Irgendwie sympathisch unmodern: Mercedes-Benz 170V

Dem Titel meines heutigen Blog-Eintrags darf man ruhig anmerken, dass ich mich damit schwergetan habe. Denn das tue ich mich auch – rein sachlich betrachtet – mit dem automobilen Gegenstand der Betrachtung.

Die vielen Freunde des Mercedes-Benz 170V, der 1936 eigeführt wurde und nach dem 2. Weltkrieg noch eine ganze Weile weitergebaut wurde, müssen heute nachsichtig sein. Ihr Liebling kommt erst einmal überhaupt nicht gut weg, und das aufgrund schnöder Fakten.

Am Ende bekomme ich aber noch die Kurve, wenn er nämlich wie ein sympathisches Gegenbild einer ins Gesichtslose strebenden Moderne plötzlich gute Figur macht.

Beginnen wir aber erst einmal mit der harten Realität. Als der Mercedes 170V erschien, war er der konservativ gestaltete und konstruierte Bruder des parallel eingeführten Heckantriebsmodels 170H. Dessen vermeintlich modernem Konzept war keine große Zukunft beschieden, das Auto bot eigentlich nur Nachteile und war eine Konzession an einen gewissen in Deutschland herrschenden Zeitgeist – Stichwort: Volkswagen.

So gesehen verwundert es nicht, dass der 170V die heckgetriebene Variante überlebte und stückzahlenmäßig weit in den Schatten stellte. Dieser Triumph relativiert sich freilich, wenn man einen Blick darauf wirkt, was ein wirklich modernes Auto in deutschen Landen in der zweiten Hälfte der 1930er Jahr in der unteren Mittelklasse wirklich bieten konnte.

Daran gemessen, sah der Mercedes 170V schon im Jahr seiner Erscheinung in jeder Hinsicht alt aus. Als Maßstab dient mir ausgerechnet ein Fiat – nämlich der 1935 eingeführte Typ 1500, der auch im Heilbronner Werk als NSU-Fiat gebaut wurde:

Fiat 1500 A mit deutscher Zulassung; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Der Wagen mied zwar ebenfalls radikale Experimente – gestalterisch wie technisch – aber er war dennoch das weit überlegene Fahrzeug und kam zudem optisch dynamischer daher.

Unter der Haube arbeitete im Ggegensatz zum Mercedes ein sehr laufruhiger 6-Zylindemotor und trotz des deutlich geringeren Hubraums leistete das Aggregat mit 45 PS deutlich mehr (38 PS beim 170V). Fiat nutzte nämlich eine zeitgemäße Ventilsteuerung (ohv) im Gegensatz zu der ineffizienten Seitenventilkonstruktion beim Mercedes.

Auch mit 12 Volt-Elektrik punktete Fiat. Hydraulische Bremsen und Stoßdämpfer waren Standard wie beim 170V. Die Abmessungen waren nahezu identisch, wobei der Fiat 1500 ohne Mittelpfosten auskam und damit einen konkurrenzlos bequemen Einstieg ermöglichte.

Zum Nachvollziehen hier die Test-Karte der gefürchteten Zeitschrift „Motor-Kritik“ von 1938:

Testkarte von „Motor-Kritik, 1938; Original: Sammlung Michael Schlenger

An Fahrkomfort und Straßenlage des Turiners wusste die „Motor-Kritik“ nichts auszusetzen – im Gegenteil. Überhaupt findet man keinen nennenswerten Mangel in der Darstellung.

Leider liegt mir vom Mercedes 170V keine vergleichbare Testkarte vor. Dass der Fiat mit gemessenen knapp 120 km/h ein ganzes Stück schneller war als der Mercedes, liegt auf der Hand. Mich würden aber vor allem die Verbrauchsdaten im Vergleich interessieren.

Die von der Motor-Kritik gemessenen Werte scheinen jedenfalls für einen damaligen Wagen dieser Größe und Leistung durchaus günstig – aber schauen Sie selbst:

Testkarte von „Motor-Kritik, 1938; Original: Sammlung Michael Schlenger

Ein nicht unwesentliches Detail sei noch erwähnt: Während der Fiat 1500 eine zeitgemäße Ganzstahlkarosserie besaß, wurde der Mercedes 170V noch in traditioneller Manier mit blechbeplanktem Holzaufbau gefertigt.

Nach diesem Überblick wäre aus meiner Sicht überhaupt nur ein einziger objektiver Vorteil des Mercedes gegenüber dem Fiat zu nennen – der um etwas 10 % niedrigere Preis.

Ansonsten scheint mir für den Erfolg des 170V das Markenprestige und ein konservativer Geschmack deutscher Käufer in dieser Klasse ausschlaggebend gewesen zu sein.

Während der Fiat 1500 (ohne deutsche Produktion) bis 1943 in rund 40.000 Exemplaren entstand, konnte Mercedes von seinem 170V bis 1941 beeindruckende 70.000 Stück absetzen (ohne Kübelwagen-Version).

Nach dem Gesagten erscheint der Mercedes zwar nun wirklich nicht gerade wie ein idealer Repräsentant moderner Automobilbau-Tendenzen. Doch zumindest auf diesem Foto von Leser Klaas Dierks kommt ein Exemplar als zugkräftiger Vertreter des Fortschritts daher:.

Mercedes-Benz 170; Aufnahme aus dem 2. Weltkrieg; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Dieser Mercedes 170V mit der ab Kriegsbeginn 1939 im Deutschen Reich vorgeschriebenen Tarnbeleuchtung wurde als „Behelfslieferwagen“ in der Landwirtschaft eingesetzt – hier offenbar bei der Heuernte.

Dass der der Wagen in diesem Kontext geradezu ulttramodern erscheint, ist schlicht auf den extrem niedrigen Motorisierungsgrad in der deutschen Landwirtschaft zurückzuführen.

Man darf sich von der damaligen technischen Führungsrolle der deutschen Industrie in einigen Bereichen wie Maschinenbau, Chemie und Optik sowie Prestigeprojekten der nationalsozialistischen Planwirtschaft nicht täuschen lassen:

In der Landwirtschaft war Deutschland damals noch sehr rückständig. Während in den USA motorisierte Schlepper, Mähdrescher und dergleichen bereits Standard waren, gab es abgesehen von sehr großen Betrieben in Nord- und Ostdeutschland in der Breite so gut wie keine Kraftfahrzeuge bei den Bauern.

Dieses unter Produktivitätsaspekten naheliegende Feld blieb bei der Förderung der Motorisierung durch das Regime im wahrsten Sinne des Wortes unbeackert.

So konnte man in den 1940er Jahren auch mit einem vollkommen traditionellen Automobil wie dem Mercedes 170V geradezu wie die Speerspitze des Fortschritts daherkommen.

Doch spätestens nach Kriegsende war unübersehbar, dass der Wagen in jeder Hinsicht veraltet war. Was damals ein modernes europäisches Auto der unteren Mittelklasse definierte, das repräsentierte beispielsweise der ab 1948 gebaute Peugeot 203.

Es dürfte vor allem am fehlenden Kapital gelegen haben, dass Daimler-Benz noch bis Anfang der 1950er Jahre am Mercedes 170V festhielt und das durchaus mit Erfolg – kein Zweifel. So anachronistisch der Wagen damals längst erschien, so wirkungsvoll grenzte er sich aus Sicht von Kunden vom Zeitgeist ab, die ihre Probleme mit der Moderne hatten.

Und genau da wird er mir ungeachtet seiner technologischen Rückständigkeit mit einem Mal richtig sympathisch. Denn so ein Mercedes 170V ist nun einmal ein denkbar großer Kontrast zu den von jeder Tradition entkoppelten Tendenzen im modernen Bauen ab den 1950er Jahren:

Mercedes 170 V Ende der 1950er Jahre in Rom; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Na, wer erkennt auf Anhieb, wo dieses bemerkenswerte Foto entstanden ist? Selbst wer schon einmal am selben Ort war, wird sich vermutlich kaum daran erinnern können.

Das lässt bereits das Hauptproblem der modernen Bauweise erkennen – sie ist ortlos, d.h. ohne Bezug zu regionalen oder kulturellen Prägungen. Damit ist sie einer der frühesten Vertreter global einebnend und identitätsraubend wirkender Phänomene der Moderne.

Entsprechend nimmt die Gestaltung solcher modernistischer Bauten keinerlei Rücksicht auf lokale Prägungen und Architekturbestände. Nur selten lässt sie außerdem Rückschlüsse auf die Funktion und Bedeutung des Baus zu.

Der Elemente des Baus auf dieser Aufnahme bedient sich lediglich in den Dimensionen variiert wahlweise eine Stadthalle, ein Museum, ein Kongresszentrum, ein Flughafen oder eine Sportarena.

Hätten Sie gedacht, dass dieser gigantische Kasten mit davorgestelltem Glas-Beton-Eingangsbereich der Hauptbahnhof einer für ihre historischen Bauten und Kunstschätze aus über 2. Jahrtausenden berühmten und vielbereisten Stadt ist?

Und selbst wenn Sie es wissen, weil sie schon einmal da waren: Ist Ihnen von Ihrem Besuch eine besondere Erinnerung an diesen Bau geblieben? Vermutlich kaum, obwohl das die Stazione Termini mitten in Rom ist, wo seit 150 Jahren die Züge aus dem Norden ankommen.

Leider wich der ursprüngliche Bau, der eine charaktervolle Mischung aus strengem Klassizismus und schwungvollem Stahlbau war, in den 1930er Jahren einem Neubau.

Doch selbst dessen erhaltene Teile – im Stil des damals international gängigen Neoklassizismus – waren noch dem Anspruch eines angemessenen Entrées in die Ewige Stadt angemessen. So nehmen die Fenster Bezug auf die nahegelegenen monumentalen Hallen der Diokletiansthermen – nebenbei von eiligen Rom-Besuchern gern übersehen.

Hier haben wir die mit dem ortsüblichen Travertin verkleidete Seitenfassade des von der Moderne verschont gebliebenen Bahnhofsteils mit einem Fiat 1100 aus den 1940er Jahren:

Fiat 1100 „Musone“ in Rom; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ich war bisher dreimal mit dem Zug in Rom und habe an die Stazione Termini keine spezifische Erinnerung mehr – von dieser Seitenfassade abgesehen.

Vermutlich schenkt außer speziellen Jüngern der architektonischen Moderne auch kaum einer dem Vorbau der 1950er Jahre Beachtung oder macht gar Fotos davon.

Darin liegt für mich als unbelehrbaren Verächter dieser in unseren Städten seit dem Krieg so verheerend wirkenden Bautendenz der paradoxe Reiz des vorgestellten Fotos mit dem Mercedes 170V vor der Stazione Termini in Rom.

Nun mag einer fragen: „Wenn er doch keine Erinnerung an das überdimensionierte Tankstellendach mehr zu haben behauptet, wie konnte er die Örtlichkeit erkennen?“

Das ist einfach zu erklären, denn auf dem Foto ist ein bauliches Relikt zu sehen, dass selbst im heutigen desolaten Zustand nach 2.300 Jahren noch genug Charakter hat, um auf Anhieb wiedererkannt zu werden, sofern man es einmal gesehen hat:

Hinter der freundlich schauenden Touristin, sicher zu dem Mercedes gehörend, sind die Reste der einst rund 10 Meter hohen und 11 Kilometer langen Stadtmauer Roms aus der Frühzeit der Stadt zu sehen, als diese noch eine – wenn auch aufstrebende – Regionalmacht war.

Die Art des Mauerwerks und die Dimensionen der Steine erkannte ich auf Anhieb wieder, auch wenn die letzte Romreise rund 30 Jahre her ist.

Selbst als Ruine hat so ein antiker Zweckbau für mich mehr Reiz und Erinnerungswert als die Beton-Machwerke der Gegenwart, die noch dazu optisch wie statisch oft nicht gut altern.

So kommt es, dass am Ende der von mir nicht sonderlich freundlich behandelte Mercedes 170V als sympathischer Vertreter von Gestaltungstendenzen erscheint, die es einem leicht machen, sich dafür auf einer emotionalen Ebene zu erwärmen:

Und so verstehe ich natürlich, wenn für einen heutigen Besitzer eines solchen Mercedes sein Wagen der schönste und beste überhaupt ist – speziell wenn er ihn schon lange begleitet und zum Träger persönlicher Erinnerungen geworden ist.

Gerade Vorkriegsautos mit ihrer sehr weit in unserer Vergangenheit wurzelnden, organischen Gestaltungslogik machen es leicht, einen persönlichen Zugang zu einem technischen Objekt aufzubauen, die sich kühler Rationalität letztlich entzieht…

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

4 Gedanken zu „Irgendwie sympathisch unmodern: Mercedes-Benz 170V

  1. Vielleicht hätte die 3. Variante zum Thema 170 mehr Gnade gefunden. Neben dem Standart 170V und dem Hecktriebler 170 H sollte noch ein 170F als Fronttriebler gestellt werden. Nach dem Tod Röhre der das Projekt betreute ist es leider zu dieser Version nicht gekommen. Wer weiß wie die MB Geschichte mit Frontantrieb weitergegangen wäre.

  2. Ähnliche Nehmerqualitäten bot der Hanomag Rekord, noch schwächer motorisiert, aber mit ähnlichen Abmessungen, ohne Mercedes-Prestige und genauso teuer. Von keinem anderen deutschen Vorkriegswagen liegen mir soviele Fotos aus den späten 40er und 50er Jahren vor wie vom Hanomag.

  3. ja ja – dieser Mercedes 170 V und später 170 S und 220 ….
    Vorkriegs-Formgebung, im 170 V wurde hinten Dach und Heckblech an einem Holz zusammengenagelt, Motoren mit viel Durst, wenig Leistung und nicht Vollgasfest (Ausnahme: Die Diesel-Versionen), aber andererseits nahezu unzerstörbar, man mache sich klar, wie lange die Autos im Strassenbild auftauchten –
    300-600.000 km waren durchaus drin.

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