht zum Standard eines hessischen Gymnasiums der 80er Jahre, dafür die Werke von B-Schreibern wie Böll…
Treue Leser meines Blogs wissen, dass mir die Figur des griechischen Helden gefällt, der mit einer Kriegslist den entscheidenden Erfolg gegen das seit 10 Jahren belagerte Troja ermöglicht, nach dem Sieg zwar zum Verfolgten und Schiffbrüchigen wird, doch zuletzt nach Ithaka heimkehrt und über die Freier seiner Frau Penelope furchtbares Gericht hält.
Diese Geschichte ist so spannend – in ihren Abgründen wie in ihren triumphalen Momenten – dass man sie immer wieder erzählen und nacherleben kann.
Darauf kam ich, als ich einige Fotos von Vorkriegswagen durchsah, die ich in letzter Zeit ohne große Gedanken erworben hatte. Meist kaufe ich für kleine Beträge mir reizvoll erscheinende Aufnahmen, ohne bereits zu wissen, was ich damit anfangen werde.
Die Story ergibt sich meist von selbst, so auch dieses Mal. Denn der Wagentyp, um den es heute geht, war mir beim Nachsehen in meiner Renault-Galerie schon einmal begegnet:

Dieser Wagen wurde einst im Heimatland des Odysseus aufgenommen, in Griechenland. Das war im Jahr 1941, als deutsche Truppen auch dort im Einsatz waren.
Unglaublich, wofür man sich einst zuständig fühlte – Polen, Belgien, Frankreich, Norwegen – später Nordafrika und Russland. Dass man tatsächlich nicht nur in der Berliner Führung glaubte, an vier Fronten gleichzeitig Krieg führen und gewinnen zu können – völlig bizarr.
Wie die deutsche Kriegsfurie (schon die alten Römer hatten den Begriffe vom irrationalen „Furor Teutonicus“ geprägt) auch nach Griechenland gelangte, will ich hier nicht nacherzählen.
Interessanter finde ich die Frage, was für ein Wagen sich anno 1941 dorthin verirrt hatte und ob ihm am Ende die glückliche Heimkehr gelang.
Auch wenn die Modelle des französischen Herstellers Renault in den 1930er Jahren eine Wissenschaft für sich sind, meine ich, dass wir es beim in Griechenland festgefahrenen Fahrzeug der Wehrmacht mit dem Typ „Primaquatre“ zu tun haben.
Dieser gut motorisierte Vierzylinderwagen mit zuletzt über 50 PS Leistung wurde von 1931 bis 1941 gebaut, wobei fast jährlich optische und technische Änderungen erfolgten.
Die waagerechten Kühlerstreben weisen auf eine Entstehung ab Ende 1938 hin. Dass wir kein Exemplar des äußerlich sehr ähnlichen Kleinwagentyps „Celtquatre“ vor uns haben, das verrät insbesondere das vordere Dreiecksfenster.
Selbiges sehen wir besser auf einer zweiten Aufnahme, die einen identischen Renault Primaquatre zeigt – nun unter Umständen, die an eine glückliche Heimkehr denken lassen:
Die unpassende Stoßstange und die fehlenden Radkappen erschwerten zunächst die Ansprache. Nach einigen Vergleichen bin ich aber sicher, dass dieser Wagen tatsächlich ein Renault „Primaquatre“ war – aufgenommen in der frühen Nachkriegszeit.
War vielleicht der in Griechenland auf Abwege gekommene Wagen nach mehrjähriger Odyssee an heimatliche Gestade zurückgekehrt?
Diese spannende Frage zu beantworten, fällt mir schwer. Tatsächlich dachte ich beim Aufnahmeort zunächst an die italienische Hafenstadt Genua – schon Odysseus kehrte ja nicht auf direkten Weg nach Ithaka zurück.
Doch konnte ich die Szenerie nicht eindeutig identifizieren. Kann es sein, dass der Renault in einer Hafenstadt an der französischen Mittelmeerküste aufgenommen wurde? Ich versuchte mein Glück mit Toulon und Marseille – aber auch hier Fehlanzeige.
Das sportliche Motorboot im Riva-Stil rechts neben dem Wagen lässt mich nach wie vor an das Mittelmeer denken. Aber schon Odysseus musste die Erfahrung machen, dass das Meer weit und die Wege der Götter unergründlich sind.
So bleibt die Frage vorerst offen: An welche Gestade hatte es diesen Heimkehrer gespült?
Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Der Frage nach dem Standort des Autos wollte ich mal versuchsweise nachgehen. Kürzlich las ich, dass es Apps gibt, die das identifizieren können. Die App, die ich soeben erstmals benützt habe, heißt GeoSpy. Sie lieferte mir Portoferraio auf Elba und ich konnte zumindest Ähnlichkeiten finden, aber nach mehreren Jahrzehnten hat sich dort baulich sicherlich einiges verändert.
Ich bin mir nicht sicher, ob das die (richtige) Lösung ist.
War Odysseus einstmals auch auf Elba so wie Jahrtausende später ein gewisser Herr Napoleon?
Danke für die Anregung – aber auf mich wirkt die Szene nicht wie in einer der idyllischen (und mondänen) Städte der oberitalienischen Seen. Auch der Dampfer im Hintergrund links scheint mir eine Nummer zu groß dafür zu sein. Aber wir werden sehen – einer meiner Leser wird es schon wissen.
Hallo Michael!, Warum nicht Gardasee? oder einen der anderen Oberital. seen? Danke für deinen stets erfreulichen und mit Spannung erwartenden Blog!