Kriegsrhetorik ist gerade wieder einmal in Mode – speziell in Europa, wo man auf dem Sektor außer großen Worten nichts Ernstzunehmendes aufzufahren hat, das ist auch gut so.
Aber weil es gerade schick ist bei Herren jenseits des wehrfähigen Alters, mit markigen Vokabeln in der Gegend herumzuschießen – Sie wissen schon: Kriegstüchtigkeit usw. – will ich meinen Teil beitragen, natürlich auch nur rhetorisch.
So tippe ich patriotisch begeistert meinen Front-Bericht aus Wernigerode herunter und komme mir ganz großartig hervor.
Denn mich alten Panzergrenadier, Richtkanonier und Häuserkampf-Experten aus der Zeit des Kalten Kriegs betrifft mich die Chose ebenfalls nicht mehr direkt.
Die erforderliche Begeisterung für die deutsche Heimat entzündet sich bei aller Italien-Leidenschaft leicht an Anblicken wie diesem:

Ist es nicht großartig, was unsere Vorfahren im ausgehenden Mittelalter vermocht haben? Hier haben wir das Rathaus in Wernigerode im Harz und stehen sprach- und hilflos vor dem Können der Altvorderen.
Das Erdgeschoss mit dem gotischen Spitzbogen stammt – wenn ich es richtig verstanden habe – aus dem 13. Jahrhundert. Der wunderbar erhaltene Fachwerkaufbau darüber wurde Ende des 15. Jh. fertiggestellt und steht seither fast unverändert.
Selbst die 1944 einsetzenden alliierten Bombenangriffe auf Wernigerode überstand der Bau unbeschadet. Rund 700 andere Gebäude wurden zerstört oder beschädigt und hunderte Frauen und Kinder wurden getötet. Die Männer waren ja an der Front…
Natürlich dürfen daneben die Opfer des nationalsozialistischen Horrors nicht unerwähnt bleiben – in der Nähe von Wernigerode gab es mehrere Zwangsarbeiterlager, in denen der gewalttätige Tod ebenfalls Alltag war.
Im April 1945 schließlich – vier Wochen vor Kriegsende – wurde Wernigerode Frontstadt zwischen den zurückweichenden deutschen Truppen und dem überlegenen US-Militär.
Dass die Stadt dabei nicht endgültig vernichtet wurde, verdankt sie einer Person, die aus heutiger Sicht kaum noch zu verstehen ist: Oberst Gustav Petri.
Mehrfach verwundeter Veteran des 1. Weltkriegs und überzeugter Berufssoldat war er, aber nach den Quellen kein Anhänger des Nationalsozialismus – dennoch Teil der deutschen Militärmaschinerie, die ab 1939 fast ganz Europa verheerte.
Leicht ist es, aus heutiger Schreibtischperspektive, das Urteil über ihn zu fällen.
Aber: Er war es, der Anfang April 1945 als Abschnitts-Kommandant die Einbeziehung Wernigerodes in die Front verweigerte und damit die sichere Zerstörung durch die US-Luftwaffe verhinderte.
Oberst Petri bezahlte das mit dem Leben, er wurde anschließend von in Deutschland stets leicht verfügbaren Denunzianten und Befehls-Fanatikern erschossen und verscharrt.
Das wäre es fast mit meinem heutigen Frontbericht aus Wernigerode. Weil mir die Sache so nahegeht, hätte ich fast vergessen, dass es hier ja vor allem um Vorkriegsautos geht.
Drehen wir also die Zeit etwas zurück und schauen uns Wernigerode noch einmal genau aus Sicht des Front-Berichterstatters an.
Denn neun Jahre, bevor Oberst Petri für seine Entscheidung zur Rettung von Wernigerode das Leben ließ, hatte sich dort 1936 ein ganz anderer Front-Erfahrener eingefunden:
Dieses elegante zweitürige Cabriolet, welches einst vor dem prächtigen Rathaus von Wernigerode mitabgelichtet worden war – wohl eher zufällig – war nämlich der erste Vertreter der Frontantriebsmodelle von Audi – der Typ UW 8/40 PS von 1933/34.
Von dem 6-Zylindermodell wurden nur rund 1800 Exemplare gebaut, bevor es vom weit stärkeren Nachfolger Audi Front 225 abgelöst wurde. Entsprechend selten sind Fotos dieses Wagens.
Doch immerhin mit einer formidablen Aufnahme dieses ersten Audi mit Vorderradantrieb kann ich aufwarten – und natürlich in derselben perfekt gestylten Ausführung als zweitüriges Cabriolet mit Aufbau von „Gläser“ (Dresden):
Sie sehen: Am Ende nimmt meine Front-Berichterstattung aus Wernigerode doch noch eine halbwegs glückliche Wendung.
So etwas Schönes und über die Zeiten Beeindruckendes vermag die Gegenwart hierzulande kaum noch hervorzubringen.
Ich wüsste jedenfalls nicht, wann ich aus jüngerer Zeit etwas dermaßen Vollkommenes in Sachen Architektur oder Automobilbau in Deutschland registriert hätte wie die beiden Meisterwerke beim heutigen Frontbericht aus Wernigerode…
Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Die Erinnerung an die finstren Figuren wie an die leuchtenden Gestalten ist auch deshalb so wichtig, weil die zugrundeliegenden Mentalitäten immer wieder zutagetreten können. Im 3. Reich wurde weder das Böse noch der Heldenmut erfunden. Wir müssen daher immer wachsam sein.
Die Dame wird wohl einen Begleiter gehabt haben, der einen besseren Überblick hatte. Einen solchen Wagen kaufte ja niemand, der mit der Übersichtlichhkeit Probleme hatte.
Diesmal haben Sie wieder eine beeindruckende geschichtliche Exkursion in die dunkelste Zeit Deutschlands unternommen, Herr Schlenger. Danke!
Ihr Text über Oberst Petri, den Retter von Wernigerode und sein Schicksal, zeigt mit aller Deutlichkeit auf, welcher Irrsinn damals im „Reich“ herrschte. Das ehrenhafte und erfolgreiche Ansinnen Petris, den Frontverlauf so zu beeinflussen, dass die Stadt Wernigerode vor der völligen Zerstörung bewahrt wurde – einige Brandbomben hätten die mittelalterliche Bausubstanz, bestehend aus viel Holz, in kürzester Zeit erfolgreich vernichtet – hat er mit dem Leben bezahlt.
Hier drängt sich mir als geborenem Breslauer der Vergleich zum damaligen Zweiten Bürgermeister Breslaus, dem bei der Bevölkerung sehr beliebten Wolfgang Spielhagen *, auf. Der trat dem Ansinnen des berüchtigten Gauleiters Schlesiens, Karl Hanke, entgegen, die inzwischen zur Festung erklärte Großstadt mit allen Mitteln zu verteidigen. Spielhagen war sich aufgrund der Übermacht der Roten Armee den zu erwartenden Folgen für die Stadt und ihre Bevölkerung bewusst. Er riet zur Kapitulation, um unzählige zivile Opfer und die Zerstörung der schönen Stadt zu vermeiden.
Anders als Oberst Petri in Wernigerode hatte Spielhagen keinen Erfolg. Die Bevölkerung wurde an einer rechtzeitigen Flucht gehindert – bis zum 20. Januar 1945, als der eklatant verspätete Evakuierungsbefehl erlassen wurde. Die Folgen sind bekannt: Tausende Menschen, hauptsächlich Frauen und Kinder, überlebten die dramatische Flucht bei Temperaturen von -20 Grad nicht. Auf Befehl des Gauleiters wurde Spielhagen wegen „maßloser Feigheit“ standrechtlich erschossen und seine Leiche wurde in die Oder geworfen. Näheres hierzu: https://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Spielhagen
*) Mein Großvater Erich Randt hatte als Direktor des Staatsarchivs Breslau sehr viele und enge Kontakte mit Spielhagen. Zitat meiner Großmutter: Sie waren Brüder im Geiste.
Die Zuordnung der gestreckten Siluette des Cabrios vor dem eigentlichen Fotomotiv des Wernigeroder Rathauses scheint mir nicht ganz so eindeutig wie hier behauptet:
Der Unschärfe der Aufnahme geschuldet ist das äußerliche Unterscheidungsmerkmal, die Gestaltung der Haubenentlüftung, ist daher nicht eindeutig bzw. garnicht zu erkennen . Also können wir uns nur an die eindeutig als dunkel lackiert erkennbaren Halteringe der Radkappen halten – und dieses Merkmal traf erst auf die UW 225- Ausführung von ’35-36
zu.
Die Gläser- Karosserie war im Übrigen bis zur letzten (’38er)
Ausführung immer gleich geblieben.
Das Foto des dunklen Cabrios, an den geöffneten breiten Luftklappen eindeutig als UW- Typ zu erkennen, erinnert mich an die katastrophale Unübersichtlichkeit dieser Cabrios .
Die zierliche Fahrerin am Steuer, deren Augen nur knapp die untere Fenterkante der Frontscheibe überblicken konnten, übersah ihren Wagen in keiner Himmelsrichtung !
Vielen Dank für diese Beschreibung. Aus einem konkreten Anlass recherchiere ich seit mehreren Jahren über diesen „Uwe“, es gelingt mir nicht seine Biografie mit zuverlässigen Daten und Fotos zu belegen. So freue ich mich über jede Zeile, die etwas frisches hergeben.
P.S.: Das Kennzeichen bedeutet Thüringen?