Wo ist es am Rhein so schön? Audi Typ G 8/22 PS

Der heutige Blog-Eintrag ist wirklich von gestern! Wenn Sie jetzt denken, dass Sie von mir nichts anderes erwarten, dann ist das natürlich richtig. Es kommt aber noch etwas hinzu.

Tatsächlich wollte ich bereits gestern wieder einmal über den Audi Typ G 8/22 berichten, der vor rund 100 Jahren das Basismodell der Marke war. Doch dann kam einiges dazwischen – so absorbierten einige weitere Fotos meine Aufmerksamkeit und mir lief die Zeit davon.

Daher entschied ich mich, „neue“ Aufnahmen für die Publikation vorzubereiten und meine Fotogalerien um Bilder zu ergänzen, welche ich in letzter Zeit hier besprochen habe. Dann gibt es noch meine internationale Facebook-Gruppe, in der ebenfalls stets etwas los ist.

So blieb es bei dem Titel „von gestern“, der kurioserweise auch noch einen bereits überholten Kennntisstand meinerseits wiederspiegelt. Denn meine fragende Variation über das Thema „Wie ist es am Rhein so schön“ entsprang dem Umstand, dass ich gestern noch nicht wusste, wo genau diese hübsche Aufnahme entstanden war:  

Audi Typ G 8/22 PS im Rheintal; Originalfoto: Michael Schlenger

Natürlich kam mir die liebliche Flusslandschaft auf Anhieb bekannt vor, in der einst dieser Tourenwagen einen Fotohalt eingelegt hatte. Mir war die Gegend noch aus einer Zeit bekannt, als ich für ein paar Jahre in Wiesbaden wohnte und arbeitete.

Damals pflegte ich bei schönem Wetter nach Dienstschluss aus der mondänen Adolfsallee nach Hause zu eilen und Hemd und Krawatte gegen T-Shirt und Lederjacke einzutauschen. Dann ging es mit dem Motorrad – einer einzylindrigen 500er – oft in den Rheingau, um bis Sonnenuntergang die landschaftlichen Schönheiten der Region zu „erfahren“.

In dieser völlig unbeschwerten Zeit, die nun schon 25 Jahre zurückliegt, habe ich viele der historischen Orte im Mittelrheintal angesteuert, aber meistens nur gestreift. Das ziellose Fahren mit einer drehmomentstarken Maschine im warmen Abendwind auf schöngeschwungenen Straßen mit wenig Verkehr war der eigentliche Zweck.

So kam mir die Situation auf Anhieb bekannt vor, doch wollte mir zunächst nicht einfallen, wo am Rhein es so schön ist:

Da dachte ich mir, dass ich die Identifikation des Aufnahmeorts ruhig meinen Lesern überlassen kann, die auch in dieser Hinsicht oft meine Wissensdefizite auszugleichen wissen. Damit war schon einmal der Titel gefunden.

Ich für meinen Teil würde unterdessen herausarbeiten, was das für ein Wagen war, der vor dieser Kulisse einst abgelichtet worden war. Mir fiel das ausgesprochen leicht, wohl auch, weil ich dem Originalfoto stets noch etwas mehr Informationen entnehmen kann.

„Das muss ein Spitzkühler-Audi sein“, dachte ich gleich – also eines der Modelle, die ab Ende des 1. Weltkriegs für kurze Zeit das Gesicht der Marke prägten. In der Literatur finden sich einige Abbildungen davon, wobei kein Wagen ganz dem anderen gleicht.

Die frühen Audis waren stets Manufakturwagen, und die Aufbauten wurden meist von separaten Karosserieherstellern zugeliefert. Auch der eigenwillige Spitzkühler unterlag einigen Variationen – hier haben wir ein brilliantes Beispiel dafür:

Audi Typ G 8/22 PS; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Diese Aufnahme aus dem Fundus von Leser Klaas Dierks sucht ihresgleichen. Nicht nur zeigt sie den Audi-Spitzkühler in idealer Weise, sondern zugleich den zugehörigen Wagen just zu dem Zeitpunkt, als er fertig für eine vielleicht neue Karosserie war.

Festzuhalten ist für unserer Zwecke in erster Linie die Gestaltung des nach unten vorspringenden Spitzkühlers mit dem beiderseitigen Abdeckblech, das die Lücke zum Rahmen hin schließt.

Ich muss Sie leider mit dergleichen Details belästigen, weil Sie mir sonst womöglich nicht bei der Ansprache unseres am Rhein parkierenden Wagens als einem solchen Spitzkühler-Audi folgen wollen. Auch die Gestaltung der Radnaben prägen Sie sich bitte ein.

Nach diesem raffinierten „Framing“ haben Sie nun kaum noch eine Chance, sich nicht meiner These anzuschließen, dass hier ebenfalls ein Spitzkühler-Audi zu sehen ist:

Ja, die Position des (nicht leserlichen) Audi-Emblems ist eine etwas andere, aber solche Variationen finden sich bei den damaligen Wagen dieses Herstellers je nach Baujahr.

Sollte jemand unter Ihnen zu einer völlig anderen Einschätzung gelangen und diese begründen können, freue ich mich über entsprechende Aufklärung. Ohne Querdenker entgeht man der Falle vermeintlicher Wahrheiten nicht, welche „Experten“ gern aufstellen.

Ich kann also auch falsch liegen, weil ich mich zu sehr auf meine Erfahrung verlasse und es außerdem bequem ist, selbstgewiss rasch zu endgültigen Schlüssen zu gelangen.

Eingedenk dessen formuliere ich daher auch meine Identifikation dieses Wagens als Audi des Typs G 8/22 PS ausdrücklich als These. Ich halte es jedenfalls für sehr wahrscheinlich, dass dieser auf dem Foto kompakt wirkende Tourer keiner der stärkeren und größeren nach dem 1. Weltkrieg weitergebauten Typen wie C 14/35 oder gar E 22/55 PS war.

Einschränkend ist anzumerken, dass es den Audi G 8/22 PS auch mit einem etwas längeren Chassis gab wie den Typ C. Allerdings war die schwächere Ausführung die mit Abstand am häufigsten gebaute Anfang der 1920er Jahre.

Viel mehr (ver)mag ich gar nicht zu erzählen zum heutigen Kandidaten. Nur eines möchte ich noch festhalten: Wo es am Rhein so schön ist, das ist mir dann doch noch eingefallen. Das war aber nicht gestern, sondern erst heute.

Und das Schöne ist: Dort, wo dieser Audi einst für uns Nachgeborene festgehalten wurde, dort ist es heute noch schön wie gestern. Der Ort ist nämlich Bacharach – und zumindest in der Hinsicht lasse ich mich als erfahrener Rheingau-Experte auf keine Diskussionen ein…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Dass es das noch gibt: Audi „Zwickau“ in Rothenburg

Bei meinen nächtlichen Zeitreisen in die Welt der Vorkriegsautomobile mache ich die erstaunlichsten Beobachtungen – und lerne selbst immer wieder Neues dazu. Dabei geht es bisweilen nur am Rand um die Fahrzeuge selbst.

Diesmal haben wir die Situation, dass alles zusammenkommt: Mensch und Maschine, grandioser Karosseriebau und enorme Leistung, Technik der Neuzeit und uralte Architektur.

Dass sich alles so schön zueinander gesellt, dass verdanke ich zum einen der Zusammenarbeit mit Gleichgesinnten, zum anderen einer gewissen Intuition, die Dinge auf interessante Weise zu kombinieren – so hoffe ich zumindest.

Beginnen wir doch der Einfachheit halber mit dem Thema „Mensch und Maschine“, denn damit gewinnt man die Herzen der Leser am zuverlässigsten, nicht wahr?

Audi Typ SS 20/100 PS “Zwickau”; Originalfoto: Michael Schlenger

Diese wunderbare Foto aus meiner Sammlung spricht Bände, was die vollkommene Andersartigkeit von Vorkriegsautos angeht.

Da gibt es freistehende Kotflügel, die sich vorzüglich als Rutschbahn eigneten, wären da nicht die praktischen Scheinwerfer, an denen man sich bei Bedarf festhalten kann. Und der mutigste der Buben sitzt rittlings und stolz wie Oskar auf dem Kühlergehäuse.

Geeignete Kletterhilfen sind ebenfalls vorhanden – im ersten Schritt geht es auf die verchromte Doppelstoßstange, dann stützt man sich auf der ebenfalls noch ziemlich massiven Querstange zwischen den Scheinwerfern ab.

Dabei hält man sich für alle Fälle an der „Eins“ fest, die bei diesem Wagen als Kühlerfigur fungiert, hier freilich verborgen ist. Man ahnt ihre Funktion auf einem zweiten Foto, das Leser Marcus Bengsch an Land gezogen hat, aus derselben Quelle schöpfend wie ich:

Audi Typ SS 20/100 PS “Zwickau”; Originalfoto: Marcus Bengsch

Diesem schönen Zufall verdanken wie eine Familienzusammenführung nach 91 Jahren, denn dieses Foto, das offenbar denselben Wagen zeigt, entstand im März 1932.

Dass es sich um einen 8-Zylinder-Audi handelt, das ist klar, auch wenn hier das Zwickauer Stadtwappen prominenter angebracht ist als der Markenschriftzug.

Wer sich in die Vorgeschichte dieses Wagens einlesen will, kann dies in einem älteren Blog-Eintrag tun (hier). An dieser Stelle sei nur wiederholt, dass von 1929-32 ganze 457 Wagen des Modells mit dem in den USA eingekauften 5,1 Liter-Motor entstanden.

Das gewaltige Reihenaggregat verlangte viel Platz – sehr viel Platz. Das erklärt den Radstand von 3,50 Meter, welcher den Audi „Zwickau“ von dem äußerlich sonst sehr ähnlichen 6-Zylinder-Modell „Dresden“ unterschied.

Die Proportionen des folgenden Audi sprechen stark für das große Modell „Zwickau“, wie ich bereits in einem älteren Blog-Eintrag dargelegt habe (hier):

Audi Typ SS 20/100 PS “Zwickau”; Originalfoto: Michael Schlenger

Bei dieser repräsentativen Pullman-Limousine tritt der menschliche Aspekt hinter den schieren Dimensionen in den Hintergrund. Aber auch der nüchterne Blick auf die Maschine muss dem Studium der meisterhaft gezeichneten Karosserie weichen.

Hier sehen wir die typischen Elemente, die dazu beitragen, dass das enorme Volumen des Aufbaus optisch ansprechend gestaltet wird. Man muss sich vergegenwärtigen, dass diese Limousine fast 1,90 Meter hoch und knapp fünf Meter lang war.

Wesentlichen Anteil daran, dass der Audi dennoch nicht erschlagend wirkt, haben die Zweifarblackierung und der Kunstgriff, die Türen weit niedriger erscheinen zu lassen, als sie es tatsächlich sind, indem die untere Hälfte farblich vom Oberteil abgesetzt ist.

So wird die Länge des Aufbaus betont, da die Kante der Motorhaube scheinbar bis ans Heck durchläuft. Die helle Einfassung der Seitenfenster wiederum nimmt dem Oberteil der Türen die Massivität.

Eine einzige solche Pullman-Limousine hat übrigens nach meinem Kenntnisstand die Zeiten überdauert (Quelle: Audi-Automobile 1909-1940, P. Kirchberg/R. Hornung, 2009).

Leider kann man dies nicht von der Variante als viertürigem Cabriolet behaupten, das auf dem folgenden Foto von Leser Klaas Dierks zu sehen ist:

Audi Typ SS 20/100 PS “Zwickau”; Originalfoto: Klaas Dierks

Wären da nicht die „Eins“ auf dem Kühler und die fünf bis sechs Felder mit Luftschlitzen in der Motorhaube, wäre es nicht so einfach, dieses Fahrzeug mit dem zuvor gezeigten in Verbindung zu bringen.

Die deutlich andere Wirkung ist mehreren Faktoren zuzuschreiben: Vielleicht am markantesten ist die schrägstehende Frontscheibe, die hier überdies ausgestellt ist.

Dann wären da die abgerundete Türunterseite und natürlich der gänzlich andere Dachaufbau mit relativ einfach gestalteten Fensterrahmen. Dies und die Ausführung der dunklen Zierleiste entlang des Passagierabteils erscheinen mir gemessen an den besten Beispielen solcher Aufbauten wie etwa von Gläser (Dresden) wenig elegant.

Die im Standardwerk zu Gläser-Karosserien (Michael Brandes: Gläser Karosserie Dresden, 2021) abgebildeten Aufbauten dieses Typs von Anfang der 1930er Jahre kommen zwar ebenfalls mit schrägestehender Windschutzscheibe und unten abgerundeter Tür daher.

Bei ihnen ist jedoch in den meisten Fällen der Vorderkotflügel länger nach hinten gezogen, sodass das Ersatzrad darin eingebettet ist. Außerdem sind die seitlichen Zierleisten im Bereich der Türen speziell bei sehr langen Aufbauten raffinierter gestaltet.

Ich mag falsch mit meiner Einschätzung liegen, doch konnte ich keine vollständige Übereinstimmung mit einem Gläser-Aufbau finden, obwohl die Karosseriemanufaktur ausdrücklich auch Aufbauten für den Audi Typ „Zwickau“ lieferte.

Vielleicht weiß ein Kenner mehr, dann bitte die Kommentarfunktion nutzen.

Ich will die heutige Betrachtung noch auf etwas anderes lenken. Denn hinter dem Audi auf dem Foto von Klaas Dierks ist eine Struktur zu erkennen, die mir bekannt vorkam.

Genau dasselbe mittelalterliche Stadttor ist auf einer weiteren Aufnahme zu sehen, die einen Tourenwagen der 1920er Jahre zeigt, welchen ich nicht eindeutig identifizieren kann.

unbekannter Tourenwagen der frühen 1920er Jahre; Originalfoto: Michael Schlenger

Ich weiß nicht mehr wie, aber nach einigen Bildrecherchen im Netz kam ich darauf, dass es sich um die Spitalbastion in Rothenburg ob der Tauber handelt.

Natürlich bietet der ganze Ort, der kurz vor Kriegsende von einem der militärisch sinnlosen (für die Besatzungen aber immer noch brandgefährlichen) Bombenangriffe der Alliierten heimgesucht wurde, unendlich viele pittoreske Fotomotive.

Doch aus irgendeinem Grund war die Spitalbastei bei Automobilisten besonders beliebt.

Es hat einen speziellen Grund, weshalb ich an dieser Stelle das vollständige Originalfoto zeige, das Leser Klaas Dierks beigesteuert hat:

Audi Typ SS 20/100 PS “Zwickau”; Originalfoto: Klaas Dierks

Wenden Sie bitte für einen Moment den Blick von dem mächtigen Audi und dem monumentalen mittelalterlichen Mauerwerk dahinter ab.

Schauen Sie stattdessen nach links durch das schlichte Tor und nehmen die Bank vor dem Haus mit dem geöffneten Fensterladen ins Visier. Situation eingepägt?

Dann wissen Sie jetzt auf Anhieb, wo einst das folgende Foto entstanden ist, das einen Wanderer des Typs W10-IV (Bauzeit: 1930-32) zeigt – also ein weiteres sächsisches Automobil, hier allerdings mit Zulassung im Badischen:

Wanderer W10-IV Cabriolet, Bauzeit: 1930-32; Originalfoto: Sammlung Marcus Bengsch

Dieses Foto habe ich hier ausführlich besprochen. Damals wusste ich noch nicht, wo es entstanden war. Jetzt weiß ich es und so kann ich meine Rekonstruktion der automobilen Welt von gestern an einer Stelle wieder ein klein wenig genauer gestalten.

Natürlich ist es völlig sinnlos, sich an solchen Puzzlespielen zu erbauen, aber irgendwie muss man ja seine Zeit herumbringen außer mit Arbeiten.

Vielleicht hat die Sache aber auch ein Gutes, nämlich jetzt weiß ich, dass man es in Rothenburg ob der Tauber nach dem Krieg verstanden hat, entgegen dem primitiv-funktionalistischen Trend hierzulande, den zerstörten Teil der Altstadt wenigstens dem Grundsatz nach wieder erstehen zu lassen.

Für den Kulturpessimisten in mir ist das eine der wenigen Gelegenheiten, innezuhalten und mit unzähligen Besuchern dieses Kleinods zu sagen: Schön, dass es das noch gibt!

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Eine Kleinigkeit verrät ihn: Audi-Tourer um 1920

Bonjour Tristesse, ist derzeit mancher geneigt zu sagen. Die Weihnachtsfeiertage sind vorüber, vielleicht ging es ja nicht so harmonisch zu wie erhofft, weil ein Energiespar-Extremist in der Familie Anstoß an der „unnötigen“ elektrischen Baumbeleuchtung nahm.

Vielleicht genügt aber schon das hierzulande im Winter vorherrschende Grau, um die Stimmung zu drücken. Seien wir froh, dass wir nicht solchen Naturgewalten ausgesetzt sind, wie sie in anderen Ländern wie aktuell in Nordamerika in der kalten Jahreszeit toben.

Eine milder Winter ist das Beste, was uns passieren kann; dafür nehme ich gern die Trübsal in Kauf, die sich bei verhangenem Himmel an kurzen Tagen treu und zuverlässig einstellt.

Selbst die Gegenwart eines historischen Automobils vermag dann nicht immer spontan für Begeisterung sorgen – obwohl in diesem Fall sogar noch Blätter an den Bäumen sind:

Audi-Tourenwagen um 1920; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die Insassen dieses auf den ersten Blick beliebig wirkenden Tourenwagen schauen so traurig drein, als seien sie auf dem Weg zum Zahnarzt – ihre Laune an einem offenbar diesigen Tag war jedenfalls nicht die beste.

Auch beim passionierten Vorkriegsautofreund kann sich hier kein rechter Enthusiasmus einstellen. Es war ja auch ein forderndes Jahr mit rund 200 langen Blog-Einträgen, die nicht immer spannend ausfielen, bisweilen auch zu Widerspruch oder Kopfschütteln anregten.

Wie in allen Lebenslagen gilt: „love it or leave it“ – es gibt jede Menge Alternativen. Empfehlen kann ich beispielsweise diese und diese und diese. In Deutschland? Tja…

Sie sind noch dabei? Fein, dann schauen wir, wie wir dem obigen, Anfang der 1920er Jahre entstandenen Foto doch noch etwas Positives abgewinnen können.

Dazu blenden wir erst einmal zehn Jahre zurück, schon hellt sich die Stimmung auf, man wähnt sich in einer anderen Welt.

Nein, ich meine keinen Zeitsprung zurück ins Jahr 2012 zurück, als die Welt aus heutiger Perspektive eine andere (und noch halbwegs in Ordnung) war. Vielmehr reisen wir ins Jahr 1912 – in etwa… – als diese schöne Aufnahme am Walchensee in Bayern entstand:

Audi Typ C 14/35 PS am Walchensee; Original aus unbekannter Zeitschrift (Sammlung Michael Schlenger)

Schön am Ufer platziert steht ein urwüchsig wirkender Tourenwagen, im Hintergrund sieht man den östlich in den See hineinragenden Teil der Gemeinde Walchensee, aufgenommen vom Südwestende des Silbertsgraben. Dieselbe Aussicht bietet sich einem heute noch.

Uns soll an dieser Stelle aber etwas anderes interessieren – bloß eine Kleinigkeit für den ordinären Betrachter, für uns Vorkriegsautoforscher aber ein wichtiges Leitmotiv, wie wir noch sehen werden.

Dazu werfen wir einen näheren Blick auf den am See geparkten Wagen. Dieser stammt offenbar von 1910/11, als sich die ansteigende Partie zwischen Motorhaube und Windschutzscheibe bei deutschen Serienwagen etablierte – der sog. „Windlauf“, bisweilen auch als „Windkappe“ oder „Torpedo“ (das Ganze steht hier für ein Teil) bezeichnet:

Audi Typ C 14/35 PS am Walchensee; Original aus unbekannter Zeitschrift (Sammlung Michael Schlenger)

Nur mit langwierigen Recherchen oder einem fotografischen Gedächtnis wäre man wohl darauf gekommen, dass dieses Auto ein Audi war.

Zum Glück findet sich ebendiese Information in der Bildunterschrift – und noch dazu die genaue Typangabe: 14/35 PS!

Dazu passt ganz wunderbar die folgende Reklame aus meinem Fundus, die auf 1911 datiert die damals erhältlichen Motorisierungen nennt, die für die Typen B , C und D standen. 1910 war als erster Audi überhaupt der Typ A 10/22 PS eingeführt worden:

Audi-Reklame von 1911; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Der Tourenwagen auf dieser Reklame entspricht sehr weitgehend dem am Walchensee abgelichteten Exemplar, nur eine Kleinigkeit hat der Grafiker weggelassen, der aber entscheidende Bedeutung bei der Identifikation früher Audis zukommt.

So erkennt man an dem Wagen am Walchensee etwas oberhalb der seitlichen Haubenschlitze in der Mitte ein Element, dessen Form und Funktion sich aus dieser Perspektive noch nicht erschließen mag.

Wir finden es aber bei vielen Audis der Frühzeit wieder. Einigen fehlt es, aber wenn es vorhanden ist, weiß man zuverlässig, dass man es mit einem Audi zu tun hat. Das folgende Bildbeispiel macht dies anschaulich, auch wenn man genau hinsehen muss:

Audi (wohl Typ C) um 1912; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die Kühlergestaltung mit dem ovalen, halb in das Kühlernetz hineinragenden und nach innen geneigten Markenblem verweist eindeutig auf Audi, die Karosserie spricht für eine Entstehung ab 1912.

Von den Luftschlitzen in der Motorhaube sind nur die oberen Ende zu erkennen, wichtiger ist aber das darüber befindliche ringförmige Element. Mit diesem minimalistischen „Griff“ ließ sich bei den damaligen Audis die Haubenseite anheben.

Ich habe diese Lösung bisher nur bei Audi-Wagen gehäuft gefunden, weshalb ich dazu neige, sie als markentypisch anzusehen.

Hier haben wir ein weiteres Beispiel – eventuell handelt es sich um das schwächere Modell B 10/28 PS mit nur drei Haubenschlitzen – auf jeden Fall ist es ein Audi, wohl von 1913/14:

Audi (wohl Typ B) ab 1913; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Bei der Gelegenheit kann man sich auch die Gestaltung der Radnaben einprägen.

Außerdem sei hier festgehalten, dass die Partie zwischen Trittbrett und Rahmen bereits mit einem Blech verkleidet ist – was beim Audi am Walchensee nicht der Fall war – doch die vordere Aufnahme der hinteren Blattfedern ist noch frei zugänglich.

Auch das sind kleine Details, die von der Evolution der Autogestaltung künden, wobei es diesbezüglich auch andere Ansätze gab – etwa in Form kunstlederner Abdeckungen wie bei dieser prächtigen Audi-Limousine:

Audi (wohl Typ D) von 1913/14; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Sie haben gleich den erwähnten Haubenheber registriert? Auch die Radnaben sehen nach Audi aus, nicht wahr?

An diesem in Chemnitz als Hochzeitsauto fungierenden Exemplar finden sich ebenfalls noch die bis zum 1. Weltkrieg dominierenden Gasscheinwerfer.

Diese waren meist (nicht immer, siehe den Audi am Walchensee) trommelförmig und wiesen stets Öffnungen an der Oberseite auf, durch welche die Verbrennungsdämpfe aus dem verbrannten Karbidgas entweichen konnten.

Allerdings sind die Standleuchten im Windlauf bereits elektrisch betrieben, was ab 1913 zum Standard wurde. Elektrische Frontscheinwerfer waren damals noch ein teures Extra und blieben außer bei Spitzenklasseautomobilen die Ausnahme.

Nach dem 1. Weltkrieg waren die an ihrer Schüsselform und dem Fehlen von Abgaslöchern erkennbaren elektrischen Frontscheinwerfer dagegen der Regelfall. Ihr Vorhandensein ist daher ein Indiz für ein Nachkriegsmodell, allerdings wurde eine elektrische Anlage bei gut erhaltenden Vorkriegswagen auch öfters nachgerüstet.

Letzteres vermute ich bei dem Exemplar auf dem eingangs gezeigten Foto:

Audi-Tourenwagen um 1920; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Sie hatten diese trübsinnfördernde Aufnahme doch nicht zwischenzeitlich vergessen? Leider muss ich darauf zurückkommen und auch damit enden.

Immerhin können wir hier nun das Gelernte gleich anwenden: Nabengestaltung und der kleine ringförmige Haubenheber sprechen klar für einen Audi ab 1911. Der harmonisch an die Motorhaube anschließende Windlauf legt konkret eine Entstehung ab 1913/14 nahe.

Auch die nunmehr ganz verkleidete Schwellerpartie und die in einem Kasten verborgene hintere Federaufnahme sind Indizien dafür, dass dieses Exemplar ein fortgeschrittenes Stadium der Audi-Fahrzeugistorie repräsentiert.

Da nach dem Krieg an den Audi-Wagen jedoch besagter Haubenheber verschwindet und sich ein Spitzkühler etabliert, gehe ich davon aus, dass wir es trotz der elektrischen Scheinwerfer letzlich doch mit einem späten Vorkriegsmodell zu tun haben.

Bei der Motorisierung möchte ich mich nicht genau festlegen, die Typen B, C und D sowie der ab 1913 neu dazugekommene Typ E waren mit teils identischen Radständen verfügbar.

Immerhin konnten wir anhand einer Kleinigkeit herausfinden, dass es sich überhaupt um einen Audi handelt – und das ist doch ein erfreuliches Ergebnis.

Wer sich dennoch partout der Tristesse hingeben möchte, welche die Aufnahme nun einmal ausstrahlt, kann das anhand eines weiteren Details dieses Audis tun. Das seitlich angebrachte Schild verweist nämlich auf den Ort Neviges nördlich von Wuppertal.

Dort findet man ein besonders schlimmes Beispiel für die brutalstmögliche Beton-Moderne in Form der monströsen Wallfahrtskirche, die Ende der 1960er Jahre rücksichtslos ins historische Ortsbild hineingewuchtet wurde wie ein Weltkriegsbunker.

Aber herrje, nach dem Krieg wurde ja auch sonst kurzer Prozess mit der Tradition gemacht hierzulande – mehr als in jedem anderen Land wurden historische Automobile ebenfalls „entsorgt“ – wieder einmal lockte leicht verführbare Geister eine leuchtende Zukunft, in der alles besser werden würde.

So bleiben uns Vorkriegsautofreunden in deutschen Landen allzuoft nur traurige Relikte, mitunter Kleinigkeiten, an denen man sich erbauen kann – ja muss, um sich der Tristesse des Hier und Jetzt zu entziehen…

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Gab’s schon damals mit Breitreifen… Audi E 22/55 PS

Die Audis der Moderne stehen in keiner historischen Verbindung zu jenen der Vorkriegszeit. Nach dem Krieg war zwar die Auto-Union mit ehemaligen Mitarbeitern in Ingolstadt neu gegründet worden. Doch baute man nur noch Zweitaktwagen in DKW-Tradition.

Der Markenname Audi wurde erst reaktiviert, nachdem die Auto-Union von Daimler-Benz übernommen worden war. Der erste Audi basierte weiterhin auf einer DKW-Konstruktion und erhielt obendrein einen von Mercedes-Technikern entwickelten Motor…

Später wanderte die Marke zum Volkswagenkonzern und erst unter Ferdinand Piech wurde Audi allmählich zu einer Premiummarke – für Menschen, die es sehr eilig haben.

Wer öfters auf der Autobahn unterwegs ist, kennt das: Man ist mit rund 160-170 km/h auf der linken Spur unterwegs, während sich von hinten ein Audi mit hoher Geschwindigkeit nähert.

Man ist dann gut beraten, Platz zu machen, und kann dann noch einen kurzen Blick auf die walzenartigen Breitreifen des meist als Kombi ausgeführten Audis werfen.

In dieser Hinsicht bin ich jüngst auf eine überraschende Verbindung zu den Audis aus Vorkriegstagen gestoßen, die man damals nur als Nachkriegstage kannte.

Breitreifen hatte man nämlich auch schon in den frühen 1920er Jahren im Angebot! Hier der Beweis:

Audi Typ E 22/55 PS; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Diese prächtige Aufnahme, die wir Leser Matthias Schmidt aus Dresden verdanken, zeigt ganz klar einen Audi der ersten Hälfte der 1920er Jahre.

Zu erkennen ist das an dem exzentrisch gestalteten Kühler, dessen Front von oben nach unten immer spitzer zuläuft. Interessanterweise konnte ich bisher keine Angabe dazu finden, ab wann genau Audi diese Kühlergestalt einführte.

Meine Vermutung ist die, dass sich Audi dem ab 1913/14 bei vielen Marken im deutschsprachigen Raum einsetzenden Trend zum Spitzkühler erst spät anschloss. Jedenfalls ist mir noch keine Abbildung eines Spitzkühler-Audis begegnet, der eindeutig vor dem 1. Weltkrieg gebaut wurde (und nicht später modernisiert wurde).

Den frühesten mir bekannten Beleg – sofern man das überhaupt so sagen kann – stellt diese großartige Audi-Reklame aus der Allgemeinen Automobil-Zeitung von 1917 dar:

Audi-Reklame (auf 1917 datiert); Original aus Sammlung Michael Schlenger

Der Spitzkühler an dem darauf abgebildeten Wagen ist stark stilisiert wiedergegeben, wie auch das ganze Auto mit einiger künstlerischen Freiheit, aber sehr gekonnt gezeichnet ist.

Wie bei vielen solchen Anzeigen aus der Spätphase des 1. Weltkriegs wurde hier möglicherweise bloß dokumentiert, was man sich für die Zukunft vorstellte. Audi baute zu dieser Zeit ja praktisch nur noch Autos für den Heeresbedarf.

Nicht auszuschließen ist, dass wie im Fall von Benz nach dem Krieg der modische Spitzkühler eine Weile parallel zum konventionellen Flachkühler verbaut wurde. Jedenfalls scheinen mir alle Spitzkühler-Audis aus der Zeit ab 1919 zu stammen.

Dummerweise sahen sich die nebeneinander angebotenen Modelle wie schon vor dem Krieg sehr ähnlich – nur die Größe und die Proportionen erlauben in einigen Fällen eine klare Eingrenzung des Typs.

Auf welche Schwierigkeiten man dabei stoßen kann, dafür ist das heute vorgestellte Foto ein gutes Beispiel.

Werfen wir einen näheren Blick auf die Frontpartie (nur die wurde von Audi selbst ausgeführt (die übrige Karosserie konnte von einer beliebigen Manufaktur stammen):

Der Spitzkühler und die nach hinten versetzten Haubenschlitze waren den drei Hauptmodellen in der ersten Hälfte der 1920er Jahre gemeinsam.

Den kleinen Typ G 8/22 PS mit unter drei Metern Radstand können wir hier getrost ausschließen. Damit verbleiben der Typ C 14/35 PS und der Typ E 22/55 PS mit Vierzylinderaggregaten, die 3,6 bzw 5,7 Liter Hubraum besaßen.

Alle drei Wagen entsprachen übrigens noch sehr weitgehend den gleichnamigen Vorkriegskonstruktionen. Da es damals noch keine äußerlich sichtbaren Typenbezeichnungen gab, ist man in solchen Fällen auf Schätzungen angewiesen.

Es kann ein der Perspektive geschuldeter Irrtum sein, aber mir scheint beim großen Typ E 22/55 PS der Teil der Motorhaube ohne Luftschlitze etwas länger zu sein als beim Model C 14/35 PS. Darauf allein sollte man aber vielleicht sein Urteil nicht stützen.

Auch die Wagenlänge ist kein verlässlicher Indikator. So war der „kleine“ Audi C 14/35 PS mit drei Radständen von 2,90 m bis 3,20 m erhältlich. Diese Skala überschnitt sich mit derjenigen beim Typ E 2/55 PS, die von 3,17 m bis 3,46 m reichte.

Das kann man also ebenfalls vergessen, zumal da uns ein Vergleichsmaßstab fehlt.

Diesen kann zwar mitunter der Reifendurchmesser liefern, aber das geht nur bei Aufnahmen, die den Wagen genau von der Seite zeigen (dann kann man in einem Dreisatz den Radstand recht genau ermitteln).

Im Fall des Audi auf dem Foto von Matthias Schmidt liefert uns das Reifenformat dennoch einen wichtigen Hinweis. Sowohl auf dem Ersatzrad als auch auf dem Hinterrad ist nämlich als Dimension 895 x 150 angegeben.

Das will so gar nicht zu den Angaben in der Standardliteratur zu Vorkriegs-Audis passen (Kirchberg/Hornung: Audi-Automobile 1909-1940, Verlag Delius-Klasing). Dort ist für den Typ E 22/55 PS nämlich lediglich 880 x 135 bzw. 935 x 135 angegeben.

In beiden Fällen waren die Reifen also wesentlich schmaler (13,5 cm statt 15,0 cm). Immerhin können wir auf diese Weise zumindest das Modell C 14/35 PS ausschließen, denn dort waren Reifen mit viel kleinerem Durchmesser (820 x 120) montiert.

Was ist von der Faktenlage zu halten? Nun, in solchen Fällen kann es helfen, sich von vorgefassten Urteilen zumindest vorübergehend zu distanzieren. So erwog ich kurz, dass das Reifenformat auf den 1921 neu eingeführten Audi Typ K 14/50 PS verweisen könnte.

Der war nämlich laut Literatur genau mit solchen Pneus ausgestattet, die man auch hier besichtigen kann:

Audi Typ K 14/50 PS; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Die zahlreicheren Lufschlitze in der Haube müssen kein zwingender Hinweis auf eine andere Motorisierung sein (wenngleich sie es oft sind).

Aber ein Detail verrät uns, dass der Wagen auf dem ersten Foto unmöglich ein solcher Audi Typ K 14/50 PS sein kann. Dieser besaß nämlich als erstes deutsches Auto schon ab 1921 Linkslenkung, während die älteren Audi-Modelle nach wie vor rechtsgelenkt waren.

Wenn aber Audi beim neuen und sehr schwer ausgefallenen Typ K Reifen dieser Dimension verwendete, liegt die Vermutung nahe, dass man diese zumindest für das größte der noch aus der Vorkriegszeit stammenden Modelle mit ähnlicher Leistung ebenfalls anbot.

Interessanterweise wiesen die Fahrgestelle des Typs E 22/55 PS (in der längsten Ausführung) und des neu eingeführten Modells K 14/50 dasselbe Gewicht auf: 1400 kg.

Das spricht aus meiner Sicht sehr dafür, dass wir es bei dem Audi auf dem ersten Foto tatsächlich um ein Modell E22/55 PS mit Radstand 3,46 m zu tun haben. Es erhielt daher entweder auf Wunsch oder serienmäßig die gleichen Reifen wie der neue Typ K 14/50 PS.

Wir sehen: Breitreifen begannen bei Audi schon vor 100 Jahren wichtig zu werden.

Unterschätzen wir auch nicht die Leistungsfähigkeit dieser frühen Fahrzeuge. Der große Audi E22/55 PS war schon 1914 für 90-100 km/h Spitze gut. Der spätere K-Typ wies zwar viele Neuerungen auf (ohv-Motor), aber schneller war er keineswegs.

Da wird man sich als Fahrer eines Typs E22/55 PS gesagt haben: „Meiner kann immer noch locker mithalten, aber sicherer erscheinen mir die breiten Reifen des neuen K-Typs.

Überhaupt zeigten sich schon damals mehr Vorzeichen der Moderne, als einem konservativ gesonnenen Geist lieb sein konnte. Haben Sie die scheußlichen Blumenkästen am Balkon im Hintergrund gesehen?

Ja, das triste Regiment des immergleichen Schukartons in der Gestaltung begann schon damals. Mag sein, dass die davor sitzende junge Dame deshalb so wehmütig zurückblickt. Auch für den Audi mit seinen modischen Breitreifen hatte sie nichts übrig…

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Stets zu Diensten: Audi Landaulet von 1913/14

Die Literatur zu frühen Vorkriegswagen gibt Erfindern, Finanziers und Gestaltern von Automobilen breiten Raum – ganz nach Verdienst, keine Frage.

Doch daneben gab es weitere dienstbare Geister, ohne die sich kein Auto vom Fleck bewegt hätte, geschweige denn auch nur existiert hätte.

Die Rede ist von den Männern, welche die frühen Autos mit ihren eigenen Händen bauten, und diejenigen, welche die Wagen für ihre vermögenden Besitzer warteten und steuerten.

Natürlich sind sie fast immer anonym geblieben, was jedoch ihrer Bedeutung keinen Abbruch tut. Der einzige, der meines Wissens zumindest auch denjenigen ein Denkmal gesetzt hat, die einst in der Produktion beschäftigt waren, ist Michael Schick.

In seinem akribischen Werk zur Geschichte der fabelhaften Steiger-Wagen aus Burgrieden werden – soweit noch bekannt – sämtliche Mitarbeiter des Werks namentlich mit ihrem Tätigkeitsfeld erwähnt. Diese liebevolle Würdigung hat etwas Anrührendes.

Vergleichbares ist mir nicht möglich, doch wenn sich die Gelegenheit ergibt, rücke ich gern diejenigen in den Vordergrund, die stets zu Diensten waren, wenn es um Bau und Betrieb eines Automobils ging, aber meist im Schatten stehen.

Arbeiterromantik liegt mir fern – schließlich ist jeder seines eigenen Glückes Schmied und kann sich mit Fleiß, Bildungs- und Risikobereitschaft auch ein Dasein jenseits des unersprießlichen Rackerns für andere erarbeiten, sofern er nicht gehandikapt ist.

Dennoch ziehe ich meinen Hut vor den Männern, deren Können wir den Bau und den Betrieb prachtvoller und ungeheuer kostbarer Fahrzeuge wie diesem verdanken:

Audi Typ C oder D von 1913/14; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Diese schöne Aufnahme aus dem Fundus von Leser Klaas Dierks illustriert das Motto „Stets zu Diensten“ in idealer Weise.

Stets zu Diensten war zunächst dieser Audi seinen Besitzern, die ihn der Frontpartie nach zu urteilen 1913 oder 1914 im Zwickauer Werk in Auftrag gaben.

Die Gasscheinwerfer verraten, dass wir es noch mit einem Vorkriegsmodell zu tun haben, während der harmonische Übergang von der Motorhaube zum Windlauf vor der Frontscheibe gegen eine frühere Entstehung spricht:

Die genaue Motorisierung ist kaum zu ermitteln. Zwar darf man den 1914 eingeführten kleinen Typ G 8/22 PS aufgrund der Dimensionen ausschließen. Doch ansonsten könnte dies ein Typ C 14/35 PS oder D 18/45 PS, eventuell sogar ein Typ E 22/55 PS sein.

Für den dokumentarischen Wert ist das auch unerheblich. Interessanter ist der repräsentative Aufbau, welcher auf sehr vermögende Besitzer schließen lässt.

Das enorm geräumige Passagierabteil war durch eine Scheibe vom Fahrerraum getrennt – die Kommunikation mit dem Chauffeur erfolgte über ein Sprachrohr.

Offenbar waren die Insassen durch Lamellen bzw. einen gestreiften Vorhang vor neugierigen Blicken geschützt. Jedoch konnte man nach Belieben auf der rückwärtigen Sitzbank auch im Freien sitzen, denn dort ließ sich das Dach öffnen.

So war dieser Audi seinen Besitzern je nach Lust und Laune stets zu Diensten. Dasselbe galt jedoch auch für den Mann, der hier im Arbeitsanzug neben „seinem“ Audi posiert:

Ich vermute, dass wir hier den Chauffeur des Audi vor uns haben, der sich durch seine Fahrermütze als solcher ausweist, während sein übriges Outfit für eine Arbeitssituation spricht.

Oder könnten wir es mit einem Angehörigen von Militär oder Polizei zu tun haben, der „lediglich“ für die Wartung des Wagens zuständig war?

Eine dritte Möglichkeit wäre, dass es sich um einen Arbeiter in einem Karosserie- oder Reparturbetrieb handelt, der sich bloß einmal mit ausgeliehener Chauffeursmütze vor solch einem Repräsentationwagen ablichten lassen wollte.

Sicher ist nur, dass der Mann in einer Funktion tätig war, die es erforderte, „stets zu Diensten“ zu sein. Das schließt einen gewissen Stolz keineswegs aus, den ich hier auf dem Gesicht zu erkennen meine.

Was meinen Sie zu der Situation und dem Audi, meine geschätzten Leser?

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Ein Opfer des Kriegs: Audi 225 Luxus Cabriolet

Historische Fotos von Vorkriegswagen haben etwas von einer Zeitmaschine. Sie bewahren oder wecken die Erinnerung an vergangene Lebenswelten und Menschen, deren Träume und Leidenschaften – noch dann, wenn diese selbst längst Geschichte sind.

Die große Zäsur, die uns davon trennt – abgesehen von der langen Zeit, die seither vergangen ist – stellt der 2. Weltkrieg dar. In den meisten Ländern Europas war nach 1945 kaum noch etwas wie zuvor und sollte es auch nur in den seltensten Fällen wieder werden.

Opfer dieses Kriegs finden sich in den beteiligten Ländern praktisch in allen Familien und oft ist die Erinnerung an sie noch lebendig – oder sie wird es wieder bei der Betrachtung alter Fotos in den Alben der Altvorderen.

Mit einem Opfer dieses Kriegs – oder bei genauer Betrachtung mit zwei – beschäftigt sich mein heutiger Blog-Eintrag.

Möglich gemacht hat ihn Wolfgang Müller-Judex, der mir ein Foto zur Verfügung gestellt hat, das für ihn voller persönlicher Geschichte ist. Es ist zugleich für uns Dritte ein Dokument, das uns mit der Geschichte unseres Landes konfrontiert, die solange lebendig ist, wie sich jemand mit ihr beschäftigt und ihr etwas für’s Heute abzugewinnen versucht.

Das Auto, um das es dabei (auch) geht, ist uns bereits wiederholt begegnet, unter anderem auf diesem Foto von Leser Matthias Schmidt (Dresden):

Audi Front 225 Luxus Vierfenster-Cabriolet von Gläser; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

1936 brachte Audi diese optisch überarbeitete Version seines Frontantriebswagens 225 heraus. Die verbesserte Ausstattung, das größere Platzangebot und der reichlichere Chrom-Zierrat rechtfertigten die offizielle Bezeichnung als „Front Typ 225 Luxus“.

Das zweitürige Cabriolet mit vier Seitenfenstern, das wir hier sehen, besaß einen Aufbau der Manufaktur Gläser aus Dresden, die mit ihren perfekt ausbalancierten Formen eine Klasse für sich im deutschen Automobilbau war.

Die ovale dunkle Plakette am unteren Ende der A-Säule des Wagens findet sich bei allen Gläser-Aufbauten (sofern der Käufer nicht darauf verzichtete).

Denselben Aufbau gab es von Gläser freilich in noch raffinierterer Farbgestaltung – ebenfalls in Hell-Dunkel-Ausführung, doch zusätzlich mit farblich akzentuierter Partie oberhalb der Schulterlinie (im Fachjargon als Sattel bezeichnet).

Aus meiner Sicht entfaltet sich die Schönheit der offenen Gläseraufbauten am vollkommensten in einer solchen Ausführung:

Audi Front Typ 225 Luxus; Originalfoto aus Familienbesitz (Wolfgang Müller-Judex)

Diese schwer überbietbare Ausführung des Gläser-Vierfenster-Cabriolets auf Basis des Audi Front Typ 225 Luxus gönnte sich einst der Vater von Wolfgang Müller-Judex.

Er konnte sich dieses Prachtstück leisten, hatte er als studierter Versicherungsmathematiker doch einen gut dotierten Posten als Direktor einer Assekuranz erlangt.

Beinahe 7.000 Reichsmark waren für dieses Manufaktur-Automobil zu berappen – das entsprach beim Erscheinen des Typs im Jahr 1936 annähernd dem vierfachen Brutto- Jahreseinkommen eines durchschnittlichen sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmers.

Nur darf man nicht meinen, dass der Besitzer eines solchen Luxuswagens zwangsläufig auf Rosen gebettet war. Zum einen hatte er eine äußerst anspruchsvolle und langwierige Ausbildung absolviert und sich mit besonderem Können seine Position erarbeitet.

Zum anderen machte der Ausbruch des 2. Weltkriegs früher oder später alle mehr oder weniger gleich – denn dem Kriegseinsatz entging man nur bei Vorliegen körperlicher Behinderungen, da half alles Geld der Welt nicht.

So wurde auch der Vater von Wolfgang Müller-Judex 1940 zu einer Einheit der Luftwaffe einberufen. Sein Audi wurde in Berlin stillgelegt – der Räder beraubt aufgebockt.

Wolfgang Müller-Judex liefert eine interessante Begründung dafür, dass der Wagen zunächst nicht wie unzählige andere Privat-PKW von Staats wegen eingezogen und dem Militär zur Verfügung gestellt wurde.

So sei die Bodenfreiheit des Audi Front Typ 225 Luxus zu gering gewesen, um den Wagen für den Fronteinsatz abseits befestigter Straßen geeignet zu machen. Der Frontantrieb kann es jedenfalls nicht gewesen sein, waren doch Adler-Fronttriebler und ab 1940 vor allem Citroens des Typs „Traction Avant“ bei der Wehrmacht sehr verbreitet und geschätzt.

Was im weiteren Kriegsverlauf mit dem eingemotteten Audi seines Vaters geschah, konnte mir Wolfgang Müller-Judex nicht sagen. Er besitzt aber eine lebhafte Erinnerung an das Fahrzeug, saß er doch einst selbst mit seinen Schwestern auf der Haube des Wagens!

Mit diesem 1939 entstandenen Foto haben wir also den ganz seltenen Fall, dass wir noch quasi aus erster Hand etwas über einen Vorkriegswagen erfahren können.

Dass uns Wolfgang Müller-Judex an dieser persönlichen Erinnerung aus den späten 1930er Jahren teilhaben lässt, das ist ein außerordentliches Privileg und wir dürfen uns heute vor einem im besten Sinn „alten Herrn“ in Dankbarkeit verneigen.

Die Geschichte des Audis ist an dieser Stelle freilich noch nicht zuende. Wie der Titel bereits ahnen lässt, ist das Auto höchstwahrscheinlich am Ende ein Opfer des Kriegs geworden, jedenfalls ist nichts über seinen Verbleib bekannt.

Etwas mehr als ein Dutzend Audis des Typs Front 225 Luxus in der Ausführung als Vierfenster-Cabriolet haben die Zeiten überdauert (Quelle: Audi Automobile, Peter Kirchberg/Ralf Hornung, Verlag Delius-Klasing, 2. Auflage 2015).

Könnte einer davon der Wagen des Vaters von Wolfgang Müller-Judex sein? Denkbar, aber nicht mehr beweisbar. Auch solche Verluste an Familientradition zählen zu den Opfern des Kriegs.

Noch mehr gilt das aber für die Teilnehmer desselben, sofern diese sich nichts haben zuschulden kommen lassen. Das muss auch für diejenigen Soldaten auf deutscher Seite gelten, die den Krieg zwar gefochten, aber nicht angezettelt haben (das waren Politiker).

Der Vater von Wolfgang Müller-Judex geriet im Kriegsverlauf in sowjetische Gefangenschaft und kehrte erst eine Weile nach Kriegsende nach Deutschland in die Heimat zurück. Was er in der Zwischenzeit erlebt hatte, das wollen wir nicht wissen.

Sein früher Tod im Jahr 1957 macht ihn jedenfalls für Wolfgang Müller-Judex ebenfalls zu einem Opfer des Kriegs. Damit wir uns recht verstehen: Unser Mitgefühl verdienen auch die unzähligen Opfer speziell auf russischer Seite, die ebenfalls bloß Verfügungsmasse waren.

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Auf amerikanisch gemacht: Audi-Spitzkühlerwagen

In meinem letzten Blog-Eintrag ging es um ein Hanomag-Modell der frühen 1930er Jahre mit einem eigenwilligen Kühler – oben flach, unten spitz nach vorne auskragend.

Diese Gestaltungsweise war zwar markant, aber ziemlich von gestern. Sie orientierte sich grob an einer Idee, welche Audi kurz nach dem 1. Weltkrieg in die Tat umgesetzt hatte:

Audi (wahrscheinlich Typ G 8/22 PS); Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Diese großartige Aufnahme aus dem Fundus von Leser Klaas Dierks lenkt den Blick in idealer Weise genau auf dieses Element.

Spitzkühler tauchen bei Automobilen aus dem deutschsprachigen Raum gehäuft ab 1913/14 auf – Audi scheint sich diesem Trend jedoch erst ab 1919 angeschlossen zu haben. In der mir vorliegenden Literatur wird darüber kein Wort verloren.

Jedenfalls ist mir noch keine früher datierte Aufnahme eines Audis mit Spitzkühler begegnet – wenngleich ich auch hier wie immer gern dazulerne.

Heute kann ich jedenfalls ein Foto eines Spitzkühler-Audi präsentieren, der ohne jeden Zweifel im vorliegenden Erscheinungsbild ganz klar in der Nachkriegszeit zu verorten ist:

Audi Typ C 14/35 PS oder G 8/22 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Moment mal, mag jetzt mancher denken – dieser Wagen im amerikanischen Stil eines „Rumbleseat-Roadster“, also eines Zweisitzer-Cabriolets mit „Schwiegermuttersitz“ – soll ein Audi sein? Glaube ich nicht.

Verständlich, ich habe so etwas auch noch nie gesehen, aber ein näherer Blick auf die Frontpartie lässt jeden Zweifel schwinden – das ist ganz klar ein Spitzkühler-Audi!

Wer noch schwankt, nehme die Partie rechts unten neben dem in Fahrtrichtung rechten Scheinwerfer ins Visier – dort erkennt man, wie sich die Vorderkante des Spitzkühlers schräg nach vorne fortsetzt.

Das gab es in den 1920er am deutschen Markt nur bei Audi. Die beiden Herren, die uns hier etwas zwielichtig mustern, passen ebenfalls gut ins Deutschland jener Zeit. Ich würde sie jedenfalls weder in Frankreich oder England noch in Österreich oder Italien verorten.

Ungewohnt mag den Freunden der Spitzkühler-Audis, die bis etwa 1924 im Programm blieben, auch die Doppelstoßstange vorkommen. So etwas hat es ab Werk meines Wissens bei diesen Typen nie gegeben.

Doch findet man solche Stoßstangen nach US-Vorbild gehäuft ab Mitte der 1920er Jahre an deutschen Wagen – zuerst als Zubehör, später auch serienmäßig. Dazu passt ausgezeichnet das überlieferte Entstehungsjahr meines Fotos: 1926.

Wie es scheint, hat hier jemand einen Spitzkühler-Audi um die Mitte der 1920er Jahre mit einer neuen Karosserie im modischen Stil amerikanischer „Rumbleseat-Roadster“ neu einkleiden lassen.

Da es bei deutschen Fabrikaten in der ersten Hälfte der 1920er Jahre kaum nennenswerte technische Fortschritte gegeben hatte, sprach einiges dafür, einem gut eingefahrenen Audi-Modell der frühen 1920er einen moderneren Aufbau zu verpassen anstatt gleich ein ganzes neues Auto zu kaufen, was kaum etwas besser konnte.

So dürfte diese aus meiner Sicht reizvolle Kombination aus teutonischem Spitzkühler und Karosserie im amerikanischen Stil zustandegekommen sein. Die Insassen wirken jedenfalls so, als ob sie mit ihrem modisch aktualisierten Transportmittel zufrieden sind:

Übrigens wage ich die Behauptung, dass zumindest die Dame in der Mitte hinter dem Audi steht und nicht ebenfalls im Schwiegermuttersitz eingepfercht ist.

Denn unmöglich war dieser Wagen so breit, dass er auf den rückwärtigen Notsitzen mehr als zwei Personen Platz bot. Auch die relativ kurze Motorhaube spricht dafür, dass wir hier einen kompakteren Audi-Typ jener Zeit vor uns haben.

Den auch nach dem 1. Weltkrieg weitergebauten Typ E 22/55 PS mit seinem mächtigen 5,7 Liter-Motor können wir getrost ausschließen. So kommen für diesen Spitzkühler-Audi nur die Modelle C 14/35 PS und G 8/22 PS in Frage, ebenfalls beides Vorkriegskonstruktionen.

Mit der auf amerikanisch gemachten Karosserie war dieser Audi bis Ende der 1920er durchaus noch optisch auf der Höhe – wenngleich Kennern klar sein musste, dass man es im Kern mit einem älteren Modell zu tun hat.

Doch speziell mit der Motorisierung 14/35 PS war der Audi leistungsmäßig keineswegs veraltet. Mit an die 90 km/h Spitzengeschwindigkeit war er nach wie vor auf der Höhe, nur das Fehlen von Vorderradbremsen ließ das Alter der Konstruktion spüren.

Aber das scheint der modebewussten Truppe in dem Audi ebenso unwichtig gewesen sein wie die Tatsache, dass an der Vorderachse Reifen mit stark unterschiedlichem Profil montiert waren – heute wäre das ein Anlass für höchste Alarmbereitschaft.

Doch es waren andere Zeiten damals in Deutschland – wer überhaupt ein Auto besaß oder zumindest in einem mitfahren konnte, war bereits unerhört privilegiert.

Äußerlich ließ sich so ein Audi zwar einem Amerikanerwagen annähern, aber so völlig selbstverständlich für jedermann wie in den Staaten sollte ein eigenes Kraftfahrzeug hierzulande erst in den 1960er Jahren werden.

Wir sehen auf solchen Fotos aus deutschen Landen also praktisch immer Luxusobjekte – heute können Sie diese hier kostenlos genießen…

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Auch von der Seite monumental: Audi Typ „Zwickau“

Vor fast genau einem Jahr habe ich hier erstmals den Achtzylinder-Audi des Typs „Zwickau“ vorgestellt, der von 1929-32 in gut 450 Exemplaren gebaut wurde.

Der Wagen diente als Plattform der amerikanischen „Rickenbacker“-Motoren, die DKW-Chef Rasmussen nach Erwerb der Fertigungsmaschinen in Zwickau bauen ließ. Praktischerweise hatte Rasmussen zuvor auch Audi seinem Imperium einverleibt.

Die Vorgeschichte habe ich in einem älteren Blog-Eintrag erzählt, heute geht es mehr um das Erscheinungsbild dieser Kolosse, die zu den leistungsfähigsten Wagen gehörte, die je unter der Vorkriegsmarke Audi entstanden.

Bislang konnte ich nur mit der Frontpartie des Audi „Zwickau“ aufwarten, das entsprechende Foto verdanke ich Leser Marcus Bengsch:

Audi Typ „Zwickau“; Originalfoto aus Sammlung Marcus Bengsch

Dass wir hier den 100 PS starken 8-Zylindertyp „Zwickau“ vor uns haben, ist schwer zu übersehen. Den letzten Zweifel beseitigt das Zwickauer Stadtwappen, das für dieses Spitzenmodell als Kühleremblem diente.

Daneben gab es den recht ähnlichen Audi Typ „Dresden“, der mit einem Sechszylinder nach Bauart „Rickenbacker“ motorisiert war und interessanterweise weit seltener blieb (nur 75 Fahrzeuge dieses Typs wurden von 1930-32 gebaut).

Der Radstand des „Dresden“ war um 40 cm kürzer als der des „Zwickau“, doch ansonsten ist es gar nicht so einfach, die beiden Typen auseinanderzuhalten, speziell in der Seitenansicht.

Zur Illustration kann ich heute erstmals einen Audi „Zwickau“ von der Seite zeigen und werde darlegen, wieso es sich um keinen Typ „Dresden“ handelt:

Audi Typ „Zwickau“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wie kommt man nun überhaupt darauf, dass diese eindrucksvoll dimensionierte Pullman-Limousine ein Audi war?

Nun, zur Identifikation halten wir uns an das einzige Detail, das aus dieser Perspektive individuell erscheint – die in Gruppen zu je vier zusammengefassten Haubenschlitze.

Ohne diese könnte der Wagen alles Mögliche gewesen sein – eine Pullman-Limousine war ein klar definierter klassisch-konservativer Karosserietyp, der wenig Raum für Individualität ließ und durch seine schiere Größe und Proportion wirken sollte.

Die erwähnte Gestaltung der Lufschlitze in der Motorhaube findet sich dummerweise identisch beim Audi „Zwickau“ wie auch beim Schwestermodell „Dresden“.

Allerdings fällt die Fronpartie bei letzterem deutlich kürzer aus, weshalb sich die vordere Gruppe an Haubenschlitzen beim Audi „Dresden“ merklich näher am vorderen Haubenende befindet als hier:

Auch die Erfahrung unterstützt den Eindruck, dass hinter dieser endlos langen Motorhaube eher der lang bauende 5,1 Liter-Achtzylinder des Audi „Zwickau“ schlummert, als der „nur“ 3,8 Liter messende Sechszylinder des „Dresden“.

Tatsächlich ist auch das Verhältnis von Länge zu Höhe beim Achtzylindermodell ein etwas anderes als beim Sechszylinder, der insgesamt etwas kompakter wirkt, wenn man das bei einem 4,50 m langen und gut 1,75 m hohen Wagen so sagen kann.

Übrigens kommt mir die Plakette auf dem Schweller hinter dem Ersatzrad bekannt vor – kann jemand sie einem der zahlreichen Karosseriebauer zuordnen, die seinerzeit die Aufbauten für Audi fertigten?

Oder handelte es sich eher um eine Händlerplakette?

Zum Schluss noch ein Hinweis: Es ist kein Zufall, dass ich mich heute für eines dieser eindrucksvollen Audi-Modelle entschieden habe. Denn als Nächstes steht der „Fund des Monats“ an und dann komme ich auf ein heute nur beiläufig erwähntes Detail zurück…

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Ein ganz anderes Leben: Audi Typ K 14/50 PS Tourer

Dieser Tage gab es in meiner Heimatregion – der hessischen Wetterau zwischen Taunus und Vogelsberg – nach Wochen endlosen Graus und Regens ein paar Stunden Sonnenschein.

Ich machte mich zu Fuß auf zur Post – Sendungen mit Fotos alter Autos wollten an befreundete Sammler auf den Weg gebracht werden. Unterwegs traf ich eine Nachbarin, die bei Wind und Wetter mit der Präzision eines Uhrwerks ihren kleinen Hund ausführt. Diesmal hatte sie sich ganz ungewohnt mit einer Sonnenbrille gewappnet.

Schon von weitem rief ich: „Des is doch a ganz anner Lebe, oder?“ Sie lachte und antwortete: „Isch dacht‘ schon, die Sonn‘ wär‘ aach an Corona ingegange!“.

Ein ganz anderes Leben – wer wünscht sich das gerade nicht? Die Rückkehr in unser altes Leben würde für’s Erste genügen. Vielleicht kapiert man es in Berlin endlich auch, die meisten Nachbarländer haben es längst getan oder sind gerade dabei.

Deutsche Sonderwege werden aber bekanntlich bis zum Ende beschritten, so kann es noch etwas dauern, bis hierzulande die Normalität wieder einkehrt. So müssen wir uns anhand alter Fotos ein ganz anderes Leben herbeiträumen – so etwa könnte es aussehen:

Audi Typ K 14/50 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Selbst in Schwarzweiß meint man hier das Licht und die Wärme eines Sommertags zu spüren. Mit dem offenen Tourenwagen ein Ausflug auf’s Land, vielleicht ein Picknick an der frischen Luft unter einem Dach aus Blättern – das wäre in der Tat ein ganz anderes Leben.

Leider lässt das Wetter in derzeit nur virtuelle Ausflüge dieser Art zu, aber die haben auch ihre angenehmen Seiten.

Dazu gehört die Beschäftigung mit dem prachtvollen Tourer, der unschwer als Audi zu erkennen ist – vor dem Krieg eine Nobelmarke, die in einer kleinen Nische gedieh, ganz anders als man das heute kennt.

So unerhört rar Audis vor rund 100 Jahren auch waren, wird der markante, nach unten vorragende Spitzkühler Lesern meines Blogs bekannt vorkommen. Denn vor einiger Zeit stand selbiger sogar im Vordergrund einer Aufnahme, die ich hier eingeflochten hatte:

Audi Typ G 8/22 PS; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Auf den ersten Blick scheint der Kühler auf diesem seltenen Spitzenfoto dem zu gleichen, welcher den idyllisch abgelichteten Tourer auf dem eingangs gezeigten Bild schmückte.

Doch zwei Details verraten uns, dass wir es mit einem anderen Audi-Typ zu tun haben. Zum wird das ovale Audi-Emblem hier noch oben von der Kühlereinfassung eingerahmt, während es auf dem ersten Bild in den Kühlergrill hineinragt.

Zum anderen sitzt im Motorraum ein Aggregat, das man im Amerikanischen treffen als „Flathead“ bezeichnet. Dabei handelt es sich um einen flachbauenden Motor, dessen Ventile seitlich neben den Zylinder stehen, also nicht im Zylinderkopf darüber angebracht sind.

Entsprechend viel Platz ist hier nach oben, welcher der vom Kühler erhitzten Luft genug Raum gibt, um sich auszudehnen und sich durch die Schlitze der hier nicht vorhandenen Motorhaube zu verdünnisieren.

Ganz anders sieht das Bild aus, wenn die Ventile über den Zylindern hängend angebracht sind – dies hat nicht nur einen besseren Gaswechsel zur Folge, sondern bedeutet auch ein höher bauendes Aggregat, das den Motorraum ausfüllt.

Genau das war bei Audi erstmals beim 1921 eingeführten Typ K 14/50 PS der Fall, den wir anhand dieses repräsentativen Exemplars hier bereits kennenlernen durften:

Audi Typ K 14/50 PS; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Auch wenn dieser Audi filigrane Drahtspeichenräder besitzt, die den mächtigen Wagen leichter wirken lassen als er war – er brachte geschlossen gut 2 Tonnen auf die Waage – handelt es sich um denselben Typ wie bei dem Tourer auf dem eingangs gezeigten Foto.

Weniger als 200 Exemplare entstanden vom Typ K 14/50 PS zwischen 1921 und 1926 in reiner Manufaktur. Mit dem Spitzkühler wurde er nur bis 1923 gebaut, das reduziert die Zahl der Fahrzeuge in dieser Ausführung nochmals drastisch.

Kein einziger Audi dieses Spitzkühlermodells existiert noch, nur zwei später gebaute Ausführungen mit Flachkühler sind noch bekannt (Quelle: Kirchberg/Hornung: Audi Automobile 1909-1940, Verlag Delius-Klasing, 2. Auflage 2015)

Umso großartiger ist es daher, dass wir mit rund 100 Jahren Abstand dennoch einem zweiten dieser raren Fabeltiere begegnen können – und das noch in der offenen Variante.

„Naja“, könnte jetzt einer denken, „so toll wie die Limousine ist der Tourer auf dem Foto aber nicht getroffen.“

Stimmt, und deshalb habe ich auch das zweite angebotene Foto davon erworben, das keine Wünsche offenlässt:

Audi Typ K 14/50 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Zufällig ist überliefert, wieviele Arbeitsstunden die Fertigung nur des fahrfähigen Fahrgestells mit Motor seinerzeit in Anspruch nahm: 2.750 – das waren über 50 Arbeitswochen!

Daran wird deutlich, dass ein solcher Audi, wenn Rohmaterialien und Vorprodukte eingerechnet wurden, am Ende auch noch eine kostspielige Karosserie und eine Innenausstattung dazugekommen war, außerdem eine Gewinnspanne für Hersteller und Verkäufer aufgeschlagen war, für einen Normalverdiener völlig unerreichbar war.

Wer sich einen solchen Wagen selbst in der „billigsten“ Ausführung leisten konnte, der führte einst in jeder Hinsicht ein ganz anderes Leben als 99 % seiner Landsleute.

Vielleicht denken Sie daran,wenn sie nächstes Mal einen Audi sehen (auch wenn nur eine entfernte Verbindung mit der Marke der Vorkriegszeit besteht).

Die Entwicklung des Automobils zu einem Garanten mobiler Freiheit für jedermann ist eine der größten Errungenschaften unserer technischen Zivilisation überhaupt – sie hat Millionen ein ganz anderes Leben ermöglicht – das dürfen wir uns nicht nehmen lassen.

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In Krieg und Frieden: Audi Typ D 18/45 PS

Wer sich mit Vorkriegsautos in Europa beschäftigt, wird mit Krieg und Frieden in beinahe gleichem Umfang konfrontiert.

Überschlagen wir kurz: Da wären der 1. Weltkrieg (1914-18), die darauffolgenden Jahre der militärischen Konflikte in Osteuropa (Kämpfe deutscher Freikorps und polnischer Krieg gegen Russland 1919-21) und der Spanische Bürgerkrieg 1936-39.

Das sind zwölf Jahre – fast ein Drittel der Zeit bis zum Beginn des 2. Weltkriegs. Nimmt man diesen noch dazu, landet man bei 40 %. Angesichts dieses Befundes die Militär“karriere“ ziviler Automodelle auszublenden, wäre schlicht unhistorisch.

Mangels eigenständiger PKW-Konstruktionen für militärische Verwendungen findet man auf Kriegsfotos zuhauf serienmäßige Wagen in allen möglichen Situationen, ohne die das Bild unvollständig wäre – oft liefern sie sogar wertvolle Hinweise.

Illustrieren möchte ich das heute anhand von zwei Aufnahmen aus der Sammlung von Leser Klaas Dierks, die gegensätzlicher kaum sein könnten, aber Entscheidendes gemeinsam haben.

Wie Krieg und Frieden markieren sie zwei entgegengesetzte Pole, doch wie diese durch die Erdachse verbunden sind, besteht zwischen den beiden Aufnahmen ein unauflöslicher Zusammenhang.

Beginnen möchte ich mit dem Dokument, auf dem eine Situation denkbar harmonischen Miteinanders dokumentiert ist – eine Hochzeitsaufnahme:

Audi Typ D 18/45 PS; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Diese majestätisch anmutende Karosse konnte man für festliche Zwecke einst in Chemnitz mieten, soviel ist bekannt.

Das Hochzeitspaar hatte sich nicht lumpen lassen und sich für ein Gefährt mit dem teuersten Aufbau entschieden – der Mehraufwand für eine solche Chauffeurlimousine im Vergleich zu einem gängigen Tourenwagen war kolossal.

Dabei flossen auch delikate Details wie die riesige, an der Seite gewölbte Frontscheibe in die Rechnung ein.

Ein beachtlicher Posten war freilich auch die Motorisierung, denn wie noch zu zeigen sein wird, verbarg sich unter der Motorhaube ein 4,7 Liter großer Vierzylinder, der 45 PS produzierte – für ein Fahrzeug der Gaslampenära ein beachtlicher Wert.

Dass die trommelförmigen Scheinwerfer noch gasbetrieben waren, erkennt man an den Abgaslöchern an der Oberseite. Dagegen sind die Positionsleuchten vor der Windschutzscheibe bereits elektrisch – und obendrein strömungsgünstig gestaltet.

Wie komme ich nun darauf, dass es sich hierbei um einen Audi der Zeit vor dem 1. Weltkrieg handelt und wie kann ich mich sogar beim Typ genau festlegen?

Nun, das erste Indiz für einen Audi jener Zeit liefert das leicht vorkragende Oberteil des Kühlers, wenngleich das dort angebrachte Markenemblem verdeckt ist.

Zur genauen Typansprache merken wir uns die Dimensionen der Reifen: 880 x 120. Außerdem prägen wir uns die vier Luftschlitze und den mittig darüber angebrachten kleinen Griff auf der Motorhaube ein.

Szenenwechsel aus friedlichen Gefilden mitten in den 1. Weltkrieg – ins nordfranzösische Valenciennes, um genau zu sein:

Audi Typ D 10/45 PS oder E 21/55 PS; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Auf den ersten Blick haben die beiden Fotos und die darauf abgebildeten Autos wenig gemeinsam.

Doch Krieg und Frieden sind – ob es einem gefällt oder nicht – nicht nur zwei Ausprägungen menschlichen Daseins, sondern sie können auch Überschneidungen aufweisen wie jeder weiß, der noch den „Kalten Krieg“ erlebt hat, in dem die militärische Komponente auch im zivilen Alltag präsent war.

Heute profitieren wir von der auf den ersten Blick friedlichen Situation, die vor über 100 Jahren im von deutschen Truppen besetzten Teil Frankreichs festgehalten wurde. Nutzen wir die Gelegenheit und werfen einen genaueren Blick auf die Frontpartie des Wagens:

Ins Auge fallen folgende Gemeinsamkeiten:

Die Motorhaube mit wiederum vier Luftschlitzen und dem kleinen Griff zum Anheben derselben sowie die Form der Kühlermaske – nun mit einem ansatzweise sichtbaren Emblem an der Vorderseite, außerdem die Gestaltung des Kühlereinfüllstutzens.

Unterschiedlich sind die Scheinwerfer – was nichts bedeutet, da es sich um zugekaufte Anbauteile handelte – und die Ausführung der Räder – hier mit sportlich anmutenden Drahtspeichen.

Doch genau dort finden wir die entscheidende Information: „AUDI“ steht auf der Nabenkappe in leicht kursiver Schrift und das auch noch korrekt ausgerichtet!

Aus den genannten Übereinstimmungen ist abzuleiten, dass auch der geschlossene Hochzeitswagen auf dem ersten Foto ein solcher Audi war. Und aus dessen Reifenabmessungen (880×120) lässt sich der Typ erschließen: D 18/45 PS.

Das ebenfalls vor dem 1. Weltkrieg erhältliche kleine Audi-Modell C 14/35 PS besaß Reifen der Dimension 820 x 120, der stärkere Typ E 22/ PS hatte solche der Größe 880 x 125.

Damit lässt sich zumindest der Hochzeitswagen aus Chemnitz präzise als Audi Typ D 18/45 PS ansprechen – und sogar der prächtige Aufbau lässt sich identifizieren: Er wurde von Gläser aus Dresden zugeliefert.

Gut zu erkennen ist hier übrigens ein weiteres Detail: Der Zwischenraum zwischen Trittbrett und Rahmen bzw. dem darauf ruhenden Aufbau ist mit Kunstleder verschlossen – kurze Zeit später sollte diese „Schwellerpartie“ aus Blech gefertigt werden.

Ob das bei dem Audi-Tourer auf dem Weltkriegsfoto bereits der Fall war, ist nicht zu erkennen – der Karbidgasentwickler, der Werkzeugkasten und der junge Soldat auf dem Trittbrett verbergen die Partie vollständig.

Wie die Gesellschaft aus Chemnitz wollten auch diese Herren für’s Fotoalbum der Familie festgehalten werden – und in beiden Fällen wissen wir nichts über ihr weiteres Schicksal.

Ob in Krieg oder Frieden – nach über 100 Jahren ist ihnen gemeinsam, dass das große Rad der Zeit längst über sie hinweggegangen und kaum mehr von ihnen übriggeblieben ist als diese beiden Stücke belichteten Papiers.

Auch vom Audi Typ D 18/45 PS scheint kein Exemplar die Zeiten überdauert zu haben – das ist aber kein Wunder: es wurden von 1911-20 nur 53 (!) Stück davon gebaut.

Sie sehen: es geht mitunter ziemlich exklusiv zu in meinem Blog, doch dazu gehören nun einmal auch Krieg und Frieden.

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Vor 100 Jahren schon ein Veteran: Audi-Lieferwagen

Der Titel meines heutigen Blog-Eintrags mag in doppelter Hinsicht stutzig machen:

Veteranen gab es doch bereits vor 2.000 Jahren in Rom – das waren Soldaten, die 20-25 Jahre Dienst absolviert hatten und eine Abfindung, ein Militärdiplom und – sofern sie aus den Provinzen stammten – das begehrte römische Bürgerrecht erhielten.

Vor 100 Jahren indessen konnte der Veteranenstatus weit schneller erreicht werden – wenn man nämlich als Soldat am 1. Weltkrieg teilgenommen und das Ganze überlebt hatte.

Schön, aber wie passt ein Lieferwagen von Audi in diesen Kontext – gab es das denn damals überhaupt? Nun, das Wunderbare an den frühen Automobilen ist ja, dass man fast täglich auf’s Neue überrascht wird, was es alles gab.

Weil die Frühgeschichte der Marke Audi nicht jedem geläufig sein dürfte, hier das Nötigste in Kürze: Der erste Audi erschien 1910 und war ein Modell, das August Horch nach Verlassen seiner gleichnamigen Firma unter vermeintlich neuem Namen (audi = lat. horch) konstruiert hatte.

Auf dieses 10/22 PS-Modell A folgten schon im Folgejahr die Typen B 10/28 PS, C 14/35 PS und D 18/45 PS. Da Audi keine eigenen Karosserien herstellte, sah kaum ein Wagen wie der andere aus, nur an der Kühler- und Haubenpartie war die Marke zu erkennen.

Diese veränderte sich in den Jahren bis zum 1. Weltkrieg laufend im Detail, was die Ansprache der genauen Typen schwierig macht. Hinzu kommt, dass meist nur geringe Stückzahlen der einzelnen Modelle entstanden, von denen kaum welche überlebt haben.

Daher ist jedes „neue“ Foto eines dieser frühen Audis ein interessanter Fund, selbst wenn die technische Qualität wie im vorliegenden Fall nicht die beste ist:

Audi Typ B oder C; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Diese Aufnahme ist vermutlich in den ersten Jahren des 1. Weltkriegs entstanden, als auf deutscher Seite noch die traditionelle Pickelhaube getragen wurde – hier von einem Soldaten hoch zu Pferde.

Automobile waren damals bei allen Kriegsparteien noch die Ausnahme, die Hauptlast des Transports leisteten – neben der Eisenbahn – Pferdegespanne. Speziell für das Militär entwickelte Personenwagen gab es nicht, es wurden durchweg Zivilautos eingesetzt.

Das ist auch bei dem Wagen auf diesem Foto der Fall – eindeutig ein Audi, wie am Kühler mit in das Kühlernetz hineinragender Markenplakette zu erkennen ist. Von den Dimensionen her dürfte es sich um einen Typ B oder C gehandelt haben – der stärkere Typ D und das noch 1914 eingeführten Spitzenmodell E 22/55 PS waren deutlich größer.

Beim ebenfalls 1914 eingeführten kleinen Typ G 8/22 PS war die Frontpartie moderner gestaltet. Von den genannten mittelstarken Audi-Modellen B und C gab es bereits ab 1912/13 auch Nutzwagenvarianten – die Typen Bt und Ct.

Dabei wurde in ein verlängertes und stärker gefedertes Chassis einer der beiden Motoren mit 28 bzw. 35 PS eingebaut. Am häufigsten war die Variante Ct 14/35 PS, die bis in die 1920er Jahre weitergebaut wurde – hier haben wir wahrscheinlich ein Exemplar davon:

Audi Typ Bt oder Ct Lieferwagen; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Auch diese ungewöhnliche Aufnahme aus idealem Winkel verdanken wir – wie das eingangs gezeigte Foto – der Großzügigkeit von Leser Klaas Dierks, dessen Sammlung zu den wertvollsten Quellen meines Blogs gehört.

Ein vergleichbares Dokument lässt sich in der mir bekannten Literatur kaum finden. Nur ein ähnlicher Audi-Planwagen ist im Standardwerk „Audi-Automobile 1909-45“ (Kirchberg/Hornung, 2. Auflage, 2015, S. 54) abgebildet.

Dieser besitzt im Unterschied zu dem Audi auf dem vorliegenden Foto jedoch Holzspeichenräder. Drahtspeichenräder gab es laut Literatur nur beim Typ Ct 14/35 PS als Alternative. Damit lassen sich auch die schwereren Lastwagentypen F und H ausschließen – sie konnten 1,5 bis 2 Tonnen transportieren und waren nur mit Holzspeichenräder erhältlich.

Die Details der Frontpartie erlauben es außerdem, eine nach dem 1. Weltkrieg entstandene Version zu verwerfen:

Die elektrischen Scheinwerfer finden sich bereits vereinzelt bei Audis ab 1914, sie können aber auch später nachgerüstet sein.

Wichtiger sind die Gestaltung des recht breit gehaltenen, nur im Oberteil leicht zugespitzten Kühlers sowie der an die Motorhaube anschließende steile „Windlauf“.

Dieses auch als Windkappe bezeichnete Blech verlief ab 1914, auf jeden Fall aber nach Ende des 1. Weltkriegs, in einer Linie mit der Motorhaube. Auch die Ausführung der Kotflügel verweist eher auf die Vorkriegszeit. Von daher wird dieser Audi Lieferwagen des Typs Ct 14/35 PS wohl 1912/13 entstanden sein.

Damit war der Wagen zum Aufnahmezeitpunkt Anfang der 1920er Jahre auf jeden Fall ein Veteran – zumindest in formaler Hinsicht. Ob er auch eine Armeekarriere hinter sich hatte, lässt sich nicht sagen – wenn ja, muss er einen eher ruhigen Dienst fern der Front geschoben haben.

Werfen wir zum Vergleich noch einmal einen Blick auf den Audi auf dem ersten Foto – hier sind die Blechschäden vom Einsatz als Kurier- bzw. Offizierswagen unübersehbar:

Dagegen scheint es der Audi-Lieferwagen deutlich besser getroffen zu haben – er dürfte seinen Besitzer in den 1920er Jahren noch eine ganze Weile treue Dienste geleistet haben.

Welcher Art die Nutzung war, dazu findet sich auf dem Abzug leider kein Hinweis. Mit 1 Tonne maximaler Zuladung kommt beispielsweise ein Einsatz als Transporter von Marktwaren oder auch als Gepäckwagen eines Hotels in Frage.

Auf jeden Fall muss es sich um ein lukratives Geschäftsfeld gehandelt haben, der hohe Benzinverbrauch (ca. 17 Liter/100 km) wäre für einen einfachen Handwerker beispielsweise kaum tragbar gewesen.

Nicht bekannt ist leider auch, in welchem Verhältnis die beiden Männer auf dem Foto zueinander standen. Vom Erscheinungsbild her konnten beide angestellte Fahrer gewesen, wenngleich sie den Audi sicher nicht gemeinsam fuhren.

Einen genauen Datierungshinweis für diese seltene Aufnahme eines frühen Audi-Lieferwagens, der sich bereits vor 100 Jahren seinen Veteranenstatus redlich verdient hatte, gibt möglicherweise der manuell über einen Kabelzug bediente Winker.

Kann jemand sagen, wann diese Art Fahrtrichtungsanzeiger erstmals auftauchte?

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Hier ist (fast) alles 1A! Ein Audi Typ „Zwickau“

„Alles 1A“ – das werden die meisten Besitzer moderner Audis mit Fug und Recht von ihren vierrädigen Kameraden behaupten. Wer sich noch an die 1970er Jahre erinnern kann, weiß: Das war nicht immer so – der Ruf als Premium-Hersteller musste erst erarbeitet werden.

Dabei war Audi vor dem Zweiten Weltkrieg der Sprung in die Spitzenklasse schon einmal gelungen. Allerdings haben die Audi-Werke von einst mit der nach dem Krieg neu gegründeten Firma außer dem Namen nichts gemeinsam.

Dennoch fühlt sich Audi heute in vorbildlicher Weise verantwortlich für die Historie der Vorgängermarke – wie auch der übrigen später unter dem Dach der Auto-Union vereinigten Hersteller DKW, Horch und Wanderer.

In den 1920er Jahren war Audi mit Sitz im sächsischen Zwickau zunächst noch eigenständig. Selbstbewusst hatte man sich 1923 eine „Eins“ als Kühlerfigur gegönnt, die den Anspruch der Marke sichtbar machen sollte:

Audi-Reklame aus der Zeitschrift „Motor“ von 1924; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Audi wandte sich damals an eine vermögende Klientel, für die es eine Selbstverständlichkeit war, eine teure Manufakturkarosserie für ihr Automobil schneidern zu lassen – konsequenterweise bot Audi ab Werk selbst gar keine Aufbauten an, sondern verkaufte nur das fahrfähige Chassis mit der markentypischen Kühlerfront.

Mit diesem Ansatz geriet Audi wie viele andere deutsche Hersteller jedoch ab Mitte der 1920er Jahre in Schwierigkeiten, da preisgünstigere und besser ausgestattete US-Serienfabrikate mit moderner Linienführung den deutschen Markt zu dominieren begannen.

In einem früheren Blog-Eintrag habe ich dargestellt, wie Audi schließlich vom DKW-Konzern geschluckt wurde und die Audi-Modelle dann als Plattform für US-Achtzylindermotoren vorgesehen wurden, für die DKW die Fertigungsmaschinen erworben hatte.

Der erste Audi, der mit einem dieser 5,1 Liter großen und 100 PS starken „Rickenbacker“-Aggregate angeboten wurde, war das Modell SS „Zwickau“. Seinerzeit hatte ich folgendes Postkartemotiv gezeigt, das den auch äußerlich ganz nach US-Vorbild gestalteten Typ zeigt:

Audi Typ „Zwickau“; originale Postkarte aus Sammlung Michael Schlenger

Man ahnt hier die „1“ auf dem Kühler, darunter das Zwickauer Stadtwappen, das exklusiv an diesem Modell montiert wurde.

Doch für die Note „1A“ reicht es hier noch nicht – zum einen lässt die Wiedergabequalität zu wünschen übrig, zum anderen „passt“ das Kennzeichen nicht. Denn das Kürzel „IK“ ist aus der römischen Eins und dem Buchstaben K zusammengesetzt – knapp daneben, also.

„IK“ war die Kennung der Provinz Schlesien und die Ziffernfolge lässt auf eine Zulassung im Raum Görlitz schließen – nach 1945 übrigens eine durch den „Eisernen Vorhang“ geteilte Stadt, halb auf deutschem, halb auf polnischem Boden befindlich.

Doch Leser Marcus Bengsch konnte eine weitere Aufnahme eines Audi Typ „Zwickau“ beisteuern, die nun wirklich das Prädikat 1A verdient – und das nicht nur wegen der entsprechenden Kennzeichens, das für den Großraum Berlin stand:

Audi Typ „Zwickau“; Originalfoto aus Sammlung Marcus Bengsch

Hier finden wir weitere Voraussetzungen für die Erteilung der Note „1A“ – zu denen für mich bei historischen Automobilfotos regelmäßig die Anwesenheit der einstigen Besitzer und Insassen gehört.

In diesem Fall ist zwar einer der Passagiere eher als „aufsässig“ zu bezeichnen, aber genau das trägt zum großen Reiz dieses im März 1932 entstandenen Dokuments bei.

Der Bub (wie ich vermute) der hier wie selbstverständlich auf dem Kühler thront, hat gleich die Qualitäten des Wagens erkannt und die „1“ dem Kühler mit den Händchen umfasst – „Die Eins ist meins“, das scheint die besitzergreifende Geste zu sagen:

„1A“ ist hier außerdem, dass man das Zwickauer Stadtwappen nun wesentlich besser erkennen kann.

Zum Vergleich sei auf das auf der Website von Claus Wulff (Berlin) verwiesen, die ganz dem Sammel- und Forschungsgebiet Kühlerembleme gewidmet ist und eine hervorragende Online-Quelle darstellt, wie man sie sich im deutschen Sprachraum auch für einige andere Facetten von Vorkriegsfahrzeugen wünschen würde.

Wie gesagt, war das Zwickauer Stadtwappen exklusiv dem Audi Typ SS „Zwickau“ vorbehalten, von dem zwischen 1929 und 1932 gut 450 Exemplare entstanden. Nur eine handvoll davon hat überlebt. Umso wertvoller sind zeitgenössische Aufnahmen dieses mächtigen Wagens, die dessen „1A“-Anspruch eindrucksvoll illustrieren.

Nur ein kleines Detail wäre aus heutiger Sicht in der Premiumklasse undenkbar – zwei unterschiedliche Reifenprofile an derselben Achse. Aber das wird durch die lebendige Wiedergabe in dieser leicht kolorierten Fassung des Fotos sicher wieder wettgemacht…

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Einst einsame Spitze: Audi Typ K 14/50 PS

Einsame Spitze – das ist für mich zuallererst die Unterstützung, die ich bei meinem Online-Projekt zur breiten Dokumentation von Vorkriegsautomobilen seit über fünf Jahren erfahre.

Dazu gehören nicht nur wertvolle Anmerkungen und Korrekturen sachkundiger Leser, sondern auch zahllose hervorragende Bildbeiträge, die meine eigenen Ressourcen ergänzen und in ihrer Qualität oft einzigartig sind.

Die Aufnahmen, die ich heute präsentieren darf, illustrieren dies perfekt. Einsame Spitze ist zunächst dieses Foto eines Audi mit Spitzkühler, Motor, Chassis und zwei „Insassen“, für die dieser Minimalismus vermutlich Alltag war:

Audi Typ G 8/22 PS; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Ein derartiges Dokument in solcher Güte wird man in der einschlägigen Literatur vergeblich suchen – dennoch lässt sich genau sagen, was für ein Wagen hier zu sehen ist.

Die Marke ist dabei natürlich kein Problem – auf der ovalen Plakette am oberen Ende des schräg zulaufenden Spitzkühlers ist deutlich „Audi“ zu lesen. Doch auch ohne das Emblem wäre der Hersteller anhand der Ausführung des Kühlers zu identifizieren.

Im Unterschied zu anderen Marken aus dem deutschsprachigen Raum scheint Audi diesen scharf geschnittenen Spitzkühler erst nach dem 1. Weltkrieg verbaut zu haben. Die mir vorliegende Literatur – vor allem „Audi-Automobile 1909-1940“ von Kirchberg/Hornung – schweigt sich über das genaue Jahr der Einführung aus.

Jedenfalls entschied man sich bei Audi für eine der eigenwilligsten Variationen über das Thema Spitzkühler, die einen sehr hohen Wiedererkennungswert besaß:

Interessanter ist indessen, was sich dahinter verbirgt und was man auf zeitgenössischen Aufnahmen nur selten zu sehen bekommt – der Motor. Er wirkt unscheinbar, doch lässt sich ganz genau sagen, zu welchem Audi-Typ er gehörte.

Dazu muss man wissen, dass Audi nach dem 1. Weltkrieg zunächst drei Vorkriegsmodelle weiterbaute – die Typen C 14/35 PS und E 22/55 PS sowie den noch 1914 eingeführten G 8/22 PS.

Nur der letztgenannte kompakte G-Typ besaß bereits einen geschlossenen Motorblock, in dem alle Zylinder zusammengefasst waren – genau ein solches Aggregat ist auf dem Foto zu sehen, das uns Leser Klaas Dierks aus seinem Fundus bereitgestellt hat.

Bei den Motoren der anderen Typen waren jeweils zwei Zylinder in einem Block zusammengefasst – was sich in besagtem Audi-Standardwerk auf S. 60 anhand eines Typs C 14/35 PS der frühen 1920er Jahre nachvollziehen lässt.

Auch die Proportionen des Wagens passen perfekt zum kleinsten damals angebotenen Audi mit 2,75 oder knapp 3 Metern Radstand. Fahrer und Beifahrer veranschaulichen die kompakten Proportionen zusätzlich:

Sehr gut gefällt mir hier das Nebeneinander zwischen dem Fahrer im einfachen Arbeits-Outfit und dem distinguierter wirkenden Nachbarn. Mit Oberhemd, Krawatte und Ledergamaschen wirkt er wie ein Herrenfahrer, allerdings deutet die etwas zerknautschte Optik seiner Kleidung darauf hin, dass er es gewohnt war, ebenfalls anzupacken.

Ich könnte mir vorstellen, dass der Beifahrer zu den Entwicklern des neuen Audi G-Typs gehörte und sich bei einer Probefahrt selbst ein Bild von dessen Qualitäten machen wollte.

In ganz andere Sphären – von den Dimensionen wie dem Umfeld her – transportiert uns ein Foto, das Leser Matthias Schmidt aus Dresden beigesteuert hat. Hier hat der Wagen nur noch den Spitzkühler mit dem zuvor gezeigten Audi G 8/22 PS gemeinsam:

Audi Typ K 14/50 PS; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Dieses Prachtstück kommt standesgemäß mit einem großzügigen und sehr teuren Aufbau als Chauffeur-Limousine daher, wobei die filigranen Drahtspeichenrädern den Wagen leichter wirken lassen, als er tatsächlich war.

Heftige 1.400 Kilogramm brachte allein das Chassis mit Antriebsstrang auf die Waage. Wer sich gerade eines der modischen Batterieautos zugelegt hat, die dank in die Tausende gehender Steuerzuschüsse vom Fiskus geplagter Mitbürger ein ideales Zweit- oder Drittauto abgeben, mag das gar nicht so viel finden.

Der relevante Vergleich ist hier jedoch der Vorgänger des abgebildeten Audis – nämlich das bereits erwähnte Vorkriegsmodell C 14/35 PS, das 1921 durch diesen schweren Burschen abgelöst wurde. Dort kam man noch mit 400 kg weniger Gewicht aus.

Den zusätzlichen Kilos standen allerdings auch 15 zusätzliche Pferdestärken bei identischem Hubraum gegenüber, denn hier haben wir es mit dem Audi Typ K 14/50 PS zu tun, Anfang der 1920er Jahre einer der modernsten deutschen Wagen überhaupt.

Zum einen hatte man sich beim Motor für im Zylinderkopf hängende Ventile entschieden, was bessere Effizienz des Gaswechsels und damit erhöhte Leistungsfähigkeit ermöglichte. Zum anderen war der Audi Typ K bei Vorstellung 1921 das erste deutsche Serienauto mit Linkslenkung – womit er der Konkurrenz um drei bis vier Jahre voraus war.

Zu den zahlreichen modernen Details, deren vollständige Aufzählung ermüdend ausfiele, gehörte auch die Anordnung von Schalt- und Bremshebel in der Wagenmitte.

Der prächtige Spitzkühler verschwand beim Audi Typ K 14/50 PS im Herbst 1923 und ab 1924 wurden serienmäßig Vorderradbremsen verbaut. Damit lässt sich das Baujahr dieses Exemplars auf 1921-23 eingrenzen:

Die Abmessungen der Reifen (895×150) passen präzise zu den Angaben in der Literatur für den Typ K (und nur diesen). Auf dem Kennzeichen ist das Kürzel „IM“ für Sachsen zu sehen – dort wurden die Audis damals ja auch gebaut.

Was es mit dem etwas melancholisch dreinschauenden schlanken jungen Mann im Hintergrund auf sich hat, muss wohl offen bleiben. Zufällig wird er dort jedenfalls nicht herumgestanden haben – der Bub, der hinter dem Heck zu sehen ist, schon eher:

Unübersehbar ist dieses schöne Foto einst als Grußkarte mit der Post versandt worden, wie der spiegelbildliche Abdruck zweier Zeilen auf der Rückseite erkennen lässt.

Vermutlich wird es der Fahrer selbst gewesen sein, der damit Verwandte oder Freunde beeindrucken wollte. Das wird ihm gelungen sein, denn ein solcher Audi Typ K 14/50 PS war auch dann ein hochexklusives Vergnügen, wenn man „nur“ der angestellte Fahrer war.

Keine 200 Exemplare dieses grandiosen Automobils wurden einst in Manufakturarbeit gefertigt – kein einziges davon hat es bis in unsere Tage geschafft, soweit mir bekannt ist.

So gilt am Ende auch für dieses Dokument das Votum „einsame Spitze“, obwohl der Spitzkühler hier nicht annähernd so einsam auf dem Chassis thront wie beim eingangs gezeigten Typ G 8/22 PS…

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Authentischer geht’s kaum: Audi Typ C 14/35 PS

Ein authentischer Typ – das kann eine höfliche Umschreibung für jemanden sein, der sich nicht im Griff hat und stets tut, was ihm gerade in den Sinn kommt. Die Anhänger der antiautoritären „Erziehung“ (eigentlich überhaupt keine) sorgen für stetigen Nachschub solcher Typen, deren Auffälligkeiten man gern auch als „unkonventionell“ umschreibt.

Wirklich authentisch und dabei völlig konventionell ist dagegen der Typ auf vier Rädern, mit dem wir uns heute beschäftigen – wie authentisch außerdem Typen wirken können, die die Konventionen beherrschen, können wir dabei ebenfalls besichtigen.

Nicht zuletzt leistet der Gegenstand der heutigen Betrachtung einen Beitrag zur Frage, welcher Zustand eines Vorkriegswagens eigentlich als authentisch zu verstehen ist.

Das Ganze am Beispiel eines Fotos, das Leser Klaas Dierks beigesteuert hat und das einen Audi aus den frühen 1920er Jahren zeigt, damals eine Rarität und heute erst recht:

Audi Typ C 14/35 PS; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Der Wagen und die Aufnahmesituation sind so typisch für die frühen 1920er Jahre, wie das überhaupt möglich ist: Ein funktionell gezeichneter Tourenwagen mit spitz zulaufendem Kühler – vollbesetzt irgendwo anlässlich eines Ausflugs von der Seite aufgenommen.

Diese Schlichtheit der Linien und das Fehlen raffinierter Details an einem Luxusgegenstand, der das Automobil im Deutschland der Zwischenkriegszeit war – dieser Stil würden ausländische Klassikerfreunde sofort als „typisch deutsch“ ansprechen.

Der Verzicht auf dem Auge Schmeichelndes ist so auffallend, dass er schon wieder als Eitelkeit durchgehen kann – vergleichbar nackten Betonwänden, die in millionenschweren Eigenheimen des modernen Geldadels als der letzte Schrei gelten.

Dass wir es tatsächlich mit einem gehobenen Fahrzeug aus sächsischer Manufakturproduktion zu tun haben, das offenbart sich einem erst auf den zweiten Blick:

Der Spitzkühler mit hervorgehobenem ovalen Träger des Markenschriftzugs, die Gestaltung der Nabenpartie der Räder und die vier kiemenartigen Luftauslässe in der Motorhaube finden sich in dieser Kombination an Audi-Typen von ca. 1914 bis in die frühen 1920er Jahre.

Die elektrische Beleuchtung mit großem Batteriekasten am Vorderende des Trittbretts deutet eher auf eine Entstehung dieses Wagens nach dem 1. Weltkrieg hin. Damals wurden von den fünf Vorkriegsmodellen nur noch zwei in größeren Stückzahlen gebaut.

Dabei handelte es sich zum einen um das eher kompakte Modell G 8/22 PS, das ich angesichts der Abmessungen dieses Wagens ausschließen möchte. Zum anderen gab es nach wie vor den bereits 1911 eingeführten mittelgroßen Vierzylindertyp C 14/35 PS, für den sich später auch die Bezeichnung 14/38 PS fand.

Die Hubraumriesen Typ D 18/45 PS und E 22/55 PS wurden teilweise ebenfalls auf Chassis von vergleichbarer Länge gebaut wie der Audi C 14/35 PS, doch die Haubenpartie erscheint dafür zu kurz, außerdem wurden sie nur recht selten gefertigt.

Wer den erwähnten Batteriekasten näher studiert hat, wird dort eine hübsche Delle registriert haben – wie überhaupt der ganze Wagen gut gebraucht, aber keineswegs heruntergekommen aussieht.

Vergegenwärtigt man sich den Zustand der damaligen Straßen, war ein so verschmutztes Auto eher der Normalfall. Insofern darf man das Erscheinungsbild dieses Audi als vollkommen authentisch ansehen – so sahen diese Wagen seinerzeit regelmäßig aus.

Natürlich kommt man bei überlebenden Fahrzeugen aus jener Zeit oft nicht umhin, sie wieder komplett neu aufzubauen, weil zuviele Teile fehlen, verrottet oder in sehr unterschiedlichem Zustand sind. Was mir nicht einleuchtet ist, warum viele Besitzer solcher Wagen – über vernünftige Wagenpflege hinaus – danach partout den Fabrikzustand erhalten wollen – die Amerikaner nennen solche Wagen spöttisch „Trailer Queen“.

Niemand hätte das einst versucht, schon weil es im Alltagseinsatz praktisch unmöglich war. Von daher mag ein Vorkriegswagen originalgetreu restauriert sein, aber authentisch wird er erst, wenn er durch Gebrauch allmählich wieder zu dem wird, was er war, als ihn unsere Altvorderen für berufliche Zwecke, Ausflüge und Reisen nutzten.

Damit wären wir auch schon bei den Insassen angelangt – die für mich neben den Gebrauchsspuren am Wagen den eigentlichen Reiz dieser Aufnahme ausmachen:

Die Damen im Heck sind sicher einverstanden, dass wir uns ausnahmsweise den vier Herren zuerst zuwenden, denn so hinterlassen sie am Ende den bleibendsten Eindruck.

Verehrte Leser, unternehmen Sie einmal das folgende Experiment und schauen Sie sich diese Charaktere von links nach rechts kurz intensiv an und halten Sie für sich fest, was Ihnen spontan dazu einfällt.

Bei mir sieht das Ergebnis wie folgt aus:

  • Ganz links ein sportlicher, asketischer Typ, sehr selbstbewusst, eventuell ein erfolgreicher Arzt mit Glück bei den Frauen.
  • Neben ihm ein Unternehmer, dessen Geschäfte gut laufen, und der sich gegenüber der Belegschaft großzügig zeigt, sie als seine erweiterte Familie betrachtet.
  • Nummer drei ist der Einzige, der auf mich unmittelbar und auch bei wiederholter Betrachtung unsympathisch wirkt. Ein leicht verächtliches Lächeln umspielt seine Lippen und er hat etwas Verschlagenes an sich – ihm würde ich kein Auto abkaufen.
  • Ganz rechts schließlich ein Lebemann, der etwas Sinnliches ausstrahlt – ich könnte ihn mir als Bildhauer oder Tastenlöwe gut vorstellen – auch er wie Nr. 1 ein Frauentyp, meine ich.

Genug über die Mannsbilder phantasiert – am Ende verlieren die Damen im Fonds noch die Contenance, die sie hier so vorbildlich wahren:

Zugegebenermaßen fällt es mir hier schwer, aus dem Bauch heraus zu dezidierten Charakterzuschreibungen zu gelangen. So will ich es auch nicht wagen, die drei mit den Herren vorn zu „verbandeln“ – Nr. 4 könnte übrigens die Kamera betätigt haben.

So oft mein Blick auch über die drei Gesichter wandert, alle zu ganz unterschiedlichen Typen gehörend und vollkommen authentisch wirkend, so oft bleibe ich an einem hängen – diesen Augen kann man sich doch nicht entziehen, oder?

Eine schönere Gelegenheit, die heutige Betrachtung zu beenden, wird sich auf dieser bald 100 Jahre alten Aufnahme eines durch und durch authentischen Audi gewiss nicht finden, und so überlasse ich meine Leser für heute ihrem ganz privaten Kopfkino…

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Öfter mal was Neues: Audi Typ 225 Limousine

„Öfter mal was Neues“ – vielleicht nicht ganz das, was man in einem Blog für Vorkriegsautos auf alten Fotos erwartet – oder doch?

Nun, am Wochenende habe ich einen Stapel „neuer“ Aufnahmen gesichtet und dabei reichlich Neuentdeckungen aus der Wunderwelt des Vorkriegsautomobils gemacht.

Wenn heute wieder einmal Audi auf dem Programm steht, könnte man im ersten Moment enttäuscht sein – was soll es da schon Neues geben?

Eine ganze Menge und das obwohl (oder vielleicht weil) Vorkriegs-Audis enorm selten waren und sind. Das Standardwerk „Audi-Automobile 1909-1940“ von Kirchberg/Pönisch erwähnt lediglich 110 überlebende Fahrzeuge (Stand: 2015).

Seither mag irgendwo in den Weiten Osteuropas das eine oder andere „neue“ Exemplar aufgetaucht sein, das dort im Dienst der Wehrmacht einst strandete. Doch am eigentlichen Befund ändert dies nichts: Vorkriegs-Audis sind Raritäten.

Der Großteil der noch vorhandenen Fahrzeuge entfällt auf die Frontantriebsmodelle, die von 1933 bis 1938 gebaut wurden. Dabei fällt auf, dass rund 80 % davon Cabriolets bzw. Roadster sind und nur 20 % Limousinen.

Verständlich wäre das, denn die meist von Gläser (Dresden) gelieferten offenen Versionen der Audi-Fronttriebler sahen einfach gut aus:

Audi Typ 225; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese hübsche Aufnahme wäre die erste Neuigkeit, von der es heute zu berichten gibt, denn sie zeigt ein bisher unpubliziertes Exemplar des Audi „Front“ in der Ausführung mit Kühlluftkiemen in der Motorhaube, die ab Frühjahr 1934 gebaut wurde.

Wer sich hier an Horch erinnert fühlt, liegt nicht völlig falsch, denn diese Audis entstanden im Zwickauer Horch-Werk und dort wurden auch die wesentlichen formalen Elemente entworfen. Doch die schrägstehende „1“ auf dem Kühler verweist eindeutig auf Audi – seit 1923 war diese die Kühlerfigur der Marke.

Wo sich das Hotel „Kaiserhof“ befand, vor dem der Audi mit den beiden Kindern einst abgelichtet wurde, ist mir leider nicht bekannt – vielleicht existieren das Gebäude und das Hotel aber noch. Dann würde ich mich über entsprechende Hinweise freuen.

Mit diesem Cabriolet wäre das erste Dutzend solcher Audi-Fronttriebler voll, die in meiner stetig wachsenden Audi-Galerie versammelt sind. Interessanterweise finden sich dort ebenfalls nur ganz wenige Limousinen.

25 % beträgt ihr Anteil an allen bislang von mir dokumentierten Audi-Frontwagen. Der Wert liegt nur etwas höher als die Quote der überlebenden Autos dieses Typs (20 %). Selbst wenn man annimmt, das schicke Cabrios häufiger fotografiert wurden, ist das ein starkes Indiz dafür, dass die Audi-Käufer damals offene Aufbauten bevorzugten.

Vor diesem Hintergrund stellt das folgende Foto eines Audi-Fronttrieblers mit Aufbau als 6-Fenster-Limousine durchaus „etwas Neues“ in meinem Blog dar:

Audi 225 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Zugegeben: Die Qualität dieser Aufnahme ist nicht gerade berauschend. Doch sieht man alles Wesentliche, was zur Ansprache von Marke und Typ erforderlich ist: Vorn auf dem leicht schrägstehenden Kühler thront die Audi-„1“, entlang der Motorhaube ist der obere Abschluss der kiemenartigen Luftschlitze zu erkennen.

Der Aufbau ist klar als geräumige 6-Fenster-Limousine zu erkennen, wie sie von Horch für den Audi „Front“ gefertigt wurde. Es leuchtet ein, dass eine so massige Karosserie nicht die ästhetischen Qualitäten der offenen Aufbauten von „Gläser“ erreichen konnte.

Gut möglich, dass Käufer des neuen frontgetriebenen Audi damals auch in äußerer Hinsicht auf einen besonderen Auftritt Wert legten, obwohl ab den späten 1920er Jahren immer größere Marktanteile auf Limousinen bzw. Cabrio-Limousinen entfielen.

An dem Tag, an dem das Foto dieses raren Audi „Front“ mit geschlossenem Aufbau entstand – laut Beschriftung des Abzugs der 2. November 1935 – könnten die Insassen jedoch ein festes Dach über dem Kopf und ein feierliches Erscheinungsbild bevorzugt haben – so könnte das Auto damals als Hochzeitswagen gedient haben.

Leider ist von den Insassen fast nichts zu erkennen. Auf dem größeren Originalabzug ist im Hintergrund aber ein Kirchenportal zu sehen. Der Stempel eines Fotohauses aus Hildesheim deutet darauf hin, dass es sich um den dortigen Dom oder die Michaeliskirche handeln könnte.

Leider sind beide Gotteshäuser wenige Wochen vor Kriegsende durch alliierte Bombenangriffe stark zerstört worden und wurden später in stark reduzierter Form wiederhergestellt, sodass es schwerfallen dürfte, heute den genauen Ort zu lokalisieren.

In der Hoffnung, dass es vielleicht doch gelingt, präsentiere ich am Ende entgegen meinen sonstigen Gepflogenheiten den Originalabzug, da er mehr Details des Kirchenbaus zeigt:

Audi 225 Limousine, November 1935, Hildesheim; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch in dieser Hinsicht bewahrheitet sich also der heutige Titel „öfters mal was Neues“, denn hier sieht man zur Abwechslung einmal das Ausgangsmaterial – wobei bereits die zahlreichen Flecken und Defekte des Originals retuschiert sind.

Wer die Szenerie wiedererkennt, ist eingeladen, sein Wissen über die Kommentarfunktion kundzutun, denn so haben alle meiner Leser etwas davon.

An die 5.000 Besucher sind es übrigens inzwischen pro Monat. Auch das sind Neuigkeiten, die mir sagen, dass ich mit meinem Projekt zur Dokumentation von Vorkriegsautomobilen im alten Europa auf dem richtigen Weg bin.

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Vorsprung durch Technik: Audi Typ M 18/70 PS

Der Firma Audi gehört unter den heutigen Autoherstellern meine besondere Sympathie – aber nicht wegen deren aktuellen Modellen.

Das „modernste“ Auto, das ich je besessen habe, stammte von 1985 – es war ein 1200er VW Käfer, dem jahrelanges Dauervollgas im Alltagsbetrieb keineswegs schadete – erst bei Kilometerstand 210.000 km verabschiedete sich der Motor (der erste wohlgemerkt).

Doch Audi darf sich das Verdienst zuschreiben, die Erinnerung an die vier Marken der einstigen Auto-Union am Leben zu erhalten. Dabei war ausgerechnet Audi die stückzahlenmäßig mit Abstand unwichtigste Marke mit dem Logo der vier Ringe.

Vom Namen abgesehen verbindet die heutige Firma nichts mit der Marke Audi der Vorkriegszeit, außer dem Willen, in technischer Hinsicht der Konkurrenz voraus zu sein.

„Vorsprung durch Technik“ lautet dementsprechend der Slogan, den fast jeder mit Audi verbindet, wobei ich nicht weiß, ob er überhaupt noch verwendet wird. Aktuelle Autos – rollende Computer mit für mich zunehmend unverständlichem Äußerem – interessieren mich nicht im Geringsten.

Doch wenn es um Vorkriegs-Audis geht, bin ich elektrisiert – zum einen deshalb, weil sie einst unglaublich selten waren, zum anderen, weil sie technische Leckerbissen darstellten – vor allem nach dem 1. Weltkrieg.

Ein großartiges Beispiel dafür darf ich heute präsentieren, drei Jahre und einen Monat nachdem ich das erste Exemplar desselben Typs vorstellen durfte – anhand dieses exzellenten Fotos aus der Sammlung von Leser Klaas Dierks:

Audi Typ M 18/70 PS Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Über die Meriten dieses kolossalen Wagens hatte ich mich seinerzeit ausführlich hier ausgelassen. Daher sei an dieser Stelle nur das Nötigste wiederholt:

Audi stellte 1923 einen neu entwickelten Sechszylindertyp vor, der ein hochfeines Aggregat mit obenliegender Nockenwelle und Königswellenantrieb besaß, das aus 4,7 Liter Hubraum eine Spitzenleistung von 70 (später 80 PS) produzierte.

Damit war kurzzeitig eine Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h möglich, das Dauertempo wurde mit 100 km/h angegeben. Mit Blick auf das Wagengewicht von – je nach Aufbau – 2,3 bis 2,5 Tonnen – bot Audi auch bremsseitig Außergewöhnliches:

Die großzügig dimensionierten Vierradbremsen – für sich genommen damals noch ein Novum – wurden bereits durch eine Art hydraulischen Bremskraftverstärker unterstützt. Audi selbst bezeichnete das aufwendige System als „Servo-Öldruck-Vierradbremse“.

Auch sonst wurde aus dem Vollen geschöpft, weshalb der Audi Typ 18/70 PS nach dem Maybach-Wagen der mit Abstand teuerste Wagen aus deutscher Produktion war. Allein das motorisierte Fahrgestell kostete 1925 unglaubliche 24.000 Reichsmark – den Gegenwert eines kleinen Hauses.

Die Aufbauten waren separat zu bestellen – Audi bot keine Werkskarosserien an – und dafür war dann nochmals ein hübscher Betrag zu berappen, bei dem damalige Durchschnittsverdiener Schnappatmung bekamen. Sie mussten sich selbst ein Fahrrad mühsam zusammensparen.

Nachvollziehbar, dass Audi während der Produktionszeit, die 1928 endete, gerade einmal 230 Exemplare dieses Technologieträgers absetzen konnte. Umso spektakulärer ist es, wenn heute noch „neue“ Fotos des raren Audi-Modells auftauchen:

Audi Typ M 18/70 PS Limousine; Originalfoto aus Sammlung Marcus Bengsch

Diese eindrucksvolle Aufnahme einer grandiosen Sechsfenster-Limousine auf Basis eines Audi Typ M 18/70 PS verdanke ich dem Sammlerglück von Marcus Bengsch – neben Klaas Dierks und Matthias Schmidt einer der Stützen dieses Blogs, was die Zulieferung originaler Spitzenaufnahmen von Vorkriegswagen angeht.

Liebe Leser, vergessen Sie bei all‘ diesen Schätzen eines nicht: Keiner der Enthusiasten, die mit mir hier ihre Funde dem Publikum zugänglich machen, verlangt auch nur einen Cent dafür, ebenso wie dieser Blog für Sie kostenlos (und werbefrei) ist und bleiben wird.

Ein Audi des herrlichen Sechszylindertyps M 18/70 PS wird einem so bald nicht wieder begegnen, darum genießen wir dieses Dokument gebührend:

Dass man diesen Wagen überhaupt als Audi identifizieren kann, ist in erster Linie der Kühler“figur“ geschuldet – einer „1“. Sie war von 1923 bis 1938 das Erkennungszeichen aller Audis, neben dem unleserlichen Markenschriftzug auf der ovalen Plakette.

In der renommierten Zeitschrift „Motor“ – heute eine gesuchte Publikation – wurde 1924 folgende Reklame veröffentlicht, die ich als Original ergattern konnte.

Sie zeigt Kühlerfigur und Markenschriftzug zusammen mit einem stark stilisierten Audi des Vierzylindertyps K 14/50 PS (späte Ausführung von 1924-26) oder des Sechszylindermodells M 18/70 PS (ab 1924):

Audi-Reklame aus der Zeitschrift Motor von 1924; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Sowohl der nur 192mal gebaute Vierzylindertyp 14/50 PS als auch das geringfügig erfolgreichere Sechszylindermodell 18/70 PS, um das es heute geht, besaßen einen Flachkühler, bei dem nur noch das Oberteil an die zuvor üblichen Spitzkühler erinnerte.

Vom gigantischen Achtzylindertyp 19/100 PS „Imperator“, der ab 1927 gebaut wurde, unterschied sich die Kühlerpartie durch die Position des ovalen Audi-Emblems, das hier noch in das Kühlernetz hineinragt. Bei Imperator war es nach oben gewandert.

Wer waren nun die Leute, die sich Mitte der 1920er Jahre ein solches Luxusfahrzeug leisten konnten?

Nun, offensichtlich einige Superreiche, die für ihre persönliche „Reisefreiheit“ ein souverän motorisiertes, zuverlässiges Automobil wünschten, das trotz seiner grandiosen Dimensionen ohne Elemente auskommt, die übermäßige Aufmerksamkeit auf sich ziehen wie etwa die Kühlerpartie eines Rolls-Royce.

Das waren zugleich Leute, die sich zwar gern als Autobesitzer präsentierten, aber tatsächlich einen Fahrer beschäftigten – dieser Ausschnitt des Originalfotos zeigt letzteren neben seinem Arbeitgeber:

Zweifellos wurde der Chauffeur des Audi-Besitzers im seinerzeit modischen Trenchcoat gut bezahlt – der Wohlstandsbauch spricht für sich.

Für einen derartigen Wagen verantwortlich zu sein, dem Arbeitgeber eine flexible, sichere und zuverlässige Reisemöglichkeit zu garantieren, das war eine hochexklusive Angelegenheit wie das Automobil selbst, dessen 125 Liter fassender Benzintank verrät, welche phänomenalen Freiheitsgrade dieser Wagen bot: 500 km Reichweite trotz Verbrauchs von 20-25 Litern pro 100 km!

Leider wissen wir nichts über den Besitzer der Audi-Limousine des Typs M 18/70 P-S, außer dass er im Raum Kassel (Nordhessen) zugelassen war. Ob das Auto zu der handvoll überlebenden Exemplare gehört, ist bislang ebenfalls nicht bekannt.

Aber wenigstens das kann sich noch ändern – ein Grund mehr, rare Dokumente wie dieses einem breiten Publikum zu zeigen.

Außerdem ist es faszinierend, ein so frühes und so großartiges Beispiel für das Motto „Vorsprung durch Technik“ zu sehen, das bis heute begeistert…

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Nur für Leute mit „Kohle“: Audi 225 Luxus Cabrio

In meinem heutigen Blog-Eintrag biete ich auf den ersten Blick nichts Neues – aber immerhin eine neue Perspektive auf einen alten Bekannten, und das nicht nur in fotografischer Hinsicht.

Der Wagen, um den es geht, ist die im Frühjahr 1936 vorgestellte weiterentwickelte Ausführung des Audi Typ 225 „Front“ – dem trotz einiger Kinderkrankheiten erfolgreichsten Audi der Vorkriegszeit.

Der damals schon nicht mehr völlig neue Frontantrieb wurde mit formal sehr gelungenen Karosserien kombiniert; vor allem die von Gläser aus Dresden zugelieferten Cabriolets waren von großer Eleganz.

In einem früheren Blogeintrag habe ich diese von Gläser gebaute Cabrioversion des Audi Typ 225 Luxus mit nur zwei Seitenscheiben vorgestellt:

Audi Typ 225 Front Luxus, 2-Fenster-Cabriolet von Gläser; Originalfoto aus Sammlung Marcus Bengsch

Der Wagen auf dieser Aufnahme aus der Sammlung von Leser Marcus Bengsch ist an der schemenhaft wiedergegeben „1“ auf dem Kühler als Audi zu erkennen.

Die Gestaltung der seitlichen Luftschlitze in der Motorhaube in zwei übereinanderliegenden Reihen ist Kennzeichen der ab Frühjahr 1936 verfügbaren Version „Luxus“ mit nunmehr offiziell 55 PS (zuvor 50 PS).

Gängiger als das Zweifenster-Cabriolet war die offene Ausführung mit vier Seitenfenstern, die ebenfalls von Gläser aus Dresden gefertigt wurde. Die Chassislänge wie auch die Platzverhältnisse waren bei beiden Ausführungen identisch, jedoch rückte beim Vierfenster-Cabrio das Verdeck weiter nach hinten.

Kein Wunder, dass die vierfenstrige Variante die beliebtere war, saßen die rückwärtigen Passagiere bei geschlossenem Verdeck dabei nicht im Halbdunkel.

Die bislang beste Aufnahme eines solchen Audi Typ 225 Front Luxus als Vierfenster-Cabriolet in meinem Blog ist diese:

Audi Typ 225 Front Luxus; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Beigesteuert hat das Dokument Leser Matthias Schmidt aus Dresden, dem wir bereits zahlreiche solcher Vertreter einstiger ostdeutscher Automobilbaukunst verdanken.

Dem Nummernschild nach zu urteilen war dieser Audi einst im Raum Aachen zugelassen, mehr ist über das Auto und seinen Besitzer nicht bekannt. Vielsagend ist jedoch der Hintergrund, auf den ich noch zurückkomme.

Zuvor einige Anmerkungen zur Frontpartie: Gut zu erkennen ist hier die leicht schräg im Wind stehende „1“ – kein besonders raffinierter Entwurf für eine Kühlerfigur, aber von hohem Wiedererkennungswert.

Die vier Ringe auf der Mittelstrebe des Kühlers sind nicht Audi-spezifisch, sondern verweisen auf die Zugehörigkeit der Marke zum Auto-Union-Konzern, der auch DKW, Horch und Wanderer umfasste.

Die blinkerähnlichen Leuchten auf den Vorderkotflügeln sind tatsächlich Positionsleuchten, die das Standlicht bei Nacht lieferten. Für sie wurde ein Aufschlag von 22,50 Reichsmark verlangt.

Das Fehlen des seitlichen Reserverads bedeutet hier lediglich, dass man von dieser ziemlich teuren Zusatzoption (135 Reichsmark) keinen Gebrauch gemacht hatte. Ein Reserverad scheint bei der Basisausführung im Kofferraum untergebracht gewesen zu sein.

Der mächtige Scheinwerfer, der an einer massiven Chromstange unten vor dem Kühler zu sehen ist, war ein weiteres aufpreispflichtiges Extra. Es handelt sich um einen Nebelscheinwerfer, für den 32 Reichsmark verlangt wurden.

Nun könnte man meinen, dass diese Sonderausstattungen doch recht zivil gepreist waren. Doch muss man die Preise ins rechte Verhältnis setzen und das heißt nicht nur zum Kaufpreis der Basisversion von 6.875 Reichsmark, sondern auch zum Verdienst eines durchschnittlichen Arbeitnehmers im damaligen Deutschland.

Schon öfters wurde ich von Besitzern alter Familienfotos mit dem Auto der Großeltern oder Urgroßeltern gefragt, was diese Wagen denn in heutigem Geld kosten würden. Meine Antwort darauf ist die, dass eine direkte Umrechnung nicht möglich ist, da es keinen Wechselkurs zwischen nicht mehr existierenden Währungen und dem heutigen Euro gibt.

Doch kann man auf einem Umweg einen Eindruck davon gewinnen, wie teuer so ein Auto aus Sicht eines damaligen Durchschnittsverdieners war. Denn zumindest die jährlichen Durchschnittsverdienste der in die gesetzliche Sozialversicherung einbezogenen Arbeiter und Angestellten sind lückenlos bekannt.

1936, also im Jahr der Präsentation des Audi Typ 225 Front Luxus, verdiente ein gesetzlich Versicherter in Deutschland im Schnitt brutto 1.783 Reichsmark pro Jahr. Das bedeutet, dass er rund 4 Jahresgehälter für einen Audi 225 Front Luxus mit ein paar der genannten Extras hätte aufbringen müssen.

Das allein vermittelt bereits eine Vorstellung davon, wie unglaublich teuer so ein Wagen aus Sicht der breiten Masse der „Volksgenossen“ war, wie die ehemaligen Bürger des Deutschen Reichs von der nationalsozialistischen Regierung abschätzig tituliert wurden.

Übertragen auf heutige Verhältnisse wird die Sache noch deutlicher: Ein sozialversicherungspflichtiger Arbeitnehmer verdient im Jahr 2020 im Schnitt 40.551 EUR pro Jahr. Multipliziert mit dem Faktor 4 wie im Fall des Audi anno 1936 landet man bei über 160.000 EUR!

Hand aufs Herz: Welcher heutige Durchschnittsverdiener, der sein Auto selbst bezahlt (also keinen Firmenwagen fährt), kann dafür mehr als 20.000 EUR ausgeben? Dagegen sind 160.000 EUR ebenso astronomisch wie einst knapp 7.000 Reichsmark im Jahr 1936.

So war ein Audi Front Luxus eine Sache nur für „Leute mit Kohle“ und genau das kann man auch dem reizvollen Foto von Matthias Schmidt entnehmen:

Vielleicht hatte hier jemand mit Brennstoffhandel ein kleines Vermögen gemacht, das ihm den Kauf eines dieser prächtigen Audi-Cabriolets ermöglichte. Warum auch sonst sollte jemand einen derartigen Wagen vor so einer prosaischen Kulisse ablichten?

Und wer weiß, vielleicht hat ja genau dieses Exemplar die Zeiten überdauert, denn einige Dutzend dieser wunderschönen Cabrios mit Frontantrieb sollen noch existieren. Dabei würde es mich freilich wundern, wenn eines davon aus Sicht eines heutigen Durchschnittsverdieners billiger zu haben wäre als 1936.

Solch ein Vorkriegsaudi ist immer noch ein Wagen für „Leute mit Kohle“ und ich gönne ihnen beides von Herzen – ihr Geld (wenn es ehrlich verdient ist) und das feine Automobil…

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Aus der Welt der alten Kisten: Ein Audi um 1914

Selten traf ein Titel so zu wie heute: Denn das Dokument, das ich heute vorstellen will, führt im wahrsten Sinn des Worts in die geheimnisvolle Welt der „alten Kisten“ .

Das Auto, um das es dabei geht, hätte zwar mittlerweile fast 110 Jahre auf dem Buckel, dennoch war es einst alles andere als von gestern. Vielmehr war es zum Zeitpunkt der Aufnahme erst wenige Jahre auf dem Markt und der Hersteller gerade seit 1910 aktiv.

Von daher hätte niemand zur Entstehungszeit des folgenden Fotos den darauf abgebildeten Wagen abfällig als „alte Kiste“ tituliert – tatsächlich war das Auto damals vollkommen zeitgemäß, wenn auch technisch wie formal unauffällig:

Audi Typ B 10/28 PS oder C 14/35 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Bevor es an die Identifikation des Wagens geht, ein paar Hinweise zur zeitlichen Einordnung – ohne sofort ersichtliche Marke ist das oft der erste Schritt, bevor es an weitere Recherchen geht.

Die großen trommelförmigen Scheinwerfer sind noch gasbetrieben – ein Indiz für eine Entstehung des Wagens vor dem 1. Weltkrieg. Nach Kriegsende 1918 wurden zwar alte Wagen oft noch eine Weile mit Gasscheinwerfern weitergefahren, aber Neufahrzeuge wurden zu dieser Zeit fast immer mit elektrischer Beleuchtung ausgeliefert.

Der leicht ansteigende Übergang von der Motorhaube zur Windschutzscheibe verrät, dass das Auto nicht vor 1910 entstanden sein kann. Denn erst dann wurde diese aus dem Rennsport stammende „Windkappe“ (auch als „Windlauf“ oder „Torpedo“ bezeichnet) im Serienbau üblich.

Damit wären wir in einem recht engen zeitlichen Band von 1910 bis 1914 angelangt. Doch selbst in einem so kurzen Zeitraum kam es damals etwa alle zwei Jahre zu merklichen technischen und gestalterischen Fortschritten, sodass man diese frühen Automobile oft bemerkenswert genau datieren kann – vorausgesetzt man weiß, was man vor sich hat.

Im vorliegenden Fall haben wir Glück – wir sehen gerade genug, um den Hersteller identifizieren zu können:

Das Oberteil des Kühlergehäuses ist leicht nach innen gekehlt und trägt in der Mitte – leicht nach unten versetzt – ein plastisch herausgearbeitetes ovales Emblem.

Hat man das einmal gesehen, erkennt man es selbst unter so ungünstigen Umständen wie hier relativ leicht wieder.

Folgender Ausschnitt aus einem hier bereits vorgestellten Foto verdeutlicht das:

Diese Frontpartie stammt von einem Audi Typ B 10/28 PS oder C 14/35 PS, gebaut ab 1912.

Das Auto besitzt bereits elektrische Beleuchtung, entspricht aber sonst weitgehend dem Wagen auf dem eingangs präsentierten Foto. Neben der markanten Kühlerpartie (der abweichende Kühlerverschluss hat nichts zu bedeuten) stimmt auch die Ausführung der Radnabe vollkommen überein – ein oft markenspezifisches Detail.

Der übrige Aufbau braucht uns nicht zu interessieren, da die Audis jener Zeit keine Werkskarosserien besaßen, sondern durchweg individuelle Aufbauten erhielten – wovon heutige Audi-Besitzer – bei allen sonstigen Vorzügen der Wagen – nur träumen können.

Da Audi überhaupt erst 1910 mit dem Serienbau von Automobilen begann, nachdem Firmengründer August Horch sein gleichnamiges Unternehmen verlassen hatte, lassen sich die in Frage kommenden Typen sehr gut eingrenzen.

Der Erstlingstyp A 10/22 PS war nur kurze Zeit erhältlich und besaß eine andere Kühlerpartie. Damit kommen nur die 1911 vorgestellte Typen B 10/28 PS, C 14/35 PS und D 18/45 PS in Betracht.

Da vom Typ D nur gut 50 Exemplare gebaut wurden, verbleiben die Typen B und C als wahrscheinlichste Kandidaten. Sie sind nach meinem derzeitigen Kenntnisstand äußerlich nicht zu unterscheiden (oder weiß jemand Gegenteiliges?).

Auch das empfehlenswerte Standardwerk „Audi Automobile“ von Kirchberg/Hornung (Verlag Delius Klasing, 2015) liefert dazu keine Hinweise. Dort finden sich nur ganz wenige Aufnahmen der Typen B und C – jedenfalls nicht mehr als in der Audi-Galerie dieses Blogs.

Während die Frage des genauen Typs offenbleibt – verkraftbar, da die Modelle B und C auf demselben Chassis basierten – lässt sich das Baujahr besser eingrenzen.

So besaßen die frühen Modelle von Audi (1910-1912/13) noch einen ganz flachen Kühler wie bei diesem Wagen:

Audi Typ B 10/25 PS oder C 14/35 PS von 1912/13; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Damit dürfte klar sein, dass der heute vorgestellte Audi mit dem nach innen gekehlten Kühleroberteil und dem plastischen Emblem kurz vor dem 1. Weltkrieg entstand.

Nicht ganz auszuschließen ist aber, dass der Wagen noch nach 1914 gefertigt wurde.

So blieben die Typen B und C über den Kriegsbeginn hinaus in Produktion. Zudem liefert das Foto selbst einen Hinweis, dass es möglicherweise nicht zu Friedenszeiten entstand:

Die Holzkisten im Hintergrund sehen für mich wie Munitionskisten aus. Sie sind mit leider nicht lesbaren Beschriftungen versehen, die näheren Aufschluss geben würde.

Zwei mögliche Interpretationen bieten sich nun an:

Entweder der Besitzer des Audi war ein Unternehmer, der solche Kisten nach Heeresspezifikation produzierte – so etwas wurde oft von Mittelständlern übernommen, die zusehen mussten, wie sie ihre Firmen nebst Belegschaft durch den Krieg bekommen.

Oder das Foto ist direkt nach Kriegsende entstanden und die Kisten waren schlicht Überbleibsel des für Europa so verheerenden Konflikts.

Dann wären es in der Tat „alte Kisten“ gewesen, während der Audi in der Ausführung als Typ C 14/35 PS noch eine ganze Weile aktuell blieb. Er erhielt zwar nach dem Krieg einen Spitzkühler, wurde aber ansonsten im wesentlichen unverändert bis 1925 gebaut.

Über 1.000 Stück sind davon entstanden – überlebt hat bloß eine handvoll…

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Wiedersehen im Schnee: Audi „Front“ 225 Cabrio

„Man trifft sich stets zweimal“ – so lautet ein Bonmot, das sich nach meiner Erfahrung oft genug bestätigt. Eine Erklärung dafür ist die, dass Menschen aus demselben Milieu übereinstimmende Neigungen haben und ähnliche Verhaltensmuster an den Tag legen.

Kreuzen sich dann die Wege wieder einmal – vielleicht nach langer Zeit – stellt sich nicht immer Begeisterung ein. Mitunter hat man sich auseinandergelebt und flüchtet sich dann in Belanglosigkeiten.

Eine solche Situation wurde von einer hessischen Musikgruppe einst mit der legendären Titelzeile „Ei gude wie, wo machst’n hie?“ besungen. Eine mögliche Übersetzung ins Hochdeutsche lautet so: „Ach – guten Tag! Wie geht es Dir? Wohin bist Du unterwegs?“

Doch gibt es auch unerwartete Begegnungen, in denen es keiner Höflichkeitsfloskeln bedarf, die das Desinteresse kaschieren. Mitunter freut man sich schlicht, nach einiger Zeit einen alten Bekannten wiederzusehen – so ist das auch heute in meinem Blog.

Die Freunde von Vorkriegs-Audis und wohl alle Liebhaber alter Autofotos, die hier mitlesen, erinnern sich vermutlich an die folgende Aufnahme, die ich im letzten Sommer zusammen mit einigen weiteren gezeigt habe:

Audi „Front“ 225 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Seinerzeit hatte ich dieses zauberhafte Dokument zusammen mit weiteren unter dem Titel „Ein Traum in 3D“ vorgestellt, weil die Aufnahmen eine Rundumsicht eines Audi „Front“ 225 Cabriolet von 1935/36 mit Karosserie von Gläser aus Dresden boten.

Damals hatte ich bereits angemerkt, dass das Besitzerpaar ein Faible für die „Farbe Weiß“ gehabt haben muss. Dies bestätigt sich heute anhand von zwei weiteren Aufnahmen desselben Autos:

Audi „Front“ 225 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier sehen wir nicht nur exakt denselben Audi mit Zulassung im Raum Annaberg/Erzgebirge – nunmehr in winterlicher Landschaft – sondern auch den mutmaßlichen Fotografen der im Sommer entstandenen Aufnahmen.

Jedenfalls gehe ich davon aus, dass nunmehr die fesche Dame im damals zum Auto passenden weißen Kleid die Kamera bediente – und das mit einem Blick für’s Malerische. Der dünne Verkehr im ländlichen Deutschland der späten 1930er Jahre erlaubte einen solchen Fotohalt an einer Kehre der Landstraße, die sich irgendwo nach oben schraubt.

Der frontgetriebene Audi mit 50 PS-Sechszylinder dürfte hier gezeigt haben, was er kann. Ein solches Foto macht man nicht, wenn man keine Freude daran hat, durch eine Winterlandschaft und über verschneite Straßen zu fahren.

Wie es scheint, hatten die Besitzer keine Schneeketten aufgezogen. Offenbar hatte bereits Tauwetter eingesetzt und man konnte darauf vertrauen, dass der Frontantrieb den 1,5 Tonnen schweren Audi wieder zuverlässig aus dem Schneematsch ziehen würde.

Dass unser Audi-Paar an jenem Tag eine vergnügliche Fahrt unternahm und sich mit dem Wagen offensichtlich wohl auf winterlichen Straßen fühlte, verrät vielleicht noch mehr das zweite damals entstandene Foto:

Audi „Front“ 225 Cabriolet“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch hier scheint „sie“ wieder die Kamera bedient zu haben – und nun mit noch schönerem Ergebnis, wohlkomponiert und ausgezeichnet belichtet, was damals bei Schnee gar nicht so einfach war.

Auch hier scheint Tauwetter eingesetzt zu haben und man mag sich gar nicht vorstellen, welche Unmengen Schneematsch sich der Audi auf dieser Ausfahrt in jeden Winkel des Chassis schaufelt.

Sicher: Rahmen und Bleche waren damals von beeindruckender Stärke und rosteten nicht nach wenigen Wintern durch, wie das am qualitativen Tiefpunkt des europäischen Automobilbaus in den 1970er Jahren der Fall war.

Dennoch interessiert es einen, ob Besitzer solcher teuren Prestigewagen einst ein Mindestmaß an Vorkehrungen trafen, um ihre vierrädrigen Schätze möglichst lange vor dem Zugriff des Rosts zu schützen.

Interessehalber habe ich in einem umfangreichen Zubehörkatalog der frühen 1930er Jahre nachgeschlagen, der mir im Original vorliegt – dem Katalog Nr. 125 der Firma Bernhard Wedler, ansässig in Breslau (Schlesien) und Stettin (Pommern).

Dort findet sich auf S. 203 ein Produkt, das zumindest eine nachträgliche Behandlung angegriffener Chassisteile ermöglichte.

Es trug den schlichten Namen „4610“ und wurde als Isolier- und Rostschutzlack angepriesen, der der frühzeitigen Zerstörung von Fahrwerksteilen einschließlich des Rahmens und der Unterseite der Koflügel entgegenwirken sollte.

Es scheint sich dabei nicht um einen Unterbodenschutz auf Bitumen- oder Wachsbasis gehandelt zu haben, wie er nach dem Krieg gängig wurde. Mit Pinsel oder Spritzpistole in zwei Schichten aufgetragen ergab besagter „4610“-Schutzlack eine geschlossene und hochglänzende Oberfläche, wie in der Beschreibung betont wird.

Ob unsere Audi-Besitzer wohl auch für solche verborgenen Finessen einen Sinn hatten?

Möglicherweise konnten sie es sich leisten, dem dauerhaften Erhalt ihres Wagens keine Bedeutung beizumessen. Wichtig war es ihnen aber, ihn als geschätzten Gefährten in einer Zeit festzuhalten, in der in vielerlei Hinsicht Gewohntes ins Rutschen geriet:

Über das Schicksal dieses Audi „Front“ 225 Cabriolets und seiner einstigen Besitzer ist mir sonst nichts bekannt.

Dennoch hege ich bei solchen Fotos mit Nummernschild stets die Hoffnung, dass sich doch mehr davon erhalten hat – seien es weitere Dokumente oder gar der Wagen selbst.

Unabhängig davon bleibt uns wie schon bei den ersten Fotos dieses Audi die Freude an dem schönen Wagen und seiner gekonnten Inszenierung – erhalten auf alten Abzügen, die nach jahrzehntelangem Schlummer ein unverhofftes und willkommenes Wiedersehen ermöglichen…

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Stilistisches Vorbild für den Audi 920: Buick von 1937

Manche Freunde deutscher Vorkriegswagen hören es nicht gern und ich musste es im Lauf der Jahre ebenfalls erst lernen:

Die US-Großserienhersteller übernahmen nach dem 1. Weltkrieg technisch wie stilistisch die Führung und ließen die meisten Autos aus deutscher Produktion im wahrsten Sinne des Wortes alt aussehen.

Ende der 1920er Jahre hatten amerikanische Wagen im Deutschen Reich einen heute unvorstellbaren Marktanteil von mehr als einem Drittel, in der Hauptstadt Berlin waren die „Amerikaner-Wagen“ seinerzeit sogar noch verbreiteter.

Ab 1930 holten die einheimischen Hersteller auf – auch mit Nachhilfe aus Übersee, was die Großserienmodelle von Opel und Ford angeht. Speziell bei Kleinwagen und in der Mittelklasse machten zunehmend deutsche Fabrikate das Rennen.

Doch das lag nicht an einer vermeintlichen Unterlegenheit von US-Wagen in dieser Kategorie, sondern schlicht daran, dass die amerikanische Automobilindustrie so weit fortgeschritten war, dass selbst die Wagen der dortigen Massenhersteller in einer anderen Liga spielten, für die der breite deutsche Markt noch nicht reif war.

Illustrieren lässt sich dies anhand des Vergleichs zwischen dem ab 1938 gebauten Audi 920 – einem der Oberklasse angehörigen Manufakturwagen aus dem Auto-Union-Verbund  – und einem Massenprodukt aus dem General-Motors-Konzern.

Hier zunächst der in weniger als 1.300 Exemplaren gebaute Audi 920:

Audi 920; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses Fahrzeug habe ich hier bereits im Kontext der Audi-Modellgeschichte vorgestellt.

In der Tat handelte es sich bei dem bis zu 80 PS leistenden Sechszylinderauto um einen der modernsten deutschen Serienwagen vor Ausbruch des 2. Weltkriegs.

Zeitgenössische Tests lobten die souveräne Gangart bei hohem Tempo, das Fahrwerk und das synchronisierte Getriebe, das man vom Horch 8 übernommen hatte.

„Vorsprung durch Technik“ – an diesen modernen Slogan von Audi mag man denken.

Doch stellt sich Ernüchterung ein, betrachtet man das, was auf der anderen Seite des Atlantiks im Angebot war – und das nicht im Premiumsegment, sondern ausgerechnet bei der Mittelklassemarke Buick:

Buick des Modelljahrs 1937; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser Buick mit Zulassung in Wien scheint dem Audi wie aus dem Gesicht geschnitten!

Dumm nur, dass die seit 1903 bestehende General Motors-Marke dieses Modell bereits seit Oktober 1936 anbot…

Auch wenn in der Literatur zum Audi 920 meist etwas von „inspiriert von amerikanischen Tendenzen“ gesäuselt wird, war der Wagen zumindest in der Frontpartie fast ein Plagiat des Buick des Modelljahrs 1937.

Dass dies nicht die Juristen bei GM auf den Plan rief, dürfte damit zu tun haben, dass die handgefertigten Audis des Typs 920 in Deutschland keine ernstzunehmende Konkurrenz für den Buick darstellten.

Der US-Wagen war aus Sicht potentieller Käufer im deutschsprachigen Raum weit oberhalb des Audis angesiedelt. So gab sich Buick mit Sechszylindern erst gar nicht ab und bot das Basismodell mit einem 100 PS leistenden ohv-Achtzylinder an.

Verfügbar war außerdem eine 130 PS leistende Variante mit satten 5,2 Litern Hubraum. Standard waren synchronisiertes Getriebe, Hydraulikbremsen und hintere Schwingachse.

Warum es den Amis völlig gleichgültig sein konnte, was irgendwo in Zwickau mit Buick-Optik aus dem Werkstor rollte, unterstreichen die Produktionszahlen.

Während vom Audi 920 zwischen 1938 und 1940 bloß 1.281 Wagen gemütlich zusammengeschraubt wurden, liefen vom Buick des Modelljahrs 1937 genau 220.346 Stück vom Band. 1938 folgten – äußerlich kaum verändert – noch einmal rund 170.000.

Dabei lebten in den Vereinigten Staaten damals gerade einmal anderhalb mal soviele Menschen wie im Deutschen Reich (120 Mio. vs. 78 Mio.). Da blieb für den Export nach Good old Germany – dem Mutterland vieler Amerikaner – genügend übrig:

Buick von 1937; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch diese gutgelaunten „Volksgenossen“ fuhren in den späten 1930er Jahren keinen Audi 920, sondern einen Buick des Modelljahrs 1937.

Offenbar konnte man damals sehr deutsch sein – das Hufeisen am Kühler lässt grüßen – und dennoch ein überlegenes Produkt des US-Kapitalismus wertschätzen.

Leider sieht man von diesen einst in Europa so präsenten Wagen aus US-Produktion relativ wenige auf Traditionsveranstaltungen in Deutschland. Man trifft hierzulande auf haufenweise Bentleys und Bugattis – ganz wunderbar natürlich – aber ein banaler Buick von anno 1937? Fehlanzeige.

Eine fesche Maid aus deutschen Landen daneben, das wär’s doch. Es muss auch keine solche großgewachsene Walküre wie diese hier sein:

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