Verschwommene Erinnerung: Mercedes-Benz 260 Cabriolet

Kennen Sie das auch? Manches im Leben – mag es auch noch so weit zurückliegen – ist einem in der Erinnerung präsent, als sei es gestern gewesen.

Das können prägende Erlebnisse ebenso sein wie kurze intensive Momente, visuelle Eindrücke, Gesichter von Personen, die man längst aus dem Blick verloren hat, sogar Gerüche oder Düfte, die man sich ins Bewusstsein rufen kann.

Und dann gibt es lange Zeiten, sogar ganze Jahre, mit denen man nichts derart Präzises, scharf Umrissenes verbindet – da ist allenfalls eine ungefähre, verschwommene Erinnerung an eine vergangene Phase im Leben.

Nur im Traum begegnet man bisweilen einem verschütteten Stück der eigenen Geschichte, nicht immer erfreulich, aber mitunter auch erbaulich. Es schlummert jedenfalls viel hinter der Leinwand, auf der wir unser Leben im Alltag oberflächlich wahrnehmen.

Manches davon kann man sich in Erinnerung rufen, wenn man sich darauf konzentriert, kann nach und nach dem Bild vom gestern wieder Konturen und Tiefe geben. Oft bleibt aber eine Unschärfe und man kommt über eine verschwommene Erinnerung nicht hinaus.

Das ist keineswegs zu bedauern, denn mitunter sind es nicht alle Details, sondern die Wirkung des Ganzen, die den Eindruck reizvoll macht.

Was das mit Vorkriegsautos auf alten Fotos zu tun hat? Für den nüchternen Betrachter vielleicht nichts, für den für’s Vage, nicht zu Fassende Empfänglichen viel. Dieses Bild, das einst im Herbst vor über 90 Jahren entstand, ist ein schönes Beispiel dafür:

Mercedes-Benz „Stuttgart“ 260 Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Trotz aller Bemühungen bei der Bildbearbeitung hat diese Situation etwas von einer verschwommenenen Erinnerung, durch deren Nebel sich nicht völlig schauen lässt.

Genau das gefällt mir daran, und ob wir den abgebildeten Wagen letztlich genau ansprechen können, ist zweitrangig – die Wirkung ist davon unabhängig.

Mit Mühe meint man einen Mercedes-Stern auf dem Kühler zu erkennen – aber kann das wirklich sein? Das Auto wirkt hier merkwürdig kompakt, jedenfalls gemessen an den Proportionen der meisten Modelle der Zwischenkriegszeit.

Es gab aber tatsächlich einen Mecedes-Benz mit solchen moderaten Dimensionen – das war der 1926 eingeführte kompakte 6-Zylindertyp 8/38 PS. Nach gründlicher Modernisierung firmierte er ab 1929 als Modell 200 „Stuttgart“, hatte aber weiterhin den Makel einer schwachen Motorisierung.

Erst der parallel angebotene Mercedes 260 mit nunmehr 50 PS bot zeitgemäße Leistung. Äußerlich sind speziell die meist ansprechenden Cabriolet-Versionen der Typen 8/38 PS, 200 und 260 schwer auseinanderzuhalten, für mich jedenfalls.

Die gerundeten Vorderkotflügel und die ganz leicht geneigte Windschutzscheibe scheint es beim Typ 8/38 PS noch nichht gegeben zu haben, aber vielleicht waren die Übergänge auch fließend.

Sicher ist nur, dass das eingangs gezeigte Mercedes-Cabrio einen zweitürigen Aufbau mit tiefem Ausschnitt am Heck für das niedergelegte Verdeck besaß – ziemlich genau wie dieses Exemplar, das ich vor längerem als Typ 260 „Stuttgart“ identifiziert hatte:

Mercedes-Benz „Stuttgart“ 260 Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wenn dieser Wagen so anders erscheint, liegt das in erster Linie an der hellen Farbgebung mit elegantem Zweifarbschema. Ein solches sommerliches Erscheinungsbild geht unserem heutigen Fotokandidaten gänzlich ab.

Dennoch meine ich, dass wir es mit einem nahezu identischen Modell zu tun haben – und aufgrund der selten zu findenden zwei Scheibenwischer bin ich geneigt, von dem teureren Typ 260 auszugehen. Das Fehlen von Stoßstangen wiederum ist ein Hinweis darauf, dass wir es mit der Standardausführung zu tun haben, nicht mit der reichhaltiger ausgestatteten Luxusversion, die wir wohl auf dem zweiten Foto sehen.

Das führt mich zu der letztlich unmaßgeblichen Vermutung, dass wir auf der ersten Aufnahme das sogenannte Cabriolet „NC“ sehen, eine mir sonst noch nicht begegnete Bezeichnung.

So oder so verschwimmt hier die Erinnerung ans Vorgestern auf das Schönste, dass man sich gar nicht länger mit den Details aufhalten will.

Wann genau und wo die Aufnahme entstand, bleibt ebenso ungewiss wie, wer diese zweifellos gutsituierten Leute waren. Sie sollten jedenfalls in den nächsten Jahren unter die Räder der Geschichte kommen, ganz gleich, was sie selbst für ein Rädchen im Getriebe gewesen sein mögen – niemand kann das mehr wissen.

Nur das Mercedes-Cabriolet bleibt am Ende als einzige relative Gewissheit an diesem Stück verschwommener Erinnerung – und das mag es sein, was solche Dokumente für uns so liebenswert geheimnisvoll macht…

Michael Schlenger, 2025. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

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