Die sind ja alle irre! Chrysler „65“ Tourer von 1929

Die Welt ist ein Irrenhaus“ – das ist eines der Bonmots meiner Mutter, die mir einige Weisheiten auf den Weg mitgegeben hat. Besonders spöttisch pflegte sie die eitle Vorstellung zu kommentieren, der Mensch sei die Krone der Schöpfung.

Ihre persönlichen Erfahrungen mit dem Zeitgeschehen und mit den gern besungenen großartigen Familienwerten im Privaten spielten eine Rolle bei diesem Urteil.

Indessen komme ich schwerlich zu einem entgegengesetzten Ergebnis, auch wenn sich für mich so gut wie alles glücklich gefügt hat, seitdem ich mein eigener Herr bin.

Der Irrsinn unserer Tage – speziell derjenige der letzten 10 Jahre und derjeinige einer für Skeptiker glimpflich verlaufenen jüngeren Episode – dieser von oben oktroyierte und von unten begrüßte bzw. erduldete Irrsinn hat mich kaum jenseits der Schlagzeilen betroffen.

Mir ist aber auch bewusst, dass manch einer, der nicht in so selbstbestimmten Verhältnissen lebt, in den letzten Jahren allen Anlass dazu hatte festzustellen: „Die sind ja alle irre!“

Das dazu passende Foto ist mir bei der Suche nach einem unterhaltsamen Dokument der Vorkriegszeit im Fundus in die Hände gefallen.

Ich muss zugeben, dass mir diese Herrschaften (m/w/d) aufgrund ihrer bürgerlichen, aber gleichzeitig unkonventionellen Erscheinung ausgesprochen sympathisch vorkommen:

Chrysler Typ 65, Modeljahr 1929; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Speziell die Damen am Steuer bzw. auf dem Trittbrett künden von einer gespielten Geringschätzung der Konventionen, welche meine Zustimmung findet.

Die Herren bemühen sich unterdessen, gute Miene zum Treiben ihrer Gespielinnen zu machen. Gern wüsste man, wer hier so treffsicher auf den Auslöser gedrückt hat und dabei auch noch die belichtungstechnisch anspruchsvolle Situation souverän gemeistert hat.

Wie leider so oft wissen wir nichts über diese sympathischen Irren, über Ort und Anlass der Aufnahme. Nur, dass sie vermutlich in Deutschland entstand und einen Chysler 65 des Modelljahrs 1929 zeigt – das vertrete ich selbstbewusst.

Leider hat heutzutage kaum noch einer die Kompetenz in Deutschland, mir bei diesen in den 1920/30er Jahren sehr präsenten US-Automobilen im Zweifelsfall kontra zu geben, wie das bei einheimischen Fabrikaten der Fall ist – dabei lerne ich doch so gerne dazu.

So bleibt es wahrscheinlich bei meiner Ansprache dieses Chrysler als 1929er Modell mit 65 PS leistendem kleinen Sechszylinder – das stärkere Modell 75 und vor allem der über 100 PS starke Typ „Imperial“ besaßen anders gestaltete Kühlergehäuse.

Die sind ja alle irre„, so mag das Votum einiger Zeitgenossen angesichts der Leistungsentfaltung, Ausstattung und Preisgestaltung dieser US-Wagen gewesen sein.

Dabei waren sie es, die den Weg nach vorne wiesen, nicht die Verfechter winziger Mobile mit Minimalmotorisierung, aber „Stromlinienaufbau“ und aufwendigen Fahrwerken, die bei Maximaltempo 100 auf der leeren Autobahn irrelevant sind…

Die sind ja alle irre„, das wäre das richtige Votum angesichts des germanischen Größenwahns ohne entsprechende Kompetenz in der Vorkriegszeit gewesen.

Die verdiente Quittung für den besserwisserischen und massenmörderischen Irrsinn aus deutschen Landen kam dann vor 80 Jahren vor allem aus den Vereinigten Staaten – leider diesmal nicht in Form einer friedlichen Invasion auf vier Rädern…

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

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